Edition Nautilus – Herbstvorschau 2025

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Susanna Hast

Karsten Krampitz

Jake Lamar

Max Bronski

Sonja Eismann

Yves Pagès

Isabel Fargo Cole

Edition Nautilus 2025 Herbst

Unsere Frühjahrsbücher im Gespräch:

»Wie Bilder einer Ausstellung ziehen die kurzen Kapitel vorüber und fügen sich zum fabelhaften Porträt eines Hauses, seiner Bewohner und seiner Gäste. Ganz so, als wäre es ein Fenster zur Welt, von damals bis heute.«

Edelgard Abenstein, WDR/Westart Lesen

»Wie schon in ihrem Debütroman Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes bringt Magdalena Saiger, mit feinem Gespür für Tonlagen und Zeitläufte, die Ortsgeister zum Sprechen.«

Jutta Person, SWR Kultur

»Ein hinreißendes Buch. (…) Katharina Bendixen weiß, was sie tut. Sie ist eine Autorin, die sich für die Sichtbarkeit der Probleme schreibender Eltern einsetzt. Aber halt, dies ist kein AgendaBuch! Dies sind teils elegante, teils verblüffende, immer trittsichere Texte, die von Gegenwart, Liebe und Weiblichkeit erzählen.«

Katrin Schumacher, MDR KULTUR

»Ein hochkarätiges Prosajuwel … In leuchtenden Farben, schimmernden Lichtstimmungen wird die zeitlose Eleganz des Hauses, des üppigen Gartens und des angrenzenden Seeufers eingefangen und in flüchtigen Momentaufnahmen inszeniert.«

Susanne Rettenwander, Buchkultur

»Das ist so eine Wucht, dieses Buch (…). So eine krass gute literarische Erkundung von all den Randzonen, die Elterngefühle bedeuten können, das hab ich bei all den großartigen Elternbüchern, die ich in meinem Leben schon gelesen habe, wirklich so noch nicht gelesen.«

Maria-Christina Piwowarski, blauschwarzberlin. Der Literaturpodcast

»Nach Der Block und Der Schutzengel hat Jérôme Leroy erneut einen wuchtigen Politkrimi und ein dunkles Gesellschaftspanorama vorgelegt.«

Volker Albers, Hamburger Abendblatt

»Härte, gepaartmitSarkasmus– das kann Jérôme Leroy, der damit dem großen Kulturpessimisten Michel Houellebecq ähnelt.«

Werner van Bebber, Tagesspiegel

»Leroys rasante Schilderungen sind grell und brutal. (…) Dabei driftet er jedoch nie in neoreaktionäre, rassistische Klischees ab, sondern dekonstruiert sie. Das unterscheidet Leroy von einem selbstverliebten Zyniker wie Michel Houellebecq und macht den großartigen Erzähler zu einem der spannendsten Autoren Frankreichs.«

Joachim Maria Peter, Aachener Nachrichten/Aachener Zeitung

Liebe Kolleg*innen im Buchhandel und in den Medien,

am 20. Juli 2025 wäre Frantz Fanon 100 Jahre alt geworden – dieses Jubiläum ist nur ein Grund für unsere Neuausgabe der beeindruckenden Biografie über den großen reformatorischen Psychiater, treibenden Intellektuellen der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung und Vordenker postkolonialer Theorien aus der Feder seiner Kollegin und Weggefährtin Alice Cherki. Angesichts des aktuellen Backlashs hin zur Normalisierung von Rassismus und Antisemitismus sowie demokratiezersetzender Tendenzen sind Fanons Analysen und Überlegungen wichtiger denn je.

AucheinigeunsererkommendenHerbsttitelrichten einengegenwartsgeschärftenBlickindieVergangenheit: Der preisgekrönteDebütroman Beweiskörper derfinnischenAutorinSusannaHastdokumentiertErmittlungenineigenerSache–ineinemFallohneBeweiseoderZeugen,indemdereigene Körper zumErinnerungsarchivwird.KarstenKrampitzerzähltin GesellschaftmitbeschränkterHoffnung von einerBehindertenkommuneinderDDR,diesicheinStück richtigesLebenimfalschenerkämpft.JakeLamars–nachdemKrimipreis-prämierten SchwarzenChamäleon –schonheißerwarteterGangsterroman Viper’sDream spieltinden1930ernbis1960erninHarlem,und Max Bronskibringtinseinem neuenKrimiumTrödelhändlerGossecanarchistischeEinbrecherundaufsässige Mönche zusammen. In denFlugschriftenpräsentierenwirSonjaEismannsexpertisegesättigteStreitschriftgegendenSexismusderMusikindustrie, Yves Pagès’kritisch-faszinierteKulturgeschichtedesLaufbandsalsSinnbilddesimmerschneller aufderStellerotierendenKapitalismussowieIsabelFargoColesbestechendkluge EssaysüberFortschrittundseineParadoxien.

Bevor die Realität also schon wieder die Fiktion einholt, schnell diese Vorschau durchblättern und ran ans Stöbern, Entdecken und Bestellen, ans Lesen, Rezensieren, Empfehlen und Verkaufen!

In diesem Sinne, die Crew der Edition Nautilus

Gespräch mit Susanna Hast

über ihren Roman Beweiskörper

In deinem Buch schreibst du über sexuelle Gewalt, die dir angetan wurde, als du sehr jung warst. Aber Beweiskörper ist ein Roman. Warum hast du die literarische Form gewählt?

Ich glaube, dass mein Buch Genregrenzen überschreitet. Es kann auch als Memoir gelesen werden, als Schreiben über das eigene Leben, um ein Thema oder eine Frage herum. Ein Memoir ist der Wahrheit verpflichtet, nicht unbedingt der Wahrheit im Sinne von Realität, aber der Wahrheit der Erinnerung. Es kann spekulativ, magisch, experimentell sein. Es war mir wichtig, die sexuelle Gewalt nicht zu fiktionalisieren. Jeden Tag wird reale sexuelle Gewalt wie eine Fiktion behandelt, es ist eine politische Taktik, die Narrative von sexueller Gewalt zu diskreditieren. Für mich hat es absolut keinen Sinn ergeben, etwas zu fiktionalisieren, von dem ich schon Schwierigkeiten hatte, es als real darzustellen.

Ich habe mein Buch auch schon als lyrischen Essay oder Autotheorie bezeichnet. Ich sehe meine Erfah-

rung nicht als meine Privatangelegenheit, sondern als eine Frage von Familie, Gemeinschaft, Rechtssystem. Daher glaube ich, dass es in meinem Buch um viel mehr geht als um sexuelle Gewalt.

Dennoch ist es ein Roman. Es ist nicht neutral. Es ist eine Autopsie, vorgenommen vom Opfer. Eine polizeiliche Ermittlung in einem Fall von Amnesie.

Du erzählst, dass du dich lange kaum an das Geschehene erinnern konntest, sogar daran gezweifelt hast, dass es wirklich passiert ist. Hat das Schreiben dir geholfen, die Erfahrungen wieder ans Licht zu bringen? War es auch ein Heilungsprozess?

Als ich anfing, hatte ich nur ein paar sinnliche Erinnerungen. Ich wusste nicht, wohin mich das führen würde, wann ich ankommen würde, nicht mal, ob ich überhaupt genug Material für ein Buch hätte. Ich wusste auch nicht, was mit mir passieren würde, als ich mich entschloss, immer wieder und wieder in die Vergangenheit zurückzugehen.

Und heute habe ich das Gefühl, ich habe durch das Schreiben meine Menschlichkeit zurückbekommen. Aber es widerstrebt mir, das Wort »Heilung« zu benutzen. Das ist mir zu linear, und ich frage mich immer: Heilung wovon genau? Ich wollte die Scham loswerden, die sowieso nie zu mir gehörte, und das ist mir gelungen.

Aber mir ist klargeworden, dass ich nicht darüber hinwegkommen wollte. Ich wollte mein Trauma dazu benutzen, etwas zu erschaffen. Ich bin mehr daran interessiert, welche Möglichkeiten in der Zerstörung liegen könnten. Ich schreibe in dem Buch, dass ich in den Körper einer Zwölfjährigen hineingeboren wurde. Dort beginnt mein Leben: mit der Zerstörung. Nicht in der Vorstellung von Heilung habe ich meine Wirkmacht gefunden, sondern in der kreativeren Vorstellung, die Dunkelheit anzunehmen.

Wie kann man über Dinge schreiben, an die man sich nicht erinnert? Wie kann man zu einem Verbrechen ermitteln ohne Zeugen? Zumal Opfern sexueller Gewalt regelmäßig nicht geglaubt wird?

Das ist so eine wichtige Frage. Für mich ist es eine Frage des Handwerks, aber nicht in einem technischen Sinn. Eher als Art und Weise, wie ich zum Unbewussten vordringen kann, das vielleicht keine sprachliche Struktur hat, sondern eher eine körperliche Funktion sein kann. Ich musste meine Träume und Symptome untersuchen, mit fragmentarischen Erinnerungen arbeiten, Landkarten studieren, meine eigene Geschichte in der Literatur und der Kultur suchen, ich musste mir die Gesichter der Täter vorstellen und versuchen, in ihren Kopf zu blicken. Ich musste wiederholt die Räume aufsuchen. Es war intensiv und erschöpfend. Zeugenschaft ist ein politischer Akt. Auch wenn ich keine Zeugen hatte, um mir bei der Ermittlung zu helfen – jetzt habe ich ein Buch, das Zeugnis ablegt. Ich habe die Leser*innen als Zeugen, weil sie dem archivarischen Prozess folgen, im Laufe dessen ich von dem Besitz ergreife, was ein Beweis sein kann. Eines der Dinge, die ich beim Schreiben dieses Buchs entdeckt habe, ist, dass allgemein angenommen wird, ein Opfer könne sich genau an das erinnern, was passiert ist. Opfer müssen sich erinnern und überzeugend erzählen. Tatsächlich aber schalten sich bei einem traumatischen Erlebnis die Gehirnregionen ab, die Informationen verarbeiten, und es ist oft gar nicht möglich, sich genau zu erinnern oder sich überhaupt zu er-

innern, weil man damit beschäftigt war, das Bewusstsein auszuschalten, um zu überleben. Hätten sie nicht überlebt, dann würde man ihnen glauben. Diese Gegenüberstellung ist abstoßend, aber darüber muss man mal nachdenken!

Der OriginaltiteldeinesBuches, Ruumis/huoneet, ist als»Körper/Räume«zuübersetzen,aberzusammengezogenbedeutetdas Wort »Leichenhallen«. Da eine deutscheEntsprechungzufindenwarschoneineHerausforderung!

»Zeugenschaft ist ein politischer Akt.«

Mein erster Titel war tatsächlich auch für die finnische Ausgabe der englische Ausdruck »body of evidence«. Aber dafür gibt es keine genaue Entsprechung im Finnischen. Ich mochte »Body of Evidence«, weil es ein Korpus (eine Sammlung oder tatsächlich einen Körper) von Archivmaterial bezeichnen kann, das beweiskräftig ist. Und es ist auch ein Körper, der etwas verbirgt, der untersucht wird, aus dem die Geschichte spricht. Der finnische Titel war tatsächlich ein Kompromiss, er enthält ein bisschen Horror, der Tod wird evoziert, und sexuellen Missbrauch zu erfahren ist eine Art Sterben. Aber wenn ich den Titel heute sehe, denke ich, das Buch ist eben auch ein Ort, den man betreten und verlassen kann. Das Buch ist eine Wohnung, oder ein Haus, mit Räumen von Gewalt und Nicht-Gewalt. Es ist eine Architektur der Erinnerung.

Die Fragen stellte Katharina Picandet.

Leseprobe Mein Blick fällt auf ein Foto, auf dem ich kerzengerade im Garten stehe. Ich trage weiße Shorts und ein gelbes T-Shirt. Um meinen Hals hängt ein kleiner goldener Anhänger. Meine lockigen blonden Haare reichen mir bis zu den noch nicht vorhandenen Brüsten. Ich versuche, darauf Anzeichen von Gewalt zu erkennen, doch ich sehe nur ein lächelndes Mädchen. Ich wirke nicht so, als sei etwas nicht in Ordnung. Ich stelle das Bild auf das Regal über meinem Schreibtisch, damit ich es später noch einmal versuchen kann.

Das Foto bleibt wochenlang an seinem Platz, bis ich es eines Tages wieder zur Hand nehme. Ich berühre das Mädchen auf dem Bild mit den Fingerspitzen, bevor ich das Foto umdrehe und mir die Jahreszahl auf der Rückseite ansehe. Mir wird klar, dass hier etwas nicht stimmt.

»Eine erschütternde Erzählung über Trauma, Gewalt und Körper und vor allem über die Erinnerung und ihre Unbezähmbarkeit.« – Helsingin Sanomat

»Ein verblüfendes, niederschmetterndes, revolutionäres Debüt.«

– Turun Sanomat

»Beweiskörper holt das Unsichtbare ins Blickfeld. Zugleich geht es darum, dass es möglich ist, die Scham abzulegen. Und dass man die Gewalt niemals dem Opfer vorwerfen kann.«

– Die Jury des Helsingin-Sanomat-Literaturpreises

Eine aufrüttelnde Spurensuche zu traumatischen Erlebnissen in der eigenen Kindheit – Susanna Hasts preisgekröntes Debüt ist ein bahnbrechendes Werk über Schuld und Unschuld, Erinnern und Vergessen

Zuerst sind da die Räume. Der Garten der Großmutter, die hellgrün gestrichene Nervenklinik, in der die Mutter arbeitet, ein Dorf im Norden Finnlands. Ein Reihenhaus, ein Schlafzimmer, ein Badezimmer. Ein Keller. Ein Haus auf einer Insel. Die Erzählerin muss an diese Orte zurückgehen, um sich zu erinnern. Warum ihre Kindheit abrupt endete, als sie zwölf Jahre alt war. Ein Verbrechen war geschehen, aber niemand verständigte die Polizei. Beweise wurden nicht gesammelt, Verdächtige oder Zeugen nicht verhört. War überhaupt etwas passiert? Nun, Jahre später, wird sie zur Ermittlerin in eigener Sache, ihr Körper zum Archiv, er erinnert sich, auch wenn die Verletzungen nicht mehr sichtbar sind. Die Räume leben in ihrem Körper fort. Ihre Spurensuche wird keine Heilung bringen, aber einen selbstbestimmten Umgang mit der eigenen Vergangenheit.

Susanna Hast betritt mit diesem Buch ein spezifisch weibliches Herz der Finsternis. Schritt für Schritt umkreist sie ihre eigenen traumatischen Erlebnisse ebenso wie die vielfältigen Dimensionen sexueller Gewalt an Frauen im Allgemeinen. Sie reflektiert über Schuld und Unschuld, Scham und Würde, über Sexualität und Mutterschaft. Dabei schlägt sie auch einen Bogen zu Autorinnen wie Hélène Cixous oder Maggie Nelson, die sich ebenfalls mit Gewalt und Weiblichkeit befasst haben. Susanna Hasts bewegender Text ist ein feministischer Genrehybrid zwischen Roman, Memoir und Essay.

Susanna Hast (*1980) ist Autorin, Künstlerin und Musikerin. Sie hat an der Universität Lappland über Internationale Beziehungen promoviert, forscht über Krieg und Gewalt und unterrichtet an der Kunsthochschule Uniarts Helsinki Tanz, Theaterpädagogik und Kreatives Schreiben. Beweiskörper wurde 2022 mit dem Literaturpreis der Tageszeitung Helsingin Sanomat für den besten Debütroman des Jahres ausgezeichnet. 2023 war sie zu Gast beim Europäischen Festival des Debütromans in Kiel.

Susanna Hast BEWEISKÖRPER Roman

Aus dem Finnischen von Tanja Küddelsmann

Deutsche Erstausgabe

Originalausgabe: Ruumis/huoneet, S&S, Helsinki 2022 Gebunden, ca. 268 Seiten, ca. € 24,00

ISBN 978-3-96054-468-5

Warengruppe 1110

Erscheint am 1. September 2025

Gespräch mit Karsten Krampitz über seinen Roman Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung

Du verbindest in deinem Roman drei reale Geschichten aus der DDR: die Geschichte eines Grenzschützers, der 1976 einen italienischen Lastwagenfahrer an der innerdeutschen Grenze erschossen hat, die der Bluesband Freygang, und die einer Behindertenkommune in Hartroda, Thüringen, wo alle Handlungsstränge zusammenfinden. Dass so eine autonom lebende Gemeinschaft in der DDR existieren konnte, dass die Menschen dort ihre Utopie eines freieren Lebens verwirklichen konnten – wie war das möglich?

Grenz italieni in

Im kirchlichenRaumwarsoeineKommunemöglich, allerdingserstnachdem6. März 1978.Andiesem Tag erkanntederDDR-KirchenbunddenSED-Staat offiziellalsObrigkeitan. Im Gegenzuggarantierte ErichHoneckerderKircheihreAutonomie.Diesewar anMitgliedernsogeschrumpftundsospießig,wassollteschonpassieren?DochausgerechnetalsdieBischöfe vor demStaat eingeknickt waren,wurdedieevangelische KirchefürkritischeGeister interessant. Sie ermöglichteeinenRaumfüroppositionellesHandeln,öffnetesichfürUmwelt-undFriedensgruppen. Und soentstandauchdieKommuneinHartroda.

einen Nachruf schrieb, merkte ich, was das für ein literarischer Stoff ist und wie schade es doch wäre, wenn diese Geschichte verloren ginge. Aber als Schriftsteller hat mich nicht nur interessiert, was war, sondern auch, was hätte sein können.

Und wie bist du auf den Zwischenfall an der Grenze gekommen?

Zum ersten Mal auf Benito Corghi gestoßen bin ich in den Stasi-Akten zur Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz. In so einer Art West-Presseschau für Tschekisten las ich von einem italienischen Kommunisten, der an der DDR-Grenze erschossen worden war. Ich habe gestaunt. Schießen die jetzt schon auf ihre eigenen Leute? Also habe ich mir in der Stasi-Unterlagenbehörde die Akten geben lassen.

»Ich zeig euch, was Freiheit ist.«

BenitoCorghiwareinharmloserLKW-Fahrer,der SchweinefleischnachItalienbringensollte. Mit seinem KühllastzughatteerdieGrenzezumWestenpassiert. AmwestdeutschenKontrollpunktRudolphsteinhater dannaberbemerkt,dasser drübendieTransportpapiere liegengelassenhatte. Und weil ihmdasWendenseinesLasterszuaufwendigwar,lieferzu Fuß zurück. Die DDR-Wachpostenhabenihndannangebrülltundmit derWaffebedroht,woraufhinCorghizurückrennen wollte…

Wieviel von dieser Kommune ist real, wieviel erfunden?

Dass da im Marienstift zu Arnstadt eine Gruppe Schwerstbehinderter den Ausbruch gewagt hat, ist historisch verbürgt. In der DDR übte die Kommune dann auf Punks, Hippies und viele andere Außenseiter eine magische Anziehung aus. Sie war »eine Insel in der Tristesse der DDR«, wie es Matthias Vernaldi, einer der Gründer, einmal sagte. Wir waren befreundet und haben mit anderen in den Nullerjahren Mondkalb gegründet, die »Zeitung für das Organisierte Gebrechen«. Als Vernaldi 2020 starb und ich im Tagesspiegel

Was interessiert dich literarisch an der Figur des Grenzsoldaten, der geschossen hat?

Ich wollte wissen, was macht das mit einem Mann, wenn der aus achtzig Metern einem unbewaffneten Menschen in den Rücken schießt. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Aber ich denke, das wirst du nicht los. Egal, ob auf Befehl oder nicht: Wer einen Menschen tötet, auch noch einen wehrlosen, der zerstört auch sein eigenes Leben. Es mag pathetisch klingen, aber was wir anderen antun, tun wir immer auch uns selbst an. Davon wollte ich erzählen.

Mit »Dies. Und Paradies« hat dein Roman beinahe einen eigenen Soundtrack. Ist dein Buch auch eine Hommage an Freygang? Ist der Blues für dich der Sound jener Zeit?

Den TextzumParadies-Songhabeichmalfür Freyganggeschrieben.AndréGreiner-Pol,der Sänger, ist 2008gestorben. Er warderBluesgeneral!BeimSchreibenhabeicheherSonicYouthgehörtoderPaulWeller. AbermeinRomanspieltjaineinemMilieu,dasder Kirchenahesteht. Und esgibtkeineReligionohne Musik. Die Blueser-Szenewarseinerzeitamnächsten dran.NichtderPunk,derwareineRanderscheinung. Für ihreRepublikfluchtindieMusikwähltenviele denBluesundspäterR’n’B. Der BluesistbeiderArbeitentstanden,aufdenBaumwollfeldern,undnatürlichbeimGottesdienst. Das warenLieder,diesichdie Menschenrichtigerarbeitethaben. Um denBlueszu hörenundzuleben,musstemanschonwastun. Zu denKonzerten von Monokel,Engerlingundebenauch FreygangsinddieLeuteregelrechtgepilgert!Andieses Lebensgefühl,andiesesGlückwollteicherinnern.

Wie bist du darauf gekommen, die drei Stränge zu verbinden?

Erstmal erzähle ich von Menschen und deren Selbstermächtigung. Nebenbei werden existentielle Fragen verhandelt: »Resozismus« versus wahrer Sozialismus –darum geht’s. Wie Bloch suche ich in der Vergangenheit die Zukunft. Eine Geschichte, geschrieben in der vierten Person, mit einem zärtlichen Erzähler, wie es Olga Tokarczuk fordert. Zumindest habe ich es versucht. Die Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung ist aber auch ein bisschen meine Antwort auf die Erinnerungspolitik hierzulande.

Wie meinst du das?

WomöglichhabeichimFernsehenzuvielGauckgesehen,unseren»Widerstandskämpfer«. Er erzähltden WessisdieDDRgenausoschauderhaft,wiesiesichden Ostenimmervorgestellthaben.FreilichwardieDDR eineDiktatur–abernichtnur.Niemandkämeaufdie Idee,dieSozialgeschichtederWestdeutschennach 1945alleinüberPolizei,GefängnisseundanderestaatlicheInstitutionenzuerzählen. Ich bindiese SalonOssissoleid. Und nochmehrihreFreiheitsphrasen. Alsohabeichgedacht: Ich zeigeuch,wasFreiheitist.

Du hast dich auch persönlich sehr für die Randständigen engagiert, für Obdachlose, aber auch für Menschen mit Behinderung.

Also ich bin ja selbst behindert, habe eine Knochenkrankheit und bin in einem Internat für Behinderte aufgewachsen. Diese Menschen sind mir also nicht fremd. Mein eigenes Kaputtsein macht mich empfindsam für das Kaputtsein anderer.

Die Fragen stellte Katharina Picandet.

»Wer zwei Kästen Bier hat, mache einen zu Geld und schafe sich dieses Buch an.« – Bov Bjerg

Leseprobe Dies. Und Paradies. Die Bässe dröhnten – auf einer Hochzeit in der Kirche, die, das müssen wir leider anmerken, keine kirchliche Trauung war. Das Gitarrensolo kam von ganz oben, von der Kanzel, auf die Eisen gestiegen war. Wann um Himmels willen ist eine Dorfkirche jemals so voll gewesen, so voller Leben? Und so laut?

Ebenso die Besucher. Rollstühle drehten sich im Kreis. Alles Volk tanzend, dicht gedrängt. Es roch nach Menschen, außerdem nach Bier und Tabak.

Und mittendrin: Bernd Mozek, als Teil einer Masse, einer wippenden Menge, in der jeder jeden irgendwie kannte und in der dieser schwerfällige Mann – rein optisch – ein Fremdkörper war, mit akkuratem Façon-Haarschnitt, schwarzgescheitelt, wie aus der Kaserne. Und genau so schauten ihn manche auch an: Kennt den wer? Was, der gehört zum Brautpaar? Alter, lass dir bloß die Haare wachsen! Ein freier Mensch trägt freie Haare, keinen verschissenen Scheitel. Komm, Bruder, tanz!

Und beide, fremder Geist und fremder Körper, waren zur rechten Zeit am rechten Ort und das sogar mit den richtigen Leuten. Alles fühlte sich auf einmal so leicht an.

»Karsten Krampitz gehört zu den besten Kennern der DDR-Spätphase.« – Christian Schröder, Tagesspiegel, über 1976. Die DDR in der Krise

Die unglaubliche Geschichte einer gelebten Utopie mitten in der DDR: die »Krüppelkommune« von Hartroda

Arnstadt, Thüringen, Ende der 70er Jahre. In einem Heim für behinderte Jugendliche beschließen drei Freunde, die sich kaum bewegen können: Wir brechen aus. Von Rente und Pflegegeld wollen sie sich Pfleger finanzieren, ein Haus bekommen sie von der Kirche – das alte Pfarrhaus in Hartroda, im Altenburger Land. So beginntdieGeschichteeinerKommune,dievölligaus derZeitundausdemLandgefallenist. Die einenbekommenHilfe,dieanderenAsyl– vor derSchindereiim Staatsbetrieb, vor einemLebenimstupidenKreislauf von Arbeiten,Saufen,Schlafen.EineGemeinschaftderGleichen,inderallesgeteiltwird–GeldundBücher,Platten undBier,aberauchalleGebrechen.EineGemeinschaft derAussortierten,diesichmitWitzundChuzpedas Undenkbareerkämpft:einselbstbestimmtesLeben,vielleichtsogarFreiheit.UnterdemSchirmderevangelischen Kirchewirdsie,soscheinteszumindest, vom DDRApparatinRuhegelassen.

Intellektueller Kopf der Gemeinschaft ist Gruns. Er wird vom schweigsamen Mozek gepflegt, der vom Dachboden aus internationale Fernschachturniere bestreitet und sich überseineVergangenheitbedeckthält.DennMozek, ehemaliger Grenzer, ist auf der Flucht vor der eigenen Schuld.

Ich hab meine Sache auf nix eingestellt / auf gar nix, überhaupt nix, heißt es in einem Lied der Band Mischpoke, die zum Freundeskreis der Kommune gehört. Als die DDR zusammenbricht, wird deutlich, dass es auch die Mauer war, die die Gemeinschaft von Hartroda zusammengehalten hat.

Karsten Krampitz (*1969 in Rüdersdorf) ist Autor, Historiker und Journalist. Er schrieb für Straßenzeitungen, war an der Besetzung von Luxushotels beteiligt und Mitgründer von Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen. Er promovierte zur Rolle der Kirche in der DDR. 2009 gewann er beim Bachmann-Wettbewerb den Publikumspreis. Für die Arbeit an diesem Roman erhielt er das Berliner Senatsstipendium für Literatur, das Literaturstipendium des Freistaats Thüringen und ein Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds.

Karsten Krampitz

GESELLSCHAFT MIT BESCHRÄNKTER HOFFNUNG

Roman

Originalveröffentlichung

Gebunden, ca. 192 Seiten, ca. € 22,00

ISBN 978-3-96054-469-2

Warengruppe 1110

Erscheint am 1. September 2025

© Uli Decker

»Ein wahrhaftiger, purer Jazz-Noir-Klassiker, der süchtig macht.« – David Peace

Leseprobe Das Marihuana-Geschäft boomte. Das Büro im Keller von Gentleman

Jack’s Barbershop war die perfekte Verteilerzentrale für das mexikanische Loco Weed. Vipers Dealer schwärmten in ganz Harlem aus. Und dank des Schutzes von Detective Red Carney ließen die Cops Viper gewähren. Manche Uniformierte nickten sogar respektvoll, wenn sie ihm auf der Straße begegneten.

Wenn Viper Morton sich im Apollo Theater zeigte, bekam er den besten Platz. Wenn er im Red Rooster auftauchte, um sein Lieblingsessen zu verzehren, gegrillte Spareribs mit Cornbread, fand das Management immer einen Tisch für ihn, egal wie voll das Restaurant war. Wenn Viper in Brausteins Kaufhaus trat, wo die Kunden allesamt schwarz und die Angestellten alle weiß waren, wurde er von Arthur Braunstein jr., dem Sohn des Gründers, persönlich bedient. Viper blieb immer gern vor dem Schmucktresen stehen, um was Hübsches für eine seiner gerade aktuellen KurzzeitFreundinnen auszusuchen. Und das Beste daran war: Viper musste nie bezahlen. »Ich schreib’s auf Ihre Rechnung, Mr. Morton«, sagte Arthur Braunstein jr. jedes Mal augenzwinkernd.

»Düster, poetisch und mitreißend.«

– Deborah Levy

»Ein hervorragender historischer Triller, der es mit dem großen US-Krimiautor Chester Himes aufnehmen kann.« – Te Sun

Deutscher Krimipreis 2024!

Mr. O hatte Recht gehabt, als er Viper zwei Jahre zuvor prophezeite, dass die Weißen geradezu verrückt nach der Green Lady werden würden. »Man kann förmlich sehen, wie der Schweiß von den angeschlagenen Saiten eines Kontrabasses fiegt. Man hat der Musik zugehört, im Buch gelesen, schon seit Stunden – und es steckt immer noch voller Überraschungen.« – James Sallis

Ein Gangsterroman über die

pulsierende

Jazzszene im

Harlem der 1930er bis 1960er Jahre, voller Intrigen, Gewalt, Drogen und Musik

New York, 1961. Clyde Morton, genannt Viper, hat gerade seinen dritten Mord begangen, den ersten, den er bereut. Doch anstatt zu fliehen – sein Kontaktmann bei der Polizei hat ihm drei Stunden gegeben –, hängt er im Cathouse der Baroness Pannonica de Koenigswarter, kurz Nica, und grübelt. Wie allen Musikern, die bei ihr ein- und ausgehen, hat die Schutzpatronin der New Yorker Jazzszene ihm aufgetragen, drei Wünsche aufzuschreiben. Viper weiß, dass ihm nicht viel Zeit bleibt und er sicher im Knast endet, wenn er nicht augenblicklich verschwindet, aber das scheint plötzlich nicht wichtig. Er blickt zurück auf seine Ankunft in Harlem im Jahr 1936, als er noch hoffte, hier seinen Traum als Trompeter zu verwirklichen. Da sein Talent dafür nicht ausreicht, fängt er als Geldeintreiber an, steigt in den Drogenhandel ein und wird bald zu einem gefürchteten und respektierten Boss. Im Rhythmus des Jazz und im Rauch von Marihuana regiert er Harlem. Doch abseits seiner Kontrolle breitet sich das Heroin aus und richtet auch unter den Jazzleuten Verheerung an. Das ehemals pulsierende, bunte Harlem geht vor die Hunde – und Viper wird von seiner Vergangenheit eingeholt … Mit einem fesselnden Figurenensemble und in unvergleichlichem Sound erzählt Lamar in diesem preisgekrönten Gangster-Jazzroman vom Aufstieg und Fall eines gewalttätigen Antihelden inmitten New Yorks zu Zeiten der Segregation – mit Gastauftritten von Miles Davis, Thelonious Monk, Charlie Parker und Little Richard.

Lesereise im Oktober in Vorbereitung: Hamburg, Köln, Berlin, Braunschweig u. a.

Jake Lamar (*1961) wuchs in der Bronx/New York auf, studierte an der Harvard University und schrieb für das Time Magazine. Er lebt seit 1993 in Paris und unterrichtete Kreatives Schreiben an der Sciences Po. Er schreibt Romane, Essays, Rezensionen, Kurzgeschichten und Theaterstücke und wurde mehrfach ausgezeichnet. Viper’s Dream erhielt einen CWA Dagger Award 2024, Das schwarze Chamäleon wurde mit dem Deutschen Krimipreis 2024 ausgezeichnet (1.Platz International).

Jake Lamar

VIPER’S DREAM Kriminalroman

Aus dem Englischen von Robert Brack

Deutsche Erstausgabe

Originalausgabe: Viper’s Dream, No Exit Press, London 2023

Broschur, ca. 184 Seiten, ca. € 18,00

ISBN 978-3-96054-470-8

Warengruppe 1121

Erscheint am 1. September 2025

© Dr. Michael

Leseprobe »Gibt es hier irgendwelche Sicherheitssysteme?«, fragte ich.

»Nein.« Bruder Martin stockte. Er schaute zu Boden, offenbar hatte ihn die Scham des Dulders erfasst. Dann gewann doch der Bekennermut die Oberhand. »Wir haben uns ganz auf den Schutz des Heiligen Gervasius und seines Bruders Protasius verlassen.«

»Hoppla, gleich zwei! Einer hat wohl nicht gereicht?«

Bruder Martin wies mit verlegener Gebärde auf einen Bilderbogen neben der Tür: Das Leben zweier Heiliger in der naiven Darstellung von Votivtafeln.

»Gervasius und Protasius waren Zwillingsbrüder«, übernahm Bruder Sven hurtig die Auslegung der Bildchen. »Viel ist leider nicht von diesen beiden Märtyrern überliefert, nur dass Nero sie festgesetzt und in Mailand grausam getötet hat. Protasius wurde enthauptet, sein Bruder mit einer Bleigeißel zu Tode gebracht.«

Da war er wieder, der Katholizismus, wie ich ihn kannte: Wenn man sonst schon nichts wusste, soviel Detailtreue musste sein. Auf dem Bilderbogen war auch die letzte Station der Brüder aufgemalt. Ein Kopf rollte vom Richtblock weg, aus dem verbliebenen Hals spritzte Blut in mehreren Fontänen. Der andere stand am Pfahl, übersät von blutigen Wunden. Wenn es um die Wonnen und Leiden des Körpers ging, ersparte uns der Katholizismus nichts.

»Max Bronski gelingt es einerseits alltägliche, aber andererseits sehr außergewöhnliche Figuren zu schafen. Dabei stellt der Autor sich kompromisslos auf die Seite der schwächeren, ausgegrenzten und zutiefst menschlichen Grenzgänger. Bronski lässt seine (Anti-)Helden oft unwirkliche Situationen erleben, seine Figuren an Grenzen stoßen und letztendlich über sich hinauswachsen.«

– Die Jury des Radio-Bremen-Krimipreises

Sicherheitsbedürftige Klosterbrüder, ein Trödelhändler mit zu viel Zeit und ein anarchistischer Sprengmeister: ein explosiv-unterhaltsamer Münchner Sommerkrimi

Gossec hat keine Ahnung von Sicherheit. Doch da sein Trödelladen in der Sommerflaute steckt und er daher reichlich Zeit hat, mit seinem Nachbarn Hugo Himmelstraat im Hof zu sitzen, über dessen Bienenzucht zu sinnieren und dabei gutes belgisches Bier zu trinken, wird er von seinem Kumpel Julius für einen Auftrag eingespannt:

Dessen Firma CatSecurity wurde vom Kloster Hohenwartach kontaktiert, wo in der Goldschmiedewerkstatt wertvolle Sakralgeräte lagern. Bisher hat sich die kleine Laienbruderschaft in Sachen Einbruchschutz auf die zuständigen Heiligen verlassen, doch nun sollen diese durch moderne Sicherheitstechnik unterstützt werden. Gossec wird vorgeschickt, dann installiert CatSecurity Software und Schließsystem.

Doch wenig später taucht ein Versicherungsdetektiv bei Julius auf und stellt unangenehme Fragen: Bei den Josephsbrüdern ist eingebrochen und Kirchenschmuck im Wert von 100.000 Euro erbeutet worden – der Einbrecher hat sich mit einem Badge Eintritt verschafft, der im neuen Sicherheitssystem ausgestellt wurde. Als Gossec auf eigene Faust in der Werkstatt nachschaut, wird er niedergeschlagen.

Julius wiederum bekommt unangemeldet Besuch von seinem Bekannten Ludger: Dem Ex-Knacki und anarchistischen Einbrecher verdankt er die Idee zu seiner Sicherheitsfirma, und es ist nicht ganz klar, was der in München vorhat …

Wieder einmal erweist sich der mehrfach ausgezeichnete Krimiautor Max Bronski als großartiger Figuren- und Plotkomponist.

Max Bronski (Franz-Maria Sonner, *1953 in Tutzing), ist Autor zahlreicher Kriminalromane. 2019 erhielt er den Friedrich-Glauser-Preis für den besten Kriminalroman des Jahres. 2023 wurde er mit dem Radio-Bremen-Krimipreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien Urs der Berserker. Die ersten fünf Gossec-Bände sind inzwischen als E-Books bei Nautilus erschienen.

Max Bronski DIE JOSEPHSBRÜDER Kriminalroman

Originalveröffentlichung

Broschur, ca. 128 Seiten, ca. € 16,00

ISBN 978-3-96054-471-5

Warengruppe 1121 Erscheint am 1. September 2025

Leseprobe Billie Eilish konfrontierte die Hater*innen ganz direkt. Die kalifornische Musikerin, die sich seit der Veröffentlichung ihres ersten Songs mit nur 13 Jahren mit unangemessenen Kommentaren zu ihrem Körper und ihrem meist baggy Kleidungsstil herumschlagen muss, veröffentlichte Anfang 2020 das Stück »Not My Responsibility« mit einem dazugehörigen Video. Darin zeigt sie die Unmöglichkeit auf, als Frau im Showbusiness all den widersprüchlichen Imperativen, die auf sie einhageln, gerecht zu werden: »Would you like me to be smaller, weaker, softer, taller? Would you like me to be quiet?« Auch die alte Hure/Heilige-Dichotomie, in der es keine richtige, sondern nur zwei falsche Seiten zu wählen gibt, bringt sie auf den Punkt: »If I wear what is comfortable / I am not a woman / If I shed the layers / I’m a slut«. Entweder unweiblich verhüllt oder eine hüllenlose Schlampe, dazwischen gibt es nichts. Nachdem Eilish in ihren Teenagerjahren wie so viele ihrer Altersgenoss*innen locker sitzende Oversize-Kleidung favorisiert hatte, fing sie rund um ihren 18. Geburtstag damit an, auch körperbetontere Outfits zu tragen. Doch so oder so, in beiden Fällen war die Öffentlichkeit davon besessen, ihre Figur zu kommentieren, mit bohrendem Blick unter ihre Kleidung vorzudringen. Vor dem überwachenden, urteilenden Blick der Öffentlichkeit, der auf beklemmende Weise an das Gefängnissetting des von Foucault beschriebenen Panoptikums erinnert und den sie im Songtext seziert, gibt es kein Entkommen.

»Feminismus ist nicht Fun, er ist komplex und er kotzt die Leute an – und er macht Arbeit! Und die hat sich Sonja Eismann gemacht, indem sie mit Verve und Zorn und zahllosen Beispielen beweist, wie patriarchal es in der Musikindustrie immer noch zugeht.« – Christiane Rösinger

Eine angrifslustige Streitschrift über den sexistischen Normalzustand der Musikindustrie

Junge Frauen und ihre Körper – selbstverständlich normschön, jugendlich, sexy – sind das Rohmaterial, aus dem die Musikindustrie und die Logik des Pop gemacht sind. Sie werden in Songtexten angeschmachtet und fetischisiert, beschimpft und degradiert, sie dienen auf der Bühne und im Backstage als Projektionsfläche. Weibliche Fans werden als kreischende Masse oder willenlose Groupies betrachtet, nicht fähig zu einem ernsthaften Interesse an der Musik oder einem ernstzunehmenden Geschmack. Und wenn eine Frau als Künstlerin auftritt, dann ist sie zunächst eine Frau und erst dann eine Musikerin, dann ist ihr Körper entweder zu dick, zu dünn, zu perfekt oder sonst wie falsch, dann ist sie entweder Hure oder Heilige, und dann – plötzlich – ist sie sowieso zu alt.

In einer so wütenden wie lehrreichen Mischung aus Analyse und Abrechnung zeigt Sonja Eismann, wie tief Sexismus und Ageismus in die Musikindustrie eingeschrieben sind, wie wir als Konsument*innen den male gaze erlernt und verinnerlicht haben, wie Missbrauch und Pädosexualität in fast allen Szenen und Genres akzeptiert werden. Sie schreibt über alte Männer, die minderjährige Sängerinnen sexualisierte Songs performen lassen, über die scheinbare Unmöglichkeit eines richtigen Alterns, sexistischen Musikjournalismus, Superstars wie Taylor Swift, Beyoncé oder Peaches, über Feminizide in Songlyrics – und natürlich über Beispiele der selbstbewussten Aneignung, des Widerstands, der wütenden Mittelfinger gegen das Musikpatriarchat.

Sonja Eismann (*1973) ist Journalistin und Kulturwissenschaftlerin. Sie studierteKomparatistikinWien, Mannheim, Dijon und Santa Cruz (USA) und war Mitgründerin des Magazins nylon und des Missy Magazine, wo sie bis heute Teil der Redaktion ist. Sie schreibt u.a. für Deutschlandfunk Kultur, den Freitag und an.schläge und forscht zur Repräsentation von Geschlecht im Pop sowie zu gendersensiblem Musikjournalismus. Von 2016 bis 2022 war sie Mitglied im Musikrat des Goethe-Instituts, 2024 hatte sie die Popdozentur der Universität Paderborn inne. Sie lebt in Berlin.

Sonja Eismann CANDY GIRLS

Sexismus in der Musikindustrie

Nautilus Flugschrift

Originalveröffentlichung

Broschur, ca. 176 Seiten, ca. € 18,00

ISBN 978-3-96054-472-2

Warengruppe 1970 Erscheint am 1. September 2025

»Eine anregende und komische Refexion über den Kapitalismus in seinen absurdesten Avataren.« – Livres Hebdo

Leseprobe Am Anfang dieses Buches stand ein Bild, das sich mir einbrannte, als ich die Avenue de la République in Paris zum Friedhof Père-Lachaise hinauflief. Auf der linken Straßenseite befand sich ein Gebäude im Haussmann-Stil, durch dessen große, leicht beschlagene Fenster im ersten Stock man mehrere Gestalten erahnen konnte, die nebeneinander auf nicht zu erkennenden Geräten ihr Lauftraining absolvierten. Im Erdgeschoss ein auf Hightech gestyltes Geschäft, eingerahmt von zwei Schaufenstern mit Blumenkränzen und Urnen. Die Schilder beseitigten jeden Zweifel: In der oberen Etage befand sich ein Fitnessstudio, darunter ein Bestattungsunternehmen. Eine wuchtige Baumkrone ließ es nicht zu, das skurrile Duo auf einem Foto zu verewigen. Aber die Idee war geboren und holte mich immer wieder ein: ein Bestattungsinstitut, darüber ein Fegefeuer der körperlichen Ertüchtigung, in dem verblichene Seelen wie schwerelos auf der Stelle joggen. Nachhaltig fasziniert von der Fata Morgana dieses Jenseits und der Tradition eines magischen Materialismus verpflichtet, begann ich nach und nach, für das Laufband einen Fetisch zu entwickeln, wie ich ihn für viele befremdliche Geräte pflege. Wie sollte man beim Anblick dieser Verstorbenen im Leerlauf-Sprint nicht ins Phantasieren geraten?

»Going nowhere very rapidly« – so bewarb eine USamerikanische Firma für Fitnessgeräte schon in den 1920er Jahren ein Laufband zur körperlichen Ertüchtigung. Für Yves Pagès, Autor, Verleger und Sammler kulturgeschichtlicher Kuriositäten aller Art, ist das Laufband im Fitnessstudio ein geradezu metaphysisches Modell des Kapitalismus: eine unaufhörliche Bewegung auf der Stelle, in der ein Sisyphus wie aus Moderne Zeiten dem Avatar eines ökonomischen perpetuum mobile hinterherhetzt. Das Prinzip ist allgegenwärtig, ob als Rolltreppe oder Kassenband, als Fließ- und Förderband in Fabriken und Bergbau, als Heimtrainer oder moving walkway am Flughafen.

Fasziniert setzt Pagès zur Recherche an, durchforstet Patentanmeldungen, Berichte von Industriemessen, Werbungen, Filme und Literatur, um Vorläufer und ausgestorbene Nebenzweige in der langen Evolution des Laufbands nachzuverfolgen. Höchst unterhaltsam erzählt er, wie aus einer Technologie zur Schonung von Nutztieren im Lauf der Geschichte erst eine schikanierende Disziplinarmaßnahme in englischen Gefängnissen und in Kolonialregimen wird und schließlich eine begehrte und teuer bezahlte Form der Selbstoptimierung und -kasteiung im spätkapitalistischen Lifestyle.

»Travail à la chaîne« – der französische Begriff für Fließbandarbeit – lässt sich wörtlich mit »Arbeit an der Kette« übersetzen. Deutlicher und vielschichtiger kann man die Realität des Kapitalismus kaum darstellen.

Yves Pagès (*1963 in Paris) ist

Autor und Verleger. Er leitet zusammen mit Jeanne Guyon das Imprint Éditions Verticales bei Gallimard und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht.

Yves Pagès ENDLOSE KETTEN

Eine illustrierte Geschichte des Laufbands Aus dem Französischen von Felix Kurz Nautilus Flugschrift

Deutsche Erstausgabe

Originalausgabe: Les chaînes sans fin. Histoire illustrée du tapis roulant, La Découverte, Paris 2023

Broschur, ca. 240 Seiten, mit ca. 45 S/W-Illustrationen, ca. € 20,00

ISBN 978-3-96054-473-9

Warengruppe 1970

Erscheint am 1. September 2025

Leseprobe Eine standpunktlose Maschine, ein Abstraktum ohne Welterfahrung kann niemals wirklich schreiben oder übersetzen, glaubte und glaube ich. Damit meine ich nicht allein die »stilistische« oder »kreative« Arbeit, die in den einschlägigen Debatten meist als eine dem »Inhalt« aufmontierte Benutzeroberfläche gehandelt wird. Nein, ich denke schon an die Bedienungsanleitungen für die Großindustrie, die ich Ende der 1990er in einem Übersetzungsbüro computerunterstützt übertrug, ohne von Industriemechanik die geringste Ahnung zu haben. Zwar konnte die SoftwareMaske bei jedem Satz auf eine bereits übersetzte Vorlage zurückgreifen, die komplett zu übernehmen oder leicht zu variieren war, so dass der Arbeitsrhythmus einer einlullenden seriellen Musik glich. Aber manchmal schreckte ich auf, weil in der Vorlage ein uneindeutiger Begriff steckte und ich eine eigenständige Entscheidung treffen musste. Dabei konnte ich mir von den Mechanismen, um die es ging, überhaupt kein Bild machen. Bei den elementarsten Dingen – physische Strukturen, Bewegungen im Raum – tappte ich im Dunkeln. Bedeutete an nun at, by, on oder in? Ich konnte mir nur eines vorstellen: Wie eine Arbeiterhand danebengreifen könnte, wenn ich die Präposition falsch übertrug. In einem entfernten Erdteil könnte ich eine Havarie auslösen.

»Vielleicht beschreibt man diese Schriftstellerin am besten als eine Art Ethnologin, die sich indenkbargrößterIntensitätdemeigentlich Fremdenannähert. Mit einerunbändigen Neugier will sie erkunden, die Fakten, die Sprache, die Geschichte, die Seelen und die SchicksalemitihremtauchendenBlickerkennen.«

– Alexander Cammann, Laudatio zum Literaturpreis der A und A Kulturstiftung

ZwischenSchöpfungsgeschichteundStasi,SpracheundTechnologie entwirrtIsabelFargoColezentralephilosophischeFragenderGegenwart

Eine Läuferin steht in den Startlöchern bereit. Doch um ins Ziel zu kommen, muss sie zunächst die Hälfte der Strecke schaffen, und dafür wiederum die Hälfte der Hälfte … Wenn sie für jede Hälfte eine bestimmte Zeit benötigt und sich die Strecke unendlich oft halbieren lässt, ist dann auch das Rennen ein unendliches? Soll sie überhaupt loslaufen?

Heute ist klar, dass dem Paradoxon des Zenon von Elea ein Fehlschluss zugrundeliegt – und doch ist gerade für dieses Heute einiges an Wahrheit darin aufgehoben. Die ständige Teilung der Gesellschaft in immer kleinere Identitäten und Bubbles, das technologische Sprinten ohne echten Fortschritt, ohne Vorwärtskommen. Leben wir vielleicht im Zenonzän?

Mit einem aufmerksamen Interesse für die großen Fragen, die über unserer Gegenwart schweben, und einem emphatischen Blick für kleine und randständige Tendenzen schreibt Isabel Fargo Cole über Sprache und Wortmaschinen der Künstlichen Intelligenz, über Postwachstum und Schöpfungsgeschichte, über den Stillstand der Lockdowns, Überwachung, linken (und rechten) Technikoptimismus und die Arbeit des Übersetzens. Sie weist auf manch erschreckende Bruchkante im stabil geglaubten Fundament unseres Weltbilds hin, findet aber auch verblüffend schöne, funkelnde Einschlüsse im Gestein des Zenonzäns.

Isabel Fargo Cole (*1973 in Galena, Illinois), Autorin und Übersetzerin, lebt seit 1995 in Berlin. Ihr Debütroman Die grüne Grenze (2017) war für den Preis der Leipziger Buchmesse und den Klaus-Michael Kühne-Preis nominiert. 2018 erhielt sie den Helen & Kurt Wolff Übersetzerpreis für ihre Übersetzung von Wolfgang Hilbigs Alte Abdeckerei ins Englische. Ihr Roman Das Gift der Biene (2019) wurde für die LiteraTour Nord ausgewählt. 2022 erschien Die Goldküste. Eine Irrfahrt (Matthes & Seitz). 2023 wurde ihr der Literaturpreis der A und A Kulturstiftung verliehen.

Isabel Fargo Cole DAS ZENONZÄN

Paradoxien des Fortschritts Nautilus Flugschrift

Originalveröffentlichung

Broschur, ca. 160 Seiten, ca. € 18,00

ISBN 978-3-96054-474-6

Warengruppe 1970

Erscheint am 1. September 2025

»Wir haben Alice Cherki dafür zu danken, dass sie diesem hervorragenden Intellektuellen, seiner Person wie seinen Büchern, den Platz gegeben hat, den sie verdienen – nicht nur in unserer Geschichte, sondern auch in unserer Gegenwart.« – Didier Eribon

»Selten wurde ein Schwarzer Theoretiker so zugänglich, so menschlich, so verletzlich beschrieben.« – Natasha A. Kelly

Alice Cherki

FRANTZ FANON

Ein Porträt

Aus dem Französischen von Andreas Löhrer

Mit einem Vorwort von Natasha A. Kelly und Zaphena Kelly Aktualisierte, neu durchgesehene und ergänzte Ausgabe

Mit Glossar und Zeittafel Broschur, 400 Seiten, € 26,00

ISBN 978-3-96054-368-8

Warengruppe 1971 Bereits erschienen

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Gesamtverzeichnis Leselotse 11 x 20 cm, 10 Ex.

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Leporello Flugschriften A6, 25 Ex.

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