4 KÖNIGE

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4 KÖNIGE

Esther Bernstorff

DEUTSCHE DREHBÜCHER Herausgegeben von der Deutschen Filmakademie


Vier Kรถnige von Esther Bernstorff

Fassung vom 17.09.2013

Entwickelt in Zusammarbeit mit Theresa von Eltz


Videoaufnahme: 1 AUF EINEM WALDSEE - A/N

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Durch eine Videokamera schauen wir auf einen Waldsee, der zwischen verschneiten Baumkronen liegt. Die Landschaft sieht verzaubert aus. Ein brüchiger alter Steg für auf den See. Über der Szenerie liegt ein georgischer Gesang, vorgetragen von einer hellen und anrührenden Stimme. Die Kamera richtet sich nach unten und gleitet über die Gesichter von drei Jugendlichen, die dicht beieinander in einem Boot sitzen das auf dem See treibt. Sie haben alle keine Jacken an. Hinten sitzt ein junger Mann (17) mit breiten Schultern und rasiertem Kopf. Neben ihm ein Mädchen (16) mit dunklen Haaren und zarten Gesichtszügen. Am dichtesten an der Kamera sitzt ein schmaler, dunkelhaariger junger Mann (16) mit einer Halskrause. Mit geschlossenen Augen singt er das georgische Lied und die anderen hören zu. Er hört auf zu singen und eine Weile lang ist es still. MÄDCHEN HINTER DER KAMERA Guckt mal her, Leute! Die Jugendlichen wenden ihr die Gesichter zu. Mit von der Kälte geröteten Gesichtern und leuchtenden Augen schauen sie und an. Die Kamera wird umgedreht - und das Mädchen dahinter filmt sich selbst. Sie hat blond gefärbte lange Haare und ein schönes Gesicht. Sie steht in einem kleinen alten Boot, das bedenklich hin und her schwankt. MÄDCHEN Fröhliche Weihnachten, Wolffi! Dann schwankt das Boot heftig und die Kamera fällt auf den Boden des Bootes. Ein kurzer, überraschter Aufschrei ist zu hören - und dann ein lautes Platschen. TITEL: VIER KÖNIGE 2 AUF DEN STRAßEN HAMBURGS - A/T Die Stadt ist weihnachtlich geschmückt, es glitzert und funkelt. Von oben sehen wir aus der Distanz ein junges Mädchen, das einen kleinen Weihnachtsbaum hinter sich herzieht. Darüber liegen die Titel. Sie biegt in eine kleine Straße ein und nähert sich mit dem Weihnachtsbaum einem Haus.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

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2. 3 TREPPENHAUS - I/T

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ALEX (16) hieft den Baum die letzten Stufen hoch. Ihre dunklen Haare und ihr ungeschminktes Gesicht schauen unter einer Wollmütze hervor. Sie bleibt stehen und atmet durch. Vor der Wohnungstür steht eine gepackte Reisetasche. Alex schlüpft aus ihren Winterstiefeln und stellt sie in ein Schuhregal im Flur. Sie zieht Hausschuhe an, nimmt ein Desinfektionsspray, das auf dem Regal steht und sprüht sich routiniert damit ein. Dann schließt sie die Wohnungstür auf. 4 WOHNUNG VON ALEX UND IHRER MUTTER/WOHNZIMMER - I/T

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Alex zieht den Weihnachtsbaum durch die aufgeräumte, fast klinisch saubere Wohnung und stellt ihn in die Ecke. Im Badezimmer läuft die Dusche. ALEX (ruft) Ich bin wieder da! Sie hängt ihre Jacke auf und zieht die Mütze aus. Dann öffnet sie die Tür zum Badezimmer. 5 WOHNUNG VON ALEX UND IHRER MUTTER/BADEZIMMER - I/T

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Alex’ MUTTER (39) sitzt mit angewinkelten Beinen in der ungefüllten Badewanne und hält sich den Duschkopf an die Brust. ALEX (sanft) Kommst Du raus? Die Mutter sieht ihr hilflos entgegen. Die helle Haut ist schon schrumpelig vom langen Duschen. Alex nimmt ein Handtuch vom Haken. Komm.

ALEX

Die Mutter steht langsam auf und Alex breitet das Handtuch um sie. 6 WOHNUNG VON ALEX UND IHRER MUTTER/WOHNZIMMER - I/ABEND Draußen ist es inzwischen dunkel. Der kleine Baum steht hübsch geschmückt in der Ecke. Alex und ihre Mutter sitzen auf einem Sofa. Die Mutter trägt einen Bademantel und Hausschuhe und ihre Haare sind nass. ALEX Gefällt Dir der Baum? Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

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3. Die Mutter sieht blass und unglücklich aus. MUTTER VON ALEX Er ist schön, ja. Sie schweigen eine Weile. Alex ist merklich angespannt. ALEX War es ok bei der Arbeit heute? MUTTER VON ALEX Ich kann darüber jetzt nicht reden. In diesem Moment klingelt es an der Tür. Alex greift nach der Hand ihrer Mutter, aber die Mutter entzieht sich ihr. Alex geht zur Tür und drückt den Summer. Hallo?

ALEX

VATER VON ALEX (OFF) Hallo mein Schatz. (Pause) Kommst Du runter? ALEX (zögerlich) Ich komme gleich. Sie nimmt ihre Jacke vom Haken und geht zurück zum Sofa. ALEX (zaghaft) In drei Tagen bin ich wieder da. (Pause) Und Frau Peters kommt auf jeden Fall in den nächsten Tagen vorbei. Die Mutter nickt. Tränen tropfen auf ihren Bademantel. Alex bleibt mit der Jacke in der Hand stehen. ALEX Soll ich doch lieber hierbleiben? Die Mutter wischt sich über das Gesicht. MUTTER VON ALEX Das kann ich nicht von Dir verlangen. (Pause) Du freust Dich doch darauf. Alex kämpft mit sich. ALEX Nein, das ist schon ok.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


4. Die Mutter schaut auf und ihrem Blick liegt ein kindliches Flehen. Alex geht langsam zur Garderobe und hängt ihre Jacke wieder auf. ALEX Ich muss nur Papi kurz bescheid sagen. Ok.

MUTTER VON ALEX

Alex bleibt unbeweglich stehen. Sehr blass. In diesem Moment klopft jemand an die Wohnungstür und sie zuckt zusammen. Es klopft wieder und Alex macht die Tür auf. Der VATER (37) steht vor ihr und umarmt sie. Er hat ein offenes und sympathisches Gesicht. VATER VON ALEX Können wir los? Alex kriegt kein Wort heraus. VATER VON ALEX Ist das da draußen Deine Tasche? Stille. Der Vater schaut zu Alex’ Mutter und sieht dass sie weint. VATER VON ALEX Ich wusste es doch. (unterdrückt) Musst Du es ihr wieder schwer machen, ja? Die Mutter antwortet nicht, sie hält sich an ihrem Bademantel fest. Ihr Anblick bringt den Vater zur Weißglut. VATER VON ALEX Sie feiert jedes Jahr bei Dir, Susanne. (laut) Jetzt reiß Dich mal zusammen. MUTTER VON ALEX (laut) Ich habe überhaupt nichts gesagt. Ihre Stimme überschlägt sich. Alex steht zwischen den beiden. ALEX Ich komme nächstes Jahr zu Euch, ja? Sie flüstert fast. VATER VON ALEX Das kommt nicht in Frage. Er greift Alex am Handgelenk und zieht sie aus der Wohnung. Alex folgt ihm wie ferngesteuert.

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5. 7 AUTO - I/A/N

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Es ist still im Auto und die Straßen sind leer. Alex sitzt auf dem Beifahrersitz. Sie bewegt langsam die rechte Hand, auf der ein roter Abdruck ist. Der Vater sieht sie unglücklich von der Seite an. VATER VON ALEX Entschuldige bitte, ich wollte Dir nicht wehtun. Alex reagiert nicht. VATER VON ALEX Aber Du darfst Dich von ihr nicht erpressen lassen, Alex. Alex scheint ihn gar nicht zu hören. Sie ist völlig apathisch. VATER VON ALEX Wir machen es uns richtig schön, ja? (Pause) Der Baum ist schon da und morgen schmücken wir ihn alle zusammen. (Pause) Mia freut sich seit Wochen darauf dass Du kommst. Alex sitzt ganz in sich versunken da. Ihre Hand liegt am Türgriff. Dann öffnet sie plötzlich die Beifahrertür und lässt sich aus dem fahrenden Auto fallen. 21. DEZEMBER 8 JUGENDPSYCHIATRIE/WIESE HINTER DER KLINIK - A/MORGEN

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Die Kamera nähert sich einem Klinikgebäude, das am Waldrand liegt. Der Himmel ist grau und auf dem Boden liegt matschiger Schnee. Vor der Klinik hat sich eine Gruppe von Jugendlichen zur Morgengymnastik versammelt. Weihnachtsmusik dröhnt aus dem Rekorder und die dickliche Sporttherapeutin hüpft gegen die Unlust der wenigen Teilnehmer ankämpfend auf und nieder wie ein nerviger Flummi. Sie hat eine Weihnachtsmannmütze auf. In der hintersten Reihe stehe LARA (17) und hebt unmotiviert ihre Beine. Unter der Kapuze, die das Gesicht fast völlig verhüllt, schaut ein weicher und kindlich geschwungener Mund hervor. Lara beobachtet ein Mädchen in der ersten Reihe, das direkt vor der Therapeutin steht und strebsam mitmacht. Plötzlich hüpft sie nach vorne, stellt sich hinter das Mädchen und ahmt sie nach. Mit toternstem Gesicht und federnden Bewegungen. Ein Junge neben ihr, der einen Fahrradhelm auf dem Kopf hat, muss grinsen.

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6. 9 JUGENDPSYCHIATRIE/FENSTER TREPPENHAUS- I/MORGEN

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Durch ein Fenster im ersten Stock sehen wir, wie ein junger Mann über das Klinikgelände auf die Jugendpsychiatrie zugeht. Er ist eingerahmt von zwei Pflegern und er hat eine Reisetasche bei sich. Hinter dem Fenster steht FEDJA (16) aus Georgien. Sein fein geschnittenes Gesicht ist unter den schwarzen Haaren fast durchsichtig blass und sein dünner Körper ist hoch aufgeschossen. Mit flackerndem Blick beobachtet er den breitschultrigen Jungen, der sich dem Haus nähert. Bevor er das Gebäude erreicht, schaut der junge Mann noch oben und sieht Fedja an. Mit leblosem Ausdruck. Fedja schreckt zurück und geht eilig über den Flur in sein Zimmer. 10 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER FEDJA - I/MORGEN

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Fedja macht die Tür hinter sich zu und setzt sich auf sein Bett. Schritte nähern sich und kurz darauf wird geklopft. Fedja reagiert nicht. Die Tür geht auf und einer der Pfleger kommt mit dem jungen Mann ins Zimmer. Tag.

PFLEGER

Er nimmt dem Jugendlichen die Reisetasche aus der Hand und stellt sie auf den Boden. Der junge Mann, TIMO (17) steht in der Tür und mustert Fedja. Seine Haare sind kurz rasiert und sein Oberkörper ist muskulös. PFLEGER Lass uns mal gleich weitergehen. Timo starrt Fedja noch einen Moment an, dann folgt er dem Pfleger. SCHWESTER SIMONE (41) kommt ins Zimmer, stellt ein Plastikglas mit einer Flüssigkeit auf Fedjas Nachttisch und macht eine Notiz auf ihrer Liste. Sie ist eine attraktive Frau mit einem Ansatz von Härte im Gesicht. FEDJA (leise) Kann ich in ein anderes Zimmer? SIMONE Das geht leider nicht. (Pause) Wir sind im Moment voll belegt. Fedja schweigt. Simone schaut auf und sieht seine Angst.

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7. SIMONE Ich schau mal, wie es morgen aussieht, ok? (freundlich) Über Weihnachten gehen einige nachhause. Sie nimmt Timos Tasche und stellt sie in die Ecke. SIMONE Ich bin auch nicht gerade glücklich, dass der hier ist. Warum?

FEDJA

Simone winkt ab. Mit unterdrücktem Ärger. SIMONE Das soll nicht Dein Problem sein. Sie geht raus. 11 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR ERDGESCHOSS- I/T

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Wir sehen Lara von hinten über den Flur laufen. In ihrem grauen Kapuzenpulli, der gleichzeitig unprätentiös und teuer aussieht. In der Hand hält sie einen Plastikbecher mit Urin. Lara stellt den Urinbecher routiniert auf ein Tablett, das vor dem Schwesternzimmer steht und geht weiter. Dann bleibt sie vor einer Tür stehen. “Dr. Wolff” steht auf einem kleinen Schild neben dem Türrahmen. Sie klopft, aber es antwortet niemand. Lara öffnet die Tür und tritt ein. 12 JUGENDPSYCHIATRIE/BÜRO WOLFF - I/T

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Das Büro ist leer. Lara streunt gelangweilt durch den Raum, in dem eine leichte Unordnung herrscht. Sie fährt mit ihrer Hand über das Regal und bleibt vor einem breiten Schreibtisch stehen. Lara setzt sich hin, öffnet einen Aktenordner und liest den Aufnahmebericht, der vorne eingeheftet ist. Dr. WOLFF (38) kommt ins Zimmer und Lara schaut auf. Neugierig. LARA Haben wir jetzt einen Schwerverbrecher hier? Wolff geht zu ihr, klappt die Akte zu und bedeutet Lara mit einer kleinen Geste, aufzustehen. Sein Arztkittel steht offen und zu Jeans und Pullover trägt er Turnschuhe. Lara steht auf und Wolff setzt sich hin. Lara zeigt auf eine offene Kaugummipackung auf Wolffs Schreibtisch.

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8.

Kann ich? Klar.

LARA WOLFF

Lara wickelt ein Kaugummi aus der Hülle und steckt es in den Mund. WOLFF Wie geht es Dir? Lara antwortet nicht. WOLFF Deine Zimmerkameradin ist gestern abgereist, oder? Zum Glück. Wieso?

LARA WOLFF

LARA Ich dachte schon, dass die mich irgendwann anritzt, weil bei ihr kein Platz mehr ist. Wolff erwidert ihren Blick mit einem Lächeln in den Augen. Und nu?

WOLFF

Lara kaut auf ihrem Kaugummi. Alles an ihr ist verführerisch. WOLFF Womit beschäftigst Du Dich? LARA Keine Ahnung. Sie schweigen eine Weile. WOLFF Du hast neulich gesagt, dass Du hier öfter von Deinem Bruder träumst. LARA Ich wusste ich hätte Ihnen das nicht erzählen sollen. WOLFF Warum nicht? LARA Weil Sie mir einreden wollen dass ich verrückt bin. (Pause) Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


9. Ich bin nur hier weil ich auf einem Trip hängengeblieben bin. WOLFF Wer redet denn von verrückt sein. LARA Mein Bruder war drei Jahre alt, ich kann mich kaum an ihn erinnern. Plötzlich ist ihr Ausruck wieder verführerisch. LARA Gestern habe ich von Ihnen geträumt, hat das auch was zu bedeuten? Sie steht auf und streift ruhelos durch Wolffs Büro. LARA Wie halten Sie das nur aus in diesem spießigen Büro. WOLFF Och, ich sehe das gar nicht mehr. LARA (böse) Vielleicht sind Sie selber ein Spießer. WOLFF Vielleicht. Es klopft an der Tür. Ja?

WOLFF

Die Tür geht auf und Timo steht dort. WOLFF Hallo Timo. Lara mustert den jungen Mann in der Tür neugierig. WOLFF Gib mir noch eine halbe Stunde, ja? Timo schließt wortlos die Tür. LARA Das ist der Typ, oder? WOLFF (ruhig) Das ist Timo. Lara grinst ihn vielsagend an.

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10. 13 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR ERDGESCHOSS- I/T

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Die türkische Ergotherapeutin SIBEL (37) steht vor einer Pinnwand mit dem Dienstplan. Sie hat die schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Wolff kommt mit einem belegten Brötchen aus der Caféteria. SIBEL Heiligabend mit Simönchen. Wolff beißt vom Brötchen ab. SIBEL Dass Du Dir das antust. WOLFF Ist doch schön. Sie lächeln sich an. SIBEL Wie ist denn die Stimmung? Wolff verzieht das Gesicht. WOLFF Sie hassen mich jetzt noch mehr weil ich das mit Timo durchgesetzt habe. Sibel sieht ihn nachdenklich an. SIBEL So ganz gemütlich finde ich das ja auch nicht. Wolff beugt sich kauend vor und spricht ihr leise ins Ohr. WOLFF (halb scherzend) Sag das bitte niemandem, ich brauche Dich auf meiner Seite. Dann entdeckt er Timo, der am Ende des Flurs steht. WOLFF (zu Timo) Jetzt hab ich Zeit. Wolff wirft den Rest des Brötchens in einen Mülleimer. WOLFF Lass uns ein bisschen rausgehen, ja? (Pause) Ich hole meine Jacke. Er geht in sein Büro. Timo mustert Sibel abschätzig. Sie wendet sich irritiert ab und schaut wieder auf den Plan. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


11. 14 WALD - A/T

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Der Himmel hängt grau über dem Wald, der an die Klinik anschließt. Wolff geht rauchend neben Timo her und der gefrorene Boden knackt unter ihren Füßen. TIMO Haben Sie Schiss? Wieso?

WOLFF

Timo starrt vor sich hin. TIMO Weil die anderen nicht wollten dass ich herkomme. (grinst) Weil Sie jetzt alle hassen. Pause. WOLFF Hast Du denn Schiss? TIMO Wieso soll ich Schiss haben. WOLFF Dann hab ich auch keinen. Sie gehen schweigend weiter. WOLFF Wenn Du willst, kannst Du hier laufen. Timo sieht ihn zum ersten Mal an. Überrascht. TIMO Ohne Überwachung? Ja.

WOLFF

TIMO Haben Sie das abgesprochen? Pause. WOLFF Ich verlasse mich darauf, dass Du keinen Unsinn anstellst. (Pause) Und mach nicht zu viel. Timo tritt einen Ast weg, der ihm im Weg liegt. Er pfeift leise durch die Zähne. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


12. 15 JUGENDPSYCHIATRIE/KANTINE - I/ABEND

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Lara steht in der Kantine vor der Ausgabe. Sie trägt eine enge Jeans und eine kurze Jacke und sie ist dezent geschminkt. Hinter ihr hat sich eine kleine Schlange gebildet. Provozierend langsam schaut Lara die verschiedenen Gerichte an, die angeboten werden. Hinter der Theke steht eine FRAU (56) mit einer Plastikhaube auf dem Kopf. FRAU Kannst Du Dich langsam entscheiden? LARA Ich versuche nur rauszufinden, welches das Boeuf Bourgignon sein soll. Sie deutet auf die Töpfe. LARA Der Reiß mit Scheiß oder das Ausgekotzte? Ein Mädchen hinter ihr grinst. Die Frau verdreht die Augen. FRAU Die anderen warten. Lara lässt sich Zeit. LARA Dann nehme ich Chips und ein Snickers. Die Frau geht genervt zu einem Regal und holt Lara die Sachen. 2,50 Euro.

FRAU

LARA Bring ich später vorbei. Sie dreht sich weg und schaut sich im Raum um. An verschiedenen Tischen sitzen ein paar Jugendliche und zwei Tische in der Ecke sind für das Personal der Klinik reserviert. Lara steuert auf Fedja zu, der alleine an einem Tisch sitzt. Fedja hält den Blick gesenkt, als Lara sich zu ihm setzt. LARA Wie heißt Du nochmal? FEDJA (leise) Fedja. LARA Ach ja. (Pause) Du bist Russe, oder? Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


13.

Georgier.

FEDJA

Lara öffnet die Chipstüte und steckt sich Chips in den Mund. LARA Du hast gar nix russische Akzent. Sie hält ihm die Chipstüte hin. Fedja schüttelt den Kopf. Lara schaut sich gelangweilt um und entdeckt Timo, der gerade den Raum betritt. Sie stößt Fedja an. LARA Der kommt aus der Geschlossenen. (sie kaut) Hat seine Mutter mit dem Kopf über die Herdplatte gehalten. Fedja starrt auf seinen Teller und kaut. Lara beobachtet Timo, der sich in die Schlange stellt. 16 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/ABEND

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Es wird dunkel, als der Vater von Alex sein Auto vor der Jugendpsychiatrie parkt. Durch die Frontscheibe sehen wir Alex auf dem Beifahrersitz. Sie trägt eine Halskrause und ihr Gesicht ist an der rechten Seite aufgeschürft. Eine Weile lang bleiben sie sitzen. Dann steigt der Vater aus, geht um das Auto herum und öffnet die Beifahrertür. Er hockt sich vor Alex hin und nimmt ihre Hände in seine. Alex kann ihn nicht ansehen. Sie sieht bleich und versehrt aus. VATER VON ALEX Du musst da nicht rein, Alex. Er sucht ihren Blick. Alex rührt sich nicht. VATER VON ALEX Der Arzt hier meinte, dass es vielleicht gut ist Dich ein paar Tage aus der Schusslinie zu nehmen. (Pause) Damit Du zur Ruhe kommen kannst. Alex schaut durch die Scheibe zur Klinik. VATER VON ALEX Keine Ahnung ob das richtig ist. (hilflos) Ich nehme Dich sofort wieder mit wenn Du willst. Alex schüttelt ganz leicht den Kopf. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


14. 17 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER FEDJA UND TIMO - I/N

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Fedja sitzt angezogen auf dem Bett. Die Tür geht auf und Timo kommt rein. Er mustert Fedja, der den Blick nicht hebt. Als er an Fedjas Bett vorbeigeht tritt er kurz und heftig gegen das Bettgestell. Fedja zuckt zusammen. Timo legt sich angezogen auf sein Bett und dreht sich zur Wand. 18 JUGENDPSYCHIATRIE/WASCHRAUM MÄDCHEN - I/N

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Alex steht in einem länglichen Raum mit mehreren Waschbecken und Spiegeln. Unter einem der Spiegel stehen zahlreiche teure Kosmetika und Waschutensilien. Alex packt zögerlich ihren Waschbeutel aus. Wie ferngesteuert greift sie nach einem Lappen und säubert damit die Ablage. Dann nimmt sie ihre Zahnbüste, steckt sie in einen Plastikbecher und stellt die Zahnpasta in einem bestimmten Abstand dazu hin. LARA (OFF) Also wieder ne Zwanghafte. (grinst) Na super. Alex fährt herum. Lara steht in der Tür und beobachtet sie amüsiert durch den Spiegel. Sie hat Kopfhörer in den Ohren. Alex legt peinlich berührt den Lappen weg. Lara nimmt einen Stöpsel aus den Ohren und deutet auf ihre Halskrause. LARA Was hast Du gemacht? Alex antwortet nicht. Lara steckt den Stöpsel wieder ins Ohr und geht raus. LARA (im Gehen) Wehe Du benutzt meine Sachen. Klein und elend steht Alex vor dem Spiegel. 19 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR JUGENDTRAKT- I/N

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Es ist inzwischen stockdunkel. Der Pfleger SAMSON (44) kommt aus einem der Zimmer. Er schließt die Tür hinter sich, hebt eine Kippe vom Boden auf und wirft sie in den Mülleimer. Dann macht er im Flur das Licht aus und geht weiter. Er übersieht Fedja, der sich im Flur in eine Ecke gedrängt hat. Fedja hält den Atem an, bis Samsons Schritte nicht mehr zu hören sind.

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15. 22. DEZEMBER 20 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER ALEX UND LARA - I/MORGEN

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Alex steht inmitten eines Zimmers am Fenster und schaut auf den Parkplatz vor der Klinik. Ihre kleine Reisetasche steht noch unausgepackt neben ihrem Bett. Vor Laras Bett stehen mehrere Paar Schuhe und ihre Klamotten sind überall im Zimmer verstreut. Oben auf dem Schrank liegt ein riesiger Koffer. Alex beobachtet ein paar Jugendliche, die von ihren Eltern abgeholt werden. Der Junge mit dem Fahrradhelm kommt mit einer Reisetasche aus der Klinik und geht auf ein parkendes Auto zu. Sein Vater steigt aus und begrüßt ihn mit einem Nicken. Einen Moment lang stehen sie wortlos voreinander, dann steigt der Junge ein und sie fahren los. Ein anderes Mädchen fällt ihrer Mutter in die Arme. Sie halten sich aneinander fest. Alex schaut auf ihr Handy. Kein Anruf. 21 JUGENDPSYCHIATRIE/GRUPPENRAUM - I/T

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Wolff schaut in die Gesichter der Jugendlichen, die um ihn herum in einem Halbkreis sitzen. Lara hängt nachlässig in ihrem Stuhl und hat die Kapuze über den Kopf gezogen. Fedja hat seinen Stuhl nach hinten gerückt, so dass er kein Teil des Kreises ist. Timos Gesicht ist verschlossen und Alex schaut vor sich auf den Tisch. WOLFF Seit gestern sind Timo und Alexandra bei uns. (Pause) Vielleicht stellt sich jeder kurz vor? Keiner rührt sich. Fedja fängt einen Blick von Timo auf und sinkt noch mehr in sich zusammen. WOLFF Ok, blöde Idee, lassen wir das. Er schaut in die schweigende Runde. Lara steht plötzlich auf. LARA Der Gong. (Pause) Ich will den Gong. Sie geht zu einem Schrank und macht ihn auf.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


16. WOLFF (zu den anderen) Eine andere Patientin hat sich gewünscht, dass zu Beginn jeder Gruppe ein Gong geschlagen wird. LARA Silvie die Strebersau. Sie holt einen Gong aus dem Schrank. TIMO (verständnislos) Wieso. Lara schlägt den Gong. LARA Spürst Du es nicht? Wie Dein Inneres sich öffnet und Du bereit wirst zu sprechen? Timos Mundwinkel zucken ganz leicht. Auch Alex und Wolff müssen lächeln. Fedja verzieht keine Miene. Lara setzt sich auf einen Tisch in der Ecke und hippelt mit den Knien. Dann schweigen wieder alle. Wolff scheint das nichts auszumachen, er lässt sich Zeit. WOLFF Also wir fünf werden über Weihnachten zusammen hier sein. Pause. WOLFF Das ist natürlich ne spezielle Situation und wir müssen auch nicht so tun, als wäre das nicht so. Er schaut in die Runde. WOLFF Ich würde in den nächsten Tagen gerne möglichst viel in der Gruppe bleiben und weniger Einzelsitzungen machen. (Pause) Ist das ok für Euch? Keine Antwort. Wolff schaut zu Fedja. WOLFF Wenn ihr mich alleine sprechen wollt kommt ihr einfach zu mir. TIMO (provozierend) Warum Sind Sie überhaupt hier an Weihnachten? Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


17. (Pause) Sie zwingt doch keiner. Wolff erwidert seinen Blick. WOLFF Euch zwingt auch keiner. Stille. Die Jugendlichen werfen sich verstohlene Blicke zu. Bis auf Fedja, der damit beschäftigt ist sich unsichtbar zu machen. 22 IM WALD - A/T

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Sonnenlicht fällt durch die Baumkronen und macht Muster auf dem Waldboden. Timo joggt durch den Wald. Er läuft sehr schnell aber es scheint ihn kaum anzustrengen. Er trägt eine Jogginghose und ein T-Shirt. Er beschleunigt, geht an seine Grenzen, läuft immer schneller. 23 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/T

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Alex sitzt ohne Jacke und mit ihrem Handy am Ohr auf einem Mäuerchen das einen großen Baum umgibt. STIMME ALEX (OFF) Das ist der Anrufbeantworter von Susanne und Alex. (Pause) Bitte hinterlasst uns eine Nachricht. Es piept. ALEX Geh bitte ran, Mama. Sie legt auf und wählt wieder. Timo kommt auf sie zugejoggt. Er bleibt in ihrer Nähe stehen, beugt sich vor und atmet durch. STIMME ALEX (OFF) Das ist der Anrufbeantworter von Susanne und Alex. (Pause) Bitte hinterlasst uns eine Nachricht. ALEX Ich weiß dass Du zuhause bist. Alex begegnet dem Blick von Timo der sie von der Seite beobachtet. ALEX (ängstlich) Ich kann meine Mutter nicht erreichen. Einen Moment lang sehen sie sich an. Erstaunlich offen. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


18. Simone kommt aus der Klinik und geht auf Timo zu. SIMONE Du kannst nicht einfach alleine in den Wald gehen, Timo. Timos wirft Simone einen verächtlichen Blick zu und geht an ihr vorbei in die Klinik. Simone wendet sich Alex zu. SIMONE (weicher) Es ist kalt, Alex. (Pause) Hol Dir lieber eine Jacke. Sie geht zurück in die Klinik. 24 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR ERDGESCHOSS - I/T Wolff holt sich einen Kaffee an der Maschine. WOLFF Ich hab ihm das erlaubt. Simone steht hinter ihm. SIMONE Und Sie halten es nicht für nötig das mit uns zu besprechen? (Pause) Wie stehe ich denn jetzt da vor ihm. Wolff geht mit dem Kaffee an ihr vorbei. Hallo?

SIMONE

Wolff dreht sich genervt zu ihr um. SIMONE Sie haben gegen die Pflege durchgesetzt dass Timo hierher kommt. (Pause) Sie müssen jetzt wenigstens mit uns zusammenarbeiten. WOLFF Was wollen Sie von mir, Simone. SIMONE Timo braucht hier strenge Auflagen. WOLFF Ich glaube dass er mehr Freiraum braucht.

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19. SIMONE Aber er war schon in der Geschlossenen kaum zu kontrollieren. Eben.

WOLFF

Simone schüttelt fassungslos den Kopf. SIMONE Was ist das für eine Logik. WOLFF Das ist meine Logik. SIMONE Sie sind hier aber nicht alleine. Wolff wendet sich ab. WOLFF Glauben Sir mir, das weiß ich. Er geht in sein Büro und setzt sich an den Schreibtisch. 25 JUGENDPSYCHIATRIE/BÜRO WOLFF - I/T Simone bleibt in der Tür stehen. SIMONE Sie müssen Timo wenigstens in ein anderes Zimmer verlegen. WOLFF Muss ich das. SIMONE Das geht nicht gut mit dem Georgier. Fedja.

WOLFF

SIMONE Ich weiß, wie er heißt. WOLFF Ich werde Timo hier nicht gleich isolieren. SIMONE Aber Fedja hat Angst vor ihm. WOLFF Dann spreche ich mit Fedja darüber. Wolff beugt sich über seine Unterlagen.

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20. 26 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR - I/T

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Fedja geht über den Flur. Sein Gang ist staksig und unkörperlich, die Gliedmaßen schlackern scheinbar unverbunden um ihn herum. Er strauchelt und stößt sich hart mit der Schulter an der Wand. Von hinten läuft jemand in ihn rein. Fedja dreht sich um und schaut in Timos ausdrucksloses Gesicht. Fedja schaut sich nach Hilfe um, aber der Gang ist leer. Plötzlich rennt er los. Wie angestochen biegt er in einen Gang ein, öffnet die Tür zur Wäschekammer und schließt sie hinter sich. 27 JUGENDPSYCHIATRIE/WÄSCHEKAMMER - I/T

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Fedja horcht. Schritte nähern sich und Fedja hält die Tür zu. Über dem Geräusch seines hektischen Atems liegt ein leichtes Piepen. Die Schritte halten vor der Tür und jemand drückt die Klinke runter. Fedja hält fest. Hallo?

SCHWESTERNHILFE (OFF)

Fedja lässt die Klinke los. Die Tür geht auf und eine Schwesternhilfe schaut herein. SCHWESTERNHILFE (perplex) Geht’s noch? Fedja rührt sich nicht von der Stelle. 28 JUGENDPSYCHIATRIE/ERGOTHERAPIE - I/T

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Eine geräumige Werkstatt mit großen Tischen. Utensilien zum Malen, Töpfern und zur Holzarbeit sind ausgebreitet. Alex sitzt auf einem Hocker vor einer weißen Leinwand. Lara steht an einem der Tische und schneidet vor sich hin summend etwas aus. Sibel hockt in der Ecke und packt ein Paket aus. Alex setzt an etwas zu malen und zieht die Hand dann doch wieder zurück. Plötzlich entdeckt sie Timo, der in der Tür steht und ihr zusieht. Ihre Hand mit dem Pinsel hängt tatenlos in der Luft. Timo tritt plötzlich vor, greift nach einem Pinsel, tunkt ihn in rote Farbe und malt mit aggressiver Geste einen dicken Strich quer über die Leinwand. Alex zuckt zusammen. Timo wartet angespannt auf ihre Reaktion. Alex schaut auf das Bild. Dann nimmt sie einen anderen Pinsel, tunkt ihn in die blaue Farbe und durchkreuzt Timos Strich. Timo sieht sie überrascht von der Seite an. Lara behält die beiden genau im Auge.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


21. LARA Dafür kannst Du viel Geld nehmen. (Pause) Meine Eltern haben nur so’n Zeug zuhause. Sibel gesellt sich zu den beiden und sofort werden Timos Augen kalt. SIBEL (zu Timo) Du kannst auch was machen, wenn Du willst. Timo rührt sich nicht von der Stelle. SIBEL Möchtest Du Dich vielleicht ein bisschen an der Werkbank austoben? TIMO Hast Du irgendein Problem? Er geht auf Sibel zu und bleibt so dicht vor ihr stehen, dass Sibel zwischen Timo und der Wand eingequetscht ist. SIBEL Das ist mir zu nah, Timo. (Pause) Ich finde das unangenehm. Sie versucht ihre Unsicherheit zu verbergen. Die Schwesternhilfe kommt rein. SCHWESTERNHILFE Einer der Jungs hat eine Panikattacke in der Wäschekammer. Sibel rückt ihren Kittel zurecht und geht an Timo vorbei aus dem Zimmer. SIBEL Ich komme gleich wieder. Alex, Lara und Timo bleiben zurück. Lara hält einen Penis aus Pappe hoch. LARA Ein Weihnachtspimmel für den Baum. Sie grinst Timo an. LARA Machst Du mit? (Pause) Kannst Dich ein bisschen austoben.

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22. TIMO (bedrohlich) Kannst Du einfach mal die Fresse halten? Lara hält seinem Blick stand. LARA Nein, kann ich nicht. Timo geht wortlos aus dem Zimmer. Charmant.

LARA

29 JUGENDPSYCHIATRIE/WÄSCHEKAMMER - I/ABEND

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Fedja sitzt in der Kammer auf dem Boden. Sibel kommt rein. Fedja?

SIBEL

Fedja sieht sie hilflos an. FEDJA Ich kann nicht aufstehen. Sibel betrachtet seine verkrampften Hände. SIBEL Sind die Hände wieder taub? Fedja nickt. Sibel hockt sich vor ihm hin. SIBEL Erinnerst Du Dich an die Übungen vom letzten Mal? Sie macht mit ihren Händen eine schwingende Bewegung. Fedjas Hände zittern. SIBEL Das öffnet die Blutzufuhr ein bisschen. Fedja versucht es ihr nachzumachen. Jetzt so.

SIBEL

Sie setzt sich neben ihr und macht die Hände auf und zu. SIBEL Das kannst Du immer machen, wenn die Hände taub werden.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


23. Fedja macht es ihr nach und sie sitzen eine Weile lang schweigend beieinander und bewegen die Hände. SIBEL Bisschen besser? Fedja nickt. Sibel betrachtet ihn von der Seite. SIBEL Ich kann das auch gerade gut gebrauchen. (Pause) Ich hatte eben eine...blöde Situation. Fedja macht noch immer die Hände auf und zu. SIBEL Ich hab einfach Schiss gekriegt und konnte nicht souverän damit umgehen. Ihr Geständnis führt zu merklicher Entspannung bei Fedja. Er wird langsam ruhiger. Lara kommt vorbei und sieht die beiden in der Wäschekammer. LARA Was macht ihr denn da. SIBEL Wir sitzen hier nur. Fedja zieht sich sofort wieder in sich zurück. LARA Alter, seid ihr Mongos. Sie geht weiter. 30 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER LARA UND ALEX - I/ABEND

30

Alex kommt in ihr Zimmer. An ihren Händen ist noch Farbe. Verblüfft bleibt sie stehen - ein Teil von Alex’ Klamotten liegt auf dem Boden und der Rest im Schrank ist wüst durcheinander geworfen. Alex steht da und betrachtet die Unordnung. Irgendwie erstaunt. Lara kommt ins Zimmer. Sie trägt einen Pullover und eine Hose von Alex. Kopfschüttelnd zieht sie die Hosenbeine auseinander. LARA Holst Du Deine Klamotten aus der Kleidersammlung? Sie mustert Alex. LARA Wir ziehen Dir jetzt was Vernünftiges an. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


24. Sie geht zum Schrank und greift sie nach einem Rock und einem schmalen Oberteil und wirft es auf Alex’ Bett. Dann geht sie auf Alex zu und drückt sie an Schultern runter, so dass sie auf dem Bett zu Sitzen kommt. Sie betrachtet ihr Gesicht und streicht ihr die Haare aus der Stirn. LARA Kann das Ding ab? Sie deutet auf die Halskrause. ALEX Noch nicht. Lara holt ein edles Etui und nimmt Puder und einen Pinsel raus. Sie legt eine Hand unter Alex’ Kinn und pudert mit anderen gekonnt ihr Gesicht. LARA Du bist eigentlich ziemlich hübsch. (Pause) So’n Schneewittchentyp. Sie betrachtet Alex. LARA Kauf Dir ein Puder von Chanel, das unterstützt Deinen Hauttyp. Überrumpelt lässt Alex sie gewähren. 31 JUGENDPSYCHIATRIE/BÜRO WOLFF - I/ABEND

31

Fedja sitzt Wolff gegenüber in dessen Büro. WOLFF Tut Dir das ganz gut mit der Körpertherapie? Pause. FEDJA Ich glaub schon. Sein Blick fällt auf ein vergrößertes Foto das an der Wand hängt. Es zeigt ein mit samtartig grünem Gras bewachsenens Gebirge. FEDJA Wo ist das? WOLFF Argentinien. Fedjas Hände sind ineinander verkrampft. FEDJA Sieht ein bisschen aus wie in Georgien. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


25.

Ja?

WOLFF

Wolff dreht sich um und betrachtet das Bild eine Weile. WOLFF Hast Du manchmal Heimweh nach Georgien? Fedja überlegt. FEDJA Ich weiß nicht. WOLFF Oder ist Deutschland doch mehr Dein zuhause. Stille. FEDJA Beides nicht so richtig. Er sieht blass und übermüdet aus. WOLFF (lächelt) Ich beneide Dich um Deine georgischen Wurzeln. Fedja sieht ihn überrascht an. WOLFF Ich hab mir immer gewünscht, Teil einer anderen Kultur zu sein. (Pause) Ich finde das aufregend. FEDJA (dunkel) Da sind Sie der Einzige. Wolff schaut wieder zu dem Photo. WOLFF Oft sind die Sachen die Leute an einem befremdlich finden wenn man jung ist genau dieselben die einen interessant machen wenn man älter ist. (Pause) Es ist letztlich auch eine Sache von Durchhalten, Fedja. FEDJA Woher wollen Sie das wissen. WOLFF Weil ich es selber erlebt hab.

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26. Sie schauen sich an. Dann schweigen sie. WOLFF Kommst Du zurecht mit Timo? Wolff wartet eine Weile, aber Fedja antwortet nicht. WOLFF Ich verlasse mich darauf dass Du mir bescheid sagst wenn das nicht geht für Dich. Fedja weicht seinem Blick aus. 32 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR - I/ABEND

32

Alex steckt den Kopf aus ihrem Zimmer. Ihre Haare sind zurückgebürstet, das Gesicht ist geschminkt und sie trägt Laras Rock und Oberteil. Sie schaut nach rechts und links und huscht dann über den Flur auf das Badezimmer zu. Plötzlich entdeckt sie Timo der am Fenster steht und bleibt peinlich berührt stehen. TIMO Wie siehst du denn aus. ALEX (murmelt) Dann sind Sachen von Lara. Timo mustert ihr Gesicht. Ihre Blicke treffen sich und Alex wird rot. Lara kommt aus dem Zimmer und beobachtet die beiden. LARA (böse) Ist doch erstaunlich was ein bisschen Make - Up aus einem Mauerblümchen machen kann, oder? Alex verschwindet im Bad. Timo wendet sich wortlos ab und geht. Lara steht unzufrieden da. 33 JUGENDPSYCHIATRIE/WASCHRAUM MÄDCHEN - I/ABEND

33

Alex bleibt im Waschraum stehen und betrachtet sich in einem der Spiegel. Ihr Atem geht schnell und ihre Wangen sind rot. 34 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/N Lara sitzt vor der Klinik auf der Tischtennisplatte und raucht. Sie greift nach einem Ast, der von dem großen Baum auf die Tischtennisplatte gefallen ist und hebt damit etwas auf das im Schnee liegt.

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34


27. Es ist ein kleines rosa Kinderkleidchen, an dem noch ein Preisschild hängt. Wolff kommt vom Parkplatz zurück und schaut suchend auf den Boden. LARA Suchen Sie das? Sie hält Wolff den Ast entgegen an dem das Kleid baumelt. Danke.

WOLFF

Wolff nimmt das Kleid vom Stock und schüttelt den Schnee ab. LARA Für wen ist das? Wolff zögert. WOLFF Für meine Tochter. LARA Sie haben eine Tochter? (Pause) Ich hab in Ihrem Büro gar kein Foto gesehen. WOLFF Was Du so alles merkst. Lara zieht an der Zigarette und wartet ab. WOLFF (WEITER) Sie wohnt nicht bei mir. (Pause) Ich kenne sie eigentlich kaum. LARA Warum nicht? Wolff antwortet nicht. LARA (WEITER) Ach kommen Sie, Sie wollen auch ständig Sachen wissen die Sie nichts angehen. WOLFF (lächelt) Und Du antwortest meistens nicht. Lara überlegt einen Moment. LARA Ok, also jeder darf eine Frage stellen und der andere muss ehrlich antworten.

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28. Sie hält Wolff eine Zigarette hin. Wolff zögert einen Moment, dann nimmt er sie und zündet sie an. LARA (WEITER) Sie fangen an. Wolff zieht an der Zigarette. WOLFF Wie geht es Dir. LARA Blöde Frage. Wolff wartet ab. LARA (WEITER) Phantastisch. Wolff sieht sie einfach nur an. LARA (WEITER) (ironisch) Jeden Tag ein bisschen anders. WOLFF Das war Deine Idee. Lara schweigt eine Weile. LARA Ich weiß nicht. (Pause) Ich fühle irgendwie nichts. WOLFF Jetzt gerade? Lara schaut auf. Verletzlich und müde. LARA Eigentlich die ganze Zeit. Sie zündet sich eine neue Zigarette an. LARA (WEITER) Jetzt darf ich. (herausfordernd) Also, wenn eines Tages Ihre Tochter hier auftaucht und voll mit Drogen ist und sagt...Du versuchst die ganzen Mongos hier zu retten die Du gar nicht kennst, aber ich bin total abgefuckt weil du Dich nie um mich gekümmert hast...was sagen Sie ihr dann? Wolff braucht eine Weile, aber er weicht ihr nicht aus.

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29. WOLFF Ich würde ihr vielleicht sagen, dass man gleichzeitig ein guter Psychiater und ein schlechter Vater sein kann. (Pause) Und dass ich hoffe dass sie mir verzeiht. Er macht seine Zigarette aus und wendet sich ab. WOLFF (WEITER) Bis morgen dann. LARA Sie wird sich freuen. (Pause) Ist ein cooles Kleid. Wolff winkt ihr kurz zu und geht zum Parkplatz. 35 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER LARA UND ALEX - I/N

35

LARA (OFF) (brüllt) Wie komme ich hier raus. Alex fährt aus dem Schlaf hoch. Es ist stockfinster im Zimmer. Hallo!!!

LARA (OFF)

Alex tastet im Dunkeln nach der Nachttischlampe und macht sie an. Lara hockt an der Wand auf dem Boden. ALEX Was ist denn los. Lara fährt herum. Bleich und desorientiert starrt sie Alex an. ALEX Hast Du schlecht geträumt? Lara atmet schwer. Alex steht auf und geht zu ihr. LARA Ich kann nicht atmen. ALEX Leg Dich hin. Lara gehorcht und Alex legt eine Hand auf Laras Brustkorb. ALEX Atme hier rein. LARA (panisch) Das geht nicht. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


30. ALEX Doch, das geht. ALEX Ganz tief atmen. Hierhin. (Pause) So ist gut, es wird gleich besser. Sie lässt ihre Hand auf Laras Brustkorb liegen. Ganz ruhig. Fast professionell. Und langsam wird Lara ruhiger. Alex hilft ihr aufzustehen und bringt sie zu ihrem Bett. LARA (leise) Mir ist kalt. Alex nimmt Laras Decke und deckt sie zu. Sie will sich wieder hinlegen, aber Lara greift nach ihrer Hand und hält sie fest. Lara ist sehr blass. LARA Woher weißt Du das mit dem Atmen. Alex zögert einen Moment. ALEX Meine Mutter hat manchmal Panikattacken. LARA Versuchst Du deshalb ständig sie anzurufen? Sie hält sich noch immer an Alex fest. ALEX Sie geht nicht ans Telefon. Pause. LARA Hast Du Angst dass sie sich was antut? Alex antwortet nicht. Lara deutet mit dem Kopf auf ein Foto das auf Alex’ Nachttisch steht. Darauf sind zwei Kinder im Alter von 4 und 7 zu sehen. LARA Wie alt ist dein Bruder? ALEX Das sind meine Halbgeschwister. Lara wartet ab.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


31. ALEX Mein Bruder ist vier. Lara scheint auch unter Alex’ Decke noch zu frieren. LARA Hat er Dich gern? ALEX Ich glaub schon. Lara sieht bloßgelegt und dunkel aus. LARA Ich hasse Weihnachten. Sie sehen sich und Alex nickt. Dann schließt Lara die Augen und Alex bleibt bei ihr stehen. 23. DEZEMBER 36 IM WALD - A/M

36

Es wird gerade hell, das erste Morgenlicht dringt durch die Bäume. Die vier Jugendlichen stapfen hinter Wolff her durch den Wald. Sie sehen müde aus und ihr Atem steigt in die Luft. Lara ist verquollen und sie geht dicht neben Alex. Timo läuft in Wolffs Nähe und Fedja hält Abstand zu den anderen. 37 AM WALDSEE - A/M

37

Wolff biegt in einen Weg ein und bleibt vor einem kleinen Waldsee stehen. Ein langer, morscher Steg führt auf den See. Nach und nach kommen die Jugendlichen neben ihm zu Stehen. Der Morgennebel liegt auf dem Wasser und es ist ganz still. Wolff zündet sich eine Zigarette an. WOLFF Was kommt Euch als Erstes in den Sinn wenn ihr über Weihnachten nachdenkt? TIMO (misstrauisch) Wieso? WOLFF Einfach so. Die Jugendlichen schauen müde auf den See. Geschenke.

LARA

TIMO Keine Geschenke. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


32. LARA Doofe Geschenke. Pause. ALEX (schüchtern) Druck. LARA (nickt) Megadruck. TIMO Kekse die nach Scheiße schmecken. Lara grinst. Fedja schweigt. WOLFF Gar nichts Schönes? Ne.

LARA

ALEX (gleichzeitig) Doch, schon. Wolff sieht sie an, aber Alex spricht nicht weiter. Wolff wirft seine halb gerauchte Zigarette in den Schnee. WOLFF Letztes Jahr hab ich zum ersten Mal an Heilig Abend gearbeitet und bin bei einem Spaziergang hier gelandet. (Pause) Und als ich hier so stand...hab ich plötzlich gemerkt, wie befreiend ich das fand, so ein Weihnachten. Kein Druck, keine Geschenke, keine Erwartungen. Er schaut in die Runde. Die Jugendlichen hören aufmerksam zu. WOLFF (zu Timo) Kekse die nach Scheiße schmecken gibt es in der Klinik allerdings auch. Timo muss gegen seinen Willen grinsen. Lara setzt sich auf einen Baumstamm und zieht frösteln die Jacke um den Körper. Wolff zündet sich wieder eine Zigarette an. LARA Es ist 8 Uhr, Wolffi, das ist eklig. Wolff zieht ein paar verknitterte Zettel aus seiner Jacke.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


33. WOLFF Kennt ihr wichteln? Lara verzieht das Gesicht. LARA Ganz schlimm. Fedja sieht ihn mit Panik in den Augen an. WOLFF Jeder von Euch zieht einen der andern. (Pause) Und demjenigen erzählt ihr irgendwann in den nächsten Tagen, was ihr an Eurem Weihnachten zuhause vermisst - und was ihr auf der anderen Seite daran befreiend findet hier zu sein. Wolff hält den Jugendlichen die Zettel hin. Keiner rührt sich. Dann steht Lara auf, geht zu Wolff und nimmt ihm einen Zettel aus der Hand. Sie faltet ihn aus, sieht Fedja an und zwinkert ihm verführerisch zu. Fedja fällt noch mehr in sich zusammen. WOLFF Ihr könnt Euch auch filmen wenn ihr wollt, das ist manchmal leichter als sich direkt anzusprechen. Alex nimmt einen Zettel aus Wolffs Hand und faltet ihn auseinander. “Lara” steht dort und sie atmet erleichtert durch. Timo nimmt wiederwillig einen der letzten beiden Zettel. Er öffnet ihn und liest “Alex”. Sein Gesicht zeigt keine Regung. LARA (provozierend) Wenn wir filmen sollen brauche ich mein Handy wieder. WOLFF Ich lege eine Kamera in mein Büro, die könnt ihr nehmen wenn ihr sie braucht. Wolff hält Fedja den letzten Zettel hin. Fedja nimmt ihn entgegen und steckt ihn weg ohne ihn zu öffnen. Die Jugendlichen stehen schweigend beieinander und Wolff raucht seine Zigarette zuende. In die Stille hinein klingelt das Handy von Alex. Sie schaut auf den Display und entfernt sich ein Stück von den Anderen. Lara beobachtet Alex, die leicht vornüber gebeugt steht und angespannt lauscht. Timo schießt mit dem Fuß einen Stein in den See. Fedja scheint nur physisch präsent zu sein.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


34. Alex kommt zurück bleibt mit gesenktem Kopf vor Wolff stehen. ALEX Ich muss nachhause. (Pause) Meine Mutter braucht mich. Timo schaut sie von der Seite an. WOLFF Möchtest Du denn nachhause? ALEX (panisch) Sie haben gesagt ich kann jederzeit nachhause. WOLFF Das kannst Du auch. LARA Erst geht sie nicht ans Telefon und jetzt braucht sie Dich auf einmal? Alex weicht Laras Blick aus. ALEX Du verstehst das nicht. LARA Was ist überhaupt mit der los. Nichts.

ALEX

LARA Warum kümmert sich Dein Vater nicht. Wolff mischt sich nicht ein und Alex wendet sich ab und geht. LARA (fährt Wolff an) Warum machen Sie nichts, sie will doch nicht nachhause. WOLFF Weil sie das selber entscheiden muss. Unglücklich sieht Lara Alex hinterher. Timo zerknüllt seinen Zettel auf dem “Alex” steht und wirft ihn in den Schnee. Fedja scheint das alles gar nicht wahrzunehmen.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


35. 38 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER ALEX UND LARA - I/T

38

Alex packt ihre Sachen in die Reisetasche. Wie ferngesteuert stapelt sie die Klamotten übereinander. Sie zieht einen Pullover unter Laras Bett vor und packt ihn ein. 39 IM WALD - A/T

39

Die Jugendlichen und Wolff gehen schweigend zurück. Fedja geht mit einigem Abstand hinter ihnen her. Mit klammen Händen holt er den Zettel aus seiner Jackentasche und faltet ihn auf. “Timo” steht dort. Fedja steckt den Zettel wieder weg. Er stolpert über eine Baumwurzel und schlägt hin. Die Gruppe vor ihm bemerkt es nicht. Fedja rappelt sich wieder auf und geht weiter. 40 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/T

40

Alex kommt mit ihrer Reisetasche aus der Klinik. Sie setzt sich auf eine Bank, nimmt ihr Handy raus und wählt eine Nummer. STIMME (OFF) Taxifunk, was kann ich für sie tun? Alex räuspert sich. ALEX Ich brauche ein Taxi. Pause. STIMME (OFF) Würden Sie mir netterweise sagen wohin? Alex schweigt. Nach einer Weile legt sie auf. Still und unbeweglich bleibt sie sitzen. Dann beugt sie sich vor und übergibt sich kurz und heftig. Wolff kommt mit Timo, Lara und Fedja auf sie zu. Fedja geht an den anderen vorbei und verschwindet in der Klinik. WOLFF Kann ich Dir irgendwie helfen? Alex schaut niemanden an und wischt sich beschämt über den Mund. ALEX (leise) Ich möchte nicht nachhause. Lara sieht Wolff von der Seite an.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


36. WOLFF Komm mal mit. Alex schaut ihn hilflos an. WOLFF Hoch mit Dir. Er zieht Alex auf die Füße und läuft mit ihr zurück in Richtung des Waldes. Lara hüpft angeekelt um die Kotze herum, nimmt Alex’ Reisetasche und trägt sie zurück in die Klinik. Timo setzt sich auf die Bank auf der eben Alex noch saß. Eine Schwester kommt an die Tür. SCHWESTER Du bist Timo, oder? Timo antwortet nicht. SCHWESTER Dein Vater wartet in der Kantine. Timo rührt sich nicht von der Stelle. 41 IM WALD - A/T

41

Wolff zieht Alex immer noch hinter sich her. Auf einer Lichtung bleibt er stehen und fängt an auf und ab zu hüpfen. Mach mit!

WOLFF

Alex reagiert nicht. WOLFF Dein Körper braucht das jetzt. (Pause) Los, Alex. Wolff hüpft auf und nieder, er streckt die Arme nach oben und zur Seite und sieht sehr komisch aus. Alex fängt langsam an zu hüpfen. Schüchtern. WOLFF Ich guck nicht hin. Er dreht sich um und hüpft mit dem Rücken zu ihr weiter. Alex hüpft etwas kräftiger und sofort laufen die Tränen.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


37. WOLFF Und jetzt darfst Du Deiner Mutter einmal sagen wie sehr sie Dich mit ihren beschissenen Ängsten nervt. Alex weint. WOLFF (ruft) Ich liebe Dich aber Du machst mich fertig. (Pause) Kümmer Dich um Deinen eigenen Dreck. Alex hüpft tapfer weiter und lässt die Tränen laufen. WOLFF (ruft in den Wald) Ich hab auch ein eigenes Leben! (Pause) Komm los! Er ist immer noch mit dem Rücken zu ihr und hüpft auf und ab. WOLFF Niemand hört Dich hier. Rotz und Wasser laufen Alex über das Gesicht. Sie hüpft weiter. ALEX (leise) Du nervst mich. Sie schüttelt den Kopf. WOLFF Ich bin nicht Dein Pflegedienst Du verrückt Küh. Alex muss unter Tränen grinsen. ALEX (etwas lauter) Du nervst. Lauter!!!

WOLFF

Er hält sich die Ohren zu. ALEX (laut) Du nervst!!! Erschrocken bleibt sie stehen und horcht dem Hall ihrer eigenen Stimme. Die Haare kleben ihr an der Stirn und ihr Gesicht ist knallrot. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


38. 42 JUGENDPSYCHIATRIE/DUSCHRAUM JUNGEN - I/T

42

Fedja steht in der Dusche und lässt sich das warme Wasser über den Körper laufen. Sein magerer Körper ist übersät von blauen Flecken. Über dem Geräusch des Wassers liegt wieder ein leichtes Piepen. Fedja macht die Dusche aus und das Piepen wird lauter. Er setzt sich in der Duschkabine auf den Boden und hält sein Ohr zu. Mit angewinkelten Beinen bleibt er dort sitzen. 43 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR ERDGESCHOSS- I/T

43

In den Fenstern der Klinik hängen Weihnachtsterne und vom Flur aus ist der Chor der Schwestern zu hören. “Oh Tannebaum, oh Tannebaum, wie grün sind Deine Blätter”. Timo schlendert durch den Flur. Seine Fingernägel kratzen an der Wand entlang. Er zögert einen Moment, bevor er die Kantine betritt. 44 JUGENDPSYCHIATRIE/KANTINE - I/T

44

An einem Tisch sitzt Timos Vater. Sein Körper ist schwer und weich. TIMOS VATER (unsicher) Hallo Timo. (Pause) Wie geht es Dir? TIMO Setzt Dich mal gerade hin, Mann. Wie ferngesteuert richtet sich der Vater auf. Timo bleibt stehen. TIMO Was willst Du hier? TIMOS VATER Morgen ist doch Weihnachten. Na und?

TIMO

Der Vater betrachtet ihn ängstlich. TIMO Hast Du Muttern gesagt, dass Du kommst? TIMOS VATER Ich muss doch nicht alles mit ihr besprechen.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


39. Timo grinst sadistisch und fletzt sich auf einen Stuhl. TIMO Warst mal wieder zu feige. TIMOS VATER Is gut jetzt, Timo. (Pause) Ich hab Dir was mitgebracht. Er nimmt ein Päckchen aus der Tasche und stellt es auf den Tisch. TIMO Was soll das sein? TIMOS VATER Ich hab es für Dich gemacht. Timo reißt das Papier auf. Zum Vorschein kommt ein aus dünnem Holz gesägter, außerordentlich schön gearbeiteter Stern. TIMOS VATER Ich dachte Du kannst ihn dir hier aufhängen. Timo betrachtet den Stern. Dann bricht er das fragile Holz in der Mitte durch. Ups.

TIMO

(Pause) Das war wohl nichts. Stille. TIMOS VATER (leise) Lass das doch. Timo schmeißt ihm den kaputten Stern hin. TIMO Komm, hau ab. (Pause) Verpiss Dich und nimm Dein Geschenk mit. Der Vater bleibt sitzen. TIMO (brüllt) Hau ab, Mann. Der Vater zuckt zusammen und geht aus dem Zimmer.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


40. 45 JUGENDPSYCHIATRIE/DUSCHRAUM JUNGEN - I/T

45

Timo kommt in den Duschraum. Er hat kein Handtuch dabei. Er zieht sich seine Jogginghose und sein T-Shirt aus und geht in eine der Kabinen. Timo dreht den Kaltwasserhahn auf. Er lehnt sich nach vorne, stützt die Ellbogen gegen die Wand und lässt sich das eisige Wasser über den Kopf laufen. Seine Augen sind geschlossen und sein Kiefer ragt aus dem Gesicht heraus. Bewegungslos steht er mit dem Kopf unter dem eisigen Wasser. Dann schlägt er plötzlich mit den Fäusten heftig gegen die Wand. TIMO (brüllt) Ich bring Dich um Du verschissener Feigling. Sein Gesicht ist ganz verstellt. Timo hört von nebenan ein Geräusch und fährt herum. 46 JUGENDPSYCHIATRIE/DUSCHKABINE - I/T

46

Fedja steht zur Salzsäule erstarrt in der anderen Duschkabine. Auf dem Boden liegt sein Duschgel das ihm runtergefallen ist. Der Duschvorhang geht auf und Timo steht nackt vor ihm. Fedja hält sich schützend die Hände vor den Unterleib. TIMO Spionierst Du mir nach? Fedja schüttelt den Kopf. Timo betrachtet seine verbogene Körperhaltung und grinst böse. Mit den Händen vorm Unterleib flieht Fedja aus der Dusche. 47 JUGENDPSYCHIATRIE/DUSCHRAUM JUNGEN - I/T

47

Fedja greift nach seinen Klamotten und versucht seine Hose anzuziehen. Sein Hände zittern und die Hose bleibt an den nassen Beinen kleben. Das Piepen in seinen Ohren wird lauter. FEDJA (flüstert) Bitte. Er schafft es nicht. Timo kommt angezogen aus dem Duschraum und sieht ihm mit einem sadistischen Lächeln zu. Fedja greift nach einem Handtuch und rennt raus. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


41. 48 VIDEO: DUSCHRAUM MÄDCHEN - I/T

48

Das Bad der Mädchen ist leer, die Kamera wandert von einer Kabine zur anderen. In einer der Kabinen steht ein Eimer mit Putzmitteln und an der Wand lehnt ein Wischmop. Dann hört man ein unterdrücktes Lachen und plötzlich taucht die PUTZFRAU (45) aus der Badewanne auf. PUTZFRAU Fröhliche Weihnachten (Pause) Gott, ist das blöd. Sie muss immer noch lachen. Hinter der Kamera wird auch gekichert. LARA (OFF) Was machst du morgen abend? Die Putzfrau wischt sich die Lachtränen weg und steht auf. PUTZFRAU Ich mach ne Party mit ein paar Freunden und meiner Familie. LARA (OFF) Du lädst Freunde ein? (Pause) Ist ja geil. PUTZFRAU Wir kennen viele Leute, die Weihnachten traurig sind, weil sie blöde Sachen erlebt haben oder warum auch immer. (Pause) Die sammeln wir ein und füllen sie ab bis sie fröhlich sind. LARA (OFF) Kann ich auch kommen? PUTZFRAU Auf keinen Fall. (Pause) Sonst kommt mein Mann noch auf dumme Gedanken. Sie nimmt den Wischmob und wedelt damit vor der Kamera herum. PUTZFRAU Und jetzt aus dem Weg, sonst bin ich morgen noch hier. Sie geht aus dem Bild. PUTZFRAU (OFF) Denn leider gibt es an Weihnachten genauso viel Schmutz wie sonst. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


42. 49 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR JUGENDTRAKT- I/T

49

Das Piepen ist unerträglich laut. Fedja läuft über den Flur und hält sich das Handtuch vor den nackten Unterleib. “Oh Du Fröhliche, oh du Selige” klingt verzerrt aus dem Schwesternzimmer zu ihm herüber. Timo geht dicht hinter ihm. TIMO Wo willst Du denn hin, zum Schwesternchor? Unter dem Piepen in seinen Ohren kann Fedja ihn kaum hören. In seinen Bewegungen ist etwas beängstigend richtungsloses und in seinem Ausdruck lähmende Angst. Fedja biegt in den Flur ein, wo die Jugendlichen wohnen. Am Ende des Flurs steht ein Fenster offen zum Lüften. Timo bleibt ihm auf der Spur. Wie ein böser Schatten geht er hinter ihm her. Die Putzfrau kommt aus dem Bad. Fedja nimmt sie nicht wahr. Panisch sieht er zum Ende des Flurs. Dort ist keine Tür. TIMO (bedrohlich) Und jetzt? Die Putzfrau bleibt stehen und sieht den beiden irritiert nach. In diesem Moment dreht Fedja nach links ab und lässt sich aus dem geöffneten Fenster des zweiten Stocks fallen. Timo zuckt zusammen und die Putzfrau schreit auf. Dann verharren sie beide wie festgefroren. PUTZFRAU (schreit) Wir brauchen Hilfe hier! Sie rennt in Richtung der Treppe. Alex kommt aus dem Zimmer und Lara aus dem Bad. Lara hat die Kamera noch in der Hand. Lara geht zum Fenster und schaut raus. LARA (brüllt Timo an) Was hast Du gemacht! Timo reagiert nicht. Alex geht langsam auf das Fenster zu.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


43. 50 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/T

50

Fedja liegt reglos auf dem Rücken. Mit einem eigenartigen Ausdruck im Gesicht starrt er in den Himmel. Dann öffnet er den Mund und versucht zu atmen. Aber er kriegt keine Luft und es gibt ein röchelndes Geräusch. 51 JUGENDPSYCHIATRIE/BÜRO WOLFF - I/T

51

Wolff kommt aus seinem Büro gerannt. Er rennt auf die Treppe zu, stolpert, fängt sich wieder. Er läuft die Treppe runter und nimmt zwei Stufen auf einmal. Seine Schritte hallen durch die Klinik. 52 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR JUGENDTRAKT- I/T

52

Auf dem Flur ist es gespenstisch still. Timos steht ganz allein vor dem Fenster, das immer noch offen ist. Draußen nähert sich ein Krankenwagen. 53 JUGENDPSYCHIATRIE/ERGOTHERAPIE - I/T

53

Alex sitzt mit Sibel und einigen Kindern von der Kinderstation an einem Tisch im Ergotherapieraum. Sie basteln Krippenfiguren. Alex arbeitet an einem Esel aus Pappe. Plötzlich kommen ihr Tränen und tropfen auf den Esel. JUNGE Warum weinst Du? Sibel schaut auf und ihr Blick begegnet dem von Alex. SIBEL Manchmal muss man ein bisschen weinen, das ist nicht schlimm. Lara kommt ins Zimmer und stellt sich zu Alex und den Kindern. Ein Junge zeigt Alex die Figur, die er gebastelt hat. Ein König?

ALEX

Der Junge nickt. ALEX Und welcher? JUNGE König Alfons der Schauderliche.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


44. Ein dünnes kleines Mädchen schüttelt den Kopf. MÄDCHEN Den gibt es gar nicht. (sie zählt an den Fingern ab) Es waren Caspar, Balthasar und Melchior. LARA Und Alfons der Schauderliche. Das Mädchen schaut sie überrascht an. LARA Wusstest Du das nicht? (Pause) Es waren vier Könige. Der Junge strahlt und auch Alex und Sibel müssen lächeln. LARA Das war der allercoolste. MÄDCHEN Was hat der gemacht? Lara setzt sich neben den kleinen Jungen. LARA Weißt Du, die anderen Könige hatten nur so doofe Sachen in ihren Säcken wie Weihrauch und Myrre. (Pause) Zeug, das wirklich niemand braucht. Während sie spricht, erscheint eine dunkelhaarige Frau (48) in der Tür. Die anderen bemerken sie nicht. LARA Aber König Alfons der Schauderliche hatte richtig coole Sachen dabei. Die Frau betrachtet Lara, die dicht neben dem kleinen Jungen sitzt. Ihr Gesicht ist schön und ihr Ausdruck melancholisch. Was denn?

MÄDCHEN

LARA Na, Chucks für das Christuskind... JUNGE Und ein Radio! LARA Ganz genau. Lara streicht dem kleinen Jungen kurz und zärtlich über den Kopf. Die Frau in der Tür beobachtet das mit schmerzlichem Ausdruck. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


45.

Was noch?

MÄDCHEN

LARA Nutella und Smacks und lauter Sachen, die man gerne isst und nicht essen soll. FRAU Hallo Lara. Lara fährt herum und die Fröhlichkeit ist wie weggeblasen. Hallo.

LARA

Die Frau schaut in die Runde. Guten Tag. Hallo.

LARAS MUTTER SIBEL

LARAS MUTTER Kommst Du? (Pause) Papi wartet in der Kantine. Lara steht auf. JUNGE Musst Du weg? Ohne zu antworten geht Lara aus dem Zimmer. 54 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR ERDGESCHOSS- I/T Lara geht neben ihrer Mutter her den Flur entlang. LARAS MUTTER Meinst Du nicht, dass es die Kinder verwirrt, wenn Du ihnen sowas erzählst? LARA (verschlossen) Die sind eh schon verwirrt. Eben.

LARAS MUTTER

Lara schweigt trotzig und die Mutter lächelt ein wenig hilflos. LARAS MUTTER Aber es hat ihnen sicher Spaß gemacht. Sie gehen in die Kantine.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

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46. 55 JUGENDPSYCHIATRIE/KANTINE - I/T

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Als Lara und ihre Mutter die Kantine betreten, dreht sich Laras Vater zu ihnen um. Er sitzt an einem der Tische und vor ihm auf dem Tisch stehen zwei Stück Kuchen. Daneben liegt ein Geschenk. Er hat ein attraktives Gesicht und feste, graue Haare. LARAS VATER Hallo Mäuschen. Er steht auf und umarmt Lara. Dann setzt er sich wieder hin. Sein Blick ist unruhig. Die Mutter setzt sich auch hin. Lara deutet auf das Geschenk. LARA Ist das für mich? Die Mutter schiebt ihr das Geschenk rüber. LARAS MUTTER Ich hab das in Deinem Alter sehr gerne gelesen. Lara setzt sich hin und holt ein Buch aus dem Papier. Es ist eine schön gebundene Ausgabe von Anna Karenina. LARAS MUTTER Ich weiß, dass Du Dir eigentlich die Uhr gewünscht hast, aber wir fanden das jetzt...passender. Lara legt das Buch zur Seite und schaut aus dem Fenster. Der Vater streicht ihr kurz über die Hand. LARAS VATER Die Uhr bekommst Du später mal. Die Mutter sieht ihn streng an. LARAS VATER (angespannt) Wie läuft es denn so? LARA Super. (trotzig) Heute ist einer aus dem Fenster gesprungen. Vater und Mutter werfen sich einen betroffenen Blick zu. LARAS VATER Warum das denn. Lara antwortet nicht. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


47. LARAS MUTTER Kennst Du ihn? LARA Klar kenne ich ihn, er ist in meiner Station. LARAS MUTTER Kannst Du mal normal mit mir reden? Lara schweigt. LARAS MUTTER Ist ihm was passiert? LARA Keine Ahnung. (Pause) Tot ist er jedenfalls nicht. Sie sehen sich an. Obwohl die Mutter sich Mühe gibt sind Befremden und Distanz allzu deutlich in ihrem Blick zu lesen. LARAS VATER Jetzt wollen wir aber über schöne Sachen reden. Er streicht Lara wieder über die Hand und sie schweigen. Der Kuchen steht unangerührt auf dem Tisch. Von einem Moment auf den anderen ändert sich Laras Ausdruck. LARA (kindlich) Könnt ihr mich nicht mitnehmen? LARAS MUTTER Wie mitnehmen. Pause. LARA Nur heute Abend. (Pause) Ich muss mal raus hier. Laras Mutter sieht sie entgeistert an und der Vater schaut alarmiert zwischen den beiden hin und her. LARA Ach bitte, nur heute. (Pause) Ich werde hier verrückt, ich muss normale Leute sehen. LARAS MUTTER Sag mal, tickst Du noch richtig?

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


48. Lara geht darüber hinweg. LARA (bettelt) Was ist daran so schlimm, ihr könnt mich doch mitnehmen. LARAS MUTTER (laut) Und dann darf ich morgen rumlaufen und Dich wieder halbnackt auf der Straße aufsammeln, ja? LARAS VATER Bitte nicht streiten. LARA Keine Sorge, ich werde Dir schon nicht Dein tolles Weihnachten versauen. LARAS MUTTER Du hast Dir das selber eingebrockt und Du ziehst das jetzt durch hier. Lara zerbröselt eines der Kuchenstücke mit der Hand. LARAS MUTTER (geekelt) Lara! Sie hält Laras Hand fest, aber Lara schlägt aus einem plötzlichen Impuls heraus die Hand der Mutter weg. Die Mutter steht auf und geht raus. 56 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER FEDJA UND TIMO - I/ABEND

56

Simone packt Fedjas Sachen in eine Tasche. Timo sitzt bewegungslos auf seinem Bett. Simone faltet einen Pullover liebevoll und sorgfältig zusammen. SIMONE Möchtest Du vielleicht wissen wie es ihm geht? TIMO (leise) Verpiss Dich. Simone packt die letzten Sachen ein und macht die Reisetasche zu. SIMONE (entschieden) So redest du nicht mit mir, Timo.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


49. TIMO (bedrohlich) Du sollst Dich verpissen. Simone sieht ihm direkt ins Gesicht. SIMONE Ich möchte nicht dass Du so mit mir redest, ok? Sie nimmt die Reisetasche. SIMONE Den Rest hole ich nachher. (Pause) Falls Fedja wiederkommt kriegt er ein eigenes Zimmer. Sie geht raus. Timo bleibt einen Moment reglos sitzen. Dann tritt er plötzlich heftig in den Nachttisch, der sofort umfällt. Die Nachttischlampe fällt auf den Boden und Birne zerspringt. ALEX (OFF) (leise) Timo? Alex steht im Flur und Timo senkt überfordert den Kopf. ALEX Ich wollte Dir nur sagen, dass es Fedja besser geht. (Pause) Das habe ich von Sibel gehört. Timo stößt mit einem eigenartigen Geräusch die Luft aus. 57 KRANKENHAUS - MÄNNERKLO - I/N

57

Wolff steht am offenen Fenster eines Männerklos und raucht. Seine Hände zittern. 58 KRANKENZIMMER- I/N

58

Fedja liegt in einem Krankenzimmer auf dem Bett. Er trägt eine Halskrause. Mit ernstem, traurigem Blick schaut er in den Raum. Auf dem Nachttisch stehen Blumen und eine Dose mit Weihnachtskeksen mit georgischer Aufschrift. Daneben ein Bild mit einer bunten, kindlichen Zeichnung und lauter Herzen. Wolff kommt mit der von Simone gepackten Reisetasche ins Zimmer. FEDJA Sind sie endlich losgefahren? WOLFF Deine Mutter verteilt noch im Schwesternzimmer Kekse. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


50.

Oh je.

FEDJA

WOLFF Die freuen sich. (setzt sich hin) Sie behalten Dich heute Nacht hier um sicherzugehen, dass da nicht noch irgendwas nachkommt. Wolff betrachtet Fedja eine Weile. WOLFF Hat Timo Dir wehgetan, Fedja? Fedja schließt die Augen. WOLFF Ich glaube es ist wichtig, dass Du mir genau erzählst, was passiert ist. Warum.

FEDJA

WOLFF Damit Du unterscheiden kannst, ob die Situation wirklich gefährlich war, oder ob es sich für Dich nur so angefühlt hat. Fedjas Augen sind immer noch geschlossen. WOLFF Verstehst Du warum der Unterschied wichtig ist? In diesem Moment geht die Tür auf und Fedjas Bruder ANATOL (6), ein kleiner, molliger Junge kommt herein. FEDJA Was machst du denn noch hier. Ohne zu antworten geht Anatol auf ihn zu, klettert auf das Bett und legt sich auf Fedjas Bauch. ANATOL Ich wollte Dir Tschüss sagen. FEDJA (georgisch) Das hast Du doch schon. Anatol streichelt Fedjas Arm. ANATOL (georgisch) Warum bist Du aus dem Fenster gefallen? Fedja braucht einen Moment. Wolff beobachtet ihn. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


51. FEDJA Ich bin gestolpert. Antol kichert. ANATOL Du bist ja blöd. Fedja streichelt Anatol über den Kopf. FEDJA Ziemlich blöd. Er gibt seiner Stimme einen festen Klang. 59 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER ALEX UND LARA - I/N

59

Alex sitzt auf ihrem Bett. Sie nimmt die Halskrause ab und bewegt vorsichtig den Kopf von der einen Richtung in die Andere. Dann steht sie auf und nimmt sich den Ipod der auf Laras Nachttisch liegt. Zögerlich setzt Alex sich die Kopfhörer auf und macht die Musik an. Sie zuckt zusammen als ihr ein harter Hip Hop Song in die Ohren knallt und spult weiter. Alex lauscht der Musik und schaut aus dem Fenster in den Wald. Ihr Gesicht ist gelöst und frei in diesem Moment und sie merkt nicht das Lara ins Zimmer kommt. Lara zieht sie ihr die Kopfhörer von den Ohren. LARA Tickst Du noch richtig? Sie legt sich auf ihr Bett und Alex steht einen Moment lang beschämt da. Dann regt sich so etwas wie Trotz in ihrem Gesicht. ALEX Du nimmst doch auch immer meine Sachen. Lara liegt mit dem Gesicht zur Wand. LARA Tu ich nicht. Alex ringt mit sich. Doch.

ALEX

LARA (ätzend) Was soll ich mit Deinen hässlichen Kacksachen. Alex schweigt unwillig.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


52. 60 JUGENDPHSYCHIATRIE/KANTINE - I/N Wolff betritt die Kantine und geht an einen Tisch an dem der CHEFARZT (56), Simone und zwei weitere Kollegen sitzen. CHEFARZT Wie geht es dem Jungen? WOLFF Ganz gut. (er setzt sich) Er hat ziemliches Glück gehabt. CHEFARZT War das ein Suizidversuch? Wolff schüttelt den Kopf. WOLFF Meiner Meinung nach eine spontane Reaktion aus der Angst heraus. SIMONE Er ist von Timo massiv bedroht worden. Wolff ignoriert sie. CHEFARZT Haben Sie Timo unter Kontrolle? Pause. Wolffs Ausdruck wird trotzig. WOLFF Ja, das hab ich. Simone atmet hörbar aus. CHEFARZT Ich will in den Weihnachtstagen nicht angerufen werden weil hier alles aus dem Ruder läuft. WOLFF (ironisch) Alles klar, Chef. Stille. Der Chefarzt beugt sich vor. CHEFARZT (leise) Vorsicht, Dr. Wolff. (Pause) Nicht allzusehr mit dem Feuer spielen. Sie starren sich an. Simone und die zwei weiteren Pfleger beobachten die Situation gespannt.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

60


53. 24. DEZEMBER 61 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER ALEX UND LARA - I/T

61

Alex kommt mit einem Handtuch auf dem Kopf aus der Dusche. Lara liegt reglos im Bett und schläft. Auf ihrem Nachttisch steht ein Tablett mit ihren Medikamenten und daneben liegt eine Postkarte. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe Lara! Einen schönen Tag wünscht Dir das Pflegepersonal der Klinik. Alex liest die Karte und betrachtet die schlafende Lara. Dann beugt sie sich runter und berührt sie leicht an der Schulter. Lara öffnet die Augen und sieht sie orientierungslos an. ALEX Fedja ist wieder da, ich hab ihn durchs Fenster gesehen. 62 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/T

62

Wolff und Fedja stehen vor dem Eingang zur Klinik. Im Eingangsbereich wird der Weihnachtsbaum geschmückt. FEDJA Die haben das alle gesehen. (Pause) Ich kann da nicht rein. Er rührt sich nicht von der Stelle. WOLFF Vielleicht kannst Du Dir einfach sagen dass es gar nicht schlimmer kommen kann. (Pause) Was soll dir jetzt noch passieren. Fedja sieht Wolff plötzlich mit heftiger Verzweiflung ins Gesicht. FEDJA Aber ich halte das nicht mehr aus. WOLFF Was hälst Du nicht mehr aus. FEDJA Warum passiert mir das immer wieder. WOLFF Was meinst Du. FEDJA (heftig) Dass die Leute mich nicht mögen! Die Worte kommen von tief innen und fast anklagend aus ihm heraus.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


54. WOLFF Das weißt Du gar nicht. (Pause) Es ist Dir in der Schule passiert aber das ist hier eine ganz neue Situation. Fedja schüttelt verzweifelt den Kopf. WOLFF Timo ist auf jeden wütend, auch auf mich. (Pause) Und Du hast keine Ahnung wie Lara und Alex über Dich denken. FEDJA (trotzig) Doch. WOLFF Weil es in Deinem Kopf ist, Fedja. (Pause) Versuch in den nächsten Tagen einfach mal nicht gleich abzuhauen wenn Du das Gefühl hast dass keiner Dich dabeihaben will. (Pause) Und lenk Dich ab indem Du darüber nachdenkst, ob DU die anderen eigentlich magst. (Pause) Ob sie Dich interessieren, oder langeweilen, oder...nerven. (Pause) Und dann entscheide ob Du mit Ihnen Zeit verbringen möchtest oder nicht. Dieser Gedanke scheint Fedja völlig neu zu sein. Erstaunt sieht er Wolff an. 63 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER FEDJA UND TIMO

- I/T

Timo sitzt auf dem Bett, als Fedja und Wolff ins Zimmer kommen. WOLFF Hallo Timo. Timo starrt düster vor sich hin. WOLFF Fedja wollte gern seine Sachen holen. TIMO Die hat die Fotze schon geholt. Fedja rührt sich nicht. Die Stimmung im Raum ist unerträglich angespannt. WOLFF Sollen wir uns kurz hinsetzen? Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

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55. Fedja zögert einen Moment. Dann geht er auf Wolff zu und die beiden setzen sich auf Fedjas Bett. WOLFF Fedja hat großes Glück gehabt. TIMO (wütend) Ich hab ihn da nicht raus geschupst. WOLFF Das weiß ich. Timo ist total verbarrikadiert. Fedja beobachtet ihn ängstlich. WOLFF (zu Fedja) Willst Du Timo vielleicht erzählen was Dir in der Schule passiert ist? Fedja schüttelt den Kopf. WOLFF (behutsam) Darf ich? Stille. Fedja nickt. WOLFF Fedja hat im letzten Jahr schlimme Dinge in der Schule erlebt hat. (Pause) Die Mitschüler haben ihn sehr gequält. TIMO Was hat das mit mir zu tun. WOLFF Er braucht hier einen Schutzort wo er ganz in Ruhe heilen kann. Timo tritt einen Stuhl weg und steht auf. Wolff geht zu ihm. WOLFF Was ist los. Timos Hände sind zu Fäusten geballt und er geht mit einer merkwürdig unkoordinierten, bedrohlichen Geste auf Wolff zu. Fedja hält den Atem an. TIMO Sie wollen dass ich sage, dass das meine Schuld war. Wolff weicht keinen Zentimeter zurück.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


56. WOLFF Hab ich das gesagt, Timo? TIMO Aber Sie denken es. Ihre Gesichter sind dicht beieinander. WOLFF Nein das denke ich nicht. (Pause) Du hast Fedja Angst gemacht, nicht mehr und nicht weniger. (Pause) Und Du kannst dafür Verantwortung übernehmen oder du kannst es lassen. Wolff setzt sich wieder zu Fedja. Timo bleibt eine ganze Weile lang stehen und kämpft er mit sich. Dann setzt er sich auf sein Bett. TIMO Du musst nicht in ein anderes Zimmer gehen. (Pause) Ich tu Dir nix. Timo wirkt ungeschützt und zart in diesem Moment. 64 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/T

64

Wolff steht vor der Psychiatrie und raucht eine Zigarette. Hinter ihm im Foyer ist der geschmückte Weihnachtsbaum zu sehen. Sibel gesellt sich zu ihm. SIBEL Heute brauch ich auch eine. Wolff gibt ihr eine Zigarette und Feuer. Sie rauchen schweigend. SIBEL Heftiger Tag. Wolff streicht ihr kurz über den Arm. WOLFF Ich glaube Fedja ist ganz gut da rausgekommen. (Pause) Es könnte sogar sein dass er mit Timo in einem Zimmer bleibt. Sibel sieht ihn überrascht an. WOLFF Das ist seine eigene Entscheidung. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


57. SIBEL Fedja steht noch unter Schock, wie soll er sowas entscheiden? WOLFF Du warst doch gar nicht dabei. SIBEL Das finde ich überhaupt keine gute Idee. Wolff wirft seine Zigarette auf den Boden und tritt sie aus. WOLFF (kühl) Fröhliche Weihnachten. Er wendet sich ab. SIBEL Ich muss auch mal anderer Meinung sein dürfen. WOLFF Das verbietet Dir auch niemand. SIBEL Aber Du nimmst es mir übel. Wolff steht in der Eingangstür. Müde. WOLFF Ich glaube dass es Fedja extrem gut tun wird wenn er jetzt nicht vor Timo wegläuft. SIBEL Bist Du sicher, dass Du Fedja nicht überforderst? WOLFF Bist Du sicher, dass Du Timo gegenüber nicht ungerecht bist? (Pause) Er hat Fedja nicht geschupst. Sibel sieht erwischt aus. SIBEL Ich weiß es nicht. (Pause) Vielleicht mag ich ihn einfach nicht. Pause. WOLFF (weicher) Du musst nicht jeden mögen.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


58. SIBEL Diese...dauernde Anspannung und Aggressivität... (unglücklich) Ich hab überhaupt keinen Zugang zu ihm. WOLFF (deutet auf ihre Hand) Vorsicht. Die Zigarette ist runtergebrannt und die Glut nah an ihrem Finger. Sibel wirft sie angeekelt in den Schnee. WOLFF Ich kann Dir nur sagen was mein Zugang ist. (Pause) Ich glaube, dass er so angespannt und ruhelos ist...weil er sonst hören würde, was in ihm los ist. Sibel sieht ihn nachdenklich an. 65 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER FEDJA UND TIMO - I/T

65

Fedja und Timo sitzen sich auf ihren Betten schweigend gegenüber. Ihre Gesichter sind einander zugewand aber sie schauen sich nicht in die Augen. Eine ganze Weile verharren sie so, dann steht Timo auf und geht raus. Fedja zieht seine Schuhe aus und legt sich auf sein Bett. Er schaut an die Decke und seine Gesichtszüge entspannen sich. 66 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/T

66

Alex sitzt vor Psychiatrie auf dem Mäuerchen, als Timo rauskommt. ALEX Wo gehst Du hin? Timo schaut an ihr vorbei. TIMO Ich wollte bisschen laufen gehen. Alex zögert. Kann ich (sie Ich weiß anfangen

ALEX vielleicht mitkommen? lächelt unsicher) gerade nicht was ich mit mir soll.

Timo zuckt die Schultern. Ok.

TIMO

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


59. 67 IM WALD - A/T

67

Alex und Timo stapfen schweigend durch den Wald. Timo ist schnell und Alex kommt nur mit Mühe hinterher. TIMO (unvermittelt) Ich hatte Dich auf meinem Zettel. (Pause) Aber ich mach das nicht. Pause. Ok.

ALEX

TIMO Ich finde Weihnachten scheiße und mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Sie schweigen wieder eine Weile. ALEX (OFF) Als Kind fand ich Weihnachten irgendwie schön. (schüchtern) Du auch? TIMO (verständnislos) Warum soll das als Kind anders sein? Alex überlegt. ALEX Ich weiß nicht, da kann man sich noch so freuen über alles. (Pause) Ich konnte immer gar nicht schlafen vor Aufregung. Nach einer Weile schaut Timo auf. TIMO Einmal war ich bei meiner Oma. (Pause) Das war ok. Sein Gesicht ist plötzlich geöffnet. TIMO Ich hab ihr so ein...bescheuertes Ding aus Holz gebastelt. (Pause) Und sie hat sich gefreut. Alex sieht ihn von der Seite an. Ohne ein weiteres Wort biegt Timo ab und joggt davon. Alex bleibt stehen und atmet durch. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


60. 68 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER FEDJA UND TIMO - I/T

68

Fedja schläft tief und ruhig. Die Tür geht auf und Lara kommt leise ins Zimmer. Sie beugt sich über Fedja und wuschelt ihm durch die Haare. Fedja fährt erschrocken hoch. LARA (flüstert) Komm mit. 69 JUGENDPSYCHIATRIE/WÄSCHEKAMMER - I/T

69

Lara zieht Fedja in die Wäschekammer und macht die Tür zu. Setz Dich.

LARA

Fedja setzt sich auf ein Regalbrett. Lara stellt sich vor ihm hin und zieht ihr T- Shirt hoch. Sie trägt keinen BH und hat sich rote Sterne über die Brustwarzen geklebt. “Fröhliche Weihnachten, Fedja” steht mit rotem Lippenstift auf ihrem Bauch. Fedja wird knallrot und wendet das Gesicht ab. LARA (kichert) Mein Weihnachtsgeschenk für Dich. Sie zieht das T-Shirt wieder runter und setzt sich neben Fedja. Sie tippt mit dem Finger kurz gegen die Halskrause. LARA Bist Du ok? Fedja nickt. LARA Tut mir leid wenn ich fiese Sachen zu Dir gesagt hab, aber das mache ich bei jedem. Sie drückt ihm die Kamera in die Hand. LARA Jetzt darfst Du mich zu Weihnachten fragen. Fedja weiß gar nicht wohin mit sich. Er nimmt die Kamera entgegen. LARA (verschwörerisch) Ich hab mir überlegt, dass wir einen Film für Wolff draus machen, ich hab auch schon ein paar andere Leute gefilmt. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


61. 70 JUGENDPSYCHIATRIE/BÜRO WOLFF - I/N

70

Inzwischen ist es dunkel geworden. Timo sitzt allein in Wolffs Büro. Er nimmt die Kamera, die auf Wolffs Tisch liegt, spult ein Stück zurück und drückt auf Play. Lara erscheint auf dem Display. LARA Hälst Du sie überhaupt auf mein Gesicht? Die Kamera wackelt ein bisschen. LARA Also, was ich überhaupt nicht vermisse... (Pause) Den Weihnachtstee bei meinem Onkel. (Pause) Da müssen wir stundenlang meiner Strebercousine beim Geigespielen zuhören. (Pause) Und hinterher sagen alle wie toll sie ist und wie schön sie spielt. (Pause) Und meine Eltern gucken so...traurig, weil sie doch auch so gerne eine Tochter hätten die so schön Geige spielt. Unter ihrem Grinsen liegt unübersehbar eine Traurigkeit. LARA Dabei finde ich ganz ehrlich dass es einfach beschissen klingt. Sie macht eine Fratze. FEDJA (OFF) (schüchtern) Und was vermisst Du? LARA Eigentlich nichts. Sie denkt nach. LARA Früher haben wir immer auf dem Land gefeiert und mein Vater hat den Baum aus dem Wald geholt. (Pause) Den Geruch mochte ich gern. (Pause) Und wenn man am Tag nach Heiligabend in das Weihnachtszimmer kam und mit seinen Geschenken gespielt hat. Wolff kommt rein und Timo macht ertappt die Kamera aus und legt sie auf den Tisch. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


62. WOLFF Entschuldige die Verspätung. Er setzt sich hin. Wolff sieht müde aus und eine Haarsträhne steht von seinem Kopf ab. TIMO Sie haben da was. Wolff fährt sich durch die Haare. TIMO Sie müssen mal darauf achten wie Sie rumlaufen. WOLFF (ruhig) Wie ich rumlaufe geht Dich gar nichts an. Sie sehen sich an. WOLFF Bist Du ok? Wieso?

TIMO

WOLFF Weil es ein heftiger Tag war. Timo schweigt. WOLFF Ich bin übrigens sehr stolz darauf wie Du das vorhin gemacht hast mit Fedja. Timo senkt den Blick. Dann macht er plötzlich die Kamera an und hält sie Wolff ins Gesicht. TIMO Warum mögen Sie Weihachten nicht? (Pause) Hat das was mit Ihrer Kindheit zu tun? 71 VIDEO: JUGENDPSYCHIATRIE/BÜRO WOLFF - I/N Wir sehen jetzt Wolffs Gesicht durch die Kamera. WOLFF (lächelt) Jetzt kriege ich alles zurück. Und?

TIMO (OFF)

Pause.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

71


63. WOLFF Kann schon sein. (Pause) Als Kind fand ich es auch nicht sehr schön. TIMO (OFF) Warum nicht? Wolff zögert und entscheidet sich dann doch, zu antworten. WOLFF Weil ich an Weihnachten immer besonders stark das Gefühl hatte, dass meine Eltern traurig sind, dass sie keine leiblichen Kinder haben. Eine Weile lang ist es still. TIMO (OFF) Waren die fies zu Ihnen? WOLFF Überhaupt nicht. (Pause) Das sind sehr liebe Menschen. Wolff lächelt. 72 JUGENDPSYCHIATRIE/KANTINE - I/N

72

SCHWESTERNCHOR (singt) Oh Tannebaum, oh Tannebaum, wie grün sind Deine Blätter... Der Essraum ist weihnachtlich geschmückt und an einem kleinen Weihnachtsbaum in der Ecke brennnen künstliche Kerzen. Einige Mitarbeiter stehen um den Tisch herum, auf dem eine Platte mit Lachshäppchen liegt. Lara schläft auf ihrem Stuhl, Timo, Alex und Fedja sitzen schweigend nebeneinander. SCHWESTERNCHOR (singt) Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein auch im Winter, wenn es schneit... Wolff steht abseits an der Wand. SCHWESTERNCHOR (singt) Oh Tannebaum, oh Tannebaum...

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


64. TIMO (singt Simone an) Wie grün ist Deine Scheide... Das kommt so unerwartet, dass Lara erschrocken hochfährt. Sie stößt ein überraschtes Lachen aus. Simone hält Timos bedrohlichem Blick stand. Als das Lied zuende ist wird verhalten applaudiert. Die Schwestern gehen zu den Lachshäppchen und bedienen sich. Eine Gruppe von Kindern kommt mit Sibel und ein paar Eltern rein. SIBEL Die Kinder würden Euch gerne ihr Krippenspiel vorspielen bevor sie nachhause gehen. Zustimmendes Gemurmel. Die Kinder haben ihre Krippenfiguren mitgebracht und bauen sie vor dem Baum auf. Der kleine Junge, der mit Alex gebastelt hat, geht auf Alex zu. Er hat Kronen aus Crêpe Papier in der Hand. JUNGE Ihr müsst die Könige sein. Er gibt Alex eine Krone und geht dann zu Lara, die aufgewacht ist. JUNGE (verschwörerisch) Du bist König Alfons der Schauderliche. Lara zwinkert ihm zu und nimmt die Krone. Dann geht der Junge zu Timo und hält ihm eine Krone hin. Timo wendet das Gesicht ab. JUNGE Traust Du Dich nicht? Alex sieht Timo von der Seite an, aber Timo reagiert nicht. Der Junge legt ihm die Krone auf den Schoß und geht auf Fedja zu. JUNGE Du bist der vierte König. Fedja nimmt die Krone zögerlich. JUNGE (aufgeregt) Die Könige sollen sich hier vorne hinsetzen. Alex, Lara und Fedja setzen die Kronen auf und folgen dem Jungen. Sie nehmen neben der Krippe Platz. Wolffs Blick ruht auf Timo, der mit der Krone auf dem Schoß bewegungslos dasitzt.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


65. Die Kinder bauen sich rund um den Weihnachtsbaum auf und die Schwestern kommen näher, um zuzuschauen. Wolff bleibt stehen. Das kleine Mädchen nimmt die Christkindfigur aus der Krippe und hält sie hoch. Ehrfürchtig und zart hält sie es in den Händen. MÄDCHEN Am Weihnachtsabend wurde das Christkindlein geboren. (Pause) Und alle sind gekommen um es anzuschauen. (Pause) Die Könige, die Tiere, die Hirten. Mit leuchtenden Augen schaut sie in die Runde. MÄDCHEN Und es war alles hell und schön. (Pause) Obwohl es Nacht war. Sie sucht Sibels Blick und Sibel lächelt ihr bestägigend zu. Wolff senkt den Blick. Die Aufregung der Kinder bringt einen wirklichen Zauber in den Raum. Die vier Könige schauen ihnen zu. 73 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR - I/N

73

Lara kommt mit der Kamera in der Hand aus Wolffs Büro und schlendert in Richtung des Weihachtszimmers, aus dem Weihachtsmusik vom Band zu hören ist. Sie hat noch immer die Krone auf dem Kopf. Vor dem Schwesternzimmer bleibt sie stehen. Auf einem Tisch am Rand sind lauter Körbe aufgestellt, die die Familien der Jugendlichen für die Schwestern mitgebracht haben. Lara geht neugierig darauf zu. Die Körbe sind weihnachtlich geschmückt und mit Schokolade, Alkohol und Keksen gefüllt. An einem der Körbe hängt ein Zettel: Für die liebe Simone von Familie Bauer. Mit Dank für ihre Herzlichkeit und Zuverlässigkeit. Simones Korb ist besonders voll. Lara nimmt zwei Flaschen Schnaps raus und stellt sie zur Seite. Dann beginnt sie mit großer Freude, die Körbe umzudrapieren. Die schönsten Dinge aus Simones Korb werden an andere Schwestern verteilt. 74 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/N Die vier Jugendlichen stehen vor der Psychiatrie an der Tischtennisplatte. Sie haben alle keine Jacken an und ihr Atem steigt in die kalte Winterluft. Lara schaut sich um. Sie nimmt einen Schluck aus der Schnapsflasche und gibt sie an Alex weiter.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

74


66. ALEX Wo hast Du das her? Lara zeigt ihr grinsend eine zweite Flasche, die sie unter dem Pullover versteckt hat. Alex nimmt einen Schluck und reicht die Flasche weiter an Timo. Timo trinkt und hält dann Fedja die Flasche hin. Ihr Blick begegnet sich für einen Moment, dann nimmt Fedja schnell die Flasche und trinkt. LARA Lass uns Runde spielen! Sie nimmt die beiden Schläger, die auf der Tischtennisplatte liegen und hebt einen dritten vom Boden auf. LARA Fedja ist Schiedsrichter. Lara drückt Alex einen Schläger in die Hand. ALEX Ich kann das nicht. LARA Ist doch egal. Sie wirft Timo den dritten Schläger zu. Du nervst.

TIMO

Widerwillig geht er zur Platte. Alex ist immer noch unentschieden. Lara zieht sie hinter sich her. Lara macht eine Angabe und Timo spielt hart zurück. Alex hält erschrocken den Schläger vor ihr Gesicht und wehrt den Ball ab. Er fliegt im hohen Bogen zurück und landet auf der anderen Seite auf der Platte. Lara erreicht ihn nicht mehr. Sie lacht. LARA Ne, wie geil, ihr seid in der Endrunde. Sie stellt sich neben die Platte und feuert Alex an. Timo macht eine Angabe und Alex haut daneben. Eins null.

LARA

Dann versucht Alex eine Angabe und der Ball fliegt weit ins Aus. ALEX Ich kann das nicht. Timo macht wieder eine Angabe und Alex haut wieder daneben und dreht sich um die eigene Achse. Es sieht sehr komisch aus und Lara macht sich fast in die Hose vor Lachen. Timo grinst und Fedja unterdrückt ein Schmunzeln. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


67. Alex muss auch grinsen. LARA Du hast verloren. TIMO Sie muss wenigstens einmal den Ball treffen. Timos geht zu Alex, stellt sich hinter sie und zeigt ihr, wie sie den Schläger halten muss. Mit seiner rechten führt er ihre. Ok?

TIMO

Alex nickt. Timo berührt mit dem Gesicht ihre Haare und sie ist auf einmal befangen. SIMONE (OFF) Bist Du ok, Alex? Die vier Jugendlichen fahren herum. Simone steht in der Tür. Lara stellt blitzschnell die Schnapsflasche unter der Tischtennisplatte. SIMONE Sag bescheid, wenn er unangenehm wird. Timos Ausdruck ändert sich von einer Sekunde zur nächsten. Er legt den Schläger auf die Platte und rückt von Alex ab. SIMONE Und jetzt geht mal bitte in Eure Zimmer, es ist schon nach 10. Timo nähert sich Simone bedrohlich und bleibt vor ihr stehen. TIMO Und wenn wir das nicht machen? SIMONE Du riechst nach Alkohol. TIMO Na und? (Pause) Brauchst Du vielleicht ein paar auf die Fresse? SIMONE Ich hole jetzt Dr. Wolff. Sie wendet sich ab und geht. LARA (sauer) Na super Timo, jetzt sind wir alle dran.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


68. 75 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR ERDGESCHOSS- I/N

75

Wolff den Flur entlang. Seine Schritte hallen in der nächtlichen und menschenleeren Klinik. In der Eingangshalle bleibt er stehen und schaut nach draußen. An der Tischtennisplatte ist niemand mehr. Wolff geht raus. 76 VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/N

76

Vor der Klinik ist es still und friedlich. Wolff schaut sich um, aber von den Jugendlichen ist nichts zu sehen. Wolff entdeckt die Schnapsflasche unter der Tischtennisplatte. Sie ist umgefallen und der Schnaps ist in den Schnee gesickert. 77 WALD - A/N

77

Die vier Jugendlichen gehen in den verschneiten, nächtlichen Wald. Wir sehen sie von hinten: den drahtigen Timo, die schmale, gerade aufgerichtete Alex, den schlaksigen Fedja und Lara mit ihrem fohlenhaften, reizvollen Gang. Lara hat den zweiten Schnaps geöffnet. Sie nimmt einen Schluck und gibt ihn an Alex weiter. Alex trinkt und schüttelt sich. Lara nimmt die Flasche und hält sie Fedja an den Mund. Mund auf.

LARA

Fedja öffnet den Mund und Lara gießt ihm Schnaps rein. Ein Teil davon fließt Fedja über das Kinn und Lara leckt es ab. Dann geht sie zu Timo, der ein kleines Stück vor ihnen geht. Alex sieht zu Fedja, der verlegen vor sich hin starrt. Es liegt eine eigenartige Energie in der Luft. ALEX Tut der Hals noch weh? FEDJA Ein bisschen. ALEX Bei mir hat es auch eine Weile gedauert. (Pause) Aber jetzt ist es besser. Sie gehen schweigend. ALEX Ich hab mich aus dem Auto von meinem Vater fallen lassen. (zögerlich) Beim Fahren. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


69. Pause. Warum?

FEDJA

Alex überlegt eine ganze Weile. ALEX Ich wusste nichts anderes. Zum ersten Mal sehen sie sich wirklich an und Fedja nickt. 78 WALDSEE - A/N

78

Vor dem Waldsee bleiben die Vier stehen. Er ist verschneit und sieht zauberhaft aus. Die vier Jugendlichen stehen still davor. Sie haben vom Alkohol glasige Augen. Lara geht auf den morschen Steg. Er knackt bedrohlich. Langsam balanciert sie bis zum Ende und klettert in das kleine Boot, das noch immer am Steg befestigt ist. Alex folgt ihr. Fedja bleibt alleine mit Timo zurück und verspannt sich merklich. Eine Weile lang schweigen sie. TIMO Was haben die mit Dir gemacht in der Schule? Er deutet auf einen dunklen Fleck auf Fedjas Handgelenk. TIMO Zigaretten? Fedja zieht den Pullover über die Hand. TIMO Du musst Dich wehren, Mann. Timo nimmt einen Schluck aus der Flasche. TIMO Du bist so ein Opfer. (Pause) Wie Du immer rumläufst. Er imitiert Fedjas Haltung mit den hochgezogenen Schultern. TIMO Stell Dich gerade hin, dann lassen sie Dich schon in Ruhe. Timo gibt ihm die Flasche und folgt den Mädchen. Fedja sieht ihm hinterher und trinkt einen Schluck Schnaps.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


70. 79 BÜRO WOLFF - I/N

79

Wolff steht am Fenster und raucht. Er schaut in den Wald und inhaliert tief und geübt. Erst im diesem Moment der Stille wird deutlich, dass er sonst immer in Bewegung ist. Wolff hört Schritte und wirft die Zigarette aus dem Fenster. Kurz darauf steht Sibel in der Tür. Sie ist in zivil und sie hat eine kleine Flasche Sekt und zwei Plastikgläser dabei. SIBEL Hier bist Du. (Pause) Ich wollte gern noch einen Sekt mit Dir trinken. Wolff macht das Fenster zu. WOLFF Musst Du nicht nachhause? Sibel setzt sich auf das Sofa und macht den Sekt auf. SIBEL Ein paar Minuten hab ich noch. Wolff setzt sich zu ihr. Sibel gießt Sekt in die Gläser und stößt mit Wolff an. SIBEL Auf unsere Zusammenarbeit. (ernsthaft) Die ich sehr schätze. Wolff lächelt und sie trinken beide. Wieder nähern sich Schritte und Simone kommt ins Zimmer. SIMONE Sie haben den Alkohol aus meinem Geschenkkorb. (Pause) Einer von ihnen hat die ganzen Körbe im Schwesternzimmer umsortiert. Wolffs sieht sie verdutzt an und seine Mundwinkel zucken. SIMONE Finden Sie das komisch? Wolff kann sich das Grinsen nicht verkneifen und Sibel wendet schnell das Gesicht ab. SIMONE Timo war betrunken und hat mich gefragt ob ich eins auf die Fresse will. (Pause) Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


71. Tut mir leid dass ich darüber nicht lachen kann. Sie wendet sich ab. SIMONE Ich frage die vier jetzt, wer das war. WOLFF Sie machen gerade einen Spaziergang. (Pause) Mit meiner Erlaubnis. Sibel dreht sich überrascht zu ihm um. Alleine?

SIMONE

WOLFF Na ja zu viert. SIMONE (fassungslos) Sie können Timo doch nicht alleine mit Fedja lassen. Stille. WOLFF Wir brauchen das gar nicht weiter diskutieren. SIMONE Warum nicht. WOLFF Weil wir niemals einer Meinung sein werden, Simone. (Pause) Alles was ich von Ihnen höre ist “Die Jugendlichen brauchen Regeln”, und “das machen wir hier schon immer so”. Sibel steht auf und geht zum Fenster. SIMONE Weil Sie einfach nicht einsehen wollen, dass es an der Pflege hängen bleibt, wenn Sie die Zügel zu lang lassen. Wolff hört ihr gar nicht zu. WOLFF Es gibt überhaut keine Schnittmenge zwischen uns, Simone. (Pause) Also macht am besten jeder seine Arbeit und ansonsten gehen wir uns aus dem Weg. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


72. SIMONE Dann diskutieren wir jetzt nicht weiter sondern ich rufe direkt den Chefarzt an. WOLFF Oder Sie respektieren einfach mal meine Entscheidung. Sie starren sich feindselig an. SIMONE Ich hab Sie gestern gewarnt dass das nicht gut geht mit den Beiden und Sie haben nicht auf mich gehört. (Pause) Sie verstehen vielleicht dass ich überhaupt kein Vertrauen mehr in Ihre Entscheidungen habe. Sie geht raus. Sibel sieht die Fußspuren im Schnee. SIBEL Sie sind abgehauen, oder? WOLFF (mürbe) Geh nachhause, Sibel. SIBEL Du gehst zu weit, Johannes. WOLFF (brüllt) Mann!!! Sibel zuckt zusammen und Wolff geht aus dem Zimmer. 80 SEE IM WALD - A/N Die vier Jugendlichen sitzen in dem alten Boot am Steg. Die Schnapsflasche ist fast leer. Lara macht sich an dem Knoten zu schaffen, der das Boot am Steg hält. ALEX Was machst Du. Lara nimmt ein Feuerzeug aus ihrer Jackentasche und zündet die Schnur an. Es dauert einen Moment weil die Schnur durchnässt ist. Aber schließlich fängt sie an zu glühen und gibt nach. Das Boot treibt ein Stück vom Steg weg. Timo sieht zu Alex. Ihr Gesicht ist gerötet und sie sieht wunderschön aus. Alex merkt es und lenkt ab. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff

80


73. ALEX Lara hat heute Geburtstag. Pause. FEDJA Dann bist Du ja ein Christkind. Er lallt etwas. LARA Meinst Du Maria hat Jesus an Weihnachten auch immer erzählt, wie scheiße die Geburt war? FEDJA (trocken) Das halte ich für unwahrscheinlich. Lara sieht plötzlich traurig aus. ALEX (weich) Du darfst Dir was von uns wünschen. Lara streckt die Arme nach oben aus und legt sich nach hinten. LARA Ich möchte von jedem einen Kuss. TIMO Auf keinen Fall. LARA Alex hat gesagt ich darf mir was wünschen. Alex beugt sich über Lara und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Das Boot wackelt bedenklich. LARA Auf den Mund. Sie deutet auf ihre Lippen. Alex zögert kurz, dann küsst sie Lara schnell auf den Mund. LARA Der nächste bitte. Timo beugt sich über sie und Lara steckt ihm blitzschnell die Zunge in den Mund. Timo zieht sich zurück und sucht Alex’ Blick. Das Boot kentert fast und die Jugendlichen halten sich fest. Fedja?

LARA

Fedja bleibt sitzen.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


74. LARA Komm ran Du georgisches Ferkel. Fedja beugt sich schüchtern vor und Lara nimmt seine Hände in ihr Gesicht und drückt seinen Mund auf ihren. Als er sich wieder aufrichtet ist er knallrot. Lara schaut in den Himmel. LARA Schaut mal der Stern da. Ein Stern leuchtet besonders hell. TIMO Das ist ein Flugzeug. FEDJA (kichert) Das ist doch kein Flugzeug. Er kann nicht aufhören zu kichern, der Alkohol hat ihn völlig enthemmt. Die anderen grinsen amüsiert. Das Boot treibt langsam neben dem Steg her. 81 IM WALD - A/N

81

Wolff läuft in seinem Kittel in den Wald. Auf einer Lichtung bleibt er stehen und zündet sich eine Zigarette an. 82 VIDEO: AM WALDSEE - A/N

82

Fedja sitzt im Boot und schaut in die Kamera. LARA (OFF) Wie ist Weihnachten bei Euch? FEDJA Ziemlich anstrengend. Wieso?

LARA(OFF)

Fedjas Wangen sind rot und er lallt ganz leicht. FEDJA In Georgien wird Weihnachten am 7. Januar gefeiert. (er winkt ab) Das ist zu kompliziert. LARA(OFF) Jetzt erzähl! Fedja zögert. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


75. FEDJA In Georgien wird Neujahr so gefeiert wie hier Weihnachten. Mit Geschenken und Baum und so. (Pause) Eigentlich feiern wir am 24. Dezember ein deutsches Weihnachten und an Neujahr ein georgisches Neujahr das wie ein deutsches Weihnachten ist und am 7. Januar ein georgisches Weihnachten. Im Hintergrund wird gerülpst und Fedjas Mundwinkel zucken. LARA(OFF) Alter ist das krank. (Pause) Und wie ist das georgische Weihnachten? FEDJA Die Leute gehen einfach in die Kirche und bleiben die ganze Nacht dort. LARA (OFF) Klingt kacke. Fedja lächelt, was ihn enorm verschönt. FEDJA Es ist eigentlich ganz schön, weil die ganze Zeit gesungen wird. LARA (OFF) Sing mal was. FEDJA Auf keinen Fall. LARA (OFF) Sing ein georgisches Lied. Nein.

FEDJA

Das Boot fängt an zu wackeln. LARA (OFF) Sing sonst schmeiße ich das Boot um. Fedja hält sich fest. FEDJA (kichert) Oh Mann ist das peinlich.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


76. 83 AUF DEM SEE - A/N

83

Das Boot treibt langsam vom Ufer weg. Fedja fängt an ein georgisches Weihnachtslied zu singen. Timo und Alex hören ihm zu. Seine Stimme ist anrührend und schön. Lara steht im Boot und filmt die Szenerie. Als Fedja aufgehört hat zu singen ist es einen Moment lang still. LARA Guckt mal her, Leute! Fedja, Alex und Timo schauen zu ihr. Dann dreht Lara die Kamera um und film sich selbst. LARA Fröhliche Weihnachten, Wolffi! In dem Moment schwankt das Boot so heftig, dass sie hinten über kippt. Die Kamera knallt auf den Boden des Bootes und Lara fällt rücklings ins Wasser und taucht unter. TIMO Das war so klar. Alex richtet sich auf. Sie warten ab, aber Lara taucht nicht wieder auf. ALEX Wo ist sie denn. Die Wasseroberfläche bleibt ruhig. Lara kommt nicht hoch. Lara?

ALEX

Auch Timo und Fedja richten sich jetzt auf. TIMO Kann die nicht schwimmen oder was. Es rührt sich nichts. ALEX Wir müssen was machen. Timo zieht seinen Kapuzenpulli aus und springt ins Wasser. Timo taucht unter und kommt kurz danach wieder hoch. Sein Atem steigt in die Luft, das Wasser ist eiskalt. Er schaut sich um und taucht wieder unter. Dann taucht er auf und schnappt nach Luft. TIMO Hier ist sie nicht. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


77. ALEX (panisch) Scheiße. Alex springt auch ins Wasser. Fedja hält sich in dem heftig wackelnden Boot fest. Alex taucht unter. Fedja fischt einen dicken Stock aus dem Wasser. Er versucht das Boot damit in Richtung des Ufers zu bewegen. Alex kommt wieder hoch. ALEX (zu Timo) Hast du sie? Timo schüttelt den Kopf und sieht sich um. ALEX (panisch) Lara! Sie taucht wieder unter. Timo schiebt Fedja mit dem Boot ans Ufer. TIMO Du musst Hilfe holen. Alex taucht auf und schnappt nach Luft. Ihre Lippen sind blau und sie fängt an panisch mit den Armen zu rudern. Fedja steigt aus und rennt los. ALEX Ich...kann nicht mehr. Timo schwimmt zu ihr, greift sie und bringt sie ans Ufer. ALEX (verzweifelt) Wir müssen was machen. Sie zittert und hält sich an Timos Arm fest. TIMO Ich geh nochmal rein. Timo geht ins Wasser und schaut sich um. Mit den Händen streift er um sich und schaut sich hilflos um. Es ist nichts zu sehen. 84 IM WALD - A/N

84

Wolff folgt den Fußspuren der Jugendlichen. (ruft) Lara!

ALEX (OFF)

Er hält inne. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


78. Fedja kommt auf ihn zugerannt und bleibt vor ihm stehen. Er atmet schwer und kriegt kein Wort heraus. Mit großen Augen schaut er Wolff an. Wolff rennt in Richtung des Sees und Fedja folgt ihm. 85 AM WALDSEE - A/N

85

Alex und Timo stehen beide im Wasser und suchen es mit den Händen ab. TIMO Das bringt nichts wir müssen warten bis Hilfe kommt. ALEX (verzweifelt) Meinst Du sie ist schon tot? Timo antwortet nicht. Huibuh.

LARA (OFF)

Stille. Timo und Alex schauen sich verwirrt um. Lara ist nicht zu sehen. LARA (OFF) Ich bin hier. Sie spricht mit verstellter Stimme. TIMO Hör auf mit dem Scheiß. LARA (OFF) Ich spreche aus dem Reich des Todes zu Euch. Alex bückt sich und entdeckt Lara, die unter dem Steg hängt und sich dort festhält. Lara kichert. LARA Denkt ihr ich kann nicht schwimmen oder was. Sie kommt unter dem Steg hervor. TIMO (wütend) Bist Du völlig bekloppt? LARA War doch lustig. Alex geht aus dem Wasser. Sie setzt sich ans Ufer und fängt an zu weinen. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


79. Timo folgt ihr. Wütend tritt er einen Stock weg der am Ufer liegt. LARA Jetzt stellt Euch nicht so an. Fedja und Wolff kommen aus dem Wald auf sie zu. LARA Hallo Wolffi. Sie lächelt ihn an. Am ganzen Körper schlotternd und leichenblass. LARA Ich hab einen Scherz gemacht, aber die fanden das nicht lustig. Wolff erwidert ihren Blick aber er sagt nichts. Alex schluchzt. Ihre Schultern zucken. Lara geht auf sie zu und berührt sie an der Schulter. LARA Was ist denn los mit Dir. Alex schupst sie so heftig weg, dass Lara hinfällt. ALEX (brüllt) Mach sowas nicht! Lara rappelt sich auf. Alex ist völlig außer sich. LARA (verstört) Ist ja gut. ALEX Warum machst Du so’n Scheiß, Mensch! Ihre Stimme überschlägt sich. ALEX Ich will das nicht mehr! Stille. Fedja sieht Alex erstaunt an. Timo nimmt seinen Kapuzenpulli aus dem Boot und legt ihn ihr über die Schultern. TIMO Jetzt beruhig Dich mal. Er hockt neben ihr hin und hält sie an den Schultern fest. Langsam wird Alex ruhiger. Unglücklich sieht Lara Alex an.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


80. LARA Tut mir leid Alex. (Pause) Das wollte ich nicht. Sie hockt sich hin und legt ihre Stirn an die von Alex. WOLFF (ruhig) Dann lasst uns mal zurück gehen. Er nimmt seinen Kittel und legt ihn Lara über die Schultern. 86 IM WALD - A/N

86

Die vier Jugendlichen stapfen schweigend mit Wolff durch den Schnee auf die Klinik zu. Lara hält Alex an der Hand und Fedja geht zwischen Wolff und Timo. Sie gehen nebeneinander und in einheitlichem Schritt. 87 JUGENDPSYCHIATRIE/EINGANG - I/N

87

Wolff kommt mit den Jugendlichen in die Klinik. Im Empfang steht Simone mit dem Chefarzt, der noch seinen Mantel trägt. CHEFARZT (fährt Wolff an) Was ist denn hier los. WOLFF Sie haben einen Spaziergang gemacht. (Pause) Mit meiner Erlaubnis. SIMONE Dr. Wolff hat die Jugendlichen allein in den Wald gehen lassen. (Pause) Obwohl Timo total betrunken war. Wolff sieht wie Timos Ausdruck sich verhärtet. CHEFARZT (fassungslos) Warum war er betrunken. SIMONE Er hat sich Alkohol aus meinem Präsentkorb genommen. Hä?

LARA

(Pause) Das war ich.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


81. CHEFARZT (zu Wolff) Warum sind sie so nass. LARA Wir hatten Lust zu schwimmen. Sie zittert. CHEFARZT (wütend zu Wolff) Meine Familie sitzt jetzt alleine zuhause vor dem Weihnachtsbaum... WOLFF Es ist alles in Ordnung. CHEFARZT Es ist nichts in Ordnung! WOLFF Es war nur ein Spaziergang. SIMONE (zum Chefarzt) Er setzt den Jugendlichen keine Grenzen. (Pause) Ich weiß nicht wie oft ich schon versucht habe darüber zu sprechen aber es ändert sich nichts! TIMO (zu Wolff) Sie soll die Fresse halten. Wolff hält seinen Blick und der Chefarzt spürt die Spannung. CHEFARZT (zu den Jugendlichen) Sie ziehen sich jetzt um und gehen ins Bett. (zu Wolff) Wir sprechen uns morgen. SIMONE Dr. Wolff macht hier was er will und wer darunter zu leiden hat ist die Pflege. Timo starrt sie hasserfüllt an. Wolff wechselt einen kurzen Blick mit dem Chefarzt. CHEFARZT Wir sprechen morgen darüber. WOLFF (zu Timo) Komm.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


82. Timo folgt ihm zögerlich. Simone sieht ihre Felle davon schwimmen. SIMONE Ich kann unter solchen Bedingungen nicht arbeiten. (Pause) Wir haben von Anfang an gesagt, dass Timo hier nicht hingehört. Timo macht plötzlich kehrt, geht auf Simone zu und schlägt ihr mit der Faust ins Gesicht. Es macht ein hässliches Geräusch. Simone geht in die Knie und bleibt auf dem Boden sitzen. Stille. Wolff geht auf Timo zu, aber Timo nimmt einen Stuhl der in seiner Nähe steht und bedroht ihn damit. LARA (leise) Lass den Scheiß, Timo. WOLFF Kannst Du Dich jetzt beruhigen? Sie sehen sich an. Dann wirft Timo den Stuhl ein Fenster, das klirrend zerspringt. Alex zuckt zusammen. Simone sitzt auf dem Boden und das Blut läuft ihr aus der Nase. WOLFF (zu den Jugendlichen) Geht bitte in Eure Zimmer. Alex, Lara und Fedja ziehen sich zurück. Samson kommt aus seinem Büro und der Chefarzt nickt ihm zu. Timo hat das gesehen. Er greift nach einem weiteren Stuhl und geht damit auf den Chefarzt zu. In diesem Moment schnellen Samson und ein weiterer Pfleger vor und greifen ihn von hinten. Gemeinsam gelingt es ihnen, Timos Arme hinter seinem Rücken zu verschränken und sie werfen ihn auf den Boden. Timo ergibt sich. CHEFARZT (leise zu Wolff) Das wird Konsequenzen für Sie haben. (Pause) Morgen früh in meinem Büro. Wolff ignoriert ihn. WOLFF Sie werden Dich jetzt fixieren, Timo. (Pause) Damit Du zur Ruhe kommen kannst. Timo sieht ihn mit kindlichem Ausdruck an. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


83. 88 JUGENDPSYCHIATRIE/ DUSCHRAUM MÄDCHEN - I/N

88

Lara und Alex sitzen in der heißen Badewanne. Sie sitzen sich gegenüber und haben die Beine an den Körper gezogen. Die Zähne wollen nicht aufhören zu klappern. 89 JUGENDPSYCHIATRIE/KLO - I/N

89

Fedja hängt über der Kloschüssel. Er würgt, aber es kommt nichts mehr raus. Dann drückt er die Klopspülung und legt seinen Kopf seitlich auf die Klobrille. Plötzlich muss er kichern. FEDJA Oh jemine, oh jemine. Er kichert wieder, dann wird er ruhig. Mit dem Kopf auf der Klobrille bleibt er liegen und schließt die Augen. 90 JUGENDPSYCHIATRIE/KRANKENZIMMER - I/N

90

Timo liegt mit festgeschnallten Armen und Beinen auf einem Krankenbett. Mit kindlichem Ausdruck sieht er zu Wolff, der die Schlingen um seine Hände mit einem Magneten öffnet. Es klopft. WOLFF (unwirsch) Wer ist da? Pause. ALEX(OFF) (leise) Alex. Wolff öffnet die Tür und lässt Alex herein. Sie hat nasse Haare. WOLFF Ich mache ihn gerade wieder los. Er klingt schuldbewusst. Alex geht zögerlich ins Zimmer und stellt sich neben Timo. Wolff macht noch Timos Füße los, dann geht er raus. Alex legt ganz vorsichtig ihre Hand auf Timos. Timo kann sie nicht ansehen, aber er lässt sie.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


84. 91 VIDEO: JUGENDPSYCHIATRIE/SCHWESTERNZIMMER - I/T

91

Simone steht vor der Kamera. Ihre Haare sind offen und gebürstet. SIMONE Klar mag ich Weihnachten. LARA (OFF) Was magst Du daran? SIMONE Ach, das Übliche eben. (Pause) Den Baum, die Lichter, die Stimmung. (sie lächelt) Ich kriege auch gern Geschenke. LARA (OFF) Warum bist Du dann hier an Heilig Abend? Simone wirkt überrumpelt von der Frage. SIMONE Irgendjemand muss ja hier sein für Euch. LARA (OFF) Hast du niemanden zuhause der auf Dich wartet? SIMONE Ich glaub nicht, dass Dich das was angeht. LARA (OFF) Sag doch mal. Simone zögert. SIMONE Ich hatte lange Zeit einen Freund, aber wir haben uns letztes Jahr getrennt. (Pause) Wenn du’s unbedingt wissen musst. Simone schaut fragend in die Kamera, aber es kommt keine Frage.Das Schweigen wird unangenehm und plötzlich und unvermittelt kommen ihr die Tränen. Sie wischt sich über das Gesicht. SIMONE Mach mal aus bitte. Die Kamera bewegt sich nicht. Simone wendet das Gesicht ab. Lara.

SIMONE

Die Kamera bleibt noch einen Moment auf ihrem Gesicht, das in diesem Moment ungewohnt durchlässig ist. Dann geht sie aus. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


85. 25. DEZEMBER 92 JUGENDPSYCHIATRIE/EINGANG - I/MORGEN

92

Das erste Morgenlicht fällt durch das Fenster in den Eingangsraum der Klinik. Der Weihnachtsbaum steht weiterhin geschmückt in der Ecke und die Stühle sind wieder am Platz. Nur das zerbrochene Fenster deutet auf die Geschehnisse der Nacht hin. WOLFF (OFF) (laut) Ich versuche, eine vertrauensvolle Beziehung zu dem Jungen aufzubauen, aber es wird mir unmöglich gemacht. CHEFARZT (OFF) (heftig) Nun sind also wir Schuld, ja? 93 JUGENDPSYCHIATRIE/GRUPPENRAUM - I/MORGEN

93

Der Chefarzt, Wolff, Sibel und einige andere Mitarbeiter, die zur Morgenschicht gekommen sind sitzen im Gruppenraum. WOLFF (eindringlich) Er fängt gerade an sich zu integrieren. (Pause) Wenn wir ihn jetzt in die Geschlossene zurückschicken, scheitern wir mit ihm. CHEFARZT Sie haben die Situation aber nicht im Griff! (Pause) Und er ist hier nicht tragbar mit seinen willkürlichen Gewaltausbrüchen. WOLFF Es war nicht willkürlich, Simone hatte ihn von Anfang an auf dem Kieker. Eine Schwester sieht ihn empört an. CHEFARZT Und da finden sie es eine angemessene Reaktion, dass er ihr die Nase bricht. WOLFF (brüllt) Jetzt sollen traumatisierte Jugendliche schon angemessen reagieren, ja? (Pause) Wo sind wir denn hier. Die anderen Mitarbeiter schauen betreten auf den Tisch.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


86. CHEFARZT (laut) Nun reißen Sie sich mal zusammen, Dr. Wolff. (Pause) Sie haben einfach Scheiße gebaut. Stille. CHEFARZT Es war keine gute Idee, den Jungen überhaupt hierher zu holen, aber ich hab mich von Ihnen überreden lassen und deshalb bin ich mit verantwortlich. (Pause) Seien Sie froh und dankbar, dass Sie Ihren Job noch haben. Er trinkt einen Schluck Kaffee. Wolff starrt ihn schweigend an. Seine Augen sind rot. SIBEL Ich finde, wir müssen uns aber schon nochmal fragen, welchen Anteil wir daran tragen, dass das schiefgegangen ist. Sibel richtet sich gerade auf und sucht Wolffs Blick. CHEFARZT (genervt) Sie beide sind ja meistens einer Meinung. SIBEL Timo ist hier auf extrem viele Vorurteile und auf Abwehr gestoßen und ich kann mich da leider auch nicht ausnehmen. CHEFARZT Das ist nobel von Ihnen, aber es ändert nichts daran, dass der Junge zurück in die Geschlossene geht. (Pause) Gibt es noch andere Sachen, die besprochen werden müssen? Wolff schüttelt fassungslos den Kopf. OBERSCHWESTER (zögerlich) Ich hab hier eine Postkarte für Simone vorbereitet. (Pause) Wäre schön, wenn jeder die unterschreiben könnte. Wolff geht raus und knallt die Tür hinter sich zu.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


87. 94 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER ALEX UND LARA- I/T

94

Lara und Alex liegen in ihren Betten. Alex hört einen Laut und sieht, dass Laras Schultern zucken. Weinst Du?

ALEX

Lara antwortet nicht, aber sie schluchzt gedämpft. Die Tür geht auf und Wolff schaut herein. Ungewohnt angespannt. WOLFF Zieht ihr Euch bitte an und kommt ins Gruppenzimmer? Er geht wieder raus. 95 JUGENDPSYCHIATRIE/GRUPPENRAUM - I/T

95

Die vier Jugendlichen sitzen um Wolff herum. Sie alle sehen müde und gebeutelt aus. WOLFF Ich möchte, dass Du das nicht als Bestrafung oder Niederlage siehst. Timo schaut verbissen vor sich hin. Lara sitzt neben Wolff und ihr laufen ununterbrochen die Tränen. TIMO (murmelt) Wollen Sie das auch? Er kann Wolff nicht ansehen. WOLFF Ich möchte Dich natürlich viel lieber hier behalten. (Pause) Aber ich hab unterschätzt, wie schwierig die Bedingungen hier für Dich sind. Timos großer Körper wirkt ungewohnt verloren. WOLFF Vielleicht haben wir dort drüben wirklich ein bisschen mehr Ruhe. Alex wirft einen vorsichtigen Blick zu Timo rüber. WOLFF Lara, Du sagst, wenn Du etwas brauchst, ja? Lara antwortet nicht. Die Tränen tropfen auf ihren Kapuzenpulli.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


88. FEDJA Es war nicht Timos Schuld, dass wir abgehauen sind. WOLFF Das weiß ich. Es klopft und eine Schwester schaut herein. SCHWESTER Die Jungs sind da um Timo abzuholen. WOLFF (gereizt) Wir brauchen hier noch einen Moment. Die Schwester verzieht das Gesicht und geht wieder raus. WOLFF Soll ich Dich hinbringen? Timo schüttelt den Kopf. WOLFF Siehst Du, wie sehr du hier in der Gruppe geschätzt wirst? (Pause) Und auch von mir? Timo kann nicht sprechen, aber sein Ausdruck ist nicht mehr verbissen. Er steht abrupt auf und geht raus. Die anderen bleiben schweigend sitzen. Lara sieht Wolff kindlich und liebevoll von der Seite an und nimmt seine Hand. Er lässt es geschehen. Müde und aufgewühlt sitzen die vier beieinander. 96 JUGENDPSYCHIATRIE/FLUR - I/T

96

Alex steht mit Timos Kapuzenpulli in der Hand auf dem Flur vor dem Zimmer von Fedja und Timo. Sie wirkt nervös und sie schaut aus dem Fenster. Vor der Klinik stehen zwei Pfleger und rauchen. Timo kommt mit seiner Reisetasche aus dem Zimmer. ALEX Dein Pulli lag noch bei uns. Sie stehen voreinander, können sich nicht ansehen und finden keine Worte. Eine ganze Weile lang. Dann wendet Timo sich ab und geht. Ohne den Pullover zu nehmen. Alex sieht ihm nach und dreht sich dann wieder zum Fenster. Von hier aus sieht sie, wie er nach einer Weile aus der Klinik kommt. Die beiden Pfleger treten ihr Zigaretten aus und gehen mit Timo los. Langsam entfernen sie sich von der Jugendpsychiatrie. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


89. 97 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER FEDJA UND TIMO - I/T

97

Wolff kommt in zivil in das Zimmer von Timo und Fedja. Timos Seite des Zimmers ist leer geräumt. Wolff setzt sich auf Timos Bett und lehnt sich an die Wand. Er bleibt einen Moment reglos sitzen. Dann tritt er plötzlich heftig in den Nachttisch, der sofort umfällt. Die Nachttischlampe fällt auf den Boden und Birne zerspringt. 98 SEE IM WALD - A/T

98

Alex stapft alleine durch den Schnee und nähert sich dem See. Sie trägt ihre Wollmütze und ihre Winterjacke. Ihr Schritt ist entschiedener und weniger ängstlich geworden. Vor dem See bleibt sie stehen. Im Schnee sind noch die Fußspuren der Vornacht zu sehen. Alex klettert auf den Steg und setzt sich hin. Das Boot liegt am Ufer und schaukelt vor sich hin. Alex schlingt fröstelnd die Arme um den Körper. Sie hält ihr Gesicht in die kalte Winterluft und atmet durch. 31. DEZEMBER 99 JUGENDPSYCHIATRIE/ZIMMER ALEX UND LARA - I/T

99

Alex packt ihre Sachen. Sorgfältig stapelt sie die Klamotten und packt sie in den Koffer. Auf ihrem Bett liegt Timos Kapuzenpulli. Lara lungert auf ihrem Bett herum und schaut ihr zu. Sie hat sich die Halskrause von Alex angezogen und hält sich an einem Kissen fest. LARA Ist deine Mutter schon in der Klinik? Ja.

ALEX

Sie macht die Tasche zu und schaut sich suchend um. LARA Ist doch gut. ALEX Sie wollte eigentlich nicht. LARA Warum macht sie es wenn sie’s nicht will. ALEX (leise) Damit mein Vater mich ihr nicht wegnimmt. Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


90. Lara zuckt die Schultern. LARA Vielleicht hilft es ja trotzdem. Alex erwidert ihren Blick. Vertrauensvoll aber auch zweifelnd. Dann schaut sie sich wieder um. ALEX Hast Du mein Foto gesehen? Nein.

LARA

ALEX (lächelt) Lara. Lara holt es unter ihrem Kopfkissen hervor und hält es Alex hin. Alex will es nehmen, aber Lara hält es fest. LARA (kindlich) Du kriegst es nur, wenn Du mir eins von Dir schickst. Ok.

ALEX

Es klopft und Wolff kommt herein. WOLFF Ich wollte mich nur kurz verabschieden. Er geht zu Alex und nimmt ihre Hand warm in seine beiden Hände. WOLFF Ich freu mich dass wir uns kennenelernt haben, Alex. Alex kriegt keinen Ton heraus. Lara umklammert das Kissen. WOLFF Wir sehen uns nächste Woche zum Nachgespräch, ja? (zu Lara) Und Dich sehe ich nachher mit Deinen Eltern. LARA Auf keinen Fall. Vergessen Sie’s. Sie sagt das scherzhaft aber es klingt Angst heraus. Wolff lächelt sie an und geht raus.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


91. 100JUGENDPSYCHIATRIE/EINGANG - I/T

100

Fedja geht den im Flur entlang. Der Eingangsbereich der Psychiatrie ist für den Silvesterabend mit Luftschlangen und Girlanden geschmückt. Fedja bleibt stehen und schaut durch die Glasfassade nach draußen. Er trägt noch immer die Halskrause. Vor der Klinik auf der Bank sitzt Alex. Unentschlossen bleibt Fedja stehen und öffnet und schließt seine Hände. Dann rafft er sich auf und geht zu ihr. 101VOR DER JUGENDPSYCHIATRIE - A/T

101

Fedja kommt aus der Klinik und bleibt neben der Bank stehen. FEDJA Wirst Du jetzt abgeholt? Alex hat ihre Reisetasche auf dem Schoß und sie trägt Timos Kapuzenpulli. ALEX Mein Vater kommt gleich. FEDJA (schüchtern) Freust Du Dich? ALEX Ich weiß nicht. Sie sieht ihn an, offen und verletzlich. Fedja zögert einen Moment, dann setzt er sich zu ihr. Lara kommt raus und setzt sich zu den beiden auf die Bank. Sie trägt ihre Sonnenbrille. LARA Kommst Du uns mal besuchen? Fedja sieht sie von der Seite an. Sie hat “uns” gesagt. Ja.

ALEX

LARA Machste eh nicht. ALEX Mach ich doch. Lara greift nach ihrer Hand und Alex hält sich an ihr fest. Dann bleiben die drei schweigend nebeneinander sitzen.

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


92. 102VIDEO: AM WALDSEE - A/N

102

Alex sitzt mit geröteten Wangen auf dem Steg. ALEX (zögerlich) Ich glaub nicht, dass das nur Heuchelei ist mit Weihnachten. LARA (OFF) Na klar ist das Heuchelei. Alex schaut auf ihre Hände. Sie schüttelt den Kopf. ALEX Eher ein Wunsch. (Pause) Man wünscht sich das doch. LARA (OFF) Was wünscht man sich? ALEX (schüchtern) Das alles mal...so richtig schön ist für einen Tag. Sie sieht verlegen an der Kamera vorbei. LARA Das stimmt. Pause. Und?

LARA (OFF)

(Pause) Ist das dieses Jahr ein schöner Tag für Dich? Alex schaut in die Kamera. Sie antwortet nicht, aber sie lächelt. Und ihr Gesicht leuchtet. ENDE

Vier Könige, Fassung vom 17.09.2014, Esther Bernstorff


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