
7 minute read
Preis für Wissenschaftsjournalistik der ÖFG Seite
Die ersten ÖFG-Preisträger*innen für guten Wissenschaftsjournalismus
Edith Meinhart, profil Kategorie Wissenschaft und Gesellschaft Florian Aigner, Ö1 Kategorie Rundfunk
„Kommunikation ist die schärfste Waffe in der Pandemie“, schreibt Edith Meinhart in ihrem preisgekrönten Artikel „Die Pandemie entzweit die Gesellscha “, in dem sie die Gräben zwischen Geimp en und Ungeimp en, ihnen zugrunde liegende soziologische und psychologische Dynamiken sowie politische und krisenkommunikatorische Fehler analysiert. Dabei plädiert die langjährige profil-Journalistin für Konsens, ohne kritisches Hinschauen auf die Protagonist*innen der verschiedenen Lager auszuschließen. Doch Lösungsanstrengungen seien wichtiger als Rechthaben, meint sie und erkundet unter anderem, welche Möglichkeiten ein Sozialphilosoph und Netzwerkanalyst hierzu sieht, oder wie ein Soziologe und ein Konfliktforscher das Problem des wachsenden Misstrauens gegenüber Institutionen beurteilen.
„Wenn Ambivalenzfähigkeit ein Schlüssel zur Bewältigung noch auf uns zukommender Krisen ist, sind wir schlecht aufgestellt“, erklärt sie ihre Motivation hinter dem Artikel. „Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie offenkundig dür ig das sozialpsychologische Wissen um den Wert von Vertrauen und Anerkennung selbst in hochrangigen Pandemie-Krisenstäben ist.“ Zumal der
„Um die eigene Unsicherheit herum- zuturnen, geht selten gut. Jede Vereinfachung im Sinne von Lesbarkeit und Verständlichkeit muss eine ,gute‘ sein“ „Ich sehe mir auch antiwissenschaftliche Themen an – von Astrologie bis Chemtrails, von Perpetuum-mobileKonstrukteuren bis zu Impfgegnern“
Preis für den Artikel „Die Pandemie entzweit die Gesellscha “
Teil der Wählerscha , der sich von der Politik nicht mehr vertreten fühle, beunruhigende Ausmaße angenommen habe. „In der politischen Kommunikation gibt es ein Credo, dass Botscha en ,simple and stupid‘ gehalten sein müssen, um verstanden zu werden“, so Meinhart. „Ich bin entschieden anderer Meinung, wenn diese Maxime dazu führt, dass Unsicherheit verschleiert wird, jeder Satz wie eine unwiderlegbare Behauptung daherkommt und ein, zwei Wochen später nur mehr die Häl e davon stimmt.“
Als Mitglied der Innenpolitik-Redaktion schreibt Meinhart nicht ausschließlich über Wissenscha , widmet sich dieser aber gern, wenn sie gesellscha liche Themen berührt. Dann bemühe sie sich, kenntlich zu machen, welche Fragen erforscht wurden, welche noch offen sind und wo man auf Beobachtungen, Thesen oder anekdotische Befunde angewiesen ist. „Manchmal kann es sich auch anbieten, kontroverse Ergebnisse anzuführen und nach Möglichkeit zu erklären, wie sie zustandekommen.“ Die nötige Vereinfachung des wissenscha lichen „Fachchinesisch“ erfordere es, so lange zu recherchieren, bis man den Sachverhalt selbst verstanden habe. „Um die eigene Unsicherheit herumzuturnen, geht selten gut. Jede Vereinfachung im Sinne von Lesbarkeit und Verständlichkeit muss eine ,gute‘ sein und nicht einer Denkfaulheit geschuldet.“ In einem Podcast „das Universum zu erklären, die Wissenscha und überhaupt alles“, das sei zwar eine unmögliche, aber wunderschöne Aufgabe, kommentiert Florian Aigner seine Radioreihe „Aigners Universum“. Anfang 2021 ging sie auf Ö1 on Air. In drei- bis vierminütigen Beiträgen teilt der promovierte Quantenphysiker hier seine Gedanken über spektakuläre Forschung, Verwerfungen des Kosmos, verbreitete Denkfehler, gut abgehangene Klischees oder versteckten Aberglauben. Dass er dafür nun ausgezeichnet wurde, freut ihn sehr. „Wissenscha skommunikation ist ein o mühsames Geschä , es gibt kein klares Berufsbild, wo man nach erprobten Regeln dahinarbeitet. Da tut es natürlich gut, durch einen solchen Preis signalisiert zu bekommen, dass man etwas richtig gemacht hat.“
Wissenscha serklärer ist Aigner seit 2008, wobei er sich – neben seiner Arbeit als Wissenscha sredakteur an der TU Wien – besonders gern auf das Grenzgebiet zwischen Fakt und Fake konzentriert. Darüber schreibt er Bücher und Kolumnen, etwa für das österreichische Technologie- und Wissenscha sportal „futurezone“, hält Vorträge und engagiert sich als Jurymitglied des satirischen Negativpreises „Das goldene Brett vorm Kopf“. „Wenn man erklä-
Preis für die Radioreihe „Aigners Universum“
ren will, was Wissenscha ist, muss man auch erklären, was sicher keine Wissenscha ist“, unterstreicht er. „Darum befasse ich mich nicht nur mit Naturwissenscha und Technik, sondern sehe mir auch antiwissenscha liche Themen an – von Astrologie bis Chemtrails, von Perpetuum-mobile-Konstrukteuren bis zu Impfgegnern.“ Das sei manchmal lustig, manchmal schockierend. „Aber es ist wichtig, dass solche Dinge eingeordnet werden. Menschen, die an so etwas glauben, sind ja nicht dumm. Sie stoßen nur im Internet unglaublich leicht auf falsche Informationen.“ Hier müsse man mit überprü aren Fakten dagegenhalten.
Mangelndes Vertrauen in die Forschung hält Aigner für ein altes, in Österreich leider tief verankertes Phänomen. „Wissenscha wird als Nebensache wahrgenommen.“ Auf die Frage, was Wissenscha sjournalismus leisten muss, um hier Abhilfe zu schaffen, schmunzelt er: „Wer darauf eine Antwort findet, wird vermutlich weltberühmt.“ Aber auch wenn es keinen einfachen Trick gebe, ein paar Grundregeln würden schon gelten: „Ehrlich Fakten präsentieren anstatt sensationellen Headlines hinterherlaufen. Nicht nur die Ergebnisse der Forschung erklären, sondern auch, wie sie zustande kommen. Dazusagen, welches Wissen solide und verlässlich ist und wo es sich vorerst nur um vorläufige Vermutungen handelt.“
Spätestens seit der Corona-Pandemie ist klar: Guter Wissenscha sjournalismus ist eminent wichtig. Das Sortieren, Bewerten und Verständlichmachen komplexer Forschungsinhalte trägt dazu bei, dass diese von Laien weniger leicht als nebulös und abgehoben wahrgenommen werden. Es ist allerdings eine hohe Kunst, dabei die Balance zwischen sachlich-präzise und spannendunterhaltsam zu wahren, weder reißerisch noch fad daherzukommen, zu vereinfachen, ohne zu verzerren. Diese „Übersetzungsleistung“ würdigt die Österreichische Forschungsgemeinscha ÖFG mit ihrem neuen Preis für Wissenscha sjournalismus. Edith Meinhart, Florian Aigner, Sandra Fleck und David Rennert bekamen ihn im April 2022 überreicht
USCHI SORZ
Sandra Fleck, freie Journalistin Kategorie Doku Multimedia David Rennert, Der Standard Kategorie Magazin
Sandra Fleck lässt sich nicht in Schubladen stecken. „Jedem Inhalt sein Medium“, sagt sie. „Ob Zeitung, Onlineformat, TV, Radio oder Social Media – als Wissenscha sjournalistin ist es mir wichtig, das schon bei der Au ereitung mitzudenken.“ Eine charakteristische Bewegung etwa lasse sich in einem Video o besser festhalten als auf einem Foto. Und eine Grafik stelle einen komplexen Wirkmechanismus unter Umständen unmissverständlicher dar als ein Text. Die studierte Biologin schreibt für mehrere österreichische Tageszeitungen, wie zum Beispiel die Wiener Zeitung, arbeitet am Ö1-Gesundheitsmagazin „Radiodoktor“ mit und betreibt den Podcast „Best-of Wissenscha “, in dem populärwissenscha liche Bücher im Mittelpunkt stehen.
Den ÖFG-Preis hat sie für ihre Multimediareportage „Einfach nur Jakob“ bekommen, die die Lebenswelt des gleichnamigen Protagonisten hautnah vor Augen führt und zugleich über die neurodegenerative Erkrankung des jungen Mannes informiert. Die seltene „Friedreich-Ataxie“ ist genetisch bedingt, beginnt meist im Kindheits- und Jugendalter und ist gekennzeichnet vom fortschreitenden Absterben von Nervenzellen, was sich unter
„Einfach nur zu behaupten, der Journalismus sei objektiv, ist eine Lüge. Aber wer seine Kriterien offenlegt und faktenbasiert arbeitet, handelt glaubwürdig“ „Komplexe Zusammenhänge in ein lesenswertes Narrativ packen und die Leser*innen bei ihrem Wissensstand abholen, ohne zu stark zu vereinfachen“
Preis für Multimediareportage „Einfach nur Jakob“
anderem in Bewegungs- und Koordinationsstörungen äußert. „Naturgemäß sind seltene Erkrankungen den meisten weitgehend unbekannt. Das wollte ich ändern.“ Fleck nutzte dafür das Multimedia-Tool Pageflow, mit dem sie im Zuge ihres Journalismusstudiums an der FH Wien in Berührung kam. Damit lassen sich Texte, Fotos und Videos mit interaktiven Elementen wie Infografiken, 360-Grad-Videos, Hotspots und variablen Storylines zu komplexen Erzählungen arrangieren. Die Low-Budget-Produktion „Einfach nur Jakob“ war im Vorjahr ihr Abschlussprojekt.
Zu mehr Vertrauen in die Wissenscha könne sie als Journalistin nur durch größtmögliche Transparenz beitragen, betont Fleck. „Zu behaupten, Journalismus sei objektiv, ist eine Lüge. Aber wer seine Kriterien offenlegt und faktenbasiert arbeitet, handelt glaubwürdig.“
Schwerpunkt ihrer Arbeit sei es, wissenscha liche Papers im Original zu lesen, zu verstehen, auf Richtigkeit und Neuigkeitswert zu überprüfen und alle daraus resultierenden Informationen für Laien verständlich aufzubereiten. „Es ist aber auch entscheidend, mehr Medienkompetenz und ein Verständnis davon zu vermitteln, wie professionelle Kommunikation funktioniert. Die Gesellscha kann auf das Unterscheiden von gesicherten und ungesicherten Erkenntnissen geschult werden.“ „Die Herausforderung bei Forschungsthemen besteht darin, komplexe Zusammenhänge in ein lesenswertes Narrativ zu packen und die Leser*innen bei ihrem individuellen Wissensstand abzuholen, ohne in einen Dozentenmodus zu verfallen oder zu stark zu vereinfachen“, sagt David Rennert. In diesem Sinne halte er ein o Einstein zugeschriebenes Zitat nicht nur für die Theoriebildung in der Physik für die passende Devise, sondern auch für die Wissenscha sberichterstattung: „So einfach wie möglich, aber nicht einfacher.“ Darüber hinaus habe Journalismus grundsätzlich die Aufgabe, interessante und relevante Geschichten zu erzählen.
Rennert hat nach dem Studium der Politkwissenscha en und Geschichte seine beiden Leidenscha en vereint: die Wissenscha und das Schreiben. Seit zehn Jahren ist er Wissenscha sredakteur bei der Tageszeitung Der Standard und hat zwei wissenscha shistorische Bücher verfasst. Eines davon, in dem er zusammen mit Kollegin Tanja Traxler das Leben der Physikerin und Kernspaltungspionierin Lise Meitner nachzeichnete, wurde zum Wissenscha sbuch des Jahres 2019 gekürt.
Den ÖFG-Preis erhielt er für den Artikel „Die Verwandlung der Welt“.
Preis für den Artikel „Die Verwandlung der Welt“
Er ist im Vorjahr in einer Ausgabe des Standard-Wissenscha smagazins Forschung erschienen, die sich dem Thema Wasser widmete. „Die Suche nach Antworten auf fundamentale Fragen ist eine zentrale Antriebsfeder meiner Arbeit“, erklärt Rennert. „Als wir das Thema in der Redaktion diskutierten, war mir schnell klar, dass hier die große Frage, die über allem anderen steht, lautet: Wie kam Wasser überhaupt auf die Erde?“ Bei der Recherche habe ihn vor allem beeindruckt, wie eine so einfache Frage so vielschichtige Aspekte hervorbringen könne. „Und wie viel dazu noch im Dunkeln liegt.“
Mit spürbarer Faszination hat er sich aufgemacht, den Theorien der Wissenscha ler*innen nachzuspüren, dabei mit einem Expert*innen für die Evolution von Planetenatmosphären und einer Astrobiologin gesprochen, aktuell publizierte Forschungsergebnisse studiert und die Leser*innen in unvorstellbar lange vergangene Zeiten mitgenommen, als Planetenkollissionen, Asteroideneinschläge und eine langsam abkühlende brodelnde Vulkanwelt das Geschehen bestimmten. Dass die ÖFG die gestiegene Bedeutung von Wissenscha sjournalismus in der Corona-Pandemie zum Anlass für einen neuen Preis genommen habe, freut ihn sehr. Es wäre wünschenswert, dass die Forschung in Österreich einen ähnlich hohen Stellenwert hätte wie Kunst und Kultur.