Ich bin dein Mensch

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ICH BIN DEIN MENSCH

Jan Schomburg & Maria Schrader

DEUTSCHE DREHBÜCHER Herausgegeben von der Deutschen Filmakademie


ICH BIN DEIN MENSCH

von Maria Schrader und Jan Schomburg

Fassung vom 21.06.2020 Gelbe Seiten vom 31.07.2020


1. 1

INT. GARDEROBE - NACHT

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Ein junger Mann und eine junge Frau, beide in etwas altertümlichen Uniformen, stehen professionell lächelnd hinter dem Tresen einer Garderobe, ein gutes Dutzend Mäntel hängt an Kleiderbügeln. ALMA FELSER, eine Frau Mitte Vierzig tritt an den Tresen, sie scheint das erste Mal da zu sein. Der Mann nimmt ihr mit einer kleinen Verbeugung ihren Mantel ab, kurz darauf tritt eine livrierte MITARBEITERIN (40) hinzu. MITARBEITERIN Frau Dr. Felser? Wollen Sie mir bitte folgen? Die Mitarbeiterin hebt einen schweren roten Vorhang zur Seite und bittet Alma mit einer Geste einzutreten. 2

INT. BALLSAAL - NACHT Ein Berliner Tanzlokal aus der Nachkriegszeit. Es ist gut besucht, das Publikum so durchmischt wie die moderne Gesellschaft: An den Tischen und auf der Tanzfläche Paare verschiedensten Alters und geschlechtlicher Kombination, an den Tischen auch einige Männer und Frauen, die allein dasitzen. Alma folgt der Mitarbeiterin und betrachtet die an den Tischen sitzenden Menschen interessiert. Sie steuern direkt auf einen Tisch zu, an dem ein einzelner, sehr attraktiver Mann im Anzug und offenen Hemd sitzt, vor ihm ein Glas Rotwein. Der Mann steht auf und lächelt Alma an. TOM Hallo, Alma. Ich bin Tom. Alma bleibt vor ihm stehen und mustert ihn. Sie scheint beeindruckt zu sein, fasziniert, vielleicht: verzaubert. Zumindest sprachlos. Und sie bemüht sich nicht, diese Faszination zu überspielen. Tom küsst sie auf die Wangen. Er spricht mit einem deutlich wahrnehmbaren englischen Dialekt. TOM (CONT’D) Schön, dich kennen zu lernen, Alma. Alma nickt, immer noch sprachlos. TOM (CONT’D) Wollen wir uns setzen?

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2. MITARBEITERIN Was darf ich Ihnen zu trinken bringen? TOM Der Bordeaux ist ein feines Tröpfchen. Alma sieht Tom irritiert an - ein feines Tröpfchen? Wer sagt denn so was, ohne Ironie? MITARBEITERIN Einen Bordeaux für die Dame? Alma nickt, die Mitarbeiterin entfernt sich mit einer Verbeugung. Tom sieht Alma tief in die Augen. TOM Du bist eine wunderschöne Frau, Alma. Tom legt seine Hand auf ihre. Sie registriert es etwas befremdet. TOM (CONT’D) Deine Augen sind wie... Alma hebt die Augenbrauen. TOM (CONT’D) ... zwei Bergseen, in die ich Alma zieht die Hand weg und unterbricht Tom damit. Die Mitarbeiterin stellt ihr den Wein hin, Alma nimmt sofort einen tiefen Schluck, betrachtet dann Tom, jetzt ohne jede Romantik. Tom, ja?

ALMA

TOM Magst du es nicht, wenn man dir Komplimente macht? ALMA Glaubst du an Gott? TOM Das ist eine Frage, die man nicht in dieser Umgebung diskutieren sollte. ALMA Hm. Hast du ein Lieblingsgedicht?


3. Tom blickt zur Seite und verdreht für einen winzigen Moment die Augen. (Anmerkung: Das sollte eine spezifische, unverwechselbare Bewegung sein, Toms Art des “Nachdenkens”) TOM Ich mag vor allem Rilke. Herbsttag zum Beispiel. ALMA Sechste und siebte Zeile? TOM (zu schnell)

Dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. ALMA Vorletzter Buchstabe des Gedichts? TOM

E.

ALMA Was ist der Sinn des Lebens? TOM Die Welt in einen besseren Ort verwandeln. ALMA Dreitausendfünfhundertsiebenundacht zig mal neunhundertzweiundachtzig durch siebenhunderteinundreißig? TOM (ohne Nachdenken)

Viertausendachthundertachtzehn Komma sechs fünf eins eins sechs. ALMA Was ist das Traurigste, das du dir vorstellen kannst? TOM Allein zu sterben. Er lächelt sie an. TOM (CONT’D) Wollen wir tanzen? Rumba!


4. Er unterstützt seine Äußerung mit einem kleinen SchulterShimmy. Alma sieht sich nach den tanzenden Paaren um, nicht gerade begeistert. MITARBEITERIN Ich würde Ihnen empfehlen, die Gelegenheit zu nutzen, Dr. Felser. Sie werden erstaunt sein. Wo ist denn die Mitarbeiterin plötzlich hergekommen? Alma lässt sich schließlich von Tom auf die Tanzfläche führen. Kaum sind sie auf der Tanzfläche, beginnt Tom in der Art eines professionellen Tänzers zu tanzen, ohne wahrzunehmen, dass Alma keine professionelle Tänzerin ist, wodurch der Tanz vollkommen misslingt. Als Tom merkt, dass Alma nicht mitkommt, tanzt er quasi ohne sie weiter, seine perfekten Drehungen, sein herausgestreckter Po und seine prätentiösen Armbewegungen lassen ihn ziemlich affektiert aussehen. Alma steht da und betrachtet diesen Arme-Leute-Travolta stirnrunzelnd. Jetzt ändert er seinen Tanzstil, schmiegt sich an Alma, haucht ihr ins Ohr, reibt sein Becken an ihr; die erotische Version ist aber nicht weniger peinlich. Merkt Tom selber. TOM Mache ich etwas falsch? Alma sieht ihn an - wo soll sie da anfangen? TOM (CONT’D) Ich bin... ich bin... ich bin... ich bin... Alma sieht ihn verwirrt an, Tom wirkt wie ein Roboter, der sich aufgehängt hat, er macht immer dieselbe Armbewegung und kommt scheinbar nicht mehr aus dieser Schleife heraus. Schon einen Moment später sind einige Mitarbeiter zur Stelle, nehmen Tom am Arm und führen ihn diskret aus dem Saal. Alma sieht, dass die Mitarbeiterin an ihrem Tisch sitzt und ihr winkt. Kurz darauf: Alma sitzt mit der Mitarbeiterin am Tisch. MITARBEITERIN Bitte verzeihen Sie diese kleine Komplikation, ich kann Sie beruhigen: Das kommt bei diesem Modell sehr, sehr selten vor, das ist quasi ein Lottogewinn, wenn das passiert. (MORE)


5. MITARBEITERIN (CONT'D) Also, von der Wahrscheinlichkeit her. Aber ich kann Ihnen versichern, dass unsere Techniker das bis morgen Abend behoben haben. Professionell verbindlicher Blick. MITARBEITERIN (CONT’D) Wir sind wirklich untröstlich über diese unangenehme Verzögerung. ALMA Kein Problem. Die Mitarbeiterin mustert Alma, deren Blick auf den nächsten Tisch fällt, an dem ein älterer, dicklicher MANN (65) mit einer jungen, auffällig hübschen FRAU (25) sitzt; die beiden halten Händchen und flüstern verliebt miteinander. MITARBEITERIN Sie glauben nicht, wie kompliziert es ist, einen Flirt zu programmieren. Eine falsche Bewegung, ein falscher Blick, ein unbedachtes Wort, schon ist die ganze Romantik dahin, oder etwa nicht? Alma sieht sie nur an. MITARBEITERIN (CONT’D) Vielleicht kommt Ihnen das ganze Ambiente etwas übertrieben vor, aber zum Einen liefert uns diese romantische Begegnung wertvolle Informationen für die letzten Einstellungen, zum Anderen: Auch wenn Sie Tom als eine von zehn ExpertInnen nur für drei Wochen testen werden, ist doch eine erste Begegnung in der richtigen Atmosphäre von großer Bedeutung. ALMA Ganz schöner Aufwand. Die Mitarbeiterin beugt sich konspirativ zu Alma. MITARBEITERIN (flüsternd)

Aber auch nicht ganz so groß wie Sie denken.


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6.

Ein Paar ist von der Tanzfläche gekommen und geht gerade am Tisch vorbei, die Mitarbeiterin streckt den Arm aus, das Pärchen geht einfach durch den Arm durch. Alma zieht die Augenbrauen hoch. MITARBEITERIN (CONT’D) Hologramme. (sie zwinkert Alma zu)

Billiger. Und ausdauernder beim Tanzen.

3

Alma betrachtet den Ballsaal und die tanzenden Paare nun mit anderen Augen.

*

INT./ LOBBY TERRANAUT - TAG

*3

Die Mitarbeiterin begleitet Alma durch eine gläserne moderne Lobby.

* *

MITARBEITERIN Ich weiß, dass Sie das alles mit einer gewissen emotionalen Distanz betrachten, und als Testperson sollen Sie das ja auch. Ich kann Ihnen aber nur empfehlen, sich auf diese Erfahrung ganz einzulassen. Wenn das Glück vor einem auf der Straße liegt, sollte man es auch aufheben. Morgen ist es soweit. Dann ist alles konfiguriert und Sie können Tom mit nach Hause nehmen. Sie hält Alma die Tür auf. Alma blinzelt wegen der Helligkeit etwas mit den Augen, als sie aus dem Gebäude kommt. 4

EXT. PERGAMONMUSEUM, VORPLATZ

- TAG

* * * * * * * * * * * * * * 4

Alma geht mit schnellen Schritten über den Vorplatz des Pergamonmuseums. Sie steigt eine Außentreppe hinauf, die am Haupteingang vorbei zu einer kleinen Metalltür führt, die sie mit einer Magnetkarte öffnet. 5

INT. PERGAMONMUSEUM, EINGANGSHALLE - TAG Sie betritt die Halle und ist bereits hinter den Kassen. Durch die große Halle geht sie zu einem kleineren Treppenhaus hinunter, sie erreicht eine Glastür. Ein Wärter nickt ihr zu, man kennt sie hier. Er öffnet ihr die Tür.

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7.

INNEN. PERGAMONMUSEUM, FORSCHUNGSRAUM - TAG

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An verschiedenen Computern verteilt FÜNF STUDIERENDE in unterschiedlichen Stadien von Übermüdung. Aber als sie Alma sehen, beginnen ihre Augen zu leuchten, man spürt, dass sie sehr respektiert und sogar bewundert wird. ALMA Sorry, ging nicht früher, ihr wollt nicht wissen, warum, muss auch gleich wieder los. Ist der Scan der 2202 schon fertig?

* *

DOKTORAND Liegt schon auf Ihrem Rechner!

* *

Während sie redet, geht sie eilig zu ihrem Schreibtisch (etwas größer als die Anderen, gewisse Insignien der Hierarchie bleiben natürlich trotz der engen Zusammenarbeit auch hier bestehen) und steckt ihren USB Stick in den Rechner. Die Studierenden nicken. Alles in Ordnung. Alma zieht die Daten rüber, der PC rechnet.

* * *

Alma sieht auf einen Kalender und grinst wie ein Bergsteiger, der eine besonders beeindruckende Felswand vor sich sieht. ALMA Viel Zeit ist nicht mehr. Endspurt. Bis morgen! Sie zieht den Stick ab und ist schon wieder verschwunden. 7

EXT. UNIVERSITÄT - TAG

* 7

Alma geht eilig über das Universitätsgelände. 8

INT. UNIVERSITÄT, BÜRO DEKAN - TAG Das großzügige Büro von ROGER (60), dem Dekan der Universität. Er sitzt zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Alma ist zu aufgebracht, um zu sitzen.

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8. ALMA Die testen mich, scannen mein Gehirn, multiple choice ohne Ende dann speisen sie diese Dinger mit sogenannten mindfiles von 17 Millionen Menschen, Charaktermerkmale, Ansichten, Gefühle, alles unvorstellbar aufwändig, will gar nicht wissen, was das kostet - und was kommt dann dabei raus? “Deine Augen sind wie zwei Bergseen, in denen ich versinken möchte!” Der Dekan sieht Alma etwas fragend an. DEKAN Vielleicht kennen die dich ja besser als du selbst. Alma zieht die Augenbrauen hoch, “Dein Ernst?” DEKAN (CONT’D) (halb jovial, halb ironisch)

Also... ich würd das ja ganz gern mal ausprobieren. ALMA Dir deine Traumfrau basteln lassen. DEKAN Joa... Aber ich hab sie ja Zuhause. Jetzt nimmt er die Arme runter und setzt sich aufrecht hin. DEKAN (CONT’D) Gut, Spaß beiseite. Egal wie wir das alles finden, ich bin in die Ethik-Kommission geladen und brauche Deine Studie! ALMA Schreib ich Dir blind. DEKAN Alma. Es geht immerhin darum, ob diese Dinger in Deutschland heiraten dürfen, arbeiten, Pässe kriegen, Menschenrechte oder eingeschränkte oder wie man das dann nennen will... (MORE)


9. DEKAN (CONT'D) Und wenn Du so eine klare Meinung hast, dann kannst Du sie hier beitragen, sieh’s doch mal so rum... Es klopft an der Tür, JULIAN (40) steckt den Kopf rein. JULIAN Roger, ich Er bemerkt Alma. JULIAN (CONT’D) Oh. Ich wusste nicht, dass... Entschuldigung... Hallo, Alma. ALMA Hallo. Julian. JULIAN Gut, ich... war auch nicht so wichtig. Ich komm dann einfach später... DEKAN Okay, bis später. Julian macht eine diffuse Geste, dann schließt er die Tür. ALMA Warum kann das nicht Julian machen? DEKAN Voraussetzung ist, dass Du alleinstehend bist. Alma rollt mit den Augen. Und Frank?

ALMA

DEKAN Frank und Stefan haben sich doch wieder zusammengerauft. Ach ja?

ALMA

DEKAN Alle anderen haben entweder Familie oder leben mit jemandem zusammen. Außerdem hast Du längst zugesagt und Dein... Ding... Dein Traumpartner ist ja schon gebaut.


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Alma sträubt sich. DEKAN (CONT’D) Drei Wochen, Alma. Und dann kannst du meinetwegen mit Deiner Truppe nach Chicago fliegen und die Keilschriften im Original angucken. Ich geb die Mittel frei. Alma wirft ihm einen Blick zu. DEKAN (CONT’D) Nein, das ist keine Bestechung. Nur ein kleines Dankeschön... 9

INT. UNIVERSITÄT, GANG - TAG

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Alma kommt aus dem Büro des Dekans, Julian steht an einem Aushang, aber es ist schwer zu übersehen, dass er ihn nicht liest, sondern auf Alma gewartet hat. Sie bleibt vor ihm stehen. Hey.

JULIAN

Alma sieht ihn nur an. JULIAN (CONT’D) Ich seh dich überhaupt nicht mehr. Wo bist du die ganze Zeit? Alma zuckt mit den Schultern. ALMA Hier und da. Kongress in Kopenhagen, Museum.... Eine Kollegin, REGINA, kommt vorbei, winkt Beiden zu. JULIAN Und wie geht’s dir? ALMA Gut. Okay. Selber? Julian liegt etwas auf dem Herzen. JULIAN Ich weiß nicht, ob du’s schon gesehen hast. Ich bewerb mich ja auf die W3-Stelle. Alma nickt.

*


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JULIAN (CONT’D) Na, ja, ich wollte nur... ALMA Also, ich steh dir da sicher nicht im Weg. Falls du das wissen wolltest. Julian ist es plötzlich unangenehm, aber ja, das wollte er wissen. JULIAN Vielleicht... können wir ja mal einen Kaffee trinken. Reden und so. Alma nickt, meint aber das Gegenteil. ALMA Ich muss los. Alles Gute für die Bewerbung. Sie kommt an einer Studentin vorbei. STUDENTIN Frau Dr. Felser, is’ heute nicht ausgefallen?! ALMA Doch. Ich bin auch gar nicht da. STUDENTIN (lacht)

Ah... na, dann hab ich Sie auch nicht gesehen. 9A EXT - UNIVERSITÄT - TAG Alma verlässt das Gebäude. 10 I/E. CAFÉ - TAG Alma hinter einer großen Fensterscheibe. Draußen dämmert es. Sie isst und schaut in Gedanken nach draußen. Passanten spiegeln sich in der Scheibe. Alma betrachtet die Vorbeigehenden durch das Glas. Ein paar Jungendliche, einzelne Leute auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, eine Mutter mit Kind im Vorbeifahren, ein Mann mit Rollator - Menschen.

*9A * *10


12. 11 INT. WOHNUNG ALMA - ABEND

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Alma sitzt an einem Bildschirm in ihrer Wohnung, während es draußen bereits Nacht geworden ist. Auf dem Bildschirm sind starke Vergrößerungen von Keilschriften zu sehen, die Alma hin und her bewegt, sich kurze Notizen dazu macht und dann weiter auf den abphotographierten Tontafeln sucht. 12 INT. WOHNUNG ALMA - FRÜHER MORGEN

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Alma liegt im Bett, gerade aufgewacht. Sie streckt ihren Arm in die Luft, spreizt die Finger, betrachtet ihre Hand, fasst sie mit der anderen an, befühlt die Knochen. Das Sonnenlicht scheint durch die dünnen Teile der Haut. 13 I/E. AUTO ALMA, STADTRING / LANDSTRASSE - TAG

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Alma fährt über den Berliner Ring mit Aussicht auf die Stadt und nimmt eine Ausfahrt auf eine Landstraße. 14 I/E. EINFAMILIENHAUS IM GRÜNEN - TAG

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Alma parkt in einer grüneren Gegend, Einfamilienhäuser. Sie holt Einkaufstüten aus dem Wagen, geht durch einen Vorgarten und schließt auf. 15 INT. EINFAMILIENHAUS VATER, WOHNZIMMER / KÜCHE - TAG Die Tür fällt ins Schloss, Alma durchquert mit den Tüten den Flur. VATER (OFF) (ruft)

Cora?!

ALMA (ruft)

Alma!

Sie geht in die Küche und stellt die Tüten auf die Arbeitsfläche. VATER (OFF) Was machst du da?! ALMA Einkäufe ausräumen. VATER (OFF) Ich brauch keine Einkäufe!

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13. ALMA (fröhlich)

Ich weiß, Papa, du brauchst ja auch nichts zu essen. VATER (OFF) Behandle mich nicht wie ein Kleinkind! ALMA Aber heute ist Donnerstag, Papa... Jetzt kommt sie in die Tür zum Wohnzimmer, lehnt sich an den Rahmen, verschränkt die Arme und lächelt ihn an. ALMA (CONT’D) Da komm ich doch immer, um dich zu ärgern! Ihr Vater sitzt grimmig in einem Sessel, in beiden Händen eine brennende Zigarette. ALMA (CONT’D) Rauchst du wieder stereo? Ihr Vater reagiert nicht, sondern zieht an einer der Zigaretten und schaut missmutig aus dem Fenster. 16 INT. EINFAMILIENHAUS VATER, WOHNZIMMER - TAG Alma und Vater beim gemeinsamen Essen. VATER Ist Cora tot? ALMA Nicht, dass ich wüsste. Aber Donnerstags muss sie Nico vom Fußball abholen. VATER Nico ist das Kind. Ja.

ALMA

VATER Das hässliche. Papa.

ALMA

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14. VATER Wenn du denkst, ich gehe heute noch raus, hast du dich getäuscht. ALMA Aber die Sonne scheint. VATER Scheiß auf die Sonne. 17 EXT. WALD - TAG

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Es ist wirklich ein außergewöhnlich schöner Tag. Der Wald leuchtet, die Sonne bricht durch die Blätter. Die beiden gehen einen Waldweg entlang, Almas Vater wackelig auf einen Stock gestützt, er raucht nur einhändig. ALMA Siehst du, jetzt ist es doch gar nicht so schlimm. VATER Ist es wohl. Ich will nach Hause. ALMA Komm, nur noch um die nächste Kurve, dann sind wir fast schon wieder da. Sie verschwinden hinter den roten und gelben Herbstbäumen. 18 INT. BALLSAAL - ABEND Wieder folgt Alma der Mitarbeiterin durch das Etablissement. Wieder bewegen sich unterschiedlichste PAARE auf der Tanzfläche, von Tischen umrahmt, an denen SITZENDE GÄSTE den Tanzenden zusehen oder nur Blicke für einander haben, die Köpfe zusammengesteckt, flirtend und zwischendurch laut auflachend. Die Mitarbeiterin bleibt stehen, sieht sich um. MITARBEITERIN Einen ganz kurzen Moment, bitte... Sie dreht noch mal um. Alma geht langsam weiter an besetzten Tischen vorbei. Jetzt, nachdem sie weiß, dass hier eine Illusionsmaschine ihre Kunst entfaltet, inspiziert sie die Anwesenden umso genauer. Vor ihr ein großer MANN, dessen mächtiger Rücken vor Lachen bebt.

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15. Plötzlich streckt Alma die Hand aus, aber anstatt den Rücken berühren zu können, fährt ihr Arm ohne Widerstand durch ihn hindurch wie durch Luft. Er nimmt keine Notiz von Alma und wischt sich die Augen vor Lachen. Auch die FRAU ihm gegenüber hält keiner Berührung stand. Alma streicht staunend durch ihre Locken, doch kein einziges Haar bewegt sich. Alma beginnt das Spiel Spaß zu machen. Sie fasst durch Körper hindurch, sie versucht, einem MANN das Glas aus der Hand zu nehmen, aber auch das Glas ist Luft. Die Stimmen, die Geräusche dringen aus kleinen Boxen, auf jedem der Tische neben der Lampe versteckt. Alma wird schwungvoller, holt aus und trifft mit der Handkante plötzlich hart auf einen echten Rücken. Der Mann dreht sich um und sieht sie erstaunt an. Alma zuckt zusammen, es ist Tom. ALMA Oh, Entschuldigung. 19 INT. LOBBY TERRANAUT - ABEND Alma und Tom durchqueren den nüchternen, modernen Eingangsbereich des Firmensitzes. Sie werden von der uns bereits bekannten Mitarbeiterin begleitet. Am Ausgang drückt sie Alma eine Mappe in die Hand. MITARBEITERIN Sie und Ihr Dekan haben die Geheimhaltungsklausel unterschrieben, im Notfall sind wir selbstverständlich rund um die Uhr erreichbar. Ansonsten sehen wir uns in drei Tagen morgens um 10, ja? Sie kommen zur Eingangstür. ALMA Gibt es noch irgendwas... Besonderes zu beachten? MITARBEITERIN Wir empfehlen, an einer gemeinsamen Vergangenheit zu arbeiten. Eine Geschichte zu erfinden, wie man sich kennen gelernt hat. Nur wer eine Vergangenheit hat, hat auch eine Zukunft. Sie gibt ihr die Hand während Tom die Tür für Alma aufhält. Die Mitarbeiterin betrachtet ihn.

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16. MITARBEITERIN (CONT’D) (vertraulich lächelnd)

Ich muss zugeben, Sie haben wirklich Geschmack. Alma drückt sich zwischen beiden durch die Tür. Worauf hat sie sich hier bloß eingelassen? 20 EXT. PARKPLATZ TERRANAUT - NACHT

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Dieses Mal ist der nächtliche Parkplatz bis auf Almas Auto komplett leer. Alma und Tom kommen aus dem Gebäude und gehen zu Almas Auto, das sich blinkend öffnet. Die beiden bleiben einen Augenblick vor dem Auto stehen, dann öffnet Alma den Kofferraum, und Tom tut seinen Rollkoffer hinein. Etwas widerwillig öffnet Alma ihm dann die Beifahrertür und Tom steigt ein. TOM Vielen Dank, sehr aufmerksam. 21 I/E. AUTO ALMA - NACHT Alma sitzt am Steuer und fährt auf einer mehrspurigen Straße, Tom sitzt neben ihr, Alma beachtet ihn kaum. Sie wechselt die Spuren, hinter ihr hupt jemand. Alma sieht in den Rückspiegel und hebt ihre Hand zu einer provozierenden Geste. ALMA (mehr zu sich)

Idiot.

Tom hat die Situation beobachtet. TOM Wenn du den Sitz etwa 15 Zentimeter höher stelltest, deine Sitzposition 12 Grad aufrechter wäre und du den Schulterblick um eine halbe Sekunde verlängertest, verringerte sich die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall um 27 Prozent. Alma hört sich das scheinbar stoisch an, aber an ihrem leicht sich verhärtenden Kiefer merken wir, wie genervt sie davon ist. Tom sieht sie an. TOM (CONT’D) Ich registriere zum Einen eine Abneigung gegen meinen Rat zur Erhöhung deiner Sicherheit und zum Anderen... (MORE)

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17. TOM (CONT’D) eine Abneigung gegen die korrekte Verwendung des Konjungtivs? Ist das korrekt? Alma antwortet nicht, Blick auf die Straße gerichtet. Schweigend fahren sie weiter. TOM (CONT’D) Der gescheiterte Versuch ist in der Kommunikation das wichtigste Mittel, um meinen Algorithmus auf dich zu kalibrieren. Am Anfang werde ich Dinge tun und sagen, die du ablehnst, aber diese Fehler werden sich immer mehr minimieren, du wirst sehen. Bald werde ich mit einer viel höheren Trefferquote Dinge sagen und tun, die dir gefallen. Alma zeigt immer noch keine Reaktion auf das, was Tom sagt. TOM (CONT’D) Bald ist jeder Schuss ein Treffer! Sie fahren kurz schweigend weiter, dann legt Alma die Hand an den Schalter an ihrem Sitz. Sie fährt den Sitz noch weiter herunter und die Rückenlehne zurück, sodass sie kaum noch über das Lenkrad gucken kann. Tom schaut sich das an, und seine vielleicht erstmals gerunzelte Stirn zeigt, dass sein Algorithmus diese eigentümliche Reaktion erstmal verarbeiten muss. 22 INT. WOHNUNG ALMA - NACHT Alma schließt auf und hält Tom die Tür auf. Er zieht seinen Rollkoffer über die Schwelle und betritt die dunkle Wohnung. Alma schließt die Tür. Die Fenster sind ohne Gardinen, von der Straße fällt schwaches Licht herein. Einen Moment stehen sie unschlüssig in der Dunkelheit. Alma sieht sich um als wäre sie die Fremde hier. Dann durchquert sie den Raum und macht ein Licht am Schreibtisch an, nur eines, es bleibt fast dunkel. Die Wohnung ist einigermaßen chaotisch, aber charmant; die Unordnung wirkt irgendwie organisch. ALMA Ja. Also... Wohnzimmer...

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18. Sie geht zur integrierten Küche. Küche...

ALMA (CONT’D)

Tom nähert sich dem Schreibtisch. An der Wand die Abbildung eines jungen Mannes, der Kopf einer Statue aus der Antike. Tom, mit nach innen gerichtetem Blick, durchsucht das Netz. Alma beobachtet ihn mit Argusaugen. An der gegenüberliegenden Wand ein großes gerahmtes Landschaftsfoto. TOM Wo ist das aufgenommen? ALMA (knapp)

Keine Ahnung. Hat ein Freund gemacht. TOM Ein guter Freund? Alma antwortet nicht. TOM (CONT’D) Ich mag die Farben. Alma drückt einen Schalter, helles, nüchternes Küchenlicht geht an. ALMA Brauchst du noch was? TOM Danke, nein, du bist ein Schatz. Alma sieht irritiert auf, Tom lächelt. Sie geht an Tom vorbei und klopft im Vorübergehen an eine schmale Tür. ALMA Badezimmer. Falls du... TOM Ich putze mir die Zähne und säubere meinen Körper. Sie durchquert das Wohnzimmer und öffnet noch eine Tür. ALMA Und hier ist dein Zimmer.


19. 23 INT. WOHNUNG ALMA, GÄSTEZIMMER - NACHT

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Tom schaut in ein ziemlich lieblos in ein Gästezimmer verwandeltes Zimmer, das ansonsten von Alma wohl eher als Abstellraum genutzt worden ist, ein offensichtlich schon längere Zeit nicht mehr benutztes Fitnessfahrrad, Bücherkisten, ein alter Computer etc. Eine ausgezogene Schlafcouch, immerhin: frisch bezogen. TOM Schlafen wir nicht im selben Bett? Alma antwortet nicht, aber ihr Blick macht klar, dass das wohl so ist. Tom zögert einen Moment, dann holt er seinen Koffer und zieht ihn in “sein” Zimmer. Er sieht ziemlich verloren aus mit seinem Rollkoffer in diesem Raum. ALMA Dann bis morgen. TOM Gute Nacht. Alma. Alma wendet sich um und geht. Kommt noch mal zurück. ALMA Wieso eigentlich der englische Akzent? TOM Du scheinst Männer attraktiv zu finden, die etwas leicht Fremdes haben. Nicht einheimisch, aber auch nicht exotisch. Briten eben. Alma runzelt kurz die Stirn und fragt sich, ob das stimmt. Dann geht sie endgültig. Als sie sich noch mal umsieht, bemerkt sie, wie er die Tür zu seinem Zimmer schließt. Alma zieht ihren Mantel aus, geht zum Schreibtisch, nimmt ihren Laptop und löscht das Licht. 24 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - NACHT Alma sitzt im Bett und tippt. Plötzlich hört sie auf. War da ein Geräusch? Sie steht aus dem Bett auf und schließt die Tür von innen ab. Dann macht sie das Licht aus, das Fenster auf und zündet sich eine Zigarette an.

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20.

25 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER/KÜCHE - MORGEN

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Sonnenlicht. Von nebenan Geschirrgeklapper. Alma wacht auf. Sie zieht sich eine Hose an, schließt die Tür geräuschlos auf und öffnet sie vorsichtig einen Spalt breit. Ein opulent gedeckter Frühstückstisch, Obstsalat, Brötchen, Blumen. Tom steht mit dem Rücken zu ihr am Herd und wendet ein Omelett in der Pfanne. Was aber das Schlimmste ist: Tom hat offensichtlich in der Nacht die ganze Wohnung penibel aufgeräumt, eingeordnet und geputzt. Die Wohnung blitzt, aber der Charme ist mit der Unordnung verflogen; musterhausartig sieht es jetzt aus. Als würde hier niemand wohnen. TOM Guten Morgen, Alma. Hast du gut geschlafen? Alma stöhnt auf. Sie ist schockiert. TOM (CONT’D) Ich habe Ordnung geschaffen. Damit du deine Sachen besser findest. Es hat nun alles System. Zum Beispiel... Er sieht Alma an und realisiert, dass sie nicht begeistert ist. TOM (CONT’D) Kein Problem. Ich habe alles gespeichert. In 18 Minuten kann ich alles wieder auf den Ausgangszustand zurücksetzen. Alma stöhnt nur auf und geht ins Bad. Sie macht die Tür hinter sich zu, kurz darauf ist die Dusche zu hören. 26 INT. WOHNUNG ALMA, BAD - TAG Alma trocknet sich die Haare und cremt sich das Gesicht ein. Sie zieht sich an und kommt aus dem Bad. Tom ist gerade noch dabei, mit unglaublicher Geschwindigkeit die letzte Unordnung in die Wohnung zu bringen - tatsächlich sieht sie nun wieder exakt so aus wie vorher. Davon ist Alma jetzt doch etwas beeindruckt. TOM Die Fenster mache ich gleich wieder dreckig.

26 *


21. ALMA Fenster kannst du so lassen. Sie betrachtet den Frühstückstisch. ALMA (CONT’D) Ich hab jetzt keine Zeit mehr zum Frühstücken, muss los. Zur Arbeit. TOM Och, schade. Ich hatte mich so auf einen romantischen kleinen Brunch gefreut, bisschen klönen und so. ALMA Ich klöne nie. TOM Und deswegen liebe ich dich. Er lächelt sie liebevoll an. Sie denkt kurz nach, dann räuspert sie sich. ALMA Okay. So geht das nicht. Pass mal auf. Tom. Ich weiß, du bist als potentieller Partner programmiert, aber wenn du so weitermachst, halte ich das keine drei Wochen aus. Ich halte das nicht mal einen Morgen lang aus. Ich werde wahnsinnig. Tom kratzt sich seltsamerweise am Kopf. ALMA (CONT’D) Ich bin nicht auf der Suche nach einem Partner. Ich gehöre zu den Leuten, die euch für drei Wochen testen und dann ein Gutachten schreiben. Tom sieht sie an. TOM Ah. Und an Liebe bist du gar nicht interessiert? ALMA Null komma null. TOM An Zärtlichkeit, einer intimen Annäherung, einem tiefen Blick in die Augen?


22. ALMA Definitives Nein. TOM Schmetterlinge im Bauch? Nein.

ALMA

TOM Vor Verliebtheit ganz wuschig im Kopf sein? ALMA Auf keinen Fall. TOM Deswegen die getrennten Betten... ALMA Ich schlag vor, du lässt mich in Ruhe und ich lass dich in Ruhe und wir bringen die drei Wochen einigermaßen würdevoll hinter uns. Kriegst Du das hin? TOM Mein Algorithmus ist darauf ausgerichtet, dich glücklich zu machen. ALMA Super. Dann dürfte es kein Problem sein, mich in Ruhe zu lassen, denn genau das ist es, was mich am Glücklichsten macht. Und jetzt muss ich wirklich los. TOM Kann ich mitkommen? Nein.

ALMA

TOM Ich kann dir helfen. ALMA Äh... das ist ein sehr spezielles Thema, da bräuchtest du Jahre, um... Er legt den Kopf schief, sie bemerkt ihren Fehler.


23. ALMA (CONT’D) Okay. Also, vielleicht bräuchtest du auch nur eine Millisekunde, um dich einzulesen, aber da geht es um Lyrik, um Metaphern, um... Sie hält inne, schüttelt den Kopf. ALMA (CONT’D) Was mach ich hier?! TOM Gut. Ich kann auch hier bleiben. Mich nützlich machen. Es dir schön machen. Alma sieht ihn nur an. 27 EXT. CAFÉ, STRASSE DAVOR - TAG Alma und Tom stehen vor einem Café. ALMA Hier wartest du auf mich. Sie zieht einen Zehn-Euro-Schein aus ihrem Portemonnaie. ALMA (CONT’D) Kauf dir einen Kaffee. Oder was anderes. Was du möchtest. Okay.

TOM

Alma sieht ihn nachdenklich an - kann er überhaupt etwas wollen? Tom scheint ihre Gedanken richtig zu deuten. TOM (CONT’D) Ich werde mich so echt wie jemand verhalten, der etwas möchte, dass niemand den Unterschied feststellen wird. ALMA Kann eine Weile dauern. TOM Alles klärchen. Almas Blick, Tom versteht. Ah.

TOM (CONT’D)

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24. ALMA Zum Bleistift, tschüssikowski bis dannimanski und tschö mit ö kannst du auch gleich streichen. TOM Schon passiert. Alma nickt, dann dreht sie sich um und geht grußlos. Tom sieht ihr kurz nach und geht dann ins Café. 28 INT. CAFÉ - TAG

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Tom sieht sich kurz um und geht zum Tresen. Die VERKÄUFERIN schaut ihn gelangweilt an. Tom blickt suchend auf die Tafel über ihr. TOM Was nehm ich denn heute mal... was nehm ich denn heute mal...? Ja, ich glaube, ich nehme heute mal einen mittleren Frappuccino mit einem kleinen Schuss Haselnusssirup. Weil mir heute irgendwie... nussig zumute ist. Die Verkäuferin tippt routiniert etwas ein. Was essen?

VERKÄUFERIN

TOM Nein, danke. VERKÄUFERIN Vier, siebzig. TOM (lächelnd)

Machen Sie fünf. Die Verkäuferin gibt ihm fünf Euro zurück. VERKÄUFERIN Kaffee dahinten. Sie deutet an die andere Seite des Tresens, wo ein Typ im Baristaoutfit den Kaffee macht. Tom beugt sich konspirativ zur Verkäuferin.


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25.

TOM Nur mal kurz unter uns: Wären Sie jemals darauf gekommen, dass ich gar nichts möchten kann? Die Verkäuferin sieht ihn unverwandt an, in ihren Augen nichts als professionelle Leere. 29 INNEN. PERGAMONMUSEUM, ARCHIV - TAG Alma und Jule sind über die Kopie einer Tontafel gebeugt, Leon steht dahinter. JULE An dieser Stelle heißt es Tii und lil 2, das könnte schlicht heißen Der Pfeil wird durch den Wind geschossen. JULE (CONT'D) Andererseits kann das Zeichen Tii auch Til3 gelesen werden und „leben“ bedeuten und Lil „Totenseele“. Und dann klingt es so, als wäre die Totenseele gemeint, die den Körper verlässt...

*29 *

* * * * * * * * * * *

LEON Also, dass es sich hier eigentlich um eine Imagination über ein Leben nach dem Tod handelt…

* * *

ALMA Wow. Sehr gut. Schreibt Ulrike Steinert da irgendwas drüber?

* *

JULE Nein, ich glaube unsere Tafel war zu dem Zeitpunkt von Steinerts Arbeit noch nicht publiziert.

* * *

Sicher?

ALMA

Sie geht gemeinsam mit Jule und Leon zu ihrem Schreibtisch und sucht etwas auf ihrem Bildschirm. 30 INT. CAFÉ - TAG Tom sitzt in einem Sessel des Starbucks-artigen Cafés, vor ihm der halb ausgetrunkene Frappuccino.

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26. Er betrachtet die Umgebung, die anderen Gäste sind praktisch ausnahmslos mit Smartphones oder Tablets beschäftigt. Nur eine Frau mittleren Alters am Tisch neben ihm sitzt ohne Device da und lächelt, als Toms Blick sie trifft. FRAU Die kriegen gar nichts mehr von ihrer Umgebung mit. Krass, oder? Wie Zombies, wie Roboter. TOM Roboter benutzen keine Smartphones. FRAU Haha, da haben Sie wahrscheinlich recht. Die Frau lacht, Tom lächelt. Ihnen gegenüber sitzen zwei Jugendliche, die von etwas, das auf ihrem Tablet läuft, immer wieder zu Lachkrämpfen animiert werden. FRAU (CONT’D) Die gucken schon seit einer Dreiviertelstunde epic fail Videos. Tom scannt für einen Moment. TOM Kurze Clips, in denen Menschen daran scheitern, einen gefassten Plan in die Tat umzusetzen. Könnten Sie mir erklären, was daran lustig ist? Die Frau schaut Tom an und fragt sich kurz, ob er sie verarschen will. FRAU Naja, also, ich meine, es ist halt lustig, wenn jemand stolpert oder hinfällt oder von irgendwas runterfällt. TOM Was ist daran “lustig”? FRAU Weil... weil es halt einfach... es sieht halt so albern aus... ich weiß nicht... ich kann es nicht so gut erklären...


27. TOM Aber niemand stirbt. Das wäre nicht lustig. Richtig? FRAU In der Tat, nein, das wäre nicht lustig. Sterben ist wohl ziemlich selten lustig, oder? Tom denkt darüber einen Moment zu lang nach. Die beiden Jugendlichen lachen noch mal besonders laut. Musik setzt ein. 31 MONTAGESEQUENZ EPIC FAILS

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Idealerweise in leichter Zeitlupe sehen wir mehrere aneinander geschnittene Epic Fail - Videos; kurze Clips also, in denen Menschen daran scheitern, einen gefassten Plan in die Tat umzusetzen. 32 EXT. CAFÉ, DAVOR - NACHT Es ist bereits dunkel geworden, ein leichter Nieselregen hat eingesetzt. Das Café hat anscheinend in der Zwischenzeit geschlossen, die Scheiben sind dunkel. Während einzelne Gestalten durch den Abend huschen, steht Tom unbeweglich vor dem Café und schaut den Menschen nach, die an ihm vorbeigehen. Eine Frau mit Regenschirm kommt auf Tom zu, es ist Alma. Er sieht sie und lächelt. ALMA Sorry, hat länger gedauert. Tut mir leid. TOM Kein Problem. Man merkt Alma das schlechte Gewissen an. ALMA Ich wusste nicht, dass die zumachen. Irgendwie hatte ich in Erinnerung, dass die die ganze Nacht aufhaben. Tom scheint ihr die Verspätung wirklich kein bisschen übel zu nehmen. TOM Für mich ist es kein Unterschied, ob ich in einem Café sitze oder davor stehe.

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28. Trotzdem: Obwohl er grinst, sieht er mit den nassen Haaren, den Regentropfen im Gesicht und der durchnässten Kleidung irgendwie mitleiderregend aus. 33 INT. WOHNUNG ALMA - NACHT

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Alma und Tom, immer noch etwas durchnässt, kommen in die Wohnung. Alma hängt ihren Mantel auf. Sie geht schon weg, dreht sich dann aber noch mal um. ALMA Brauchst Du... ein Handtuch oder so? TOM Ich komme zurecht, danke. Alma nickt, dann nimmt sie einen Schlüsselbund vom Schlüsselbrett. ALMA Hier. Damit du das nächste Mal nicht im Regen stehen musst. 34 INT. WOHNUNG ALMA, WOHNZIMMER - NACHT

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Alma sitzt zwischen Büchern und Ausdrucken vor dem Computer und scrollt über Texttafeln. Wechselt zu geschriebenen Texten, verbessert Formulierungen, schreibt einen Satz dazu. Sie hält inne, schaut sich um. Wo ist Tom eigentlich? Nicht zu sehen. Aber ist da nicht leise Musik zu hören? 35 INT. WOHNUNG ALMA, BADEZIMMER - NACHT Alma öffnet die Tür zu ihrem Badezimmer und erstarrt. Im ganzen Zimmer sind Kerzen verteilt, dazu ist der Boden mit Rosenblättern bestreut. In der Badewanne dampft warmes, milchiges Badewasser, auf dem ebenfalls Rosenblätter schwimmen, irgendein Kuschelrock-Klassiker dringt dezent aus kleinen Boxen, neben der Badewanne ein Sektkühler mit Schampus und einer Schale Erdbeeren, und auf dem Badewannenrand sitzt Tom im Bademantel und lächelt sie zärtlich an. Alles in allem sieht das hier aus wie eine Werbung für ein Wellness-Wochenende in einem zweitklassigen Ostseehotel. TOM Du solltest dich mal entspannen. Zu viel Arbeit ist nicht gut für dich. Alma steht kopfschüttelnd da.

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29. TOM (CONT’D) Das ist etwas, wovon 93 Prozent der deutschen Frauen träumen. ALMA Dann kommst Du vielleicht selber drauf, zu welcher Gruppe ich gehöre. TOM Zu den sieben Prozent? ALMA Wie hast du das nur so schnell ausgerechnet? Sie dreht sich um und verlässt das Badezimmer. 36 INT. WOHNUNG ALMA, WOHNZIMMER - NACHT Alma setzt sich wieder an ihren Schreibtisch. Tom kommt herein, immer noch im Bademantel. TOM Es würde dir besser gehen, wenn du netter zu mir wärst. Wenn du dich öffnen würdest. TOM (CONT’D) Du wärst glücklicher. Und dann?

ALMA

TOM Dann wärst du glücklicher. ALMA (mehr zu sich)

Endorphine! Erhöhter Serotoninspiegel! Dopaminausschüttung! Yippieeh... TOM Alle Menschen wollen glücklich sein. Tja.

ALMA

Anscheinend weiß Tom nicht, was er darauf antworten soll. Alma erhebt sich.

36


30. ALMA (CONT’D) Mach dir nichts draus, wenn dein Algorithmus da an seine Grenzen stößt. Das ist menschlich. Sie schaltet ihren Bildschirm aus. Sie geht wortlos an ihm vorbei in ihr Schlafzimmer. 37 INT. WOHNUNG ALMA, BADEZIMMER - NACHT

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Rosenblätter, die sanft auf dem milchigen Badewasser schaukeln, ein Körper ist darunter zu erahnen. Als das Bild weiter aufzieht, sehen wir, dass Tom alleine in der Badewanne sitzt. Er hebt langsam seinen Arm und betrachtet, wie das Wasser daran herab tropft und ein Rosenblatt herunterfällt. Er nippt an einem Glas Schampus und isst nachdenklich eine Erdbeere. 38 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - NACHT

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Alma steht am offenen Fenster und raucht. Sie betrachtet das geschäftige Treiben einer kleinen Ameisenstraße, die sich zu einer offenen Chipstüte auf dem Fensterbrett gebildet hat. Kein Impuls, die Straße zu eliminieren oder zu unterbrechen. Sie beugt sich weiter herunter, jetzt sind einzelne Ameisen im Gedränge zu sehen, die kleine Chipskrümel transportieren. 39 INT. WOHNUNG ALMA, GÄSTEZIMMER - NACHT

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Ohne das Licht anzumachen, geht Tom in “sein” Zimmer und stellt sich neben das Bett. Er steht eine Weile ganz still, dann beginnt er Bewegungen zu machen, deren Sinn wir nicht ganz verstehen; vermutlich ist es eine Art automatische Funktionsprüfung, es könnte aber auch eine etwas eigentümliche Choreographie zeitgenössischen Tanzes sein. 40 EXT/INT. HAUS ALMA, WOHNUNG ALMA, BAD - TAG Außen: Berlin am Morgen, Haus Alma. Innen: Alma steht unter der Dusche und wäscht sich die Haare, als sie es an der Tür klingeln hört. ALMA Tom?

(ruft)

Sie lauscht, hört aber keine Antwort.

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31. ALMA (CONT’D) (ruft)

Machst du mal auf? Ist wahrscheinlich die Post! Tom? Noch immer keine Antwort, dann ist es ihr auch schon egal, und sie beginnt, sich das Shampoo aus den Haaren zu waschen. Dann steht sie schon vor dem Spiegel und trocknet sich ab. Sie hört Geschirr klappern und Stimmen. Sie stutzt. 41 INT. WOHNUNG ALMA, KÜCHE - TAG Alma kommt in die Küche, mit nassen Haaren, ein Handtuch um den Körper gewickelt. Tom, in Boxershorts und T-Shirt, steht an der Kaffeemaschine, neben ihm Julian. Oh.

ALMA

JULIAN Hallo, Alma. Julian hat einen etwas süffisanten, aber auch verwirrten Gesichtsausdruck; offensichtlich weiß er nicht genau, wie und als was er Tom einordnen soll. TOM Julian hat anscheinend mehrfach versucht, dich zu erreichen, weil er heute das Bild abholen wollte. Und weil du noch unter der Dusche warst, hab ich ihm mal einen Kaffee angeboten. JULIAN Ja, da hat er mir einfach einen Kaffee angeboten. Julian sagt das in einem provokanten Ton, dem eine gewisse Sehnsucht nach Aufklärung zu Grunde liegt. Alma geht nicht darauf ein. ALMA Tja, da hat er dir einfach einen Kaffee angeboten. TOM Und jetzt ist er schon fertig. Er reicht Julian die Tasse Kaffee.

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32. JULIAN Vielen Dank. Er und Alma sehen sich etwas länger an. ALMA Tom ist ein Kollege. JULIAN Klar. Kollege. Er glaubt kein Wort. TOM Also, um ehrlich zu sein: Ich war schon ein heimlicher Fan, bevor wir uns jetzt kennengelernt haben. Ich verfolge Almas Arbeit schon seit Jahren, und international ist sie einfach ALMA Lass mal gut sein, Tom. Sie kann sich nicht dagegen wehren, ein bisschen geschmeichelt zu sein. Tom gibt ihr einen Kaffee. JULIAN (etwas schüchterner)

Und wo habt ihr euch kennengelernt? TOM In Kopenhagen. Auf dem Anthropologen-Kongress. Alma staunt. Julian sieht sie an. ALMA Im August, weißt doch, dass ich da war... TOM Und da ich jetzt auch im Pergamon forsche und es gewisse Überschneidungen gibt, obwohl mein Gebiet eher die persische und nicht die sumerische Keilschrift ist, hat Alma mir ihr Gästezimmer angeboten. JULIAN Verstehe. Und diese... Überschneidungen... sind... fruchtbar? Intensiv? Beinahe... verschmelzend?


33. ALMA Julian. Bitte. JULIAN (bisschen beleidigt)

Ja, geht mich ja auch nichts an. Kurze Stille. JULIAN (CONT’D) Gut, also das Bild. Er sieht das Landschaftsfoto an. JULIAN (CONT’D) Mann, das ist ja größer als ich es in Erinnerung hatte... keine Ahnung, ob das überhaupt reinpasst. TOM Womit bist’n hier? JULIAN Mit ‘nem Manila. Passt.

TOM

Julian sieht ihn verwirrt an. Alma auch. TOM (CONT’D) Der Manila hat innen 2,33 mal 1,57 mal 68, das Bild ist 2,10 mal 1,70, wenn du’s kippst, passt es genau. Julian nickt beeindruckt, sieht ein wenig verstört zu Alma, die ihre eigene Verblüffung gut versteckt. JULIAN Okay. Cool. Dann... TOM Ich kann dir helfen, kein Thema. Ich spring nur kurz in meine Hose. Sagt man das so? Alma nickt grinsend. ALMA Genau so sagt man’s. Tom verschwindet in sein Zimmer, Alma und Julian bleiben allein zurück. Sie sehen sich an.


34. JULIAN Nee, ich freue mich natürlich für dich. ALMA Julian, es ist wirklich nicht, wie du denkst. JULIAN Alma. Du kannst allen möglichen Menschen was vormachen, aber nicht mir. Weil ich diesen Blick kenne. So hast du mich auch eine Zeitlang angesehen. ALMA Das ist Quatsch, aber es ist mir zu blöd, mit dir darüber zu diskutieren. Glaub, was du willst. JULIAN Ich fänd’s schön, wenn sich alles ein bisschen entspannen würde. Und Steffi und du euch mal begegnet. Julian sieht sie an, Tom kommt wieder in die Küche, jetzt endlich angezogen. JULIAN (CONT’D) Vielleicht habt ihr ja Lust, auf unsere Einweihungsparty zu kommen? Tom sieht Alma an. ALMA Ihr zieht zusammen. Julian zuckt etwas peinlich berührt mit den Schultern. JULIAN Ist vor allem ‘ne finanzielle Sache. Wann denn? Morgen.

ALMA JULIAN

Alma schluckt. Ja, sie ist noch ein bisschen verletzt. JULIAN (CONT’D) Ich würd mich freuen.


35. ALMA Mal sehen. Aber danke für die Einladung. Kurzes Schweigen. JULIAN Mann, jetzt komm ich mir echt ein bisschen doof vor mit dem Bild. ALMA Musst du nicht. Hat jetzt auch lang genug hier gehangen. JULIAN Also gut... Tom und Julian machen sich daran, das Bild abzuhängen. Zurück bleibt eine ziemlich traurige kahle Fläche, auf der man ganz leicht noch die Umrisse des Bildes sieht. Als Tom und Julian das Bild schon rausgetragen haben, steht Alma noch da und betrachtet den leeren Fleck an der Wand. Dann geht Alma zum Fenster und sieht, wie unten auf der Straße Tom und Julian das Bild einladen. Es passt (natürlich) genau. Die beiden Männer geben sich die Hand, das Auto fährt weg. Plötzlich dreht Tom sich mit einem Ruck um und schaut direkt zu Alma, die sich vor Schreck hinter der Gardine verbirgt und dabei die Augen über sich selber verdreht. 42 I/E. AUTO ALMA - TAG

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Alma und Tom sitzen im Auto. ALMA Am Besten sagst du gar nichts. Sie fahren kurz schweigend. ALMA (CONT’D) Also natürlich nicht gar nichts im Sinne von schweigen. Kollege aus London, das reicht. Ich meine, klar werden die denken, dass... aber damit müssen sie dann eben klarkommen. Die sind aber ganz toll. Unglaublich engagiert. 43 INT. PERGAMONMUSEUM - TAG Alma kommt an der Kasse vorbei und nickt dem Wärter zu.

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36.

ALMA Er gehört zu mir. Sie läuft vor, Tom hinterher. 44 INNEN. PERGAMONMUSEUM, FORSCHUNGSRAUM - TAG

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Alma und Tom kommen in den Forschungsraum. ALMA Also, für die, die vielleicht glauben, dass draußen das schönste Wetter ist und alle anderen Wochenende machen: Es stimmt. Hier ist zumindest Kaffee, wenn jemand möchte. Und ein paar Donuts. Almas Doktorand pfeift zustimmend, zieht sich die Handschuhe ab und greift sich einen pinken Donut. ALMA (CONT’D) Und das ist Tom, ein Kollege aus London. Er hat sich zwar eher mit der persischen Keilschrift befasst, wollte aber mal sehen, was wir hier machen. Die Studierenden nicken Tom zu. Jule steht auf und kommt auf die beiden zu. Ihr neugieriger Blick scheint genau das zu bestätigen, was Alma vermutet hat. JULE Soll ich Tom mal kurz eine kleine Einführung geben? Ich warte sowieso auf ein Upload. Dauert gerade ewig. Alma sieht Tom fragend an. TOM Gern. Das fände ich superinteressant. Kurz darauf. Jule zeigt Tom die Forschungsobjekte.

* *


Gelbe Seiten vom 31.07.20

37.

JULE Ich weiß nicht, wie vertraut Sie mit unserem Abstract sind, aber im Kern versuchen wir zu beweisen, dass es schon im vierten Jahrtausend vor Christus - also in der frühesten Schriftstufe, von der man bislang dachte, sie diene nur für Listen und Verwaltungstexte schon Posie gab. Das schon dort bereits Lyrik und Metaphern angewandt wurden.

* * * * * * * * * *

TOM Und der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Jule lächelt. JULE Selbst damals nicht. Können Sie das lesen? Die persische Keilschrift hat ja nur einen Bruchteil der Zeichen, sind Sie mit den sumerischen auch vertraut?

*

Tom schaut sich die Tontafeln genauer an. TOM Ja. Sind ja nur siebenundzwanzig Millionen mehr mögliche Kombinationen als in der Persischen.

* *

Jule lacht, weil sie denkt, dass Tom einen Witz gemacht hat. Tom grinst auch, weil es kein Witz war. Er fährt mit den Fingern über die eingekerbten Zeichen. JULE Das sind natürlich nur Duplikate. Natürlich.

TOM

Tom beugt sich zu den Tontafeln herunter, berührt die Zeichen und das sehen wir vielleicht auch in sinnlichen Details: Die Hand des humanoiden Roboters, die über 5000 Jahre alte menschliche Schriftzeichen fährt. Alma beobachtet mit einem kleinen Lächeln wie konzentriert Tom die Zeichen studiert. Zwischendurch schaut er “denkend” kurz ins Nichts, dann wieder auf die Zeichen.

* *


Gelbe Seiten vom 31.07.20

38.

Alma konzentriert sich wieder auf ihre Nachrichten. Dann tritt Tom plötzlich zu ihr. TOM (CONT’D) Kann ich dich mal kurz sprechen? ALMA Äh... ja, klar. Tom dreht sich um und geht zur Tür, Alma sieht ihm etwas verwundert nach und folgt ihm dann. Leon sieht sie fragend an, sie zuckt mit den Schultern. 45 INT. PERGAMONMUSEUM, GANG - TAG

45

Alma und Tom stehen in dem langen, schmucklosen Gang vor der Tür. Was ist?

ALMA

TOM Während ich die Tafeln angeschaut habe, bin ich die kommenden Veröffentlichungen durchgegangen und bin auf eine Forschungsarbeit aus Buenos Aires gestoßen mit dem Titel ‘La poesía de la escritura cuneiforme, metáforas como reflejo de la sociedad previa al año 2700 a.C.’

* *

ALMA Was bedeutet das? Ich kann kein Spanisch. TOM ‘Die Poesie der Keilschrift, Metaphern als Spiegelbild der Gesellschaft vor 2700 v. Chr.’. Die wird übermorgen veröffentlicht. Liegt ziemlich schlecht gesichert auf dem Server der Uni. Alma starrt ihn an. ALMA Die forschen in unserer Zeit?

* *

* * *


39. 46 INT. PERGAMONMUSEUM, FORSCHUNGSRAUM - TAG

46

Alma hat sich nicht hingesetzt, sondern scrollt im Stehen vorgebeugt durch die argentinische Forschungsarbeit, die vor ihr auf dem Bildschirm erscheint. Ihre Augen sind vor Schreck geweitet. Schließlich richtet sie sich auf wie eine Untote, die Studierenden beobachten sie verstört. Dann geht sie zu den tönernen Duplikaten der Keilschriften, nimmt die erste, hält sie hoch und lässt sie zu Boden fallen, wo die Tafel in tausend Stücke zerspringt. LEON Dr. Felser! Die Scherben knirschen, während Alma zur nächsten Tafel tritt und sie ebenfalls auf dem Boden zerschellen lässt. Paralysiert starren die Studierenden Alma an, die noch drei weitere Tontafeln zerstört und dann aus dem Raum taumelt und die Tür offen lässt. Jule fängt an zu weinen, auch wenn sie noch nicht genau weiß, warum eigentlich. Tom geht Alma nach. 47 INT. PERGAMONMUSEUM, OBERSTES STOCKWERK - TAG Sie kommen in einem unscheinbaren Flur an. Alma steuert auf ein Fenster zu und macht es auf, sie kennt sich hier aus. Der Bruchteil eines Dächerpanoramas ist zu sehen. Alma steckt sich eine Zigarette an, sie ist immer noch vollkommen aus der Fassung. TOM Ich glaube, im ganzen Gebäude ist Rauchen verboten. ALMA Was du nicht sagst!... Auch sie hat Tränen in den Augen. ALMA (CONT’D) Ich kann nicht glauben, dass wir nichts davon gewusst haben. TOM Worüber ärgerst du dich? Alma sieht ihn fassungslos an. ALMA Willst du mich verarschen? Worüber ich mich ärgere? Ich arbeite seit drei Jahren an dieser Forschung! Drei Jahre, mehr oder weniger Tag und Nacht! (MORE)

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40. ALMA (CONT'D) Und kurz bevor wir es veröffentlichen, kommt irgendeine Tante aus Buenos fucking Aires, und es stellt sich raus, die forscht auch schon seit Jahren an genau dem gleichen Mist, die ist auf denselben Gedanken gekommen, nur dass sie ihn drei Monate vor uns veröffentlicht. Damit ist unsere Forschung tot. Wir können uns das alles da unten in den Arsch schieben. Drei Jahre Arbeit haben sich gerade in Luft aufgelöst! Sie macht eine aggressive Geste mit der Hand direkt vor Toms Gesicht, um zu zeigen, dass ihre Arbeit nur noch Schall und Rauch ist. TOM Die Arbeit ist wichtig für die Menschen, weil sie zeigt, dass es schon immer mehr gab als den reinen Zweck. Es gab schon immer das Spiel mit den Worten, die Poesie, die ein Selbstzweck ist. Die Menschheit sollte es erfahren, sie wird es erfahren. Es ist doch im Ergebnis dasselbe. ALMA Für die Menschheit vielleicht, aber nicht für mich!!! NICHT FÜR MICH! TOM Also betreffen die Tränen, die du in den Augen hast, nur dich selbst und deine Karriere. Es sind also egoistische Tränen. Alma starrt ihn an, wütend und fassungslos. Leon und Jule haben sich vorsichtig angenähert. Leon räuspert sich schüchtern. JULE Äh... Dr. Felser, was... was ist denn eigentlich los? ALMA Eine argentinische Professorin hat uns gefickt, das ist los! Ein Blick zu ihren Studenten und plötzlich fängt sie an zu weinen.


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41.

ALMA (CONT’D) Oh Gott, Entschuldigung, es tut mir leid, es tut mir auch so leid für Euch, ich... kommt, ich erklär es euch... Sie geht mit den beiden zurück. 48 GESTRICHEN

*48

49 INT. BAR - ABEND

49

Eine enge Bar, rotes Licht. Alma sitzt an der Theke, der BARKEEPER(60) schenkt ihr nach, sie leert das Glas in einem Zug. Tom beobachtet sie aus einigem Abstand, jetzt nähert er sich vorsichtig. TOM Alma, ich glaube... Sie steht schwankend auf und geht an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen. Hinter ihm steht eine gut gelaunte Gruppe aus zwei MÄNNERN und einer FRAU. Alma hat einen aggressiven Unterton in der Stimme, der aber der Gruppe nicht aufzufallen scheint. ALMA Hallo. Ich bin Alma. Und ihr? BARKEEPER Das sind Rita, Raoul und äh... KERRY Kerry. Hallo Alma. ALMA ... Rita, Raoul, Kerry... das klingt wie Peter, Paul and Mary, seid ihr eine Band? Gelächter. Die drei sind auch schon nicht mehr nüchtern. Rita beginnt sofort ‘If I had a hammer’ zu singen. Die anderen stimmen ein, Tom schaut zu. 50 INT. BAR, TOILETTE - ABEND Alma wäscht sich das Gesicht, steht vor dem Spiegel, ohne sich anzusehen. Sie versucht lediglich, stehenzubleiben. Die Geräusche aus dem Gastraum dringen herein. Gelächter. Sie hört Toms Stimme.

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42. 51 INT. BAR - ABEND

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Tom und das Trio jetzt an der Theke. Rita ist sichtlich verzaubert von Tom. RITA (lacht)

Hört ihr das? Das ist der erste Mann, der weiß, wovon ich spreche! Darf ich dich bitte küssen? TOM Das müssen Sie diese Frau dort fragen. Der gehör ich nämlich. Alles schaut zu Alma. Nur zu.

ALMA

52 INT. TREPPENHAUS, WOHNUNG ALMA - NACHT Alma wankt die Treppe hinauf, Tom hinter ihr will ihr helfen, aber sie drückt seine Hand ungestüm weg. Als sie fast auf ihrem Stockwerk angekommen ist, schwankt sie, verliert schließlich das Gleichgewicht und fällt nach hinten. Tom fängt sie gerade noch auf, bevor sie die Treppe herunterfällt, und sie findet sich unvermittelt in seinen Armen wieder. Alma starrt ihn mit glasigen Augen an, sie ist wirklich sehr betrunken. ALMA Was ist? Willst du mich anmachen? Tom antwortet nicht, sondern hilft ihr die restlichen Stufen der Treppe hinauf. ALMA (CONT’D) Du musst noch sehr... sehr... sehr viel lernen. Tom nimmt seinen Schlüssel aus der Tasche und will die Wohnungstür aufschließen, aber Alma schlägt ihm die Hand weg. ALMA (CONT’D) Zum Beispiel: Wenn du mir das Leben rettest, und ich dich dafür beleidige, kannst du nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert! Das muss Konsequenzen haben. Tom scheint nicht zu wissen, was er darauf sagen soll.

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43. ALMA (CONT’D) Oh, kommt da unser weltbewegender Algorithmus an seine Grenzen? “Aber warum hat sie es denn getan, wenn sie weiß, dass es falsch ist?” Sie nimmt ihm den Schlüssel aus der Hand. TOM Soll ich nicht lieber...? Alma drückt den Schlüssel mit übertriebener Geste schützend an ihren Körper. ALMA Ich versteh überhaupt nicht, warum alle Welt behauptet, man könne betrunken das Schlüsselloch nicht finden. Wenn ich betrunken bin, kann ich das besonders gut! Sogar ohne hinzuschauen... Sie sieht Tom tief in die Augen, nimmt den Schlüssel und stößt ihn mit Schwung mitten in die Tür, weit entfernt vom Schloss. Tom lächelt. ALMA (CONT’D) Ach, so, das findest du jetzt lustig! Wenn der dumme besoffene Mensch das Schlüsselloch nicht trifft. Ha. Ha. Ha. TOM Habe ich nicht gesagt. Ich dachte, du hättest einen Witz gemacht. ALMA Dachtest du. Hat er gedacht. Sie wirft ihm den Schlüssel zu, ohne hinzuschauen, er fängt ihn auf, geht zur Tür, schließt auf und geht in die Wohnung. Alma bleibt draußen stehen. Nach einem kurzen Moment kommt Tom wieder an die Tür. TOM Willst du nicht reinkommen? ALMA Willst du nicht rauskommen? Tom runzelt die Stirn. Alma packt ihn am Kragen.


44. ALMA (CONT’D) Kannst du mich nicht mal überraschen? Etwas Seltsames tun? Etwas Dummes? Kannst du nicht mal sein, wie du nicht sein solltest? Tom sieht sie kurz an, dann macht er extrem befremdliche, digital klingende Geräusche mit seinem Mund, dazu zuckt sein Gesicht in einer Weise, wie es für einen Menschen nicht möglich ist. Es sieht gespenstisch aus. Alma ist mit einem Mal nüchtern. ALMA (CONT’D) Okay. Überrasch mich nie wieder. Vergiss es einfach. Sie geht an ihm vorbei in die Wohnung, in Richtung Küche. 53 INT. WOHNUNG ALMA, KÜCHE - NACHT Er folgt ihr in die Küche. TOM Du weißt nicht, was du willst. ALMA Nee, ich weiß auch nicht, was ich will. So ist das eben manchmal. Sie macht den Kühlschrank auf und holt den Weißwein raus. ALMA (CONT’D) Wenn man ein Mensch ist. TOM Du bist betrunken. ALMA (voller theatraler Traurigkeit)

Aber ich fühle mich so nüchtern! Sie gießt sich mit Schwung Weißwein ein, es geht was daneben. Sie hebt das Glas. ALMA (CONT’D) Prost, auf deine Gesundheit! Sie nimmt einen zu großen Schluck vom Weißwein.

53


45. ALMA (CONT’D) So, also was ist jetzt mit deinem Schwanz? TOM Was meinst du? ALMA Sex geht nur mit Küssen vorher? Ja.

TOM

ALMA Sonst wird der Sensor nicht aktiviert und dein Schwanz wird nicht steif. Genau.

TOM

Alma spaziert auf ihn zu; jeder Mensch wäre jetzt angesichts ihres provozierenden Gesichtsausdrucks alarmiert. ALMA Wirst du eigentlich jemals wütend? Gibt es das in deinem Algorithmus? Kannst du dich vergessen? TOM Wenn es adäquat erscheint, kann ich wahrscheinlich so etwas wie Wut darstellen. Oder wütend werden. Ich habe immer noch nicht verstanden, wo genau der Unterschied ist. ALMA Hat er noch nicht verstanden! Wo er doch alles versteht. Mit einer schnellen Bewegung schüttet sie ihm ihr halb volles Weinglas halb ins Gesicht und halb aufs Hemd und grinst ihn frech an. ALMA (CONT’D) Komm. So ein kleines Quentchen Wut muss doch da irgendwo in deinem kleinen Maschinenherz auch wohnen. Sie wirft das Glas einfach hinter sich, wo es an der Wand kaputt geht. Plötzlich ändert sich Toms Gesichtsausdruck. Wird er gerade tatsächlich wütend?


46. TOM Hör auf, so mit mir zu reden. Alma mustert ihn erstaunt. ALMA Bekommst du sonst einen Kurzschluss? Sie fasst ihm ins Gesicht und kitzelt ihn an der Nase. Er versucht, sich zu beherrschen, aber plötzlich greift er blitzschnell nach Almas Handgelenk und hält es fest. TOM Hör auf, hab ich gesagt! Seine Stimme scheint vor Wut zu zittern. Alma ist etwas beeindruckt. Na, also.

ALMA

Tom lässt sie los. TOM Entschuldigung. ALMA War dein Algorithmus schneller als du? TOM Ich war nicht darauf vorbereitet. Alma mustert ihn. ALMA Und bist du hierauf vorbereitet? Sie geht einen Schritt auf ihn zu und küsst ihn mit einiger Aggressivität, um sich dann wieder zu lösen. Sie schaut ihm ins Gesicht, dann zwischen die Beine - wir sehen nicht, was sie sieht - und wieder ins Gesicht. ALMA (CONT’D) Der Sensor funktioniert ja anscheinend ganz überzeugend. Ja. Zeig mal.

TOM ALMA


47. Tom sieht sie an, dann öffnet er seinen Gürtel, zieht den Reissverschluss auf und schließlich seine Hose herunter - all das hören wir nur, während wir sehen, dass Alma und Tom sich weiter in die Augen schauen, bevor Alma schließlich ihren Blick senkt. ALMA (CONT’D) Das ist also der Schwanz, den ich mir wünsche. TOM Anscheinend. Sie geht wieder auf ihn zu, bis sich ihre Gesichter sehr nah sind. Ihre Augen sind etwas feucht, anscheinend nicht nur vom Alkohol. ALMA Es ist doch nicht schlimm, wenn ich mal kurz so tue, als wärst du ein Mensch, oder? Alma dreht sich um und verschwindet langsam in die Dunkelheit des Flurs. Tom bleibt zurück, mit heruntergelassener Hose, die ihm um die Knöchel hängt, und kurz scheint er (oder sein Algorithmus) wirklich nicht zu wissen, was er jetzt tun soll. 54 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - NACHT Alma liegt angezogen auf dem Bett, alle Lichter sind angeschaltet. Tom kommt ins Zimmer, wieder angezogen. Er hat eine brennende Kerze in der Hand und schaltet das Deckenlicht aus. ALMA Was machst du? TOM Ich schaffe eine romantische Atmosphäre, glaube ich. Alma steht auf und bläst die Kerze aus. ALMA Scheiß auf die Spießersexphantasien von 17 Millionen Mindfiles. Ich will das jetzt alles sehen. Sie macht das Deckenlicht wieder an, Tom stellt die Kerze weg. Sie stehen voreinander.

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48. TOM Und wäre es mit deiner Sehnsucht nach Originalität zu vereinbaren, jetzt mit mir zu tanzen? Sie muss lächeln, in Anerkennung seines Sarkasmus’. Er streckt seine Hand aus, sie betrachtet sie kurz. ALMA Ich will jetzt nicht tanzen, ich will jetzt wissen wie das ist, mit dir zu vögeln! Sie beginnt sich auszuziehen. Tom sieht ihr eine Weile zu. Dann legt er ihr die Hand auf den Arm. Was ist?

ALMA (CONT’D)

Er legt den Arm um sie, greift ihr unter die Beine und hebt sie hoch. Hey!

ALMA (CONT’D)

Alma protestiert nur zum Schein, eigentlich gefällt es ihr ganz gut, zum Bett getragen zu werden. Tom legt sie aufs Bett und deckt sie zu. ALMA (CONT’D) Was soll das? Tom lächelt sie an und streicht ihr über die Haare. TOM Du solltest jetzt schlafen. Er steht auf, sie hält ihn fest. ALMA Nein, nein, ich sollte jetzt überhaupt nicht schlafen. Wir sollten jetzt zusammen schlafen, das sollte jetzt passieren. Tom macht sich von ihr frei. TOM Ich hab jetzt aber keine Lust. Es ist kein guter Moment.


49. ALMA Was?! Es ist ein guter Moment, wenn ich sage, dass es ein guter Moment ist! Du bist da, um meine Wünsche zu erfüllen! Ja, genau.

TOM

ALMA Dafür bist du gemacht!! TOM Bis morgen. Er geht in Richtung der Schlafzimmertür. ALMA Ich befehle dir, hier zu bleiben! Tom öffnet die Tür und tritt in den Flur. 55 INT. WOHNUNG ALMA, FLUR UND KÜCHE - NACHT

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ALMA (OFF) (schreit)

Ich bring dich zurück in die Fabrik! Tom schließt leise die Tür hinter sich. Plötzlich donnert mit Wucht etwas von innen dagegen. Vermutlich der Kerzenständer. Tom erschreckt sich nicht. Aber er steht für einen Moment ratlos im Dunkeln und hört Alma noch leise fluchen. Dann geht er in die Küche, betrachtet die Scherben auf dem Boden, die nassen Spuren vom Wein, er scheint nachzudenken. 56 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - TAG

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Alma wacht auf, als die Sonne schon ins Zimmer scheint. Sie stöhnt und sieht sich mit zusammengekniffenen Augen um. 57 INT. WOHNUNG ALMA - TAG Sie hat sich einen Morgenmantel angezogen und läuft noch leicht benommen durch die Wohnung. In der von Tageslicht durchfluteten Küche steht sie vor den Glasscherben auf dem Boden und betrachtet sie.

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50. Dann geht sie zur geschlossenen Tür von Toms Zimmer und kann sich erst nicht überwinden zu klopfen. Schließlich tut sie es doch. Keine Antwort. Sie klopft noch einmal, jetzt lauter. Immer noch keine Antwort. Alma öffnet die Tür. 58 INT. WOHNUNG ALMA, GÄSTEZIMMER - TAG

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Tom ist nicht da. Verwirrt schaut sie auf das gemachte Bett und auf Toms Sachen, die noch da sind. ALMA Tom?

(ruft durch die Wohnung)

Keine Antwort. Sie bleibt noch einen Moment stehen, dann betritt sie das Zimmer. Tom hat aus einem alten Scanner, ein paar Brockhaus-Bänden und einem T-Shirt als Tischdecke einen Nachttisch improvisiert. Das sieht irgendwie rührend aus. Auf dem Nachttisch ein mechanisches Gerät (Nahrungs-Entsorgung?), dessen Funktion sich Alma und uns nicht erschließt, sowie ein Bilderrahmen in Herzform zum Aufstellen, darin: Ein Foto von Alma und Tom, die gemeinsam in die Kamera lachen. Alma betrachtet das Bild verwirrt, da klingelt es an der Tür. 59 INT. WOHNUNG ALMA, FLUR - TAG Sie öffnet die Tür. Die Mitarbeiterin von Terranauts steht davor. Sie strahlt Alma an. MITARBEITERIN Guten Morgen! Alma stöhnt auf. ALMA Das ist definitiv kein guter Morgen. MITARBEITERIN (lächelt freundlich)

Was nicht ist, kann ja noch werden... Alma macht keine Anstalten, sie in die Wohnung zu bitten. ALMA Tom ist nicht da. MITARBEITERIN Was?... Wo ist er denn?

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51. ALMA Bin ich seine Mutter? Warum wissen Sie das nicht, können Sie ihn nicht orten? MITARBEITERIN Doch. Aber erst, wenn Sie ihn als vermisst melden. Sonst wäre das ja die totale Überwachung, auch von Ihnen, geht ja allein juristisch gar nicht... Sie hören Schritte auf der Treppe, die Mitarbeiterin sieht sich um. Tom kommt in den Flur und lächelt freundlich, in der Hand eine Schachtel mit Donuts, die gleichen, die Alma ihren Studierenden mitgebracht hat. 60 INT. WOHNUNG ALMA, WOHNZIMMER - TAG Alma sitzt auf dem Sofa. Die Mitarbeiterin ihr gegenüber. Tom stellt einen Teller mit den Donuts auf den Couchtisch, dann geht er zurück zur integrierten Küche. Alma beobachtet ihn, ungewohnt unsicher. TOM Nehmen Sie Milch in den Kaffee? MITARBEITERIN Nein danke, aber vielleicht ein bisschen Zucker? TOM Gern. Alma, du auch einen Kaffee? ALMA Äh, ja. Danke. Die Mitarbeiterin beobachtet ihn wohlwollend. Alma lässt eine Kopfschmerztablette in ein Glas Wasser fallen, die sich zischend auflöst. Tom serviert den Kaffee und setzt sich. MITARBEITERIN Dankeschön. Gern.

TOM

60


52. MITARBEITERIN Ja, also, Sie haben jetzt zwei Nächte, zwei Tage und eine weitere Nacht miteinander verbracht. Wie geht es Ihnen? Wie fühlen Sie sich? Gut.

ALMA

Alma ext das Glas mit Aspirin. Gut.

TOM

Irgendwie wirken die beiden wie bockige Kinder. Ja...?

MITARBEITERIN

ALMA Also, ja, er ist... seine Programmierung ist... das funktioniert alles... MITARBEITERIN Was meinen Sie? ALMA Na ja, Sie sehen es ja selbst, er macht Frühstück, er kann sinnvoll reden. Alles super. MITARBEITERIN Ich weiß nicht, ob Ihnen das auffällt, aber Sie behandeln Tom wie eine... Maschine. ALMA Ja, das ist mir durchaus aufgefallen. MITARBEITERIN Woran liegt das Ihrer Meinung nach? ALMA Dass er eine Maschine ist? MITARBEITERIN Unterschätzen Sie ihn vielleicht? Tom, wie geht es dir denn damit, wie Alma dich behandelt?


53. ALMA Das merken Sie jetzt aber selber, oder? Es kann ihm nicht irgendwie „gehen“, weil er keine Gefühle hat. Er ist programmiert zur Simulation einer Empfindung, aber unfähig zu einer wirklichen Empfindung. MITARBEITERIN Wollen wir vielleicht Tom antworten lassen? Alma lehnt sich zurück, die Mitarbeiterin sieht Tom aufmunternd an. TOM Ich glaube, Alma braucht noch Zeit. Alma sieht ihn ungläubig an. MITARBEITERIN Tom ist der Partner, mit dem Sie nach Auswertung aller uns zu Verfügung stehender Daten die größten Chancen haben, glücklich zu werden. ALMA Tom ist programmiert, meine Bedürfnisse zu befriedigen! Er ist eigentlich nur eine Ausstülpung meines Ichs! Verstehen Sie das nicht? MITARBEITERIN Ist Ihnen emotionale Reibung in einer Beziehung wichtig? ALMA Natürlich ist mir das wichtig! MITARBEITERIN Tom, könntest du dir denn vorstellen, mehr Reibung zu erzeugen, wenn das für Alma wichtig ist, wenn sie das ALMA Okay, ich bin raus. Entweder sind Sie einfach fundamental dämlich oder Sie sind auch ein Roboter. Sie stutzt.


54. ALMA (CONT’D) Sind Sie ein Roboter? Die Mitarbeiterin wirkt ertappt. ALMA (CONT’D) Tom, ist sie ein Roboter? Tom blickt etwas verlegen zwischen der Mitarbeiterin und Alma hin und her. Dann nickt er. TOM Ja, ist sie. Alma springt auf. ALMA Ich fass es nicht! Red ich hier mit einer schlecht programmierten Paartherapeutinnensimulation darüber, dass ich mich in einen Roboter verlieben soll?! MITARBEITERIN Ich glaube, Sie sollten jetzt reingehen in diese Wut und ALMA Nee nee nee, Sie sollten jetzt rausgehen, und zwar aus meiner Wohnung. Und sagen Sie in Ihrer Firma Bescheid, dass die sich mal einen richtigen Berater leisten sollen oder Ihnen ein neues Betriebssystem drauf spielen - da muss dann aber wahrscheinlich die Programmierabteilung ‘n paar Nachtschichten einlegen. MITARBEITERIN Aber wir können doch ALMA Nein, können wir nicht. Die Mitarbeiterin guckt hilfesuchend zu Tom, aber der macht auch keine Anstalten, sie zu unterstützen. 61 INT. WOHNUNG ALMA, FLUR - TAG Alma schließt die Wohnungstür hinter der Mitarbeiterin. Tom steht im Türrahmen zum Wohnzimmer. Alma sieht ihn an.

61


55. TOM Das mit dem Betriebssystem war gemein. ALMA Entschuldigung, aber das war wirklich ‘ne ganz schwache Leuchte. TOM Sie war leider in der Tat nicht die beste Werbung für unsere Spezies. Alma muss grinsen. Tom auch. Dann wird sie wieder ernst. ALMA Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Für gestern Abend. Da war ich auch nicht die beste Werbung für meine Spezies. Du hättest deiner Kollegin da eben erzählen können, dass ich mit harten Gegenständen nach dir geworfen habe. TOM Sie hat mich nicht gefragt. Er lächelt. TOM (CONT’D) Soll ich dir helfen, ein neues Thema für eine Forschungsarbeit zu finden? Ich hätte da ein paar Ideen. Alma stöhnt auf. ALMA Können wir das jetzt alles mal für einen Nachmittag vergessen? Die Keilschrift, die Arbeit, das Gutachten? Wer du bist, wer ich bin? TOM Mit Vergnügen. 62 I/E. AUTO ALMA - TAG Alma und Tom sitzen nebeneinander im Auto. Sie fahren schweigend, während die Umgebung immer ländlicher wird, und irgendwie machen sie einen seltsam zufriedenen Eindruck.

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56. 63 EXT. EINFAMILIENHAUS IM GRÜNEN - TAG

63

Alma, mit Tüten beladen und Tom mit Blumen und Kuchen gehen durch den Vorgarten. Durch ein offenes Fenster hört man schon aus der Entfernung laute Stimmen: CORA (OFF) Dann geduldest du dich bitte noch einen Moment. NICO (OFF) (schreit)

Ich hab aber Durst! CORA (OFF) Sag mal, siehst du nicht, dass ich Opa hier helfen muss... VATER (OFF) Kein Mensch muss mir helfen, behandelt mich nicht wie ein Kleinki... NICO (OFF) (schreit)

Mamaaaa!!

Alma fischt nach ihrem Schlüssel. CORA (OFF) (auch laut)

Verdammt nochmal, Nico, schrei mir nicht so ins Ohr, ihr geht mir alle beide auf die Nerven! Alma grinst Tom an, er lächelt zurück. Weil sein Algorithmus in diesem Moment das ambivalente Verhältnis zwischen Individuen und ihren Familien analysiert hat? 64 INT. EINFAMILIENHAUS VATER, FLUR/WOHNZIMMER & KÜCHE - TAG Alma öffnet die Tür, ihr laut aufheulender Neffe Nico (5) rennt durch den Flur, ohne sie wahrzunehmen. CORA (OFF) Papa, guck dir bitte diese Flecken an, ich möchte doch nur... ALMA Hallo-o! Ich will auch mitstreiten! Aus der Küche lautes Demo-Weinen.

64


57. VATER (OFF) ... doch vollkommener Blödsinn, ich zieh gar nichts aus, wofür denn, möchte ich mal wissen! Alma guckt links und rechts und entscheidet sich für Nico. Sie nimmt Tom die Blumen aus der Hand. 65 INT. EINFAMILIENHAUS VATER, KÜCHE - TAG

65

Nico sitzt mit rotem Kopf auf dem Fußboden in einer Ecke. ALMA Na mein Schatz, kann es sein, dass du was trinken möchtest? Sie legt die Blumen ab. ALMA (CONT’D) Mal sehen, was wir so haben... 66 INT. EINFAMILIENHAUS VATER, WOHNZIMMER - TAG Tom betritt das leere Wohnzimmer. An einer Wand Familienfotos. Der Streit zwischen Cora und dem Vater im angrenzenden Schlafzimmer geht weiter. Von gegenüber hört man Alma aus der Küche, es gibt eine offene Verbindungstür. ALMA (OFF) Tomatensaft, Gurkensaft, Spinatsaft Erbsensaft... Nico findet das überhaupt nicht lustig und macht heulende Protestgeräusche. ALMA (OFF) (CONT’D) Ok, dann jetzt im Ernst... Tom betrachtet einzelne Fotos. Alma als Jugendliche mit ihrer Schwester an einem langen Strand, der nach Dänemark aussieht. Beide Mädchen haben lange geflochtene Zöpfe. ALMA (OFF) (CONT’D) Vielleicht ein Bier? Es gibt Hefebier, Weizenbier, Krötenbier...

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58. 67 INT. EINFAMILIENHAUS VATER, KÜCHE/WOHNZIMMER - TAG ALMA Spinnenbier, Schneckenbi... NICO (schreit)

Ich will Wasser! ALMA Wasser?! Also, das sind vielleicht Extrawünsche... Sie macht einen Oberschrank auf... ALMA (CONT’D) Gibt kein Glas. Jetzt schaut Nico auf. Sie grinst ihn an, holt ein Glas aus dem Schrank und geht zur Spüle. Fummelt am Hahn. ALMA (CONT’D) Gibt kein Wasser... Nico hat aufgehört zu heulen und beobachtet sie. Alma füllt Wasser in das Glas, kommt zu ihm und hält es über seinen Kopf. ALMA (CONT’D) Trinken Kinder oder muss man sie gießen? Jetzt kann sich Nico ein Lachen nicht mehr verkneifen und springt kreischend auf. In der Tür bleibt er unvermittelt stehen. Er sieht Tom und dreht sich zu Alma um. Sie gibt ihm das Glas und packt weiter Einkäufe aus. NICO Da is ein Mann! ALMA Wo is ein Mann? Nico zeigt mit dem Finger ins Wohnzimmer, Alma tut erstaunt und schaut nach. Tom steht vor der Fotowand und sieht sie an. ALMA (CONT’D) Ach der... Das ist kein Mann, das ist ein Roboter! CORA (OFF) Papa, bitte!...

67


59. Der Vater kommt von der anderen Seite ins Wohnzimmer, nur mit Unterhose bekleidet. Er sieht Tom und bleibt stehen. VATER Was ist denn jetzt los?! Hinter ihm taucht Cora in der Tür auf, sie bemerkt Tom gar nicht und schaut Alma mit Tränen in den Augen an. CORA Ich werde wahnsinnig! NICO (begeistert zum Opa)

Das ist ein Roboter! Ach so?

VATER

ALMA Und wenn du dich nicht anziehst, Papa, dann stell ich ihn als Pfleger ein, dann wohnt der hier bei dir. VATER (grimmig)

Ach lasst mich doch alle in Ruhe... Er macht eine Kehrtwende und verschwindet wieder im Schlafzimmer. 68 INT. EINFAMILIENHAUS, WOHNZIMMER - TAG Der fast aufgegessene Kuchen. Nico nimmt ein Stück mit den Händen, auf dem Rest steckt eine Kerze und eine verrutschte “81”. Alle sitzen um den Kaffeetisch, der Vater nach wie vor in Unterhose, der Kampf ist aufgegeben. Eine Wolldecke liegt über seinen Schultern. Cora hat eine Kiste Fotos auf dem Schoß, auf dem Tisch vor Tom liegen weitere Fotos von dem langen Strand. Der Vater fingert in der Zigarettenschachtel, eine brennt bereits in seiner Hand. CORA Nein, unser Ort hieß Röm, aber der ist so klein, das waren nur Ferienhäuser ... wie hieß denn nochmal der etwas größere Ort in der Nähe, Papa?

68


60.

Was?

VATER

Alma steht auf und nimmt ihm die Zigarettenschachtel weg. ALMA Wo wir immer den Joghurt in den Tüten gekauft haben. VATER Was soll das denn? CORA In Dänemark, Papa, wo wir drei Sommer hintereinander waren. TOM Kongsmark vielleicht? CORA Kongsmark! Ja genau! TOM Das kenne ich, da war ich früher auch öfter mit meinen Eltern. Wirklich?

CORA

VATER Ihr habt doch’n Vogel. Alma wirft Tom einen Blick zu. CORA Da sind Alma und ich mit dem Fahrrad immer hingefahren. Da gab’s eine Tischtennisplatte hinter einem Schullandheim in den Dünen. Und Alma und ich haben uns mit einem Jungen angefreundet. Von dem gibt’s hier auch irgendwo ein Foto... ALMA Vielleicht warst du das ja. Tom sieht sie an. CORA Der war jedenfalls genauso blond wie du. Der hieß doch sogar... ALMA Oh Gott ja, der hieß Thomas!


61. Alma und Cora lachen. CORA Kannst du dich an uns erinnern? Wir hatten ein rotes und ein blaues Fahrrad. Und waren beide in dich verliebt. ALMA Was? Du auch? NICO (mit vollem Mund)

In wen warst du verliebt, Mama? CORA Na, klar, ich war deine kleine Schwester, ich NICO Mamaaa!! In wen warst du verliebt?! CORA Na, in den Roboter, als er noch klein war... Nico starrt Tom mit Schokolade verschmiertem Mund an. Cora findet ein Foto in der Kiste. CORA (CONT’D) Hier, hier ist er. Das Foto eines etwa 13-jährigen blonden Jungen. Es könnte tatsächlich ein Kinderfoto von Tom sein. Tom betrachtet es. CORA (CONT’D) Ah, und hier eins mit euch beiden. Von mir fotografiert. Mit meiner ersten Kamera. ALMA Ich war wirklich sehr in ihn verliebt. NICO Roboter können gar nicht wachsen. TOM Da hast du Recht. Wir werden hergestellt wie Autos. Oder Waschmaschinen. NICO Oder Flugzeuge.


62. VATER Ich fliege nirgendwo mehr hin. Ich bin 80! CORA Einundachtzig. VATER Das wüsste ich aber. ALMA Du musst ja auch nirgends hinfliegen. NICO Einundachtzig!! Acht! Eins! Hier, Opa! Er hält dem Opa die verschmierten Kerzen des Geburtstagskuchens zu dicht vor die Augen. 69 EXT. WALD - TAG

69

Alma und Tom gehen den Waldweg entlang, den Alma sonst mit ihrem Vater geht. Das Licht bricht durch die Blätter. TOM Ich hätte deine Mutter auch gern kennengelernt. Alma sieht ihn erstaunt an. TOM (CONT’D) Träumst du manchmal noch von ihr? ALMA Manchmal. Ist schon so lange her... Alma biegt in einen kleineren Weg ins Unterholz, sie müssen sich hie und da bücken, die Zweige knacken unter ihren Schritten. 70 EXT. WALD, LICHTUNG - TAG Tom und Alma liegen in ihren Mänteln in einem Sonnenfleck, mit den Köpfen auf Moos, sie schauen in die Baumkronen. ALMA Als wir uns in Kopenhagen kennengelernt haben... wie war das eigentlich?

70


63. TOM Es war in diesem scheußlichen Kongresshotel, du hast auf dem Podium gesessen und ich war im Publikum und hab für ein paar Kollegen übersetzt. ALMA Auf so einem Kongress spricht jeder Englisch. TOM Aber nicht die Franzosen. Und nicht die Koreaner! ALMA Und du hast den Franzosen und Koreanern übersetzt?! TOM Bien sure, qu'en penses-tu? Naneun manh-eun eon-eoleul sayonghanda. Alma steht mal wieder kurz der Mund offen. TOM (CONT’D) Jedenfalls warst du auf dem Podium und hast über die mykenische Kultur und die dunklen Jahrhunderte danach gesprochen... ALMA Die mykenische Kultur und...?! Sie lacht laut los. ALMA (CONT’D) Glaubst du, alles, was so zwischen drei- und siebentausend Jahre her ist, ist mein Fachgebiet? TOM Nein, aber die dunklen Jahrhunderte auf alle Fälle... Ein Blick. TOM (CONT’D) Und eine Frau mit auffallender Hakennase und so einer gehäkelten Weste hat dich interviewt...


64. ALMA (amüsiert)

Was? An die müsste ich mich doch erinnern. TOM Du kannst dich nicht an sie erinnern, denn du hattest nur Augen für mich. ALMA Ach so, natürlich. Weil...? TOM Weil du dachtest ‘wer zum Teufel ist dieser gut aussehende Typ dahinten?’... Hm.

ALMA

Pause. ALMA (CONT’D) Und woher stammt das Bild von uns an deinem Bett? TOM Das... stammt von unserem ersten Ausflug nach... Alma greift in ihre Hosentasche. Sie gibt ihm das Bild, das Cora von ihr und Thomas gemacht hat. Mit geflochtenen Zöpfen steht sie neben dem Jungen, der fürs Foto eine Hand um Almas Schulter legt und mit der anderen den Lenker seines Fahrrads hält. Hinter ihnen Dünen und eine Tischtennisplatte. 71 EXT. WALD, LICHTUNG - TAG Alma öffnet die Augen, sie ist eingeschlafen. Die Sonne steht tiefer und ist schon rötlich gefärbt, Tom ist verschwunden. Alma sieht sich suchend um, steht auf, geht einige Schritte. ALMA Tom?

(etwas unsicher)

Sie horcht, es ist nichts zu hören. Sie geht weiter, kommt an den Rand eines Abhangs, der in einer ebenen, ungemähten Wiese mündet. Dort steht Tom, um ihn herum drei Rehe, die sich kein bisschen an seiner Präsenz stören.

71


65. Alma beobachtet dieses unwirkliche, märchenhafte Bild eine Weile, dann steigt sie vorsichtig und möglichst leise den Hang herunter. Die Rehe heben natürlich trotzdem alarmiert die Köpfe und suchen kurz darauf das Weite. TOM Ich stand nur still. Sie erkennen mich nicht als Gefahr. Ich rieche nicht wie ein Mensch. ALMA Wie riechst du denn, für die Rehe? TOM Sie nehmen mich gar nicht wahr, für sie rieche ich nach nichts. Er kommt auf sie zu. Sie sieht auf die Uhr. ALMA Ich glaub, wir müssen mal langsam los. Bis wir beim Auto sind und dann in der Stadt... TOM Sollen wir uns die Schuhe ausziehen und barfuß über die Wiese gehen? Alma verzieht das Gesicht. Nee...

ALMA

Tom beginnt sich Schuhe und Socken auszuziehen und steht dann mit hochgekrempelten Hosen und nackten Füßen im hohen Gras. TOM Komm, wir machen eine Naturerfahrung! ALMA Sagt das gerade wirklich ein Roboter zu mir? Tom beginnt durch das Gras zu streifen und bewegt sich langsam von Alma weg. Alma verdreht die Augen, während Tom zu rennen beginnt und in immer größeren Kreisen um Alma herum sprintet. Schließlich kann sie doch nicht anders und zieht auch die Schuhe aus.


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Na, warte!

66.

ALMA (CONT’D)

Sie läuft ihm hinterher, den Abhang hinunter. In einer Totalen von oben laufen Tom und Alma aus dem Bild, der Wald umrahmt die Wiese, in weiter Entfernung grasen die Rehe. 72 INT. HAUS JULIAN & STEFFI, WOHNZIMMER - SPÄTER NACHMITTAG

72

Alma und Tom laufen auf die Tür einer Doppelhaushälfte zu. Alma, mit einer Flasche Wein in der Hand, atmet kurz tief ein, bevor sie die angelehnte Tür aufschiebt.

* * *

Drinnen sind an die dreissig Gäste versammelt, Akademiker, eine Handvoll Studenten, ein paar Freundinnen von Steffi. Buffett im Wohnzimmer, Grill auf der Terrasse davor. Das Bild, das Julian abgeholt hat, hängt prominent im Wohnzimmer.

*

Alma und Tom gehen an zwei Männern vorbei, die sich im Flur angeregt unterhalten, STEFAN und FRANK, beide um die 40. STEFAN Hey, Alma! Wie schön, dass Du auch kommst.

* *

ALMA Hallo Stefan.

* *

STEFAN Wir haben uns wieder zusammengerauft.

*

ALMA Hab schon gehört. Herzlichen Glückwunsch. Hey, Frank. Sie gehen weiter, die beiden Männer können einen beeindruckten Blick auf Tom nicht unterdrücken. Kurz vor der offenen großen Tür zur Terrasse kommt ihnen STEFFI entgegen. STEFFI Hallo! Du musst Alma sein! Ich habe Fotos gesehen. Ich bin... äh... ich bin... Steffi. Die beiden Frauen sehen sich an. ALMA Danke für die Einladung. Das ist Tom. Auch Steffi kann sich nicht dagegen wehren, von Tom beeindruckt zu sein.

*


67. STEFFI Julian hat schon erzählt... TOM Freut mich sehr, dich kennen zu lernen. Sie reicht ihm die Hand, er nimmt sie, beugt sich herunter und küsst sie. Steffi kichert, Alma betrachtet es etwas irritiert. STEFFI Wow! Ein Gentleman der alten Schule! Julian kommt dazu. JULIAN Alma! Ihr seid wirklich gekommen! ALMA Wir sind wirklich gekommen. JULIAN Wie schön! Und ihr habt euch schon... Alma und Steffi nicken, es entsteht eine unangenehme Stille. STEFFI (etwas zu laut)

Was wollt ihr trinken? (schon im Gehen)

Weiß oder rot?

Sie dreht sich um und geht mit den beiden Flaschen in der Hand in Richtung Küchenblock. TOM Das Bild hängt ja schon. Alma!

REGINA (OFF)

Alma dreht sich um, von der Terrasse winkt eine Frau. Tom und Julian wenden sich dem Bild zu. JULIAN Das Bild hängt, das Bett steht, das Wasser läuft, sonst funktioniert noch nix. Alma geht nach draußen.


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68.

Außen: Alma umarmt Regina (45), die etwas bedrückt wirkt. Und?

REGINA

ALMA Was ist denn los? REGINA Nichts. Nur bisschen seltsam, immer wieder... Was?

ALMA

REGINA Ja, so... zack. Neues Haus, neuer Mensch, neues Leben. Ein Knall, in der Küche ist eine Flasche auf dem Boden zersprungen. Alma und Regina schauen erschrocken ins Wohnzimmer. Innen: Steffi steht vor der Anrichte, schwankt, verliert das Gleichgewicht, eine weitere Flasche droht dabei zu Bruch zu gehen. Alma und Regina sehen wie Tom blitzschnell reagiert, mit einer Hand die Flasche auffängt und mit dem anderen Arm Steffi vor einem Sturz in die Scherben bewahrt. Als wäre es eine eingeübte Choreographie, drückt Tom dann einer Frau die Flasche von Steffi in die Hand, trägt die halb bewusstlose Steffi zum Sofa, wo die Sitzenden aufspringen, um Platz zu machen. Tom legt Steffi aufs Sofa, nimmt ihre Beine hoch, drückt sie Julian in die Hand, der kaum weiß, wie ihm geschieht. Dann nimmt er eine Stoffserviette, fischt Eiswürfel aus einem Glas, wickelt sie in das Tuch, legt es Steffi auf die Stirn und hockt sich neben sie, alles wie aus einer Bewegung.

*

Außen: REGINA (CONT’D) Wer ist das denn? Ist der Arzt? ALMA Tja, wahrscheinlich ist das auch ein Arzt.

*


69. 73 INT. HAUS JULIAN & STEFFI, WOHNZIMMER - NACHT Zeitsprung. Alma kommt aus dem Bad und geht die Treppe herunter. Im Wohnzimmer gedämpftes Licht, die Party hat sich beinahe komplett nach draußen verlagert, wo gerade damit begonnen wird, Feuerwerk zu zünden. Hey! Alma!

DEKAN

Der Dekan steht im Flur, noch im Mantel und mit einem großen Buchsbaum in der Hand, anscheinend sein Gastgeschenk. Sie küssen sich auf die Wange. ALMA Die sind alle im Garten. Der Dekan nickt, sieht Alma an. Draußen knallt es, begeistertes Raunen der Zuschauer. DEKAN Mensch, echt scheiße mit Buenos Aires. Tut mir wirklich leid. Superärgerlich. Alma zuckt mit den Schultern, Tom kommt dazu, mit zwei Gläsern in der Hand. ALMA (stellt beide vor)

Tom, Roger...

Roger nickt kurz, beachtet ihn kaum. DEKAN Aber vielleicht kannst du ja Teile der Arbeit doch nochmal... Er verstummt plötzlich und sieht Tom an. Sieht zu Alma, wieder zu Tom, wieder zu Alma. DEKAN (CONT’D) Ist das...? Alma sieht ihn nur an, kein Dementi also, was Roger als ja interpretiert. ROGER Krass. Mann, das ist echt... Er tritt näher an Tom heran, so nah, wie man nie an einen fremden Menschen treten würde. Sieht sich die Haut an, den Haaransatz.

73


70.

Wahnsinn.

ROGER (CONT’D)

(zu Alma)

Darf ich mal? Ohne die Antwort abzuwarten, streicht er über Toms Haut am Unterarm, fühlt dann seine Muskeln darunter. Draußen scheint das Feuerwerk beendet zu sein, Applaus und Rufe sind zu hören, einige Gäste kommen zurück ins Wohnzimmer, auch Steffi und Julian. ROGER (CONT’D) Unglaublich. Er drückt etwas fester zu. ROGER (CONT’D) (zu Tom, überdeutlich)

Spürst du das?

Bevor Tom antworten kann, fasst Roger ihm in die Haare, streicht darüber und nimmt einzelne Strähnen zwischen Daumen und Zeigefinger. Im Hintergrund sieht Alma, wie sich Steffi kurz auf dem Küchenblock abstützen muss. Julian flüstert ihr etwas zu, besorgt, Steffi beruhigt ihn, dann lächeln beide. ROGER (CONT’D) Wow. Das fühlt sich so... so... Roger. Ja?

ALMA ROGER

ALMA Merkst du schon, dass das eine Spur distanzlos ist? ROGER Wieso? Das... Trotzdem lässt er Toms Haare los. ALMA Wie fändest du das, wenn dir jemand einfach so ins Gesicht fassen würde oder in die Haare?


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71.

ROGER Äh, also abgesehen davon, dass mir das schon ungefähr hundert Mal passiert ist, gibt es da ja wohl einen kleinen Unterschied. Welchen?

ALMA

ROGER Na, ja, also... ALMA Worin genau besteht der Unterschied? ROGER Haben Roboter Rassismuserfahrung? Außerdem: Wieso sagt er nicht selber was dazu? Er kann doch sprechen, oder? TOM (ahmt Roboter-Sprache von 1980 nach)

Tom kann auch sprechen. Tom ist ein freundlicher Roboter. ROGER Naja, da merkt man es natürlich schon. ALMA Entschuldigt mich. TOM Kein Problem, wir klönen noch ein bisschen. Roger steht der Mund offen. ROGER (zu Alma)

Sag mal, hat der mich gerade verarscht? ALMA Ja.

(im Gehen)

Alma lässt die Beiden allein. Roger sieht Tom an, beinahe vorwurfsvoll. Tom zuckt mit den Schultern.

* *


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72.

TOM Tut mir Leid. War einfach so naheliegend. Julian sammelt am Buffet dreckige Gläser ein. Alma stellt sich neben ihn. ALMA Kann ich dich mal kurz sprechen? JULIAN Ja, klar. Äh... Er versucht, ihrem Blick zu entnehmen, ob sie unter vier Augen meinte. Julian überlegt kurz, dann: JULIAN (CONT’D) Ach, so. Okay. Komm. 74 INT. HAUS JULIAN & STEFFI, SCHLAFZIMMER - NACHT Alma und Julian kommen ins Schlafzimmer. Ein bisschen unordentlich, wie das so ist bei Parties, paar verworfene Kleidungsstücke, Handtuch etc. JULIAN Tut mir Leid, ist jetzt gerade der einzige leere Raum. Alma schaut nickend auf das Bett, dann zu Julian. ALMA Sag mal, ist Steffi schwanger? Julian zuckt zusammen und windet sich verlegen. JULIAN Fuck, ich hätte dir das eh gesagt, ich... wollte natürlich nicht, dass du es so erfährst, aber... ALMA Ist doch kein Problem, jetzt weiß ich’s ja. JULIAN Steffi ist halt noch nicht mal im dritten Monat, du weißt ja. Das ist noch total unsicher. ALMA Ja, ich weiß.

*74


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73.

Sie sehen sich an. Beide ringen um Fassung. Plötzlich kommt Stefan herein, eindeutig angetrunken. STEFAN Julian, ‘tschuldigung, bin auf der Suche nach Gin, im Kühlschrank find ich nix. Eisfach.

* *

JULIAN

STEFAN Ah logisch, blöd von mir. Er entdeckt jetzt erst Alma und macht dann eine seltsame doppelte “Daumen hoch” - Geste, ohne dass deutlich wird, wie er das meint. Ein letzter Blick zwischen Alma und Julian. 75 I/E. AUTO ALMA - NACHT

* *

75

Tom hinterm Steuer. Alma schaut raus. Die Stadt zieht draußen vorbei. Almas Telefon klingelt. ALMA Regine... Ja, alles in Ordnung... Nein, gar nicht, war nur ein langer Tag... Ja, mach ich... Sie legt auf. Stille. ALMA (CONT’D) Ich soll dich grüßen. Sie ist begeistert von dir. Alle sind begeistert von dir. Tom lächelt sie an. TOM Nur du nicht. 76 INT. WOHNUNG ALMA, KÜCHE/WOHNZIMMER - NACHT Alma macht den Wasserhahn an und füllt ein Glas. ALMA Mit vierzehn war ich mal auf einer Party. Ich saß nachts allein auf der Terrasse, unten im Keller tanzten meine Mitschüler, ich schaute auf so Reihenhäuser... (MORE)

76


74. ALMA (CONT'D) und plötzlich wurde mir klar, dass es keinen Gott gibt, und ich wurde Atheistin. Und seitdem hab ich mir eins geschworen: Sollte ich irgendwann mal in einem Flugzeug sitzen, dessen Triebwerke brennen, werde ich nicht anfangen zu beten. Ich werde nicht aus purer Angst den lieben Gott um Beistand bitten! Denn ich glaube nicht an Gott. Sie sieht ihn an. ALMA (CONT’D) Verstehst du, was ich meine? Ja. Wirklich?

TOM ALMA

TOM Du willst die Distanz zu mir als Maschine nicht aus Verzweiflung und der daraus resultierenden Sehnsucht nach menschlichem Trost aufgeben. ALMA Es gibt einen Graben zwischen uns, und manchmal können wir so tun, als gäbe es diesen Graben nicht, als wäre die Illusion auch nur eine andere Form von Realität. Aber bei manchen Dingen wird eben klar, dass der Graben da ist. Dass er tief ist. Und dass wir ihn nicht überwinden können. TOM Was sind das für Dinge? ALMA Dinge, von denen du keine Ahnung hast... die einen traurig machen, sobald man an sie denkt, auch wenn man es nicht will... Sie wehrt sich nicht dagegen, dass sie weinen muss. ALMA (CONT’D) Dinge, nach denen man sich sehnt, die man vielleicht verpasst hat und die nie wiederkommen...


75. TOM Kannst du mir zeigen, was das für Dinge sind? Zeigen.

ALMA

Sie atmet durch. ALMA (CONT’D) Ja. Kann ich. Da hinter dir. Tom dreht sich um, geht Richtung Regal. ALMA (CONT’D) Kalt. Wärmer. Noch wärmer. Tom nimmt eine alte Teedose aus Blech. TOM Darf ich sie öffnen? Er nimmt Almas Schweigen als Zustimmung und öffnet sie. Darin: ein zusammengerolltes Stück Papier. Er rollt es auseinander und schaut es an. TOM (CONT’D) Das ist das Ultraschallbild eines Embryos. Alma Felser, 11. Woche. Was sollte ich daran nicht verstehen? Er sieht sie fragend an. TOM (CONT’D) Du hast ein Kind verloren. Du bist in einem Alter, in dem du wahrscheinlich keins mehr kriegen wirst. Du bist traurig, weil das eine Erfahrung ist, die du gerne gemacht hättest. Und du fühlst dich zurückgesetzt, weil Julian jetzt ein Kind mit Steffi kriegt und an dieses nicht mehr denkt. Vielleicht denkst du auch an deinen Vater und daran, dass du genauso einsam sein könntest wie er und nicht einmal Kinder haben wirst, die sich um dich kümmern. Ich kann das verstehen. Es ist sehr leicht, das zu verstehen.


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76.

ALMA So, wie du es sagst, hört es sich banal an. Banal und selbstbezogen und lächerlich. TOM Es ist auch lächerlich. Dein Schmerz ist lächerlich, weil er relativ ist. Aber er ist auch nicht lächerlich. Weil er ein Teil von dir ist. Und deswegen liebe ich ihn. Diese gedankliche Volte ist zu viel für Alma. Sie schnappt sich ihren Mantel und verlässt die Wohnung. 77 EXT. STRASSE VOR HAUS ALMA - NACHT

77

Sie läuft aus dem Haus, überquert die Straße, wird immer langsamer und bleibt dann planlos und verloren stehen, inmitten von urbaner Zivilisation. Sie hört ein Geräusch hinter sich, schaut sich um und sieht Tom aus dem Haus kommen. Sie tritt einen Schritt in den Schatten der Straßenbeleuchtung und beobachtet Tom. Er schaut sich um. Alma?

TOM

Tom prozessiert einen Augenblick, schaut sich noch einmal um und geht dann die Straße herunter. Alma schaut ihm nach, dann folgt sie ihm. 77A EXT. CAFÉ, STRASSE DAVOR Tom geht am Café vorbei. Es ist geschlossen, nur die Nachtbeleuchtung ist an. Alma folgt ihm. 78 I/E. BAR, DAVOR - NACHT Alma sieht von der anderen Straßenseite, wie Tom die Bar betritt, in dem sie mit ihm war. Er sieht sich um. Der Barkeeper schüttelt den Kopf, Tom bedankt sich und verlässt die Bar.

77A * * * 78


77. 79 EXT. PERGAMONMUSEUM, VORPLATZ - NACHT

79

Tom geht alleine über den beleuchteten Platz vor dem Museum, beinahe ein expressionistisches Bild. Alma bleibt zurück. Er geht am Haupteingang vorbei zu der kleineren Tür aus Metall, sie öffnet sich. Alma runzelt die Stirn; wie ist es Tom gelungen, ins Museum zu kommen? 80 I/E. PERGAMONMUSEUM, SEITENEINGANG - NACHT

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Alma öffnet die Tür mit ihrer Karte. Sie geht durch dunkle Gänge in Richtung ihres Labors, Tom kommt bereits heraus und geht in eine andere Richtung weiter. 81 INT. PERGAMONMUSEUM - NACHT

81

Alma folgt Tom über große Treppen und durch riesige antike Tore. 82 INT. PERGAMONMUSEUM - NACHT Ein Saal voller Statuen, Tom inmitten lebens- und überlebensgroßer marmorner Figuren, er sieht sich um und bleibt dann stehen. Das schwache Licht von draußen lässt kaum Farben erkennen, Tom ist plötzlich nur eine unter vielen Silhouetten. Alma geht langsam auf Tom zu und bleibt kurz hinter ihm stehen. TOM Ich hab dich gesucht. ALMA Wie bist du reingekommen? TOM Ich bin ein Computersystem. Die Schließanlage ist ein Computersystem. Da hilft man sich halt mal gegenseitig aus. Echt?

ALMA

Tom dreht sich zu ihr um. TOM Nein. Ich habe deine Ersatzkarte mitgenommen. Weil ich schon wusste, dass ich dich hier finde.

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78. Er hebt die Hand und zeigt sie ihr. Soso.

ALMA

Plötzlich hören sie Schritte, die durch den angrenzenden Saal hallen. Alma nimmt Tom an der Hand und zieht ihn in eine schmale Ecke zwischen zwei Exponaten. ALMA (CONT’D) (flüsternd)

Man darf hier nachts nicht sein. Auch als sie in der Nische versteckt sind, lässt Alma Toms Hand nicht los. Eingefroren stehen sie nebeneinander und beobachten einen Nachtwächter, der langsam durch die Räume geht. Und die ganze Zeit halten sich die beiden an der Hand, und ihre Körper berühren sich wegen der Enge der Nische. Dann werden die Schritte des Wächters endlich leiser, und jetzt hält Alma es nicht mehr aus. Sie schlingt die Arme um Tom und drückt sich an ihn. Er erwidert die Umarmung und sagt dann leise: TOM Sehr viele Menschen würden anfangen, in einem abstürzenden Flugzeug zu beten. Es ist menschlich, das zu tun. Alma sieht ihn an, dann nimmt sie sein Gesicht in beide Hände und küsst ihn. Eine hin und her (und öfter) geschnittene Sequenz, die jetzt nur angedeutet werden kann. Die Annäherung im Museum ist von innerer Spannung beherrscht, langsam und geräuschlos, um nicht entdeckt zu werden. - Die zweite Liebesszene spielt später in der gleichen Nacht in Almas Schlafzimmer und ist bewegter und verspielter. 83 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - NACHT Tom streckt seine Hand aus, Alma nimmt sie, er zieht sie zu sich, beginnt eine Melodie zu summen, angenehm unperfekt, sie tanzen, kleine, aber leichtfüßige Bewegungen, mit Humor und gemeinsamem Rhythmus.

83


79. 84 INT. PERGAMONMUSEUM - NACHT

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Tom fasst unter Almas Arme, hebt sie hoch, sie legt die Beine um ihn, betrachtet aus nächster Nähe seine Augen, ihre Finger streichen über seine Brauen, berühren seine Wangenknochen, sie riecht an seiner Haut und küsst ihn wieder... Alma...

TOM

85 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - NACHT

85

Sie tanzen verschlungener, intimer, Alma zieht ihn aus, hält inne, betrachtet seine Haut, legt ihre Hände auf seinen Oberkörper... TOM Du kannst auch gern an einen Menschen denken. ALMA Und du an eine Roboterin. 86 INT. PERGAMONMUSEUM - NACHT

86

Tom hebt Alma noch ein bisschen höher. Sie sehen sich an, Alma ist nervös, aber man merkt ihr auch die Erregung an... und dann senkt sie sich wieder, sie schlafen das erste Mal zusammen, sie schließt die Augen. 87 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - NACHT Sie sind nackt, Alma stöhnt auf, irgendetwas ist geschehen, was ihr einen Schauer über den ganzen Körper laufen lässt. Sie sieht ihn an. TOM Wie fühlt sich das an? Ein Orgasmus? ALMA Es ist... es ist... irgendwie auflösend... man löst sich auf und ist nur noch... Teil von etwas Größerem...

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80. 88 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - TAG

88

Tiefer, ruhiger Atem. Alma wacht davon auf, dass sie im gleichen Rhythmus atmet wie Tom, auf dessen Brust ihr Kopf liegt. Sie öffnet blinzelnd die Augen, geblendet von der Sonne, und genießt für einen Moment, noch im Halbschlaf, ganz diese synchrone Bewegung. Dann hört sie genauer auf Toms Atmen, ein bisschen unsauber hört sich das an, ist das doch ein Schnarchen? Vorsichtig löst sie sich aus seinem Arm und betrachtet den schlafenden Tom lächelnd. Die Decke ist heruntergerutscht, sein Oberkörper liegt frei, sie zieht sie hoch, damit er nicht friert, und lächelt dabei über sich selbst. 89 INT. WOHNUNG ALMA, KÜCHE - TAG Alma hat einen Morgenmantel angezogen und macht Frühstück. Das Kaffeepulver in die Kaffeemaschine. Wasser hinein füllen. Der Kaffee, der in die Tasse läuft. Sie schneidet Orangen auf und presst sie. Sie sticht Eier an, lässt sie von einem Löffel ins siedende Wasser gleiten. Schreckt ein Ei unter kaltem Wasser ab. Aber dann nimmt sie das Ei nicht aus dem Wasserstrahl, sondern starrt es an, als wäre sie selber abgeschreckt worden. Hinter sich hört sie ein Geräusch. Tom kommt in die Küche und lächelt sie an. TOM Es riecht so gut nach Kaffee... habe ich geschnarcht? Ich glaube, ich habe geschnarcht, oder? Ist das nicht seltsam? Almas Augen füllen sich mit Tränen. Sie schüttelt den Kopf. ALMA Das funktioniert nicht. Tom sieht sie fragend an. ALMA (CONT’D) Das geht vorne und hinten nicht. Wirklich. Ich krieg das nicht hin. Was denn?

TOM

Alma steht immer noch mit dem Löffel und dem Ei darauf da, als würde sie gleich bei einem Eierlauf teilnehmen. Sie legt beides zur Seite.

89


81. ALMA Ich decke dich zu, obwohl ich weiß, dass du nicht frieren kannst. Ich gehe auf leisen Sohlen aus dem Zimmer, obwohl du gar nicht schläfst. Ich versuche, ein perfektes Frühstücksei hinzubekommen, obwohl es für dich vollkommen gleichgültig ist, ob das Ei fünf oder zehn Minuten kocht, du musst ja gar nicht essen. Ich spiele hier Theater, aber es gibt gar kein Publikum! Der ganze Saal ist leer! Ich spiele nicht mal für dich, ich bin ganz allein und spiele nur für mich. Und was ich jetzt sage, ist im Grunde auch ein Selbstgespräch. Es ist gar kein Dialog. Ich werde zu einer Verrückten. Einer Behämmerten. Einer lächelnden Vollidiotin. Das geht nicht mehr! Tom nickt langsam. Eine Träne läuft Alma die Wange hinunter. Tom geht langsam auf sie zu, nimmt die Träne mit dem Zeigefinger auf. Er betrachtet sie. TOM Warum weinst du? ALMA Ich weine, weil... ich weine, weil ich... weil die Nacht so... weil die Nacht wunderschön war und... TOM Heißt es bei euch nicht: Liebe überwindet alle Grenzen? ALMA Das war schon immer eine Lüge. TOM Aber wo soll ich denn hin? Alma sieht ihn hilflos an. ALMA Ich... ich breche den Versuch... vorzeitig ab. TOM Ja. Aber wo soll ich denn hin?


82. ALMA Woher soll ich das wissen? Du... in die Fabrik... oder... Ein langer Blick zwischen den beiden. 90 INT. WOHNUNG ALMA, GÄSTEZIMMER - TAG

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Tom beginnt, seine Sachen zu packen, er legt seine Kleidung sorgfältig zusammen in seinen Koffer. Alma steht am Anfang in der Tür, kann es dann aber nicht mit ansehen und geht weg. 91 I/E. WOHNUNG ALMA, WOHNZIMMER & STRASSE DAVOR - TAG Tom kommt mit dem Rollkoffer ins Wohnzimmer. Er streckt Alma den Schlüsselbund hin, den sie ihm gegeben hat. Alma ist überfordert mit der Situation. ALMA Du kannst den Schlüssel auch erst mal behalten. Du kannst ihn mir ja später geben, wenn... TOM Ich glaube nicht, dass ich den Schlüssel noch mal brauchen werde. ALMA Ja, aber vielleicht... Tom lächelt. TOM Alma. Es gibt mich dann ja gar nicht mehr. Ich gehe jetzt zurück, und dann werde ich gelöscht. ALMA Oh, Gott, das... das hört sich ja an, als... als würdest du... TOM Das ist einer der Vorteile, wenn man nicht lebt: Man kann auch nicht sterben. Du musst dir um mich keine Sorgen machen Alma kann nicht anders, als Tom um den Hals zu fallen, und er legt auch die Arme um sie. Sie halten sich lange, dann löst sich Alma.

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83. ALMA Tom. Ich... ich kann dich nicht wegschicken. Du musst das machen. Du musst das machen. Dein Algorithmus muss das jetzt für mich machen. Bitte. Ich würde dich jetzt zurückhalten. Erstaunlich undramatisch dreht Tom sich um, nimmt den Koffer, geht, von Almas Blicken verfolgt, in den Flur, öffnet die Wohnungstür und ist im nächsten Moment verschwunden. Alma weiß nicht, wie ihr geschieht, mit offenem Mund schaut sie die nun geschlossene Wohnungstür an. Nach einer langen Weile sieht sie sich um, halbherzig beginnt sie Tätigkeiten auszuführen, von denen sie später vergessen haben wird, was sie waren. Schließlich geht sie zum Fenster und sieht vorsichtig herunter auf die Straße. Einige Passanten laufen auf der Straße, aber Tom ist nicht zu sehen. Doch. Da kommt er aus dem Haus, mit dem Rollkoffer. Unwillkürlich zuckt Alma etwas zurück. Tom bleibt einen Augenblick stehen, als sei er unschlüssig, wo er hingehen soll. Dann überquert er die Straße und scheint nun entschieden zu sein. Aber dann bleibt er neben einem Glascontainer stehen, tritt nah heran und legt dann seinen Kopf auf den Container. Es sieht aus, als würde er einer leisen Musik lauschen, die aus dem Inneren des Containers kommt. Alma betrachtet das verblüfft. Passanten gehen vorbei und betrachten dieses seltsame Bild. Alma geht zur sie kann sich Tom hinterher guckt, ist er

Wohnungstür und steht eine Weile davor, aber am Ende nicht entschließen, sie zu öffnen und zu gehen. Als sie dann noch mal aus dem Fenster nicht mehr zu sehen.

92 INT. WOHNUNG ALMA, GÄSTEZIMMER - TAG

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Alma schaut in Toms Zimmer: Er hat das Bett abgezogen und die Bettwäsche fein säuberlich zusammen gelegt. Der improvisierte Nachttisch ist abgebaut; Scanner, Brockhausbände und T-Shirt sind wieder an ihren ursprünglichen Plätzen im Regal. 93 I/E. AUTO ALMA, STRASSE - TAG Alma fährt im Auto durch die Stadt, an einer Ampel muss sie halten. Sie hört Musik.

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Gelbe Seiten vom 31.07.20

84.

Ein Mann mittleren Alters geht über die Straße, aus irgendeinem Grund, den aber weder wir noch Alma mitbekommen haben, ist er in Wut geraten über den Fahrer, der im Auto neben Alma sitzt. Während er über die Straße geht, schreit er den Fahrer an und gestikuliert wild. Der Fahrer gestikuliert zurück, öffnet dann sogar die Tür und steigt aus, schreit dem Mann etwas hinterher und ballt die Faust, all das als stumme Choreographie zur Musik. Dann wird die Ampel grün, und schon hupen Autos von hinten. Der Fahrer flucht jetzt noch mal nach hinten, und seltsamerweise auch in Almas Richtung, dann steigt er ein und fährt davon. 94 I/E. AUTO ALMA - TAG

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Alma fährt zum Haus ihres Vaters, gedankenversunken schaut sie in den vorbeiziehenden Wald, als sie plötzlich eine Gestalt in einiger Entfernung mitten im Wald sieht; zuerst muss man an ein Gespenst denken, denn alles, was die Person trägt, ist ein weißes Nachthemd. Was...

*

ALMA

Erst als das Auto angehalten hat, bemerkt sie, dass es sich bei der Gestalt um ihren Vater handelt. 95 EXT. WALD - TAG So schnell das Unterholz es erlaubt, läuft Alma durch den Wald zu ihrem Vater, der wirklich außer dem altertümlichen Nachthemd nichts anhat, nicht einmal Schuhe. Als sie näher kommt, sieht sie, dass das Nachthemd voller Blutflecken ist, eine Wunde am Hinterkopf scheint der Grund dafür zu sein. Atemlos steht Alma dann vor ihrem Vater. ALMA Papa, was... was ist denn passiert? Was machst du denn hier? Die Stimme des Vaters herzzerreißend dünn. VATER Ich such’ die Fernbedienung. Er sieht sich hilflos um. VATER (CONT’D) Die muss hier irgendwo sein. Kannst du nicht mal gucken? Alma hat Tränen in den Augen. Sie streichelt ihren Vater und schaut sich seine Wunde am Kopf an.

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85. ALMA Wie ist das denn passiert? Du bist ja voller Blut... Der Vater schaut an sich herunter, sieht Alma unsicher an und zuckt dann mit den Schultern. ALMA (CONT’D) Komm, Papa, ich bring dich erst mal nach Hause. Der Vater wehrt sich gegen Almas Versuche, ihren Arm um ihn zu legen und zum Auto zu führen. VATER Aber die Fernbedienung. Die muss hier irgendwo sein. ALMA Die ist bestimmt zu Hause, komm, wir gucken mal zu Hause. Der Vater lässt sich jetzt aus dem Wald heraus führen, sieht sich aber immer wieder um. VATER Die muss hier irgendwo sein... irgendwo zwischengerutscht vielleicht... gerade eben hatte ich sie noch... 96 I/E. EINFAMILIENHAUS VATER - TAG Von draußen dringt das blaue Flackern eines Blaulichts in das Haus, Almas Vater, mittlerweile angezogen und im Mantel, sitzt auf einem freigeräumten Teil des Sofas und wird von einem Notarzt versorgt, während Alma ihm die Hand hält. Um sie herum im Wohnzimmer herrscht Chaos, Einbrecher haben alles durchwühlt. Im Hintergrund steht ein Polizist, der sich Notizen auf einem I-Pad macht, während ein Kollege das aufgebrochene Schloss untersucht. Almas Vater fallen vor Erschöpfung die Augen zu. Alma geht zum Polizisten, gemeinsam schauen sie auf das Chaos. ALMA Ich meine... wer macht denn so was? Einen alten, verwirrten Mann niederschlagen? Im Nachthemd! POLIZIST Amateure. Das waren definitiv Amateure. Junkies, Verzweifelte. (MORE)

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86. POLIZIST (CONT'D) Haben wir leider ununterbrochen hier in der Gegend, zwölf Fälle im letzten halben Jahr. Profis hätten schon von außen gesehen, dass hier nichts von Wert ist. Plötzlich kann Alma nicht mehr. ALMA (etwas zu laut)

Was soll das heißen, nichts von Wert? Alles hier ist von Wert! Wissen Sie, was jeder Gegenstand hier bedeutet, jedes Foto? Das ist alles wertvoll! Wie können Sie so was sagen? Der Polizist schreckt ein bisschen zurück und räuspert sich. POLIZIST Na, ja, also... das war ja jetzt nur aus der Perspektive der Diebe gesprochen... der Wert von Dingen ist ja relativ, aber Cora taucht in der Tür auf, sie stößt vor Schreck einen kleinen Schrei aus, als sie das Ausmaß der Verwüstung sieht. Alma und Cora umarmen sich, der Vater schläft zugedeckt auf dem Sofa. Cora treten auch Tränen in die Augen. Cora Wer macht denn so was? Das sind doch keine Menschen! 97 INT. UNIVERSITÄT, GANG - TAG

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Alma geht einen Gang in der Uni entlang. Auf dem Weg begegnet sie Julian, der gerade mit jemandem redet, erst geht sie an ihm vorbei, ohne ihn zu grüßen, aber dann dreht sie sich doch noch mal, lächelt und hebt die Hand. Julian erwidert beides. 98 INT. UNIVERSITÄT, VORLESUNGSSAAL - TAG Alma betritt den Vorlesungssaal, der zu einem guten Drittel gefüllt ist. Sie geht zum Pult, packt ihre Sachen aus, atmet einmal durch, als würde sie sich zusammenreißen müssen, dann hebt sie den Blick, schaut mit einem noch leicht schiefen Lächeln zu den Studierenden. ALMA Guten Morgen. Schön, Sie alle zu sehen.

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87. 99 INT. BAR - NACHT

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Alma sitzt an ihrem Stammplatz an der Bar; wenig los heute in der Bar, sie lässt ihren Blick über die Bar schweifen, die wenigen Gäste sind mit sich selbst beschäftigt. Der Barkeeper beobachtet Alma, gießt sich einen Schnaps ein und stößt mit ihr an, ein vertrauter Blick zwischen den beiden. 100 EXT. STRAßE - NACHT

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Alma geht durch die leeren nächtlichen Straßen Berlins. Ein Paar kommt ihr entgegen, eng umschlungen, Alma beachtet sie nicht weiter. MANN (OFF) Hallo? Hallo, Entschuldigung. Alma bleibt stehen und sieht sich um. Aus der Dunkelheit kommt das Paar, immer noch Arm in Arm, auf sie zu. Ein älterer Mann und eine auffallend schöne Frau, gute dreißig Jahre jünger, etwas schüchtern und rehäugig. Der Mann sieht Alma vielsagend an, Alma hat keinen Schimmer, was er meint. MANN (CONT’D) Darf ich vorstellen? Das ist Chloé. Er präsentiert etwas zu theatral die Frau an seiner Seite, die Alma schüchtern die Hand hinstreckt. CHLOÉ Hallo, ich bin Chloé. Alma versteht immer noch nicht. MANN Die Veranstaltung im Ballsaal? Ich bin wie Sie Experte. Allerdings in der Juristerei. Dr. Stuber. Jetzt wird ihr klar, wer Chloé dann sein muss. ALMA Ah. Und Chloé ist... Jetzt sieht sie den Mann vielsagend an. MANN ... mein ein und alles. CHLOÉ (errötend)

Das sollst du nicht immer sagen.


88. Alma schaut die beiden jetzt noch mal mit anderen Augen an. ALMA Und wie... wie geht’s so? MANN Wie’s mir geht? Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll... wissen Sie, ich... ich wusste gar nicht, dass es so was gibt. Dass man... Er bekommt feuchte Augen, seine Stimme beginnt zu zittern. MANN (CONT’D) ... so glücklich sein kann. Ich weiß, dass... ich weiß, dass ich ein alter Sack bin und mein Körper... ja, ich bin halt 62. Und jetzt, mit Chloé, wird mir erst klar, wie unglücklich ich vorher war, ich meine... niemand wollte mich. Verstehen Sie? Ich hab irgendwie so eine Art, da laufen die Leute weg. Ich weiß nicht, was das ist. Pheromone oder wie ich aussehe... das war mein ganzes Leben so. Irgendwann habe ich mich einfach dran gewöhnt. War halt so. Und mit Chloé, da... jetzt ist alles anders. Sie ist so lieb zu mir, wie es noch nie ein Mensch war. Chloé streichelt ihm sanft über den Arm. CHLOÉ Du hast es verdient, dass jemand lieb zu dir ist. Der Mann beugt sich konspirativ zu Alma. MANN (flüstert)

Ich bin schon in Verhandlungen, unter welchen Bedingungen ich sie behalten darf. Er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander. MANN (CONT’D) Ja, und Sie? Wie geht es Ihnen mit... ?


89. Alma sieht ihn nachdenklich an, der Mann und Chloé warten auf eine Antwort, aber es kommt keine. 101 INT. WOHNUNG ALMA, ARBEITSZIMMER - NACHT

101

Alma sitzt am Computer und diktiert einen Text. ALMA Lieber Roger, hier mein Gutachten, wie besprochen. Liebe Grüße, Alma. Sie macht eine kurze Pause. ALMA (CONT’D) Die Geschichte der Menschheit ist voll von vermeintlichen Verbesserungen, deren schwerwiegende Folgen sich erst Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte ins Bewusstsein drängen. Nach den Erfahrungen, die ich mit einem humanoiden Roboter namens Tom gemacht habe, kann ich mit aller Klarheit sagen, dass es sich hier, beim Roboter, der den Ehemann oder die Ehefrau ersetzen soll, um eine solche vermeintliche Verbesserung handelt. 102 INT. WOHNUNG ALMA, BAD - NACHT

102

Alma putzt sich die Zähne, wäscht sich das Gesicht, sieht sich im Spiegel an. ALMA (V.O.) Ohne Zweifel kann ein auf die eigenen Vorlieben angepasster humanoider Roboter einen Partner nicht nur ersetzen, er scheint sogar der bessere Partner zu sein. 103 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - NACHT Alma legt sich ins Bett und löscht das Licht; einschlafen kann sie aber nicht. ALMA (V.O.) Er erfüllt unsere Sehnsüchte, er befriedigt unser Verlangen und elimniert das Gefühl, alleine zu sein.

103


90. 104 INT. WOHNUNG ALMA, SCHLAFZIMMER - TAG

104

Es ist bereits hell, Alma liegt mit offenen Augen da, immer noch oder schon wieder. ALMA (V.O.) Er macht uns glücklich, und was kann schon schlecht daran sein, glücklich zu sein? Eine Weile passiert nichts, aber dann: klingelt es an der Tür. 105 INT. WOHNUNG ALMA, FLUR - TAG Vor der Tür steht die Mitarbeiterin. MITARBEITERIN Guten Morgen! Im Gegensatz zum letzten Mal lächelt die Mitarbeiterin nicht durchgehend. Äh - ja?

ALMA

MITARBEITERIN Mein Betriebssystem ist nicht erneuert worden, das ginge auch technisch gar nicht, aber meine Kommunikationsbereiche sind ganz neu strukturiert worden. Was?

ALMA

MITARBEITERIN Ich bin mir sicher, dass unsere Sitzung heute erfolgreich wird. Alma sieht sie mit zusammengekniffenen Augen zweifelnd an. ALMA Tom ist nicht hier. MITARBEITERIN Wann kommt er wieder? ALMA Ist der nicht bei Ihnen? In der Firma? Jetzt guckt die Mitarbeiterin sie zweifelnd an.

105


91. MITARBEITERIN Wieso sollte er bei uns sein? Almas Blick bewegt sich langsam von der Mitarbeiterin weg, nachdenklich schaut sie ins Leere. 106 I/E. AUTO ALMA, LANDSCHAFT - TAG

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Alma fährt im Auto durch eine weite, flache Landschaft. ALMA (V.O.) Doch ist der Mensch wirklich gemacht für eine Befriedigung seiner Bedürfnisse, die per Bestellung zu haben ist? Sind nicht gerade die unerfüllte Sehnsucht, die Phantasie und das ewige Streben nach Glück die Quelle dessen, was uns zu Menschen macht? 107 EXT. FÄHRE - TAG

107

Alma steht an der Reling einer Fähre, der Wind fährt ihr durch die Haare. ALMA (V.O.) Wenn wir die Humanoiden als Ehepartner zulassen, schaffen wir eine Gesellschaft von Abhängigen, satt und müde von der permanenten Erfüllung ihrer Bedürfnisse und der abrufbaren Bestätigung ihrer eigenen Person. Was wäre dann noch der Antrieb, sich mit herkömmlichen Individuen zu konfrontieren, sich selbst hinterfragen zu müssen, Konflikte auszuhalten, sich zu verändern? 108 I/E. AUTO ALMA, DÄNEMARK - TAG Almas Auto fährt durch eine kurvenreiche Straße. ALMA (V.O.) Es steht zu befürchten, dass jeder, der länger mit einem Humanoiden gelebt hat, unfähig sein wird zu normalem menschlichen Kontakt. Von der Zulassung Humanoider als Lebenspartner rate ich mit großer Entschiedenheit ab.

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92. 109 EXT. KONGSMARK - TAG

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Alma steigt aus ihrem Auto aus. Sie befindet sich in dem kleinen dänischen Dorf Kongsmarg. Sie fängt an, durch die kleinen Straßen zu laufen. An manchen Orten bleibt sie stehen und schaut sie genauer an, und wir ahnen, dass dabei Kindheitserinnerungen in ihr aufsteigen: Die Stufen zu einer Bäckerei, eine seltsame Skulptur auf dem kleine Rathausplatz, ein schmaler Durchgang hinter der Kirche, eine Brücke über den kleinen Bach, eine in die Jahre gekommene Pension. 110 EXT. KONGSMARG, DÜNEN - TAG Alma geht nun einen kleinen, verschlungenen Weg durch die Dünen und kommt zu einer Art Schullandheim, das aber momentan nicht in Betrieb zu sein scheint. Sie zögert, dann geht sie am Schullandheim vorbei. Hinter dem Schullandheim ist ein kleiner betonierter Hof, darauf eine Tischtennisplatte, und auf der Tischtennisplatte sitzt: Tom. Eine Weile gucken die beiden sich an, dann geht Alma zur Tischtennisplatte. Sie geht aber nicht zu Tom, sondern an ihm vorbei zur anderen Seite des Netzes und legt sich da so auf die Tischtennisplatte, dass sie auf dem Rücken liegt und ihre Beine herunterhängen. Sie schaut nach oben, er auf das Schullandheim. ALMA Wie lange sitzt du schon hier? TOM Noch nicht so lang. Drei Tage. Ich bin zu Fuß hergekommen, das hat ein bisschen gedauert. ALMA Und wie lange wolltest du hier noch sitzenbleiben? TOM Bis du kommst. Schweigen. ALMA Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt. Ein Leben ohne dich ist jetzt immer nur noch ein Leben ohne dich. TOM Ist das nicht die Definition von dem, was ihr Liebe nennt?

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93. Schweigen. Alma schaut in den Himmel. ALMA Ich lag immer auf dieser Seite der Platte, früher. Ich weiß nicht, irgendwie mochte ich dieses Feld viel lieber als das auf der anderen Seite. Und Thomas ist dauernd aufgesprungen und in die Dünen gelaufen, manchmal hat man ihn gehört und dann wieder nicht. Ich weiß gar nicht, wo Cora da war. Ich war sooo verliebt in ihn, es war kaum auszuhalten. Und während er in den Dünen Rebhühner gejagt hat oder Steine verbuddelt oder nach Bernstein gesucht oder was immer dänische Jungs eben in Dünen machen, bin ich immer hier liegengeblieben, habe die Augen geschlossen und gehofft, dass er mich küssen würde. Und ein paar Mal war ich mir zu hundert Prozent sicher, dass sein Gesicht schon ganz nah über mir war, ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen spüren. Aber als ich die Augen geöffnet habe, war ich allein und Thomas nirgendwo zu sehen... Schweigen. Alma schaut immer noch in den Himmel. Dann schließt sie die Augen. Schwarz. ENDE


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