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F A L T E R
F e m i n i s m u s A r c h i te k t u r
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diumsdiskussion gefragt.Das Modellprojekt sollte einerseits die Haus- und Familienarbeit erleichtern, etwa durch Barrierefreiheit, Kinderwagenräume oder wohnungsnahe Spielplätze. Als weitere Säule wurde die Förderung nachbarschaftlicher Kontakte durch Gemeinschaftsräume definiert. Das zweite zentrale Ziel war, Planerinnen am Wiener Städtebau zu beteiligen.
Migration ist ein Thema, das Tillner besonders berührt. „Frauen aus anderen Kulturen haben einen anderen Begriff von Privatheit. Ein Park an sich ist für sie zu öffentlich, sie brauchen geschütztere Aufenthaltsbereiche“, schildert die Architektin ihre Erfahrungen. „Wenn man das nicht macht, bleiben wieder zu viele in ihren Wohnungen“. Gemeinsam mit ihrem Partner Alfred Willinger hat Tillner in den vergangenen 20 Jahren Großprojekte wie die Skyline Spittelau oder das Europahaus realisiert, letzteres der erste Bau von einer Architektin an der Wiener Ringstraße. Im Gespräch hebt sie ihre Inneneinrichtung für drei Frauenhäuser hervor, eine Arbeit, die Tillner als „extrem sinnstiftend“ erlebte. „Gute Gestaltung ist kein Luxus, sondern ein menschliches Grundbedürfnis“. Ihre Farbkonzepte und Designideen seien bei den Bewohnerinnen gut angekommen. Architektur könne Gewalt gegen Frauen freilich nicht verhindern, aber Wohnprojekte ließen sich so gestalten, dass sie Voraussetzungen für gute Nachbarschaft und dadurch auch für soziale Kontrolle schaffen.
„Der damalige Planungsstadtrat Hannes Swoboda und Wohnbaustadtrat Rudolf Edlin-
ger reagierten sehr positiv, aber Swoboda äußerte Bedenken, was wohl die Architektenkammer zu einem geladenen Wettbewerb nur für Architektinnen sagen würde“, erzählt Kail. „Wir einigten uns dann darauf, denselben Prozentsatz Männer wie bisher Frauen zu beteiligen – nämlich keine!“ Nach einem Masterplan der Architektin Franziska Ullmann wurde die neue Anlage 1997 an der Donaufelder Straße realisiert. Das mit den Kolleginnen Lieselotte Peretti, Gisela Podreka und Elsa Prochazka in vier Gebäudeteilen umgesetzte Pionierprojekt umfasst 360 Wohnungen und einen Kindergarten. „Über Architektur lässt sich die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zwar schwer beeinflussen, aber ich kann für unbezahlte Haus- und Familienarbeit gute räumliche Bedingungen schaffen und damit das Thema ernst nehmen.“ Als besonders innovativ hebt Kail die flexiblen Wohngrundrisse von Elsa Prochazka hervor, die durch Trennmauern leicht transformiert werden können. Diese Veränderbarkeit ist mit den Wohnbaunormen bis heute schwer vereinbar, trägt aber den verschiedenen Lebensphasen einer Familie Rechnung. Außerdem wird in Österreich jede zweite Ehe geschieden. „Was ich wirklich spannend fand, war das Auseinanderklaffen der Rezeption von Bevölkerung und Fachwelt.“ Während die Anrainer und die Mieter sehr positiv reagiert hätten, behandelte die hiesige Fachwelt die später in „Margarete Schütte-Lihotzky-Hof “ umbenannte Wohnanlage vor allem als Sozialprojekt. So wurde etwa der als Anger geplante Hof als „peinlich konventiell“ hingestellt. „Wenn ich ein Workaholic bin, der erst spät heimkommt und am Freitag ins Zweithaus fährt, dann ist mir die Qualität der Freiflächen wurscht. Anders sieht es aus, wenn ich mit dem Rollator oder einem Kleinkind unterwegs bin.“ Ein anderer Knackpunkt war die Sicherheit be-
ziehungsweise das Sicherheitsgefühl. Neben der kurzen und übersichtlichen Wegführung verstand Franziska Ullmann Fenster als „soziale Augen“. Die Architektin ordnete Aufenthaltsräume wie Küchen und Wohnzimmer bewusst so versetzt an, dass ihr Licht am Abend den Eindruck von Belebtheit erhöht. „Richtlinien für eine sichere Stadt“ titelte die erste Publikation des Frauenbüros 1995, die eine Studie der Architektin Silja Tillner und des Büros KoseLicka veröffentlichte. Tillner kehrte in jener Zeit nach fünf Jahren aus Los Angeles zurück, wo sie ein Masterstudium in „Urban Design“ an der University of California (UCLA) absolviert hatte. „An der UCLA gab es eine starke Feminismusbewegung und später arbeitete ich für Chefinnen, die mich sehr gefördert haben“, erinnert sich die Architektin im Gespräch. Tillner wollte ursprünglich nicht mehr nach Österreich zurückkommen, aber dann
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Kein Frauenhaus, aber ein Haus für Frauen hat
lud die Stadt Wien die Expertin für öffentlichen Raum und verkehrsreiche Straßen zu einer Studie über den Wiener Gürtel ein. „Damals erschienen viele Presseartikel über die ‚Verkehrshölle Gürtel‘ und das Rotlichtmilieu“. Gleichzeitig wären schon Pläne zur Untertunnelung oder Fahrbahnverlegung vorgelegen, die Milliarden Schilling gekostet hätten. „Bei einem nächtlichen Rundgang mit einer
Kollegin sprang plötzlich ein Zuhälter aus dem Gebüsch und schlug mir die Kamera aus der Hand. Da wurde mir klar: Die Büsche müssen weg.“ Obwohl Tillner immer wieder auf die Rotlichtlokale angesprochen wurde, sah sie ebensowenig Handlungsbedarf wie die dazu befragten Anrainer. Stattdessen setzte sie lieber eine simple Idee um: Für mehr Licht ließ sie die zugemauerten Stadtbahnbögen wieder öffnen, in die nach der Gürtelsanierung Musiklokale einzogen. Und bis die EU-Fördermittel für das Großprojekt da waren, erstellte die Architektin die Sicherheitsstudie. Darin wurden sogenannte „Angsträume“ wie dunkle Gehwege, Unterführungen, schlecht beleuchtete Eingänge oder Haltestellen dokumentiert und Veränderungsvorschläge geliefert. „Wien ist ja im Vergleich zu L.A. nicht gefährlich, aber es sollte auch um das psychologische Wohlempfinden gehen.“ Nicht nur Frauen können in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn sie aus Angst abends nicht mehr rauswollen. Durch die Überdachung hat Tillner auch dem Verkehrsknotenpunkt Urban-Loritz-Platz ein benutzerfreundliches Gesicht gegeben.
„Frauen aus anderen Kulturen haben oft einen anderen Begriff von Privatheit. Ein Park an sich ist für sie zu öffentlich, sie brauchen darin geschütztere Aufenthaltsbereiche. Sonst bleiben wieder zu viele in den Wohnungen“ s i l j a t i l l n er , architektin
Sabine Pollak mit ihrem Projekt [ro*sa] in Kagran 2010 verwirklicht. Die Architektin forschte schon in den späten 80er-Jahren an der TU zum Thema Feminismus und Wohnen. „Ich bin überzeugt, dass die Architektur sehr stark daran beteiligt ist, wie wir unsere geschlechtliche Identität sehen, wie sie uns vorgeschrieben wird und wie wir mit Rollenbildern umgehen“, sagt die Vizerektorin der Kunstuniversität Linz und weist auf die Stabilität von Architektur hin. Wir leben heute noch großteils in Bauten, die 100 Jahre und älter sind. Inspiriert von Deutschland, das eine viel intensivere Geschichte der Hausbesetzungen, Kommunen und feministischen Initiativen hat, verfolgte Pollak ab 2003 eine Wohnprojekt, das die Grundsätze der Frauen-Werk-Stadt um den Aspekt der Mitbestimmung erweitern sollte. In Wien galt ihrem gemeinsam mit Roland Köb betriebenen Büro die 1996 errichtete Sargfabrik als ein Vorreiter. Pollak präsentierte ihre Vorstellungen zunächst in autonomen Frauenzentren. Dort erntete der Anspruch der Architektin, „ihre“ Idee zu verwirklichen, aber vor allem Kritik: Es wurde ein kollektiver Prozess eingefordert. Pollak nahm diese Einwände ernst und suchte über unterschiedliche Netzwerke nach Interessentinnen. „Ich habe dabei gelernt, dass es sehr viele Frauen mit den unterschiedlichsten Hintergründen gibt, die das Thema Feminismus interessiert.“ Nach kurzer Zeit kamen 120 potenzielle Mieterinnen zusammen, mit denen Pollak – auch weil es zunächst keinen kostengünstigen Baugrund gab – zwei Jahre lang Workshops abhielt. Wenig überraschend war das Thema „Männer“ dabei das am heftigsten diskutierte. Das Weitergaberecht der Wohnungen an Partner und Söhne stand ebenso am Tapet wie die Frage, auf welche Weise der Charakter dieses auf Frauensolidarität basierenden Zuhause über die Jahre erhalten bleiben könne. Die Mietverträge der 40 Wohnungen unterzeichneten schließlich vor allem Alleinerzieherinnen und Seniorinnen, aber auch Frauen mit niedrigerem Einkommen. Unabhängig von ihrer ökonomischen Situation profitieren sie – und ihre männlichen Mitbewohner – von den kollektiven Ein-
03.12.2014 9:55:34 Uhr