espresso Magazin April 2015

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espresso Magazin, April 2015

Donald Berkenhoff über den neuen Spielplan des Stadttheaters

Ein mutiges Motto hat sich das Ingolstädter Stadttheater für die neue Spielzeit gegeben. Donald Berkenhoff, stellvertretender Intendant, über Kassenschlager und wortloses Schauspiel.

Was bedeutet das Spielzeitmotto „Nur Mut!“? Das aktuelle Motto ist das Hölderlin-Zitat „Komm, ins Offene, Freund“, das von großer Liberalität geprägt ist. Wo das Transparent hing, hängt jetzt ein neues mit der Aufschrift „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, weil das Offene durch die Anschläge in Paris auf einmal völlig anders gelesen wurde. Und man hat plötzlich auch die zweite Zeile dieses Hölderlin-Zitats mitgedacht, die heißt: „Mir ist, als wären wir wieder in der bleiernen Zeit“. Dieser Aspekt wurde auf einmal viel massiver. Die ursprüngliche Utopie und die Lust, die beim Motto „Komm, ins Offene, Freund“ dabei waren, wurden überschattet. „Nur Mut!“ ist jetzt eine Antwort darauf, um zu sagen: Lasst euch nicht einschüchtern und euren Mut nehmen, sondern denkt darüber nach, wie wir eine offene, liberale Gesellschaft sein können. Welches Stück war der Kassenschlager der Spielzeit 2014/15? Immer ausverkauft war „Wie im Himmel“. Auch „Hamlet“ ist nach zögerlichem Beginn sehr gut gelaufen und auch „Ein Mann, zwei Chefs“ war nach Anlaufschwierigkeiten ein Erfolg. Und die kleinen Spielstätten sind sowieso immer ausverkauft. Welchem Stück aus dem neuen Spielplan trauen Sie zu, der Renner der Saison 2015/16 zu werden? Das hoffen wir natürlich bei allen Stücken. Etwa „Nathan, der Weise“, der derzeit im Volkstheater München immer ausverkauft ist, ist ein Klassiker am Puls der Zeit. Auch die OffenbachOperette „Die schöne Helena“ haben wir im Programm. Und wir haben „Das kalte Herz“ mit Musik von Tobias Hofmann, eine Auftragsarbeit von Christoph Nußbaumeder, der schon vier Mal für uns gearbeitet hat. Tobias Hofmann wird auch einen eigenen kleinen Liederabend im Kleinen Haus machen, den „Herrenabend“. Auch „Das Ballhaus“ ist in München über Jahre erfolgreich gelaufen, obwohl das Stück fürs Theater sehr ungewöhnlich ist. Alle diese Stücke könnten Publikumsrenner werden. Aber das ist alles sehr spekulativ. Wir haben schon

Foto: Sabine Roelen

„Nur Mut!“

erlebt, dass Jelineks „Winterreise“ höhere Besucherzahlen hatte als Schillers „Fiesco“.

„Das Ballhaus“ von Jochen Schölch ist ein Schauspiel ohne Worte. Wie funktioniert das? „Das Ballhaus“ beginnt mit Charleston und endet mit Beat und Rock‘n‘Roll. Hier wird eine Kulturgeschichte anhand eines Raumes erzählt, in dem Menschen tanzen, der im Krieg zum Bunker oder zum Lazarett wird. Dabei wird nicht gesprochen. Das ist sicherlich ein Stück, das sehr erfolgversprechend ist. Es geht auch darum, wie sich die Leute in den verschiedenen Zeiten bewegt haben. Wir haben dafür extra eine Bewegungstrainerin engagiert. Beispielsweise war es für Männer vor den 50er-Jahren nicht möglich, die Hüften zu bewegen. So wird es möglich, das Revolutionäre von Elvis Presley und dem Rock‘n‘Roll zu verstehen. Oder auch die Redensart „Die Preußen haben einen Besenstiel verschluckt“. Das Stück ist auch eine Geschichte der Körper, die erzählt wird. Pro Jahrzehnt gibt es immer einen Tanz. Man sieht daran, wie die Gesellschaft aufbricht: Wie die Menschen beim Charleston verrückt werden, wie die Nazis kommen, wie der Krieg ausbricht, aber alles nur am Raum und den Tänzen. „Das kalte Herz“ von Christoph Nußbaumeder nach dem Märchen von Wilhelm Hauff ist eine Uraufführung... Ich habe ja schon drei Stücke von Christoph Nußbaumeder inszeniert, deshalb war es klar, dass ich Regie führen werde. Es ist eine kleine düstere Geschichte, die märchenhaft erzählt, wie jemand zum Kapitalisten wird. Der ganze Spielplan hat ja mit Glauben, Kriegen und Rassismus in den unterschiedlichsten Schattierungen zu tun. In „Das kalte Herz“ geht es darum, dass man sich ein Herz aus Stein besorgen muss, um in dieser Gesellschaft Erfolg zu haben. Und daran dann zu scheitern, das ist eine Geschichte, die in einem dunklen Wald spielt. Die Story wird aber auf einer anderen Ebene erzählt als „Tartuffe“ oder „Disgraced“, beides Stücke des Spielplans 2015/16. „Das kalte Herz“ ist eine romantische Erzählung, aber sehr böse und dunkel. Das Stück wird nicht stark modernisiert, aber es wird moderne Aspekte geben, z. B. dass Wilhelm Hauff selbst auftritt. (sr)


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