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Wie glaubwürdig ist Wissenschaft? Seite
Vertrauen ist entscheidend
Wie Wissenscha glaubwürdig an die Bevölkerung vermittelt wird, erforscht Friederike Hendriks von der TU Braunschweig
Das ist ja das Problematische an unserem Verhältnis zur Wissenscha : Wir sind immer Lai*innen. Sogar Expert*innen in einem Gebiet sind Lai*innen im nächsten, sodass Vertrauen eine grundlegende Funktion zwischen Wissenscha und Gesellscha hat. Von anderen sind wir also immer abhängig“, sagt Friederike Hendriks von der Technischen Universität Braunschweig. Aus der pädagogischen Psychologie mit Perspektive auf kognitive Prozesse beim Lernen ist sie in die Wissenscha skommunikation gekommen; ihre interdisziplinäre Forschungsgruppe untersucht, wie Wissenscha ler*innen kün ig besser kommunizieren können, um eine breite Bevölkerung zu erreichen.
Die Abhängigkeit von Vertrauen habe der Soziologe Niklas Luhmann auf der Systemebene beschrieben, so Hendriks: „Ohne unser Vertrauen, dass ein System mit seinen Regeln funktioniert, können wir als Gesellscha nicht weiterkommen. Das funktioniert auch auf individueller Ebene: Wenn jemand im Sinn unserer Werte agiert und das Wissen bereitstellen kann, so können wir darauf vertrauen, dass diese Person stellvertretend für uns agieren kann.“ Wir können beispielsweise nicht selbst entscheiden, welche Heizung umweltfreundlich ist, sondern müssen darauf vertrauen, dass jemand das erforscht hat und ein anderer das verlässlich so produziert.
Wir erkennen schnell, wer ehrlich ist
Kognitionspsychologische Studien zeigen, dass Erwachsene die Zuständigkeit und Vertrauenswürdigkeit von anderen Menschen rasch erkennen. Wenn es etwa um Medizin geht, überprüfen wir die Zuständigkeit der sprechenden Person mit ihrem wissenscha lichen Abschluss. Ebenso leiten wir aus ihrem Kommunikationsverhalten viel ab, erklärt Hendriks: „Wir erkennen meist schnell, ob jemand uns täuschen will oder ehrlich ist. Das Fachwort heißt epistemische Vigilanz.“ Diese Wachsamkeit, ob eine Informationsquelle sicher ist, sei nicht nur eine rationale Abwägung, denn als Lai*innen können wir ja vieles nicht mit unserem Wissen überprüfen.
In Österreich ist das Vertrauen in die Wissenscha besonders schlecht, zeigt das aktuelle Eurobarometer. Auf die Frage nach den Auswirkungen von Gentechnik hatten die Befragten hierzulande die negativste Einschätzung unter allen EU-27-Ländern.
TEXT: MICHAELA ORTIS
FRIEDERIKE HENDRIKS
Friederike Hendriks forscht aus psychologischer Perspektive zu Wissenscha skommunikation an der TU Braunschweig
Und knapp ein Drittel glaubt, dass Forschende nicht ehrlich sind. Hendriks differenziert in ihrer Analyse: „Ich sehe den DACH-Raum ähnlich. In Deutschland ist laut Wissenscha sbarometer zu Beginn der Coronakrise das Vertrauen in die Wissenscha von etwa fünfzig auf 76 Prozent extrem gestiegen. Das glaube ich nicht, sondern hier wird etwas deutlich, nämlich das Problem der Fragestellung. Am Pandemiebeginn haben die Menschen möglicherweise bei Wissenscha mehr an jene Disziplinen gedacht, die gerade in der Krise aufgeklärt, beraten und nach Lösungen gesucht haben. In anderen Zeiten assoziieren die Befragten vermutlich breiter und denken auch an technische Lösungen wie Gentechnik oder Atomkra , bei denen sie aufgrund der Risiken eher skeptisch sind oder Ängste haben.“ Ebenso werde bewertet, ob der Weg, wie Wissenscha ler*innen Probleme lösen, konform mit den eigenen Werten ist.
Allgemein gesehen ist Skeptizismus durchaus angebracht, da wir nicht blind vertrauen sollen. Elitenskepsis zeige jedoch, dass wir verschiedene Gruppen in der Bevölkerung haben und diese unterschiedlich angesprochen werden sollten. Skeptiker*innen könne man nicht durch Kommunikation erreichen, sondern hier müsse früh mit Bildung angesetzt werden. Das wird sich aber erst auf kün ige Generationen auswirken.
Kurzfristiger wirksam sei eine offene statt einer belehrenden One-WayKommunikation. Geeignet dafür seien Kommunikator*innen, die der Zielgruppe ähnlich sind, etwa YouTuber, Rapper*innen oder Imame: „So kann man wissenscha liche Themen gut an diese Gruppe vermitteln und auch über ethische Fragen reden, etwa bei der Impfpflicht. Eine Studie aus den USA hat gezeigt: Je ähnlicher uns Kommunikator*innen hinsichtlich ihrer Werte sind, desto eher vertrauen wir ihnen.“
Auch sollten Menschen ein wissenscha liches Grundverständnis haben und die Bereitscha , sich mit komplexen Inhalten auseinanderzusetzen. Viele gesellscha liche Gruppen seien am besten über Social Media zu erreichen, in denen es bereits gute Formate gibt. Gleichzeitig sei statt passiver Nutzung die Digital Literacy zu stärken, damit Menschen Fehlinformationen erkennen können.
Mut zur Unsicherheit zahlt sich aus
Für Forschende stellt sich die Frage, wie sie Vertrauenswürdigkeit vermitteln können. Dazu gehört der Mut, Unsicherheit oder Vorläufigkeit offenzulegen, statt zu hoffen, dass niemand etwas bemerkt.
So hat Friederike Hendriks bei Wissenscha sblogs untersucht, was passiert, wenn Autor*innen Fehler zugeben oder sagen, es müssten weitere Studien gemacht werden, um ihre These zu stärken: „Sie werden dann etwas weniger als Expert*innen wahrgenommen, doch ihre ehrliche Kommunikation dient ihrer Integrität und steigert das Wohlwollen der Bevölkerung.“
In der Coronakrise hätte man stärker kommunizieren sollen, warum unser Wissen über das Virus besser wird und dass eine Impfstoffentwicklung, selbst wenn sie schnell geht, verlässlichen Prozessen folgt. Man müsse zeigen, dass Wissenscha ein sozialer Prozess ist, wo Wissen ausgehandelt wird und dadurch Verlässlichkeit hergestellt wird, so Hendriks. „Nicht eine Person findet die Wahrheit, sondern viele Diskussionen untereinander zeichnen die Wissenscha aus. Das muss man stärker hervorheben.“ Dazu gehöre auch Consensus Messaging, wie es in der Klimakrise gehandhabt wird, wo viele Wissenscha ler*innen an einem Strang ziehen und sagen, der Klimawandel sei menschengemacht. Solch gemeinsame Kommunikation habe positive Effekte auf das Vertrauen der Bevölkerung.
Eine wichtige, weil stark meinungsbildende Funktion hat der Wissenscha sjournalismus, daher seien ausreichende Mittel dafür notwendig. Studien zeigen, dass das Ausspielen von Forschenden gegeneinander Skeptizismus erzeuge. Ebenso bewirkt eine False Balance Skepsis, also wenn nicht evidenzbasierte Minderheitenmeinungen unverhältnismäßig o zu Wort kommen.
Gibt es im wissenscha lichen Forschungsprozess noch unterschiedliche Blickwinkel, sollten diese Unsicherheiten offengelegt werden, betont Hendriks: „Wissenscha ler*innen fragen sich o , ob sie sich trauen sollen, Für und Wider darzustellen. Oder ob sie lieber einfache Botscha en sagen sollen. Unsere Forschung zeigt, dass Menschen positiv bewerten, wenn Expert*innen Pro- und Contra-Argumente benennen, und auch, wenn sie ethische Aspekte diskutieren. Diese Offenheit zahlt auf die Integrität der wissenscha lich tätigen Personen ein.“
Julia (31) bekam mit 18 Jahren die Diagnose indolente systemische Mastozytose, eine seltene Erkrankung, die durch Anhäufungen von Mastzellen in der Haut und in den inneren Organen charakterisiert ist. Seit 2020 wird die inzwischen aggressive Mastozytose im AKH von Peter Valent und Wolfgang Sperr mit Rydapt, einer speziellen Chemotherapie, behandelt. Unter @julyyy_stark kann man Julia bei ihrem liebsten Hobby, dem Fischen, begleiten
Populismus und Pandemie
Nicht erst mit der Pandemie sind die Gräben in der österreichischen Gesellscha aufgerissen, aber mit ihr noch ein bisschen tiefer geworden, erklärt der Politikwissenscha ler Reinhard Heinisch
Herr Heinisch, welche Voraussetzungen haben den gesellschaftlichen Bruch möglich gemacht? Für mich neu war, dass hier Gruppen zueinandergefunden haben, die sonst an unterschiedlichen Polen des politischen Spektrums stehen: urbane, ökologisch bewegte Yogis und die Fans der John-Otti-FPÖ-Hausband. Reinhard Heinisch: Dazu gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Einer geht von einer „normalen Pathologie“ aus. Sprich: jede Demokratie habe an den Rändern eben ein paar Extreme, die radikal gegen das System opponieren. Diese Gruppen stellen keine Gefahr dar, und das System würde das schon aushalten. Andere sagen, nein, die Situation ist heutzutage anders: Die politische Spaltung ist längst zum Normalzustand geworden, denn die Anzahl der Menschen, die wenig bis kein Vertrauen in das demokratische System und seine Institutionen haben, ist relativ hoch. In westlichen Demokratien geht man von immerhin zwanzig bis dreißig Prozent aus. Auch in Österreich kommt man auf einen vergleichbaren Anteil. Neu ist zudem, dass Protest bislang nach Ideologien aufgespalten war: Punks wären früher nie mit Neonazis demonstrieren gegangen. Auf Impfgegner*innen-Demos sieht man heute aber Reichskriegsflaggen neben Regenbogenfahnen, weil die Ablehnung des Staates stärker ist als die der jeweils anderen Gruppe. Auch das weist auf einen pathologischen Zustand hin, der nicht von einem singulären, sondern systemischen Problemen hervorgebracht wird. Das Ergebnis ist eine Spaltung zwischen jenen, die sich als Bürger*innen begreifen, und jenen, die die Demokratie, in der sie leben, aus unterschiedlichen Gründen als nicht oder wenig legitim erachten. Das betrifft aber nicht nur Österreich, auch Länder, die als Vorzeigedemokratien gelten, sind davon betroffen. Spezifisch österreichisch dagegen erscheinen mir beim populistischen CoronaDiskurs die weit verbreitete Esoterik und damit verbunden die große Wissenscha sskepsis. Gerade beim Thema Impfen ist das natürlich von Bedeutung. Die viel kritisierten Pharmafirmen stehen in der Debatte auch stellvertretend für Wissenscha . Auch die medizinischen Expert*innen, die in den Medien Empfehlungen abgeben, werden
INTERVIEW: WERNER STURMBERGER
„Die Ablehnung des Staates ist stärker als die einer jeweils anderen Gruppe. Das weist auf einen patholo- gischen Zustand hin“
REINHARD HEINISCH als Eliten wahrgenommen, die einfachen Bürger*innen Vorschri en machen. Gegenüber der „Schulmedizin“ und den medizinischen Expert*innen steht als mythologisierte Form der Natur „das Natürliche“. Viele Leute lehnen den rational-wissenscha lichen Zugang ab, sehen darin negative Auswirkungen der Moderne und bevorzugen radikal andere Zugänge – Spirituelles, Globuli, „nicht-chemische“ pflanzliche Wirkstoffe. So, als ob Pflanzen ohne Chemie wirken. Nun wird diese persönliche Einstellung politisiert, also mit politischer Bedeutung aufgeladen, und hat politische Konsequenzen.
Ist das ein Spezifikum des deutschsprachigen Raumes – quasi das Erbe der Lebensreformbewegung? Manche Argumente gegen die Impfung stammen ja schon aus der Zeit der Pockenimpfung und haben sich fast unverändert gehalten. Heinisch: Ja, es gibt Studien aus der Schweiz, die zeigen, dass dieser Naturglaube in den einzelnen Sprachfamilien unterschiedlich stark ausgeprägt ist – im Deutschen viel stärker als im Italienischen und Französischen. Das hat auch mit einer stecken gebliebenen Au lärung zu tun, die sich als gallischer Rationalismus ihren Weg bahnt und sich bis zum Naturmystizismus der deutschen Romantik zurückverfolgen lässt. Da finden wir eine starke Ablehnung des (wirtscha lichen) Liberalismus und Rationalismus, die beide als unnatürlich wahrgenommen werden. Das wirkt natürlich nach und trifft mit einem sehr Mainstream-kritischen Zeitgeist, in dem die eigene Meinung sehr viel gilt, zusammen. Gleichzeitig liefern die Algorithmen des Internets schnell jene Informationen, die mich in meiner Meinung bestärken – unabhängig vom tatsächlichen Wahrheitsgehalt.
Zur Zeit der Pockenimpfung waren die Proteste gegen diese sehr stark antisemitisch aufgeladen. Warum passiert das jetzt auch wieder? Heinisch: Jede Ideologie, auch der Populismus, versucht Antworten auf drei Fragen zu geben: Was ist los? Wer ist schuld? Was sollen wir tun? Das heißt, Ideologien sind Welterklärungen, liefern einfache Antworten und
FOTO: PRIVAT FOTO: KARIN WASNER

Franz (76) bekam 2015 seine erste Hü endoprothetik. Das künstliche Hü gelenk wurde dem inzwischen pensionierten Gymnasiallehrer von einem ehemaligen Schüler eingesetzt. 2018 folgte die zweite Hü prothese am rechten Bein. Seitdem kann er wieder in seinem Garten arbeiten und Rad fahren
Fortsetzung von Seite 10
somit auch Schuldige. Für Donald Trump waren das China, die WHO und die offenen Grenzen. Für QAnon waren es bluttrinkende Pädophile. Hierzulande waren es Bill Gates oder eben auch „die Juden“. Weil es sehr einfach ist, bestehende Vorurteile zu aktualisieren, also auf als Sündenböcke etablierte Gruppen zurückzugreifen, weil man von denen eben schon „weiß“, dass sie böse sind.
War Österreich nicht schon vor der Pandemie ein gespaltenes Land? Das Zwei-Parteien-System hat quasi Parallelgesellschaften ausgebildet – vom Sport- bis zum Automobilclub – und auch die letzte Präsidentschaftswahl hat nicht unbedingt ein Bild der Einigkeit gezeigt. Heinisch: In Österreich und in vielen anderen europäischen Ländern hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg eine klassische sozioökonomische Links-rechts-Achse: Links wollte man mehr staatliche Intervention in Gesellscha und Wirtscha , rechts dagegen mehr privat. Dieser Konflikt hat aber massiv an Bedeutung verloren, die soziokulturelle Achse, die vertikal zur Verteilungsachse verläu , dagegen stark an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es nicht primär um materielle Dinge, sondern um Selbstverwirklichung und Individualität auf der einen und Tradition und Identität auf der anderen Seite. In dieser sogenannten „stillen Revolution“ haben diese Positionen seit den 1970er-Jahren in allen westlichen Gesellscha en an Bedeutung gewonnen und in liberalen und grünen, aber auch rechtspopulistischen Parteien ihren Ausdruck gefunden. Die etablierten Parteien sind noch überwiegend entlang der alten Achse orientiert. Aber an diesen zerrt auch der politische Wettbewerb entlang der postmateriellen Achse: Stehen klassisch materielle Themen im Vordergrund, tun sie sich leichter. Der politische Wettbewerb spielt sich primär entlang der postmateriellen Achse ab – an der Wahl von Alexander Van der Bellen wurde das deutlich. Es ist daher eher Ausdruck dieser Zeitenwende denn einer tiefen Spaltung der Gesellscha .
Wie schätzen Sie die Bedeutung der beiden Achsen für die Corona-Pandemie ein? Heinisch: In unseren Forschungen konnten wir zeigen, dass vor allem die postmaterielle Achse besonders relevant ist. Dabei begreifen wir Populismus als ideologisches Konstrukt, das von einem Gegensatz zwischen einem homogenen und guten Volk ausgeht, dem eine korrupte Elite gegenübersteht, die dem Volk ihre Interessen aufzwingen will. Menschen mit populistischen Orientierungen – also klassischer-
Reinhard Heinisch, Professor für österreichische Politik in vergleichender europäischer Perspektive an der Universität Salzburg, Leiter der ÖFG-Arbeitsgemeinscha „Zukun der Demokratie“
weise Nicht- und FPÖ-Wähler*innen – nehmen Eliten darum als Feindbild wahr. Auch Wissenscha ler*innen, die im Fernsehen mit einer „volksfremden“ Agenda au reten und mir sagen, wie ich zu leben haben – Maske tragen, impfen gehen, Social Distancing –, werden als Teil dieser wahrgenommen. Dasselbe passiert auch bei der Klimadebatte: Du musst mit dem Zug, nicht mit dem Auto fahren, vegan leben und kein Fleisch essen. Diese Menschen fühlen sich darum durch Expert*innen oder Eliten in ihrer Identität und der dazugehörigen Lebensweise angegriffen: in ihren Gewohnheiten, ihrer Ernährung oder auch ihrem Glauben an das eigene Immunsystem. Hier finden wir eine deutlich größere Dynamik als bei klassischen Verteilungskämpfen. Das liegt aber auch daran, dass diese in Österreich institutionalisiert über Gewerkscha en und Interessenverbände der Wirtscha ausgetragen werden. Für diese neuen Konfliktbereiche gibt es aber keine etablierten Konfliktlösungsmechanismen, und darum schlagen sie auch medial voll durch.
Öffentlich auftretende Wissenschaftler*innen sahen sich massiven Anfeindungen ausgesetzt, wurden aber auch von den Entscheidungsträger*innen nicht immer für voll genommen. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen? Heinisch: Die Wissenscha hat sicherlich eine Aufwertung erfahren, weil sie essenziell für die Bewältigung der Pandemie ist. Man hat aber auch gemerkt, dass viele Politiker*innen nicht verstehen, wie Wissenscha funktioniert. Anders als etwa im angloamerikanischen Raum rekrutieren sich Menschen in Spitzenpositionen hierzulande selten aus der Wissenscha , sondern aus den Bereichen Wirtscha und Jus. Hinzu kommt, dass jede Wissenscha , jede Disziplin ein Problem eher aus einem eigenen Blickwinkel betrachtet und darum auch zu scheinbar unterschiedlichen Antworten kommt. Die Wissenscha widerspricht sich nicht, sondern gibt unterschiedliche Antworten auf unterschiedliche Fragestellungen: Die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt für eine Imp ampagne werden Epidemiologie, Politik- und Kommunikationswissenscha jeweils anders beantworten. Das ist etwas, dass man in der Politik bis zuletzt nicht verstanden hat. Aus epidemiologischer Sicht ist eine Impfung im Hochsommer sicher sinnvoll, der richtige Zeitpunkt für eine Imp ampagne ist es wohl kaum. Ich kann politisch nur etwas erreichen, wenn sich ein Gelegenheitsfenster öffnet, wenn die Dramatik hoch ist. Das sind zwei unterschiedliche Antworten, die aber beide richtig sind. Die Politik muss darum entscheiden, wie man vorgeht. Das kann man nicht an die einzelnen Disziplinen abtreten. In anderen Ländern gibt es so etwas wie Public Health, um Sozialwissenscha und Medizin zusammenzudenken. Das ist in Österreich aber nicht genug ausgebildet. Es fehlen auch entsprechende Daten, um schnell sagen zu können, welche Maßnahmen zu welchen Ergebnissen führen. Diese Schwierigkeit hat man der Wissenscha überlassen und die Disziplinen gegeneinander ausgespielt. Wissenscha ler*innen, die ihre Freizeit geopfert haben, hat man das mit teilweise patzigen Kommentaren gedankt. Das ist nicht die feine englische Art und sicherlich auch Ausdruck der weit verbreiteten Wissenscha sskepsis.
Sie haben selbst eine Studie zu Populismus und der individuellen Betroffenheit durch die Pandemie gemacht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen? Heinisch: Wirklich überraschend war, dass politische Einstellungen sich darauf auswirken, ob ich mich krank fühle. Man würde ja meinen, das sei ein physiologischer Vorgang, der nichts damit zu tun hat, wo ich mich politisch verorte. Menschen mit populistischen Einstellungen fühlen sich aber um fast zehn Prozent stärker betroffen. Diesen Effekt fand man unabhängig davon auch bei Nicht- und FPÖ-Wähler*innen. Man darf nicht vergessen, das war eine Datenerhebung im Frühherbst 2020 – zu einer Zeit, in der wir recht gut durch die erste Welle gekommen waren und verhältnismäßig wenige Menschen krank waren. Trotz dieser idealen Voraussetzungen war diese ideologische Überfrachtung der Coronadebatte schon weit fortgeschritten. Mehr als ein Drittel hatte bereits damals das Vertrauen in das politische System verloren und sich zurückgelassen, kränker und ökonomisch stärker betroffen gefühlt. Gesamt etwa drei Viertel aller Befragten hatten angegeben, sich gesundheitlich betroffen gefühlt zu haben.
Wie kann man das Vertrauen wiederherstellen und diese Menschen zurückgewinnen? Heinisch: Das zweite zentrale Ergebnis war die große Bedeutung von Emotionen: Eine Pandemie ist ein kollektives Erlebnis. Menschen sind kollektiv verängstigt und offen für populistische Inhalte. Um diesen Ängsten entgegenzuwirken, brauche ich Vertrauen. Die Aufgabe der Regierung wäre es zu schauen, wer sind die Gruppen, die mir nicht vertrauen, und mit wem kann ich diese noch erreichen. Das können etwa die Hausärzt*innen sein oder bei Muslim*innen die Imame. Wenn die Regierung aber stattdessen Muslim*innen mit einer sogenannten Islam-Landkarte so vorführt, dass sie sich kollektiv ins radikale Eck gestellt fühlen, darf man sich nicht wundern, wenn diese den Aussagen der Regierung kein Vertrauen entgegenbringen. Wichtig wäre es, Institutionen und Personen anzusprechen, die bei schwer zu erreichenden Gruppen Vertrauen genießen, und diese in die Lage zu versetzen, mit ihren Klientelgruppen zu sprechen. Das ist vor allem in der entscheidenden Frühphase kaum passiert. Stattdessen hat man sich in choreografierten Pressekonferenzen hingestellt und gedacht, das wird schon reichen. Es braucht eine Kommunikation auf der Höhe der Zeit. Das heißt, angepasst an die jeweiligen Zielgruppen und auf Augenhöhe. Vertrauen zu schaffen dort, wo keines mehr ist, ist ein kleinteiliger, komplizierter und langfristiger Prozess. Mit den 200 Millionen Euro Werbeetat hätte man so bestimmt mehr erreichen können.
Eine Trendwende schaffen
Der ehemalige Wissenscha sminister und nunmehrige Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenscha en über das Gewinnen von Vertrauen in die Wissenscha
Herr Faßmann, in Ihrem Kommentar im letzten Falter Heureka schreiben Sie: „Hinter der Forschung stehen keine großen Verbände, keine streikbereiten Berufsgruppen und keine mächtigen Sozialpartner“, was es für Wissenschaft und Forschung schwieriger mache, öffentlich wahrgenommen zu werden und an Förderungen zu kommen. Müsste sie dann nicht wenigstes auf Teufel komm raus PR und Kommunikationsarbeit machen? Was geschieht da konkret? Heinz Faßmann: Ja, hinter der Wissenscha stehen keine großen und geeinten Interessensvertreter. Das schwächt unsere Position im Verteilungskampf um knappe Ressourcen, was ich so nicht akzeptieren möchte. Denn Forschung und Entwicklung sind fundamental, um unsere Zukun zum Wohle aller zu gestalten. Und ja, genau deshalb müssen wir Kommunikationsarbeit auf Teufel komm raus leisten, weil wir die Akzeptanz und Unterstützung durch die Bevölkerung brauchen. Die Österreichische Akademie der Wissenscha en als Wissenscha sinstitution und Forschungseinrichtung wird ihre Öffentlichkeitsarbeit daher weiter ausbauen. Wir haben erst vor wenigen Tagen den neuen Campus Akademie eröffnet und damit einen Ort der Begegnung mit der Bevölkerung geschaffen – und zwar nicht am Rand der Stadt, sondern mitten im Herzen Wiens. Bei der „Langen Nacht der Forschung“ konnten junge und erwachsene Menschen hier Wissenscha an rund vierzig Mitmachstationen unmittelbar erleben. Das ist schon etwas ganz Besonderes inmitten einer Großstadt. Aber auch im virtuellen Raum öffnen wir die Türen zur Welt der Forschung. Auf unserer Website und unseren Social-Media-Kanälen bieten wir zum einen verlässliche Wissenscha sinfos an und sind zum anderen Anlaufstelle für Fragen. Das wird auch genutzt: Mehr als eine Million Mal haben Menschen im letzten Jahr unsere Website besucht, unsere Videos auf YouTube wurden insgesamt rund 900.000 Mal angesehen, wir gestalten Podcasts, und neben Twitter und Facebook sind wir seit Kurzem auch auf Instagram zu finden.
Haben Sie als ehemaliger Bildungs- und Wissenschaftsminister eine oder mehrere Maßnahmen in Erinnerung, von denen Sie sagen würden, sie haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft erhöht?
INTERVIEW: CHRISTIAN ZILLNER
HEINZ FASSMANN
Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenscha en
Faßmann: Vertrauen ist eine wichtige Währung in der Wissenscha . Man muss darauf vertrauen können, dass sauber und korrekt gearbeitet wird und dass wissenscha liche Normen auch eingehalten werden. Ich komme aus der Wissenscha und ich weiß, dass dies nahezu immer der Fall ist. Die Bevölkerung kann zu Recht der Wissenscha vertrauen, denn diese hat funktionierende Mechanismen der Selbstkontrolle und der Qualitätssicherung. Dieses Vertrauen war für mich auch ausschlaggebend, um für Rekordbudgets für die Wissenscha zu kämpfen: für die Universitäten, für die Fachhochschulen, für die Forschungsförderung und für die außeruniversitäre Forschung. Als Gegenleistung habe ich aber auch verlangt, dass Forschung erklärt wird und dass sich Forschung, auch im Sinne der „Dritten Mission“, der Themen der Zeit annehmen muss. Forschung also nicht als Selbstzweck der Forschenden, sondern als Dienst an der Gesellscha .
Sie sind nun neuer Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Was kann diese Institution leisten, um das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft zu erhöhen? Faßmann: Wissenscha ist wesentlich, damit wir Herausforderungen wie den Klimawandel, den demografischen Wandel, soziale Ungleichheiten, die Digitalisierung aller Lebensbereiche und vieles mehr bewältigen können. Diese Lösungskompetenz der Wissenscha wollen wir durch unsere Kommunikationsarbeit noch mehr betonen. Um das Vertrauen in die Ergebnisse der Wissenscha zu stärken, wollen wir aber auch vermitteln, wie wissenscha liches Wissen zustande kommt, wie Wissenscha funktioniert und welche besondere Qualität wissenscha liches Wissen besitzt. Dabei werden wir bewusst thematisieren, dass Wissen nie „fertig“ oder „abgeschlossen“ ist, dass jedes Wissen auch unser Nichtwissen vergrößert und wie wir mit Unsicherheiten umgehen. Ein wichtiger Baustein bei dieser „Vermittlungsarbeit“ ist der Wissenscha sjournalismus. Die Akademie hat Stipendien für Wissenscha sjournalistinnen und -journalisten ins Leben gerufen und wir werden diese heuer neu ausschreiben. Wir möchten auch junge Menschen möglichst früh mit Wissenscha in Berührung bringen. Die ÖAW hat das Programm „Akademie im Klassenzimmer“ gestartet, wir werden unsere Zusammenarbeit mit der KinderuniWien intensivieren, über die neu geschaffene Studiensti ung werden besonders interessierte junge Menschen an die Wissenscha herangeführt, und es wird wieder neue Wissenscha scomics für Kinder geben, die spielerisch komplexe Fragen vermitteln. Wir wollen außerdem vermehrt versuchen, bislang eher „wissenscha sferne“ Gruppen in der Bevölkerung zu erreichen. Das ist uns besonders wichtig, denn sonst erreichen wir nur die von Wissenscha bereits Überzeugten, aber nicht die Skeptiker.
Was können aus Ihrer Sicht Wissenschaftstreibende selbst dazu beitragen, dass das Vertrauen in ihre Tätigkeit und ihre Leistungen steigt? Faßmann: Für eine öffentlich finanzierte Forschung muss es „part of the job“ sein, die eigene wissenscha liche Arbeit zu erklären. Die Wissenscha darf nicht mehr im berühmt-berüchtigten Elfenbeinturm verharren. Wissenscha lich Tätige stehen heute in Klassenzimmern, sie vermitteln ihre Forschung in Videos auf YouTube oder halten Vorträge für die Öffentlichkeit. Das ist gut so. Wir müssen den Wissenscha lerinnen und Wissenscha lern aber auch dabei helfen, ihrer Vermittlungsarbeit bestmöglich nachgehen zu können. Gerade in der Pandemie – das hat eine Studie der Universität Wien kürzlich gezeigt – hatten Forschende, wie es darin heißt, „mitunter frustrierende“ Erlebnisse mit Politik, Medien und Öffentlichkeit. Wir werden daher an der ÖAW verstärkt Medientrainings für unsere Forschenden anbieten.
Portugal, einst ebenso wissenschaftsskeptisch wie Österreich, hat sich davon deutlich entfernt. Wird das uns auch einmal gelingen, und was wird dazu am wichtigsten sein? Faßmann: Ich bin überzeugt, dass wir eine Trendwende schaffen können. Was dafür auch wichtig sein wird, sind neue Ideen für die Vermittlung von Wissenscha . Wir haben deswegen eine Preisfrage ausgeschrieben: „Wie gehen wir mit Wissenscha sskepsis um?“ Menschen aus der ganzen Welt können mitmachen und Essays beliebiger Länge einreichen. Einsendeschluss ist der 15. September. Ich bin schon sehr gespannt auf die Antworten.