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DER DSCHUNGEL

EIN JOHN-MILTON-THRILLER

MARK DAWSON

Aus dem Englischen von JÜRGEN BÜRGER

Prolog

I Calais Und Dover

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

II. London

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

III Libyen

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

INHALT

Kapitel 34

Kapitel 35

IV London

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

V Italien Und Frankreich

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

VI London

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Epilog

Blackout

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Über den Autor

Bücher von Mark Dawson

PROLOG

Nadia blinzelte. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ihre Augen geöffnet waren. Es war stockdunkel. Sie lag auf einer harten Unterlage. Ihre Hände waren auf ihrer Brust verschränkt, sie spürte sie, konnte sie jedoch nicht sehen. Sie blinzelte wieder, zog ihre Finger auseinander und hob die rechte Hand ans Gesicht. Sie konnte nicht mehr erkennen als die Andeutung einer Form, die sich in einem tieferen Schwarz bewegte.

Sie kniff die Augen zu und lauschte. Sie hörte ihr Atmen, schnell und flach, und dann, dahinter, das leise Rumpeln eines Motors.

Ihre Rückenmuskeln schmerzten. Ein Krampf ließ ihre Beine zucken. Sie griff nach oben. Ihre Hände konnten bestenfalls fünf, zehn Zentimeter weit gekommen sein, als die Knöchel etwas Hartes streiften. Sie drehte die Hände um, tastete suchend mit den Fingern und spürte etwas Festes und Raues, wie Schleifpapier, über das ihre Nägel rieben.

Erste, eiskalte Stiche der Angst bohrten sich in ihre Magengrube.

Ihre Erinnerung war diffus, getrübt von Unsicherheit, und sie versuchte zu begreifen, was mit ihr passiert war. In Schüben kehrten die Einzelheiten zurück. Sie erinnerte sich an die Fahrt durch die Wüste; an das Boot, so völlig überladen mit Passagieren, dass sie überzeugt gewesen war, es würde kentern und sie alle ins Meer reißen; sie wusste noch, wie ihr Bruder ihre Hand umklammert und gesagt hatte, alles werde gut; sie erinnerte sich, was sie empfunden hatte, als sie zum ersten Mal Land gesehen hatte, Europa, das für das Versprechen auf ein neues Leben stand. Sie war auf die Knie gesunken und hatte den Beton des Hafenkais geküsst.

Und fünf Minuten später war sie abgeholt und in den Laderaum des Transporters geworfen worden.

Sie erinnerte sich: die bewaffneten Männer, die sie von Samir getrennt hatten; die lange Fahrt nach Norden auf der Ladefläche des Transporters mit zwei weiteren Frauen, Amena und Rasha; die von Geflüchteten wimmelnde Zeltstadt, Männer und Frauen wie sie; das Zelt und der große Mann mit dem rasierten Schädel, der sie angesehen und genickt hatte; wie ihr die Arme auf dem Rücken festgehalten wurden, dann der Einstich der Nadel in den Hals, der Sturz in die Dunkelheit.

Nadia öffnete erneut die Augen und drückte die Hände wieder nach oben, ließ die Finger nach links und rechts wandern. Sie spürte ein weiteres Brett, senkrecht zu dem über ihr. Sie fand die Verbindungsstelle von beiden. Ihr Finger blieb an einer Stelle des ansonsten ebenen Bretts hängen, und sie erkannte, dass sie ein Astloch gefunden hatte.

Sie begriff, wo sie sich befand.

Sie war in einer Holzkiste.

„Hilfe!“

Ihre Stimme war sowohl laut als auch gedämpft, beides gleichzeitig.

Sie wurde panisch. „Hilfe! Bitte, helft mir!“

Sie hämmerte mit den Fäusten gegen die Seitenwände der Kiste, und sie schlug mit den Handflächen unter den Deckel, bis die Haut brannte. Ihr Puls raste, und sie begann zu schwitzen. Sie schlug und schrie weiter, bis sie keuchend nach Luft schnappte.

Niemand kam.

Sie hörte erneut das Grummeln des Motors, dann das Gefühl, wieder in Bewegung zu sein. Sie schlug gegen den Deckel und strampelte mit den Beinen, ihre Füße stießen gegen das Ende der Kiste. Doch alles vergebens. Niemand kam.

Schwer atmend lag sie da, Tränen brannten ihr in den Augen.

Sie war entführt worden. Man hatte sie von ihrem Bruder getrennt, ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben zerstört. Sie wusste nicht, wo sie war. Sie wusste nicht, was ihr bevorstand.

Sie hörte auf zu kämpfen.

Es hatte keinen Sinn. Niemand kam ihr zu Hilfe.

Nadia war allein.

Und sie hatte Angst.

TEIL I

CALAIS UND DOVER

John Miltons Samstagsmeeting fand in der Turnhalle einer Schule in Chelsea statt. Es war eines seiner Lieblingstreffen: Es war früh, acht Uhr morgens, was bedeutete, dass er das Meeting hinter sich hatte, wenn die meisten Leute gerade erst auf den Beinen waren, und er hatte den Tag für sich optimal begonnen; und genauso wichtig war, dass es ein lebhaftes, freundliches Meeting voller positiver Energie war. Am Wochenende empfand Milton die Verlockung eines Drinks stärker als sonst, und er hatte festgestellt, dass das Meeting die perfekte Unterstützung war, bis Montag durchzuhalten.

Er nahm sich eine Tasse Kaffee und einen Keks, wählte einen Platz in der Mitte des Raums. Er kannte eine ganze Reihe der anderen regelmäßigen Besucher, begrüßte den einen oder anderen mit einem Lächeln oder Kopfnicken.

Milton schloss die Augen und entspannte sich, spürte die gewohnte Abgeklärtheit, die er so nur bei den Meetings fand.

„Guten Morgen, meine Damen und Herren.“

Milton schlug die Augen auf. Der Leiter des Meetings war Tommy McCall, ein korpulenter Glasgower mit rasiertem Schädel und stark tätowierten Unterarmen. Er war eine imposante Erscheinung, aber Milton war sehr schnell mit ihm warm geworden, als er ihn das erste Mal hatte sprechen hören. Er hatte einen starken Akzent, gelegentlich fast nicht zu verstehen, aber die ihm innewohnende Sturheit wurde durch einen scharfsinnigen Humor gemildert, der sein aggressiv wirkendes Äußeres Lügen strafte. Er war gnadenlos witzig, kritisierte die anderen Teilnehmer und am häufigsten

sich selbst.

„Zwei, drei Bemerkungen über meinen Aufzug“, sagte McCall und hob dabei den rechten Arm. Vom Handgelenk bis hinauf zur Achsel trug er einen Gips. „Egal, was ihr Drecksäcke denkt, ich bin mitnichten rückfällig geworden. Ich habe mit meinem Sohn Fußball gespielt. Ich bin gestolpert, hab den Arm nach vorn gerissen, wollte mich abfangen und … “ Er ließ den Arm oben und deutete mit dem Kopf darauf, auf den Lippen ein betrübtes Lächeln. „Ich weiß, was ihr denkt. Ihr denkt, ich erzähle euch hier einen Mordsscheiß, aber ich schwöre bei Gott, das mach ich nicht. Und glaubt mir, die Ironie, dass ich zwanzig Jahre lang hardcore Scotch weggeknallt und mir nie auch nur einen winzigen Kratzer geholt habe und dann über einen Siebenjährigen stolpere und mir den Arm so richtig zerlege – diese Ironie ist mir durchaus nicht entgangen.“

Tommy senkte den Arm wieder und ließ ihn mit einem absichtlich lauten Rumms auf den Tisch fallen, was weitere freundliche Lacher provozierte. Dann eröffnete er das Meeting förmlich, begrüßte Neuankömmlinge und begann mit den Gebeten, ein vertrauter Ablauf, den Milton als besonders beruhigend schätzen gelernt hatte. Er war schon überall auf der Welt zu Meetings gegangen, und bis auf einige wenige kleine Unterschiede waren sie von Aufbau und Inhalt nahezu immer gleich. Diese verlässliche Routine hatte etwas enorm Beruhigendes.

Milton schloss die Augen und stimmte mit den anderen die Gebete an.

DIE SPRECHERIN des Meetings war eine junge Mutter, die in ihrem Beitrag von einem misslichen Leben berichtete, in dem sie hart kämpfen musste, um ihre beiden Kinder großzuziehen, nachdem ihr Mann an Lungenkrebs gestorben war. Sechs Monate nach seinem Tod war bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden. Sie berichtete unter herzlichem Applaus, dass der Krebs zwar im Rückzug war, dass aber durch ihre Kämpfe eine alte Anfälligkeit gegenüber Alkohol geweckt worden war.

Milton hörte aufmerksam zu und fand, dass ihre Erfahrungen von einem ganz anderen Kaliber waren als seine eigenen. Er hatte mit seiner Sauferei das Rumoren seines schlechten Gewissens ertränken wollen. Doch der Ursprung seines schlechten Gewissens waren die Entscheidungen, die er

getroffen, und der Beruf, den er gewählt hatte. Sein Leben mit ihrem zu vergleichen, erschien ihm egoistisch und unangemessen, und er begann, sich unwohl zu fühlen, bis Tommy alle daran erinnerte, dass sie sich auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren sollten und nicht auf die Unterschiede. Sie hatte zum Alkohol gegriffen, um ein Problem zu lösen. Milton genauso. Sie hatten beide die Kontrolle über ihre Trinkerei verloren, und beide waren bei den Meetings gelandet, die ihre letzte Chance waren. Das war es, was sie gemeinsam hatten, und in diesem Wissen fand Milton seinen gewohnten Frieden.

Das Meeting ging zu Ende, und die Männer und Frauen begannen auseinanderzugehen. Manche wollten zum Frühstück in ein billiges Lokal an der King’s Road. Milton hatte seine Laufsachen in einer Tasche dabei. Er hatte sich umziehen und dann einen langen Lauf auf dem Treidelweg entlang der Themse machen wollen, dem Fluss bis in die Londoner Innenstadt folgen und dann in einer weiten Schleife auf einer Strecke zurück, die er bis zu fünfzehn Meilen ausdehnen konnte, sollte ihm danach sein. Es war ein wunderschöner Tag, klar und frisch, und die Aussicht auf die körperliche Betätigung war sehr verlockend.

Er hatte vor, sich auf der Toilette umzuziehen. Er brachte seine leere Kaffeetasse zum Tisch und bedankte sich bei der alten Dame, die sich um die Erfrischungen gekümmert hatte. Als er sich umdrehte, stand Tommy direkt hinter ihm.

„Hallo, John.“

„Alles klar?“

„Den Umständen entsprechend“, erwiderte er und hob den Arm. „Ganz okay, ja.“

Milton deutete mit dem Kinn auf den Gips. „Ist das wirklich so passiert?“, fragte er mit einem breiten Grinsen. „Du bist gestolpert?“

„Ja, wirklich. Ich bin mit dem Fuß hängen geblieben und hab mich hingelegt. Hat richtig scheiße wehgetan. Hab geflennt wie ein Baby. Musste auch das Morphium ablehnen. Auf gar keinen Fall will ich das wieder an der Backe haben.“

Das konnte Milton sehr gut nachempfinden. Er selbst hatte jahrelang Gabapentin und Oxycodon genommen, ein Cocktail, der seine Schmerzen aufgrund einer langen Liste von Verwundungen lindern sollte, die er sich im Laufe seiner Karriere bei der Gruppe fünfzehn zugezogen hatte. Er hatte aufgehört, diese beiden Medikamente zu schlucken, als er beschlossen hatte,

seinem Körper nichts mehr zuzumuten, das künstlich auf seine Gefühle und Empfindungen einwirken konnte. Von nun an, sagte er sich, würde er ein Leben gänzlich ohne Medikamente führen. Der gelegentlich auftretende Schmerz war einerseits eine willkommene Erinnerung an alles, was er einmal getan hatte, und andererseits eine sanfte – und manchmal auch weniger sanfte – Ermahnung an die Notwendigkeit, Wiedergutmachung zu leisten. Außerdem hatte er herausgefunden, dass solche einfachen Dinge wie das Laufen langer Strecken, Meetings und Meditation die gleiche Wirkung besaßen wie die Medikamente.

„Wie kommst du auf der Arbeit klar?“

„Genau das ist mein Problem“, antwortete Tommy. „Ich soll morgen nach Frankreich fahren. Habe gerade erst einen Vertrag unterschrieben, eine Fuhre Möbel rüberzuholen.“

Milton erinnerte sich. Tommy besaß ein eigenes Import-Export-Geschäft.

„Hast du einen anderen Fahrer?“

„Nicht für morgen, nein.“

Milton fragte sich, ob er helfen sollte. Hilfe anzubieten war einer der zentralen Grundsätze der Anonymen Alkoholiker, und er wusste, dass er Tommy helfen konnte.

Er beschloss, es ihm anzubieten. „Ich könnt’s machen.“

„Danke, aber das wird leider nicht gehen – du brauchst einen LkwFührerschein.“

„Den hab ich.“

„Wirklich?“

„Hab ihn beim Militär gemacht. Bin damals mit Lkws auf der Salisbury Plain herumkutschiert.“

„Was ist mit deiner eigenen Arbeit?“

Milton hatte bis vergangenen Monat in der Taxibude am Russell Square gearbeitet. „Die geben mir frei“, erklärte er. „Besteht kein großer Bedarf mehr, auch nachts geöffnet zu sein. Uber gräbt den klassischen Taxen das Wasser ab.“

„Also arbeitest du momentan nicht?“

„Ich halt die Augen auf. Wird sich schon was ergeben. Bis dahin hab ich eine Menge freie Zeit. Ich helfe dir gern. Wär überhaupt kein Ding.“

„Ich bezahl dich dafür“, sagte Tommy. „Ich erwarte nicht von dir, dass du’s für lau machst.“

„Wie du willst“, erwiderte Milton. „Sag einfach, wann und wo, und ich

werde da sein.“

Tommy hatte eine Lagerhalle in Hounslow, direkt in der Einflugschneise von Heathrow. Er hatte Milton gesagt, sie würden am kommenden Tag früh losmüssen, also war Milton um vier aufgestanden, hatte einen Dreißig-Minuten-Lauf absolviert und dann die erste U-Bahn ab Bethnal Green genommen.

Um halb sieben erreichte er das Gewerbegebiet, gerade als die Sonne aufging.

Tommy bereitete die Zugmaschine vor. Es war eine alte Scania R480

Topline Sattelzugmaschine, die aussah, als hätte sie schon eine stattliche Anzahl Meilen hinter sich. Tommy hatte die Motorhaube geöffnet und kontrollierte den Ölstand.

„Morgen“, sagte Milton.

Tommy drehte sich um. „Morgen.“ Er schloss die Haube und wischte sich die Hände an einem schmutzigen Lappen ab, den er in den Gürtel gesteckt hatte. „Wir müssen die Elf-Uhr-Fähre ab Dover erwischen. Bist du so weit?“

„Wenn du’s bist.“

Milton ging zum Führerhaus, öffnete die Tür und kletterte hinauf. Der Innenausstattung war das Alter anzusehen. Das Polster der Sitze war stark abgenutzt, das Leder rissig, und das Füllmaterial wurde an mehreren Stellen von kreuzweise verklebtem Panzertape zurückgehalten. Auch der Boden sah mitgenommen aus, eine Fußmatte fehlte gleich ganz, und unter der Kupplung hatte sich eine deutliche Rinne in den Teppich gegraben, wo Tommy oder der Vorbesitzer seinen Fuß abzustellen pflegte. Auf dem Beifahrersitz lag ein Stapel alter Zeitungen und Frachtdokumente.

Tommy öffnete die Beifahrertür und zog sich mit Hilfe der linken Hand unbeholfen hinauf.

„Sieht nicht besonders aus“, räumte Tommy ein, als er die Papierstapel vom Beifahrersitz auf den Boden wischte, „aber sie ist zuverlässig. Ist mir noch nie liegen geblieben. Die Schlüssel stecken.“

Milton griff nach unten und drehte den Zündschlüssel. Knurrend erwachte die Maschine zum Leben. Tommy machte es sich auf seinem Sitz bequem und kämpfte mit dem Sicherheitsgurt. Milton wartete, bis er fertig war, dann schnallte er sich selbst an und legte den ersten Gang ein. Er rollte vom Hof und begann die Fahrt.

DIE FAHRT nach Dover war unkompliziert gewesen. Sie waren auf die Fähre gefahren, die pünktlich nach Calais abgelegt hatte. Im Routemasters Café hatten Milton und Tommy ein spätes Frühstück zu sich genommen, und nach Ankunft der Fähre im Zielhafen waren sie nun bereit für die Weiterfahrt.

Milton manövrierte den Lastwagen aus dem Schlund der Fähre und machte sich auf den Weg in südlicher Richtung nach Boulogne-sur-Mer. Bis Amiens waren es zwei Stunden auf der A 26. Gesetzlich zulässig waren nur zehn Stunden pro Tag am Steuer; sie hatten es so geplant, dass Milton davon vier Stunden verbraucht hätte, wenn sie das Lagerhaus erreichten. Er würde dann eine Ruhepause einlegen, während die Waren verladen wurden, und dann würden sie die Rückfahrt beginnen. Es bedeutete, dass er alles in allem sechs Stunden gefahren sein würde. Sie wollten die Nachtfähre nehmen, womit dann die Uhr zurückgesetzt würde, sofern sie es vor elf Uhr zurück zum Schiff schafften.

Tommy hatte für den Fall möglicher Verzögerungen einen Zeitpuffer eingeplant, allerdings dauerte es erheblich länger, als es sollte, aus dem Hafen herauszukommen. Sie brauchten zwei Stunden, bis sie auch nur den Terminal hinter sich hatten, und Milton brauchte im besten Fall acht Stunden hinter dem Steuer, um zum Hafen zurückzukehren. Tommy begann, unruhig zu werden.

Die lange Schlange der Lastwagen bewegte sich im Schneckentempo; Milton vermutete einen Unfall, doch als sie das Hafengelände verließen und auf die Hauptstraße einbogen, sah er, dass es etwas völlig anderes war.

Eine Menschenmenge drängte sich entlang der nach Norden führenden Straße. Polizei und Sicherheitsdienst des Hafens waren in großer Zahl anwesend, sodass sich auch in Richtung Süden Leute auf der Straße befanden. Der Verkehr bewegte sich mit einem Tempo von wenigen Meilen pro Stunde vorwärts.

„Wer sind die?“, fragte Milton. „Migranten?“

„Ja“, antwortete Tommy. „Die versuchen, über den Kanal zu kommen. Sie glauben, da drüben liegt das Schlaraffenland. Vermutlich ist das auch so, verglichen mit dem, was sie hinter sich gelassen haben. Sie wünschen sich nichts mehr als rüberzukommen. Du glaubst ja gar nicht, was ich hier schon alles gesehen und erlebt habe.“

Milton tastete sich langsam auf die Straße hinaus vor, bis sich schließlich eine Lücke auftat und sie sich in die langsam bewegende Schlange einfädeln konnten.

„Calais hat sich verändert“, sagte Tommy. „Früher hab ich hier gern haltgemacht. Damals haben wir’s Beach genannt. Wir haben alle unsere Trucks unten am Meer geparkt, haben uns dann was zu essen und trinken besorgt, haben uns ein bisschen die Beine vertreten und im Führerhaus geschlafen, bis morgens der Fährbetrieb aufgenommen wurde. Wir hatten nie irgendwelche Schwierigkeiten. Heute aber würde man’s nicht riskieren anzuhalten. Manche Fuhrunternehmer erlauben es ihren Fahrern nicht, in einem Radius von vier Autostunden von hier anzuhalten. Denn weißt du, sobald du losfährst, hast du hinten im Laderaum Passagiere, die du nicht haben möchtest. Meine bessere Hälfte macht sich immer Sorgen um mich, wenn sie weiß, dass ich diese Strecke fahre. Ich bin ein großer, schwerer Kerl, John, oder? Man sollte doch meinen, ich könnte gut auf mich aufpassen, und das stimmt auch, aber Sorgen mache ich mir trotzdem. Ich hab schon mit eigenen Augen gesehen, wie sie mit Messern auf Fahrer losgegangen sind, wenn die ihnen befohlen haben, den Laderaum zu verlassen. Aber das ist eine ernste Angelegenheit. Wenn ich mit einem von denen hinten auf der Ladefläche erwischt werde, handle ich mir ein Bußgeld ein. Ein sattes Bußgeld. Meine Marge ist ohnehin eher klein. Ich kann mir eine Strafe einfach nicht leisten.”

Der Lkw vor ihnen hielt unvermittelt an. Milton bremste und brachte sie zum Stehen.

„Es sind Tausende“, fuhr Tommy fort. „Die Franzosen stecken sie in ein Lager.“

„Der Dschungel“, sagte Milton. „Hab’s in den Nachrichten gesehen.“

„Sie kommen von dort, warten hier am Straßenrand und versuchen, in einen Lastwagen zu gelangen. Manche gehen durch den Tunnel. Sie verstecken sich in der Fracht. Ich habe von einem armen Schwein gelesen, letzte Woche erst, er hat versucht, sich an der Unterseite eines Aufliegers festzuklammern. Ist runtergefallen, von den Rädern zerquetscht worden.“

„Und dafür hast du kein Verständnis?“

„Ich weiß, dass sie verzweifelt sind. Aber das hier … “ Er deutete auf das Gedränge auf der anderen Straßenseite. „Das ist das reinste Chaos.“

Normalerweise war Tommy ein sehr umgänglicher Mann. Milton sah, dass ihm dieses Thema an die Nieren ging.

„Ich weiß nicht“, sagte Milton. „Es ist schwierig. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, wenn ich eine Familie hätte, um die ich mich nicht kümmern kann, vielleicht würde ich es dann ganz genauso machen.“

Tommy nickte. „Ich verstehe. Ich weiß ja, warum sie das tun. Vielleicht würde ich auch dasselbe tun. Aber das hier – was hier passiert – ist nicht richtig. Es ist weder für sie richtig noch für uns. Du wirst sehen. Warte, bis wir heute Abend wieder zurückkommen.“

Milton hielt ein gleichmäßiges Tempo, bewältigte die Entfernung zwischen Calais und Amiens mit konstanten fünfundsechzig Meilen pro Stunde. Er war fast vier Stunden gefahren und begann, sich müde zu fühlen, als sie schließlich das Lagerhaus erreichten. Er machte Pause, während der Lastwagen mit den Möbeln beladen wurde, die sie hier abholen sollten. Nach einer schnellen Mahlzeit und einer Tasse starkem, schwarzem Kaffee stieg er wieder in den Truck und begann mit der Rückfahrt zum Hafen. Laut Google herrschte starker Verkehr bei Le Touquet, also wichen sie auf die längere – aber wahrscheinlich schnellere – Strecke auf der A 1 durch Arras und Béthune aus. Es waren immer noch zwei Stunden hinter dem Steuer, und als schließlich Calais wieder in Sicht kam, war er erschöpft.

Sie waren noch fünf Meilen von der Küste entfernt, als sie eine einzelne Gestalt am Straßenrand gehen sahen.

„Und los geht’s“, sagte Tommy.

„Was ist?“, erwiderte Milton.

„Bist du bereit? Da ist dein erster Migrant.“

Sie sahen einen anderen Mann über einen gepflügten Acker herannahen und einen weiteren einen Zubringer der Autobahn herunterkommen.

„Manche Fahrer ziehen so dicht vorbei, dass sie zurück über die Absperrungen springen müssen. Ich bin schon an welchen vorbeigekommen, die Eier gegen die Windschutzscheibe geschmissen haben. Ich habe auch schon einen Lkw gesehen, dem sie mit einem Ziegel die Scheibe eingeworfen haben.“

Der Laster fuhr einen Hügel hinauf, und oben angekommen wurden sie mit einem Blick auf das Lager belohnt, in dem sich mit Erlaubnis der Franzosen die Migranten sammelten. Milton bremste ab. Es war wirklich ein Dschungel. Hunderte Zelte und Behelfsbauten drängten sich auf einer viel zu kleinen Fläche. Er sah Lagerfeuer und Hunderte umherlaufender Männer und Frauen, manche davon mit Kindern.

In der Dunkelheit vor sich erblickte Milton Dutzende roter Bremslichter, und während sie weiterfuhren, begann der Verkehr zu stocken. Milton trat auf die Bremse, brachte ihre Geschwindigkeit runter auf ein schnelles Schritttempo.

„Versuch, nicht anzuhalten“, sagte Tommy.

Milton sah vielleicht zwei Dutzend Männer am Straßenrand. Der Lastwagen durchquerte einen Einschnitt, auf beiden Seiten stieg das Gelände steil an. Die Männer hatten die Böschung bis ganz nach oben erklommen, und während Milton hinsah, begannen sie herunterzuklettern. Sie beeilten sich, sahen aus, als könnten sie jederzeit abrutschen und herunterfallen. Falls sie stürzten, bestand die Gefahr, dass sie auf die Straße und direkt vor den Lastwagen rollten.

Milton trat leicht auf die Bremse.

„Nein“, sagte Tommy. „Fahr weiter. Halt nicht an.“

Milton ging noch etwas mehr mit dem Tempo runter, bewegte das Lenkrad ein wenig, um den Lastwagen etwas weiter in die Straßenmitte zu bringen, und passierte die ersten beiden Männer, als diese gerade den Straßenrand erreichten.

Die Männer begannen, ihnen hinterherzulaufen, doch Milton beschleunigte wieder und sie fielen zurück. Er warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass sie die Verfolgung nicht aufgaben.

Der Verkehr vor ihnen hatte sich auf ein Schneckentempo verlangsamt, eine lange Schlange Lastwagen vor einem Kreisverkehr. Die Männer hatten es inzwischen alle über den Zaun geschafft und liefen in ihre Richtung.

„Sie sind verbissen“, sagte Milton.

„Überprüf deine Tür“, riet Tommy.

Milton folgte dem Vorschlag; sie war verriegelt. Die Männer erreichten sie. Milton sah wieder in den Spiegel, als hinter ihnen einer gerade im toten Winkel verschwand. Die anderen liefen weiter, vier auf der einen Seite des Führerhauses und sieben auf der anderen. Ein Mann tauchte direkt neben ihm auf und gab Milton zu verstehen, die Seitenscheibe herunterzulassen. Milton

sah ihn an. Er war jung, nicht älter als Mitte zwanzig, hatte eine tiefschwarze Haut und leuchtende Augen. Er trug Jeans, Stiefel und Steppjacke.

„Was macht er?“, fragte Tommy.

Milton sah nach unten. „Will, dass ich das Fenster aufmache.“

Die anderen erreichten jetzt ebenfalls das Führerhaus, gaben alle Milton und Tommy zu verstehen, sie sollten die Türen öffnen. Andere waren dazugekommen. Milton sah hinunter, als einer von ihnen zu ihm aufschaute und aus zwei Fingern eine Pistole formte. Er richtete die Finger auf Milton und tat, als würde er auf ihn schießen. Tommy drehte sich schnell um, als sie beide das Klatschen einer Hand auf Glas hörten. Einer aus der Gruppe war an der Seite des Führerhauses hochgeklettert und schlug nun gegen die Scheibe.

„Verpiss dich!“, brüllte Tommy.

Der Mann brüllte eine Antwort und spuckte gegen das Glas. Ein fetter Schleimbrocken rutschte die Scheibe hinunter. Milton beschleunigte leicht, und die beiden Männer vor dem Führerhaus schlugen mit den Handflächen auf den Kühlergrill, bevor sie zur Seite sprangen.

Der Kreisverkehr wurde frei, und Milton konnte bis auf etwa dreißig Meilen beschleunigen.

Sie näherten sich dem hohen Zaun, der den Beginn des Hafengeländes kennzeichnete. Milton schaltete runter und bremste ab, während Tommy nach ihren Papieren auf dem Armaturenbrett griff.

„Soll ich mal hinten nachsehen?“, fragte Milton. Tommy schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Wir haben nicht lange genug gehalten, dass sie reinkommen konnten. Und ich will hier nicht länger als unbedingt nötig bleiben.“

DIE FÄHRE LEGTE PÜNKTLICH AB. Milton und Tommy schlossen den Lastwagen ab und gingen hinauf in die Routemasters Fahrerkantine. Das Essen war einfach und vertraut: Steaks, Schweinekoteletts, Sauce Béarnaise, Fritten, Erbsenbrei und Soße. Tommy sagte, er bräuchte eine Mütze Schlaf. Milton war ebenfalls müde, aber sein Kopf war hellwach, und er bezweifelte, dass er die Augen schließen könnte. Er verließ Tommy, der es sich über zwei Sitze in der ruhigen Lounge bequem gemacht hatte, und ging das Schiff erkunden. Er schlenderte in den Duty-free-Shop und sah sich das Angebot an

billigem Parfum, niedrigpreisigem französischem Wein und Schokolade minderwertiger Qualität an, alles zu Sonderangebotspreisen. Es waren noch andere Fahrer da, und Milton belauschte ihre Unterhaltungen: französische Prostituierte, steigende Spritpreise, Zigarettenschmuggel, korrupte Polizeiund Zollbeamte, Migranten. Hauptsächlich Migranten.

Milton sah, wie einer der Fahrer eine Schachtel Pralinen für seine Frau kaufte, und mit der Frage, wie es wohl wäre, jemanden zu Hause zu haben, dem er Schokolade kaufen könnte, kehrte Milton in den Aufenthaltsraum zurück.

Tommy schlief. Milton ging auf die andere Seite des Raumes, von wo aus er durch das große Panoramafenster aufs Meer hinaussehen konnte. Die Scheibe war schmutzig, verkrustet von getrocknetem Salz, und das Meer schien bewegter zu werden. Die Wellen waren hoch, groß genug, dass die Fähre sich neigte und schwankte; Sprühwasser und Gischt fegten über die Seiten und gegen die Scheibe. Milton fühlte sich leicht flau.

Er wusste jetzt, dass er mit Sicherheit nicht würde schlafen können. Er holte sich einen Styroporbecher Kaffee. Damit ging er zu einem unbesetzten Tisch, setzte seinen Kopfhörer auf und hörte die Stone Roses, während er bedächtig seinen Kaffee trank.

Bei den Eastern Docks fuhr Milton von der Fähre und folgte Tommys Anweisungen zu der hoch liegenden Trasse. Die Überfahrt war wegen des rauen Wetters langsamer gewesen als geplant, und Milton war müde, als er den Lastwagen über die Rampe der Fähre auf die Hafenanlage steuerte. Tommy hatte während der gesamten Überfahrt geschlafen; beim Aufwachen hatte er erzählt, dass er mehr als genug Übung darin hatte, selbst bei den widrigsten Verhältnissen auf See zu schlafen.

Tommy zeigte voraus, und Milton folgte den Schildern EXIT/SORTIE über den beiden Spuren für Frachtgut, bis sie die Zollabfertigung erreichten. Zwei Beamte in Warnwesten traten aus ihrem Häuschen und signalisierten Milton, in die Kontrollstation abzubiegen.

„Und auf geht’s“, sagte Tommy.

Milton bremste und hielt den Lastwagen an. Einer der Beamten, ein Mann mit krausen, weißen Haaren, gab zu verstehen, dass Milton und Tommy aussteigen sollten. Die Kollegin des Mannes, eine junge Frau, ging nach hinten zum Auflieger des Lasters.

Milton öffnete die Tür und kletterte hinunter. „Morgen“, sagte er.

„Guten Morgen, Sir.“

„Bringen wir’s hinter uns“, sagte Tommy, als er nach hinten ging.

Der Mann hatte ein Klemmbrett, auf dem sich ein ganzes Bündel Papiere befand. Er blätterte, bis er das Gewünschte fand, und zog dann einen Stift aus der Innentasche. „Was haben Sie geladen?“

„Möbel“, antwortete Tommy. „Wir kommen direkt aus Amiens.“

Der Mann notierte sich dies. „Bestimmungsort?“

„Hounslow.“

„Alles klar. Ist irgendwas passiert in Calais?“ „Nein.“

„Sie haben nicht angehalten?“

„Vor dem Hafen war ziemlich dichter Verkehr, aber angehalten haben wir nicht, nein. Sind direkt rüber. Wollen Sie mal einen Blick in den Laderaum werfen?“

„Ja, bitte, Sir. Wär Ihnen dankbar, wenn Sie den Auflieger mal öffnen könnten.“

Tommy ging nach hinten. Das Sicherheitsverplombung war unbeschädigt. Sie bestand aus einem Kabel, das durch Befestigungspunkte an der Tür gezogen worden war; bei Versiegelung erzeugte das Gerät eine einmalige Nummer, die der Fahrer notierte. Tommy öffnete die Plombe, zog das Kabel heraus und öffnete dann die großen Hecktüren.

Das Innere des Laderaums wurde durch das Sonnenlicht ausgeleuchtet, das durch die Deckenplane hereinfiel.

Tommy stöhnte. „Gottverdammte Scheiße.“

Milton schaute hoch. Eine etwa ein Meter lange Öffnung war in das Dach geschnitten worden. Jemand war mit einem Messer hinaufgeklettert und hatte sich so Zugang verschafft.

Der Beamte bediente das Funkgerät, das am Revers seiner Jacke klemmte, und verständigte die Polizei.

„Muss passiert sein, bevor wir aufs Hafengelände kamen“, sagte Tommy. „Wir haben in einem Stau gesteckt.“

„Das bezweifle ich nicht, Sir.“

Das Innere des Aufliegers war, wie Milton es in Erinnerung hatte, nachdem er in Amiens beladen worden war. Die Paletten standen nebeneinander aufgereiht im Hänger, die Kartons mit den Möbeln waren ordentlich aufgestapelt und mit Textilbändern gesichert. Die erste Reihe Kartons war etwa einen Meter hoch, aber die zweite – in denen sich größere Gegenstände befanden – war übermannshoch. Milton sah schmutzige Spuren auf einem Karton, an dem offenbar jemand hochgeklettert war.

Tommy trat zu Milton. „Siehst du, was ich meine? Das ist einfach absurd.“

Ein Transporter der Port-of-Dover–Polizei hielt am Heck des Anhängers, und drei uniformierte Beamte und Beamtinnen stiegen aus. Der Zollbeamte erklärte, dass er illegale Einwanderer im Anhänger vermutete, und trat dann

zur Seite.

Die Polizisten und Polizistinnen bezogen hinter dem Hänger in einer Reihe Position.

„Rauskommen“, rief einer der Beamten.

Keine Antwort.

„Wir wissen, dass Sie da drin sind.“

Milton stellte sich hinter die Beamten und schaute zu. Lange mussten sie nicht warten. Zwei Hände tauchten über der Kante eines der höheren Kartons auf, und ein Mann zog sich hoch. Er trug Jeans, eine dünne Jacke und eine Beanie. Seine Haut war dunkel, und er hatte ein breites Lächeln auf den Lippen, als er sich auf die Palette herabließ, einen Schritt vorwärts machte und vom Hänger sprang. Die Polizei kümmerte sich um ihn, während zwei weitere junge Männer aus ihrem Versteck kletterten. Sie waren ähnlich gekleidet wie der erste; beide zitterten leicht in der kühlen Morgenluft.

Milton schaute zu, wie den drei Männern Handschellen angelegt und sie dann zum Polizeitransporter abgeführt wurden.

Der ranghöchste Polizist kehrte zum Anhänger zurück. „Wir kommen jetzt rein und sehen nach“, rief er hinauf. „Falls da drinnen noch jemand ist, wird alles erheblich einfacher, wenn Sie jetzt einfach rauszukommen.“

Es folgte eine kurze Pause, bevor Milton zwei weitere Hände am Rand des Kartons auftauchen sah. Ein vierter Mann wuchtete sich hinauf und rüber, aber statt vom Anhänger herunterzuspringen, wartete er dort oben.

„Kommen Sie bitte runter“, sagte der Polizist.

„Was passiert dann mit mir?“

„Man wird Sie in ein Auffanglager bringen, Sir. Beantragen Sie Asyl?“

„Ich bin hier, um meine Schwester zu suchen.“

„Darum können Sie sich kümmern, sobald Sie im Auffanglager sind.“

„Bitte, Sir. Sie ist entführt und hierher verschleppt worden. Man hat sie gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten.“

„Kommen Sie da runter. Zwingen Sie mich nicht, zu Ihnen hinaufzukommen.“

Der Mann war außer sich. „Bitte, Sir. Ich muss sie finden. Bitte. Wenn ich in das Auffanglage gehe, wie soll ich das dann machen?“

Der Beamte drehte sich zum kräftigsten seiner Kollegen um und wies ihn stumm an, in den Anhänger zu steigen und den Mann herunterzuholen. Der Immigrant war jung, noch ein Teenager, und Milton hatte nicht das Bedürfnis zu sehen, wie er grob angefasst wurde. Bevor der Beamte etwas sagen

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