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Elbe Wochenblatt Reportage
SONNABEND 30. JULI 2016
Ausnahmespringer Luz Long im Trikot des Leipziger Sportclubs. Sein deutscher Rekord von 7,90 Metern bestand 23 Jahre lang und FOTO: PR wurde erst 1960 überboten.
„Umarmen Sie nie wieder einen Neger“ Olympia 1936 im NS-Rassen-Staat: Die freundschaftliche Geste des Deutschen Luz Long gegenüber Jesse Owens ist einer der größten Momente der Olympiageschichte. Kai-Heinrich Long aus Blankenese hat ihn in seiner Biografie über seinen Vater beschrieben
Buch V. STAHL/M.GREULICH, HAMBURG
Berlin-Westend, 4. August 1936. Der Weitsprung-Wettbewerb geht in die entscheidende Phase, Favorit Jesse Owens (USA) liegt mit 7,87 Metern in Führung. Luz Long aus Leipzig läuft an und springt in seinem zweiten Versuch im Finale ebenfalls 7,87 Meter. Auf der Ehrentribüne strahlt Adolf Hitler und schwenkt sein Fernglas mit der rechten Hand auf und ab. Über 100.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion jubeln. Jesse Owens wird vor seinem zweiten Versuch ebenfalls lautstark angefeuert. Er ist der schnellste Mensch der Welt, am Vortag hat der frarbige US-Amerikaner das 100-Meter-Rennen überlegen gewonnen. 7,94 Meter zeigt die Anzeigetafel für Owens, der neben der Weitsprunggrübe im weißen Pullover sitzende Long gratuliert. Longs dritter und letzter Versuch wird nicht gezählt, er ist übergetreten. Jesse Owens ist Olympiasieger im Weitsprung, hat aber noch einen Versuch. 35 Schritte läuft er an: 8,06 Meter, olympischer Rekord. Luz Long umarmt ihn. Später haken sich beide unter, als sie vom Siegerpodest gehen und Owens bereits Lorbeerkranz und Goldmedaille trägt. „Die Umarmung war eine spontane Geste“ Wie sich Silbermedaillengewinner Long verhielt stand im klaren Widerspruch zur Ideologie des rassistischen Regimes, das zu diesem Zeitpunkt schon jüdische Deutsche durch Sondergesetze weitgehend entrechtet hatte und „Neger“ als Menschen zweiter Klasse ansah. Longs in Blankenese lebender Sohn Kai-Heinrich hat zahlreiche Dokumente zum kurzen Leben seines Vaters zusammengetragen und als Buch veröffentlicht. Es zeigt einen Athleten, der sich seiner Courage und seinem Sportsgeist zum Trotz dem NS-Regime nicht entzogen hat. Der Sohn des Athleten ver-
sucht, das Verhalten des Vaters einzuordnen: „Ich vermute, dass es sich bei der Umarmung um eine spontane, sportliche Geste und nicht um eine Provokation gehandelt hat“, sagt Kai-Heinrich Long und bekennt: „Ich habe meinen Vater durch die Arbeit an dem Buch erst richtig kennengelernt.“ Wie sich der Jurastudent aus Leipzig und der Enkel eines Sklaven aus Alabama gegen jede Ideologie mitten im Wetkampf anzufreunden begannen, gehört zu den großen Momenten der Olympia-Geschichte. Jesse Owens’ Freund, Leni Riefenstahls Held „Was Luz Long tat, war ein symbolischer Akt. Es war ein großer Moment, der zeigt, dass Sport größer ist als der Hass“, kommentierte bei der Buchvorstellung hingegen Joel Bouzou, der Präsident der Charity-Initiative „Frieden und Sport“ aus Monaco. Wie sehr die Verbrüderung der beiden Sportler die Nazis aufbrachte, legt eine Tagebuchnotiz von Luz Longs Mutter nahe: „Luz erhielt von höchster Stelle (Heß) den Verweis, nie wieder einen Neger zu umarmen.“ Der auf den „Führer-Stellvertreter“ Rudolf Heß bezogene Eintrag sei für ihn der „elektrisierendste Satz bei der ganzen Geschichte“, bekennt KaiHeinrich Long. Leichtathletik war in den 1930er-Jahren in Deutschland so populär wie Fußball. So erstaunt es nicht, dass sich das Regime um die Protagonisten dieser Sportart bemühte, deren Konterfei Millionen von Sammelbildern zierte. Kein Wunder also, dass Luz Long zum „Filmstar“ avancierte, wie sein Sohn schreibt. Die Filmemacherin Leni Riefenstahl, die die Olympischen Spiele für die Nazis in Streifen wie „Fest der Völker“ propagandistisch aufbereitete, gewann Long als Darsteller. Die Spitzen des Regimes schmückten sich mit dem populären Athleten. Erst besuchte Long Riefenstahls
Filmpremiere, dann folgte die Einladung in das Haus des „Führers und Reichskanzlers“ Hitler. Long schrieb darüber in seinen Reiseerinnerungen: „Sein Dank für unsere Arbeit, das Lob und die Anerkennung , die er den Einzelnen im Laufe des Abends zukommen ließ, geben uns Mut, Zuversicht und den Glauben, dass wir auf unseren Posten für Führer und Reich kämpfen.“ Da zeigte sich die andere, die opportunistische Seite des Vorzeigesportlers, der ab 1938 als „SA-Mann“, ab 1939 als „Rottenführer“ in den Ergebnislisten geführt wurde und 1940 als Mitglied Nummer 8051702 in die NSDAP eintrat. Die Hintergründe für das Anbandeln mit den Nazis seien unklar, so Kai-Heinrich Long: „Möglicherweise ging es hier um berufliche Aspekte. Luz war ein Kind seiner Zeit.“ Vielleicht sei ihm der Parteieintritt auch von NS-Funktionären nahegelegt worden, so seine Vermutung. Es gibt Momente, da kann es durchaus problematisch sein, über den eigenen Vater eine Biografie zu schreiben. 1940 zog Luz Long nach Hamburg und heiratete Dass Kai-Heinrich Long heute in Hamburg lebt, ist dem 1940 erfolgten Umzug seines Vaters in die Hansestadt geschuldet. Nach dem Jura-Studium mit anschließender Promotion heiratete er die Hamburgerin Gisela Behrens. 1940 schloss er sich dem SV St. Georg an und trainierte im Hammer Park – wenn es seine schwere, auf einen vereiterten Furunkel zurückgehende Nierenerkrankung zuließ. Doch seinen Ruhm konnte Luz Long nicht mehr lange genießen. Im April 1941 wurde er Soldat und bei der Landung der Alliierten auf Sizilien am Unterschenkel schwer verletzt. Luz Long verblutete am 14. Juli 1943.
Kai-Heinrich Long: „Luz Long – eine Sportlerkarriere im Dritten Reich: Sein Leben in Dokumenten und Bildern“, ISBN-13: 978-3942468268, 19,95 Euro
Als die von Jesse Owens promoteten Harlem Globetrotters 1951 in Hamburg. Station machen, sucht Owens den Kontakt zum Sohn seines Freundes. Der kleine Kai bekam damals von Owens einen Basketball geschenkt, den er später seiner Schule, dem Johanneum, vermachte. Kai-Heinrich Long erinnert sich: „Früher haben wir in der Grundschule nur Völkerball gespielt. In der Oberstufe des Gymnasiums kam dann Basketball hinzu. Das heißt: Owens hat einen guten Job gemacht.“ Long junior beschreibt Owens als „locker-elegante Erscheinung“, die ihn beim Dinner stark beeindruckt hat: „Er hat doch tatsächlich seinen Pfirsich mithilfe von Messer und Gabel gegessen.“ 1964 trafen sich die beiden bei einem Filmdreh im Berliner Olympiastadion wieder. Long, der damals fast genauso alt war wie sein Vater bei Olympia 1936, hatte die Idee, die berühmte Szene an der Sprunggrube mit den entspannt im Gras nebeneinander liegenden Sportlern nachzustellen. Nach dem Tod von Jesse Owens im Jahr 1980 sei die Geschichte für ihn eigentlich abgeschlossen gewesen, so KaiHeinrich Long. Doch als Bouzous Organisation Frieden und Sport 2009 das Foto mit der Enkelin von Owens, Marlene Dortch, und Kai-Heinrichs Tochter Julia Vanessa Long als „Sportfoto des Jahres“ auszeichnete, sei es „mit unserer Ruhe vorbei“ gewesen: „Die Geschichte ging um die ganze Welt.“ Von überall her seien in mehreren Sprachen Anfragen gekommen. „Da haben wir uns gesagt: Jetzt schreiben wir ein Buch. Mein Vater ist es wert, dass eine eigene Biografie über ihn erscheint!“
Im Kino: „Zeit für Legenden“ Der US-Spielfilm „Race“ über Jesse Owens läuft seit Donnerstag in den Kinos. Regisseur Stephen Hopkins („Lost in Space“) erzählt 80 Jahre nach den Olympischen Spielen von Berlin keine Heldengeschichte. Er schildert den Aufstieg von Owens, der auch in den USA wegen seiner Hautfarbe diskriminiert wird, zum vierfachen Goldemaillengewinner, der zum Star der Spiele wird. Die Freundschaft zwischen Owens (Stephan James) und Long, der vom deutschen Schauspieler David Kross („Der Vorleser“, „Die Vermessung der Welt“) gespielt wird, ist ebenfalls Thema. Die Dreharbeiten fanden in Kanada und im Berliner Olympiastadtion statt. „Unbedingt sehenswert“, loben die Filmkriter der ARD- Kultursendung „Titel Thesen Temperamente“. MG !! www.zeit-fürlegenden.de