SUMO #38

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Gratiszeitungen – grenzen- und kostenlos in einer Wegwerfgesellschaft Ausgehend von Schweden belebt die Gratiszeitung weltweit den kriselnden Zeitungsmarkt. Doch nicht auf allen ZeitungsmĂ€rkten schaffte es die Gratispresse erfolgreich Fuß zu fassen. Mit Fokus auf den DACHRaum diskutiert SUMO ĂŒber die Implementierung und Etablierung der Gratiszeitung mit dem Medienwissenschaftler und Direktor des Instituts fĂŒr Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung Michael Haller und Fritz Hausjell, stv. Vorstand am Institut fĂŒr Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der UniversitĂ€t Wien.

Vor einiger Zeit haben Tageszeitungen, die allein durch den Werbemarkt finanziert werden, weltweit die bislang statischen MarktverhĂ€ltnisse aufgebrochen. Etablierte Zeitungsverlage sehen ihre Marktposition und ihren Stellenwert in der Gesellschaft bedroht. In manchen LĂ€ndern resultiert daraus ein hart umkĂ€mpfter Wettbewerb, konstatierte Horst Röper bereits 2006 („Media Perspektiven“). Zudem birgt die AbhĂ€ngigkeit vom Werbemarkt zwei wesentliche Probleme: Zum einen herrscht eine große Substitutionskonkurrenz auf dem Markt, zum anderen können Werbetreibende fast identische Zielgruppen erreichen, in verschiedenen Medienprodukten werben oder auf das Internet ausweichen, so MĂŒndges und Lobigs („Handbuch Medienökonomie“, 2020).

Historischer Überblick

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Die Geburtsstunde der Gratistageszeitung reicht bis ins Jahr 1882 zurĂŒck. Der Unternehmer Charles Coleman schaffte es seinen „Generalanzeiger fĂŒr LĂŒbeck und Umgebung“ in hoher Auflage zu produzieren und zu verteilen. SpĂ€ter wurde die Zeitung schrittweise zu einer Kaufzeitung umgestellt. Ähnliche Vorreiter sind unter anderem die „Manly Daily“ aus Australien, „Aspen Daily“ in den USA und die „Daily News“ aus Großbritannien, stellte Michael Haller in seinem großen Forschungsprojekt „Gratis-Tageszeitungen in den LesermĂ€rkten Westeuropas“ fest (erschienen als Buch 2009). Mit der GrĂŒndung des Titels „Metro“ 1995 in Stockholm hat sich das Konzept als wirtschaftlich tragfĂ€hig erwiesen. Das Boulevardblatt etablierte sich schnell als nachgefragter Zeitungstyp, dennoch wurde die neue Marktnische auf Seiten der QualitĂ€tszeitungen behindert. Diese Strategie funktionierte in manchen LĂ€ndern weniger erfolgreich als in anderen, so Röper. Somit etablierten sich innerhalb

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von Europa markante unterschiedliche Trends. Bevor es Gratiszeitungen im tagesaktuellen Bereich gegeben habe, wurden bereits GratisblĂ€tter, wie das „Bezirksblatt“, seit den frĂŒhen 1990er Jahren in Österreich verbreitet. Von den Menschen werde aber auch in dieser Hinsicht wahrgenommen, dass die redaktionelle Kraft eher bescheiden sei. Diese Form der Gratispublizistik sei bereits am Land bekannt gewesen und habe nicht die QualitĂ€tszeitungen betroffen, erklĂ€rt Hausjell.

meint Hausjell. Besonders das sozial schlecht gestellte Publikum greife am stÀrksten zur Gratispresse, das sei aber auch durchaus auf Seiten der Medienmacher*innen intendiert.

Die DistributionskanĂ€le von Gratiszeitungen Um Reichweite zu generieren, mĂŒssen Zeitungen, die ausschließlich ĂŒber Werbeerlöse finanziert werden, ihren Fokus auf die Distributionspolitik legen. Um optimale Reichweite erzielen zu können und um die entsprechende Zielgruppe, meist im Alterssegment von 25-50-jĂ€hrigen, zu erreichen, bedarf es einer Distributionslogik, die das Publikum zeitlich sowie rĂ€umlich anspricht, sodass es optimal nutzungswillig ist. Wichtig dabei ist, dass potentielle Rezipient*innen auf die Zeitung aufmerksam gemacht und in weiterer Folge angelockt werden. Die MedienhĂ€user setzen dabei auf die Verteilung meist im öffentlichen Nahverkehr, per Zeitungsspender oder Handverteiler. Demnach werden Gratiszeitungen auch oftmals als Pendlerzeitungen betitelt, da diese ĂŒberwiegend in Bahnhöfen verteilt werden. Dieses effiziente Verfahren bringt unter anderem den Vorteil, dass innerhalb kĂŒrzester Zeit viele Exemplare verteilt werden können. BerufstĂ€tige junge Pendler*innen sind fĂŒr die Werbewirtschaft besonders attraktiv. Auf diese Weise können aber auch Angehörige von Minderheiten eher erreicht werden, konstatierte Haller 2009. Viele Menschen wĂŒrden die GratisblĂ€tter als eine Art ErgĂ€nzung zu ihren ĂŒblichen Medien lesen,

Michael Haller Copyright: HMS

Ein Vergleich im DACH-Raum

Die ZeitungsmĂ€rkte der DACH-LĂ€nder weisen Gemeinsamkeiten in Punkto Struktur und Entwicklung auf, aufgrund von historischen Ereignissen und unterschiedlichen MarktgrĂ¶ĂŸen gibt es laut MĂŒndges und Lobigs aber auch fundamentale Unterschiede. WĂ€hrend die Tamedia AG (heute TX Group AG) mit dem Boulevardblatt „20 Minuten“ (deutschsprachig) und „20 Minutes“ (französischsprachig) sowie die Ringier AG – bis 2018 – mit „Blick am Abend“ es geschafft haben, drei gut aufgestellte Gratiszeitungen mit hohen Reichweiten in der Schweiz zu etablieren, hat sich laut Haller in Deutschland bisher auch aus rechtlichen GrĂŒnden keine Gratistageszeitung richtig entfalten können. Auch die Schweizer Gratiszeitungen nahmen ihren Ausgangspunkt in Skandinavien. Die schwedische Boulevardzeitung „Aftonbladet“ des nor-


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