Wenn der Berg kommt

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Wenn der Berg kommt

TEC21 25–26/2019

BEWÄ LTIGUNG DES EREIGNISSES

«Eine Periodizität gibt es nicht» Der Bereichsleiter Naturgefahren und Schutzbauten beim Bündner Amt für Wald und Naturgefahren, spricht über den Bergsturz von Bondo, die Herausforderungen bei der Gefahren­beurteilung und die Lehren, die man aus dem Ereignis gezogen hat. Interview: Daniela Dietsche, Lukas Denzler

nächsten Tag in Italien auf. Acht Alpinisten werden leider heute noch vermisst.

Christian Wilhelm ist seit 2001 für das Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden tätig. Seit 2005 leitet er den Bereich Naturgefahren und Schutzbauten.

Herr Wilhelm, wo waren Sie am 23. August 2017? Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie vom Bergsturz in Bondo erfahren haben? Christian Wilhelm: Ich war mit der Fachgruppe Naturgefahren im Wallis. Es war ein ungewöhnlich schöner Tag: Sonnenschein und blauer Himmel in der ganzen Schweiz. Dann vernahm ich von meinen Mitarbeitern, der Cengalo sei gekommen. Ich bin direkt nach Chur gefahren. Als ich ins Sitzungszimmer kam, liefen schon die ersten Filme. Sie zeigten einen trockenen Schuttstrom, der Bondo erreicht und die ersten Gebäude zerstört hatte. Es war unglaublich. Ich bin umgehend ins Bergell gereist, um mich mit unserem Spezialisten vor Ort abzustimmen. Am ersten Abend sprach die Kantonspolizei von 14 Vermissten. Eine Gruppe tauchte glücklicherweise am

Volumen unbekannt

Überlieferte Berg- und Felsstürze in der Schweiz

seit 1500 (Auswahl).

1513 Bergsturz bei Biasca,

Aufstauung eines Sees, Entleerung 1515, zahlreiche Todesopfer

Volumen unbekannt

Hat Sie das Ereignis überrascht? Vom unmittelbaren Schuttstrom und den Murgängen ohne Niederschläge waren wir alle sehr überrascht. Beim Cengalo gingen wir hingegen davon aus, dass sich ein Abbruch in den kommenden Wochen und Monaten ereignen kann. Darauf deuteten die letzten Messergebnisse zu den Felsbewegungen aus der Ferne vom Sommer 2017 hin (vgl. «Die Wissenschaft sucht Erklärungen», S. 22). Zwei Tage vor dem Bergsturz ereignete sich ein Felssturz aus der Nordwestflanke. Dieser Sturz war nicht überraschend. Der Ausbruchbereich war sehr aufgelöst, und das wurde auch erkannt. Bis zu diesem Zeitpunkt war es ähnlich abgelaufen wie in den Vorjahren. Der fatale Bergsturz löste sich dann aber aus der Nordostflanke. Ohne Vorwarnung? Ja, der schlagartige Ausbruch von rund 3 Mio. m3 kam sehr überraschend. In der Regel kündigen sich grosse Bergstürze mit Vorabbrüchen an. Das war hier nicht der Fall. Wir diskutierten nachher über unseren Blick auf den Cengalo. Es war, als wäre der Berg wie ein Zug unterwegs. Wir sahen ihn über

Volumen unbekannt

ca. 56 Mio. m 3

35–40 Mio. m 3

ca. 10 Mio. m 3

ca. 100 000 m 3

1806 Bergsturz von Goldau,

1881 Bergsturz von Elm,

1939 Felssturz am Flimserstein ,

457 Menschen wurden verschüttet

durch Bergbau ausgelöst, 114 Todesopfer

ein Kinderheim wurde zerstört, 18 Todesopfer

1584 Bergsturz von Corbeyrier/ Yvorne VD,

1618 Bergsturz von Piuro (Plurs), Auf-

1714/1749: Bergstürze in Derborence VS,

ausgelöst durch ein Erdbeben, ca. 200 Todesopfer

stauung eines Sees, 900–1200 Todesopfer

14 Todesopfer


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