Essay von Tomas Kubelik
Was ist ein guter Lehrer? Betrachtungen aus der Praxis
E
in Buch, in dem es um schulische Bildung geht und das überdies von einem Lehrer geschrieben ist, darf der Frage nicht ausweichen: Was ist ein guter Lehrer? Die ernüchternde Antwort lautet zunächst: Das kann niemand mit Bestimmtheit sagen; denn es gibt keinen Lehrer, der für alle Schüler gleichermaßen geeignet wäre. Natürlich versucht die empirische Bildungsforschung auch diesen Bereich des Menschlichen in mathematische Modelle zu pressen und aus statistischen Analysen Eigenschaften und Verhaltensweisen von Pädagogen herauszufiltern, die möglichst große Lernfortschritte zur Folge haben. Wie bei allen empirischen Untersuchungen dieser Art muss man aber fragen: Wie soll Bildungserfolg gemessen werden? Welcher Bildungsbegriff liegt einer Untersuchung zugrunde, bei der Effekte von konkretem Lehrerverhalten ermittelt und nach dem Grad ihrer Wirksamkeit bewertet werden? Pädagogische Arbeit besitzt nun einmal eine künstlerisch-schöpferische Seite: Der Unterricht ist nur in bescheidenem Maße planbar; man benötigt eine große Portion Talent und Intuition, die Persönlichkeit und Phantasie des Einzelnen ist entscheidend; man kann sich auf keine Patentrezepte verlassen und auf keine Checklisten; Qualität und Erfolg der eigenen Anstrengungen sind kaum messbar.
In seinem Buch beleuchtet Gymnasiallehrer Tomas Kubelik die vielen Irrwege der Bildungspolitik und zeigt Gründe dafür auf, weshalb unsere Schulen längst nicht mehr das leisten, was eigentlich ihre Aufgabe wäre. Dieser Auszug geht vor allem der Frage nach, was einen guten Lehrer ausmacht.
Aber selbst dann, wenn man die Ergebnisse empirischer Bildungsforschung für aussagekräftig hält, bleibt das Problem, dass sie nur Tendenzen angeben und niemals für alle Schüler und für alle Lehrer Gültigkeit beanspruchen können. Sie abstrahieren immer von den konkreten Personen. Menschen können aber sowohl in ihrem Lehr- als auch in ihrem Lernverhalten nur erfolgreich sein, wenn sie auch authentisch agieren und innerlich überzeugt sind, etwas Sinnvolles zu tun. Wenn sich beispielswese eine Unterrichtsmethode (zum Beispiel Frontalunterricht oder Projektunterricht) im statistischen Mittel als besonders vielversprechend erweist und ein Lehrer sie anzuwenden versucht, dem diese Methode aber aus welchen Gründen immer persönlich nicht liegt, kann sich kaum ein fruchtbarer Unterricht entwickeln. Selbstverständlich gibt es Trivialitäten, die man von einem guten Lehrer erwarten kann. Und selbstverständlich ist es leicht, sich ein scheinbares Idealbild eines Lehrers auszumalen. So soll ein Lehrer natürlich gut erklären können und gerecht sein, zugleich durchsetzungsstark, psychologisch geschickt, didaktisch versiert, nervenstark, humorvoll, kinderlieb, verständnisvoll, geduldig, kommunikativ, selbstkritisch und im besten Fall ein selbstausbeuterischer Idealist.
Doch abgesehen davon, dass man eine Persönlichkeit, die all diese Attribute in sich vereint, wohl kaum finden wird: So jemand wird noch lange kein guter Lehrer sein, weil das Wichtigste fehlt. Worin das besteht? Ungeachtet aller empirischen Bildungsforschung und ungeachtet der Berge von didaktischer Literatur, die sich in den letzten Jahrzehnten aufgetürmt haben, ohne die Schule besser gemacht zu haben, wage ich folgende Behauptung: Ein guter Lehrer ist jemand, der viel weiß, der viel bietet und der viel verlangt. Fachliche Kompetenz – die Grundlage guten Unterrichts – kann freilich keineswegs immer vorausgesetzt werden. Der Linguist und Sprachdidaktiker Albert Bremerich-Bos untersuchte 2016 die Sprachkompetenz von Lehramtsstudenten. Diese bekamen etwa die Aufgabe, »aus einem feuilletonistischen Zeitungsartikel die zentrale These herauszuarbeiten. 30 Prozent der Texte enthielten mindestens sechs Orthographie- und mindestens fünf Kommafehler. Nur 20 Prozent der Texte wurden als gut ein gestuft. Vielen Studenten war übrigens auch nicht gelungen, die These herauszufiltern.« [1] In einer wissenschaftlichen Untersuchung aus demselben Jahr wurden Referendare für das Fach Deutsch aufgefordert, die Zweideutigkeit des Satzes »Corinna hat sich in Barcelona verliebt« durch die Angabe der entsprechenden Satzglieder zu illustrieren,
Foto: Maria Kubelik
Viel wissen, viel bieten, viel verlangen
Dr. Tomas Kubelik, 1976 in der Slowakei geboren, wuchs in Stuttgart auf und studierte Germanistik und Mathematik. 2005 promovierte er zum Dr. phil. Er ist als Gymnasiallehrer für Deutsch und Mathematik tätig. 2021 erschien sein Buch »Warum Schulen scheitern« im Verlag Garamond. FAZIT NOVEMBER 2023 /// 39