LOST VOICES #12

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â‚Ź 1,50

lost voices Suicidal Summer

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Pray for us. Pray for sunshine. -„Prayer for the Paranoid“ Mojave 3 (britische Folkband)

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Selim Özdogan: Zwischen zwei Sommern Penny Weiss: Long Tall Harry Adam Schwarz: Lungenbühler Matratzen Marcus Mohr: Kein ganzer Mann Urs Böke: Zwischen acht und zwölf Sebastian Wippermann: Ziel / Scheibe Ulrich Kersten: Curly Wurly Eric Ahrens: Game Over Simone Haverland: In engen Jeans Kai Kraus: Die Blutsäufer

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STORIES & POETRY

INTERVIEWS Donald Ray Pollock – Greetings from Knockemstiff James Frey – Both Sides of a Story Matthew Stokoe – Sex & Drugs & Lovely Violence

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AL EMPFIEHLT

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LV‘s

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All images in this issue incl. cover by Mark Jenkins. More infos at www.xmarkjenkinsx.com

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Herausgeber: Marc Mrosk, Kontakt: ElVau@gmx.de

Alle Rechte der hier aufgeführten Werke liegen bei den jeweiligen Autoren, Fotografen/ Künstlern. All stories, poems and pictures in this magazine are owned by the writers and artist named in this issue.

alle Ausgaben online unter www.issuu.com/elvau

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ZWISCHEN DEN SOMMERN von Selim Özdogan Manchmal sitzt du zu Hause, und nicht nur dein Zimmer, sondern die ganze Welt erscheint so dunkel, dass du genauso gut ein Astronaut sein könntest. Vielleicht wundert sich eine Stimme, die aus den Boxen klingt: Wie können sie nur glauben, sie wüssten, wie ich mich fühle, wenn sie sie sind und der Einzige weit und breit, der ich ist, bin ich. Du weißt nicht mehr, wie es ist, von befriedigter Lust gelähmt im nachlassenden Gestank des Sommers vor Schweiß und Gesundheit glänzend dazuliegen. Aber du weißt: Wenn alles, was wie Liebe aussieht, wirklich Liebe wäre, dann lebten wir in einer anderen Welt. Selbst den trüben Tage würden Sonnenstrahlen folgen. Du weißt, dass du immer versucht hast, dir eine Wundsalbe und einen Verband zu schreiben. Du weißt, dass früher der Schmerz größer war, aber die Verletzungen heute tiefer gehen. Viel tiefer. Aber du weißt nicht, wie du das irgendjemandem erklären kannst. Wenn du jetzt solche Dinge schreibst, werden die Leute möglicherweise glauben, es ginge dir im Moment schlecht. Und selbst wenn dem so wäre – was würde es ändern, dass es irgendjemand erfährt? Und gleichzeitig weißt du, dass man es auch als gutes Omen sehen kann, wenn der erste Text des Jahres ohne Rücksicht auf irgendetwas geschrieben ist. Alles, worum ich bitte, ist die Chance, zu schreiben, und um einen Freund oder zwei, damit meine Ratlosigkeit aufhört. Bring mir Frieden. Mach einen wertvollen Menschen aus mir. Gott, gib, dass die Tasten klappern beim Schreiben. Sei gut zu mir, denn ich bin einsam.

Kolumne aus Selim‘s Buch „Passen die Schuhe, vergisst man die Füße“. Erschienen im Asphalt & Anders Verlag. Mehr auf Seite 24.

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LONG TALL HARRY von Penny Weiss Ich war 13 als ich mir das erste Mal vorstellte, wie es wäre, jemanden umzubringen. Das soll nicht heißen, dass bei dem Gedanken einem Menschen das Leben zu nehmen irgendwelche innerlichen Triebe bei mir gestillt wurden. Es war nur so ein Interesse. Eine Neugier, wie es wäre eine Grenze zu überschreiten. Einen Ort zu besuchen, von dem aus es kein zurück mehr gäbe. Eine andere Vorstellung war die, wie es sich anfühlen würde eine Hure zu sein. Das klingt vielleicht makaber, aber ich schätze, ich bin nicht das einzige Mädchen, das derartige Fantasien hat. Meine beste Freundin zur damaligen Zeit war Mary-Beth. Sie war ein halbes Jahr älter als ich und mindestens genauso so verrückt im Kopf. Wir saßen oft nicht weit weg von den kleinen Farmhäusern in der Nähe der Hügel, von wo aus sich die grünen Felder bis nach Kanada hinzuziehen schien und rauchten Zigaretten und blätterten Teeniemagazine durch. Eines Tages küssten wir uns und rieben uns gegenseitig die Brüste. Das war alles andere als erregend und selbst für ein Geheimnis, dass uns noch in 40 Jahren die Schamröte ins Gesicht treiben würde, wäre es zu bescheuert. Wir dachten uns ständig Blödsinn aus, meistens ging es darum kleine Spinnen oder Kaninchenkot in irgendwelchen Briefkästen zu werfen, damit sich die Leute die Seele aus dem Leib schreien würden, wenn sie die Post holen. Meistens allerdings saßen wir nur einfach da und ließen die Zeit vergehen. Irgendwann nahmen wir den Bus und gingen den Rest zu Fuß bis zur Interstate. Dort wollten wir Nutte spielen. Es war heiß an diesem Tag, mindestens 40 Grad im Schatten. Wir suchten uns einen Platz südlicher vom bekannten Strich, wo wir die einzigen Mädchen waren, die auf Kundschaft, oder überhaupt auf etwas warteten. Man sah die Huren überall am Straßenrand weiter nördlich, aber hier gab es nur uns. Wir benahmen uns merkwürdig. Ich sehe uns wie Pinguine, die versuchen aus der Wüste zu fliegen. Wie sind sie dahin gekommen und wissen sie nicht, dass sie nicht fliegen können? Dumme Kreaturen, gefangen in einer Illusion. Mary-Beth zog ihren Rock über die Knie, so dass man fast ihr Höschen sehen konnte, aber gleichzeitig gab sie sich so schüchtern, dass man entweder sofort sah, dass sie es nicht ernst meinte, oder dass es sich bei ihr um eine blutige Anfängerin handeln müsse. Ich wackelte ein wenig mit dem Kopf und zog die Augenbrauen bei einigen Autofahrern hoch, was total lächerlich ausgesehen haben muss. Nach knapp sieben oder acht Minuten fuhr ein dunkel-brauner viertüriger 84er Pontiac Station Wagon rechts ran. Das Seitenfenster wurde runtergekurbelt und ein Typ so um die 40, lehnte sich rüber und bat uns mitzufahren. Er verlor nicht viele Worte, wollte wahrscheinlich auch nicht gerade dabei gesehen werden, wie er zwei minderjährige Mädchen in sein Auto steigen lässt. Mary-Beth stieg hinten ein und ich vorn. Ich blickte die Straße hinunter, wie sie unter uns Stück um Stück verschwand und blieb stumm. Ich konnte Mary-Beths Atmen hören, der mir verriet, dass sie langsam ganz schön Panik bekam. In diesen Minuten schien uns endlich klar zu werden, was wir getan hatten. Ohne zwei Sekunden drüber nachzudenken, stiegen wir ein, als ob es das Natürlichste der Welt wäre. Meine Hände wurden feucht, die Wärme im Wagen wurde immer unerträglicher. „Was macht ihr denn so?“ sagte der Typ und riss mich aus meinem Gedankenspiel heraus. Es war gar nicht so einfach eine Antwort auf diese Frage zu geben. Er stellte sich als Harry vor und 5 machte Witze über seinen Namen. „Man nennt mich auch Long Tall Harry. Versteht ihr, wie in dem Lied.“ Ich verstand das Wortspiel, fand es aber nicht sonderlich originell


oder erheiternd. Also, was machten wir so? Er kam auf die Frage zurück und meine Beine begannen zu zittern. Ich wusste er wollte darauf hinaus, wie wir vorhatten uns von ihm bumsen zu lassen, doch der Gedanke daran trieb mich schon fast in den Wahnsinn. Ich wollte nur noch aus Harrys Auto raus und ich wusste, Mary-Beth ging es genauso. Wir waren keine kessen Mädchen. Wir waren dumme Landhühner. Ich bemerkte Marys nervöses Hin und Her auf dem Rücksitz. Wahrscheinlich überlegte sie sich in diesem Moment, das Fenster zu öffnen und raus zuspringen. Wir hätten jede Wunde verdient gehabt. Harry muss uns am Anfang der Fahrt gefragt haben, wo es hingehen soll. Mir war nicht mehr ganz klar, was ich darauf geantwortet hatte. Ich glaube, es war ein schüchternes „Geradeaus“ mit dem Blick stets durch die Windschutzscheibe gerichtet und genau dort fuhren wir hin. Mary-Beth war diejenige, die der ganzen Farce ein Ende gesetzt hat. „Mit ist schlecht“, platzte es aus ihr heraus. „Halt verdammt noch mal an“, schrie ich Harry an und der trat tatsächlich sofort auf die Bremse. Ich sprang aus dem Wagen, holte Mary-Beth vom Rücksitz und zerrte sie die Wiese, neben der Landstraße hoch. Sie kotzte und ich zog sie weiter hinter mir her. Sie flehte mich an endlich stehen zu bleiben, aber ich ließ sie nicht los und so rannten wir immer weiter. Nach ein paar Minuten schlug sie meinen Arm weg, blieb schwer atmend stehen und heulte drauf los. Ihr Kleid hatte ihr Erbrochenes abgekriegt und war am Anzeige Rücken und an den Achseln vom Schweiß nass geworden. Sie sah aus, als wäre die gute Mary-Beth einen Zehn-Stunden Marathon gelaufen. Meine Augen tränten und ich zitterte am ganzen Leib. Sie tat mir so leid und auch ich tat mir leid. Ohne Selbstmitleid ging es nun mal nicht. Harry war verschwunden. Sein Station Wagen fuhr wieder irgendwo auf der Interstate. Eine Hure zu sein bedeutet doch nichts, sagte ich mir. Wir waren nicht geschaffen für eine derartige Erfahrung. Wir saßen noch eine halbe Stunde auf dem Rasen herum und sahen auf zu den Wassertürmen und den Vögeln am Himmel. Autos fuhren über die Interstate und wir beide hofften, dass niemand anhalten würde, um sich nach uns zu erkundigen. „Wir müssen zurückgehen“, sagte Mary-Beth. Ich nahm sie in den Arm. Ihre Worte waren so weich geworden und nichts in ihrer Stimme klang nach Erhabenheit. Sie war gebrochen für diesen Tag und ich war es auch. Ich dachte an Harry und seinen hässlichen Wagen. Wer war er? Handelte es sich bei Long Tall Harry überhaupt um einen Mann, der sich an jungen Mädchen und Jungs vergreift? Ich könnte zur Polizei gehen, ihnen den Wagen beschreiben und dadurch in Erfahrung bringen, ob es im Zusammenhang mit seinem Fahrzeug schon mal einen Entführungsfall gegeben hat. Aber die Cops würden Fragen stellen und im Lügen war ich nie sehr gut. Ich hielt meistens die Klappe, um der Wahrheit zu entgehen. Was wäre, wenn sich Harry in diesem Moment ein anderes Mädchen schnappt und sie vergewaltigt? Wären wir dann daran schuld? Vielleicht wollte er ja nur freundlich sein und uns helfen. Er ist bestimmt ein guter Mensch. Ein Familienvater mit drei Kindern, der jeden Tag über 50 Meilen mit seinem hässlichen Pontiac zurücklegt, nur um ihnen das Haus finanzieren zu können, dass sie sich alle immer so gewünscht haben. Ein guter Mensch, dieser Harry. Ich wünschte mein Vater wäre so gewesen. Mary-Beth spuckte auf ihre Finger und rieb sich das Erbrochenen vom Kleid, so gut es ging.

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„Meine Mutter wird fragen, wo das her kommt.“ „Sag ihr, wir hätten wild herumgespielt und vorher Hotdogs gegessen.“ Sie sagte nichts mehr und rieb sich die Kotze vom Kleid. Wir ließen das Thema auf sich beruhen. Ich habe seit diesem Tag nichts mehr von Harry oder seinem Auto gehört oder gesehen. Mary-Beth und ich hatten einen Fußmarsch von fünf Meilen bis zur Busstation vor uns. Gründe Felder, blauer Himmel und erste graue Wolken zogen am Horizont auf. „Lass uns über die Felder gehen“, sagte ich und nahm Mary-Beth an der Hand. Ich hatte Angst davor, dass irgendwann ein Auto neben uns halten würde, um uns mitzunehmen. In der Einfahrt am Waldrand standen drei Pick-Ups. Ich schaute herüber und dachte, ich hörte das Echo der Schüsse zwischen den Bäumen, doch es blieb still. Das Töten der Jäger blieb im Verborgenen, so wie unsere Geschichte. Weder Mary-Beth, noch ich sprachen je wieder von Long Tall Harry. Unser langer Fußmarsch war eine Art Absolution, die wir uns selbst erteilt hatten. Abends saß ich mit meiner Mutter am Esstisch in der Küche. Es gab Kartoffelbrei und Schweineschnitzel. Wir sprachen nicht viel mit einander. Ich musste an meinen Vater denken, wie er uns eines Tages mitgeteilt hat, dass er verschwinden würde. Er nahm die Route 77 Richtung Texas und verschwand irgendwo am Horizont. Ich dachte an seine Fahrt ins Ungewisse und wie er ganz plötzlich zwei junge Mädchen am Straßenrand erblickt, die ihn um eine Mitfahrgelegenheit bitten. Manche Menschen sind Arschlöcher und manche haben einfach nur Pech. In dieser Nacht bekam ich zum allerersten Mal das große Verlangen abzuhauen und meine Erfahrungen woanders zu sammeln. Am nächsten Morgen vor der Schule nahm ich Mary-Beth zur Seite und sagte:“ Hey, mein Schatz. Lass uns von hier verschwinden.“ Sie überlegte kurz und schüttelte den Kopf. Wer weiß, wofür es gut war.

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Rick Demarinis Götterdämmerung in El Paso EUR 13,80, ISBN 978-3-927734-44-9

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LUNGENBÜHLER MATRATZEN von Adam Schwarz Petra Stocker war trotz des Namens Modell. Ihre Familie bestand aus einem Mann und einer Frau, die sie aufgezogen hatten, ihren Eltern, und einem weiteren menschlichen Wesen, das gewöhnlich im Zimmer neben ihr vor sich hinlebte, ihrem Bruder. Gerne würden wir diese Geschichte aus Petras Perspektive berichten. Doch Petra liegt im Koma. Die hellblonden Sommerhaare ruhen auf einem Kopfkissen, das sich nicht an die Zeiten erinnern kann, als die Kopfkissen voll Läuse zu sein pflegten. Sie schaut friedlich aus, sagt der Vater. Er nickt, die Mutter ebenfalls, der Bruder kaut Kaugummi. Eine Schande. – Ja, eine Schande. Der Arzt kommt, berichtet, und geht wieder. Man weiß wenig, gar nicht eigentlich. So was kann lange dauern. Die Medizin gerät an Grenzen. Wir wollen das Beste hoffen. Ja. Das Beste. Sie war so kurz vor dem Durchbruch, sagt die Mutter. Morgen hätte sie einen Termin bei Melinda Industries gehabt. – Hirnblutung. In dem Alter. Der Vater tastet beim Sprechen mit der rechten Hand seine linke muskulöse Schulter ab. Petra liegt immer noch im Bett. Wohin sollte sie sonst gehen. Dem Zimmer mangeln die Worte, die Familie kann sie nicht liefern, von draussen strömen abendliche Rasenmähergeräusche hinein, es ist Sommer, der Sommer, in dem Petra einundzwanzig geworden wäre. Der Vater bricht in Tränen aus, die Mutter tätschelt ihm die Schulter. Ich mag mich noch gut daran erinnern, sagt er. Ihr erster Auftrag. Wie sie auf der Matratze unter der dicken Decke lag. Lungenbühler Matratzen, gefüllt mit feinsten Gänsefedern. – Wir glaubten, es hätte keine Bedeutung. Es wäre nur eine Phase, sagt die Mutter. Und jetzt ist sie beinahe berühmt. Mutter hat sie neulich in der Joghurtwerbung gesehen. Ich mag keinen Joghurt, sagt der Bruder. Die Eltern ohrfeigen ihn mit Blicken. Der Bruder senkt die Augen auf den graublauen Krankenhausboden. Krankenhausböden bekommen zu wenig Beachtung. –Vielleicht wacht sie nicht wieder auf. Sie sagen es uns nur nicht. Wollen uns nicht beunruhigen. Aber möglich ist es. Der Vater fährt mit langen Fingern durch die Luft. Die Hoffnung schläft nie. Sie war immer eine Kämpferin. Sie ist noch immer aufgewacht. Ja, war sie. War sie, Eva. Was ist sie noch? Der Vater zeigt auf sie. Ist sie das, fragt er. Dann vollführen seine Pupillen ein wildes, kurzes Konzert, eine Idee scheint ihm zu dämmern. – Lungenbühler! Was?, fragt die Mutter. Lungenbühler! Weisst du nicht mehr? Er rief Petra an, nachdem das Foto rausgekommen ist. Sagte, sie wäre das bisher schönste Modell. Hat uns einen Früchtekorb geschickt. Die Früchte schmeckten widerlich, sagt der Bruder. Der Vater streicht sich über die glattrasierte Hautcremehaut, er denkt. Die Mutter weiß nicht, was er denkt. Der Sohn weiß es nicht, das Krankenhaus weiß es nicht, der Park rund ums Krankenhaus scheint gebannt zu schweigen. Dabei ist der Vater sonst nicht von der Art Vater, die am Tischende sitzt, der man zuzuhören hat, die dauernd Fleischstücke zu zerbeissen scheint. Ich schreibe ihm. Er kennt doch ihren Namen nicht mehr. Den Namen nicht. Der Vater zückt sein Smartphone, zielt auf Petras Engelsgesicht, bleich zwar, aber immer noch hübsch, drückt ab. Verrückt, ich habe seine Nummer noch, sagt er und sendet das Bild seiner Tochter über einen Satelliten, der die Erde umkreist, zu 8 Lungenbühler, der gerade in einer Bergbeiz Käsespätzli verzehrt. Was sollte das, fragt


die Mutter. Denk doch mal nach. Das war ihr Traum. Wir werden dafür sorgen, dass ihn wiederfindet, wenn sie aufwacht. Sie kann immer noch modeln. Nicht mehr mit offenen Augen, klar, aber schlafende Modelle braucht’s auch – und sie schläft so schön. Die Mutter sagt nichts. – Wenn sie aufwacht, wird’s sein, als wär nichts gewesen. Ihre Karriere wird nicht unterbrochen worden sein. Berühmt geworden im Schlaf, stellt euch das vor! Der Vater lächelt der Tochter zu. Die Tochter reagiert nicht. Das Herzgerät piepst weiterhin. Der Rasenmäher mäht noch. Die Mutter nickt. Der Sohn zuckt mit den Schultern. Gehen wir heim, sagt sie Mutter. Ich hab noch das Lamm, das ich machen muss.

KEIN GANZER MANN (Marcus Mohr) Da rauch ich schon zwei Schachteln Kippen täglich und kipp zum Kaffee einen 9 mm Automatik Schuss Rum und glätte mir die Ringe unter den Augen mit einem Dampfbügeleisen und esse ausschließlich Mirkowellengerichte aus purem Cholesterin und dusche unter einem Eiswürfelregen und bemühe mich, mit meiner derben chauvinistischen Sprache mein Image zu bestätigen und pule mir mit fabrikneuen Rasierklingen den Dreck untern Fingernägeln weg und lass mir einen Dreitagebart stehen an dem ich Streichhölzer anfackele und geh im klirrend-kaltem Winter mit Muskelshirt vor die Tür und trinke 110-prozentigen Alkohol aus Badewannen und taste mit meiner Zungespitze Steckdosen ab und stochere mir mit Zahnstochern den Morgenmatsch aus meinen Augen und dann wird alles durch eine Tierdokumentation zunichte gemacht, in der sich ein kleiner Elefant ungewollt von seiner Herde entfernt und der Sprecher verrät vorab, dass er nicht überleben wird, weil sich Hyänen und Löwen und Brontosaurier auf ihn stürzen werden und ich spüre harte heiße Tränen, die sich wie Rinnsale an meinen Wangen herunterschlängeln und bin erleichtert.

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ZWISCHEN ACHT UND ZWÖLF (Urs Böke) Zwei Stunden im Wartebereich N verbracht nachdenkend darüber wer hier überhaupt Arbeit will und über Kuhfladen in die man tritt in Künzelsau Nachgedacht ohne Regung ohne Hirn das geht alles ganz einfach im Wartebereich N da sitzen genug um eine Galeere zu füllen ein Spinner der den Takt schlagen will wird selber geschlagen hier sind alle gleich Eine Einarmige zieht ihren Rotz in den Mund ein anderer bietet Taschentücher und bekommt keines davon los ein Teenager ist darum bemüht seinen Steifen zu kaschieren (bloß einen Arm am Frauenkörper das macht ihn so geil) und die Türen gehen auf und zu im Stakkato Rhythmus einer entsicherten Luger hier ist es so still als wär die Schlacht vorbei das Blut vergossen Hier im Obergeschoß enden Kriege nie höchstens Gefechte hier geht es darum wer nach unten treten darf wer bleibt auf der Strecke wer hat kein Abitur hier ist es wichtig Kontakte zu pflegen Was dir nicht reicht erhältst du nie wieder Arbeitsämter haben immer nur dann geöffnet wenn die Trinker noch schlafen wer ist spät dran wer will erstmal einen Schluck es ist genug da Nachgedacht ohne Regung ohne Hirn vier mißratene Stunden im Asphalt einer längst tagelöhnenden Stadt hier bist du eingekreist von Suchscheinwerfern wer bezieht was ihm nicht zusteht hier kommst du nicht mehr raus sobald es nach 4 ist töte eine Putzfrau und gib dich aus als eine aus der Kolonne das ist dein einziger Fluchtpunkt inhaftiert im Bau der Menschenjäger im Bau aus Papierkrieg Arbeit macht frei.

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ZIEL / SCHEIBE (Sebastian Wippermann) Wir haben noch drei Tage Zeit bis wir aus der Wohnung raus sein müssen wir haben noch drei Jahre Zeit um einen Baum zu pflanzen um ein Kind zu zeugen um ein Haus zu bauen Und wir haben kein Mädchen keinen Mörtel und alle Kerne ausgespuckt Wir haben ein paar Organe im Pfandhaus in den Schaufenstern mit überklebten Preisschildern und n paar Adressen in der vierten Dimension und wir haben Rechte, das sagt zumindest der Gerichtsvollzieher auch wenn er uns dabei nicht in die Augen schaut und wir haben noch zwei Stunden Zeit bis der Wecker klingelt das reicht nicht um fit zu werden aber es reicht für ein paar gute Träume es reicht für den Moment

CURLY WURLY (Ulrich Kersten) mit kreisender Hand wischt sie die Tische ab, die Hoffnungen des Tages in ihre Schürze und die Tränen aus ihrem Gesicht Das kommt von der Allergie, sagt sie, welche sagt sie nicht, sie hat es eilig, es ist gleich Feierabend, man sieht es ihr an die letzte Begegnung ist Jahre her, ihre Locken noch genauso eingedreht wie beim letzten Mal, nur heute kommt die Spannkraft aus der Tube, Senf und Ketchup auch, am Bratwurststand neben dem sie die Tische wischt, die so fleckig sind wie das Denkmal daneben, Luther, den Kopf voll Taubenscheiße, innen wie außen Wir müssen mal einen Kaffee trinken, sagt sie, Ja, sage ich, Ja

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GAME OVER (Eric Ahrens) Alle Diktatoren wurden gestürzt, verbrannt und ins Meer geworfen. Jede Krankheit ist geheilt. Alle Wunden sind genäht und der Natur hat man eine neue grüne Lunge implantiert. Alle schiefen Töne wurden geglättet. Schlechte Gefühle, wie Angst, Hass, Neid & Gier sind verpufft ein Flashmob Selbstmordattentäter. Alle Knoten wurden gelöst, alle Fernsehgeräte abgeschaltet und alle Völker haben sich auf eine gemeinsame Sprache geeinigt. Der Kapitalismus hat erfolgreich versagt Und die Religion ist nachgezogen. Wir haben alles auf einen gemeinsamen Nenner gebracht und keiner stellt mehr irgendwelche Fragen. IN ENGEN JEANS Stolz klopfen wir uns den Staub von den Knien (Simone Haverland) und stemmen zufrieden die Hände in die Hüfte. Und was nun? Eine entzauberte Gesellschaft Wir warten. einzelner Ichs Auf ein Knacken im Geäst, in neonbeleuchteten einen Punkt am Horizont, Treppenaufgängen der bedrohlich näher rückt. steht Wir hören genau hin. lehnt Doch da ist nur unser Atem. wartet Unser pochendes Herz, auf die letzte das langsam nervös wird. Abfahrt zur Nacht Bier in der tätowierten Hand Kippe im dunkellila Mundwinkel alle Hände voll zu tun sich zu verschwenden an die nächste Sehnsucht in Gestalt einer Frau zu jung um schön zu sein hell wach sich in die Nacht verbraucht Anzeige

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DIE BLUTSÄUFER (Kai Kraus) Die Blutsäufer Wir müssen jetzt ganz leise sein Nervöse Phrasen an den eigenen Anrufbeantworter Gebete an den Teufel Geistesblitze aus den Bars und Gassen Die Blutsäufer leben unerkannt Die meiste Zeit zumindest

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Zerrissen, die Seele Spritzt an die Wände Bis nichts mehr übrig bleibt Außer den Fetzen an unseren Mäulern Wir lecken uns die bebenden Lippen Und die Nacht umschlingt uns Wie eine verloren gegangene Mutter Deren graue, borstige Strähnen Uns übers Gesicht fallen Alles wird langsam Alles wird Schweigen.

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Greetings from

Interview with Donald Ray Pollock

Photo by Patsy Pollock

Most of us never heard of it leave alone visited it. It‘s somewhere in Ohio. But when you read Pollocks novels it seems like you‘ve always been there and always will be. Great storytelling by one of the most promising writers these days. Donald Ray Pollock gives us a brief look inside his mind…

LV: Where did you find your characters for The Devil All the Time, especially Arvin Russell? DRP: At the risk of sounding like a simpleton, I really can't answer that question. I mean, I know they come from my imagination, but I can't explain how or why that happens. I just keep typing and hope to be surprised. That's one of the mysteries of the creative process, at least for me. LV: When I read The Devil All the Time, it really knocked me off the chair. How would you describe the process of writing the book? When did it start in your head? DRP: At first, I was just going to write a novel about two serial killers, but then decided that I needed a more sympathetic character to hold the book together, and that's when I came up with Arvin. The only thing I knew for certain is that they had to meet up eventually. I began by writing a very sloppy first draft, just to have something to work with, and several of the other characters, such as Roy and Theodore, came about during later revisions. 14 I work slow, so it took me approximately two years to put it together.


LV: Was it a long way to have The Devil All the Time published or did they like it instantly? DRP: Doubleday was on board immediately, so that was a big relief! I was afraid they weren't going to like it. LV: I think you created one of the most memorable characters in books in the past years. Are you expecting Hollywood producers to knock on your door soon to turn The Devil All the Time into a movie? DRP: Well, I hope, like most writers, that someone will decide to turn the book into a movie, and I really do think it would be a great one in the right hands, definitely better than most of the stuff Hollywood puts out these days (My God, they just came out with another Men in Black sequel!). There have been a few queries, but nothing definite yet. Then again, perhaps the producer/director will come from some other place, like Germany or New York. I'll keep my fingers crossed! LV: After you dropped out of school when you were 17, you spent over 30 years working in a paper mill before you took classes again. What was the turning point for you to go back to school after all those years? DRP: I actually got a BA in English when I was in my thirties, going to college part-time while working at the mill. As for graduate school, truthfully, I went when I was fifty because it looked like the best way for me to finally break away from the paper mill. Ohio State University was going to give me a stipend for three years and the chance to be around other people who wanted to write. With that said, I don't believe a person needs to go to college or graduate school to learn how to write. It really comes down to reading and writing every day and sticking with it. LV: When did you start writing stories? DRP: I was forty-five years old when I decided to try to learn how to write. I guess I was going through what's called a mid-life crisis, thinking I needed to do something else with the rest of my life. Around that time, I read an article about William Gay, the American novelist. He was a carpenter and drywall hanger who managed to publish his first book, a fantastic novel called The Long Home, at age fifty. His story played a big part in my decision to give writing a shot. LV: How inspiring are places like Knockemstiff (the title of your first book and your place of birth or Chillicothe (both in Ohio) for your writing? DRP: As a writer once said, "Nothing happens nowhere." I think place is very important in fiction. Too, the area I write about in southern Ohio is the only place I've ever lived, so it's really all I know. LV: Which books have fascinated you? DRP: If I had to name the top five books that continually fascinate me, I'd have to say Flannery O'Conner's Collected Stories, Cormac McCarthy's Child Of God, William Goyen's House of Breath, James Wright's Collected Poems, and Paul Fussell's The Great War and Modern Memory. 15


LV: Your stories deal with violence, religion, and the dark side of love. Have those things always been a part of you growing up? DRP: I grew up in Knockemstiff, Ohio, which had a reputation for being a rough place, at least back in the 1960's. So I saw quite a few fistfights, a couple of stabbings, and I guess because I was a kid, those things made a lasting impression on me. As for religion, my parents didn't attend church, but a lot of people I grew up with were fundamentalists, in that they believed literally in the Bible, which can produce some strange ideas and behaviors at times. The dark side of love? I think you can find that, like violence and religion, almost everywhere you look. Sometimes it boggles the mind as to what people will put up with in the name of love. LV: What is coming up next for you? Are you working on a new book at the moment? If so, can you tell us a bit about it? DRP: I'm working on another novel. Like my first two books, it is set mostly in southern Ohio, but I'm going further back in time a bit, to the year 1918. I don't want to jinx myself, so that's really all I can say about it at the moment. Thanks, Donald!

DAS HANDWERK DES TEUFELS (Gebunden) Erschienen im Liebeskind Verlag. 302 Seiten, 19,80 Euro ISBN: 978-3935890854 KNOCKEMSTIFF (TB) (Englisch) Erschienen bei Vintage. 224 Seiten, 11,20 Euro ISBN: 978-0099520979

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BOTH SIDES OF A STORY Interview with James Frey

LV: Do you enjoy interviews? JF: No, not really.

James Frey created characters who will follow you everywhere. His stories have opened mayn doors in many minds and hearts. His novel „A Million Little Pieces“ discribes his years as an alcoholic and drug abuser and started a big controversy about if it‘s true or fictitious. However. His book „Bright Shiny Morning“ is an Los Angeles epic that was so honest, even though it was fiction. James Frey is willing to take risks. His fictitious truth is sometimes very hard - still his true fiction is simply great. Here‘s Mr. Photo by Terry Richardson Frey…

LV: Most stupidest question you’ve ever been asked? JF: Not sure. Like trying to rank the best meal I’ve ever eaten or the best book I’ve ever read. There have been many, too many to choose just one. LV: With “Bright Shiny Morning” you created a real Los Angeles epic. What is your fascination about this city? JF: I love LA. It’s this vast crazy beautiful horrible unreal amazing place. It’s the cultural capital of the world, and the city that I feel is most representative of the United States. Nobody 17 had ever written a vast, highly ambitious novel about it, even though it is a city of massive myth and importance. I didn’t feel like anyone had tried to write a vast, ambitious, comprehensive book about it, so I gave it a shot.


LV: I’m sorry for bringing it up and probably have heard it a “million little times” but did the whole controversy about the authenticity of “Million Little Pieces” changed your way of writing a story? JF: No, not at all. LV: Your characters in “Bright Shiny Morning” are coming from all kinds of social classes. Where do you see your own roots? JF: Three of my four grandparents were immigrants. Two came from France, one from Denmark. I grew up in Cleveland, a working class city. My father was lawyer who worked hard and did well. I don’t really feel like I fit into any class. And being part of one doesn’t mean anything to me. LV: After writing two scripts for movies in 1998, your first novel was published when you were in your early 30s in 2003. How would you describe these years when you look back now? JF: They were fun, cool. I was writing movies for money while I was trying to learn how to write books. I made a ton of friends and found a place that, even though I don’t live there anymore, I consider home, and where I find some level of peace and happiness. LV: I must admit I haven’t read “The Final Testament of the Holy Bible”yet but I’m going to very soon. If I loved “Million Little Pieces” and “Bright Shiny Morning” will I love this book as well? JF: Yes, I think you will. It’s probably a better, more ambitious book than either of the other two. And technically much more difficult to write. I’ve thought about never writing another book because I’m not sure I can write one better than the Final Testament. LV: While a lot of people in show business try to keep their addiction a secret, writers tense to talk or better write about it and make it public. Are writers mostly nothing but lost souls who use the words to tame their crazy minds? JF: Maybe, though I didn’t write AMLP for those reasons. I wanted to write a radical, controversial, highly offensive worth of literary art that touch people in real and profound ways. LV: Was the decision to become a writer one of your most wisest choices you made in life? JF: Either the wisest or most foolish, but I can’t imagine doing anything else. LV: A young unknown writer comes up to you on the street and asks you to read his novel. Would you take it? JF: Yes.

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LV: Give me your five favorite authors. JF: I’ll give you nine, in no particular order: Henry Miller, Baudelaire, Herman Hesse, Neal Stephenson, Bret Easton Ellis, Norman Mailer, Alexandre Dumas, Jack Kerouac, Rimbaud. LV: You live with your family in New York. Would you say it’s a better place to live than L.A. or just a better place to write? JF: Neither one. I prefer LA. My wife is from New York, which is why we live there. I don’t really ever write in NY. We have a house in a small town at the end of Long Island where I do almost all of my writing. LV: What’s coming up next for you? JF: I’m writing a show for HBO about the pornography business. It’s a one hour dramatic series, doing it with Mark Wahlberg and Steve Levinson. Thanks, James!

DAS LETZTE TESTAMENT DER HEILIGEN SCHRIFT Haffmans & Tolkemitt Verlag, 448 Seiten, 19,95 Euro ISBN: 978-3942989046 STRAHLEND SCHÖNER MORGEN List Taschenbuch, 590 Seiten, 9,95 Euro ISBN: 978-3548609997 TAUSEND KLEINE SCHERBEN Goldmann Verlag, 507 Seiten Leider nur noch gebraucht erhältlich! ISBN: 978-3442153442

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Sex & Drugs & Lovely violence AN INTERVIEW WITH MATTHEW STOKOE

Photo by Andrea Libonati

When you read Matthew Stokoe, you get a little extra…a kill is not just a kill, sex is not just sex and L.A. turns from a touristic spot with tons of golden plastic statues, green hills and silver stars on the sidewalk into an urban hell where ruthless people eat souls and hearts, break bones and dreams. It‘s a ride you might not forget. Author Matthew Stokoe talks about his book „High Life“ and a bit about life itself…

LV: Some people might be terrified about Los Angeles after reading your novel „High Life“. Can you still give them a little comfort about the place? MS: All I can say is that the western part of L.A. - Santa Monica, West Hollywood, the Hollywood Hills etc. and all along the coast there, is one of the coolest places I've ever been. One of the surprising things about L.A. (at least the parts I've mentioned) is that it has a lot of lush, green foliage, and this, set against a backdrop of Nouveau, Deco and white-walled, red tiled Spanish-Mission architecture, makes the place quite beautiful. And, of course you have the ocean and Pacific Coast Highway which runs alongside it.... I grew up on a diet of American TV shows and movies and I was also obsessed with the whole L.A./Hollywood/movie thing - not so much the stars, but the history of the city and the film industry - and, I tell you, the first time I set foot in L.A. it did not disappoint. It's no exaggeration to say that I felt like I was in a movie - cops with mirror sunglasses, palm trees, crazy dudes on the streets, girls rollerblading, and the sense that here, more than anywhere else in the world, something amazing might happen to you.... The sense of potential in L.A. is something you can almost smell in the air. 20


LV: Why did you choose L.A. for your story? MS: There is, of course, another side to L.A. It can be a place where abominable things happen. And, financially, now, it's falling apart - cities going bankrupt, huge debt.... It's a place of massive excess and any place where people go desperate to become rich and famous will breed some pretty aberrant behaviour. It was this sort of exaggeration - of wealth, fame, success, failure, sorrow - that drew me to the city as a setting for High Life. And, of course, I wanted to explore the destructive nature of celebrity worship and the need for fame - what better arena then the movie industry? One of my biggest influences as a writer was Raymond Chandler and reading his books was the starting point of my infatuation with California. Even today I can waste hours daydreaming about what it must have been like there in the 1940s. As I wanted to write a kind of neo-noir book, and as I knew I had to have a setting where it would be believable that almost anything could happen (like girls getting raped with jackhammers), I didn't think twice about where to set it - it had to be in Los Angeles. Los Angeles is a kind of totem for greed, for success at any cost. When I lived in London, I looked around me and saw all these people reading gossip magazines and I knew that eventually this constant reiteration in the press that you had to be rich, that you had to be a movie star, that you had to be famous in order to have any worth as a human being, was going to fuck a lot of people up. Guess where all those rich and famous people in the magazines lived....you got it, Los Angeles. LV: Do you have an own shocking L.A. story that has happend to you in real life? MS: A lot of the horror in High Life actually came from my experiences in London. I lived there for a long time and nearly all of it was at a level of society where ignorance, lack of money, violence, and drug addiction was endemic. I wanted to say something about how these things can distort and warp and individual but I didn't want to write about them explicitly and I didn't want to write about Britain. So I took a lot of that experience and filtered it through a Californian/movie lens and put it into High Life. One example that really seemed indicative of the utter ruin a large portion of the population (anywhere in the world) experiences on a daily basis was watching a woman inject heroin while her nine year old son stood by watching and smoking a cigarette. I figured there wasn't going to be a whole lot of sunshine in that kid's life. LV: What was your final decision to become a writer? MS: If I had to pick one point at which I decided, 'wow, I really want to do that', it would probably be when I finished reading Last Exit to Brooklyn by Hubert Selby Jr. Before I read that book I hadn't understood just how powerful and beautiful written language could be.

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LV: Was it hard finding a publisher for a book like „High Life“? MS: Both Cows and High Life took about four or five years to find a publisher after I'd finished them. In fact, Akashic Books, who published High Life, read it, liked it, but thought they couldn't publish it because it was too extreme, and so rejected it. It was only a few months later, when a guy called Henry Flesh, a novelist and the editor of a big New York magazine, told them that they'd be crazy not to go ahead with it that they got back in touch with me and accepted it for publication. Unfortunately, their promotion of the book afterwards was less than stellar, but that's another story.... LV: The fascination about being someone and living on the upper class side of town is for Jack more or less a matter of excistence or non-excistence. Did you meet a lot of characters like him in real life? MS: No. Unfortunately, most of the people I knew at that time were at the other end of the social spectrum. LV: How tempting is wealth and fame in your own life? MS: Very. Although, given the type of books I write I'm unlikely to be invited to Brad Pitt's home or given a check for a million bucks anytime soon. Though, maybe Johnny Depp would be interested.... LV: After all, where did you find your character “Jack”? MS: Silly you.... He's me. LV: What were you last good reads? MS: I just read Stephen King On Writing. I'm not a huge fan of his, but it was interesting to hear that he was an alcoholic and a coke fiend until he was forty - I didn't expect that. I'm reading The Good Life by Jay McInerney right now. I liked some of his earlier stuff and haven't read him for a long time, so I thought I'd try it. I also recently read a pre-publication copy of And Every Day Was Overcast by Paul Kwiatkowski very cool novella with photographs. LV: What have you planned next? MS: The next novel, which is almost complete, is a return to Hollywood and is more in the style of High Life than my last book (Empty Mile). Tentatively titled Colony of Whores, it's set on the periphery of the Hollywood film industry and involves murder, incest and HIGH LIFE (Gebunden) revenge.... erschienen im Arche Verlag 380 Seiten, 19,95 Euro Thanks, Matthew! ISBN: 978-3716026748 Weitere Bücher von MATTHEW STOKOE IN ENGLISCH: Cows (Little House on the Bowery), Akashic Books , 188 Seiten, 13,99 Euro, ISBN: 978-1936070701 Empty Mile, Akashic Books, 391 Seiten, 14,99 Euro, ISBN: 978-1936070121

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mit literarischem Scharfsinn analysiert unser Meisterrezensent Al Bücher, die ihm in letzter Zeit in die Hände gefallen sind…

Von Sam Hawken hatte ich vor diesem Buch noch nichts gehört, aber er gehört von nun an zu jenen Autoren, die ich mir merken werde. Die tragisch reale Geschichte um die zahlreichen Frauen, die in Juárez getötet wurden wird hier aufgegriffen und in eine packende Dreckfresserstory eingebunden. Al sagt: absolut lesenwert! Sam Hawken, Die toten Frauen von Juárez Tropen bei Klett-Cotta, ISBN 978-3608502121, 317 Seiten, 19,95 Euro Der drogensüchtige Unidozent Ezekiel Farragut kommt ins Falconer Gefängnis. Mit dem Rücken zur Wand, kämpfend mit seiner Sucht blickt Farragut auf sein Leben, besonders auf seine Frau und seinen Bruder, für dessen Mord er eine Strafe verbüßt zurück. John Cheever‘s Knastroman (hier in einer neu übersetzten Fassung) ist ein wundervolles Portrait einer zerstörten Seele und eines Ortes, der nichts Schönes zu geben hat. John Cheever, Willkommen in Falconer Dumont Buchverlag, ISBN 978-3832180690 , 223 Seiten, 19,99 Euro Sollte jemand eines Tages das Vergnügen haben, die Stadt Los Angeles zu besuchen, sollte dieses Buch auf keinen Fall im Gepäck fehlen. Ry Cooder beschreibt das Leben der Menschen am Rande der großen Glitzermetropole. Einfach lesen. Es lohnt sich. Kleiner Hinweis nebenbei: City Lights Bookstore in San Francisco (www.citylights.com). Ich weiß, es ist Werbung, aber sie ist es wert. Ry Cooder, Los Angeles Stories (In den Straßen von Los Angeles) 23 City Lights Publisher, ISBN 978-0872865198, 224 Seiten, $11,71 (auch auf Deutsch erhältlich im Bittermann Verlag, 18,00 Euro ISBN: 978-3893201648)


Johnny Cash‘s Lebensgeschichte wurde spätestens mit dem Kinofilm „Walk the Line“ den meisten Musikfans bekannt. Doch nichts beschreibt das Leben des Man in Black, mit allen Comebacks und Tiefschlägen besser als dieses Buch. Zusammen mit Musikjournalist Patrick Carr richtet John Carter Cash das Wort an uns und bittet um Aufmerksamkeit. Meine hat er… und nicht erst seit dieser Biografie. Selbst wer die engl. TB- Ausgabe besitzt, sollte hier zugreifen. Wunderschönes Buch mit vielen Fotos aus dem Hause Cash. Johnny Cash mit Patrick Carr, Cash – Die Autobiografie Edel Verlag, ISBN 9783841901439, 352 Seiten (30 Bilder), 29,95 Euro Mitstreiter der alten Garde hannoverscher Kneipengänger und Literaten dürfte bei dem Namen Adam Seide ein Licht aufgehen. Auch sollten sie sich an die ehemalige Altstadtkneipe „Bei Erich“ erinnern. Seide beschriebt hier mit kurzen prägnanten Absätzen verschiedene Charaktere aus dieser Zeit in jener Schenke. Vom Tresen bis in die dunklen verqualmten Ecken, wo man dem Leben und all seinen Anforderungen trotzte. Nicht nur für hannoversche Nachtschwärmer der 70er Jahre ein interessantes Buch. Adam Seide, ABC der Lähmungen Walde+Graf, ISBN 978-3037740460, 100 Seiten, 14,95 Euro Ich bin alles andere als ein Fan von Kolumnen, aber wenn sie geschrieben sind wie jene Texte, die Autor Selim Özdoagn für die Internetseite der „Zeit“ geschrieben hat, könnte ich meine Meinung ändern. Bissig, kurz, direkt und immer mit dem Herz am rechten Fleck lässt Özdogan weder was aus, noch überspannt er den Bogen. Er wählt seine Worte genauestens und macht aus diesen kleinen Texthappen wahre literarische Festmahle. Eine Leseprobe findet Ihr auf Seite 4! Selim Özdogan, Passen die Schuhe, vergisst man die Füße Asphalt & Anders, ISBN 978-3941639072 , 173 Seiten, 12,90 Euro Hier kommt ein schaurig-schöner Comic, der völlig ohne Sprechblasen auskommt und die brauch er auch gar nicht. Patrick Schmitz erzählt die traurige Geschichte über Liebe und Verlust zwischen Braunschweig und Hannover. Melancholie, aber wie. Al sagt: Kaufen. Patrick Schmitz, Geschichten aus der verbotenen Stadt 24 Blaulicht Verlag, ISBN 978-3-941552-17-3, 99 Seiten, 9,90 Euro


Paul Auster gehört definitiv zu meinen persönlichen Favoriten. Auch mit seinem neuesten Buch „Sunset Park“ hat er mich überzeugt. Vielleicht nicht ganz so gut wie seine ersten Werke, aber dennoch besser als „Unsichtbar“. Aber was schreibe ich hier überhaupt? Auster lesen ist einfach Pflicht. Ende. Paul Auster, Sunset Park Rowohlt Verlag, ISBN 978-3498000820, 320 Seiten, 19,95 Euro

Dee Dee Ramone hat ein Buch geschrieben. Allerdings schon vor 11 Jahren. Wäre auch mittlerweile schwierig, da der Ramones- Bassist vor 10 Jahren an einer Überdosis Heroin starb. Anlässlich dieses Todestages gibt‘s jetzt, statt was auf die Ohren, was für‘s Auge. Ein genialer kleiner Psycho- Trip quer durch Manhattan bis ins Chelsea Hotel von New York City hinein. Dort wo Sid Vicious Jahre zuvor seine Freundin erstach. Horror Punk Literatur vom Feinsten! Dee Dee Ramone, Chelsea Horror Hotel Milena Verlag, ISBN 978-3-85286-224-8, 227 Seiten, 19,90 Euro

Ein heikler Fall für Kinky Friedman, den singenden „Texas Jewboy“: die Katze einer Freundin ist während einer Katzenshow im Madison Square Garden in NYC spurlos verschwunden. Der Kinkster, neuerdings als Privatdetektiv tätig, geht der Sache nach und darf sich auf seiner Suche quer durch New York mit kolumbianischen Drogenkartellen und der New Yorker Mafia herumärgern. Was wie Helge Schneider auf Koks klingt, ist eine lustige 220 SeitenOdyssee mit hochprozentigem Unterhaltungswert. Kinky Friedman, Wenn die Katze weg ist Milena Verlag, ISBN 978-3-85286-223-1, 220Seiten, 17,90 Euro

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LV‘s geboren 1971 in Köln, studierte kurzzeitig Völkerkunde, Anglistik und Philosophie. Zahlreiche Jobs, zahlreiche Veröffentlichungen, unter anderem 2005 Die Tochter des Schmieds. Im Frühjahr 2010 erschien bei uns sein Kurzprosa-Band Ein Glas Blut; in unserer Anthologie Schau gen Horizont und lausche ist er mit der Kurzgeschichte Laternenlicht vertreten. Im Frühjahr 2011 ist sein Roman Heimstraße 52 im Aufbau Verlag erschienen. Selim lebt in Köln.

Selim Özdogan

am 4. Juli ´80 in Iowa geboren. Zieht herum, schreibt Geschichten.

Penny Weiss

am 11.10.1990 in Bülach, Schweiz, geboren, studiert Philosophie und Germanistik in Basel und hat bereits Geschichten in entwürfe, Bierglaslyrik und anderen Literaturzeitschriften veröffentlicht.

Baujahr 81, Mitherausgeber des Straßenfeger. Keine Bestseller, keine Preise, kein Intellektueller lebt in essen. seit 1992 kontinuierlich veröffentlichungen von hauptsächlich lyrik in fanzines, zeitschriften, anthologien, tagespresse. mehrere einzelbände, u.a. DAS LAND GEFÄHRDEN sowie STÖRUNG MENSCH. von 1995 - 2006 hrsg. der zeitschrift ratriot sowie der einzeltitelreihe ratriot-medien. laut seinem verleger "der einzige richtige ruhrpott-rimbaud."

Adam Schwarz

Marcus Mohr

Urs Böke

Lebt unter Menschen seit 1986. Derzeit Alibistudent obskurer Studiengänge. Wohnt und schreibt in Hildesheim und gibt das auch öffentlich zu.

Sebastian Wippermann

geboren 1971 in Prenzlau, lebt seit 1989 in Erfurt, Tätigkeiten u.a. als Bibliotheksassistent, Galerieassistent und Grafiker.

Ulrich Kersten

Geboren und lebend in Berlin. Schullaufbahn mit Ach und Krach überstanden. Danach kamen viele kleine und größere Jobs. Dafür seit über einem Jahr die erfolgreiche Lesebühne „CONVERSATION GANGBANG“.

Eric Ahrens

1974 in Erfurt geboren.1992-1993 Als Au-Pair in Paris bei Beate und Serge Klarsfeld. Studium der Kunstgeschichte/ Romanistik in Leipzig und Berlin. Seit 1998 in Berlin - Tätigkeiten als Galerieassistentin, Fotografin, Model, Hundetrainerin, Coach, Texterin/ Autorin. Seit 2011 Inhaberin/ Betreiberin von Salon Separée – ein privater Ort für zeitgenössische Kunst & Literatur.

Simone Haverland

Geboren 1981 in Speyer, wo er nach einem halbjährigen Aufenthalt in Spanien auch lebt. Gitarrist und Songwriter in Speyrer Rockband. Seine Kurzgeschichte "11/09" wurde 2010 in der renommierten österreichischen Literaturzeitschrift "etcetera" veröffentlicht.

Kai Kraus

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