STIFTUNG SPI 2014

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Bezirk Marzahn-Hellersdorf – Interview

Interview mit Dagmar Pohle (Die Linke), Bezirksstadträtin für Gesundheit und Soziales in Marzahn-Hellersdorf Die Fragen stellte Alke Wierth. Frau Pohle, woran denken Sie heute zuerst, wenn Sie sich an die Zeit der Eröffnung des Flüchtlingsheims in Hellersdorf erinnern? Mich beschäftigt das nach wie vor sehr, ich denke oft darüber nach, welche Schlussfolgerungen man aus den damaligen Ereignissen ziehen kann. Es gibt vor allem eine Frage, auf die ich bis heute keine Antwort weiß: Wie hätten wir von dem Zeitpunkt an, als wir als Bezirk vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) darüber informiert wurden, dass eine leerstehende Schule in Hellersdorf Flüchtlingsunterkunft werden soll, anders reagieren können? Wie sind Sie denn damals vorgegangen? Wir waren uns im Bezirksamt sofort einig, dass wir das Vorhaben nicht nur hinnehmen, sondern unterstützen wollen und dass wir das auch den Anwohnerinnen und Anwohnern gegenüber entsprechend kommunizieren werden. Ich habe dann zunächst die umliegenden Wohnungsunternehmen informiert, wir haben eine Anwohnerversammlung organisiert, dafür Absprachen mit der Polizei getroffen und dabei schon festgestellt, dass sehr viele Leute zu der Versammlung kommen würden. Aber es lag, das muss ich auch heute noch sagen, außerhalb unserer, auch meiner Vorstellung, dass die Veranstaltung so von Rechten okkupiert werden könnte, wie es dann geschehen ist. Deshalb ist es auch im Nachhinein schwer zu sagen, was wir hätten anders machen können. Auch die Dialogveranstaltungen mit den Anwohner/innen, die wir später veranstaltet haben, haben darauf keine schlüssige Antwort gebracht. Welche Kritik wurde denn dort an Ihrer Informationspolitik geäußert? Viele Anwohner/innen beklagten, sie hätten an-

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ders informiert werden müssen – etwa per Brief. Aber damit hätten ihre individuellen Fragen ja auch nicht wirklich beantwortet werden können – das wäre eine Information, aber kein Dialog gewesen. Eine Schlussfolgerung allerdings haben wir gleich gezogen und bei den nach der Bürgerversammlung durchgeführten Dialogveranstaltungen auch schon umgesetzt: nicht einfach breit im Umkreis einzuladen, sondern kleinteiliger, mit persönlichen Einladungen an die unmittelbaren Anliegerinnen und Anlieger.

Wie hätten wir von dem Zeitpunkt an, als wir vom Landesamt für Gesundheit und Soziales informiert wurden, dass eine leerstehende Schule in Hellersdorf Flüchtlingsunterkunft werden soll, anders reagieren können?

Warum ist das besser? Es hat ja wesentlich zur Zuspitzung der ersten Bürgerversammlung am 9. Juli beigetragen, dass so viele ortsfremde Rechtsextreme da waren. Da wir aber großflächig zu der Versammlung eingeladen hatten, hatten wir als Veranstalter keine Handhabe, jemandem den Zugang zu der Veranstaltung zu verwehren. Ich war deshalb sehr froh, dass an diesem Tag auch Vertreterinnen und Vertreter der Antifa da waren, aktive junge Leute, die zwar auch nicht unbedingt aus Marzahn-Hellersdorf kamen, die aber dafür sensibilisiert waren, dass es auf der Versammlung zu Auseinandersetzungen kommen kann. Denn – und auch das war an diesem Tag für mich eine überraschende Erkenntnis – viele, die zum demokratischen Spektrum unseres Bezirks gehören, Bezirksverordnete und Vertreter/innen von Vereinen etwa, waren geradezu paralysiert von dem, was sich dort abspielte. Das konnte man vom Podium aus gut sehen: Viele waren so schockiert, dass sie überhaupt nicht reagieren konnten. Es ist deshalb vor allem diesen jungen Leuten und drei Vertreter/innen der Linken zu verdanken, dass auch Widerspruch und Gegenmeinungen gegen die ‚Nein zum Heim’Fraktion geäußert wurden. 49


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