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Nukleare Abschreckung

der Bericht für die politischen Leitungsgremien übersetzt. Die deutsche Reaktion war eher zustimmend und berichtend, aber auch Kritik wurde laut. So bezichtigte mich der geschätzte und einer der im Fach führenden Kollegen, Ernst-Otto Czempiel, ich propagiere eine Neuauflage deutscher Kanonenboot-Politik. In Rom löste der Bericht einigen Ärger aus, nicht wegen seiner Thesen, sondern weil Italien nicht unter den Schlüsselstaaten aufgeführt war. Bei einem Besuch in Rom musste ich dazu das Klagelied mehrerer italienischer Diplomaten anhören.

NUKLEARE ABSCHRECKUNG

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Eine stärkere Profilierung deutscher Verantwortung war auch ein Motiv bei verschiedenen Aktivitäten der DGAP auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie, der Nichtverbreitung von Kernwaffen und der Entwicklung der Nuklearstrategie. Die 1973 gegründete Projektgruppe zur Kernenergie und Nichtverbreitung wurde zum einzigen Ort in der Bundesrepublik, wo diese Fragen und ihre Konsequenzen für die deutsche Außenpolitik regelmäßig unter den Teilnehmern aus Administration, Parlament, Industrie, Wissenschaft und Publizistik erörtert wurden. Nach

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einigen Jahren wurde die Kernforschungsanlage Jülich unter der Leitung von Wolf Häfele Mitorganisator der Projektgruppe (s. auch unter „Innovationen und Herausforderungen“).

Die militärstrategischen Fragen der Kernenergie wurden vor allem in der Studiengruppe Sicherheit besprochen, darunter die für die Rolle der Bundesrepublik zentrale Frage der nuklearen Teilhabe. Für die damals von der NATO angewandte Nuklearstrategie der flexiblen Erwiderung war die Option eines Ersteinsatzes von Kernwaffen zur Abschreckung eines konventionellen Angriffs von zentraler Bedeutung. Als in den USA vier Prominente – J.F. Kennedys ehemaliger Berater McGeorge Bundy, der frühere Botschafter George F. Kennan, der ehemalige Verteidigungsminister Robert S. McNamara und der frühere Abrüstungsbeauftragte Gerard Smith – in Foreign Affairs (Frühjahr 1982) den Vorschlag machen wollten, auf den Ersteinsatz von Kernwaffen zu verzichten, vereinbarten wir, dass deren Artikel, aber auch eine deutsche Antwort zugleich im Europa-Archiv und in Foreign Affairs erscheinen sollten.

Ich organisierte die Diskussionen und schrieb die Entwürfe einer ebenfalls recht prominenten deutschen

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Gruppe, die den ehemaligen Verteidigungsminister Georg Leber (SPD), den außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Alois Mertes, General a.D. und ehemaligen Oberbefehlshaber für NATO-Mitte FranzJosef Schulze neben mir selbst enthielt. Unser Artikel formulierte eine umfassende Begründung der nuklearen Abschreckung einschließlich der Option des Erstgebrauchs und des deutschen Interesses an beiden. Er hatte erhebliche öffentliche Wirkung, wurde vielfach nachgedruckt und beendete im Grunde die Debatte zum Erstgebrauch in der NATO. George Kennan, zu dessen 100. Geburtstag ich später in Princeton eine Laudatio hielt, sagte mir bei dieser Begegnung, dass er zwar nicht unserer Meinung sei, dass aber unsere Entgegnung das Niveau der Debatte beträchtlich erhöht habe.

Mein Eintreten für die in meinen Augen friedenserhaltende Funktion der nuklearen Abschreckung schlug sich in vielen Publikation nieder und war auch Teil meiner Meinungsverschiedenheiten mit den antinuklearen Positionen in der SPD und ihrer prominenten Vertreter, aber auch ein verbindendes Element zu Helmut Schmidts Position in der Nachrüstungsdebatte, dem ich vor- und nachher beratend half. Erwähnenswert zum Nicht-Erstgebrauch ist noch die Tatsache,

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OBEN: BUCHVORSTELLUNG 1974 IN DER DGAP MIT (V.L.N.R.) RALF DAHRENDORF, BUNDESPRÄSIDENT WALTER SCHEEL, VERLEGER HANS PIPER UND KARL KAISER; LINKS: BEIM BETRIEBSAUSFLUG 1983 MIT ERWIN HÄCKEL (L.) UND INGO KOLBOOM (R.); RECHTS: KAFFEEPAUSE BEIM BETRIEBSAUSFLUG 1988

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LINKS OBEN: DEMONSTRATION DER IN DEN FACHINFORMATIONSVERBUND EINGEGLIEDERTEN DATENTERMINALS DER DOKUMENTATIONSSTELLE, HERBST 1987; LINKS UNTEN: BEIM EMPFANG ZUM 60.GEBURTSTAG 1984 MIT DEBORAH KAISER UND VERTEIDIGUNGSMINISTER RUDOLF SCHARPING, IM HINTERGRUND THEO SOMMER UND FRANZ KLEIN; OBEN: KAISER, AUSSENMINISTER KLAUS KINKEL UND HANNS W. MAULL BEI DER VORSTELLUNG DES ERSTEN BANDES „DEUTSCHLANDS NEUE AUSSENPOLITIK“, SOMMER 1994

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OBEN: VIER BEFREUNDETE DIREKTOREN (V.L.N.R.) JOHN RIELLY (CHICAGO COUNCIL ON FOREIGN RELATIONS), KAISER, THIERRY DE MONTBRIAL (INSTITUT FRANÇAIS DES RELATIONS INTERNATIONALES) UND CESARE MERLINI (ISTITUTO AFFARI INTERNAZIONALI) BEI DER ABSCHIEDSKONFERENZ 2003; RECHTS: NACHDENKLICH BEI DER REDE ZUM ABSCHIED

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EIN PROSIT MIT ZBIGNIEW BRZEZINSKI BEIM ABSCHIEDSESSEN ZUM OFFENKUNDIGEN VERGNÜGEN VON AUSSENMINISTER JOSCHKA FISCHER UND HANSDIETRICH GENSCHER