
5 minute read
ÖFG Wissenschaftspreisträger Seite
: FORSCHERPORTRÄT
Von Echnaton bis Beethoven
Der Kulturwissenschaftler Jan Assmann erhält den Wissenschaftspreis 2020 der Österreichischen Forschungsgemeinschaft
SABINE EDITH BRAUN
Jan Assmann ist einer der bedeutendsten Geistes- und Kulturwissenschaftler unserer Zeit. Die Theorie des kulturellen Gedächtnisses, welche er gemeinsam mit seiner Frau Aleida entwickelt hat, ist nicht mehr aus dem kollektiven Gedächtnis der Wissenschaftwegzudenken, ebenso wie seine Forschungen zum biblischen Monotheismus, der neben dem einen „wahren“ nur „falsche“ Götter kennt.
Die Liste der Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Vereinigungen und seiner Ehrungen ist lang, ebenso wie die der Publikationen. Nach dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels, den er 2018 zusammen mit seiner Frau Aleida erhalten hat, bekam Jan Assmann 2020 den Wissenschaftspeis der Österreichischen Forschungsgemeinschaftzugesprochen. Die feierliche Verleihung des Preises wird im Herbst 2021 nachgeholt.
Ein österreichischer Forschungspreis, so der Ausnahmewissenschaftle, bedeute ihm besonders viel, da es mit Österreich eine große Verbundenheit gebe: „Seit es uns 1971 gelang, eine alte Mühle am Traunsee als Familien-Ferienquartier zu erwerben, verbringen wir dort jeden Sommer und nicht selten auch Oster-, Herbst- oder Weihnachtsferien“, verrät er. Dies und auch mehrere Forschungsaufenthalte von ihm sowie seiner Frau am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien hätten zu zahlreichen österreichischen Kontakten und Freundschaften geführt.
Mit seiner Frau befindeter sich seit vielen Jahren in einer Forschungsgemeinschaft.Wie kann man sich Wissenschaftzu zweit überhaupt vorstellen? „In unserem Fall funktioniert Wissenschaft,indem jeder neben der Arbeit an gemeinsamen Projekten auch sein eigenes Fachgebiet betreibt und den eigenen Interessen nachgeht“, sagt Assmann. Letzteres sind in seinem Fall Ägyptologie, Religionswissenschaft und Musik, im Fall seiner Frau Literaturwissenschaftund Erinnerungskultur. „Das heißt aber nicht, dass sich nicht jeder von uns auch lebhaftfür die Themen des anderen interessiert und an der Entstehung der entsprechenden Arbeiten teilnimmt“ – siehe ihre Theorie des kulturellen Gedächtnisses. Warum wird man überhaupt Ägyptologe, was fasziniert heute an Kleopatra & Co.? „Das Faszinierende an der Ägyptologie ist, dass sie sich nicht in Spezialgebiete wie Archäologie, Philologie und Geschichte ausdifferenziert hat, sondern eine Kulturwissenschaft im eigentlichen Sinne geblieben ist, indem sie sich mit der altägyptischen Kultur in all ihren Ausdrucks- und Erscheinungsformen beschäftigt“
Damit sei sie, so Assmann, zu ei-
nem Vorreiter des „cultural turn“ in den Geisteswissenschaftengeworden. Eine ganz andere als die eigene Kultur zu kennen, sei nicht nur generell wichtig, im speziellen Fall der Ägyptologie bedeute es auch noch, „den Weg zu kennen, den die eigene Kultur genommen hat und der sich über Rom, Griechenland und Israel bis nach Ägypten verfolgen lässt“.
Auch wenn es „Hieroglyphisch – Wort für Wort“ als KauderwelschReiseführer-Büchlein gibt – für alle Freunde von Fremdsprachen-Crashkursen hat der Ägypten-Spezialist schlechte Nachrichten: „Hieroglyphen mehr oder weniger flüsig lesen zu können, ist einerseits eine Sache von zwei Jahren, vier Semestern, in denen man ein ordentliches Grundwissen erlernen kann, andererseits eine lebenslange Aufgabe, die nie an ein Ende kommt.“
Apropos Ende. Irgendwann wird die Corona-Pandemie hoffentlichein Ende haben. Es stellt sich die Frage, ob auch sie ein Teil unseres kulturellen Gedächtnisses werden wird, und wenn ja, in welcher Form. Jan Assmann verweist in diesem Zusammenhang auf die Spanische Grippe, die mindestens das Zehnfache an Toten gefordert hat – und dennoch nicht Teil unseres kulturellen Gedächtnisses geworden ist. Er fügt hinzu: „Die Corona-Pandemie wird sicher eine Weile im kollektiven Gedächtnis bleiben, aber um Teil unseres kulturellen Gedächtnisses zu werden, braucht es ihre Darstellung und Bearbeitung in kulturellen Werken wie Texten, Bildern und Kompositionen, die in den Kanon eingehen.“
Einer, der definitivin den Kanon eingegangen ist, feiert heuer seinen 250. Geburtstag: Ludwig van Beethoven. Mit dem Buch „Kult und Kunst – Beethovens Missa Solemnis als Gottesdienst“ hat auch Jan Assmann seinen wissenschaftlichenBeitrag zum „Beethoven-Jahr“ geleistet. Was macht diesen Komponisten auch noch nach einem Vierteljahrtausend so populär? „Beethoven ist vielleicht neben Händel der erste Komponist, der neben seinen kammermusikalischen Werken wie Klaviersonaten, Streichquartetten etc. bewusst für eine große Öffentlic keit komponiert hat. Das macht gerade seine öffentlicheMusik, Sinfonien vor allem, so populär“, ist Assmanns Erklärung.
Dass in einem aktuellen Fernsehwerbespot ein Getränk aus einer rot-blauen Dose Beethoven aus einem kompositorischen Durchhänger rettet, ist dennoch kein Alleinstellungsmerkmal. Das beweisen Mozartkugeln, Goethe&-Schiller-Salz-und-Pfeffertreuer und vieles weitere. „Dieses Schicksal der Verkitschung bleibt wohl keinem so Hochberühmten erspart“, resümiert Assmann, der sich der Musik nicht nur passiv, sondern auch aktiv widmet: Klavier, Cembalo und Blockfl te spielt er. Woran er wissenschaftlic gerade arbeitet, verrät er nicht. Gemeinsam mit seiner Frau und einer Handvoll Wissenschaftler*innenist er an einem Projekt über den „Gemeinsinn“ beteiligt sowie gemeinsam mit vier Nachwuchswissenschaftler*inne an einem mit dem Titel „Das Gedächtnis der Stadt“.
Jan Assmann, Wissenschaftpreis-
FOTO: PHILIPP ROTHE : AKTUELLE BÜCHER DER ÖFG ERICH KLEIN
Nach der Krise der Demokratie der Aberglaube?
Als „säkulares Heiligenbild“ hat der amerikanische Philosoph Stanley Cavell einst die Demokratie bezeichnet. Die gesammelten Beiträge des Wissenschafttages 2018 unter dem Titel „Krise der Demokratie – Krise der Wissenschafte?“ gehen der Frage weniger polemisch nach. Der Berliner Politologe W. Merkel beschreibt die Vielfalt des Begriffs Demokratie und die problematische Einengung auf „die“ Krise derselben. Ob der vielfach diskutierte Populismus ein Symptom dieser Krisen oder Teil der Heilung ist, wird vielfach diskutiert – zu konstatieren ist: Populismus bedroht Demokratie! Jan Zielonka diagnostiziert das Versagen des „Neoliberalismus“ in Sachen Garantie von Freiheit und Gleichheit, vor allem die liberalen Eliten hätten versagt. Anton Pelinka diskutiert am Beispiel der Central European University/ Budapest die Mechanismen illiberaler Politik sowie Grenzen und Möglichkeiten von Widerstand gegen die Feinde einer offenenGesellschaft,die auch Wissenschaftbedrohen. Der Bogen spannt sich weiter von praxisbezogenen Überlegungen des Völkerrechtlers Nico J. Schrijver zur akademischen Freiheit im Kontext von Forschungsprogrammen und Forschungspolitik über die dringliche Frage der Qualitätssicherung wissenschaftlicherErkenntnis in Zeiten, da die Öffentlichkeitzunehmende Skepsis (um nicht zu sagen Unglauben) an den Tag legt; bis hin zur Quantenphysik und dem in aller Munde befindlichen„chinesischen Modell“. Vor dem Hintergrund eines imposanten Wirtschaftswachtums ist China mittlerweile auch wissenschaftlicheWeltmacht – als Modell für den Umbau zur Wissensgesellschaftweist es noch gehörige Defiziteauf.
Passend dazu behandelt der Band 23 von „Wissenschaft Bildung Politik“ das Thema „Wissenschaftund Aberglaube“. Analysiert werden das Verhältnis von Wissenschaftund NichtWissenschaft aus wissenschafttheoretischer Sicht, jenes von Wissenschaftund Öffentlichkei aus historischer und sozialwissenschafticher Perspektive sowie der Zusammenhang von Aberglaube und Überleben aus der Sicht des Verhaltensforschers. Stuart A. Vyse beschreibt Entstehung und Verbreitung von Aberglaube auch in hoch entwickelten Ländern (inklusive starker kommerzieller Vermarktung „alternativer“ Fakten und Wahrheiten), Franz Winter bietet einen Überblick über aktuellen Forschungsdiskurs zum Thema Esoterik und Religion, Edzard Ernst zeigt am Beispiel Homöopathie deren mangelnde biologische Plausibilität sowie das Fehlen schlüssiger Wirksamkeitsnachweise auf. Angesichts von grassierender Wissenschaftsleugnung schließt die Germanistin Eva Horn mit einem Plädoyer für mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit und „deutlichere Kommunikationsformen“. Wie heiße es schon bei Immanuel Kant in Sachen Aufklärung „Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“