Interview Georg Brasseur / Langfassung

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WIRTSCHAFT ANDERS DENKEN

BEWUSSTSEINSBILDUNG: Die Grenzen des Wachstums

ENERGIEWENDE: Warum wir Zeit gewinnen müssen

FREUD UND LEID: Die Zukunft der Zinsen

CYBER - SECURITY: The good, the bad and the ugly

N° 01
FEBRUAR 2022 | P.B.B. VERLAGSPOSTAMT 6020 INNSBRUCK | ZNR. GZ 02Z030672 M | EURO 3.00

„WIR MÜSSEN UNBEDINGT ZEIT GEWINNEN“

„Europa“, will Georg Brasseur, emeritierter Universitätsprofessor für elektrische Messtechnik und Sensorik an der TU Graz, gleich eingangs festgehalten wissen, „ist nicht energieautonom, war es nie und wird es auch niemals sein.“ Das macht die Energiewende freilich nicht einfacher.

INTERVIEW: MARIAN KRÖLL

Georg Brasseur will in der Energiewende auf das zurückgreifen, was es in der Natur bereits gibt, und das synthetisch herstellen. Effizient funktioniert das allerdings nur in Weltgegenden, in denen es mehr Wind und stärkere Sonneneinstrahlung als in Europa gibt.

ECO.NOVA: Kann man tatsächlich so apodiktisch sagen, dass Europa auch zukünftig nicht energieautonom sein wird? GEORG BRASSEUR: Stellt man die Förderung und den Import fossiler Energie in Europa ein, müsste die Energie vorwiegend aus Wind und Sonne stammen. Das geht schon einmal gar nicht. Wir haben gar nicht die Fläche für Windkraft und Photovoltaik im nötigen Ausmaß, außerdem ist in unseren Breiten die „Ernte“ schlecht. Bei Photovoltaik liegt die Ausnützungsrate* bei nur zwölf Prozent, bei der Windkraft sind es gerade einmal 26 Prozent. Das hat weitreichende Auswirkun-

GEORG BRASSEUR ist emeritierter Ordinarius an der TU Graz am Institut für Elektrische Messtechnik und Sensorik und war von 2013 bis 2022 Präsident der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Neben industrieller Elektronik und elektrischer Messtechnik umfassen seine Forschungsinteressen Sensorik und Aktuatorik, kapazitive Mess- und Schaltungstechnik sowie nachhaltige Mobilität. Letzteres ist auch eine der zentralen Herausforderungen des von ihm mitgegründeten Vereins netER – new energy transition Europe Researchassociation, zu dessen Gründungsmitgliedern auch der Tiroler Industrielle Arthur Thöni gehört.

gen. Energie ist Leistung mal Zeit.* Ist die Zeitspanne kürzer, in der Energie übertragen werden kann – weil sie bei Photovoltaik und Windkraft nicht immer zu bekommen ist –, heißt das, dass die Verluste steigen, und zwar quadratisch mit der Leistung. Über unser Stromnetz kann zukünftig nicht die Energie übertragen werden, die wir heute gewohnt sind, weil diese in kürzerer Zeit übertragen werden muss. Nämlich dann, wenn sie gerade verfügbar ist. Fakt ist: Wir sind in Europa nicht energieautonom, folglich müssen wir Energie einführen.

Ist das Stromnetz bereits der erste Engpass in der Energiewende? Die Netzkapazität ist schon heute ziemlich ausgelastet. Deshalb wird auch so viel über den Blackout gesprochen. Je grüner die Energieversorgung wird, desto kritischer wird es.

Ist das dauernde Gerede über Blackouts nicht alarmistisch oder ist ein solcher tatsächlich mit der Energiewende sehr viel wahrscheinlicher geworden? Es ist nicht die Frage, ob ein Blackout kommen wird, sondern nur wann.

Der Club of Rome schlägt in seinem neuen Bericht „Earth for All“ die Energiekehrtwende vor, die einer vollständigen Elektrifizierung und Dekarbonisie-

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© DORIS KUCERA

rung gleichkommt. Halten Sie das für machbar und sinnvoll? Eine Dekarbonisierung ist ein grundlegender Denkfehler. Kohlenstoff ist für den Menschen eines der wichtigsten Elemente, neben Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Kalzium. Mit dem Kohlenstoff würden wir uns den Teil des gasförmigen Energieträgers Wasserstoff schlechthin wegnehmen, der durch atomare Bindung dem Wasserstoff eine viel höhere volumetrische Energiedichte verleiht. Dieser Energieträger ist im Großen und Ganzen Glukose bzw. Zucker, ein Kohlenwasserstoff mit der Summenformel C6H12O6 Letztlich ist es egal, ob dieser Kohlenwasserstoff nun als Glukose, als Treibstoff an der Tankstelle oder als Kornweckerl vorliegt. Das hat die Natur durch die Kohlenwasserstoffe genial gelöst. Dieser Energieträger ist entstanden durch Experimente der Natur, die im Laufe von Milliarden Jahren durch Mutation Eigenschaften in Lebewesen hervorgebracht hat, die immer besser an

die Umwelt angepasst worden sind. Der Wasserstoff mit seiner hohen gravimetrischen, aber sehr schlechten volumetrischen Energiedichte hat sich evolutionär als hervorragender Energieträger herauskristallisiert, und zwar in atomar gebundener Form. Kohlenstoff ist der „Klebstoff“, der dem Wasserstoff eine höhere volumetrische Energiedichte gibt. Ob in Form von Alkohol, Zucker oder Methan, ist egal. Das hat die Natur erfunden und wir Menschen wären schlecht beraten, klüger als die Natur sein zu wollen, die zu dieser Erkenntnis Milliarden Experimente zur Optimierung des Energieträgers für Lebewesen gebraucht hat.

GEORG BRASSEUR

Das ist nicht trivial. Was können wir also für die Energiewende aus der Evolution lernen? Wir können lernen, dass die großen Energieträger, die wir in Zukunft brauchen werden, genau die sind, die wir schon haben. Wir brauchen keine neuen erfinden. Menschen brauchen keinen Wasserstoff in gasförmiger Form. Wenn das evolutionär ein Vorteil gewesen wäre, hätten wir vermutlich irgendwo einen Körperteil, der diesen speichern könnte. Die Natur hätte sich theoretisch auch eine Art Batterie für Tiere und Pflanzen einfallen lassen können, hat sie aber nicht. Elektrizität ist in der Natur zwar auch sehr wichtig, aber nicht als Energieträger, sondern in der Nervenreizleitung. Strom hat selbst keine Energie, er transportiert diese nur von A nach B. Bei der Energie-

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„Wir können lernen, dass die großen Energieträger, die wir in Zukunft brauchen werden, genau die sind, die wir schon haben.“

wende sollten wir auf das zurückgreifen, was uns die Natur vorgegeben hat. Das ergibt dann automatisch Drop-in-Fuels*, mit denen über Jahrzehnte die fossilen Kraftstoffe dank gleicher Chemie quasi „verdünnt“ werden können. So kann nach und nach Fossiles durch Grünes ersetzt werden, ohne dass wir dadurch viel fossiles CO2 – ich sage bewusst nicht Geld – in die Hand nehmen müssen, um neue Anlagen zu errichten. Die Größenordnung, die wir an fossiler Energie ersetzen müssen, ist gigantisch. Die nötigen Anlagen brauchen sehr viele Rohstoffe – Stahl, Aluminium, Kupfer, Zement, etc. –, die zusätzlich gewonnen werden müssen. Für die Energiewende brauchen wir ganze Weltjahresproduktionen dieser Rohstoffe – zusätzlich!

Die Energiewende ist damit wohl keine schnelle Nummer. Ist der Zeithorizont, der für die Energiewende öffentlich suggeriert wird, zu kurz bemessen? Viel zu kurz. Wenn der Club of Rome nun fast alles auf Elektrizität umstellen will, ist das nicht ein Feature, sondern ein Bug. Wir sind salopp gesagt immer noch zu dumm, aus Sonne, Wasser und Luft Glukose –C6H12O6 – erzeugen zu können. Wir müssen Strom machen, etwas anderes können wir großtechnisch zurzeit nicht aus Wind und Sonnenenergie generieren. In einem nächsten Schritt kann dann mittels Elektrolyse aus diesem Strom Wasserstoff erzeugt werden. Wasserstoff

ist aber flüchtig und schlecht speicherbar. Also braucht es für viele Anwendungen noch eine weitere Konversion – etwa in Methan, Methanol oder andere flüssige grüne Energieträger –, die wieder verlustbehaftet ist.

Die Sonne schickt keine Rechnung, heißt es doch oft so schön. Es mag sein, dass diese Energie geschenkt ist, der Bau der notwendigen Anlagen benötigt aber gewaltige Rohstoffmengen und setzt Unmengen an fossilem CO2 frei, dessen Ausstoß wir eigentlich verringern müssten. Deshalb müssen wir vor allem sparen. Das heißt zunächst einmal das, was wir bereits haben, weniger und möglichst lange zu verwenden.

Das heißt wohl auch, dass bestehende Kraftwerke so lange wie möglich betrieben werden sollten. Der überhastete Atomausstieg und der teure Rückbau prinzipiell betriebsbereiter Kraftwerke bei unseren deutschen Nachbarn dürfte vor diesem Hintergrund nicht besonders klug gewesen sein? Dumm darf man ja in einer Zeitung nicht sagen. Man hat die Situation völlig verkannt. Wir leben bisher in einem verbraucherorientierten System, das Energie grundsätzlich dann zur Verfügung stellt, wenn diese gebraucht wird. Mit Wind- und Sonnenenergie haben wir zukünftig ein angebotsgetriebenes Energiesystem. Damit können wir nicht umgehen. Was heißt das? Nur wenn morgens die Sonne scheint und der Wind weht, können wir warm duschen. Das ist unsinnig. Man kann versuchen, Verbrauchsspitzen auf den Zeitpunkt zu schieben, an dem das größte Stromangebot da ist. Das Pumpspeicherkraftwerk funktioniert nach dieser Logik, die Energie aus Wind und Sonne wird in Form von Wasser zwischengespeichert. Das Pumpspeicherkraftwerk hat die höchste Effizienz. Etwas Besseres ist uns bisher noch nicht eingefallen. Es gibt aber Dunkelflauten – Tage bis Wochen, in denen kaum Wind weht und keine Sonne scheint –, für die wir ein ganzes Parallelsystem aus kalorischen Kraftwerken zur Stromerzeugung brauchen werden.

Wie viel Leistung muss an kalorischen Kraftwerken im Verhältnis zur installierten Leistung aus Windund Sonnenenergie vorgehalten werden? Kalorische Kraftwerke müssen dieselbe Menge an Energie liefern können, die beim Wegfall der Wind- und Sonnenenergie gebraucht wird. Das heißt, dass in diesen Kraftwerken die meiste Zeit Däumchen gedreht wird. Diese Infrastrukturen und das Personal, die eigentlich nur für Notfälle da sind, kosten Unmengen an Geld. Es wird im-

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„Bei der Energiewende sollten wir auf das zurückgreifen, was uns die Natur vorgegeben hat.“
GEORG BRASSEUR

mer Gaskraftwerke zur Sicherstellung der Netzstabilität brauchen, die vielleicht in ferner Zukunft irgendwann mit grüner Energie betrieben werden.

Warum kann man auf Gaskraftwerke nicht verzichten? Wasserkraftwerke können nicht für die Primärregelreserve des Netzes verwendet werden. Sie sind dafür zu träge. Die Schwerkraft muss eine Wassersäule in einem Pumpspeicherkraftwerk erst einmal so beschleunigen, bis die Turbine ihre Leistung bringen kann. Das funktioniert binnen Minuten, aber nicht binnen Sekunden. Gasturbinen in Regelkraftwerken werden mit 20, 30 Prozent der Nennleistung betrieben und sind dann innerhalb von wenigen Sekunden auf Volllast, wenn sie gebraucht werden, und in jüngster Zeit helfen auch Batteriespeicher bei dieser Regelaufgabe. Wir haben in Europa in Summe drei Gigawatt an Primärregelleistung zur Verfügung.

Es gibt also technologisch gesehen keine grüne Regelenergie? Es ist natürlich möglich, Gaskraftwerke mit grünem Methan zu betreiben. Wasserstoff ist keine gute Idee, weil die Flamme für die bestehenden Gasturbinen viel zu heiß ist und den Stahl versprödet. Synthetisches Methan ist eine mögliche Alternative, die genauso gut funktioniert wie fossiles. Aber das Netz braucht für einen stabilen Betrieb diese kalorischen Kraftwerke. Für weniger dynamische Regelaufgaben im Netz werden auch alle anderen Kraftwerkstypen eingesetzt, auch grüne Kraftwerke.

Ein derartiges Parallelsystem aus regenerativen und kalorischen Kraftwerken bedeutet wohl auch automatisch, dass die Zeiten billiger Energie in Europa endgültig vorbei sind? Diese Zeiten sind vorbei. Wir finanzieren seit 150 Jahren unseren Wohlstand über fossile Energie, die nahezu nichts kostet. Das zeigt sich gerade wieder am eindrücklichsten in Deutschland mit der Braunkohle. Der Bagger schaufelt diese Kohle auf ein riesiges Förderband, das direkt ins Kraftwerk hineinführt. Billiger geht es nicht. Das wird es in Zukunft in dieser Form zur Überbrückung kalter Dunkelflauten nicht mehr geben, außer man sammelt und injiziert das bei der Verbrennung im Kraftwerk entstehende CO2 beispielsweise in Basalt, der CO2 binnen zwei Jahren in Karbonatgestein umwandelt.

Warum haben fossile Energieträger eine derart hohe Energiedichte? Weil fossile Energieträger kaum Sauerstoff enthalten, sondern diesen bei der Verbrennung aus der umgebenden Luft entnehmen.1 Die fossilen und

auch die chemisch identen synthetischen Kraftstoffe haben deshalb eine um gut den Faktor 50 höhere Energiedichte als Batterien.

Die Batterie gilt aber gewissermaßen als einer der Hoffnungsträger der Energiewende. Wiederaufladbare Batterien haben das Oxidationsmittel integriert, sie führen quasi den Sauerstoff mit. Das ist keine gute Idee, denn das Oxidationsmittel ist in der Umgebungsluft frei verfügbar. Nur ist die Chemie bisher nicht in der Lage, dieses Manko zu überwinden. Ebenso wenig gelingt der Nachbau der Fotosynthese, also aus CO2 aus der Luft und Wasser mittels Sonnenstrahlung Glukose, einen festen grünen Energieträger, großtechnisch herzustellen. Batterien funktionieren unter Wasser oder im Vakuum und haben durch diese in der Regel nicht benötigte Eigenschaft eine sehr schlechte Energiedichte. Für großtechnische Anwendungen ist die heutige Lithiumionen-Batterietechnologie ungeeignet, zumal sie nicht wirklich gut skalierbar ist, ohne das Brandrisiko mehr und mehr zu erhöhen und ohne dass die Batterieherstellung große Mengen an fossilem CO2 freisetzt. Um das zu ändern, braucht man völlig neue Technologien, die es leider noch nicht gibt.

Warum wird dann derzeit die Elektromobilität so massiv gepusht? Ich kann Ihnen zwei Gründe nennen: Die Politiker finden Strom cool, da man fast alles mit Strom machen kann, weil der neue Strom aus Wind- und Solarkraftwerken kommt und damit grün ist, obwohl die meisten Proponenten den Unterschied zwischen Watt und Wattstunden – also zwischen Leistung und Energie – nicht präsent haben. Die Logik könnte folgendermaßen lauten: Strom ist cool, weil Strom so viel kann und grüner Strom der Energiewende nutzt. Wenn ich Strom fördere, fördere ich eine coole, grüne Sache. Damit bin ich auch cool und werde wieder gewählt.

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„Energiesparen heißt, das, was wir bereits haben, weniger und möglichst lange zu verwenden.“
GEORG BRASSEUR

Der zweite Grund ist, dass der Verbrauch bei Fahrzeugen mit Liter pro hundert Kilometer gemessen wird. Und zwar von der Zapf- bzw. Ladesäule weg. Deshalb ist festgelegt, dass der Strom aus der Steckdose in Analogie zur Zapfsäule, CO2-frei ist, denn Elektronen emittieren kein CO2. Dass der zum Laden notwendige Strom vorwiegend in kalorischen Kraftwerken erzeugt werden muss, wird ignoriert. Die Automobilindustrie kann sich deshalb für jedes verkaufte Elektroauto negative CO2-Emissionen für den Flottenverbrauch anrechnen lassen. Das macht es möglich, weiterhin Autos mit Verbrennungsmotoren zu verkaufen, obwohl der Flottengrenzwert sehr streng ist. Der Großteil der verkauften Elektrofahrzeuge sind Firmenfahrzeuge.

Das dürfte mit den hohen Förderungen zusammenhängen. Ja. Elektroautos werden über den Lebenszyklus in Summe mit ca. 20.000 Euro gefördert, statt diese Mittel für Aktivitäten einzusetzen, die faktenbasiert die Energiewende nutzen, wie beispielsweise Wärmepumpen. Die Energiewende fördert man durch Elektroautos nicht, man verzögert sie sogar.

Wie kommt das? Weil dadurch ständig neue Verbraucher ans Netz gebracht werden. Und zwar schneller, als grüne Kraftwerke gebaut werden können. Damit wird der Strom insgesamt nicht grüner, sondern immer brauner. Zuerst sollten neue grüne Kraftwerke errichtet werden, bevor durch Förderungen neue Verbraucher motiviert werden, zusätzlichen Strom zu beziehen.

Es wird auch davon gesprochen, elektrische Energie aus fernen Weltgegenden mittels Hochspannungsleitungen nach Europa zu bringen. Ist das ein guter Plan? Wir haben 2019 in Europa 17.100 Terawattstunden an fossiler Energie gebraucht. Wollte man diese Energie über Strom importieren, müsste man 488 Hochspannungsleitungen à vier Gigawatt, die rund um die Uhr diese Leistung übertragen, einsetzen. Das wird nicht die Lösung sein. Man kann ein paar Gigawatt nach Europa übertragen und hoffen, dass die Leitung nicht ausfällt, aber niemals diese Energiemengen, die hier gebraucht werden.

Könnte nicht auch eine Vielzahl an Elektroautos, die bidirektionales Laden unterstützen und intelligent angesteuert werden, dem Stromnetz als Speicher dienen? In Österreich gibt es fünf Millionen Autos. Nehmen wir an, es handelt sich dabei ausschließlich um Elektroautos und eine Autobatterie stellt 50 kWh Energie bereit. Das ergibt in Summe 0,25 Terawattstunden.

Unser durchschnittlicher Verbrauch beträgt sieben Gigawatt, das heißt, dass nach 35 Stunden alle Batterien leer wären. Zum Vergleich: Aus Pumpspeichern bekommen wir in Österreich circa drei Terawattstunden. Ideen wie diese sind in großtechnischem Maßstab unsinnig. Die Leute hören es nicht gerne, dass sie mit Elektroautos der Energiewende schaden. Die Erfindung neuer Verbraucher macht keinen Sinn, es sei denn, es handelt sich um Wärmepumpen. Damit hat man einen großen Hebel, der auch beim derzeitigen Strommix Sinn ergibt. Wärmepumpen müssten dementsprechend stärker gefördert werden, nicht Elektroautos.

Die Wärmepumpenindustrie brummt ohnehin. Was glauben Sie, was sich tun würde, wenn man Wärmepumpen so fördern würde wie Elektroautos? Dennoch wäre der flächendeckende Einsatz von Wärmepumpen für das Stromnetz ebenfalls eine Herausforderung, und zwar besonders für die Trafos und die Verteilernetze, an denen die Haushalte hängen, die bisher jeweils einen Anschlusswert von ungefähr einem Kilowatt haben. Das typische Energieversorgungsunternehmen kalkuliert mit einem bis eineinhalb Kilowatt pro Hausanschluss, Wärmepumpen in jedem Haus würden einige kW zusätzlich brauchen und damit diese Trafos überlasten. Die Energie, die für den Betrieb von Wärmepumpen notwendig ist, könnte aber auch über das Gasnetz geliefert werden. Durch den Gas-Hausanschluss zu nahezu jedem Haushalt in Österreich kann im Mittel wesentlich mehr Energie transportiert werden als über dessen Stromanschluss. Wäre die North-Stream-Pipeline ein Stromkabel, würde diese eine Pipeline so viel Leistung anbieten, wie die mittlere Netzlast von gesamt Deutschland ist.

Für diese Größenordnungen fehlt einem das Gefühl. So ist es. Das sollte man der Bevölkerung vermitteln. In Japan gibt es seit Jahrzehnten Gas-Brennstoffzellen, die

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„Die Erfindung neuer Energieverbraucher macht keinen Sinn, es sei denn, es handelt sich um Wärmepumpen.“
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zur Hälfte Strom und zur Hälfte Wärme liefern. Damit ließen sich auch Wärmepumpen betreiben.

Warum hört man von dieser Technologie kaum etwas? In Europa gibt es dafür keine Nachfrage. Warum fahren wir nicht schon längst mit Methan bzw. CNG? Das Gas erzeugt bei der Verbrennung so gut wie keine Partikel und ist ein wesentlich besserer Kraftstoff als Benzin und Diesel, da man bei gleicher Leistung 25 Prozent CO2 einspart, aber die Leute kaufen es nicht. Rational ist das nicht erklärbar.

Wie ist es um die Effizienz bei der Herstellung von grünem Methan bestellt? Schlecht. Der Wirkungsgrad liegt mit Glück bei 50 Prozent. Produziert man dieses Methan aber in einer Gegend, in der man doppelt so viel Wind oder Sonne ernten kann wie bei uns, macht das nichts. Will man fossiles CO2 einsparen, muss zunächst fossiles CO2 investiert werden, zum Aufbau der notwendigen Infrastruktur, zum Abbau von Rohstoffen etc. Ist der Erntefaktor höher, braucht es weniger dieser Investitionen und man kann mit diesem schlechten Wirkungsgrad leben. Leichter als Methan ließen sich noch Methanol und Ammoniak herstellen, das allerdings ziemlich giftig ist.

Ist die Energiewende ohne Verhaltensänderung –sprich Verzicht – zu bekommen? Ich glaube nicht, dass man Menschen bewusst zum Verzicht bewegen kann. Man muss die Energiewende so gestalten, dass die Leute nicht das Gefühl bekommen, ihnen entgeht etwas.

Ist es leichter und damit günstiger, die bestehenden Energiesparpotenziale zu heben oder neue bzw. weitere – am besten nachhaltige – Energiequellen zu erschließen? Es braucht beides. Energiesparen wirkt sofort. Wir müssen unbedingt Zeit gewinnen. Zeit, um von der Industrie die Rohstoffe zu bekommen und auch die personellen Ressourcen aufzubauen, die wir für die Energiewende brauchen. Wir brauchen Geräte, Anlagen und Fachkräfte, und das geht nicht von heute auf morgen. Deshalb müssen wir Zeit gewinnen, das Bestehende möglichst lange weiter nutzen und gegebenenfalls reparieren und nicht wegwerfen. Ich fahre meine Autos immer so lange, bis dass der Rost uns scheidet. Das ist Energie sparen.

Es gab die Vision, die Alpen und damit auch Tirol zur „grünen Batterie Europas“ zu machen. Können Sie einem solchen Vorhaben etwas abgewinnen?

Pumpspeicher sind eine wichtige Technologie, um An-

gebot und Nachfrage in Einklang zu bringen und mit hohem Wirkungsgrad Energie zu speichern. Um eine Dunkelflaute zu überbrücken, sind diese Kraftwerke zu wenig. Dafür braucht es Energieträger, in denen Wasserstoff an Stickstoff oder Kohlenstoff atomar gebunden ist, also synthetische Kraftstoffe, deren Chemie uns die Natur geschenkt hat und die wir „nur“ zu synthetisieren brauchen. Methanol wäre ein möglicher Energieträger, aber dafür haben wir keine Infrastruktur und können uns wahrscheinlich die CO2-Emissionen zur Errichtung einer solchen im großen Maßstab nicht leisten. Wir werden in Zukunft dennoch viele Wege ausprobieren müssen, um zu erfahren, was am besten funktioniert. Der Schwerverkehr, Schiffe und Flugzeuge müssen bei den Kohlenwasserstoffen bleiben, nur eben synthetischen Ursprungs. Am meisten CO2 setzt die Industrie frei. Einerseits benötigt sie Wasserstoff für Hochtemperaturwärme, andererseits zur Reduktion von Sauerstoff aus Rohstoffen. Wenn aus Eisenoxid Eisen gemacht wird, muss der Sauerstoff aus der Bindung heraus und Kohlenstoff hinein. Das wurde bisher mit Kohle gemacht, funktioniert aber auch mit Methan. Mit synthetischem Methan, das nach Europa gebracht werden kann, ließen sich auch die unverzichtbaren Gaskraftwerke weiter betreiben und das gut ausgebaute Gasnetz weiter verwenden. In ganz Europa haben wir ungefähr 500.000 Kilometer Gasleitungen. Das aufzugeben und zu ersetzen, setzt immense Mengen an CO2 frei. Kohlekraftwerke lassen sich zudem sehr gut auf Methanbetrieb umrüsten. Für Methan gibt es außerdem große unterirdische Speicher. In diesen Kavernen und in porösen Gesteinen Wasserstoff zu speichern, wäre zwar grundsätzlich möglich, aber bislang wagt man dieses Experiment nicht, weil die winzigen H2-Moleküle die Dichtschichten der Gasspeicher zerstören könnten.

In Österreich gibt es traditionell eine besondere Abneigung gegen die Kernkraft. Kann Europa bei der Energiewende auf die Atomkraft verzichten? Wir sollten die Kraftwerke, die es gibt, hegen und pflegen, damit sie möglichst lange betrieben werden können. Sie können in Europa einen wesentlichen Beitrag für die Energiewende leisten. Neue zu errichten, macht nicht viel Sinn, weil das zu lange dauert. Bestehende Kraftwerke vorzeitig abzudrehen ist nicht klug. Kernkraft macht weltweit aber nur zirka vier Prozent der gesamten Energiegewinnung aus. Das ist viel zu wenig, um nur mit Kernkraft die Energiewende schaffen zu wollen.

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„Die Energiewende fördert man durch Elektroautos nicht, man verzögert sie sogar. Denn dadurch werden ständig neue Verbraucher ans Netz gebracht werden. Und zwar schneller, als grüne Kraftwerke gebaut werden können.“

Könnte ein Fazit für den weiteren Umgang mit der Energiewende lauten, dass mehr Pragmatismus und weniger das Bauen von Luftschlössern gefragt sein wird? Die Politiker sollten sich aus Energiefragen völlig heraushalten. Man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie sich zu wenig auskennen, sehr wohl aber, dass sie zu ignorant sind, sich das einzugestehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Die Politik sollte Experten aus der Industrie und Wissenschaft stärker einbinden. Wahrheit hat auch die Wissenschaft nicht, sie zeigt aber unverblümt die Fakten mit allen Vor- und Nachteilen auf. Und sie ist durch die der Wissenschaft innewohnende Skepsis lernbereit und lernfähig. Diese Grundhaltung muss man der Politik nahebringen. Experten sollen die Fakten darlegen, deren Bewertung die Politik vornehmen muss. Dafür wurden die Politiker gewählt. Es gilt außerdem, Verträge mit jenen Ländern zu schaffen, aus denen diese grüne Energie nach Europa importiert werden könnte. Auf die Errichtung derartiger Verträge und Abkommen sollte sich die Politik fokussieren. Diese müssen Investoren auf Jahrzehnte Rechts- und Planungssicherheit garantieren, sonst werden diese nicht den Großteil der Energiewende finanzieren. Das ist die Voraussetzung, damit alles andere getan werden kann.

Woher soll unsere grüne Energie kommen? Aus Gegenden rund um den Äquator, wo die Sonneneinstrahlung ganzjährig stark ist. Für Windkraft kommen viele um den Globus verteilte Regionen in Frage.

In medias res:

Erst kürzlich wurde vermeldet, dass erstmals ein experimenteller Fusionsreaktor einen „net energy gain“ erzielt haben soll. Kann nicht vielleicht sogar die Fusion unsere Rettung sein? Schon in meiner Jugend wurde vom Fusionsreaktor gesprochen, und ich habe meinen erwachsenen Kindern in ihrer Jugend erzählt, was ich von meinem Physiklehrer in der AHS bereits in der 1960er-Jahren gelernt hatte, dass in ein, zwei Jahrzehnten der Fusionsreaktor kommt. Kürzlich konnte erstmals bewiesen werden, dass tatsächlich in einem Reaktor eine Fusion stattgefunden hat, die mehr Energie freisetzt, als die gesamte zum Zünden der Fusionsreaktion benötigte Strahlenergie von fast 200 Laserpulsen hatte. Dass dafür ungefähr die hundertfache Energiemenge zum Pumpen der Laser investiert werden musste, um diese Fusion zu erzeugen, wurde nicht immer dazu gesagt. Vieles ist in der Presse nicht so aufgearbeitet, wie es in der Realität tatsächlich ist.

1 Sauerstoff ist mit einem Atomgewicht von 16 16-mal schwerer als Wasserstoff. Zwei Wasserstoffatome verbrennen zu H2O und haben mit 33 kWh pro Kilogramm die höchste massebezogene Energiedichte überhaupt. Für ein leichtes Gas wie Wasserstoff ist aber nicht die hohe gravimetrische, sondern die leider schlechte volumetrische Energiedichte von 3 kWh pro Kubikmeter relevant. Bei Methan sinkt durch die atomare Bindung von vier Wasserstoffatomen an Kohlenstoff das Volumen des Moleküls und die volumetrische Energiedichte steigt signifikant an. So liefert die vollständige Verbrennung eines Kubikmeters Methan (CH4) mit 13 Kubikmetern Luft ungefähr 10 kWh Wärmeenergie und bei einem Kilogramm Diesel oder Benzin sind für die vollständige Verbrennung 14,7 Kilogramm Luft notwendig.

* Ausnützungsrate: Ist ein Prozentsatz P, der angibt, wie viele Stunden bezogen auf die Stunden eines Jahres (8.760 Stunden) ein volatiles Kraftwerk mit der installierten Leistung L betrieben werden müsste, um die vom Kraftwerk tatsächlich generierte Energie W zu erhalten: P = W/(8760*L).

* Energie wird in Joule (J) oder Kilowattstunden (kWh) gemessen und ist dasselbe wie mechanische Arbeit, die in Newtonmeter (Nm) gemessen wird. Leistung dagegen ist Energie pro Zeit und wird in Watt (W) gemessen.

* Drop-in-Kraftstoff ist ein Kraftstoff, der aufgrund der (nahezu) gleichen chemischen Strukturformel konventionelle Kraftstoffe direkt ersetzen kann.

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