Bücher-Frühling 2022

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SACHBUCH

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Bin im Garten! Vier neue Bücher über Selbstversorgung, klimafitte Pflanzen, Tiere im Garten und wie man einen Garten kenntnisreich genießt chon als Kind hegte Marie DieS derich den Wunsch, ihre „eigene kleine Farm zu haben“. Ihr erstes

Taschengeld sparte sie für ein Buch über Selbstversorgung, zum Geburtstag wünschte sie sich Ziegen und auf der elterlichen Dachterrasse experimentierte sie mit Gemüsesamen. Die Neigung zum Do-it-yourself (DIY) hat Diederich zu Beruf wie Berufung weiterentwickelt, was optimal funktioniert, da sie eindeutig zur rechten Zeit am rechten Platz war: Wenige Trends haben sich zuletzt breitenwirksamer entfaltet als DIY, Selbstversorgung und (Gemüse-)Gärtnern. Seit einigen Jahren betreibt Diederich, 27, ihr äußerst erfolgreiches SelbstversorgerBlog namens „wurzelwerk“ mit bis zu 2,5 Millionen Klicks pro Monat plus einen Youtube-Kanal mit 220.000 Followern. Nun erscheint auch Marie Diederichs erstes Buch mit dem puristischen Titel „Selbstversorgung“. Das Erfolgsrezept ist in Buch, Blog und Youtube-Videos dasselbe: Passion, reiche Erfahrung, gute Ideen, flotte Sprüche, schöne grafische Gestaltung und viele Fotos einer beschwingten Marie mitsamt Gemüsen, Tieren und Einweckgläsern. Von „Autark werden“ bis zu „Wenn du mal wieder mit der Zucchinikeule über den Gartenzaun winkst“ erfährt man hier alles, was es über Gemüse-Selbstversorgung zu wissen gibt: Standortwahl, Jungpflanzenanzucht, Kompostherstellung, gute Gemüse- und Obstarten für die reiche Ernte. Dazu gibt es Basisinfos zur Haltung von Ziegen und Hühnern. Im Unterschied zu anderen Büchern über Selbstversorgung aus dem Garten, die Einsteiger sorgenvoll mahnen, sich nicht zu übernehmen und

ja klein anzufangen, drängt Marie Diederich einen beinahe, „ins Tun zu kommen“ und sich viel zuzutrauen. Am besten sofort und nicht erst, wenn man die Pension antritt. Alles keine Hexerei, wenn man erst einmal den Dreh heraus hat, lehrt Diederichs Buch gut gelaunt. Natürlich stets bio, nachhaltig und samenfest. Das versteht sich in Diederichs Generation sozusagen von selbst. Weil Klimawandelfragen im Garten nie

weiter als einen Steinwurf entfernt sind, schießen auch Bücher zum Thema wie Schwammerln aus dem Boden. Ein solider Führer mit „100 robusten Pflanzen für den langlebigen Garten“ ist „Gärtnern im Klimawandel“ des Stainzer Gärtnermeisters Norbert Griebl. Da Gärten immer öfter mit Trockenheit, Hitze und Verschiebungen der Jahreszeiten zurande kommen müssen, sind robuste Pflanzen gesucht, die wenig Wasser und Pflege brauchen. Griebls Ratgeber porträtiert genau solche Kandidaten aus den Kategorien Stauden, Gehölze sowie ein- und zweijährige Arten. Dabei geht er jeweils auch auf gute Nachbarn für die porträtierten Pflanzen ein und legt einen Schwerpunkt auf den kulinarischen und ökologischen Mehrwert der Pflanzen. Womit wir beim tierischen Leben im

Hausgarten angelangt wären. Angesichts ausgeräumter Industrieagrarlandschaften entwickeln sich just Hausgärten zu wesentlichen Rückzugsgebieten für Vögel, Reptilien, Kleinsäuger und Insekten aller Art – solange sie Vielfalt bieten, ökologisch gepflegt werden und das Animalische, das in ihnen kreucht und

fleucht, im Blick haben. Genau dieser Blick lässt sich mit dem Naturführer „Gartensafari“ des deutschen Biologen Hannes Petrischak schulen. Reich bebildert lehrt er, wann und wo man welchem Getier im Garten begegnen kann – von Ameisenlöwe bis Zauneidechse – und wie man es hineinlockt. Zum eigenen Vorteil: Je mehr die tierisch-pflanzlichen Vielfaltskreisläufe im Garten funktionieren, desto pflegeleichter wird er. Einen Jahreszeiten-Ritt anderer Art bietet Isabelle van Groeningens „Die sieben Jahreszeiten“. Sie und ihre Partnerin Gabriella Pape – beide sind Kew-Gardens-geschulte Hortikulturistinnen und Gartendesignerinnen – führen die famose private Gartenschule an der Königlichen Gartenakademie in Berlin. Pape schreibt seit langem Gartenbücher und -kolumnen. Van Groeningen, die ein Gartenblog betreibt, folgt ihr nun nach. Ihre Texte sind poetische GartenFeuilletons nach guter alter britischer Tradition, voller Tipps, die in elegante Naturbetrachtungen verpackt sind. Beispiel gefällig: Bei Angst vor Frühlingsspätfrösten, die frisch ausgetriebenen Obstbaumblüten den Garaus machen könnten, folgt man dem bäuerlichen Beispiel und besprüht selbige vorbeugend mit einem feinen Wassernebel. Er bildet eine eisige Schutzhülle um die Blütenblätter. Kann man immer wieder brauchen. Was man nicht brauchen kann, ist etwas, das hiermit den ewiggestrigen Schrebergärtnern aller Nationen mit van Groeningens Worten ins Stammbuch geschrieben sei: Der Kiesgarten, so pflegeleicht er sein mag, ist genauso „ein ökologisches Desaster“ wie der englische Rasen. J U L I A K O S P A C H

Isabelle van Groeningen: Die sieben Jahreszeiten. Neue Anregungen für den Garten rund ums Jahr. Insel, 272 S., € 26,80

Hannes Petrischak: Gartensafari. Der heimischen Natur auf der Spur. Oekom, 208 S., € 20,60

Norbert Griebl: Gärtnern im Klimawandel. 100 robuste Pflanzen für den langlebigen Garten. Haupt Verlag, 224 S., € 26,80

Marie Diederich: Selbstversorgung. Löwenzahn, 300 Seiten, € 29,90

Wenn der Professor gegen das Hochbeet wettert Gartengestaltung: Stefan Rebenich, Experte für Alte Geschichte, empfiehlt Poesie und Malerei als Vorbilder tefan Rebenich verwendet Wörter S wie „Polyhistor“ (für einen Universalgelehrten) und „ubiquitäre Weg-

werfmentalität“. Er schreibt „dernier cri“ anstatt „der letzte Schrei“ und meint damit das Lifestyleprodukt „Hochbeet aus Europaletten“, wie es überteuert an jeder Ecke angeboten werde. Aus ökologischer Sicht katastrophal seien die Massenprodukte, wie es sie inzwischen beim Discounter gibt. Man muss diesen etwas großväterlichen, manierlichen Stil charmant finden. Der Uni-Professor unterrichtet immerhin Alte Geschichte in Bern und ist beseelt von seinem Hobby. Er warnt: Wir haben alles, was es zum Garteln braucht, im Überfluss, aber die Unmittelbarkeit der individuellen Erfahrung geht verloren. Vermeintli-

che Experten bestimmen das gärtnerische Gestalten. Die einen seien mit dem Billigangebot aus dem Gartencenter zufrieden, die anderen erstehen Exklusives zu horrenden Preisen. Schnell wechselnde hortikulturelle Mo-

den sind dem Autor ein Gräuel, er will mit Gartenbildung dagegenhalten. Sein Ideal: Gärten von zeitlosem Nutzen und natürlicher Schönheit. Dazu müsse man sich mit der Tradition auseinandersetzen. Die Beschäftigung mit der Antike kann er nicht verstecken. Und so geht es querbeet durch die Historie und die Saisonen, durch weltberühmte Gärten, zur Poesie und Malerei. Von Vincent van Gogh könne man mehr lernen als durch die Lektüre der von Rebenich verschmähten Ratgeber. Er schaut nach Versailles, zur Alhamb-

ra und empfiehlt die berühmte Gartenanlage Dumbarton Oaks in Georgetown, Washington, D.C. Besonders schwärmt er von der britischen Gartenkultur, die Aufregung rund um den cleanen Style des Rosengartens unter Melania Trump relativiert er. Dann und wann widmet sich Rebenich einer einzelnen Pflanze, etwa der Tulpe. Wir erfahren: Flüchtlinge verbreiteten sie in Europa. Sie trugen die wertvollen und problemlos zu transportierenden Zwiebeln als Startkapital in ihrem leichten Reisegepäck. Derzeit exportieren die Niederlande etwa zwei Drittel der Weltproduktion an Tulpen. Fast die Hälfte des Landes ist mit Tulpenfeldern bedeckt. Den harten Wettbewerb der globalen Pflanzenindustrie illustriert Rebenich anhand des Weihnachtssterns.

Das elegante Büchlein nach alter Schule ist lehrreich und unterhaltsam, außerdem beständig und von persönlichen Ansichten geprägt. Viele der Texte sind schon als Kolumnen in deutschen Wochenzeitungen erschienen. Idealerweise schmökert man übers Jahr verteilt. Wer aber keinen Garten sein eigen nennt, liest wahrscheinlich mit Wehmut. JULIANE FISCHER

Stefan Rebenich: Der kultivierte Gärtner. Die Welt, die Kunst und die Geschichte im Garten. Klett-Cotta, 208 S., € 26,80


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