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Kinderfernsehen – Noch am Puls der Zeit?
from SUMO #38
Es ist ein Zitat von einem, der es wissen muss: Hans Rosenthal war einer der ganz großen deutschen Showmaster. Er reiht sich in eine Liste mit Peter Alexander, Rudi Carrell, Hans Joachim Kulenkampff & Co. Allesamt waren sie Personen, die das deutschsprachige Fernsehen in den 1960er und 1970er Jahren maßgeblich geprägt haben. Der heutige Blick auf die historischen Samstagabendshows verrät manch überraschende Erkenntnis über die heile TV-Welt der Nachkriegsgesellschaft und wenig überraschende Entwicklungen der Fernsehrezeption. Bei allen medialen Veränderungen: Schöne Erinnerungen an eine „gute alte Zeit“ vor den Bildschirmen bleiben aber.
Vom Spartenprogramm zum Sender
„Biene Maja“, „Kasperl & Petzi“ und andere Formate fesselten damals schon viele Kinder vor den Fernsehgeräten. Auch heute noch verbringen die jungen Rezipient*innen gerne Zeit vor den Bildschirmen. Schätzungen der Haupterzieher*innen nach nutzen Kinder durchschnittlich über eine Stunde lineares Fernsehen pro Tag. Dies geht aus der KIM-Studie 2020 (Kindheit, Internet, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest in Deutschland hervor. Doch während zu Beginn Kinderfernsehen vielfach als Spartenprogramm auf Sendern ausgestrahlt wurde, so wie es heute noch mit „OKIDOKI“ im ORF der Fall ist, ging der Wandel immer stärker hin zu eigenen Kindersendern, die auf hohen Zuspruch treffen. Laut der KIM-Studie 2020 haben sechs von zehn der befragten Kinder einen Lieblingssender im TV. Dabei sind die ersten beiden Plätze von den Sendern „KiKA“ (29%) und „SUPER RTL“ (22%) belegt. Der „Disney Channel“ (4%) und „Nickelodeon“ (4%) sind hingegen weit abgeschlagen zu den Nennungen der Erstplatzierten und reihen sich hinter „RTL“ (10%) und „ProSieben“ (7%) ein. Anderslautend waren die Angaben bei selbiger Studie im Jahre 1999. Damals führte noch der private Sender „RTL“ (23%). „SUPER RTL“ und der „Kinderkanal“ („KiKA“) teilten sich den zweiten Rang mit je 20%. Damit führt heute in Deutschland ein öffentlich-rechtlicher Kindersender bei den Präferenzen der Zuseher*innen vor einem Feld an privaten Kanälen. In Österreich liegen die Zahlen jedoch anders: Laut der aktuellen oberösterreichischen Kindermedienstudie haben die Hälfte der 6-10-jährige Kinder einen Lieblingskanal: 39% „YouTube“, danach folgen die TV-Sender „KiKA“ (32%) und „Disney Channel (31%), gefolgt von „Netflix“ (30%) und „SUPER RTL“ (26%). Diese Studie zeigt auf, dass der ORF in besagter Altersgruppe ein Problem hat, da bloß 9% der Kinder ihn als Lieblingssender anführten. Doch worin unterscheiden sich öffentlich-rechtliche von den privaten Mitbewerbern?
Ralph Caspers meint dazu, dass das grundsätzliche Ziel, ein gutes Programm zu machen, welches gerne gesehen werde, sowohl bei den privaten, als auch bei den öffentlich-rechtlichen vorrangig sei. Einen der wenigen Unterschiede bemerke er allerdings bezüglich der Wirkung nach außen. So seien die Recherchen für „SUPER RTL“, bei welchem er in den 90ern gearbeitet hat, deutlich
Ralph Caspers
Copyright: Johannes Haas
schwieriger gewesen, da die Menschen zumeist in dem Glauben gewesen seien, mit einer Krawallsendung zusammen zu arbeiten. Dass allerdings ein Kinderprogramm im Vordergrund stand und nicht Boulevardjournalismus, hätten die Meisten gar nicht richtig wahrgenommen. Dies läge nun allerdings auch schon einige Jahre zurück und könne sich im Laufe der Zeit natürlich verändert haben. Der größte Unterschied ist wohl die Aussparung, beziehungsweise Begrenzung von Werbung bei den öffentlichrechtlichen Sendern. Ermöglicht wird der Verzicht im Falle von „KiKA“, da der seit 1997 ausgestrahlte Sender als Gemeinschaftsprogramm der „ARD-Landesrundfunkanstalten“ und des ZDF durch einen Anteil des monatlichen Rundfunkbeitrages öffentlich finanziert wird. 1995 startete „SUPER RTL“, welcher als privater Sender natürlich auf Einnahmen aus der Werbung angewiesen ist. Beide jedoch eint, dass sie nicht rund um die Uhr Kinderformate senden. „KiKA“ zeigt eine Nachtschleife, in der je nach Empfangsart auf einen anderen Sender geschaltet oder „Bernd das Brot“ ausgestrahlt wird. „SUPER RTL“ hingegen wechselt in der sogenannten „Primetime“ zum Programm für Erwachsene.
Prägung des Fernsehens
Die Kindheit ist eine Zeit enormer und vor allem schneller persönlicher Entwicklung. Dabei werden die Heranwachsenden von vielen Sozialisationsfaktoren beeinflusst, liegen diese nun in der Nutzung von Medien, im familiären und schulischen Umfeld, im Freundeskreis oder gar in der gesamtgesellschaftlichen Ebene. All dies trägt zur Findung der Persönlichkeit und Prägung verschiedener Verhaltensweisen bei, die sich dann auch in anderen Bereichen des Lebens widerspiegeln. So beeinflusst zum einen natürlich das Fernsehen die Kinder, zum anderen wird aber auch der Fernsehkonsum von der Umwelt beeinflusst. Große Faktoren, wie die Pandemie, hätten allgemein zu mehr psychischen Problemen bei Kindern geführt, merkt Julia Dier an. Dadurch würden sich die Heranwachsenden vermehrt in Medien zurückziehen, die älteren vielfach auf Social Media und die jüngeren dürften mehr fernsehen. Die Nutzung von Medien sei durch die Pandemie gestiegen. Doch Abseits des Gesundheitsthemas sind auch andere Themen in den Vordergrund gerückt. Viele Menschen sind sensibilisierter, sei dies nun gegenüber Bereichen, die die Gesellschaft schon länger beschäftigen, wie Geschlechtergleichstellung und Gendering, oder Bewegungen welche in jüngerer Vergangenheit vermehrt in das Bewusstsein rücken, etwa „#BlackLivesMatter“ oder „FRIDAYS FOR FUTURE“. Da „Die Sendung mit der Maus“ immer wieder Kinderfragen beantwortet, sind solche gesellschaftlichen Einflüsse auch hier spürbar. Zur Thematik von „FRIDAYS FOR FUTURE“ und Umweltschutz konstatiert Ralph Caspers: „Solche Fragen kommen viel mehr als vorher. Wobei es auch damals schon Fragen gab, wie zum Beispiel, als die Atomenergie ein bisschen in Verruf zu kommen, wegen Tschernobyl beispielsweise.“ Dies zeigt sehr gut, wie stark der Einfluss des Umfeldes und aktueller Vorgänge auf Kinder wirkt und dass dieser Einfluss damals wie heute das Verhalten und Wissensbedürfnis verändert. Wissensformate können diesen Informationsdurst der Kleinen stillen. Doch was sollte dabei im Vordergrund stehen: Wissensvermittlung, Wertevermittlung oder Unterhaltung? Unser interviewter Elternteil, ein Vater zweier Kinder, erwartet sich in erster Linie einen bildenden Charakter betreffend den sozialen Umgang in Form von gewissen Wertevorstellungen, die transportiert werden sollten. Erst in zweiter Linie wünsche er sich, bei den darauf ausgerichteten Formaten, eine Vermittlung von Fakten und Wissensinhalten. Auch Ralph Caspers sieht die Primärfunktion von Fernsehen nicht nur in Wissensvermittlung, sondern vor allem in der Unterhaltung. Er zieht einen anschaulichen Vergleich heran: „So ein bisschen, wie wenn man einem Hund eine Tablette geben möchte. Der wird die ja sofort wieder ausspucken. Deshalb muss man Tabletten immer schön dick in zum Beispiel Leberwurst einwickeln und dann schluckt der Hund das einfach runter und merkt gar nicht, was für eine Pille er geschluckt hat.“ Auch Kinder werden sich nicht mit der Intention, besonders viel lernen zu wollen vor den Fernseher setzen. Daher werden auch nicht die Formate nur rein auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Unterhaltung ist immer der Grundstein, der den Transport von Lerninhalten erst ermöglicht. Trotz alledem lässt sich im Vergleich zu früher eine Vermehrung dieser Wissensformate feststellen. Dies resultiere laut Ralph Caspers schlicht und einfach aus der generellen Erweiterung des Angebotes und sei eine einfache Frage der Quantität. Allerdings sind die Veränderungen im Angebot noch längst nicht die einzigen, die sich über die Jahre ergeben haben. Auch die Erzählweise und die Schnitte seien schneller und lauter geworden. Während unser interviewter Vater noch Zeichentrickfilme mit „gleichbleibenden Hintergründen“ und „nur einzelnen bewegten Figuren“ mit einer „ruhigeren Handlung“ in Erinnerung hat, seien nun Bilder stärker animiert und Aktionen schneller aufeinanderfolgend. Die Reaktion seiner Kinder auf die älteren Serien sei, dass sie diese als langweilig wahrnehmen. Nun stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese Veränderung auf die jungen Rezipient*innen hat. Julia Dier sieht das schnellere und lautere Fernsehen als nur eine geringe Problematik, da hierbei Eltern noch guten Einblick im Gegensatz zu anderen Medien, wie das Handy, hätten. Lediglich für ganz kleine Kinder seien die schnellen Formate schlecht, da sie diese stark überforderten.
Im Laufe der Zeit sind viele ganz neue Kinderserien und -filme entstanden, doch oftmals wird auch einfach auf bestehende und bewährte Ideen zurückgegriffen. Serien wie „Biene Maja“ wurden beispielsweise lediglich adaptiert und in diesem Falle 3D-animiert. Bei solchen Neuauflagen scheiden sich natürlich die Geister und eine objektive Bewertung fällt durchaus schwer. Unser Elternteil äußert dazu: „Das passt für mich einfach überhaupt nicht zusammen. Aber einfach nur deshalb, weil ich es anders kenne. Wenn sich meine Kinder das anschauen, finden sie es gut.“
Julia Dier
Copyright: Privat
Dies zeigt abermals, wie stark Kinderfernsehen Menschen bis in das Erwachsenenalter prägt und wie fest verankert die Erinnerung an Originalfiguren und den Klang der Originalstimmen aus der eigenen Kindheit ist. Aus Ralph Caspers Sicht ist das Wichtigste, dass man wisse, was der Kern sei, der ein Format ausmacht. Dann könne man sehr viel rundherum verändern.
Der Schub der Digitalisierung
In der jüngeren Zeit hat sich die Nachfrage nach Videoplattformen und Streaming immer mehr erhöht. Mit so manchen Vorteilen, wie orts- und zeitunabhängigem Zugriff, der größeren Auswahlmöglichkeit und dem teils geringerem Werbeeinfluss lassen diese internetgestützten Anbieter das lineare Fernsehen schon teilweise sehr veraltet aussehen. So ist es durchaus bemerkenswert, dass bei der Frage nach den drei wichtigsten Lieblingssendern, -plattformen oder -streaminganbietern „YouTube“ noch vor linearen Kindersendern genannt wird. Auch „Netflix“, „Amazon Prime“ und „YouTube Kids“ wird durchaus oft erwähnt. Das zeigt die 2020 erstellte Studie „Medienverhalten bei Kindern“, welche im Auftrag der „EDUCATION GROUP GmbH“ in Oberösterreich durchgeführt wurde, deren Ergebnisse sich von deutschen Studien durchaus unterschieden (Werte siehe oben). Zudem ist auch die geschätzte Sehdauer (KIM 2020) mit durchschnittlichen 24 Minuten für Streaming zusätzlich zu 68 Minuten linearen Fernsehen im Verhältnis gar nicht so gering.
Gründe für einen Umstieg zu Streaming seien für unseren interviewten Vater vor allem erhöhte Entscheidungsfreiheit gewesen. Er fände das normale Fernsehprogramm Filme betreffend relativ mau.
So manch ein/e Nutzer*in wird allerdings auch von der eingeschränkten Werbung auf bezahlten Plattformen angezogen. Denn Werbung beeinflusst Kinder sehr stark.
Unser interviewter Vater merke die Beeinflussung im Sprachgebrauch sehr deutlich. Dies äußere sich beispielsweise über Werbelieder, welche gekannt, gekonnt und nachgesungen werden, oder das Ersetzen von Bezeichnungen durch Markennamen.
Dabei ergeben sich diese Einflüsse natürlich nicht ausschließlich durch das Fernsehen, sondern auch durch das Radio, Werbungen vor „YouTube“-Videos oder sonstigen Medieneinflüssen. Auch Streamingdienste schalten teilweise zumindest Trailer voraus. Julia Dier erkennt die Beeinflussung durch Werbung, fügt allerdings hinzu, dass ein gewisses Maß an Werbung hinsichtlich der Frusttoleranz von Kindern wichtig sei. Da viele der jungen Zuseher*innen Formate ansonsten nur noch auf Abruf kennen, ohne sich dazwischen gedulden zu müssen. Der Konsumation von „YouTube“ präferiere sie das normale Fernsehen für Kinder, da Werbeinhalte dort auf die Kleinen abgestimmt seien, was bei der Videoplattform nicht durchgängig der Fall sei.
Des Weiteren geht mit dem Umstieg auf internetgestützte Kinderformate auch die Zeitgeberfunktion des Fernsehens für die Zuseher*innen verloren. Im Internet ist der Zugriff völlig frei und nicht an Ausstrahlungszeiten gebunden. Dadurch verschwinden zum Teil Strukturen, die das Fernsehen für manche Familien über Jahre geboten hat, wie die Schlafens-geh-Zeit mit dem „Sandmännchen“ oder die Hauptabendzeit um 20:15.
Allerdings setzen auch die Kindersender nicht mehr rein auf lineares Fernsehen, sondern zeigen auch im Internet Präsenz. Websites von Sendern oder erfolgreichen Formaten, passende Apps zu Kindersendungen, Mediatheken, interaktive Spiele, Diskussionsforen zu Programminhalten, abgestimmte digital verfügbare Bastelanleitungen und vieles mehr verhelfen den klassischen Kinderfernsehformaten, ihre Rezipient*innen auch online anzusprechen. Ralph Caspers erläutert: „Wenn klar ist, dass Leute nicht nur den Fernseher einschalten, sondern auch andere Geräte, dann versuchen wir auch auf den Geräten zu sein. Damit wir eben auch da eine kleine Heimat finden.“
Somit befindet sich das Fernsehen in der heutigen Zeit zwar durchaus in einem weitaus größeren Wettbewerb um Aufmerksamkeit, doch ist es immer noch für viele Menschen ein wichtiges Medium der audiovisuellen Unterhaltung. Schon allein die im Vergleich zu Streaming fast dreimal so hoch geschätzte Nutzungsdauer bei Kindern zeigt dies deutlich. Genauso trägt auch der Auftritt der Sender und Formate in der Onlinewelt dazu bei, dass das Kinderfernsehen immer noch am Puls der Zeit ist, welcher heutzutage nun einmal einfach ein wenig schneller schlägt.