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DER SEELENFÄNGER

ANTHONY M. STRONG

ÜBERSETZT VON STEPHAN WABA

EDITED BY PETRA DINGES

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

INHALT

Bereit für ein weiteres John Decker-Abenteuer?

Außerdem von Anthony M Strong

West Street Publishing

Dies ist ein fiktives Werk. Figuren, Namen, Orte und Ereignisse sind Produkte der Fantasie des Autors. Jede Ähnlichkeit mit Ereignissen, Orten oder realen Personen, ob lebend oder tot, ist rein zufällig.

Copyright © 2020 Anthony M. Strong Aus dem Englischen von Stephan Waba. Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen elektronischen oder mechanischen Mitteln, einschließlich Informationsspeicherund -abrufsystemen, ohne schriftliche Genehmigung des Autors vervielfältigt werden, mit Ausnahme von kurzen Zitaten in einer Buchbesprechung

EINS

KAIRO, ÄGYPTEN

DIE STADT DEHNTE sich in alle Richtungen aus, wie ein schillerndes Juwel unter dem Mantel der Nacht, und der Nil wand sich wie ein serpentinenartiges Band und trennte dabei das Ost- und das Westufer Das Wasser erstrahlte in rotem und blauem, grünem und weißem Licht, in dem sich die tausenden von Gebäuden spiegelten, die sich im Stadtzentrum drängten und um den Platz in der engen und lauten Metropole buhlten. Ein solches Gebäude, das Ägyptische Altertumsmuseum, lag ruhig und majestätisch zwischen der Nile Corniche Straße und der Meret Basha. Seine rote Backsteinfassade wurde von nach oben gerichteten Scheinwerfern beleuchtet, die so an den Wänden angebracht waren, dass sie wie von einem überirdischen Licht erstrahlten.

Im Inneren öffnete sich ein Säulengang mit vier Säulen zum zentralen Atrium, einem riesigen Raum, der von Galerien auf zwei Ebenen flankiert und mit Wundern der antiken Welt gefüllt war. Sarkophage und Vitrinen voller unbezahlbarer Artefakte lagen unter den wachsamen Augen von Amenhotep III. und seiner Königin Tiye, die am anderen Ende des Raumes in Stein verewigt waren. Ohne auf die kolossalen Doppelstatuen zu achten, eilte ein zierlicher Mann in der Uniform eines Wachmanns durch diesen Raum, obwohl er nicht hier war, um die Bestände des Museums zu schützen. Stattdessen trug er eine schlichte schwarze Tasche, die er

schützend umklammert hielt, damit sie ihm nicht von der Schulter rutschte.

Als er Stunden zuvor das Museum betreten hatte, war die Halle voller Touristen, die sich um die Ausstellungsstücke drängten und leise miteinander flüsterten. Sie folgten den Vortragenden und hörten sich die Audioführungen an, während sie ihre gelangweilten Kinder durch einen staubigen Raum nach dem anderen schleppten. Es war ein Leichtes gewesen, sich in eine Abstellkammer zu verkriechen, die er schon Tage zuvor ausgekundschaftet hatte, und zu warten, bis sich der Trubel gelegt hatte und das Museum für heute schloss. Er brauchte sich auch nicht um die tägliche Zählung der Besucher zu kümmern, die sicherstellte, dass alle Besucher das Gebäude auch wieder verlassen würden, denn er verschaffte sich durch eine Hintertür Zutritt, als der Catering-Service seine wöchentliche Lieferung in das Restaurant im ersten Stock brachte. Es war erstaunlich, wie einfach es war, sich ein silbernes Tablett mit Croissants von der Ladefläche des Lastwagens zu schnappen und durch die Hintertür zu schlendern, als ob er dort hingehörte. Er entledigte sich seiner weißen Arbeitskleidung, um seine Uniform zum Vorschein zu bringen, und schritt über die Laderampe direkt ins Museum. Niemand stellte ihn zur Rede, und bald war er an seinem Platz.

Aber jetzt musste er aufpassen, dass er keine Spuren hinterließ, die von den Behörden später entdeckt werden konnten. Der Staatssicherheitsdienst, der vor kurzem in den harmloseren Namen Heimatschutz umbenannt wurde, war gnadenlos bei seinen Ermittlungen und anschließenden Verhören. Er hatte nicht die Absicht, ihr unfreiwilliger Gast zu werden.

Er bewegte sich unauffällig und vorsichtig, wobei er sorgfältig darauf achtete, die Route der echten Wachen und die Reichweite der Überwachungskameras zu meiden.

Als er am Ende der leeren Halle ankam, versteckte er sich hinter einer Säule und stieg dann über eine Steintreppe in die zweite Etage.

Über den Balkon kam er an Räumen vorbei, in denen mumifizierte Tiere, Kanopen, antike Schmuckstücke und das

Prunkstück des Museums, die goldene Totenmaske von König Tutenchamun, ausgestellt waren.

Aber für all das war er nicht hier.

Er beachtete die ausgestellten goldenen Gegenstände und Juwelen nicht und ging weiter, bis er zu einer kleinen Kammer am Ende des Balkons kam, in der sich ein erhöhtes Podest aus Stein befand, das auf allen vier Seiten mit Hieroglyphen verziert war. Darauf lag ein offener Sarkophag mit einer Glasvitrine und darin die Überreste eines Leichnams, der vor mehr als dreitausend Jahren einbalsamiert worden war und in enge Stoffhüllen gehüllt war, die inzwischen vergilbt und brüchig waren.

Der Eindringling blieb einen Moment stehen und betrachtete die Mumie, den Kopf respektvoll gesenkt. Dann nahm er schnell die Ledertasche von der Schulter und legte sie auf den Boden, wo er sie gegen ein Podest lehnte.

Er kniete sich hin, öffnete die Tasche und vergewisserte sich, dass mit seinem Inhalt alles in Ordnung war. Ohne einen Blick zurück zu werfen, wandte er sich um, ließ die Tasche neben dem Podest liegen und eilte zurück durch das Museum. Er folgte seinem Weg zurück, stieg ins Erdgeschoß hinab und ging auf den Haupteingang zu. Dann bog er nach rechts ab und schlängelte sich durch die erste Galerie, bis er eine Fluchttür erreichte, die er aufstieß.

Die kühle Nachtluft war eine willkommene Veränderung im Vergleich zu der drückenden Nachmittagshitze, die über der Stadt gelegen hatte, als er das Museum betreten hatte. Er zog die Uniformjacke aus und warf sie in einen nahegelegenen Mülleimer. Dann lockerte er seinen Hemdkragen, während der Alarm, der durch den geöffneten Notausgang ausgelöst wurde, die Wachen im Inneren darauf aufmerksam machte, dass etwas nicht stimmte.

Der Eindringling grub seine Hände tief in die Taschen und schlenderte auf den Vorplatz des Museums. Er begab sich in Richtung des Flusses und beachtete die wenigen Touristengruppen nicht, die sich dort aufhielten, um die Sehenswürdigkeiten der alten Stadt zu bewundern.

Als er die Straße erreichte und auf den Bürgersteig trat, hörte er das Dröhnen einer Explosion.

Er blickte sich um und betrachtete den orangefarbenen Feuerball und den schwarzen, beißenden Rauch, der von der Seite des Museums aufstieg. Dann drehte er sich um und ging weiter, während die Schreie der erschrockenen Touristen zu hören waren und das leise Heulen der Sirenen durch die Luft waberte. Es hatte begonnen.

ZWEI

NEW YORK CITY

DIE VILLA an der Upper East Side lag inmitten eines üppigen, sorgfältig gepflegten Grundstücks, das so üppig war, dass man niemals vermuten würde, dass es sich im Herzen einer der größten Städte der Welt befand, abgesehen von dem leisen Rumpeln der Autos und Lastwagen, das in der Luft lag.

Daniel Montague stand an einem Erkerfenster an der Vorderseite des Hauses und blickte mit entrücktem Blick über die üppige grüne Landschaft. Hinter ihm, auf einem verzierten Couchtisch aus jahrhundertealter englischer Eiche, lag die New York Times, mit dem internationalen Teil aufgeschlagen. Am oberen Rand der Seite prangte in fetten, schwarzen Buchstaben die Schlagzeile: „Bombe zerstört unschätzbare Artefakte in Kairoer Museum“.

Er wandte sich um und durchquerte den Raum, wobei sein Blick auf die Zeitung fiel und er einen Anflug von Angst verspürte, weil er genau wusste, wer den Sprengsatz gelegt hatte und aus welchem Grund.

Daniel betrat einen breiten Korridor mit einem Fenster an einem Ende. Das Sonnenlicht fiel durch das Glas und warf ein schachbrettartiges Muster auf die erlesenen asiatischen Teppiche, die auf dem polierten, kirschfarbenen Holzboden lagen. Das Licht strömte die Wand hinauf und versuchte, das erste einer Reihe von Papyrusblättern zu erreichen, die hinter gläsernen Bilderrahmen

lagen. Jedes von ihnen war tausende von Jahren alt. Die ältesten, stark beschädigt und fast unkenntlich, stammten aus der fünften Dynastie des Alten Reiches, etwa vierundvierzig Jahrhunderte zuvor. Diese Objekte waren von unschätzbarem Wert und wären im Britischen Museum oder im Smithsonian nicht fehl am Platz gewesen. Stattdessen befanden sie sich in einer Privatsammlung, um die sich die meisten Kuratoren wohl reißen würden. Weiter drinnen im Haus befanden sich weitere Objekte von gleicher Bedeutung, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hatte; einige hatte er gekauft, andere hatte er auf seinen eigenen Expeditionen ausgegraben.

Als er das Ende des Korridors erreichte, kam er an eine verschlossene Tür und zog einen Schlüssel aus seiner Tasche. Dies war sein Arbeitszimmer, in dem sich einige der wertvollsten Stücke der Sammlung befanden. Er trat zu seinem Schreibtisch, ohne auf die Regale mit alten Krügen, Amuletten und Tonstatuen zu achten, und setzte sich hin.

Er zog einen Block aus der Schreibtischschublade und begann hastig und krakelig zu schreiben. Dann faltete er das Blatt und steckte es in einen Umschlag, bevor er den Stift wieder zur Hand nahm und den Brief mit der gleichen Schnelligkeit adressierte.

Anschließend stand Daniel auf, verließ den Raum und lief schnell durch das Haus, bis er zu einer breiten Doppeltür mit sechs kunstvoll gravierten Paneelen kam. Er öffnete sie und trat ins Freie.

Er eilte durch die Gärten, folgte der Auffahrt zu den schmiedeeisernen Toren und öffnete den Briefkasten. Dort warf er den Brief ein und drehte sich um, um wegzugehen. Dabei fiel sein Blick auf die Straße und den schwarzen Geländewagen, der sich auf das Anwesen zubewegte. Er verharrte und beobachtete, wie das Fahrzeug mit laufendem Motor am Bordstein anhielt.

Daniel stockte der Atem. Normalerweise würde ihm der Anblick eines auf der Straße stehenden Autos nicht auffallen. Aber heute war das anders. Das Auto hatte etwas Unheimliches an sich, wie es da vor den Toren stand und mit seinen getönten Scheiben jeden Blick auf die Insassen verwehrte.

Daniel wandte seinen Blick ab und eilte zurück zum Haus. Die Zeit drängte, und es gab noch etwas, das er erledigen musste.

Er betrat die Lobby, schloss die Doppeltüren und verriegelte sie mit massiven Bolzen, bevor er sich der Tastatur des Sicherheitssystems zuwandte und den Code eingab. Als das Gerät zweimal piepte, um ihm mitzuteilen, dass das System aktiv war, konnte er erleichtert aufatmen.

Daniel machte sich auf den Weg durch das Haus und kehrte ins Arbeitszimmer zurück. Wenige Augenblicke später, als er seine Aufgabe erledigt hatte, begab er sich ins Wohnzimmer, zum Erkerfenster mit Blick auf das Grundstück.

Seine Augen suchten die Landschaft ab.

Die Tore konnte er von hier aus nicht sehen, aber er war sich sicher, dass der schwarze Geländewagen noch da war und ihn im Auge behielt. Lauernd.

Daniel verweilte am Fenster. Er war überzeugt, dass sie bald kommen würden. Die Explosion und das anschließende Feuer, das mehrere Galerien des Kairoer Museums zerstört hatte, waren zwar um Welten von der Upper East Side entfernt, aber er hatte sofort gewusst, was es bedeutete, als er die Schlagzeile sah. Das Timing war zu präzise, um reiner Zufall zu sein.

Wenigstens würden sie nicht finden, was sie suchten. Wenn er sich beeilte, würden sie auch ihn nicht finden. Er besaß mehrere Grundstücke, von denen einige nur seinen engsten Vertrauten bekannt waren, und wenn er es schaffte, eines davon zu erreichen, wäre er in Sicherheit.

Er wandte sich um und eilte zurück in sein Arbeitszimmer. Als er dort ankam, öffnete er seine Schreibtischschublade und holte die Schlüssel für seinen Mercedes heraus, der in der hinteren Garage mit drei weiteren Autos geparkt war.

In diesem Moment ging der Strom aus.

Daniel erstarrte.

Warum hatte er sein Handy nicht in seine Tasche gesteckt, anstatt es auf dem Nachttisch neben dem Bett aufzuladen? Das war ein dummer Fehler gewesen.

Auf seinem Schreibtisch stand ein Festnetztelefon. Ein Relikt, das er für Notfälle aufbewahrte.

Er nahm den Hörer in die Hand.

Stille.

Die Leitung war tot. Er war auf sich allein gestellt.

Daniel trat einen Schritt auf die Tür zu, die Autoschlüssel in der Hand. Er musste sofort aus dem Haus und fliehen.

Aber es war bereits zu spät.

Ein leises Geräusch drang aus dem Flur vor seinem Arbeitszimmer an seine Ohren. Es war nicht mehr als das Knarren einer Bodendiele, aber ungewöhnlich genug, um Daniel innehalten zu lassen.

Er unterdrückte ein ängstliches Aufatmen und richtete seinen Blick auf die Tür Seine Hände zitterten. Als er die beiden schwarz gekleideten Gestalten auftauchen sah, deren Gesichter durch Masken verborgen waren, schnürte sich seine Kehle zu.

„Ich habe mich schon gefragt, wann ihr auftauchen würdet.“

Daniel sprach so gefasst, wie es ihm möglich war.

„Wo ist sie, alter Mann?“ Die näherstehende Person betrat den Raum.

„An einem Ort, an dem du sie nie finden wirst.“ Daniel widerstand dem Drang, wegzulaufen. Das würde ihm ohnehin nichts nützen.

„Spiel keine Spielchen mit mir. Rück sie schon raus.“

„Daraus wird nichts.“

„Sei nicht so stur“, sagte der Eindringling. „Zwing uns nicht, die Sache auf die harte Tour durchzuziehen.“

„Das spielt keine Rolle.“ Daniel spürte, wie seine Stimme brach. „Ich bin so oder so tot.“

„Stimmt, aber du kannst deine Reise ins Jenseits weniger schmerzhaft gestalten, wenn du mit uns zusammenarbeitest.“

Die Männer waren jetzt ganz nah. Daniel zog sich rückwärts zum Fenster zurück, bis seine Beine die Fensterbank berührten. Er überlegte, ob er sich umdrehen und durch das Fenster springen könnte, um zu entkommen. Aber das war sinnlos, das wusste er. Draußen würden andere darauf warten, dass er abhauen würde. Sie hatten für alle Eventualitäten vorgesorgt, da war er sich sicher.

„Ihr jagt mir keine Angst ein“, log Daniel.

„Dann soll es so sein.“ Der Mann zuckte mit den Schultern. „Du hast jedes Recht, deinen eigenen Entscheidungen zu treffen.“

„Ich sage kein Wort.“ Daniel spürte, wie seine Beine nachgaben. „Ihr werdet hier mit leeren Händen fortgehen.“

„Das werden wir ja sehen.“ Der Eindringling umkreiste Daniel, ohne seinen Blick von dem älteren Mann zu lösen. Er drehte sich um und gab seinem Partner ein Zeichen. „Warum fangen wir nicht an?“

DREI

JOHN DECKER von der Mordkommission der New Yorker Polizei war ganz und gar nicht gut gelaunt. Der Anblick der blutigen, zerstückelten Überreste eines einst quicklebendigen Menschen war ein denkbar ungünstiger Start in den Tag.

Er lag noch im Bett, als der Anruf kam, viel zu früh. Er taumelte ins Bad und betrachtete sein zerzaustes braunes Haar und die Tränensäcke unter seinen Augen, die in dem schwachen Licht fast grau aussahen, obwohl sie normalerweise strahlend blau waren. Normalerweise dachte er, dass er mit Mitte dreißig noch ganz gut aussah und sein Gesicht kaum gealtert war, aber heute sah er einfach nur scheiße aus. Er wünschte sich, er wäre früher ins Bett gegangen und hätte sich richtig ausschlafen können. Er spritzte sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht, blinzelte, um den Schlaf aus seinen Augen zu vertreiben, und war in weniger als zehn Minuten auf dem Weg.

Jetzt stand er da, einen Becher mit lauwarmem Kaffee in der Hand, und ließ den grausigen Anblick auf sich wirken. Das Opfer, das auf seinem eigenen Bürostuhl festgeschnallt war, sah aus, als wäre es stundenlang verprügelt worden. Sein ursprünglich weißes Leinenhemd war jetzt tiefrot gefärbt und passte zu den Striemen, die sein Gesicht wie eine Straßenkarte überzogen. Tiefe, hässliche gelbe und violette Blutergüsse bedeckten das bisschen Haut, das nicht mit getrocknetem Blut verkrustet war, und ein Auge quoll aus der Augenhöhle, das Gewebe ringsherum war wund und geschwollen. Die Hände des Mannes waren mit Klebeband an den

Armlehnen des Stuhls befestigt worden. Seine Finger waren nach hinten geknickt worden und standen nun in einem unnatürlichen Winkel zur Seite.

Decker verzog das Gesicht und versuchte, den Gedanken an den Vorfall zu verdrängen, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung lenkte.

Die Villa in einer der wohlhabendsten Gegenden New Yorks war kein typischer Tatort. Normalerweise war das eine Seitengasse, ein Drogenkeller in Harlem oder eine Wasserleiche im Hudson River. Mord war eine schäbige Angelegenheit, und diese vornehme Umgebung unterstrich nur die Brutalität der Tat, die er hier untersuchen sollte.

„Ab und zu wäre es schön, wenn sich die Leute zu einer vernünftigen Zeit umbringen ließen.“ Ryan Connor, Deckers Partner, lehnte sich an den Türrahmen, seine lässige Art stand im Widerspruch zu dem Grund, warum sie hier waren.

„Hast du was Besseres vor?“, fragte Decker.

„Nein. Aber ich bin froh, dass ich gefrühstückt habe, bevor ich hierher gekommen bin“, sagte Connor und verzog den Mund zu einem schmalen Strich. „Nicht, dass es mir jetzt besonders gut geht. Oh Gott. Das ist das Schlimmste an diesem Job.“

„Ja.“ Decker blickte auf seinen Kaffee. Die braune Flüssigkeit war eine willkommene Abwechslung zum Blick auf das Mordopfer. Hinter ihm, im Flur, saß eine pummelige Frau mittleren Alters auf einem Stuhl und tupfte sich mit einem weißen Taschentuch ihr tränenüberströmtes Gesicht ab. „Was hat sie gesagt?“

„Das Übliche“, antwortete Connor. „Sie putzt hier. Sie kam gegen sechs Uhr an, um mit ihrer Arbeit zu beginnen und hat die Leiche gefunden. Sie setzte den Notruf ab.“

„Das ist ein bisschen früh, um Staub zu wischen, oder?“

„Genau das habe ich auch gesagt.“ Connor fuhr sich mit einer Hand durch sein schwarzes, drahtiges Haar. „Aber anscheinend mochte unser Opfer es so. Er war ein Frühaufsteher, wie man hört.“

„Mit diesem Tatort stimmt irgendetwas nicht.“ Decker nahm einen Schluck Kaffee, dann sah er finster drein und widerstand dem Drang, den Becher wegzuschütten.

„Ich weiß nicht genau, was du meinst.“ Connor schüttelte den Kopf. „Für mich sieht es ziemlich eindeutig aus. Es gibt Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen, das Sicherheitssystem wurde ausgeschaltet und der Strom wurde am Zählerkasten abgeklemmt. Ich tippe auf einen schief gelaufenen Einbruch.“

„Vielleicht.“ Decker sah sich um und sein Blick fiel auf die große Sammlung wertvoller Kunstgegenstände in dem Raum. „Aber warum sollte man sich so viel Mühe machen und all das Zeug zurücklassen? Das muss doch ein Vermögen wert sein.“

„Hast du eine bessere Theorie?“

„Dieser Mann wurde nicht nur ermordet, er wurde auch gefoltert.“ Decker tat sein Bestes, um seinen Blick von der Leiche abzuwenden. „Da steckt mehr dahinter als ein einfacher Raubüberfall. Sie haben ihn verprügelt und ihm Schnittwunden beigebracht. Sie haben ihm sogar die Finger gebrochen, einen nach dem anderen. Wer auch immer das auf dem Gewissen hat, wollte etwas, und zwar dringend.“

„Die Frage ist, ob sie es auch bekommen haben“, erwiderte Connor.

„Schwer zu sagen, da wir nicht wissen, was sie gesucht haben“, sagte Decker. „Aber ich würde sagen, nein.“

„Hm?“

„Dieser Mann ist während der Folter gestorben. Das kann nicht sein, wenn die Täter bekommen haben, was sie wollten. Jemand, der eine solche Gräueltat begeht, hätte keine Skrupel, kaltblütig zu töten, und er würde sicher keinen Zeugen haben wollen. Die Täter würden sich auch nicht die Zeit nehmen, das Opfer weiter zu foltern, sobald sie ihre Antworten haben. Wenn sie bekommen hätten, was sie wollten, hätte der Mann eine Kugel im Kopf.“

„Siehst du, deshalb bin ich so gerne dein Partner. Du lässt uns beide gut dastehen.“ Connor grinste.

„Ja“, sagte Decker. „Aber das alles verrät uns nicht, weswegen sie hierher gekommen sind. War es ein Gegenstand, oder wollten sie Informationen?“

„Gute Frage“, antwortete Connor. „Was auch immer es war, sie haben sich auf jeden Fall eine Menge Mühe gemacht. Diese Sache war sorgfältig geplant und ausgeführt.“

„Sie müssen das Haus tagelang ausgekundschaftet haben, um herauszufinden, wie sie reinkommen und dem Opfer folgen können.“ Decker sah nachdenklich aus. „Vielleicht sind sie irgendwo auf einer Kamera zu sehen.“

„Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Das Haus hat eine Überwachungskamera im ersten Stock, aber die wurde abgeschaltet, als der Strom ausfiel. Die schlauen Burschen haben sogar den Notstromgenerator ausgeschaltet, der das Sicherheitssystem im Falle eines Stromausfalls mit Strom versorgt hätte“, sagte Connor „Es gibt auch draußen Kameras, rund um das Gelände, also könnten wir einen Treffer von einer dieser Kameras bekommen, aber ich würde nicht zu viel erwarten. Diese Typen waren Profis.“

„Was ist mit der Straße?“

„Nichts. Die nächstgelegene Kamera ist an einer Ampel zwei Blocks entfernt“, sagte Connor. „Selbst wenn sie die Täter aufgezeichnet hätte, wäre es unmöglich zu wissen, welches Fahrzeug ihnen gehört. Auf dieser Kreuzung fahren fünfzig Autos pro Minute.“

Decker blinzelte, als es aufblitzte und der Tatortfotograf ein weiteres Foto schoss. „Viel mehr können wir hier nicht tun. Wir sollten die Spurensicherung weitermachen lassen.“ Er trat in den Flur. „Wenn wir Glück haben, finden sie ein oder zwei Fingerabdrücke und wir können den Täter bis zum Ende des Tages dingfest machen.“

„Immer optimistisch“, sagte Connor.

„Man wird ja wohl noch träumen dürfen.“ Decker betrachtete seinen Kaffeebecher. „Komm schon, ich brauche eine anständige Tasse Kaffee.“

VIER

UM VIER UHR nachmittags saß Emma Wilson in ihrem Büro mit Blick auf den Central Park und sah aus dem Fenster. Der Blick auf die weitläufige grüne Oase, umgeben von einem regelrechten Wald aus Wolkenkratzern, wurde ihr nie langweilig. Von ihrem Aussichtspunkt drei Stockwerke hoch konnte sie die Autos und Lastwagen sehen, die den Central Park West entlangfuhren, und darüber hinaus eine Reihe von Bäumen, die den Park selbst begrenzten. Ein kleiner Fleck Natur, der sich dem Eindringen der Menschen entgegenstellte.

Als sich die Bürotür öffnete, wandte sie sich um und sah Herb Johnson, den Leiter der Altertumsabteilung, in seiner Tweedjacke vor sich stehen. Die leicht schief sitzende rote Fliege bestätigte das Bild eines spießigen Akademikers.

„Du bist wieder da.“ Er blieb in der Tür stehen. „Wie war Ägypten?“

„Heiß“, antwortete Emma. Sie nahm einen Gegenstand von ihrem Schreibtisch, ein Ushabti, das nicht größer als ihre Handfläche war. Sie drehte die kleine, geschnitzte Totenstatue um und betrachtete sie einen Moment lang, bevor sie wieder das Wort ergriff. „Drei Monate habe ich gegraben und bin immer noch nicht näher an Ramses dran als zuvor.“

„Du hast alles versucht“, sagte Herb. „Die Nachforschungen waren fundiert. Mehr als das. Sie waren so gut, dass das Museum die Ausgrabung finanziert hat, was keine Kleinigkeit ist.“

„Ich habe trotzdem versagt.“ Emma stellte die Statue zurück auf den Schreibtisch. „Ich habe das Geld der Abteilung verschwendet, ganz zu schweigen davon, dass ich ein ganzes Team und eine LKWLadung Ausrüstung in die Wüste geschleppt habe, um mich dann dort völlig zu verrennen. Ich dachte wirklich, ich wüsste, wo das Grab ist.“

„Sei nicht so hart zu dir selbst.“ Herb lächelte. „Howard Carter verbrachte Jahre mit der Suche nach Tut. Das Tal der Könige gibt seine Geheimnisse nicht so leicht preis. Eine kurze Expedition ist noch gar nichts Recherchiere weiter und versuche es nächstes Jahr wieder.“

„Nächstes Jahr“, wiederholte Emma. „Wir hatten Glück, dass wir dieses Mal eine Genehmigung bekommen haben. Wer weiß, ob es eine weitere Chance gibt?“

„Wenn nicht, hast du hier genug zu tun.“ Herb deutete mit einem Nicken in Richtung der Ausstellungshallen. „Außerdem hast du ein paar tolle Artefakte gefunden.“

„Die sitzen immer noch in Kairo fest, weil die ägyptische Regierung sie nicht aus dem Land lässt, also kann ich die wenigen Stücke, die ich gefunden habe, nicht einmal untersuchen.“

„Bürokratie. Sie werden sie schon irgendwann freigeben.“ Er hielt inne. „Bei dem derzeitigen politischen Klima kann das natürlich Jahre dauern, und wenn sie sie für wichtige kulturelle Artefakte halten ...“

„Wenn du versuchst, mich aufzuheitern, gelingt dir das nicht besonders gut.“ Emma lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

„Ich weiß. Jedenfalls bin ich froh, dass du zurück bist. Der Laden war ohne dich nicht derselbe.“

„Danke.“ Emma zwang sich zu einem Lächeln.

„Ich habe zwar gerade eine Besprechung, aber komm doch nach der Arbeit bei mir im Büro vorbei. Wir könnten in die Stadt gehen. Ich lade dich auf einen oder zwei Drinks ein, damit du etwas runterkommst.“

„Kann ich das auf ein andermal verschieben?“, fragte Emma. „Ich würde wirklich gerne heimgehen und früh schlafen gehen. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Körper schon begriffen hat, dass ich in einer anderen Zeitzone bin.“

„Wenn du deine Meinung änderst, weißt du ja, wo du mich findest.“ Herb wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber um. Er griff in seine Jackentasche und holte einen flachen weißen Umschlag heraus. „Das hätte ich fast vergessen. Der ist heute für dich gekommen.“

„Für mich?“

„Zumindest steht das hier.“ Herb hielt ihr den Brief hin.

„Danke.“ Emma nahm den Umschlag entgegen und starrte ihn eine lange Minute lang an. Es gab keinen Hinweis auf den Absender, nur ihren Namen und die Adresse des Museums in krakeliger Schreibschrift. „Wie geheimnisvoll.“

„Durchaus.“ Herb war schon fast aus dem Büro verschwunden. „Sag mir Bescheid, wenn du deine Meinung über die Drinks änderst.“

„Mache ich.“ Emma sah ihm nach und widmete sich dann wieder dem Umschlag. Im Museum bekam sie nur selten Post, und wenn, dann waren es meist irgendwelche dienstlichen Angelegenheiten, Grabungsgenehmigungen oder anderer banaler Papierkram.

Das hier war anders.

Sie fuhr mit einem Finger am Rand des Umschlags entlang, hielt an der Ecke inne und schob ihren Nagel unter die verschlossene Lasche. Sie zögerte, weil sie ein ungutes Gefühl beschlich, aber dann schüttelte sie es ab, riss den Umschlag auf und zog mit zwei Fingern das gefaltete Blatt Papier heraus.

Sie betrachtete den Brief, der in der gleichen unordentlichen Handschrift verfasst war wie der Umschlag. Ihr Blick fiel auf den unteren Teil des Blattes, auf die Unterschrift, die das Rätsel um den Absender löste.

Aber warum sollte er einen Brief an sie schreiben? Es wäre doch so viel einfacher, zum Telefon zu greifen oder eine E-Mail zu schreiben.

Mit einem wiederkehrenden Gefühl des Misstrauens begann sie zu lesen.

Als sie fertig war, las Emma den Brief noch einmal, diesmal langsamer, und griff dann zu ihrem Handy, um einen Anruf zu tätigen.

Es läutete.

Sie wartete und trommelte mit ihren Fingern auf den Schreibtisch.

Der Anruf wurde auf die Mailbox umgeleitet. Die vertraute Baritonstimme eines Mannes, mit dem sie seit drei Jahren nicht mehr gesprochen hatte, drang an ihre Ohren, und seine akzentuierte Aussprache wie aus einer Eliteuni klang noch genauso, wie sie sie in Erinnerung hatte.

Sie legte auf und dachte einen Moment nach, dann erhob sie sich, schnappte sich ihre Jacke von der Stuhllehne und verließ eilig den Raum, wobei sie den Brief in ihre Tasche steckte.

FÜNF

JOHN DECKER LEHNTE sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Sofort tauchte das verstörende Bild des toten Daniel Montague vor seinem inneren Auge auf. Er tat sein Bestes, um die Erinnerungen zu verdrängen. Er hatte schon viele Morde untersucht und einige schreckliche Dinge gesehen, aber die schiere Brutalität der Wunden, die dem Millionär zugefügt worden waren, erschütterte ihn. Trotzdem ging er den Tatort noch einmal vor seinem geistigen Auge durch und achtete auf jedes kleine Detail, das er vielleicht übersehen hatte.

Etwas piekte ihn im Gesicht.

Er öffnete die Augen und sah eine Büroklammer auf dem Schreibtisch vor sich liegen. Er sah seinen Partner an. „Warst du das?“

„Ich musste doch irgendwie deine Aufmerksamkeit erregen“, sagte Connor und spielte mit einer zweiten Büroklammer. „Bist du gerade nicht bei der Sache, Kumpel?“

„Ich habe nachgedacht“, antwortete Decker genervt. „Ich bin den Tatort in meinem Kopf durchgegangen. Auf der Suche nach Hinweisen.“

„Ja, aber die wirst du in deinem Kopf nicht finden“, antwortete Connor. Er deutete in die vage Richtung des Ausgangs. „Da draußen, Mann. Dort sind die Antworten und unser Mörder.“

„Nur haben wir keine Ahnung, wo wir anfangen sollen zu suchen.“

„Ja“, nickte Connor Er drehte die Büroklammer, bis sie abbrach, warf sie in den Papierkorb und nahm eine andere aus einem kleinen Plastikbehälter auf seinem Schreibtisch. „Daran habe ich auch schon gedacht. Wer immer das getan hat, war clever. Die Täter haben weder Fingerabdrücke noch DNA hinterlassen. Wir wissen ja nicht einmal, wie viele es waren.“

„Gespenster.“ Decker setzte sich auf und blätterte im Bericht der Gerichtsmedizin, wobei er auf den Seiten verweilte, auf denen die Folterungen des Opfers beschrieben wurden. „Ein professionelles Killerkommando.“

„Vielleicht sollten wir uns auf der Straße umsehen, ob einer unserer üblichen Verdächtigen irgendetwas gehört hat.“

„Das ist allemal besser, als hier zu sitzen und die Wände anzustarren, schätze ich.“ Decker klappte den Ordner zu, stand auf und griff nach seiner Jacke. „Hast du eine Idee, wo wir anfangen sollen?“

„Ich schlage vor, wir gehen zu Murphy’s.“ Connor zog sich eine schwarze Lederjacke an und schloss den Reißverschluss. „Wenn irgendjemand etwas weiß, dann ist es einer der Penner, die dort rumhängen.“

„Klingt vernünftig.“ Decker nickte.

Murphy’s Pub war eine Kneipe in Hell’s Kitchen. Es war ein Überbleibsel aus der Zeit, als die Gegend noch ein raues Einwandererviertel war, und hielt sich trotz steigender Mietpreise irgendwie am Leben. Es war auch eine beliebte Kneipe für viele der schickeren Bewohner Manhattans.

Er ging um den Tisch herum und wollte gerade zu Connor gehen, als er zwei Personen auf sich zukommen sah. Die eine war der diensthabende Wachtmeister. Die andere war eine attraktive, zierliche Frau in den frühen Dreißigern mit langen braunen Haaren und einer schlanken Figur. Decker hatte sie noch nie zuvor gesehen und fragte sich, wer sie war.

Er war dabei, es herauszufinden.

„Decker“, sagte der Wachtmeister in seinem breiten New Yorker Akzent. „Das hier ist Miss Emma Wilson. Ich schätze, du möchtest mit ihr über den Montague-Fall sprechen.“

„Wirklich?“ Decker tauschte einen Blick mit seinem Partner aus.

„Guten Tag“, sagte die Frau, als sie sich ihm näherte. „Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Sie streckte ihre Hand aus.

„Gleichfalls.“ Decker schüttelte ihre Hand. „Wie können wir Ihnen helfen, Miss Wilson?“

„Emma, bitte.“ Ihr Blick traf seinen für einen Moment, und Decker war von der schimmernden blauen Intensität ihrer Augen verblüfft. „Es geht mehr darum, was ich für Sie tun kann.“

„Ich verstehe.“ Decker deutete auf den Schreibtisch. „Setzen Sie sich doch.“

Der Wachtmeister sah zu, wie Emma sich einen Stuhl heranzog, dann wandte er sich ab und ging zurück in Richtung des Empfangsbereichs der Polizeistation.

„Sie leiten die Ermittlungen zum Tod von Daniel Montague?“, fragte Emma.

„Stimmt genau“, antwortete Decker und ließ sich wieder auf seinem Platz nieder. „Zusammen mit meinem Partner Ryan Connor.“

„Gut.“ Sie hielt inne und biss sich auf die Lippe, dann sprach sie weiter. „Daniel war ein guter Freund von mir. Ich bin heute Nachmittag zu seinem Haus gefahren, um mit ihm zu sprechen, und habe einen Polizisten vor dem Tor angetroffen. Er erzählte mir, was passiert ist und nannte mir Ihren Namen.“

„Verstehe“, sagte Decker. „Warum glauben Sie, dass Sie uns helfen können?“

„Ich habe früher mit Daniel zusammengearbeitet, obwohl ich ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Wir sind einige Male zusammen nach Ägypten gereist. Ich bin sicher, Sie haben die vielen Antiquitäten in seinem Haus gesehen.“

„In der Tat.“ Decker fragte sich, worauf das alles hinauslaufen sollte. „Eine ganz schöne Sammlung.“

„Er hat viele dieser Stücke selbst gefunden. Er war ein sehr kluger Mensch, der vom alten Ägypten fasziniert war. Ich glaube, er sah sich selbst als eine Art moderner Lord Carnarvon für meinen Howard Carter.“ Emma hielt inne und wischte sich eine Träne von der Wange. „Ein großer Financier.“

„In Bezug auf was?“

„Expeditionen“, sagte Emma. „Ich bin Ägyptologin und arbeite im Naturkundemuseum. Daniel hat mehrere meiner Ausgrabungen

finanziert. Er hat an allen selbst teilgenommen. Das war eine Bedingung für die Finanzierung. Er verfügte über keine formale Ausbildung. Er verdiente sein Geld mit Immobilien, aber er war trotzdem ein hervorragender Amateurarchäologe.“

„Sie hatten ihn seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen?“

„Nein. Wir waren in einigen Dingen nicht einer Meinung und gingen getrennte Wege. Ich habe darüber nachgedacht, die Sache wieder in Ordnung zu bringen, aber ich habe mich nie darum gekümmert. Jetzt ist es zu spät.“

„Wie können Sie uns also bei den Ermittlungen helfen, wenn Sie nicht mit ihm gesprochen haben?“

„Deswegen.“ Emma kramte in ihrer Tasche, zog einen zerknitterten Umschlag heraus und legte ihn auf den Schreibtisch. Sie schob zwei Finger hinein und zog ein gefaltetes Blatt Notizpapier heraus. „Er hat mir geschrieben. Ich habe den Brief heute Nachmittag bekommen. Er war verworren und seltsam. Ich dachte, er wird vielleicht verrückt, aber dann bin ich zu seinem Haus gefahren und ...“ Ihre Stimme wurde leiser.

„Nehmen Sie sich Zeit. Alles ist gut.“ Decker beugte sich vor und berührte ihren Arm, eine kleine Geste der Beruhigung.

„Es tut mir leid. Ich stehe unter Schock. Ich kann nicht glauben, dass er tot ist.“ Emma holte tief Luft.

„Darf ich?“ Decker nahm den Brief in die Hand.

„Sicher.“

„Danke.“ Er nahm das Stück Papier, faltete es auseinander und begann laut zu lesen.

Emma

Ich weiß, dass wir lange nicht miteinander gesprochen haben, und das tut mir aufrichtig leid, aber nun habe ich das Gefühl, dass ich mich bei dir melden muss. Hast du die Nachrichten über das Museum in Kairo gehört? Du weißt, was das bedeutet. Es gibt die Bruderschaft wirklich. Ich habe den Gegenstand an einem sicheren Ort versteckt, an dem sie ihn nicht finden werden. Wenn mir etwas zustößt, wenn sie mich töten, musst du unbedingt dafür sorgen, dass

sie nicht in ihre Hände fällt. Das musst du auf jeden Fall tun, sonst hat das katastrophale Folgen.

Es tut mir leid, dass ich dir diese Last aufbürde. Ich würde es nicht tun, wenn es einen anderen Weg gäbe.

Denk immer an Theben.

Für immer dein Freund,

Daniel

Decker faltete den Brief und steckte ihn zurück in den Umschlag. Er öffnete seine Schublade, nahm eine durchsichtige Plastiktüte heraus und legte den Brief hinein. „Ich muss das als Beweismittel aufbewahren, zumindest im Moment.“

„Ich weiß. Das habe ich mir schon gedacht“, antwortete Emma.

Connor lehnte sich vor. „Auf welchen Gegenstand bezieht er sich, Emma?“

„Es gibt nur eine Sache, die mir in den Sinn kommt. Deshalb haben wir auch seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen.“

„Und?“, drängte Decker sie.

„Eine Anubis-Statue, die ich bei unserer letzten Ausgrabung in der Nähe der antiken Stadt Theben am Westufer des Nils entdeckt habe.“ Sie brach ab, und ihr Blick wurde abwesend, als ob sie sich an etwas Schmerzliches erinnern würde. „Sie war perfekt, wunderschön. Eines der schönsten Exemplare, die je gefunden wurden. Sie ist aus Ebenholz gefertigt, mit Klauen aus reinem Silber, Blattgold und Elementen aus Obsidian. Eigentlich sollte sie an die ägyptischen Behörden, den Obersten Rat für Altertümer, zur Katalogisierung gehen, aber Daniel hatte Angst, dass sie sie uns nicht zurückgeben würden, also schmuggelte er sie hinter meinem Rücken aus dem Land. Ich war außer mir vor Wut. Ich bin Forscherin und keine Grabräuberin. Ich wollte sie auf offiziellem Weg mitnehmen. Das war das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen haben.“

„Und Sie glauben, dass die Statue etwas mit dem zu tun hat, was mit ihm passiert ist?“

„Vielleicht.“

„Was ist das für eine Bruderschaft, von der er spricht, und was hat sie mit dem Museum in Kairo zu tun?“

„Die Bruderschaft des Anubis. Das war ein mächtiger Kult im alten Ägypten. Es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass es sie immer noch gibt und sie auf den richtigen Zeitpunkt warten, um ihren Gott wieder auferstehen zu lassen, der die gesamte Menschheit nacheinander richten und nur die Würdigen verschonen wird. Der Legende nach gibt es im Laufe der Jahrtausende nur wenige Augenblicke, in denen die Bedingungen für die Auferstehung erfüllt sind.“

„Und jetzt ist einer dieser Momente?“, fragte Decker.

„Ja. Es hat mit der Bahn des Kometen Artemus I zu tun.“

„Davon habe ich noch nie gehört“, sagte Connor.

„Nur wenige Menschen haben das. Es ist ein relativ unbekannter Komet, aber er kommt alle tausend Jahre einmal vorbei, und was noch wichtiger ist, er ist vom afrikanischen Kontinent aus sichtbar. Die Ägypter waren hervorragende Astronomen und hätten von dem Kometen gewusst, auch wenn sie nicht wussten, was er war. Es ist nicht verwunderlich, dass sich um ihn ein Auferstehungsmythos entwickelt hat.“

„Und der Komet wird bald wiederkommen?“

„Er wird der Erde in den nächsten Tagen so nahe kommen wie seit über tausend Jahren nicht mehr.“

„Das erklärt immer noch nicht, was das Museum in Kairo damit zu tun hat.“

„Weil die einzige Möglichkeit, den Gott Anubis wiederzuerwecken, darin besteht, seine irdischen Überreste zu zerstören, genauer gesagt, die Überreste des Pharaos, den sie für seinen irdischen Leib halten. Sein Geist wird dann in einem Götzenbild versteckt, während er darauf wartet, in einen neuen, lebendigen Körper übertragen zu werden.“

„Ein Götzenbild?“

„Ja. Der Geist des Gottes soll in der Statue wohnen, die wir bei unserer letzten Ausgrabung gefunden haben. Die, die Daniel gestohlen hat. In dem Grab, das wir ausgegraben haben, gab es Hieroglyphen, die den Prozess der Auferstehung beschreiben. Es war sehr genau dargestellt.“

„Und Sie glauben, diese Bruderschaft des Anubis hat die Mumie im Museum zerstört und ist nun hinter der Statue her?“, fragte Decker.

„Daniel hat das mit Sicherheit gedacht, zumindest wenn der Brief ein Hinweis darauf ist.“

„Und Sie?“

„Ich halte das für lächerlich. Nichts weiter als halbgare Theorien, die von schlecht recherchierten Pseudo-Dokumentationen und Verschwörungstheoretikern verbreitet werden.“

„Trotzdem hat ihn jemand umgebracht, ihn gefoltert, aus irgendeinem Grund“, sagte Decker. „Und es war eindeutig nicht seine riesige Antiquitätensammlung, die ein Vermögen wert sein muss. Es ist alles noch da. Außerdem, wenn sie eingebrochen sind, um die Sammlung zu stehlen, warum haben sie ihn dann gefoltert?“

„Weil sie hinter einem bestimmten Gegenstand her waren“, vermutete Connor.

„Der Statue“, sagte Decker.

Connor nickte. „Die Frage ist: Haben sie sie bekommen?“

„Daniel sagte, dass er sie versteckt hatte.“ Emma deutete mit einem Nicken auf den Brief. „Und er hat mir sogar verraten, wo.“

„Ich kann nicht ganz folgen“, sagte Decker. „In dem Brief steht nichts, was darauf hindeutet.“

„Doch, da steht etwas“, konterte Emma. „Er sagte, er habe die Statue an einem sicheren Ort aufbewahrt. Ich glaube, er meinte seinen Fußbodensafe. Ich bin eine der wenigen Personen, denen er davon erzählt hat, und es wäre fast unmöglich, ihn zu finden, wenn man nicht weiß, wo man suchen muss.“

„Worauf warten wir dann noch?“, fragte Decker aufgeregt. Endlich hatten sie einen Durchbruch. „Wir müssen in diesem Safe nachsehen.”

SECHS

DECKER UND CONNOR führten Emma an dem Wachposten vorbei, der den Haupteingang der Villa an der Upper East Side absicherte, und in das Haus hinein.

Sobald sie drinnen waren, wandte sich Decker an Emma. „Wo ist der Safe?“

„Hier entlang.“ Emma lief im Eiltempo durch die Lobby in Richtung Rückseite des Gebäudes. „Er ist unter dem Boden im Arbeitszimmer.“

„Im Arbeitszimmer?“ Decker hob eine Augenbraue und warf einen Seitenblick auf seinen Partner. „Dort wurde die Leiche gefunden.“

„Oh.“ Emma zögerte einen Moment. „Ist der Tatort gesperrt oder so?“

„Wir kommen schon zurecht. Die Spurensicherung hat den Raum bereits durchsucht.“ Decker folgte Emma zur Tür des Arbeitszimmers, die immer noch mit gelbem Tatortband zugeklebt war. „Aber rühren Sie nichts an, wenn Sie nicht müssen.“

„Verstanden.“ Emma schlüpfte unter dem Klebeband hindurch und wartete dann, bis die beiden Polizisten ihr nachkamen.

Sie drehte sich herum und begutachtete den Raum. Als sie den Stuhl sah, an dem sich noch immer Reste von Klebeband befanden und unter dem ein purpurner Fleck auf dem Boden getrocknet war, erstarrte sie.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte Decker.

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