Wenn der Berg kommt

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Wenn der Berg kommt

In Bondo sind die baulichen Schutzmassnahmen erst wieder provisorisch erstellt. Was sind die ­nächsten Schritte? Das Auffangbecken ist geräumt, die Dämme wurden erhöht. Jetzt geht es darum, das definitive Schutzbautenprojekt auszuarbeiten. Die Gefahren­ beurteilung haben wir zusammen mit Ingenieur­büros durchgeführt. Für das Bauprojekt ist die Abteilung Wasserbau zuständig. Der Baubeginn ist für 2021 vorgesehen. Sobald die neuen Schutzbauten erstellt sind, werden das Frühwarnsystem angepasst und die ver­bleibende Gefährdung in Bondo durch die Gefahrenkommission neu beurteilt. Diese Abstimmung bezeichnen wir als integrales Risikomanagement. Welche Schwierigkeiten bereitete die Gefahren­ beurteilung? Für die Erstellung der Gefahrenkarte ­«Wasser» für den jetzigen Zustand waren die Eingangsgrössen teils nur schwer abschätzbar. Für die Eintretenswahrscheinlichkeit nicht periodischer Ereignisse mussten auch Annahmen getroffen werden. Zudem führten mögliche Ereignisverket­tun­gen zu einer Vielzahl von Szenarien. Bei Bergstürzen muss man Abschätzungen und Annahmen mit sehr grossen Unsicherheiten treffen. Eine Periodizität am gleichen Berg ist unwahrscheinlich. Das klassische Gefahren- und Risikokonzept stösst deshalb an Grenzen. ­Grundlegend bei diesem Konzept ist, dass ein Gefahren­prozess beziehungsweise eine bestimmte Risikokonstellation wiederkehrend auftritt und dementsprechend Häufigkeiten be­ziehungsweise Wahrscheinlichkeiten abgeleitet werden können. Seit dem Bergsturz sind fast zwei Jahre vergangen. Hat der Kanton Korrekturen vorgenommen? Solche Grossereignisse liefern immer neue Erkenntnisse. Im Nachgang haben wir beispiels­ weise geprüft, ob die Aufgaben richtig verteilt sind, und uns die Frage gestellt, wo wir die Gemeinden noch besser unterstützen können. Das tun wir vor allem mit der Ausbildung von lokalen Natur­gefah­ren­ be­ratern. Zudem werden in den Gemeinden vermehrt Notfallplanungen erarbeitet. Dieser sogenannte organisatorische Teil ist wichtiger geworden. Sehr bewährt hat sich die Expertengruppe, die wir un­ mittelbar nach dem Ereignis eingesetzt haben. Ist es eine Option, der Natur Raum zurückzugeben? Ja, das ist ein wichtiger Teil heutiger Schutzkonzepte. In Bondo wurden einzelne Gebäude, die getroffen wurden, nicht wieder aufgebaut. Gemeinde, Gebäudeversicherung und Dienststellen von Bund und Kanton haben hier gemeinsam gute Lösungen gefunden. Somit steht mehr Raum für das Schutzbautenkonzept, aber auch für die Natur zur Verfügung. Die Polizei hat nach den Ereignissen in Bondo ­Ermittlungen aufgenommen. Was ist der Stand der laufenden Untersuchung?

TEC21 25–26/2019

SIA D 0260 «Entwerfen und planen mit Naturgefahren im Hochbau» Die Dokumentation D 0260 ist für alle Bauvorhaben im Hochbau anwendbar. Sie ergänzt die in der Norm SIA 112:2014 Modell Bauplanung beschriebenen Leistungsbereiche mit zusätzlichen Modulen, die für das naturgefahrengerechte Entwerfen, Planen und Bauen von Bedeutung sind. Die Dokumentation hilft Gesamtleitern von Hochbauten zu erkennen, welchen Naturgefahren das Bauvorhaben oder ein bestehendes Gebäude ausgesetzt ist und welche Planungen von Schutzmassnahmen sinnvoll sind. Das Ziel ist ein möglichst effizientes Vorgehen für wirksame Lösungen. Die Dokumentation dient des Weiteren als Hilfsmittel für den Dialog mit Bauherren, Behörden und weiteren Akteuren. • (sia)

Zusätzliche Informationen und Links:

www.schutz-vor-naturgefahren.ch/ D0260 Bestellung: SIA D 0260, 80 S., 60 Fr. auf Deutsch oder Französisch: www.shop.sia.ch

Kommt es bei einem Naturgefahrenereignis zu Todesfällen, so wird von Amts wegen eine Untersuchung eingeleitet. Dies bot uns die Gelegenheit, die Arbeiten der letzten Jahre umfassend zu dokumentieren. Darin haben wir unter anderem dargelegt, was wir als kantonale Fachstelle zu welchem Zeitpunkt wussten und was nicht. Die Dokumentation ist derzeit bei der Staatsanwaltschaft. Diese entscheidet auch, ob sie ein Verfahren eröffnet oder die Untersuchung einstellt.1 Wo zeichnen sich die nächsten Herausforderungen im Bereich Naturgefahren im Kanton ab? Momentan beschäftigt uns eine Rutschung in Brienz im Albulatal sehr. Betroffen sind auch die Kantonsstrasse und die RhB-Linie zwischen Tiefencastel und Filisur. Mit Bohrungen klären wir derzeit ab, wie tief die Rutschflächen liegen. Brienz droht nicht nur abzurutschen, es ist auch durch eine ­Sackung oberhalb des Dorfs bedroht. Die Situation wird seit einiger Zeit ebenfalls permanent überwacht. Die Gemeinde und der Kanton bereiten sich auf verschiedenste Szenarien vor. • Das Interview führten Daniela Dietsche, Redaktorin Bau­inge­n ieurwesen, und Lukas Denzler, dipl. Forst-Ing. ETH /  Journalist, Korrespondent TEC21, lukas.denzler@bluewin.ch

Anmerkung 1 Unmittelbar vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass

die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen wollte. Diese Ver­f ügung wurde jedoch angefochten. Der Fall kommt deshalb nun vor das Bündner Kantonsgericht.


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