Fazit 109

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Essay von Werner Kuich

Zeitalter universitären Abstiegs. Samt Hoffnungsschimmer W

ieso waren die Geburtsjahrgänge um 1940 bevorzugt? Die karge Jugend hat uns gestärkt. Unsere 1. Klasse in der Mittelschule umfasste 40 Schüler – nach heutigen Maßstäben unfassbar. Jedoch sorgte die damals vorgeschriebene Aufnahmeprüfung für eine gewisse Homogenität der Schüler, die offensichtlich den Lehrern das Unterrichten leichter machte. Mit einem Maturazeugnis konnte man um 1960 beruflich noch etwas anfangen und als fertiger Akademiker hatte man seinen Arbeitsplatz sicher. Bezüglich der Universitäten waren unsere Jahrgänge, als jene um 1970 expandierten, wissenschaftlich bereits durch die Habilitation ausgewiesen und konnten die neu geschaffenen Professuren besetzen. So waren im deutschen Raum in den 1970er Jahren mehr als 15 Lehrkanzeln für Theoretische Informatik frei. Alles das ist wohl der tiefere Grund, warum wir in so jungen Jahren ordentliche Universitätsprofessoren geworden sind.

Ein Abriss über sechs Jahrzehnte österreichischer Hochschulpolitik

»Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo« – welcher Lateinschüler kennt sie nicht, diese erste Zeile aus dem Abschnitt über die vier Weltzeitalter aus Ovids Metamorphosen. In diesem beschreibt Ovid nacheinander das goldene, silberne, eherne und eiserne Zeitalter. Analog dazu sehe ich die vier Zeitalter der österreichischen Hochschulen:

Foto: Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Leo Hagen

n zuerst das goldene Zeitalter des Hochschulorganisationsgesetzes 1955 n das eiserne Zeitalter des Universitätsorganisationsgesetzes (UOG) 1975 n das eherne Zeitalter des UOG 1993 n und schließlich das silberne Zeitalter des Universitätsgesetzes 2002 (UG).

Während also bei Ovid eine stete Verschlechterung mit den Zeitaltern einhergeht, ist in der österreichischen Hochschullandschaft mit dem UOG 1975 eine katastrophale Verschlechterung eingetreten, und neue Universitätsgesetze haben dann Verbesserungen hervorgebracht. In unkritischen Fällen gibt es natürlich mit keinem dieser Gesetze Schwierigkeiten. Und sicherlich fallen mehr als 90 Prozent der Vorkommnisse darunter. Aber die Güte eines Gesetzes zeigt sich erst dann, wenn gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen. Die vornehmsten Aufgaben einer Hochschule sind:

n die Selbstergänzung, also die Berufung neuer Professoren, um die Qualität der Forschung und ihrer Lehre sicherzustellen n die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses mit dem Ziel der Habilitation n die Ausbildung der Studenten durch forschungsgeleitete Lehre.

Dr. Werner Kuich, geboren 1941, ist emeritierter Professor für Mathematische Logik und Formale Sprachen an der TU Wien. Er

Goldenes Zeitalter 1955–1975

hat in vielen Bereichen der Theoretischen

»Erst entsprosste das goldne Geschlecht, das, von keinem gezüchtigt, Willig und ohne Gesetz ausübte das Recht und die Treue.«

ben. Er war von 1986 bis 1989 Vorsitzen-

So schildert Ovid das goldene Zeitalter. In diesem goldenen Zeitalter war die Versammlung aller Professoren, das sogenannte Professorenkollegium, das oberste Gremium der Hochschule. Der Rektor leitete es als Primus inter pares. Diesem Professorenkollegium oblag die letzte Beschlussfassung, Berufungs- und Habilitationskommissionen waren nicht bevollmächtigt. Studienkommissionen im heutigen Sinn gab es erst seit Ende der 1960er Jahre. Jeder Professor konnte einer Berufungs- oder Habilitationskommission

Informatik wichtige Forschungen betrieder der »Österreichischen Mathematischen Gesellschaft«- Seit 1988 ist er Mitglied der »Finnischen Akademie der Wissenschaften« sowie seit 2011 der wissenschaftlichen Gesellschaft »Academia Europaea«. dmg.tuwien.ac.at/kuich Fazit Jänner 2015 /// 49


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