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BLACKOUT

EIN JOHN-MILTON-THRILLER

MARK DAWSON

Aus dem Englischen von MARCO

MEWES

Prolog

I VIER TAGE ZUVOR

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Teil II

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

INHALT

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Teil III

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

John Milton kehrt zurück: Das Revier

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Über den Autor

Bücher von Mark Dawson

PROLOG

rgendetwas hatte John Milton geweckt.

Aber was?

Er öffnete die Augen und bereute es auf der Stelle. Grelles Licht blendete ihn und ließ schmerzhafte Funken hinter seiner Stirn aufblitzen. Er kniff die Augen wieder zu. Der Schmerz blieb, aber nur als dumpfes Pochen hinter seinen Augen. Er fühlte sich elend. Seine Haut war klamm, und ihm war übel.

Milton versuchte sich zu erinnern.

Was hatte ihn geweckt?

Eine laute Stimme!

Ja, das war es gewesen. Er war sich sicher. Jemand hatte aufgeschrien.

Schnell schlug er die Augen wieder auf. Er lag auf dem Rücken in einem Bett, den Kopf auf die Seite gedreht, sodass er den Nachttisch nur Zentimeter vor sich hatte. Dahinter stand ein Schränkchen mit einem altmodischen Fernseher darauf. Milton versuchte sich aufzurichten. Schmerz flammte auf und eine beinah unaufhaltsame Übelkeit ergriff ihn. Er drängte sie zurück, stützte sich auf die Ellenbogen und richtete sich weit genug auf, um sich im Zimmer umschauen zu können.

Es war ein schlichtes Zimmer, klein, in unauffälligen Farben gestrichen. Zwei Einzelbetten standen von zwei Nachttischchen getrennt nebeneinander. Das Bett, auf dem Milton lag, glich einem Schlachtfeld – die Laken waren völlig durchnässt und hatten sich um seine Beine geschlungen. Das Kopfkissen lag auf dem Boden. Das andere Bett war unberührt, sah man von den Geldscheinen ab, die darüber verstreut waren. Auf dem Nachttisch lag

eine halbleere Flasche Grasovka-Bison-Grass-Wodka. Der Flaschenhals ragte über den Rand des Nachttischs hinaus, und auf dem gefliesten Boden entdeckte Milton eine Pfütze.

Die Sache wurde ihm unheimlich.

Was war hier geschehen? Er versuchte vergeblich, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er am Abend vorher getan hatte, aber seine Erinnerungen waren von dichtem Nebel umhüllt, den er nicht vertreiben konnte. Er schloss die Augen wieder und runzelte die Stirn in einem weiteren hoffnungslosen Versuch, irgendetwas zu fassen zu bekommen, das ihm verriet, wo er war und wie er hierhergekommen war.

Er versuchte, sich an etwas zu erinnern, das vor gestern Abend geschehen war. Seine Ankunft in Manila stand ihm noch vor Augen, auch das Einchecken im Hotel. War das dieses hier gewesen? Ja, er hatte das Gefühl, dass dies sein Hotel war. Dann war er in eine Bar gegangen. Er erinnerte sich an Jessica. Sie war dort gewesen, wo sie sich verabredet hatten. Milton wusste noch, wie schön sie ausgesehen hatte und dass sie sich in den Jahren seit ihrem letzten Treffen kaum verändert hatte. Und dass sie miteinander gesprochen hatten, aber er konnte nicht mehr sagen, worüber.

Und alles danach war … weg.

Verborgen im Nebel.

Entsetzen wallte in ihm auf. Er wusste, was geschehen war. Es gab nur eine Erklärung, aber schon der Gedanke daran verursachte ihm Übelkeit. Er hatte getrunken. Eine andere Erklärung gab es nicht. Nach Tagen, dann Monaten und schließlich Jahren, in denen er trocken geblieben war, hatte er alles weggeworfen und wieder zur Flasche gegriffen. Er dachte an die Männer und Frauen, die er im Programm getroffen hatte, an die Räume in aller Welt, in denen er ihren Geschichten gelauscht hatte und manchmal seine eigene erzählt hatte, und er schämte sich.

Er hatte sie enttäuscht.

Er hatte sich selbst enttäuscht.

Er musste schnellstmöglich ein Meeting finden.

Vorsichtig setzte er sich auf und stellte die Füße auf den Boden, darauf bedacht, nicht in die Wodka-Pfütze zu treten. Sein ganzer Körper schmerzte, und wieder glaubte er, sich übergeben zu müssen. Nachdem sein Magen sich beruhigt hatte, stand er langsam auf und sah sich noch einmal im Zimmer um. In der Ecke entdeckte er noch eine Wodkaflasche. Diese war zerbrochen –der schwere Boden stand aufrecht, während der Hals daneben auf den Fliesen

lag. Rundherum waren die Überreste zweier zerschmetterter Gläser verteilt, und das Sonnenlicht, das durch einen Spalt zwischen den Vorhängen drang, ließ die winzigen Scherben funkeln.

Die Zimmertür stand ein wenig offen. Sie fiel automatisch zu, musste aber ins Schloss gedrückt werden, um richtig zu schließen. Er durchquerte das Zimmer und öffnete die Tür ganz. Hitze wogte ins Zimmer. Draußen war es blendend hell und stickig. Er schaute in den Himmel – der Stand der Sonne verriet ihm, dass der Sonnenaufgang drei oder vier Stunden her sein musste. Vor ihm lag ein leerer Parkplatz voller Unkraut, das aus den Rissen im Asphalt wuchs, und dahinter ragte eine Reihe verdorrter Palmen über eine Straßenüberführung auf. Der Verkehr war laut, und die Abgase hingen über der Straße wie Dunst, den Milton im Rachen schmecken konnte.

Er schloss die Tür wieder und kehrte ins Zimmer zurück.

Wo war er?

Wie war er hierhergekommen?

Es gab noch eine offene Tür; sie führte ins Badezimmer. Milton steuerte darauf zu.

Das Bad war klein: eine Toilette und ein Waschbecken mit einem kleinen Schränkchen darunter.

Er erstarrte.

Auf dem Boden lag eine Leiche.

Es war eine Frau. Sie lag auf der Seite, der Oberkörper zwischen Schränkchen und Toilette, die Beine so weit angewinkelt, dass ihre Knie die Brust berührten. Ihre dunklen Haare lagen über die weißen Fliesen ausgebreitet, ihre Haut war blass, beinahe weiß, was die hässlichen Blutergüsse um ihren blanken Hals noch hervorhob.

Ihr Kopf lag in seine Richtung gedreht und er konnte eine Hälfte ihres Gesichts erkennen.

Es war Jessica.

Ihm wurde schlecht, Magensäure schoss heiß und ätzend seine Kehle empor. Milton stieg eilig über die Leiche der Frau hinweg und erbrach sich ins Waschbecken, Schwall um Schwall, bis das Porzellan über und über besprenkelt war und er sich leer und schwindelig fühlte.

„Hände hoch!“

Milton drehte sich um.

Im Türrahmen zum Schlafraum stand eine Frau in einem hellblauen Hemd, einem marineblauen Rock und einer ebenso blauen Cap mit einem

Wappen in der Mitte. Milton erkannte es als das Zeichen der philippinischen Landespolizei. Das Holster an ihrer Hüfte war leer – sie hielt ihre Glock 17 Neun-Millimeter-Pistole direkt auf ihn gerichtet.

„Hände hoch!“

Milton folgte ihrer Aufforderung.

„Sprechen Sie Englisch?“

„Ja“, antwortete er.

„Kommen Sie da raus.“

Er warf einen Blick auf Jessicas Leiche und sah dann zurück zur Polizistin.

War ich das?

„Kommen Sie hier ins Zimmer.“

Habe ich das getan?

Milton wollte ihr sagen, dass es nicht das war, wonach es aussah, aber er brachte die Worte nicht über die Lippen, und er wusste warum: Er konnte sich nicht sicher sein.

Vielleicht war es genau das, wonach es aussah. Er konnte sich nicht erinnern, was geschehen war. War es möglich? Er hatte früher schon getötet, Dutzende Male, mehr als hundertfünfzig Gespenster, die ihn schlussendlich vom Alkohol weggetrieben hatten. Es hatte einmal eine andere Zeit gegeben, vor Jahren, in der er mit blutverschmierten Hemden aufgewacht war, ohne jede Erinnerung daran, wie er dorthin gekommen war, wo er war, und kurz bevor er eine Nachricht von Control erhalten hatte, der ihm zu einem sauber erledigten Job gratulierte.

Ist das hier wieder so etwas?

Habe ich sie getötet, während ich betrunken gewesen bin?

Er wusste es nicht.

Also ging er hinaus ins Schlafzimmer.

„Auf die Knie. Sofort!“

Die Polizistin war jung. Sie hielt ihre Waffe etwas zu fest, der Griff drückte sich tief in ihre Handfläche, und der Zeigefinger lag etwas zu steif am Abzug. Ihre Hand zitterte, wodurch auch die Mündung zitterte, und Milton wusste, dass es ein Leichtes wäre, sie zu entwaffnen.

Aber er wollte sie nicht entwaffnen.

Er drehte sich um, ging auf die Knie und legte die Hände hinter dem Rücken zusammen, damit sie ihm Handschellen anlegen konnte.

TEIL I

VIER TAGE ZUVOR

William Logan blickte durch die Windschutzscheibe, knabberte Sonnenblumenkerne und beobachtete den Regen, der in dicken Streifen das Glas hinunterlief. Früher mal mochte der Russell Square eine angesehene Adresse gewesen sein, aber das war lange her. Die eleganten Häuserreihen, die den Platz säumten, waren an Unternehmen verkauft worden, die darin Büros eingerichtet hatten. Die Gemeinde gab sich nur halbherzig Mühe, den Park sauber zu halten, und die vereinzelten Bänke waren zumeist von obdachlosen Säufern oder Nachtarbeitern besetzt, die unter den Ästen Schutz vor dem Regen suchten, um eine Zigarette zu rauchen.

Es war bald zehn Uhr abends, eine dichte Wolkendecke hatte sich über Englands Hauptstadt geschoben und die Sterne verdeckt.

Logan war gerade erst aus Manila zurückgekehrt. Seine normalerweise blasse Haut war gebräunt, und wenn er die Augen schloss, konnte er fast noch die Sonnenwärme auf seinem Gesicht spüren. Er war zwei Wochen dort gewesen, um Vorkehrungen zu treffen. Er war mit einer komplizierten Aufgabe betreut worden, und seine Zielperson hatte einen Ruf, der die meisten erfahrenen Agenten eingeschüchtert hätte. Logan war früher schon für ähnliche Aufträge angeheuert worden, aber dieser hier war etwas Besonderes.

Dies war der erste Auftrag, der ihm den Schlaf geraubt hatte.

Er wollte gerade wieder in die Tüte mit Sonnenblumenkernen greifen, als er ihn entdeckte. Er war zu Fuß unterwegs und kam aus Richtung der nahe gelegenen U-Bahn-Station. Er hatte nichts allzu Auffälliges an sich – er war

durchschnittlich groß, etwa einen Meter achtzig, sportlich gebaut, vielleicht neunzig Kilo schwer. Er trug Jeans und eine Lederjacke und war ohne Regenschirm unterwegs. Die dunklen Haare klebten ihm triefnass am Kopf.

Logan sah zu, wie der Mann an einer Ecke des Platzes kurz stehen blieb, um ein Taxi durch die Pfützen vorbeifahren zu lassen, und dann die Straße überquerte. Er lief auf ein ebenerdiges Gebäude zu, das neben dem Zaun stand, der den Platz begrenzte. Es gab eine Handvoll solcher Gebäude in ganz London. Logan hatte sie früher schon gesehen und war neugierig genug geworden, sie zu googeln. Das waren Buden für Taxifahrer, neben denen sie ihre Wagen parken und sich bei einer Tasse Tee oder einem Snack ausruhen konnten. Es gab sie schon seit Jahren, und früher noch weit mehr davon, bevor die Konkurrenz sie immer nutzloser machte und sie finanziell nicht mehr zu halten waren.

Der Mann blieb an der Tür stehen, wischte sich mit der Hand die nassen Haare aus dem Gesicht und trat dann ein.

Logan lehnte sich zurück und stieß den Atem aus.

Allein John Milton zu beobachten machte ihn nervös.

Bis später, Liebes.“

Die Eigentümerin des Ladens war eine wasserstoffblonde EastEnderin namens Cathy. Milton nahm ihren Mantel vom Haken und hielt ihn ihr so hin, dass sie hineinschlüpfen konnte. Es war ein PlastikRegenmantel mit Leoparden-Print, genau der knallige Stil, der Cathy ausmachte. Inzwischen fand Milton das charmant. Er hatte seinen Job hier seit einigen Wochen zurück. Cathy hatte ihn wieder eingestellt, nachdem ihr Sohn Carl beschlossen hatte, nicht in ihre Fußstapfen zu treten und für den Rest seines Lebens Taxifahrern Tee und Baked Beans auf Toast zu servieren.

„Heute Abend wird’s ruhig bleiben“, sagte sie.

Milton nickte. Er hatte lange genug hier in der Taxibude gearbeitet, um zu wissen, dass sie recht hatte. Bei dem Regen würde kaum jemand unterwegs sein, die Taxis hätten weniger Gäste und viele von ihnen würden deshalb zu Hause bleiben. Die Bude würde dennoch geöffnet haben. Darauf war Cathy besonders stolz: Seit sechzig Jahren war ihre Taxibude dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr geöffnet. Sie machte regelmäßig den Witz, dass nicht mal Hitler sie habe schließen können. Als Milton sie darauf hingewiesen hatte, dass ihr Großvater die Bude erst nach dem Krieg eröffnet hatte, hatte sie gelacht und erklärt, dass sie sich eine gute Geschichte niemals durch Fakten ruinieren lassen würde.

An diesem Abend saß nur ein Fahrer in der Bude. Er leerte seine Dose Rio und reichte sie Milton.

„Wohnst du noch in Theydon Bois, Darling?“, fragte er Cathy.

Sie hob die Hand. „Du brauchst mich nicht zu fahren, Cliff.“

„Kein Problem. Ich mach für heut Schluss, da kommt nix mehr. Und ich wohn eh da draußen, macht mir keine Umstände.“

„Danke“, sagte sie. „Damit erspare ich mir den Fußweg zur Bahn bei dem Mistwetter.“

Milton ging hinüber, um den Tisch zu wischen. Cliff verabschiedete sich und hielt die Tür auf. „Bis morgen“, sagte Cathy zu Milton und folgte Cliff zu seinem Taxi. Milton stellte das schmutzige Geschirr in die Spüle und füllte sie mit warmem Wasser. Durch das kleine Fenster sah er, wie die Lichter des Taxis angingen. Dann fuhr es um den Platz herum.

Milton spülte und trocknete das Geschirr, wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab und ging zum Radio hinüber. Er wählte den Sender Planet Rock, und als die neue Single der Dirty Pirates begann, füllte er einen Teekessel mit kaltem Wasser und stellte ihn auf den Herd.

GERADE ALS DIE letzten Töne des neuen Metallica-Albums aus den Boxen kamen, hörte Milton, wie jemand die Tür öffnete.

Er drehte sich zu dem Besucher um.

„Guten Abend.“

Milton hatte den Mann noch nie zuvor gesehen. Er war Ende vierzig, Anfang fünfzig, deutlich kleiner als Milton, höchstens einen Meter siebzig, und schlank. Er hatte volles braunes Haar, das von genügend Chemie in Schach gehalten wurde, dass Milton die Eitelkeit des Mannes erkennen konnte. Er hatte bereits einige Fältchen und ein ausgeprägtes Grübchen am Kinn; seine dunklen Augen wurden durch die Spiegelung seiner Brillengläsern zum Teil verborgen.

„Sind Sie Fahrer?“, fragte Milton.

„Nein“, antwortete der Mann. „Bin ich nicht.“

„Tut mir leid, wir haben Regeln. Hier drin sind nur Taxifahrer erlaubt. Wenn Sie irgendwas möchten, kann ich Sie durchs Fenster bedienen.“

„Ich bin nicht wegen einer Erfrischung hier.“

„Dann muss ich Sie bitten, zu gehen.“

„Ich habe eine Nachricht für Sie, Mr. Milton.“

Milton hielt inne. Er nutzte nur äußerst selten seinen echten Nachnamen,

und niemals hier in der Bude. „Kennen wir uns?“

„Nein“, sagte der Mann. „Wir sind uns nie begegnet. Aber ich weiß, wer Sie sind. Wir haben für dieselben Leute gearbeitet.“

Miltons Kehle wurde trocken. „Die Regierung?“

Der Mann nickte.

„Ich arbeite schon sehr lange nicht mehr für die Regierung. Tut mir leid, wenn das grob klingt, aber worum es auch geht, ich habe kein Interesse. Ich bin beschäftigt. Sie müssen jetzt gehen.“

„Es ist etwas Persönliches. Für Sie, meine ich. Ich glaube, dass Sie das interessiert. Es ist wichtig – sonst wäre ich nicht gekommen.“

Milton bemerkte, dass er unwillkürlich das Spültuch zusammenknautschte.

„Ich möchte nicht … “

„Bitte, Mr. Milton“, unterbrach ihn der Mann. „Sie werden mir dankbar sein.“

Milton musterte den Mann. Er hatte nichts Bedrohliches an sich, aber er fürchtete sich auch mehr vor der Nachricht als vor dem Boten.

„Nur fünf Minuten. Mehr verlange ich gar nicht.“

Milton gab nach. „Fünf Minuten.“

Der Mann setzte sich auf eine der Bänke. Milton nahm einen Stapel schmutziges Geschirr, ging in die Küche und stellte ihn in die Spüle. Das Wasser war nur noch lauwarm, also ließ er heißes nachlaufen und beobachtete den Mann in der Spiegelung der abgedunkelten Scheibe vor sich. Er fragte sich, ob er ihn schon einmal gesehen hatte, doch ihm fiel nichts ein. Es gab so viele Erinnerungen aus seiner Vergangenheit, die vom Alkohol vernebelt und unscharf waren, und einige, die ganz verloren waren. Nach einem weiteren Versuch gab er auf. Es hatte keinen Sinn. Es würde ihm nicht einfallen.

Er schenkte zwei Tassen Tee ein und trug sie zum Tisch, wo er eine davon vor dem Mann abstellte und ihm gegenüber Platz nahm.

„Wie heißen Sie?“

„Logan. William Logan.“

„Und was machen Sie?“

„Ich arbeite in der Botschaft in Manila. Schon seit Jahren.“

Manila. Das weckte Erinnerungen. Milton war für zwei Aufträge auf den Philippinen gewesen. Beim ersten war es um den Tod eines MI 6-Agenten gegangen, der Geheimnisse an die Russen und Chinesen verkauft hatte.

Milton erinnerte sich sehr gut: Er hatte den Mann auf einer Fähre zwischen Manila und Cagayan de Oro erdrosselt und die Leiche über Bord geworfen.

„Vor einer Woche wurden wir von einer Frau kontaktiert, die behauptet, Sie zu kennen. Sie waren vor einigen Jahren in Manila. Die Operation Attila. Erinnern Sie sich? Eine Firma hat Boden-Luft-Raketen an Maoisten verkauft.“

„Tactical Aviation“, sagte Milton.

„Genau. Geführt von einem Engländer.“

Milton fielen die Details wieder ein. „Ja“, sagte er. „Fitzroy de Lacey.“

„Sie haben für seine Verurteilung gesorgt, richtig?“ Logans Frage war rhetorischer Natur. Milton antwortete nicht. „Seitdem sitzt er im Gefängnis. Noch immer dort drüben, soweit ich weiß.“

„Was hat er mit Ihrem Besuch zu tun?“

„Gar nichts“, antwortete Logan. „Nicht direkt. Es geht um Sie.“

Milton nahm einen Schluck Tee. Er erinnerte sich an die Operation Attila und wie viel er damals getrunken hatte. Er hatte Angst vor dem, was als Nächstes käme.

„Eine Einheimische war in die Sache mit Tactical Aviation verwickelt. Freundlich ausgedrückt könnte man wohl sagen, dass sie für die Gastzufriedenheit verantwortlich war. Ihr Name war … “

„Jessica“, beendete Milton den Satz.

„Jessica Sánchez.“

„Ja“, sagte Milton. „An Jessica erinnere ich mich.“

„Aber Miss Sánchez hat ebenfalls für uns gearbeitet. Stand auf unserer Lohnliste. Sie half, Sie in die Firma einzuschleusen.“

Milton zuckte mit den Achseln. Er würde seine wenigen Erinnerungen nicht mit einem Mann teilen, den er gerade erst kennengelernt hatte.

Logan sprach weiter. „Vor zwei Wochen kam Miss Sánchez in unsere Botschaft. Um Sie zu sehen. Ich sagte ihr, dass das unmöglich sei – wir vereinbaren keine Treffen zwischen unseren Agenten und jedem beliebigen Besucher, der von der Straße reinkommt. Aber sie war ziemlich stur. Ich allerdings auch. Schließlich drohte sie damit, zur Lokalzeitung zu rennen und denen alles über die Operation zu erzählen, die de Lacey hinter Gitter gebracht hat. Sie wissen das vielleicht nicht mehr, Milton, aber Tactical Aviation hatte Leute in London auf der Gehaltsliste. Leute in der Regierung. Sie nannte mir einige Namen, und jeder davon war ein Volltreffer. Sie weiß alles. Und manche dieser Leute sind immer noch im Amt. Einige sogar in

einer noch höheren Position als vorher. Es wäre äußerst blamabel, wenn die Sache jemals herauskäme. Sehr, sehr blamabel.“ Er lehnte sich zurück und öffnete die Hände vor der Brust. „Ich habe versucht, sie abzuwimmeln, aber sie besteht darauf. Sie muss mit Ihnen sprechen. Und nur mit Ihnen. Und das, Mr. Milton, ist der Grund, warum ich um die halbe Welt geflogen bin, um Sie zu treffen.“

„Wie?“, wollte Milton wissen. „Wie haben Sie mich gefunden?“

„War nicht ganz einfach. Ich glaube, Sie hatten vor einigen Jahren ein paar Probleme. Sind eine Weile untergetaucht.“

Milton zuckte erneut mit den Achseln.

„Aber inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt?“

Milton dachte darüber nach, was er darauf antworten sollte. Es wäre zu viel, zu sagen, dass Gras über die Sache gewachsen wäre, aber wenigstens wurde er nicht mehr von Control und den anderen korrupten Agents gejagt, die mit ihm gemeinsam ausgestiegen waren.

„Es ist ruhiger“, sagte Milton, „und das gefällt mir. Ich möchte nicht auffallen.“

„Aber Sie sind noch auffindbar. Ich musste etwas buddeln, habe Sie aber schließlich aufgespürt. Die haben über jeden von uns eine Akte, besonders über Leute wie Sie.“

„Offensichtlich.“

„Ja“, sagte Logan mit einem Lächeln. „Offensichtlich.“

Milton stellte fest, dass er seine Teetasse fest umklammert hielt. Es hatte keinen Sinn, die Sache noch länger hinauszuschieben. „Also“, begann er, „worum geht es? Was will Miss Sánchez?“

„Das ist eine gute Frage“, sagte Logan. „Die Sache ist etwas heikel.“

„Sagen Sie es einfach.“

„Sie hat uns erzählt, dass Sie beide eine Sache am Laufen hatten, als Sie dort waren. Eine Affäre. Nur kurz. Nur einige Monate.“

Milton spürte erneut Anspannung in sich aufsteigen und zuckte mit den Achseln.

„Nun, es ist so – und ich glaube nicht, dass es einen sanften Weg gibt, Ihnen das mitzuteilen, ohne Ihnen die Überraschung quasi in den Schoss zu werfen –, sie erzählte uns, dass sie nach Ihrer Abreise ein Kind bekommen hätte. Sie behauptet, es sei von Ihnen. Sie sind Vater, Mr. Milton.“ Er hob die Tasse zu einem süffisanten Toast. „Cheers.“

Logan saß im Fond des schwarzen Taxis und ließ das Treffen im Kopf noch einmal Revue passieren.

War es gut gelaufen? Seiner Ansicht nach ja. Es gab keinen Hinweis darauf, dass Milton seine Fassade durchschaut hatte, die er für diesen Zweck erfunden hatte. Logan war kein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. Er hatte nie in der Botschaft in Manila gearbeitet. Er arbeitete nicht einmal für die Regierung, auch wenn er sich seine Dienste als Freelancer von ihnen hatte bezahlen lassen. Ihm gefiel das unabhängige Leben als Dienstleister.

Er reiste viel. Er nahm einen Auftrag an, flog los und erledigte ihn. Er war gründlich und sorgfältig und widmete jedem Auftrag so viel Zeit wie nötig, um alles über seine Opfer und ihr Leben herauszufinden. Sein Motto war, dass er sie so gut kennen musste wie gute Freunde.

Und von allen Menschen, die er je hatte umbringen sollen, war niemand je so interessant gewesen wie John Milton.

Natürlich hatte er früher schon von ihm gehört. Die Existenz von Gruppe fünfzehn war ein schlecht gehütetes Geheimnis unter den Geheimdiensten gewesen. Milton war eines der bekannteren Mitglieder der Gruppe, vor allem wegen der eher hässlichen Art seines Ausscheidens und der verzweifelten Versuche seines abtrünnigen Vorgesetzten, ihn aufzuspüren und wieder unter die Knute zu zwingen. Letztendlich hatte die Niedertracht von Control das Todesurteil für die Gruppe bedeutet, ein Schicksal, das durch das spurlose Verschwinden des letzten Chefs der Einheit, Michael Pope, unterstrichen worden war. Gruppe fünfzehn war stillgelegt, die Agenten in alle Winde verstreut, und nun versuchte man, die ganze beklagenswerte Episode in den

Annalen der Geschichte versinken zu lassen.

Sie hatten Miltons Akten gelöscht, aber sein Ruf blieb bestehen.

Milton war jahrelang der gefährlichste Attentäter Ihrer Majestät gewesen, mit über hundertfünfzig bestätigten Tötungen. Er war schon seit Jahren nicht mehr aktiv, aber Logan hatte seine Handschrift überall auf der Welt gefunden, in Ciudad Juárez, San Francisco, der Oberen Halbinsel Michigans und, erst kürzlich, in London und Calais. Seine jämmerliche Existenz in London verriet, dass er versuchte, ein normales Leben als Zivilist zu führen, aber für Männer wie Milton war das nicht so einfach.

Milton war ein Killer, und er würde immer ein Killer bleiben.

Der Tod war sein ständiger Begleiter.

Das war etwas, was er mit Logan gemein hatte.

Denn Logan war ebenfalls ein Killer.

LOGAN BEWOHNTE ein Zimmer im Dorchester. Er hatte keinen festen Wohnsitz. Er arbeitete überall auf der Welt, und sein unstetes Leben passte sowohl zu seinem Beruf wie auch zu seiner Persönlichkeit. Nichts an ihm war beständig. Er hieß auch nicht Logan. Das war der Name des Mannes, dessen Passfoto ihm ähnlich sah. Es war dasselbe Foto wie in seinen Pässen aus Australien, Kanada, den USA, Irland und Deutschland. Nur der Name änderte sich. Er war fünf Jahre beim Special Boat Service gewesen, bevor er sich selbstständig gemacht hatte. Der britische Geheimdienst trennte sich allmählich von seiner sektionalen Struktur mit Bausteinen wie der Gruppe fünfzehn und nutzte stattdessen lieber diskretere Dienstleistungen durch eine Reihe nicht miteinander vernetzter Agenten ohne offizielle Verbindung zur Regierung. Die Männer und Frauen der Regierung, die Logan mit Aufträgen versorgten, waren in der Regel nur die Mittelsmänner zwischen ihm und den eigentlichen Auftraggebern. Mal war das ein diplomatischer Vertreter, der Ärger mit aufsässigen Menschen vor Ort hatte, mal ein Handelsbotschafter, der einen Zollbeamten loswerden wollte, weil dieser einem britischen Unternehmen im Weg stand. Manchmal waren es auch Mitglieder der Unterwelt, die eine bestimmte Geschäftsabsicht verfolgten. Andere Jobs –wie dieser – wurden ihm auf Empfehlung von früheren Kunden anvertraut. Logan war schon auf der ganzen Welt gewesen, hatte in teuren Hotels wie

diesem gewohnt, seine Aufträge mit akribischer Genauigkeit ausgeführt und dabei kaum eine Spur hinterlassen. Er erblickte sein Gegenbild in einem der großen Spiegel der Lobby. Sein Anzug war teuer, aber nicht so teuer, dass er damit aufgefallen wäre. Sein lederner Aktenkoffer glich dem des Mannes vor ihm, nur dass Logans eine Pistole und Munition beinhaltete, keinen Laptop. Er hatte ein unauffälliges Gesicht, wie das eines gelangweilten Provinzbuchhalters. Er arbeitete hart daran, sich diese Aura von verdrießlicher, lebensüberdrüssiger Langeweile zu bewahren. Das war die Maske, hinter der er sein wahres Selbst verstecken konnte.

Logan spazierte durch die Wandelhalle. Er beobachtete reiche Araber und Russen, die von stämmigen Bodyguards und willigen Frauen begleitet wurden. Er kam an einer afrikanischen Familie in protzig teurer Kleidung vorbei und blieb vor den Fahrstühlen stehen, um ein älteres Paar aussteigen zu lassen, das Schwaden von beißendem Parfüm und Eau de Cologne absonderte, als wäre es der Duft ihres Geldes.

Im Fahrstuhl steckte er seinen Schlüssel ins Schloss und fuhr in den vierten Stock, betrat sein Zimmer, schloss die Tür und holte das EinwegHandy heraus, das er am Flughafen gekauft hatte. Er öffnete einen GmailAccount und begann zu tippen.

ERLEDIGT. HABE IHN GETROFFEN.

Er speicherte die Nachricht im Ordner „Entwürfe“ und ging dann ins Bad, um Wasser in die Wanne zu lassen.

Als er zurückkam, aktualisierte er den Browser. Sein Nachrichtenentwurf war durch einen anderen ersetzt worden.

WAS HAT ER GESAGT?

Er löschte die Nachricht und schrieb: ER WAR ÜBERRASCHT. HAT NICHT DAMIT GERECHNET, VON IHR ZU HÖREN, UND DENKT ÜBER EINEN BESUCH NACH. ICH TREFFE IHN MORGEN ERNEUT. Er ging wieder ins Bad und drehte den Hahn zu, bevor er den Browser erneut aktualisierte.

WIE IST IHR EINDRUCK?

Er tippte.

BEREITEN SIE DIE FRAU VOR. ICH GLAUBE, ER KOMMT.

ilton stieg aus dem Bett. Im Schlafzimmer war es kalt, und er hatte kaum ein Auge zugetan. Er ging in das winzige Badezimmer, stellte sich in die Badewanne und ließ das Wasser aus dem Duschkopf strömen. Die Kälte war ihm in die Knochen gekrochen, und er stand fünfzehn Minuten unter dem warmen Wasserstrahl, bis sie sich endlich aufzulösen begann.

Aber nicht nur die Kälte hatte ihn wach gehalten, sondern auch die Gedanken an das, was Logan ihm erzählt hatte.

Die Erinnerungen an seinen zweiten Besuch in Manila waren lückenhaft. Damals hatte er sehr viel getrunken. Er war in die Rolle eines ehemaligen Soldaten geschlüpft, der als Personenschützer arbeitete. Einer von Fitzroy de Laceys vorherigen Angestellten war verschwunden, ein „Zufall“, den Milton eingefädelt hatte, damit er den frei gewordenen Posten besetzen konnte. Seine Erfahrungen beim Militär, kombiniert mit seiner erfundenen Vergangenheit als Söldner, hatten ihn zum perfekten Kandidaten für den Posten gemacht, und so hatte er die Stelle an de Laceys Seite angetreten.

De Lacey war ein misstrauischer Mensch, und Milton hatte ungewöhnlich viel Mühe gehabt, die Fassade aufrechtzuerhalten. Er hatte die Tage damit verbracht, die Beweise zusammenzutragen, mit denen er de Lacey schließlich hinter Gitter gebracht hatte. Ein stressiger Auftrag, eine lange Liste von Unwahrheiten, die Milton sich hatte merken müssen, und als Folge war er jeden Abend erschöpft in sein Hotelzimmer zurückgekehrt, wo er die Minibar geleert hatte, bevor er besinnungslos ins Bett gestürzt war.

Jessica Sánchez hatte ebenfalls für Tactical Aviation gearbeitet. Milton konnte sich kaum noch an seine Zeit in der Stadt erinnern, aber Jessica hatte

er nicht vergessen. Sie war wunderschön gewesen, mit dunkler Haut und pechschwarzen Haaren. Ihre braunen Augen waren groß und lebendig gewesen, darin ein neckisches Funkeln, das so gar nicht zu ihrer kühlen Art passte, die ihr Markenzeichen als de Laceys Angestellte war. Sie wusste, dass sie hübsch war und dass de Lacey sie dort einsetzte, wo ihre Attraktivität ihm den größten Vorteil brachte. Und nicht einmal die unangenehmen Männer, für deren Unterhaltung sie bezahlt wurde, brachten ihre Professionalität ins Wanken.

Milton hatte sich vom ersten Augenblick an zu ihr hingezogen gefühlt. Er hatte noch nie ein gutes Gespür dafür gehabt, ob seine Gefühle erwidert wurden, daher hatte er sich selbst dann noch zurückgehalten, als eigentlich alles dafür sprach, dass sie auch etwas für ihn empfand.

Die anderen Männer in de Laceys Sicherheitsteam erzählten ohne jede Scham oder auch nur den Versuch, ihre lüsternen Fantasien zu verbergen, von Jessica und den anderen Frauen, die regelmäßig auf die Partys auf de Laceys riesiger Jacht gekarrt wurden. Sie erzählten ihm außerdem, dass de Lacey gelegentlich Jessicas Bett teilte – das war Miltons schwerwiegendster Anlass, sich in seinem Hotel ins Vergessen zu stürzen, das die Hotelbar ihm bot.

Er hielt das Gesicht ins warme Wasser und versuchte, die dumpfe Beklemmung abzuschütteln, die ihn plötzlich überkommen hatte.

Eine besondere Nacht stand ihm klarer vor Augen als alle anderen. Noch heute, Jahre später, Jahre voller Alkohol, der den Großteil seiner Erinnerungen in schwarze Flecken verwandelt hatte, war das der Augenblick, der ihm immer wieder im Kopf herumspukte und ihn wach hielt. Milton hatte versucht zu schlafen, das Fenster einen Spaltbreit geöffnet, um etwas Luft in das stickige Zimmer zu lassen, als es an der Tür klingelte. Er hatte keinen Besuch erwartet, also hatte er die Tür einen Spaltbreit geöffnet, die Pistole hinter dem Türrahmen verborgen. Draußen hatte Jessica gestanden, das Gesicht blutig und voll blauer Flecken. Er hatte sie hereingelassen und ihr ein Glas aus der fast leeren Wodkaflasche eingeschenkt.

Sie hatte ihm alles erzählt: Sie war bei de Lacey gewesen, und er hatte sie geschlagen. Der Grund war ein Auftrag von einem Waffenhändler aus Armenien gewesen. Der Mann und seine Entourage waren nach Manila gekommen, um den Deal zu unterzeichnen, und es war Jessicas Job gewesen, die Reise den Männern unvergesslich zu machen. Doch etwas war schiefgelaufen – Milton wusste nicht mehr, was –, und der Armenier war

wieder abgereist, ohne zu unterschreiben. De Lacey hatte Jessica die Schuld an dem geplatzten Geschäft gegeben und seine Strafe mit seinen Fäusten und seinem Gürtel vollstreckt. Den ganzen Umfang seiner Unzufriedenheit hatte Milton erst zu Gesicht bekommen, als Jessica aus ihrem Kleid gestiegen war:

Ihr Rücken war vom Nacken bis zur Hüfte mit Striemen übersät gewesen.

Milton war betrunken gewesen. Der Alkohol, seine Gefühle für Jessica und der aufsteigende Zorn über das, was man ihr angetan hatte, hatten sich zu einem Cocktail der Lust vermengt, dem seine Professionalität nicht standgehalten hatte. Irgendwo in seinem Schädel hatte er trotz des Alkohols gewusst, dass es eine ganz blöde Idee war, doch er hatte nicht widerstehen können. Sie hatte sich ihrer restlichen Kleider entledigt und war zu ihm ins Bett gekommen.

Irgendwann waren sie eingeschlafen. Milton war als Erster wieder aufgewacht. Er wusste noch, dass er schweißgebadet gewesen war, dass warme Luft die Jalousien bewegt hatte und die Temperatur im Zimmer immer höher gestiegen war. Ihm war fast der Schädel geplatzt, schon bei der Erinnerung an die Exzesse der vergangenen Nacht, auch wenn solche Schmerzen damals nicht unüblich gewesen waren. Er hatte sich langsam aufgerichtet, was seinen Kater noch verstärkt hatte, und sich zu der Frau umgedreht, die ausgebreitet neben ihm lag. Ihm wurde übel bei dem Gedanken an die Idiotie dessen, was sie getan hatten.

Jessica, aufgeschreckt durch seine Bewegung, war schlagartig aufgewacht, und als ihr klar geworden war, was geschehen war, war sie vor Angst fast panisch geworden. Sie hatte Milton erklärt, was für ein eifersüchtiger Mann de Lacey war und dass sie beide in Gefahr wären, falls er je herausfand, dass sie miteinander geschlafen hatten. Sie waren übereingekommen, dass sie verrückt gewesen waren. Es war ein dämliches Risiko gewesen, aber sie konnten sich schützen, wenn sie diese Nacht für sich behielten. Es gab keinen Grund, de Lacey oder irgendjemand anderem je davon zu erzählen.

Und so war Milton zur Arbeit gegangen, als ob nichts geschehen wäre. De Lacey war auf seiner Jacht gewesen und hatte Milton gebeten, ihn auf einem der Beiboote rauszufahren, damit er in tieferem Wasser schwimmen konnte. Milton wusste noch, dass er von Wut beinah überwältigt worden war. De Lacey genoss das Leben, lachte und scherzte mit ihm, während er sich auszog und ins kristallklare Wasser sprang. Er benahm sich, als ob das, was er Jessica angetan hatte, völlig belanglos wäre, als hätte er nur einem

Angestellten eine Abmahnung zukommen lassen. Milton war klar geworden, wie einfach es gewesen wäre, ihn direkt dort vor Ort zu erledigen. Sie waren zu zweit, allein, weit weg vom Festland. Milton war bewaffnet gewesen und hätte ihn einfach erschießen und die Leiche am Grund des Meeres versenken können.

Aber er hatte es nicht tun können. Er hatte sehr klare Anweisungen gehabt. Das war kein Routineauftrag gewesen, an dessen Ende eine tote Zielperson und ein reibungsloser Abflug nach London zum nächsten Auftrag standen. Das Ziel der Operation war gewesen, de Lacey verhaften und schlussendlich ins Gefängnis wandern zu lassen. Das war subtiler als üblich, komplexer, und diese Vorgaben schränkten seinen sonstigen Spielraum ein, seine Befehle nach eigenem Ermessen auszuführen.

Seine Pistole hatte sich rotglühend in im Schulterholster angefühlt, aber er hatte sie nicht angerührt. Stattdessen hatte er de Lacey aus dem Wasser geholfen, ihm ein Handtuch gegeben und das Schnellboot zurück in den Hafen gefahren, zu seiner Multimillionen-Pfund-Jacht und seinem Frühstück.

Milton rief Logan unter der Nummer an, die der ihm gegeben hatte, und vereinbarte ein Treffen um vierzehn Uhr in South Bank. Es war elf Uhr, er hatte also noch drei Stunden Zeit, bevor er dort sein musste.

Es gab ein Meeting im Bürgerzentrum am Victoria Park. Er zog sich den Mantel über, schloss die Wohnung ab und ging los.

ES WAR ein dreißigminütiger Fußweg zu dem Meeting.

Milton ging die Columbia Road hinauf bis zum emsigen Treiben des wöchentlichen Blumenmarkts. Die enge Straße war voller Kunden, die sich in Grüppchen um Verkaufstische drängten, während heisere Marktschreier lautstark ihre Waren feilboten. In der Straße hing der Duft von Lilien, Rosen, Narzissen und Rittersternen, von Klee, Chrysanthemen und Kohlblumen. Milton kam an der ehemaligen Grundschule und den alten Kneipen vorbei, die im Zuge der uferlosen Gentrifizierung, die dieses einst so raue Viertel verschlang, verschönert worden waren. Er ging nach Nordwesten weiter, vorbei an der Hackney City Farm und der leeren BMX-Bahn am Haggerston Park. Er überquerte den Kanal und ging nach Osten, bis er die Westspitze des Victoria Parks erreichte. Das Meeting fand im Gemeindehaus statt, einem der hässlichen Ziegelbauten der sechziger Jahre, mit denen man die von den Bomben der Luftwaffe ins Stadtbild gerissenen Lücken gefüllt hatten.

Milton war noch nie bei diesem Meeting gewesen, und auch wenn er

einige der Gesichter unter den knapp zwanzig Teilnehmern kannte, grüßte er niemanden und setzte sich, wie er es immer tat, nach ganz hinten in die letzte Reihe.

Die Gruppenleiterin bat um Ruhe und eröffnete das Meeting, indem sie „Wie es funktioniert“ aus dem Blauen Buch vorlas. Milton schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Atmung. Als die Sprecherin mit ihrer Geschichte begann, ließ er sich von ihrer einlullenden Stimme an den meditativen Ort tragen, an dem er manchmal das Getöse in seinem Schädel ausblenden konnte.

Tat er das Richtige? Er hatte keine Ahnung. Sein Verstand sagte ihm, dass er Logans Neuigkeiten ignorieren, sein Zeug packen und woanders untertauchen sollte. Er hatte endlich begonnen, sich sicher genug zu fühlen, um so etwas wie ein normales Leben zu führen. Doch jetzt hatte der unerwünschte Kontakt mit seinen alten Arbeitgebern in ihm den Wunsch geweckt, wieder möglichst unsichtbar zu werden. Die Leichtigkeit, mit der Logan ihn aufgespürt hatte, war erschreckend für einen Mann, der fast sein ganzes Leben im Schatten verbracht hatte. Er hatte darüber nachgedacht, wieder nach Südamerika zu gehen, und die Vorstellung – zu reisen und alle Beweise seiner Existenz durch stete Bewegung auszuradieren – schien ihm jetzt verlockender als vorher. Hier gab es nichts für ihn. Er würde seinen Job und die Männer und Frauen, die in der Taxibude Schutz suchten, vermissen, aber niemanden davon betrachtete er als echten Freund. Keiner von ihnen würde Milton vermissen, wenn er fortginge.

Überhaupt würde ihn kein Mensch vermissen.

Doch auch wenn er davon überzeugt war, dass das der vernünftigste Schritt war, würde er es nicht tun können. Logans Nachricht hatte ihn kalt erwischt. Seine Erinnerungen an Jessica waren lebendiger als erwartet, und er war überrascht von seinem eigenen Wunsch, sie wiederzusehen.

Auch wenn das nicht der einzige Grund war.

Denn da war noch der Umstand, dass sie Logan erzählt hatte, dass sie ein Kind von Milton hatte.

Es hatte durchaus ein paar Frauen in seinem Leben gegeben, sowohl während als auch nach seiner Tätigkeit für die Regierung. Wenn er getrunken hatte, hatte er sich nicht zurückgehalten, und sein Verhalten Frauen gegenüber war am Ende einer der Gründe dafür gewesen, warum er unbedingt hatte trocken werden wollen. Es hatte auch Frauen gegeben, als er frisch mit dem Alkohol aufgehört hatte und herumgereist war. Die meisten

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