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DAS KÖLNER STRASSENMAGAZIN DRAUsSENSEITER

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Liebe Leserinnen und Leser, ausgerechnet in dem berühmten Wohnzimmer in Troisdorf treffe ich Christel Neudeck zum Gespräch. Genau hier war lange Zeit die Schaltzentrale des Vereins Cap Anamur, von der aus die Einsätze der Hilfsschiffe koordiniert wurden, die mehr als 11.300 Menschen das Leben retteten. Seit im Mai 2016 Rupert Neudeck überraschend verstarb, führen andere sein mutiges Erbe weiter. Auch darüber habe ich mit Christel Neudeck gesprochen.

Mutig und zeitaufwendig ist es, sich vor der eigenen Haustür für den Klimaschutz, Fußgängerfreundlichkeit, für eine lebendige Veedelskultur oder auch Vielfalt in den Köpfen einzusetzen. Wir stellen Initiativen in Köln vor, die nicht locker lassen. Und die unsere Unterstützung brauchen, weil sie unser Leben ein kleines Stückchen besser machen.

„Abkalken“ heißt ein Lied der Band Querbeat, es spielt auf den Stadtteil Kalk an, in dem sich im Moment unglaublich viel tut. Wir stellen die Initiativen „Baufeld 7“ und „Die Waage“ vor. Und die Empfehlung lautet: Geht dort hin. Schaut euch das an!

Insgesamt haben Christel und Rupert Neudeck mit ihrem Verein Cap Anamur e.V. mehr als 11.300 „Boat People“ aus dem Südchinesischen Meer gerettet. Nun ist ein Buch erschienen, das die Geschichte des Projekts CAP ANAMUR von den Anfängen bis heute erzählt und auch fragt, wie mutiges Handeln entstehen kann. Ein Interview mit Christel Neudeck lesen Sie auf den Seiten 4-7.

KlAUs JüNsChKE

Aktionsbündnis gegen wohnungsnot und stadtzerstörung

Der DRAUSSENSEITER ist auch mit Obdachlosen solidarisch, die im Gefängnis landen. Die Kölner Straßenzeitung ist ein Verweis auf Alternativen zur Kriminalisierung der Armen –für eine Gesellschaft ohne Armut.

Danke, dass sie mit dem Kauf dieser Zeitung unsere Verkäufer*innen unterstützen. Auch im Namen von ihnen wünsche ich gute Lektüre ...

Themenschwerpunkt: GUTE INITIATIVE(N) von Peter Ruthardt ...................................... im Einsatz für ihre „Schützlinge“ ............ auf Garten – Eine Initiative erobert einen Platz ... zeitgenössische Kunst und urbaner Raum ...

– Ein Veedel mausert sich ........................

Seit mehr als 30 Jahren bietet die OASE – Benedikt Labre e.V. Beratung, Informationen und weiterführende Hilfen rund um die Themen Wohnungslosigkeit und drohender Wohnungsverlust. Die OASE – Benedikt Labre e.V. unterstützt Menschen ohne Wohnung oder in Wohnungsnot durch Förderung ihrer Fähigkeiten dabei, das Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

OASE – Benedikt Labre e.V.

Alfred-Schütte-Allee 4, 50679 Köln, Tel.: 0221 - 98 93 530

Öffnungszeiten: Kontakt- und Beratungsstelle Montag und Freitag: 9.00 – 13.00 Uhr, Dienstag und Donnerstag: 9.00 – 16.00 Uhr

Mittwoch: nach Terminvereinbarung

Christel Neudeck im Gespräch mit Christina Bacher, Autorin des Buches „Ein Schiff für den Frieden. Das mutige Leben des Rupert Neudeck“, über das geistige Erbe ihres verstorbenen Mannes und darüber, was Mut –gerade heute – bewirken kann. Rupert Neudeck hatte einst mit einem ehrenamtlichen Team, dem Schiff Cap Anamur und dem gleichnamigen Verein mehr als 11.300 vietnamesische Flüchtlinge aus dem aus dem Südchinesischen Meer gerettet. Bis heute steht der Verein mit Sitz in Köln für humanitäre Hilfe dort, wo sie vonnöten ist.

DRaussenseiteR: Gerade ist das Buch „Ein Schiff für den Frieden“ erschienen, in dem es vor allem um deinen Mann Rupert Neudeck geht. Das Buch ist bewusst für die ganze Familie geschrieben. Was, glaubst du, können junge Leute heute noch von Rupert lernen?

Christel neudeck: Junge Menschen können von Rupert lernen, dass das Leben spannend ist, wenn man seinen Blick öffnet und für andere aktiv wird. Erich Kästner sagte: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es!“ Es kann übrigens auch mal vorkommen, dass man etwas annehmen muss. Das kann schwerer sein als zu geben.

DRaussenseiteR: Du hast deinen Mann damals im Studium kennengelernt und kurz darauf – im Jahr 1970 – geheiratet. Gemeinsam habt ihr dann später den Verein Cap Anamur gegründet, dessen Mitarbeiter*innen schon bald in vielen Ländern im Einsatz waren. Wie habt ihr damals die Aufgaben unter euch aufgeteilt? Ihr hattet ja auch drei kleine Kinder … Christel neudeck: Wir hatten damals gerade ein kleines Reihenhaus in Troisdorf gekauft, in dem ich noch heute lebe. Das war geplant für zwei Kinder, und das ist dann etwas aus den Fugen geraten, wir haben noch ein drittes Kind bekommen und später immer wieder Gäste aufgenommen. Jetzt bin ich hier alleine und habe eine Menge Platz. Aber damals war hier viel los, es waren ja auch immer Besucher*innen da. Unsere Arbeit war immer ehrenamtlich und ich habe das von zu Hause aus gemacht – 14 Jahre hier im Wohnzimmer. Und dann in einem Büro in Köln. Rupert war nicht viel zu Hause in der Zeit. Er war schon immer ein Workaholic, hat wahnsinnig viel gearbeitet und hat dann ja praktisch zwei Jobs gemacht. Als Vorsitzender der Cap Anamur ist er viel gereist und beim Deutschlandfunk hat er zudem in Vollzeit gearbeitet. Und ich hatte hier offenes Haus und permanent jemanden in der Telefonleitung. Im Nachhinein schon eine verrückte Zeit, aber ich fand es fantastisch!

DRaussenseiteR: Auch prominente Mitstreiter*innen kamen regelmäßig in Troisdorf vorbei, darunter der Philosoph André Glucksmann, der Schriftsteller Heinrich Böll und auch der Soziologe Ralf Dahrendorf. Einer – Günter Grass – hat die Situation in der Troisdorfer „Schaltzentrale“ vor den Toren Kölns in seinem Buch „Mein Jahrhundert“ akribisch beschrieben. Stimmt es, dass er selbst nie vor Ort war?

Christel neudeck: Wir kannten Günter Grass, wie Rupert war er in Danzig geboren. Aber er war tatsächlich nie hier in unserem Haus. Unsere Mitarbeiter*innen sagten ihm, es würde in seinem Text tatsächlich alles stimmen, was er geschrieben hat. Nur, dass ich gut kochen könne, das sei übertrieben. Letzteres stimmt leider. Heinrich Böll dagegen war für Rupert wie ein geistiger Vater. Er hat ihn oft gesprochen. Heinrich Böll war der Meinung, und das hat er auch immer wieder gesagt, wenn jemand in Not ist, muss man ihm helfen. Egal, ob der mal Bordellbesitzer gewesen ist oder sonst was auf dem Kerbholz hat: Wenn

„Die leute, herr staatssekretär, lieben das Chaos. Das mache sie kreativ, bekam ich zu hören. wir haben es in diesem Fall mit Idealisten zu tun, die sich einen Dreck um bestehende Vorschriften, richtlinien und so weiter kümmern. Eigentlich bewundernswert, fand ich.“ Günter Grass: „Mein Jahrhundert“ ein Mensch droht zu ertrinken, fragt man nicht nach der Herkunft. Und das ist auch der Bezug zu heute, so sehe ich das heute immer noch. Böll war für uns sehr hilfreich und beeindruckend.

DRaussenseiteR: Wie war das für dich: als Ruperts Ehefrau und Mutter der Kinder alle Einsätze von zu Hause aus zu managen, aber öffentlich kaum eine Rolle zu spielen? Dein Mann war irgendwann sehr populär, er wurde europaweit zu Vorträgen und Lesungen eingeladen und mit zahlreichen Preisen geehrt. Und du hast ihm ja quasi den Rücken freigehalten.

Christel neudeck: Bei einer solchen Aufgabe kann es nicht um Eitelkeiten gehen. Jeder sollte das tun, was er am besten kann. Da wir beide diese Arbeit leidenschaftlich mochten, hatten wir mit der Rollenverteilung nie ein Problem. Rupert konnte notwendige schwierige Entscheidungen viel besser treffen als ich. Wir arbeiteten ja immer für dasselbe Ziel, das war auch für unsere Beziehung wahnsinnig gut. Wir wollten beide, dass das alles gelingt. Wenn wir mal gestritten haben, mussten wir uns sofort wieder versöhnen. Wir konnten es uns gar nicht leisten, weil uns diese Arbeit so begeisterte und forderte.

DRaussenseiteR: Ruperts zunächst recht schöne Kindheit wurde schon bald von traumatischen Erlebnissen geprägt. Sein Vater wurde als Soldat eingezogen, die Mutter musste als Deutsche mit ihren Kindern die freie Stadt Danzig verlassen. Rupert, der ein großer Naturbeobachter gewesen ist und sich in Danzig und Umgebung wohlfühlte, musste plötzlich alles hinter sich lassen ... Christel neudeck: Ja, das muss schlimm gewesen sein, zumal auch das Leben seines kleinen Bruders Veith häufiger auf der Kippe stand. Die Flucht in der Kälte, ohne Nahrung und feste Unterkunft war sicher hart für eine Mutter mit drei kleinen Kindern. Rupert war – nach seiner großen Schwester Ingrid – der Zweitälteste, er hat sicher auch schon eine Verantwortung gespürt, ohne Vater. Er hat später beim Deutschlandfunk gearbeitet und ein großes Feature über seine Geschichte gemacht, auch über den Gustloff-Untergang. Darüber, dass ganze Familien getrennt wurden oder ein Kind ohne Eltern aufgefunden wurde.

DRaussenseiteR: Um ein Haar wäre die Familie des Fünfjährigen auch auf die Wilhelm Gustloff, ein Fahrgastschiff der NS-Organisation Deutsche Arbeitsfront, das nach Beginn des Zweiten Weltkriegs von der Kriegsmarine genutzt wurde, gestiegen, die jedoch ohne sie ablegte. Kurz darauf wurde das Schiff von sowjetischen Torpedos getroffen und sank. So ein Erlebnis prägt doch das ganze Leben … Christel neudeck: Sicher war das eine prägende Erfahrung. Überhaupt die ganzen Kriegsjahre, in denen der Vater im Krieg war und die vielköpfige Familie oft kaum etwas zu essen hatte. Die Familie ist zunächst im Januar 1945, mitten im kalten Winter, nach Gotenhafen geflohen, um mit dem Schiff Wilhelm Gustloff den letzten verbliebenen Fluchtweg zu nehmen: übers Meer. Doch sie kamen zu spät am Hafen an und mussten die Nacht in einem Seemannsheim verbringen. Noch am Abend machte die Nachricht die Runde, dass das Schiff torpediert worden war und mehr als 9000 Menschen ertrunken sind. Nur wenige haben überlebt. Rupert zitierte später immer frei nach Gorbatschow: „Wer zu spät kommt, den belohnt das Leben“.

DRaussenseiteR: Wie war denn deine Kindheit?

Christel neudeck: Ich wuchs am Niederrhein auf. Mein Vater starb 10 Tage nach meiner Geburt in Stalingrad. Meine Mutter war eine besondere und sehr liebenswerte Frau.

DRaussenseiteR: Alle Unterlagen und Fotos habt ihr inzwischen an DOMiD gegeben, das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V., um diese allen zugänglich zu machen, die sich dafür interessieren.

Christel neudeck: Ja, das war uns beiden wichtig, dass die Unterlagen allen zugänglich gemacht werden. Wir hatten so um die 300 Ordner hier und meine Bedingung war, dass sie alles mitnehmen und nicht nur Teile des Archivs. Die Mitarbeiter*innen bereiten das dort sehr fürsorglich nach Schlagworten auf, sodass nichts verloren geht. DOMiD befindet sich übrigens direkt um die Ecke von der CapAnamur-Geschäftsstelle, wo sich ebenfalls noch Unterlagen befinden.

MAN MUSS ETWAS TUN!

Rupert Neudeck und die Radikale Humanität

Die Ausstellung beleuchtet das Leben und Wirken von Rupert Neudeck ( † 2016) anhand zahlreicher Dokumente und Objekte aus dem Nachlass. Eröffnung: 12. Mai 2023, 19:30 Uhr mit Christel Neudeck.

Bis 8. Oktober 2023 im Museum für Stadt- und Industriegeschichte Troisdorf (MUSIT), Burgallee 3, 53840 Troisdorf

DRaussenseiteR: Erinnerst du dich, wann Rupert dir zum ersten Mal von seinem Plan erzählte, sich für die Flüchtlinge stark zu machen, die vor dem Krieg in Vietnam übers Meer flohen? Ein Moment, der ja euer beider Leben veränderte … Christel neudeck: Das war nach seiner Paris-Reise, auf der er für den WDR Jean-Paul Sartre interviewen sollte. Vorher traf er André Glucksmann im Café. Der stammte ehemals aus Wien und sprach noch ganz gut Deutsch. Er erzählte Rupert von den Zuständen vor der Insel Pulau Pidong. Rupert kam damals nach Hause und war so erfüllt von dieser Idee zu helfen. Er schrieb Heinrich Böll und der sagte seine Hilfe zu. So kam alles ins Rollen.

DRaussenseiteR: Ward ihr für eure drei Kinder eigentlich so etwas wie Vorbilder?

Christel neudeck: Vierzehn Jahre lang war unser Wohnzimmer die Zentrale des Vereins, später hatten wir ein Büro. Je größer die Kinder wurden, umso spannender fanden sie es. Gut – dass das Telefon ständig klingelte, nervte sie. Da Rupert als Redakteur beim Deutschlandfunk angestellt war, konnten wir ehrenamtlich arbeiten. Für mich war es praktisch, so auch immer für die Kinder da sein zu können. Ich habe unsere Kinder und Enkel*innen gefragt: Für sie war er kein Vorbild, sondern ihr Vater und Großvater. Für mich waren Vorbilder unsere Mitarbeiter*innen in den Projekten. Ohne sie waren wir nichts – was die Arbeit anging.

DRaussenseite R: Hand aufs Herz: War Rupert ein mutiger Mann?

Christel neudeck: Ja, Rupert war mutig! „Weder furchtsam noch tollkühn“ ist der Wahlspruch seiner Heimatstadt Danzig. So hat er gelebt.

DRaussenseiteR: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Christina

ISBN 978-3-947984-17-6

Den Letzten beißen die Hunde – zu Fuß gehen in Köln

„Der städtische Fußverkehr befindet sich am Ende der Nahrungskette“, sagt Ascan Egerer, Verkehrsdezernent der Stadt Köln – kaum zu fassen, sind doch alle Menschen grundsätzlich Fußgänger*innen, und wenn sie nur die 50 Meter bis zu ihrem Fahrzeug gehen. Aber der Stadtraum gehört immer noch dem motorisierten Verkehr, und während die Zweirad-Lobby wächst und allmählich an Einfluss gewinnt, dümpelt der Fußverkehr unbeachtet und voller Hindernisse vor sich hin. Wie kommt das?

Christiane Rath hat sich mit Anne Grose, der Sprecherin vom Fußgängerverband

FUSS e.V., zu einem intensiven Gespräch über die Situation auf den Gehwegen Kölns getroffen.

Am 4.11.2021 vermeldet die Internetseite www.land.nrw: Meilenstein für besseren Radund Fußverkehr in Nordrhein-Westfalen: Landtag verabschiedet das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz – Ministerin Brandes: Das neue Gesetz stellt den Fuß- und Radverkehr erstmals auf eine Stufe mit Auto und Bahn. Jedoch: Liest man den Text weiter, kommen zu Fuß Gehende praktisch nicht mehr vor.

Auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker formulierte 2021 zehn Ziele für den Rad- und Fußverkehr in Köln, davon betrafen neun den Radverkehr. Die Verkehrsabteilung der Kölner Stadtverwaltung verfügt über mehr als 30 Beschäftigte für den Radverkehr und exakt einen Fußverkehrsbeauftragten, Nico Rathmann. Herr Rathmann, der aus dem fußgängerfreundlicheren Baden-Württemberg stammt, ist seit gut einem Jahr im Amt und wurde derart mit E-Mails überhäuft, dass er inzwischen entschieden hat, seine Aufgaben vor Ort und in der Stadt wahrzunehmen, da er die Beantwortung aller Anfragen und Beschwerden schlicht nicht leisten kann.

Dabei sollte doch gerade das Gehen als umweltfreundlichste, leiseste und auch für die Gesundheit beste Fortbewegungsart ganz besonders gefördert werden. Und eigentlich wären gerade in einer Stadt wie Köln die Voraussetzungen ideal – die nicht ausufernde Flächenausdehnung der Stadt, viele lebendige Viertel mit eigenen Einkaufsstraßen, gute Erreichbarkeit vieler wichtiger Hotspots.

Stattdessen bleibt das Gehen besonders für vulnerable Bevölkerungsgruppen beschwerlich bis lebensgefährlich: 2019 starben in Deutschland 429 Fußgänger*innen bei Unfällen, 34.386 wurden zum Teil schwer verletzt. Das kann so nicht sein und darf so nicht bleiben. Die Frage muss gestellt werden: Wem gehört die Stadt und wie wollen wir darin leben?

Insbesondere Menschen ohne Obdach sind dazu verurteilt, sich den ganzen Tag zu Fuß durch die Straßen zu bewegen. Aber auch andere, die nicht in der Lage oder willens sind, ein Fahrzeug zu benutzen, z.B. weil sie zu jung oder zu alt sind, zu arm oder körperlich oder geistig eingeschränkt. Rollstuhlfahrer*innen und Kinderwagenschieber*innen können von Kölns Gehwegen ein trauriges Lied singen.

Zum Glück gibt es FUSS e.V., den bundesweit vernetzten Verein mit Hauptsitz in Berlin. Schon bei dessen Gründung Mitte der 1980er Jahre waren einige Kölner Bürgerinitiativler*innen mit von der Partie. In dieser Zeit haben sie die drohende Stadtautobahn auf der Inneren Kanalstraße verhindert und die Weißenburgstraße zur ersten verkehrsberuhigten Straße Kölns gemacht. FUSS e.V. ist in allen Bundesländern mit insgesamt 15 Landesorganisationen vertreten (Bremen und Niedersachsen sind gemeinsam organisiert) und hat einzelne Ortsgruppen in 52 Städten, davon 16 in NRW. Die Kölner Gruppe besteht aus ca. 40 Mitgliedern, ihre Sprecherin ist Anne Grose. Im März 2020 haben sie trotz Corona mit 15 Engagierten begonnen und treffen sich alle drei Monate im Friedensbildungswerk. Mitglieder sind neben interessierten Laien auch Fachleute aus Agenturen und dem „büro thiemann-linden stadt & mobilität“. Die befassen sich mit dem Thema professionell und beraten und unterstützen FUSS e.V.

Anne Grose macht einen äußerst aktiven und zuversichtlichen Eindruck, sie beklagt sich nicht. Sie schaut nach vorne, wenn es ihr auch anzumerken ist, dass sie sich mehr Unterstützung wünschen würde. Mehr Mitglieder, vor allem jüngere, könnten helfen, die vielen Termine zu bewältigen, zu denen FUSS e.V. regelmäßig eingeladen wird. Spenden wären willkommen, um kleinere Aktionen vor Ort zu finanzieren, denn die Mitgliedsbeiträge (60 € im Jahr) gehen nach Berlin, von wo aus zentrale Unterstützung geleistet, Infomaterial erarbeitet und ein festes Büro unterhalten wird.

Anfangs hat FUSS e.V. mehr eigene Kampagnen in Köln gestartet, Poster an Ständen gezeigt, Menschen aktiv informiert. Dies erwies sich als recht aufwändig und gleich- zeitig wenig effektiv. Inzwischen geht es verstärkt darum, präsent zu sein und Gehör bei den wichtigen Planungen der Stadt zu bekommen, auf die Probleme und Bedürfnisse verweisen zu können und ein neues Bewusstsein zu erzeugen. Eine Millionenstadt lässt sich natürlich nicht von heute auf morgen in ein Fußverkehrsparadies verwandeln. Anne Grose berichtet, dass sie die Beschwerden, die von den Bürger*innen eingehen, sammelt und auswertet und so eine Art Kartografie der Missstände und besonders problematischen Straßen erstellt. In manchen Veedeln sind die Punkte besonders dicht, z.B. in Ehrenfeld, wo die Diskussion um die Venloer Straße nicht abreißt. Aber auch die Neusser Straße hat ihre Tücken. Besonders ärgerlich ist es, wenn die Stadt Köln selbst dazu beiträgt, indem sie etwa Fahrradwege unvermittelt auf Gehwege leitet oder Verkehrsschilder, Mülleimer und sonstige Stadtmöblierung mitten auf dem Bürgersteig platziert. Dies kann insbesondere für blinde Menschen zu einer schmerzhaften Kollision führen. Die meisten gemeldeten Konflikte existieren aktuell zwischen Fuß- und Radverkehr, aber FUSS e.V. möchte ausdrücklich keinerlei Rad-Bashing betreiben. Das klar formulierte Ziel lautet: Alles Rollende soll auf die Straße, der Gehweg bleibt den Gehenden vorbehalten. Dazu gehören auch Menschen im Rollstuhl, mit Rollatoren, und selbstverständlich können Kinder bis zu 10 Jahren mit einer begleitenden Person auf dem Gehweg fahren. Die nötigen Einschränkungen sollen den motorisierten Fahrzeugen auferlegt werden, die Raum und Fahrspuren abgeben müssten. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Kurzfristig lauten die dringenden Nahziele, Gefahrenstellen zu finden und zu entschärfen, zugestellte Gehwege zu befreien, Sichtbeschränkungen an Kreuzungen zu vermeiden, Ampelphasen für Fußverkehr deutlich zu verlängern und vor allem für Aufklärung und Verkehrserziehung zu sorgen, denn vielen Verkehrsteilnehmenden sind die Regeln nicht ausreichend bekannt.

Neben der Verkehrssicherheit geht es auch um die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. In der „autogerechten Stadt“ gemäß den Idealen der 1960er Jahre haben die Straßen ihren Charakter als Orte der Begegnung, Kommunikation und des nicht-kommerziellen Aufenthalts verloren. Ziel der Aktivitäten der Ortsgruppe Köln ist es deshalb auch, darauf hinzuwirken, dass Straßen wieder zu einem öffentlichen Lebensraum, zu einem menschlichen Ort des Daseins werden.

FOTOGrAFIE VON

PETEr rUThArDT

FUSS e.V.

Fachverband Fußverkehr Deutschland

Anne Grose, Sprecherin der Ortsgruppe Köln

 www.fuss-ev.de, koeln@fuss-ev.de

Kooperationspartner

ADFC Köln https://koeln.adfc.de/

AGORA Köln https://agorakoeln.de

AG Verkehrswende Köln https://verkehrswende.koeln/

AK barrierefreies Köln http://www.barrierefreies-koeln.de/

Grannies4future https://grannies-for-future-koeln.de/

Haus der Architektur Köln https://hda-koeln.de

KLuG – Köln Leben und Gestalten e.V. https://klugev.de

UMKEHR e.V. https://umkehr.de

VCD Köln https://nrw.vcd.org/der-vcd-in-nrw/koeln

Seniorenvertretung Köln-Innenstadt und -Nippes

Stadtteilinitiativen wie z.B Freie Wege Dellbrück, Sicher durch Dünnwald Infos bei facebook

Unter den Menschen in der Stadt ist Peter Ruthardt. Ein Flaneur mit Mütze und Kamera. Die zückt er, um Momente festzuhalten, die für andere alltäglich sind. Der Fotograf Peter Ruthardt arbeitet meist unauffällig, unbemerkt, dennoch gezielt. Er ist offenbar geübt in dem was er tut. Äußerlich bleibt er gelassen. Doch innerlich rührt es ihn an, was er sieht. Ruthardt ist ein Menschenfreund. Seine Fotos sprechen davon: Mit Liebe zum Detail schaut er seinen Mitmenschen auf die Finger, über die Schulter, auf die Gegenstände, die sie mit sich führen, oft auch in die Augen. (cb)

Ausstellung mit Fotografien von Peter Ruthardt vom 3.5. bis 11.6.2023

Vernissage: Mittwoch, 3.5.23, 19.30 Uhr

Kunst- und Kulturlokal Alte Feuerwache, Melchiorstraße 3, 50670 Köln (Agnesviertel)

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