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Was macht Portugal besser als wir? Seite

Vertraut Portugal der Wissenscha mehr?

Das Land mit der höchsten Impfquote in der EU schnitt auch bei der jüngsten Eurobarometerstudie über Wissenscha erstaunlich gut ab

Während Portugal in der 2005 durchgeführten Eurobarometerstudie – der Umfrage über Wissen und Ansichten der europäischen Bürger*innen zu Wissenscha und Technologie – ähnlich wie Österreich einen der hinteren Plätze belegte, rangierte das Land in der Studie von 2021 überraschenderweise auf den vordersten Plätzen. Unter anderem gaben 2005 lediglich 14 Prozent der Befragten an, sich für wissenscha liche Themen zu interessieren, 2021 sind es bereits 62 Prozent. Damit liegt Portugal fast dreißig Prozent über dem EUDurchschnitt (33 Prozent). Fast die Häl e der Befragten (49 Prozent) sehe den Einfluss von Wissenscha und Technologie auf die Gesellscha als „sehr positiv“. Auch die „Scientific Literacy“, also die naturwissenscha liche Grundbildung, die in der Studie mit konkreten Wissenscha sfragen beurteilt wurde, erhöhte sich von zwanzig Prozent im Jahr 2005 auf 59 Prozent. Grund genug zu fragen: Wie kam es zu diesem hohen Anstieg? Und was macht Portugal hinsichtlich Wissenscha skommunikation anders als der Rest der EU?

Die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen

Während viele ihrer Kolleg*innen über die jüngsten Ergebnisse jubeln, sieht Ana Delicado, Soziologin und Wissenscha skommunikationsexpertin der Universität Lissabon, die jüngste Eurobarometerstudie zur Wissenscha kritisch: „Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wo die Umfrage telefonisch durchgeführt wurde, erfolgte sie in Portugal online. Die Registrierung für Onlineumfragen in Portugal ist immer freiwillig, alle Teilnehmer*innen werden von den Umfrageinstituten für ihre Teilnahme bezahlt. Das heißt, die Zuverlässigkeit der Ergebnisse von Onlineumfragen ist sehr gering“, erklärt die Wissenscha lerin. 25 Prozent der portugiesischen Bevölkerung seien außerdem keine Internetnutzer*innen und würden von der Umfrage nicht abgedeckt. „Die Mehrheit der Befragten verfügt zudem über einen höheren Bildungsabschluss. Das macht das Sample nicht repräsentativ für die portugiesische Gesamtbevölkerung“, sagt Delicado. Auch das Topergebnis bei den Wissensfragen sieht sie mit Vorbehalt: „Was hält Menschen davon ab, die Antworten der Fragen im Internet zu recherchieren, während sie die Umfrage machen?“

Verlässlichere Umfragedaten über die Einstellung der Portugies*innen zur

TEXT: LISA SCHÖTTEL

Ana Delicado, Wissenscha skommunikationsexpertin an der Universität Lissabon

Der Großteil der Bevölkerung informierte sich zu Corona über das Fernsehen. Informationen über soziale Netzwerke hielten nur vier Prozent für sehr nützlich

Marta Entradas, Soziologin an der Universität Lissabon und Research Fellow an der London School of Economics

Wissenscha bietet, laut Delicado, die Studie zu „Science Perception“ des WellcomeInstitutes von 2018. Im Jahr 2020 wurde die Erhebung im Hinblick auf Corona – und wie Corona das Vertrauen in die Wissenscha verändert hat – wiederholt. „Ich verwende die Studie auch für meine eigene Forschung – die Daten sind zuverlässig“, bestätigt Delicado.

Die Umfrage beinhaltet unter anderem Fragen nach dem Vertrauen in Wissenscha ler*innen. Hier liegt Portugal vorne: 34 Prozent schenken den Wissenscha ler*innen „sehr großes“ und 54 Prozent „mittleres“ Vertrauen. Allerdings, so die Soziologin, gehe dieses hohe Vertrauen in die Wissenscha mit geringem Wissen einher. Delicado: „Das ist paradox, aber Menschen, die über wenig Kenntnisse zu wissenscha lichen Themen verfügen, können diese auch nicht infrage stellen.“

Das hohe Vertrauen in die Wissenscha sei daher nicht unbedingt ein guter Indikator, denn es könne bedeuten, dass Menschen nicht genug über Wissenscha wüssten. Andererseits habe dieses hohe Vertrauen in die Wissenscha ler*innen auch positive Auswirkungen, wie an der hohen Impfquote in Portugal deutlich wird.

Corona veränderte das Verständnis von Wissenscha

„Als Corona in unsere Leben trat, spielte Wissenscha plötzlich eine größere Rolle: Die Menschen beschä igten sich mehr mit wissenscha lichen Prozessen und begannen über Wissenscha zu sprechen“, erklärt Marta Entradas, Soziologin an der Universität Lissabon und Research Fellow an der London School of Economics. In einer öffentlichen Studie untersuchte sie, inwieweit die öffentliche Kommunikation während der Coronakrise das Vertrauen der Portugies*innen in die Wissenscha beeinflusste. Die Ergebnisse waren überraschend: 87 Prozent stimmten zu, dass die Wissenscha die Gesundheitskrise lösen würde, 93 Prozent gaben außerdem an, den Wissenscha ler*innen und Forscher*innen in dieser Krise zu vertrauen.

Der Großteil der Bevölkerung informierte sich über das Fernsehen. Informationen über soziale Netzwerke hielten nur vier Prozent für sehr nützlich. Damit stießen auch Impfgegner*innen auf wenig Gehör. „In Portugal gab es nie eine starke Antiwissenscha sbewegung und wenige politische Krä e, die öffentlich den Klimawandel oder Corona leugnen“, so Ana Delicado. Den Grund für die hohe Impfquote sieht sie auch kulturell bedingt: „Wenn die Regierung in Portugal sagt, geh dich impfen, dann machen die Menschen das auch.“

Für Marta Entrada war es interessant zu beobachten, wie stark die öffentliche Meinung über Corona mit dem Ton der Informationen der öffentlichen Medien korrelierte. „Es gab während der Coronakrise wenig öffentliche Debatten: Keine Diskussionen darüber, ob Menschen geimp werden sollten oder nicht, oder welche Vorteile Impfungen bringen. Im Prinzip haben wir viele Dinge, die wir in den letzten Jahrzehnten über Wissenscha skommunikation gelernt haben, während der Pandemie wieder vergessen.“

Portugals Initiativen in Sachen Wissenscha skommunikation

An auf nationaler Ebene geförderten Projekten zur innovativen Wissenscha skommunikation mangelt es in Portugal nicht. Vor 25 Jahren begann unter anderem das Programm Ciência Viva („lebendige Wissenscha “) von Mariano Gago, einem Teilchenphysiker und dem ersten Wissenscha sminister Portugals. Das Ziel ist die Vernetzung zwischen den Universitäten, der Gesellscha und den Bildungseinrichtungen. „Viele Wissenscha ler*innen der Universitäten unterstützen diese Institution,“ sagt Delicado. „Sie nehmen an Events teil, organisieren Wissenscha smessen und andere Initiativen.“

Zudem müssen Forschungsinstitute in Portugal, wenn sie aus staatlicher Hand gefördert werden, einen Teil der Förderung in Wissenscha skommunikation investieren. „Das gibt es in vielen Ländern nicht. Egal ob Technik, Geisteswissenscha en oder Medizin, in allen wissenscha lichen Bereichen werden Veranstaltungen zur Wissenscha svermittlung organisiert.“ Mit Corona habe die Wissenscha skommunikation noch einen weiteren Schub erhalten. „Generell hatten Universitäten mehr Zeit, um Wissenscha skommunikation zu betreiben“, erklärt Marta Entrada. „Die Institutionen, vor allem jene im medizinischen Bereich, gingen stärker in die Öffentlichkeit und publizierten mehr Material, um ihre Community zu informieren.“ Inwiefern diese Initiativen das Wissen und das Vertrauen in die Wissenscha der Bevölkerung beeinflusst haben, kann keine der beiden Soziologinnen im Moment sagen, und Delicado meint: „Dafür brauchen wir mehr Studien über Wissenscha skultur mit zuverlässigen Befragungsmethoden. Seit 1990 wurde hier keine Studie dieser Art durchgeführt.“

Karl (69) installierte seine erste Photovoltaikanlage vor etwa 30 Jahren auf dem Dach seines Ferienhauses in der Steiermark, das nicht ans Stromnetz angeschlossen ist. Zur Zeit plant er eine moderne Anlage auf seinem Wohnhaus, um umweltfreundlichen Solarstrom das ganze Jahr über zu nutzen

Neunmalklug

Vorschläge, Thesen und Beispiele, die zu mehr Vertrauen der Menschen in die Wissenscha en führen sollen

„Es braucht eine Kommunikation auf der Höhe der Zeit. Das heißt, angepasst an die jeweiligen Zielgruppen und auf Augenhöhe. Vertrauen zu schaffen dort, wo keines mehr ist, ist ein kleinteiliger, komplizierter und langfristiger Prozess“

REINHARD HEINISCH, POLITOLOGE

„Wissenschaft bildet die Grundlage für die Bewältigung künftiger gesellschaftlicher Herausforderungen. Vertrauen in die Wissenschaft ist daher eine Investition in die Zukunft“

VIKTORIA WEBER, BIOCHEMIKERIN

„In Zusammenhängen wie der Corona-Pandemie ist es besonders wichtig, dass Wissenschaftler*innen möglichst transparent machen, was sie mit welchem Ziel erforschen, welche Fragen sie derzeit oder aber demnächst beantworten können, und auch, was sie nicht wissen“

RAINER BROMME, PÄDAGOGISCHER PSYCHOLOGE

„Wissenschaftler*innen haben eine große Verantwortung für die Gesellschaft, die sie aktiv im Sinne eines Austausches wahrnehmen sollen. Um dies zu ermöglichen, muss bei der Bildung angesetzt werden und bei der Politik, die die Wissenschaft ernst nehmen und auch deren Mechanismen berücksichtigen muss“

MARTIN GERZABEK, UMWELTTOXIKOLOGE

„Was meiner Meinung nach in Österreich fehlt, ist wesentlich mehr und breiterer Wissenschaftsjournalismus“

EVA SCHERNHAMMER, EPIDEMIOLOGIN

„Third Mission sind die Aktivitäten, Resultate und daraus entstehende Folgen, die von Hochschulen unmittelbar in die Gesellschaft und Wirtschaft hineinwirken – im Idealfall sogar zu gesellschaftlichen Weiterentwicklungen führen, sowie Strömungen aus der Wirtschaft und Gesellschaft, die ihrerseits in die Hochschulen hineinwirken“

ISABEL ROESSLER, THIRD-MISSION-MANAGERIN

„Für eine öffentlich finanzierte Forschung muss es ,part of the job‘ sein, die eigene wissenschaftliche Arbeit zu erklären. Die Wissenschaft darf nicht mehr im berühmtberüchtigten Elfenbeinturm verharren“

HEINZ FASSMANN, PRÄSIDENT DER ÖAW

„Eine Studie aus den USA hat gezeigt: Je ähnlicher uns Kommunikator*innen hinsichtlich ihrer Werte sind, desto eher vertrauen wir ihnen“

FRIEDERIKE HENDRIKS, PSYCHOLOGIN

„Das gibt es in vielen Ländern nicht. In Portugal aber werden, egal ob Technik, Geisteswissenschaften oder Medizin, in allen wissenschaftlichen Bereichen Veranstaltungen zur Wissenschaftsvermittlung organisiert“

ANA DELICADO, WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATIONSEXPERTIN

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