17 minute read

Industrielle modulare Konstruktion mit niedrigem CO2-Fußabdruck EDGE Suedkreuz Berlin

EDGE Suedkreuz ist eines der größten in modularer HolzHybridbauweise geplanten Gebäudeensembles in Deutschland. Es erstreckt sich über zwei Bürogebäude mit je sieben Stockwerken und einer verbindenden Tiefgarage, die vollständig mit Ladestationen für E-Fahrzeuge ausgestattet ist. Vattenfall Deutschland wird hier sein Hauptquartier haben. Von Beginn an wurde ein Fokus auf die Nachhaltigkeit der Gebäude gelegt. Es galt sowohl den CO2-Fußabdruck des Gebäudes zu reduzieren, nachhaltige und gesunde Materialien zu verwenden als auch das Wohlbefinden der künftigen Nutzer:innen zu berücksichtigen. Die modulare Holz-Hybridbauweise ist ein wichtiger Bestandteil, um diesen Anspruch zu erreichen, und musste in das Engineering-Konzept integriert werden. Dazu wurde Buro Happold mit einem multidisziplinären Team beauftragt und lieferte ein ganzheitliches Konzept aus Tragwerksplanung, technischer Gebäudeausrüstung, BIM-Management und Nachhaltigkeitsberatung. Der Beitrag geht darauf ein, wie es den Ingenieur:innen gelang, die innovative Holz-Hybridbauweise von CREE in dem Tragwerks- und TGA-Konzept umzusetzen und erläutert Sonderkonstruktionen wie u. a. das ETFE-Dach des Atriums.

Industrial modular construction with low carbon footprint – EDGE Suedkreuz Berlin

EDGE Suedkreuz is one of the largest building ensembles planned in modular timber hybrid construction in Germany. It comprises two office buildings, each with seven floors and a connecting underground car park, which is fully equipped with charging stations for e-vehicles. Vattenfall Germany will have its headquarters here. From the very beginning, a focus was placed on the sustainability of the buildings. The aim was to reduce the building’s carbon footprint, to use sustainable and healthy materials and to take into account the well-being of the future users. The modular timber hybrid construction is an important part of achieving this and had to be integrated into the engineering concept. For this purpose, Buro Happold was commissioned with a multi-disciplinary team and delivered a holistic concept consisting of structural design, technical building equipment, BIM management and sustainability consulting. The article discusses how the engineers succeeded in implementing CREE’s innovative timber hybrid construction method in the structural and technical building services concept and explains special constructions such as the ETFE roof of the atrium.

Stichworte Holz-Hybridkonstruktion; modulare Bauweise; Tragwerksplanung; TGA; industrielle Vorfertigung Keywords timber hybrid construction; modular construction; structural design; TGA; industrial prefabrication

Bild 1 Das Atrium im Carré-Gebäude von EDGE Suedkreuz The atrium at the heart of the Carré building of EDGE Suedkreuz

1 Holz-Hybridbau – ein Weg für den nötigen Wandel in der Bauindustrie

In der EU ist der Bausektor für 40% des Energieverbrauchs verantwortlich. Um bis 2050 ein klimaneutraler Kontinent zu werden, sind der klimafreundliche Bau und der Betrieb von Gebäuden wesentliche Stellschrauben. Bei der Reduzierung der Betriebsemissionen von Gebäuden sind aufgrund höherer Energieeffizienz und des größeren Anteils erneuerbarer Energien schon sehr große Fortschritte zu sehen. Jetzt muss der Energieaufwand für Errichtung, Sanierung und Rückbau (graue Energie) in den Fokus unseres Handelns fallen. Vor diesem Hintergrund scheint es nur natürlich, den alten Baustoff Holz als industriellen Werkstoff für unsere Bauindustrie wiederzuentdecken. Zeitgleich erfährt die industrielle Vorfertigung, die einen schnellen, sauberen und effizienten Bauprozess ermöglicht, einen Aufschwung.

Das Projekt EDGE Suedkreuz Berlin (Bilder 1, 2), in dem u.a. die neue Deutschlandzentrale von Vattenfall sitzt, vereint beide Aspekte. Das Ensemble aus zwei Bürogebäuden im Berliner Stadtteil Schöneberg wurde in innovativer HolzHybridbauweise mit hohem Vorfertigungsgrad umgesetzt. Von Beginn an wurde der Fokus auf die Nachhaltigkeit gelegt. Ziel war es, sowohl den CO2Fußabdruck der Gebäude zu reduzieren als auch nachhaltige und gesunde Materialien zu verwenden und das Wohlbefinden der künftigen Nutzer:innen zu fördern.

Bild: Ilya Ivanov/Tchoban Voss Architekten

Bild 2 Das Carré-Gebäude ist der neue Deutschlandsitz von Vattenfall The Carré building – the new headquarters of Vattenfall Germany

1.1 Tragwerkskonzept – hybrid und modular mit CREE

Im Tragwerkskonzept wurden bereits mehrere modulare Konstruktionsbauweisen mit unterschiedlichen Vorfertigungsgraden untersucht. Die Initialzündung zum HolzHybridbau lieferte CREE Buildings. Das Unternehmen hatte die technische Umsetzung von industriell vorproduzierten HolzBetonverbunddecken bereits in mehreren Projekten erfolgreich realisiert. Somit wurde diese Variante in den Vergleich mehrerer Tragwerkskonzepte mit einbezogen. Anhand von Skripten hat das Planungsteam drei Modelle mit den unterschiedlichen Vorfertigungskonzepten erstellt und deren Massen und Mengen ausgelesen. Als Benchmark wurde ein viertes Modell mit OrtbetonFlachdecken herangezogen. Diese Analyse lieferte in der Konzeptphase die Entscheidungsgrundlage für den HolzHybridbau.

Die HolzHybridkonstruktion (Bild 3) besteht aus HolzBetonverbunddecken, Brettschichtholzstützen in der Fassade sowie Stahlbetonfertigteilbalken und stützen im Gebäudeinneren, auf denen die einachsig spannenden Decken auflagern. Die erforderliche Betonstärke der Verbunddecken (hier 10 cm) wird dabei viel mehr durch die bauphysikalischen Anforderungen (Brand und insbesondere Schallschutz) als durch statische Erfordernisse bestimmt. Die Holzbalken tragen mit 28 cm zu einer Gesamtdeckenstärke von 38 cm bei. Der Verbund wird durch Kerven hergestellt, welche in die Oberfläche der Holzbalken eingefräst werden. Der Aufbeton wird in die Kerven gegossen, zusätzliche Verbindungsmittel sind statisch nicht erforderlich. Der Schubübertrag findet durch eine Verkeilung des Betons in den Kerven statt. Im Gegensatz zu bisher gebräuchlichen HolzBetonverbundbauweisen mit Schrauben, Nägeln oder Streckmetall als Verbindungsmittel ist die Verbundwirkung mit Kerven wirksamer. Dadurch erweitert sich das ehemals eingeschränkte Einsatzgebiet der Verbunddecken und macht sie für die industrielle Vorproduktion so interessant.

Die Deckenplatten weisen mit ca. 2,70 m eine gut transportierbare Breite auf. Diese Breite bestimmt das Stützenraster in der Fassade, da jede Platte auf einem Doppelpaar Holzstützen aufliegt. Im Gebäudeinneren lagern die Deckenplatten auf Betonfertigteilbalken, welche entweder aus deckengleichen Trägern mit Hutprofil (Bild 4) oder einfachen Rechteckbalken (Bild 5) unterhalb der Decken bestehen. Die Abstände der Fertigteilstützen unter den Fertigteilbalken betragen mit ca. 5,40 m das Doppelte des Fassadenachsrasters.

Ein großer Vorteil des CREESystems ist die Integration der tragenden Stützen in die Fassadenelemente ab Werk. So entsteht bei der Montage der darüberliegenden Decke unmittelbar nach dem Fugenverguss ein ausbaufähiger, witterungsgeschützter Raum.

Bild: CREE

Bild 3 Schematische Darstellung der Holz-Beton-Hybridmodule Schematic drawing of the timber-concrete-hybrid-modules

Bild: Buro Happold

Bild 4 Detail Betonfertigteilbalken mit Hutprofil Detail drawing of precast concrete beam with hat profile

Bild: Buro Happold

Bild 5 Detail Rechteckbalken Detail drawing of rectangular beam

Das Tragwerk der Untergeschosse wurde konventionell in WUStahlbetonbauweise (Stahlbeton mit hohem Wasserdurchdringwiderstand) errichtet. Das um bis zu 50% geringere Eigengewicht der HolzHybridkonstruktion half dabei maßgeblich, die Anforderungen an die Gründung gering zu halten. So lässt sich die enge Stützenstellung der Fassadenstützen in den Obergeschossen mit wenig Aufwand im Untergeschoss abfangen. Durch geschickte Anordnung der Technik und Versorgungsräume konnte zusätzlich auf aufwendige Abfangkonstruktionen verzichtet werden.

Ausnahme bildet der zweigschosshohe Eingangsbereich zum Atrium, welcher mit nur wenigen, äußerst schlanken

Bild: Buro Happold

Bild 6 Haustechnik zwischen den sichtbar bleibenden Holzbalken Building services between the wooden beams that remain visible Bild 8 Hauptträger des Atriumdachs Main beam of the atrium roof

Rundstützen gebildet werden sollte. Die drei Geschosse in HolzHybridbauweise sowie die Dachkonstruktion über der Loggia wurden auf eine große StahlBetonverbundebene, liebevoll „der Tisch“ genannt, gestellt. Der Tisch trägt zweiachsig mit Durchlauf und Kragträgern und bietet Platz für Lüftungsgeräte und weitere Haustechnik. Zu sehen sind im fertigen Ausbau nur noch die Schleuderbetonstützen, die aufgrund der hohen Betongüte einen besonders dunklen Farbton aufweisen.

Stabilisiert wird das große CarréGebäude durch vier Erschließungskerne in allen vier Ecken des Gebäudes, welche sowohl die Treppenhäuser und Haustechnikschächte als auch die Aufzüge bereitstellen. Für den kleineren Satelliten war ein zentraler Erschließungskern ausreichend. Auch hier wurde mit Halbfertigteilen (Stahlbetonhohlwänden) ein möglichst wirtschaftlicher Vorfertigungsgrad erzielt. Um ein weiteres Untergeschoss allein zur Schaffung von notwendigen Stellplätzen, die für die Betriebsflotte von Vattenfall dringend benötigt wurden, zu vermeiden, hat man ein Doppelparksystem geplant. Da jeder einzelne Parkplatz für die nachhaltige Flotte von Vattenfall elektrifiziert sein musste, entstand am Standort das erste vollständig elektrifizierte Doppelparksystem der Welt.

Bild: Ilya Ivanov/Tchoban Voss Architekten

Bild 7 Das Atrium mit der Baum-Treppenstruktur und dem ETFE-Dach The atrium with the tree stair structure and the ETFE roof

1.2 Wenn‘s eng wird – Haustechnik geschickt eingefädelt

Vollmodulare Konstruktionsweisen sind besonders effizient, wenn bereits im Konzept gewisse Konstruktionsregeln eingehalten werden. So wurde die Anordnung der Treppen und Aufzugskerne frühzeitig auf das modulare Raster abgestimmt. Um ein Ausfädeln und Verteilen der Haustechnik unterhalb der Holzbalken zu ermöglichen, wurden Räume mit geringen Anforderungen an die Raumhöhe, wie WC und Waschbereich, aber auch Lager und Putzmittelräume, direkt an die vertikalen Haustechnikschächte platziert. Aus dem abgesenkten Deckenbereich wurden die Leitungen dann in einen 40 cm tiefen Deckenkoffer eingefädelt, welcher entlang der Mittelachse verläuft und somit jedes Deckenpaneel erreichen kann.

Eine Herausforderung für die Haustechnik stellten die Holzbalken dar, die sichtbar bleiben sollten. Dadurch reduzierte sich der für Heizung, Kühlung, Lüftung, Beleuchtung und Sensorik verfügbare Deckeninstallationsraum um etwa 40% (Bild 6). Durch hybride Deckensegel, die sowohl heizen als auch kühlen können, wird Frischluft geführt, was den Energieübertrag pro Fläche erheblich steigert. Gleichzeitig wirken die Segel als akustische Absorber und stellen Installationsraum sowohl für die Beleuchtung als auch für die in Summe 17.000 verbauten Sensoren dar. Diese registrieren die Anwesenheit von Personen und messen CO2Werte sowie Temperatur. Das Gebäude wird grundsätzlich zentral gesteuert. Jeder Mitarbeiter hat allerdings die Möglichkeit, über sein Smartphone sämtliche lokalen Werte an sein individuelles Wohlbefinden anzupassen.

Das Gebäude erlaubt eine vollständige Modularität im Raster von 1,35 m. Für größtmögliche Flexibilität und maximalen Komfort wurde u.a. in jeder Einheit eine Ringleitung entlang der Fassade installiert, an die bei Bedarf zusätzliche Umluftkonvektoren angeschlossen werden können. Zusammen mit einer flexiblen Steuerung der Luftmenge werden kleinere geschlossene Räume sowie

Bild 9 Detail Hauptträger Atriumdach Detail drawing of the main beam of the atrium roof

Bild 10 Nebenträger Untergurt Anschluss Secondary girder bottom chord connection

Bild 11 Hauptträger Obergurt Anschluss zum Randträger Main girder top chord connection to edge girder

Besprechungsräume stets angenehm temperiert und erlauben lange Aufenthaltszeiten.

Da im Projekt unzählige Details im gesamten Planungsteam koordiniert und gelöst werden mussten, war die durchgängige Arbeitsweise mit BIM erfolgsentscheidend.

2 Holz auf der Hütte – Atrium und Loggia

2.1 Atriumdach – Form und Materialität

Mit der Entscheidung zur HolzHybridbauweise wurde schnell ersichtlich, dass die Gebäude auf natürliche Weise

Bild: Buro Happold

Bild 12 Hauptträger Obergurt Anschluss zum Randträger Main girder top chord connection to edge girder

eine hochwertige Arbeitsumgebung bereitstellen. Das Atrium im Zentrum des CarréGebäudes (Bild 7) sollte dabei die zentrale Kommunikationsplattform für die Mitarbeiter:innen bilden und selbst einen Raum zum Verweilen und Wohlfühlen darstellen. Aus diesem Grund wurde vom Architekturbüro Tchoban Voss eine aufregende Treppenlandschaft entworfen, die zentral die Geschosse erschließt. Das Atrium an sich sollte mit einer möglichst leichten Konstruktion aus ETFEFolienkissen überspannt werden.

Im Gegensatz zu einer Verglasung erzeugen die Folienkissen signifikante seitliche Randzugkräfte, die bei der Wahl des Tragwerks berücksichtigt werden müssen. Auch wenn sich die Randzuglasten benachbarter Folienkissen nahezu kurzschließen, muss immer mit einem möglichen Kissenausfall gerechnet werden. Aufgrund der limitierten Gebäudehöhe und einer Spannweite von mindestens 35 m fiel die Wahl auf Fachwerkträger, die mit ihrem gekrümmten Ober und Untergurt die seitliche Silhouette eines Fischs nachahmen (Bilder 8, 9). Dass im Regelfall nur Vertikallasten in das Gebäude weitergeleitet werden, war ein entscheidender Vorteil bei der Auswahl möglicher Dachkonstruktionen. Die Randzuglasten der Folienkissen werden durch starre Träger in Querrichtung aufgenommen und über einen Untergurt in gleicher Richtung kurzgeschlossen. Auf Diagonalen wurde in Sekundärspannrichtung bewusst verzichtet. Bei der Materialwahl hat man, wie im gesamten Gebäude, auf den sinnvollen ökologischen Einsatz geachtet. Während für die Obergurte mit hauptsächlich Druck und Biegekräften die Fortführung der Holzbinder ideal war, wurden die Untergurte, Vertikalen und Diagonalen aus Stahlrohren gefertigt (Bild 14). Die um 60° verschränkte Richtung der Primärund Sekundärfachwerke entstand eher zufällig durch ein Verschränken des Skizzenpapiers in der Denkfabrik („Das sieht doch besser aus“). Im Grundriss entstehen so viele kleine Diamanten, die dem Dach seinen Charakter geben.

Eine ideale Kissenspannweite von ca. 4,50 m bestimmte den ungefähren Abstand der Fachwerkbinder. Die Kissen werden als langer Schlauch zwischen die Obergurte der Haupttragrichtung gespannt und bauchen mit 15–20% aus. Die Obergurte der Sekundärspannrichtung mussten

Bild: Buro Happold

Bild 13 Nebenträger Obergurt Anschluss zu Hauptträger Obergurt Secondary girder top chord connection to main girder top chord

Bild: Ilya Ivanov/Tchoban Voss Architekten

Bild 14 Atriumdach mit ETFE-Folienkissen Atrium roof with ETFE foil cushions

daher höhenversetzt unter die Primärträger angeordnet werden. Die notwendige Höhe der Primärobergurte ergab sich somit nicht allein aus statischen Anforderungen, sondern musste auch eng mit der Kissenkonstruktion abgestimmt werden. Die Krümmung der Fachwerkobergurte wurde wiederum von der maximal möglichen Gebäudehöhe bestimmt, die am Hochpunkt inkl. der Klemmkonstruktion und des Kissenstichs nicht überschritten werden durfte. Die Krümmung der Untergurte und somit die Stichhöhe der Fachwerke wurde wiederum mittels Parameterstudie optimiert.

Aufgrund des geringen Gesamtgewichts des Dachs von ca. 45 kg/m2 muss mit abhebenden Kräften aus Windsog gerechnet werden. Mögliche vorgespannte Konstruktionen wurden zwar untersucht, nicht zuletzt aufgrund der größeren erforderlichen Holzbinderquerschnitte jedoch wieder verworfen. Diese hätten den Lichteinfall bei tiefer stehender Sonne gerade in den kälteren Jahreszeiten stark gemindert. Stattdessen wurden drucksteife Rundrohre gewählt, die mit eleganten Verbindungen ein passendes Ensemble im Fischbauträger schaffen (Bild 10).

Die Fachwerkträger werden von einem umlaufenden versteckten Hohlprofil getragen, welches aufgeständert über regelmäßige Stützen die Lasten in die HolzHybriddecken abgibt. Auch hier musste auf abhebende Kräfte geachtet werden. Nur durch ein ausgeklügeltes Verzahnungssystem zwischen den HolzHybriddecken konnten die Windsogkräfte des 1600 m2 großen Atriumdachs mit ausrechend Gegengewicht belegt werden (Bilder 11, 12).

Ein besonderes Anliegen war es, sämtliche Verbindungen in den Holzbindern unsichtbar auszubilden. Bereits in den ersten Konzeptskizzen sah man innenliegende geschlitzte Stahlbleche mit Steckbolzen vor, die über einen Holzstopfen verborgen wurden. Durch nachträgliches Anschleifen der Stopfen ist kaum mehr zu erkennen, wie sich die Binder zusammensetzen. Aufgrund der verschränkten Spannrichtungen und des schiefwinkligen Grundrisses des Atriums ist jede Verbindung ein geometrisches Unikat (Bild 13).

Bild 15 Loggia in 3D-Ansicht Loggia in 3D view

Wie bereits eingangs erwähnt, stellt die notwendige Stärke der Betondeckschicht aller HolzBetonverbunddecken eine bauphysikalische Notwendigkeit dar. Im zweigeschossigen Bereich der Loggia/Terrasse, welche sich im nördlichen Abschnitt des 5. OG befindet, werden diese Anforderungen nicht gestellt, und so hat man beschlossen, die Überdachung als reinen Holzbau auszubilden (Bilder 15, 16).

Brettsperrholzplatten mit einer Plattenstärke von 15 cm wurden im Grundriss versetzt auf Brettschichtholzbindern angeordnet. Diese bilden mit ihrem Nagelbild eine starre Deckenscheibe, welche mit einfachen Stahlwinkeln zwischen die Stahlbetontreppenhauskerne östlich und westlich gespannt wurde. Vertikal liegen die Platten auf Sekundärträgern aus Brettschichtholz, welche wiederum zwischen Primärträgern im Abstand von 5,4 m spannen. Die Primärträger überspannen die Loggia stützenfrei und kragen über die Terrasse vollständig aus. Die Holzstützen in der Fassadenebene zwischen Loggia und Terrasse werden unsichtbar in der Decke über dem 5. OG durch starke Stahlkastenprofile in Holzbalkenform abgefangen.

Die Höhe der Primärbinder von 1,50 m wurde gewählt, um der Haustechnik unter der Brettsperrholzdecke eine Kernbohrzone von 40 cm Höhe zu ermöglichen. Wegfallende Verbundnägel wurden dabei durch Winkelverbinder vorsorglich ersetzt. Über der Fassadenstütze zur Terrasse hätte die verbleibende statische Höhe von 1,10 m nicht ausgereicht, sodass die Kernbohrbereiche genau vorgegeben werden mussten. Um die Fassadenstütze am Kopf nicht aufweiten zu müssen, wurde der Primärträger im Auflagerbereich umfangreich verstärkt.

Die unterschiedlichen Nutzklassen zwischen dem temperierten Bereich der Loggia und der frei bewitterten Terrasse wurden dabei genauso berücksichtigt wie möglicher Schlagregen gegen die sichtbare Stirnseite der Primärbinder. Die österreichischen Kollegen von CREE haben ein Opferholz vorgeschlagen, welches vor dem eigentlich tragenden Holzquerschnitt angebracht wurde. So wurden Holzoptik und Materialsprache zum offenen Vorplatz hinausgetragen.

2.3 Keepin‘ it cool – aktive und passive Maßnahmen sorgen für optimale Aufenthaltsqualität

Eine Vielzahl von Technologien stellt die hohe Aufenthaltsqualität im Atrium sowie auf den Treehouses und der Loggia sicher. Für die Kühlung des großen, zusammenhängenden Raums wurden nicht weniger als sechs unterschiedliche Methoden verwendet. Zum einen kann der befahrbare Estrich sowohl zu Heizzwecken als auch zur Kühlung verwendet werden. Zum anderen führen Kühltürme im Atrium sowie Weitwurfdüsen an den Wänden um das Atrium herum zusätzliche Kühlleistung auf

Bild 16 Loggia im 5. OG des Carré-Gebäudes Loggia on the 5th floor of the Carré building

die 1600 m2 große Fläche. Auf den Treehouses sorgen Quellluftauslässe für einen ruhigen Strom an konditionierter Frischluft. In der Loggia im 5. OG ist durch die aufsteigende Thermik mit den höchsten Temperaturen im Sommer zu rechnen. Damit die Personen sich auch dort wohl fühlen, wird der Raum sowohl durch den Estrich als auch durch die hybriden Heiz und Kühlsegel temperiert.

Die abzuführende Kühllast lässt sich auch durch das Atriumdach steuern. Die ETFEFolienkissen sind mit einer sich überlappenden Bedruckung versehen, sodass durch Aufblasen der Kissen mittels Luftzufuhr die Folienschichten im Kissen verschoben werden können. Somit kann die Helligkeit im Atrium gesteuert werden. Das Absenken des gWerts um bis zu 0,1 stellt eine erhebliche Lastreduzierung im Sommer dar, während im Winter möglichst viel Sonnenlicht ins Atrium gelassen werden kann. Des Weiteren kann eine natürliche Luftzirkulation durch Öffnen von seitlichen Dachklappen erzielt werden. Diese wurden sowohl im Norden als auch im Süden des Atriumdachs angebracht, genau in der Hauptwindrichtung am Standort. Der Windzug hilft, die erwärmte aufgestiegene Luft abzusaugen, während über dem Atriumeingang eine natürliche Nachströmung stattfindet.

Aufwendige Energiesimulationen (Computational Fluid Dynamics) haben geholfen, die jeweiligen Bestandteile des Kühlungs und Lüftungssystems optimal aufeinander abzustimmen. Unter Beachtung des Sonnenstands und der Ausrichtung des Gebäudes wurde ein ganzes Jahr in 5minSchritten untersucht. In Vergleichsrechnungen konnte der optimale gWert des Atriumdachs ermittelt werden, bei gleichzeitig höchstem Komfort für die Nutzer:innen und optimaler Nutzung der Ressourcen.

3 Reduzierter CO2-Fußabdruck

Um die Frage zu beantworten, inwieweit die HolzHybridbauweise CO2 einspart, wird das globale Erwärmungspotenzial der Tragkonstruktion des SolitärGebäudes ausgewertet und dem einer klassischen Stahlbetonkonstruk

CO2e * ohne Kellerkasten CO2e mit Kellerkasten

HolzHybrid 68 kg CO2e/m2 133 kg CO2e/m2

Stahlbeton 132 kg CO2e/m2 195 kg CO2e/m2

*) CO2e: CO2-Äquivalente – Maßeinheit, die den Effekt aller Treibhausgase auf das Klima vergleichbar macht

Autorinnen und Autor

Martin Elze Martin.Elze@burohappold.com Buro Happold Pfalzburger Straße 43–44 10717 Berlin

Sabine Müller Sabine.Mueller@burohappold.com Buro Happold Pfalzburger Straße 43–44 10717 Berlin

tion gegenübergestellt. Dazu werden die Bauteildaten aus dem BIMProzess mit der Datenbank ÖKOBAUDAT verknüpft und für die Phasen A1–A3 (Rohstoffbereitstellung, Transport, Herstellung) der Ökobilanz betrachtet (Tab. 1).

Durch die Verwendung der HolzHybridkonstruktion können im oberirdischen Tragwerk des SolitärGebäudes 51% Beton eingespart werden, und im Vergleich zu einer Stahlbetonkonstruktion ist der CO2Fußabdruck um 48% niedriger. Die eingesparten 510 t CO2e entsprechen einem CO2Ausstoß von 110 Mittelklassewagen in einem Jahr.

Der Kellerkasten (inkl. Bodenplatte) hat eine große Auswirkung auf die Ökobilanz des Tragwerks. Durch die leichtere Konstruktion sind das Betonvolumen des Kellerkastens und die Gründung für die HolzHybridkonstruktion etwas geringer. Dennoch sollte grundsätzlich wegen der hohen erforderlichen Betonvolumina bei der Evaluierung der Untergeschosse neben den Kosten stets die Ökobilanz in Betracht gezogen werden.

Um die Ergebnisse der hier angestellten Bilanzierung richtig einordnen zu können, ist eine klare Abgrenzung wichtig. Die durchgeführte Berechnung betrachtet allein die Herstellungsphasen A1–A3 für die tragenden Bauteile. Eine weiterführende Betrachtung bspw. der Nutzungsoder der Entsorgungsphase wird hier nicht abgedeckt. Auch wurden Aspekte wie Bodenaufbauten und Holzfassade nicht mit einbezogen, da diese nicht zur Tragkonstruktion gehören. Bei einer umfassenderen Analyse würde zudem noch der im Holz gebundene Kohlenstoff berücksichtigt werden. Dadurch kann bei der Betrachtung des gesamten Lebenswegs für Holzbauteile aus nachhaltiger und – idealerweise – lokaler Waldbewirtschaftung sogar eine negative CO2Bilanz entstehen.

Um eine Betrachtung des Lebenswegs für alle Materialien künftig durchführen zu können, wurde für das Projekt ein Materialpass auf der globalen OnlinePlattform Madaster erstellt. Madaster ist ein Kataster, welches den zirkulären Einsatz von Produkten und Materialien in der Bauwirtschaft ermöglicht. Durch den Einsatz von BIM konnten alle verbauten Materialien des Projekts EDGE Suedkreuz Berlin auf der OnlinePlattform hochgeladen und für sämtliche Bauträger zugänglich gemacht werden, sodass die Materialien wiederverwertet werden können, statt anonym im Abfall zu landen. Das Projekt EDGE Suedkreuz kann somit als Rohstoffbank künftiger Generationen betrachtet werden.

4 Potenzial: Flexibilität und Zirkularität

Der am Projekt EDGE Suedkreuz erfolgreich umgesetzte modulare HolzHybridbau zeigt einen von mehreren möglichen Wegen für einen nachhaltigen Wandel in der Bauindustrie auf. Die Verknüpfung eines hohen industriellen Vorfertigungsgrads mit dem nachwachsenden Werkstoff Holz wirkt sich positiv auf die graue Energie aus, zeigt aber auch, wie notwendig ein Neudenken der Planungs und Konstruktionsmethoden ist. Dabei mag modulares System und Vorfertigung für viele nach einer Einschränkung im Gestaltungsspielraum klingen, das ist aber nicht der Fall. Die Erfahrung hat gezeigt, wie flexibel die HolzHybridbauweise auf Gestaltungswünsche angepasst werden kann. Zudem sehen die Autor:innen ein großes Potenzial der hier angewendeten Bauweise für das zirkuläre Bauen – denn wir müssen die gebaute Umwelt verstärkt als Ressource für zukünftiges Bauen betrachten.

Literatur

[1] Müller, S.; Scheibstock, P. (2021) CO2Reduktion in der gebauten Umwelt – Von der Formulierung strategischer Leitlinien bis zur Planung und Umsetzung. Bautechnik 98, H. 11, S. 887–895. https://doi.org/10.1002/bate.202100083

Veronica Günther (Korrespondenzautorin) Veronica.Guenther@burohappold.com Buro Happold Pfalzburger Straße 43–44 10717 Berlin

Zitieren Sie diesen Beitrag

Elze, M.; Müller, S.; Günther, V. (2022) Industrielle modulare Konstruktion mit niedrigem CO2Fußabdruck – EDGE Suedkreuz Berlin. Bautechnik 99, H. Sonderheft Holzbau, Ausgabe 2, S. 100–108. https://doi.org/10.1002/bate.202200077

This article is from: