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DAS KÖLNER STRASSENMAGAZIN DRAUsSENSEITER

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LOTHARS REISE

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Vorwort

Wir beraten Privatkunden, Freiberufler und Gewerbetreibende. Wir beraten Unternehmen, Verbände und gemeinnützige Organisationen und Einrichtungen.

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Dipl.-Kff. (FH) Mareike Fränk

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Fachberaterin für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.)

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Steuerrecht

DRAUSSENSEITER-UNTERSTÜTZER-STATEMENT #15

„Housing First“ – also zuerst eine Wohnung, dann alles Weitere – ist mein Traum seit Jahren. Jetzt bekommt es Drive, u. a. dank Finnland und der Bethe-Stiftung. Und der DRAUSSENSEITER berichtet darüber. Wunderbar!

Liebe Leserinnen und Leser, der Beschluss des Verwaltungsgerichts im Januar 2023 war eindeutig: „Wenn der Stadt keine geeignete Unterkunft zur Verfügung steht“, die Jacqueline Winands mit ihren fünf Kindern nach ihrer Zwangsräumung durch den Vermieter Vonovia beziehen kann, „hat sie grundsätzlich sämtliche in Betracht kommenden Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in den Blick zu nehmen“. Dazu gehöre die Anmietung von Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt oder auch die Anmietung geeigneter Hotelzimmer, die Kosten seien dabei unerheblich. Wir haben mit Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim gesprochen, wie es zu diesem Urteil kommen konnte, das eine Kehrtwende in der Zwangsunterbringung von Obdachlosen bedeuten könnte.

Seit die 22-jährige iranische Kurdin Mahsa Amini am 16. September 2022 in Polizeigewahrsam gestorben ist, nachdem sie in Teheran wegen „unangemessener Kleidung“ festgenommen worden war, kämpfen iranische Frauen auf der Straße, aber auch von zu Hause, für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit. Arina Moradi hat mit einigen von ihnen gesprochen.

Vor Ihnen liegt eine gehaltvolle Ausgabe, in der wir über Frauen berichten, die trotz großer Not und Bedrohung für sich und andere einstehen und für Frauenrechte kämpfen. Ihnen gebührt unser größter Respekt.

Gute Lektüre wünscht ...

Der Stadtplan „Starke Frauen. Starkes Köln“ ist auf Initiative der Stiftung Frauen*leben Köln in Kooperation mit dem Amt für Gleichstellung von Frauen und Männern der Stadt Köln und dem Kölner Frauengeschichtsverein entstanden. Im März 2022 gestartet, enthält er mittlerweile mehr als 125 Beiträge. Marie Breer hat ihn sich genauer angeschaut: Seite 11.

Aus der Not heraus zog Lucian irgendwann in den Wald. Streetworkerin Friederike Bender wurde über das Ordnungsamt auf den obdachlosen Mann aufmerksam und bemühte sich, ihm zu helfen. Doch jetzt ist der rumänische Staatsbürger in seiner Waldhütte verstorben – Seite 17. Friederike

Seit mehr als 30 Jahren bietet die OASE – Benedikt Labre e.V. Beratung, Informationen und weiterführende Hilfen rund um die Themen Wohnungslosigkeit und drohender Wohnungsverlust.

Die OASE – Benedikt Labre e.V. unterstützt Menschen ohne Wohnung oder in Wohnungsnot durch Förderung ihrer Fähigkeiten dabei, das Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

OASE – Benedikt Labre e.V.

Alfred-Schütte-Allee 4, 50679 Köln, Tel.: 0221 - 98 93 530

Öffnungszeiten: Kontakt- und Beratungsstelle

Montag und Freitag: 9.00 – 13.00 Uhr, Dienstag und Donnerstag: 9.00 – 16.00 Uhr

Mittwoch: nach Terminvereinbarung

nicht mit der Botschaft Jesu

vereinbar - Solidarität über religionsgrenzen hinweg

Maria Mesrian hat mit Hilde Regeniter darüber gesprochen, wie sie mit ihren Mitstreiterinnen bei Maria 2.0 für eine gerechtere Kirche kämpft.

InTErVIEW: HILdE rEGEnITEr umgeht. Der Film „Das Schweigen der Hirten“ etwa zeigt, wie Täter über Jahrzehnte immer wieder versetzt wurden, auf andere Kontinente zum Beispiel – die sogenannte geografische Lösung. Die Verantwortlichen an den neuen Einsatzorten wurden nicht über die Vergangenheit der Versetzten informiert. Auch hier in Köln haben wir erlebt, dass immer wieder Täter versetzt wurden, ohne dass an den neuen Einsatzorten bekannt wurde, dass sie vorher Kinder missbraucht hatten. Aus dem Entsetzen darüber hat sich Maria 2.0 gegründet. Wir haben grundlegende Reformen für diese Kirche gefordert, damit sie überhaupt weiter bestehen kann: Dass es einen Zugang zu allen Ämtern für alle geben muss; dass es auch in der Kirche Macht- und Gewaltenteilung geben muss; dass das Zölibat freiwillig sein und das herrschende Priesterbild überdacht werden muss. Weil wir all das als Ursachen des Missbrauchs in der katholischen Kirche ausgemacht haben.

DRaussenseiteR: Sie kommen ursprünglich aus Süddeutschland. Wie lange leben Sie jetzt schon in Köln - und wie gerne?

Maria Mesrian: Ich lebe seit 13 Jahren in Köln und inzwischen sehr gerne. Das einzige, was ich vermisse, ist süddeutsches Essen. Aber an sich finde ich die Energien dieser Stadt und auch die Menschen extrem offen und freundlich.

DRaussenseiteR: Die Kölner*innen feiern sich ja gerne als supertolerant und supersozial. Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung?

Maria Mesrian: Ehrlich gesagt: ja! Ich habe sie wirklich als tolerant und weltoffen erlebt – und als empfindlich gegenüber Ungerechtigkeiten. Wenn wir zum Beispiel gegen Missstände in der katholischen Kirche wettern, erfahre ich von den Kölnerinnen und Kölnern viel Solidarität.

DRaussenseiteR: Wie nehmen Sie persönlich wohnungs- und obdachlose Menschen hier in der Stadt wahr und wie den Umgang mit ihnen?

DRaussenseiteR: Dass Weiheämter allen offen stehen müssen, ist eine Ihrer Forderungen. Wie frustrierend ist es, dass Sie damit in der Amtskirche bisher auf Granit beißen?

Maria 2.0

Maria Mesrian: Es macht mich wirklich sehr traurig, dass in einem Land wie Deutschland Menschen auf der Straße schlafen müssen. Da erlebe ich Köln schon als eine Stadt, in der vieles nicht funktioniert und auf ehrenamtliche Initiativen abgewälzt wird, was eigentlich Aufgabe der Stadt sein müsste. Im Bereich der Obdachlosenarbeit sehe ich großen Handlungsbedarf. Wenn ich nicht das tun würde, was ich jetzt mache, dann würde ich mich gern dafür einsetzen, dass Häuser gebaut werden, in denen würdevolles Übernachten möglich wäre.

DRaussenseiteR: Wir hören immer vom „Hillije Kölle“, vom heiligen Köln. Kölns Vergangenheit ist stark von der katholischen Kirche geprägt. Wie sieht das in der Gegenwart aus?

Die Initiative Maria 2.0 setzt sich dafür ein, dass die christliche Botschaft im Mittelpunkt steht und nicht der Erhalt der Institution katholische Kirche. Dabei ist Kirche eben nur der Raum, Gemeinschaft christlich zu leben und in der Welt im Sinne des Evangeliums zu wirken – aus der Sicht der Aktivist*innen jedoch nur mit der Umsetzung zentraler Kernpunkte wie gleiche Würde und gleiche Rechte für alle, Zugang von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern und Aufhebung des Pflichtzölibats.

 mariazweipunktnullrheinland.de

Maria Mesrian: Wir unterschätzen oft, wie viel Einfluss die katholische Kirche in Köln bis heute hat, allein durch ihr riesiges Immobilienvermögen. In Köln gehört die katholische Kirche zu den größten Immobilienbesitzer*innen. Das bringt ihr viel Macht und Einfluss im Hintergrund, was nicht immer gut ist. Schließlich kommt dieser Einfluss von einem System, in dem – wie ich es erlebe – viel Repression und Intransparenz herrscht. Der Umgang mit Betroffenen sexualisierter Gewalt, den wir anprangern, ist für mich unsäglich.

DRaussenseiteR: Sie sind Mitbegründerin der Initiative Maria 2.0. Was ist Maria 2.0, wofür steht Maria 2.0?

Maria Mesrian: Maria 2.0 ist entstanden aus dem Schock darüber, wie die katholische Kirche mit Missbrauch

Maria Mesrian: Das ist überhaupt nicht frustrierend, weil wir uns eben nicht auf die Idee des Weiheamtes fixiert haben. Natürlich muss es da Gleichberechtigung geben. Aber gleichzeitig müssen wir das Weiheamt selbst hinterfragen, weil es Machtmissbrauch allein dadurch möglich macht, dass der Priester von vornherein höhergestellt ist. Ich glaube, keine Frau würde sich in dieses Amt, so wie wir es jetzt kennen, noch hinein weihen lassen. Wir sind allerdings überzeugt, dass, wenn wir miteinander Gottesdienst feiern, Frauen dieselben Fähigkeiten und Gaben wie Männer haben. Deshalb tolerieren wir nicht, wenn Männer darüber bestimmen, ob Frauen das dürfen oder nicht. Wir brandmarken das als diskriminierendes Handeln, das absolut nicht mit der Botschaft Jesu vereinbar ist. Es ist nicht vertretbar in einer Kirche, die sich doch am Evangelium orientieren sollte.

DRaussenseiteR: Wo stehen wir in Ihren Augen heute in Sachen Aufarbeitung des Missbrauchs durch katholische Kirchenleute?

Maria Mesrian: Ich glaube, dass vieles jetzt an die Öffentlichkeit gekommen ist, geht auch auf unser permanentes Anprangern der Missstände zurück. Aber die katholische Kirche bewegt sich nur sehr schleppend. Wir sehen keinerlei Einsicht darin, dass sie Aufarbeitung nicht kann. Wir haben eine Beratungsstelle für Missbrauchsopfer gegründet und erleben da, dass die Kirche Menschen weiter traumatisiert. Dass sie sich etwa weigert, sich an den Schmerzensgeld-Tabellen des Staates zu orientieren, spricht für sich. Betroffene werden oft retraumatisiert, wenn sie mit kirchlichen Stellen zu tun haben. Anwält*innen, die von der Kirche bezahlt werden, entscheiden über die würdelosen Anträge, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Missbrauchs-Gutachten, wie sie in den jeweiligen Diözesen als wichtige Schritte gerühmt werden, ändern erst einmal nichts. Oft ist es nur der akribischen Arbeit von Journalist*innen zu verdanken, dass hinter den Fällen tatsächlich die Abgründe sichtbar werden, die Schicksale dahinter. Wir sagen: Aufarbeitung ist nur dann gut, wenn auch Konsequenzen folgen! Und diese Konsequenzen müssten sein, dass wir transparente Strukturen schaffen, dass etwa die Macht eines Bischofs eingehegt ist durch Gremien, die ihn kontrollieren. Dass eben nicht einer als Alleinherrscher über Geld und Mittel verfügt. Insofern hat sich im Bereich der Aufarbeitung in meinen Augen eigentlich gar nichts getan, außer dass ein Gutachten nach dem anderen erscheint. Aber letztlich wissen wir ja, wo Aufarbeitung ansetzen müsste.

DRaussenseiteR: Ihre Beratungsstelle heißt „Leuchtzeichen“, der Trägerverein „Umsteuern! Robin Sisterhood“. Was steht dahinter?

Maria Mesrian: Wir haben die Beratungsstelle gegründet, weil es in Deutschland bis dahin keine spezialisierte Stelle gab für Missbrauchsbetroffene, die im Kontext Kirche geschädigt wurden. Inzwischen haben wir den Status einer Fachberatungsstelle, arbeiten mit einer fest angestellten Kraft und vielen Ehrenamtlichen. Jetzt gibt es mit der Anlaufstelle einen Ort, wo Menschen sich vernetzen können, wo sie merken, sie sind nicht mehr alleine. Was mich am meisten berührt, sind die Betroffenen in unseren Reihen. Wir arbeiten als Verein immer in dieser Parität von Betroffenen und Nicht-Betroffenen. Wir haben Betroffene, die jetzt andere Betroffene beraten und mit ihren Erfahrungen anderen helfen. Das ist Empowerment! Mir persönlich hat die Perspektive der Betroffenen erst den Blick geschenkt, den ich jetzt auf die Dinge habe.

DRaussenseiteR: Viele engagierte Katholiken und Katholikinnen sind inzwischen aus der Kirche ausgetreten, zum Beispiel auch die Maria-2.0-Mitbegründerin Lisa Kötter. Warum Sie nicht, warum sind Sie geblieben?

Maria Mesrian: Ich sage immer: „Vor der Scheidung müssen wir über Geld reden!“ Ich bin noch nicht an dem Punkt, die Mitsprache allein geweihten Männern zu überlassen. Aber natürlich reden wir von einem schmalen Grat. Ich denke schon oft daran, auch auszutreten, um nicht länger durch meine Mitgliedschaft, mit meinen Mitteln diese Struktur zu unterstützen. Ich halte es für legitim und wichtig, dass so viele Menschen den Schritt tun und austreten. Auch deshalb haben wir unseren Verein gegründet, um umzusteuern, um Kirchensteuern dahin zu geben, wo es wirklich nötig ist.

DRaussenseiteR: Was ist denn in Ihren Augen gut an der Kirche, warum bleibt sie für die Stadtgesellschaft wichtig?

Maria Mesrian: Der Klerus, den ich ja für vieles verantwortlich mache, ist gerade einmal 0,01 Prozent von dem, was die katholische Kirche ausmacht. Es gibt so viele engagierte Leute. Gemeinden sind oft Orte des Miteinanders, des Daseins für andere. Viel ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit wird in den Gemeinden getan. Für eine Stadtgesellschaft sind solche Orte wichtig. Auch deshalb muss die Hierarchie am Ende zerstört werden, weil sie durch ihre Art diese Orte austrocknet. Denn wenn die Menschen sich in Scharen abwenden, wird es diese Orte so nicht mehr geben. Das ist für mich als christlich geprägter Mensch ein Antrieb, mich zu engagieren. Wir brauchen in der Stadt doch diese Orte der Nächstenliebe, des Daseins für andere. Auch die Gebäude gehören nicht selbstverständlich der Hierarchie, sondern allen. Sie müssen auch von allen besetzt und genutzt werden dürfen!

DRaussenseiteR: Können Sie mit dem Begriff „starke Frau“ etwas anfangen?

Maria Mesrian: Als Einzelperson würde ich mich nicht als stark bezeichnen. Ich finde, stark sind wir nur im Verbund mit anderen. In den Jahren, in denen ich mit Maria 2.0 und jetzt auch mit „Umsteuern! – Robin Sisterhood“ unterwegs bin, habe ich viele starke Frauen, aber auch starke Männer kennengelernt. Ich wäre nichts ohne die, die an meiner Seite sind.

DRaussenseiteR: Wie haben Sie den Weltfrauentag am 8. März begangen? Braucht es so einen Tag überhaupt?

Maria Mesrian: Ich war am Weltfrauentag gemeinsam mit der muslimischen Theologin Dina El Omari beim Mittwochsgespräch im Maxhaus in Düsseldorf zu Gast zum Thema „Interreligiös und solidarisch“. Letztlich müssen wir uns über alle Religionsgrenzen hinweg solidarisieren, denn wir sehen, wie Religionen seit Jahrtausenden Durchlauferhitzer des Patriarchats sind. Wir müssen den Glauben, den wir noch in uns tragen, von den toxischen, patriarchalen Strukturen trennen, unter denen ja auch Männer leiden – und diese toxischen Strukturen als solche benennen. Das sehe ich als große Aufgabe, darin steckt viel Potenzial für gesellschaftlich-politisches Engagement. Ich sehe die Zukunft gerade in den Graswurzelbewegungen. Da kann viel Neues passieren, wenn wir aus unseren eigenen Blasen rausgehen und uns mit denen vernetzen, die auch für eine offene, demokratische, plurale Gesellschaft eintreten. Wir werden auch weiter Missstände ansprechen, klar. Aber anstatt immer nur gegen Hierarchien anzurennen, schaue ich nach vorn und solidarisiere mich mit denen, die für dieselben Ziele streiten.

DRaussenseiteR: Danke für das Gespräch.

Teheran im September 2022. Die 22-jährige iranische Kurdin Mahsa Amini stirbt in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen „unangemessener Kleidung” festgenommen wurde. Ein Rückblick auf den Start der sich daran anschließenden

Proteste: Nach ihrem tragischen Tod skandierten Tausende von jungen Frauen und Männern auf den iranischen Straßen „Frauen, Leben, Freiheit“. Darüberhinaus gab es noch die iranischen Frauen, die den Demonstrationen fernblieben. Obwohl sie sich so sehr nach Freiheit sehnten, konnten sie ihre Familienhäuser nicht verlassen.

Es ist jetzt über einen Monat her, seit Bayan, eine 30-jährige Persischlehrerin, zuletzt ihr Zuhause in der kurdischen Stadt Piranshahr, 730 Kilometer nordwestlich von Teheran, verlassen hat. Ihre Eltern sind der Meinung, sie müssten sie davor beschützen, was einer Demonstrantin im Iran alles zustoßen könnte.

„Ich habe ihnen gesagt, dass ich bereit bin, jetzt in diesem Kampf zu sterben, anstatt in diesem Land zu Tode zu schmachten“, sagt sie am Telefon. Wie die anderen Interviewpartnerinnen, die im Iran leben, will auch sie ihre Identität aus Angst vor Vergeltungsakten nicht preisgeben. Ihre Familie, fügt sie hinzu, habe Angst, sie könnte festgenommen, gefoltert oder sogar in einer Haftanstalt sexueller Gewalt durch Sicherheitskräfte ausgesetzt werden.

Nach dem tragischen Tod von Mahsa Amini – der 22-jährigen iranischen Kurdin, die in Polizeigewahrsam starb, nachdem sie in Teheran wegen „des Tragens unangemessener Kleidung“ festgenommen worden war – skandieren seit Mitte September Tausende junger Frauen und Männer in den Straßen Irans: „Frauen, Leben, Freiheit“. Eine noch größere Anzahl iranischer Frauen hat bisher jedoch niemand unter den Demonstrierenden gesehen. Wie Bayan sehnen sich viele von ihnen nach Freiheit, können ihr Zuhause aber nicht verlassen.

Für Männer ist es zweifellos einfacher. Trotz der Brutalität der Sicherheitskräfte hat sich Soran, Bayans jüngerer Bruder, fast jeder Demonstration in der Stadt angeschlossen, erzählt er. Seine Eltern warnen ihn vor den möglichen Konsequenzen, aber sie können ihn nicht davon abhalten, das Haus zu verlassen.

„Ich habe versucht, meine Eltern davon zu überzeugen, dass meine Schwester mich begleiten darf, aber sie erlaubten es nicht. Also haben wir einen Weg gefunden, daran teilzunehmen, der sicherer ist“, sagt der 24-jährige Kurde. Gemeinsam legten sie eine Liste mit den Kontaktdaten vieler Journalist*innen im Ausland an.

„Mein Bruder geht hinaus auf die Demonstrationen und sammelt Nachrichten. Ich nehme mit den Journalist*innen auf der Liste Kontakt auf und sage ihnen, was hier vor sich geht: Ich schicke ihnen Videos, Fotos und die Namen derer, die vermutlich von Sicherheitskräften festgenommen worden sind“, erklärt Bayan. „Ich hoffe, dass ich damit irgendwie helfen kann.“

Free_Human__

ist eine Initiative, die sich zu Beginn der Iran-Revolution Ende September gegründet hat. 14 Frauen und Männer mit und auch ohne iranische Wurzeln setzen sich seitdem als Schallverstärker der Menschen in Iran ein. Sie organisieren Menschenketten, Mahnwachen, halten Vorträge, organisieren Demos mit und veranstalten Infoabende zum Thema. Sie kooperieren mit Vereinen, anderen Initiativen und Organisationen. Auch über Kölns und Deutschlands Grenzen hinaus. Free_Human__ ist parteiunabhängig; religiöse und politische Zugehörigkeit spielen keine Rolle, solange die Freiheit und Rechte anderer geachtet und nicht eingeschränkt werden.

 https://www.instagram.com/ free_human__

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA sind im ganzen Iran mehr als 1000 Personen, darunter Journalistinnen und Journalisten, festgenommen worden, wobei die Dunkelziffer wahrscheinlich viel höher ist. Über die Anzahl der bei den jüngsten Protesten im Iran Inhaftierten liegen keine

Was können wir tun?

Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 kämpfen Iraner*innen um ihre Freiheit. Jina Mahsa Aminis Tod war der Auslöser der Iran-Revolution, die bis heute andauert. Das iranische Regime geht erbarmungslos gegen die Demonstrierenden vor. Allein im Januar und im Februar 2023 gab es schon 55 Hinrichtungen. Damit die Menschen sich nicht zu Demonstrationen verabreden können, stellt die islamische Regierung immer wieder das Internet ab. So können sich die Menschen nicht absprechen. Und so verhindern sie, dass Videoaufnahmen von der Brutalität des Regimes hochgeladen werden. Die Infos dringen nicht bis zu uns – in den Westen – durch. Wir können aber den Menschen in Iran helfen, die Internetsperre zu umgehen, indem wir das Tor-Proxy „Snowflake“ auf unseren Rechnern einrichten. Das dauert nur wenige Sekunden und ist sehr effektiv! Wie das geht, findet ihr auf der Instagram-Seite „Free_human__“. Das Wichtigste für die Demonstrierenden und Inhaftierten aber ist die Aufmerksamkeit weiterhin auf den offiziellen Daten vor. Unter den Festgenommenen ist die iranische Journalistin Niloofar Hamedi. Am 16. September erhielt Hamedi Zugang zum Kasra-Krankenhaus in Teheran, wo Mahsa Amini nach ihrer Inhaftierung durch die Sittenpolizei in Behandlung war. Später veröffentlichte Hamedi ein Foto von Aminis Eltern, die einander im Krankenhaus weinend umarmten. Das Foto und der dazugehörige Bericht über Aminis Tod verbreiteten sich schnell und führten schließlich zu landesweiten Protesten.

Auch die 38-jährige Neda, Mutter von zwei Kindern, leistet in der Hauptstadt Teheran ihren Beitrag zum Aufstand. Seit dem Beginn der Proteste hat sie Dutzende Demonstrant*innen bei sich aufgenommen, die von den Sicherheitskräften verfolgt wurden und einen Unterschlupf brauchten. „Das erste Mal war in der zweiten Nacht der Proteste in Teheran. Eine Gruppe von sechs jungen Frauen und Männern hämmerte an die Tür und bat um Hilfe, sie seien auf der Flucht vor der Polizei. Es war vor Mitternacht. So

Iran zu richten! In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass Hinrichtungen ausgesetzt wurden, wenn wir laut geworden sind. Je bekannter die Person, desto weniger wird sie gefoltert. Durch die Öffentlichkeit sind sie geschützter. Wir müssen der Schallverstärker der Menschen in Iran sein. Wir müssen laut sein – und bleiben. Es gibt weitere, konkrete Dinge, die ihr tun könnt, um die Menschen im Iran zu unterstützen: Folgt Menschen und Institutionen, die von den Geschehnissen in Iran berichten. Wichtig ist, wie bereits erwähnt, diese zu teilen, um die Reichweite der Geschichten der Einzelnen zu erhöhen. Bleibt aktiv! Geht auf Demos, Aktionen, Mahnwachen! Informiert euch. Die Infos zu den Veranstaltungen in Köln und Umland findet ihr auch auf unserem free_human__Kanal. Schreibt den Abgeordneten aus eurem Wahlkreis und fordert sie auf, sich öffentlichkeitswirksam für die Menschen im Iran einzusetzen. Golrokh Esmaili Akkus Abgeordnete aus eurem Wahlkreis:

 www.bundestag.de/abgeordnete

Petitionen bezüglich Iran – viele findet man unter:

 www.amnesty.de/jina schnell wie möglich öffnete ich dieTür und schloss sie noch schneller. Die Kinder wachten auf und wir gerieten alle in Panik. Ich war vor Gefühlen so überwältigt, dass ich zu weinen begann und eines der Mädchen umarmte. Auch einige von ihnen weinten. Ich kann ihre jungen unschuldigen Gesichter nicht vergessen“, sagt die Iranerin in einem Telefongespräch.

Seit dieser Nacht ist Neda stets zur Stelle, wenn eine Demonstration durch ihre Nachbarschaft zieht. Sie bringt den Demonstrant*innen, die sich vor den Ordnungskräften verstecken, Lebensmittel, Wasser, Medikamente und was sie sonst noch benötigen. „Eines Nachts war da ein Junge mit einer Schusswunde im rechten Bein. Ich rief einen befreundeten Arzt an, ob er ihn bei mir zu Hause behandeln könnte. Aus Sicherheitsgründen konnten wir es nicht riskieren, ihn ins Krankenhaus zu bringen.“

Nadas einziger Wunsch ist es mitzuerleben, wie die Islamische Republik ihre Macht verliert. „Ich wünsche mir, dass meine Kinder in einem Land aufwachsen, in dem Frauen, Freiheit und Gleichheit respektiert werden. Ich will mit eigenen Augen sehen, wie dieses Regime gestürzt wird.“ Allerdings fällt es ihr schwer, ihren Mann davon zu überzeugen, dass sie das Haus verlässt und sich den Demonstrierenden auf der Straße anschließt.

„Von einer zweifachen Mutter wird erwartet, dass sie zu Hause bei den Kindern bleibt. Ich fühle mich, als stünde ich in Flammen. Während diese jungen Leute da draußen auf der Straße ihr Leben aufs Spiel setzen, bleibe ich zu Hause. Manchmal fühle ich mich machtlos und habe große Schuldgefühle“, gibt sie zu.

Schon bis zum 15. Oktober 2022 sind nach Angaben der norwegischen Organisation „Iran Human Rights“ bei den Protesten im Iran mindestens 215 Menschen getötet worden, darunter 27 Kinder. „Angesichts der rücksichtslosen Gewalt des Staates, die sich sogar gegen Kinder und Häftlinge richtet, und den falschen Narrativen, die die Beamten der Islamischen Republik verbreiten, ist es wichtiger als je zuvor, dass die internationale Gemeinschaft eine unabhängige Stelle unter Aufsicht der UNO einrichtet, um diese schweren Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen“, wird der Direktor der Organisation Mahmood Amiry-Moghaddam im Bericht zitiert.

Am 17. Oktober ersuchte Amnesty International den UN-Menschenrechtsrat, „dringend“ eine Sondersitzung zum Iran abzuhalten, und forderte den Rat auf, einen „unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung, Meldung und Ahndung der schwersten Völkerrechtsverbrechen und anderer schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen im Iran“einzurichten. Die iranischen Behörden behaupten,

Ich bin zu Hause geblieben, um auf die Kinder aufzupassen, und mein Mann ging hinaus und demonstrierte. Er meint, die Kinder brauchen mich mehr als ihn, falls er verhaftet oder verletzt wird oder sogar stirbt, weil die Sicherheitskräfte so brutal gegen die Demonstrant*innen vorgehen ...

Frauen Und Ihre St Rken Sichtbar Machen

der Westen hätte zu den Unruhen angestiftet. „Wer hätte gedacht, dass dem Westen der Tod eines Mädchens so wichtig ist?“, sagte der iranische Außenminister Hussein Amir Abdollahian.

Trotz des zunehmend harten Durchgreifens der iranischen Sicherheitskräfte breiteten sich die Proteste im ganzen Land aus – dank Menschen wie der 41-jährigen Hana. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Bukan, 478 Kilometer westlich von Teheran, in der Provinz West-Aserbaidschan. In dieser Stadt mit rund 200.000 Einwohner*innen fanden im vergangenen Monat mehrere Proteste und öffentliche Streiks statt. Hana konnte sich den Demonstrierenden auf den Straßen jedoch nicht anschließen.

„Ich bin zu Hause geblieben, um auf die Kinder aufzupassen, und mein Mann ging hinaus und demonstrierte. Er meint, die Kinder brauchen mich mehr als ihn, falls er verhaftet oder verletzt wird oder sogar stirbt, weil die Sicherheitskräfte so brutal gegen die Demonstrant*innen vorgehen“, erzählt Hana am Telefon. Sie führt ein Damenbekleidungsgeschäft und hat als Zeichen des Widerstandes gegen den Staat an allen Streiks teilgenommen. Die Sicherheitskräfte haben die Schaufenster in ihrem Laden und in vielen anderen Geschäfte in der Stadt eingeschlagen, um ein Ende des Streiks zu erzwingen.

„Ich habe nicht aufgegeben. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, um den Aufstand zu unterstützen“, sagt die Iranerin. „Frauen, Leben und Freiheit“, betont sie, ist viel mehr als nur ein Slogan. „Für die meisten iranischen Frauen ist es ein Lebensziel. Sie leiden schon lange unter dem Druck durch ihre Familien, die Gesellschaft und vor allem durch den Staat und seine frauenfeindlichen Gesetze.“

Übersetzt aus dem Englischen von Lisa Strausz. Mit freundlicher Genehmigung von Inter Press Service / International Network of Street Papers.

Was haben Frauen geschafft und bewirkt? Einen Einblick gibt der Kölner Frauen*Stadtplan – eine Internetseite mit Informationen über frauenrelevante Orte, historische und zeitgenössische Persönlichkeiten sowie Frauenorganisationen in der Stadt. Er zeigt: Eine ganze Menge ist geschafft, aber da ist noch Luft nach oben! TEXT: MArIE BrEEr

Der Kölner Frauen*Stadtplan „Starke Frauen. Starkes Köln“ ist auf Initiative der Stiftung Frauen*leben Köln in Kooperation mit der Stadt Köln (Amt für Gleichstellung von Frauen und Männern) und dem Kölner Frauengeschichtsverein entstanden. Er ging im März 2022 anlässlich des Internationalen Frauentags an den Start und enthält mittlerweile (Stand Januar 2023) 125 Beiträge. Die Stiftung Frauen*leben in Köln ist eine Tochter der Frauenberatungsstelle FrauenLeben e.V., die Frauen in Köln seit 40 Jahren auf ihrem Weg in ein freies und selbstbestimmtes Leben unterstützt. Die Stiftung, gegründet von Dr. Maria J. Beckermann, Dr.

 www.frauenstadtplan.koeln

Su sanne Zickler und Dr. Annegret Gutzmann, hat sich zum Ziel gesetzt, feministische Frauenprojekte zu fördern und sichtbar zu machen. Sie möchte Frauen ermutigen, sich mit all ihren Potenzialen zu zeigen. Sie engagiert sich gegen Frauenarmut und Diskriminierung jeder Art, sei es aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung, der ethnischen Herkunft, der sozialen Schicht, der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder aufgrund einer Behinderung.

Vom Kölner Frauengeschichtsverein haben Ina Hoerner-Theodor und Irene Franken historisches Material zur Verfügung gestellt, sie prüfen alle Beiträ- ge auf wissenschaftliche Korrektheit. Das Amt für Gleichstellung von Frauen und Männern der Stadt Köln unter Leitung von Bettina Mötting setzte die geodatenbasierte Online-Plattform mit Unterstützung des Amts für Informationsverarbeitung auf und wird kontinuierlich alle Beiträge einpflegen.

Der Frauen*Stadtplan ist als fortlaufendes Projekt über zehn Jahre konzipiert. Wer eine Frau für die Aufnahme in den Frauen*Stadtplan von Köln vorschlagen möchte, kann sich an die Stiftung Frauen*leben wenden:

 mail@stiftung-frauenleben.koeln

 www.stiftung-frauenleben.koeln

 www.frauengeschichtsverein.de

Der interaktive Kölner Frauen*Stadtplan kann auf dem PC und auf dem Smartphone oder Tablet unter der Internet-Adresse  www.frauenstadtplan.koeln gelesen werden. Farbige Pins untergliedern die zu entdeckenden Orte:

Rote Pins: Historische oder zeitgenössische Kölnerinnen, die wegen ihres ungewöhnlichen Lebenswegs Vorbild wurden; Frauen, die sich für die Gleichberechtigung eingesetzt, die das politische und gesellschaftliche Leben in Köln beeinflusst haben und die gegenwärtig für Frauen und Geschlechtergleichheit in Köln aktiv sind. Das sind internationale Größen und lokal bekannte Persönlichkeiten wie die Schriftstellerinnen Esther Donkor und Barbara Beuys, die Künstlerinnen Gerda Laufenberg und Mary Bauermeister oder die Frauenrechtlerinnen Brigitte Erdweg und Lale Akgün. Vertreten sind auch die DRAUSSENSEITER-Chefredakteurin Christina Bacher und Linda Rennings („Kölsche Linda“), die lange wohnungslos war, sich mittlerweile für obdachlose Frauen einsetzt und in der DRAUSSENSEITER-Redaktion mitwirkte. Gelbe Pins: Frauenprojekte und -organisationen wie die „Lobby für Mädchen“ oder der Frauennotruf.

Grüne Pins: Bekannte Orte in Köln, die in besonderer Verbindung zu Frauen stehen, wie der Fischweiberbrunnen in der Altstadt oder der Bayenturm.

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