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2.1 — Regional-, Stadt- und Quartiersentwicklung
G
roße Städte sind keine autark funktionsfähigen Systeme – sie importieren große Mengen an Ressourcen aus einem näheren und weiteren Umland und sind auf die Abführung und Entsorgung von gasförmigen, flüssigen und festen Abfallstoffen angewiesen. Städte stellen im globalen Stoffstromsystem die Netzknoten punkte der Produktion, Distribution und des Konsums materieller Güter dar. Obwohl sie nur etwa 2–3 % der Landfläche der Erde beanspruchen, sind städtische Siedlungen für drei Viertel des weltweiten Ressourcenverbrauchs und 80 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich.1 Längst besteht in der internationalen Global-ChangeDebatte eine Übereinkunft dahingehend, dass die Urbanisierung – hier verstanden als ein Prozess der Bevölkerungskonzentration in Städten, verbunden mit der physischen Ausdehnung primär baulich genutzter Flächen – als einer der zentralen Faktoren des globalen Wandels der Umwelt anzusehen ist.2 Das Wachstum der Städte und die in ihnen heute praktizierten flächen-, energie- und materialzehrenden Lebensweisen basieren auf dem Prinzip der »angeeigneten Tragfähigkeit«.3 Die natürliche Tragfähigkeit eines Raums, unter der man eine der natürlichen Umwelt dauerhaft entnehmbare und eine in die natürliche Umwelt dauerhaft entlassbare Menge an Stoffen pro Flächen- und Zeiteinheit versteht und die somit begrenzt ist, wird durch die »Aneignung« von Tragfähigkeit ergänzt. Für die Entwicklung moderner Ökonomien war die Emanzipation von den begrenzenden Bedingungen lokaler und regionaler Ressourcenausstattungen essenziell, da erst dies ein arbeitsteilig organisiertes Wirtschaftssystem in überregionalen Maßstäben ermöglichte.4 Aus ökologischer Perspektive ist das Konsumniveau einer Stadt,
das die natürliche Tragfähigkeit überschreitet, aber nur dann aufrechtzuerhalten, wenn es gelingt, die Ressourcen- und Entsorgungspotenziale anderer Räume dauerhaft in Anspruch zu nehmen. Nachhaltigkeit verlagert sich dann »von nachhaltigen Einzelsystemen, d. h. den ortsgebundenen (lokalen) natürlichen Ökosystemen auf regionale Systeme höherer Ordnung«.5 Die Urbanisierung beinhaltet damit ein Dilemma: Angesichts steigender Bevölkerungszahlen in den meisten Teilen der Welt (Abb. 1, S. 32), wachsender Wertschöpfung und zunehmendem Wohlstand ist die räumliche Ausdehnung der Siedlungsräume schiere Notwendigkeit. Dieses Wachstum vollzieht sich aber häufig auf Flächen, die für die Ver- und Entsorgung der Städte eine wichtige Bedeutung haben. Es sind nicht selten gute Agrarböden und Flächen mit wertvollen Umweltfunktionen (wie die Retention oder die bioklimatische Regulierung), auf denen sich die Siedlungsentwicklung vollzieht. Der Verlust biologisch aktiver Flächen im Umland der Städte steigert deren Abhängigkeit von exterritorialen Ressourcen und verfestigt ihre »ökologische Defizitwirtschaft«.6 Es wäre jedoch vollkommen verfehlt, urbane Systeme generell als »parasitäre« oder als per se nicht nachhaltige Systeme zu diskreditieren. Bei gegebenem Wohlstandsniveau können Städte aufgrund ihrer größen- und dichtebedingten Effizienzvorteile produktive und reproduktive Aktivitäten ressourcenschonender organisieren als ländliche Siedlungsformen.7 So weist Dodman8 darauf hin, dass der ökologische Fußabdruck Londons zwar 125-mal größer ist als die administrative Stadt fläche, dass aber der Pro-Kopf-Fußabdruck der Londoner Bevölkerung nur etwa 50 % des Durchschnittswerts Großbritanniens beträgt.9 Ähnliches kann für andere europäische oder nordamerikanische Großstädte und die jeweiligen Länder aufgezeigt werden, da in größeren Städten das Wohnen und die Mobilität ressourcensparender
1 Giradet 1996; OECD 2010; UN 2007 2 Seto/Sanchez-Rodríguez/ Fragkias 2010; Angel/ Sheppard/Civco 2005; McGranahan /Marcotullio 2005 3 Rees 1992 4 Einig/Siedentop/Petzold 1998 5 Haber 1992 6 Rees 1992 7 z. B. OECD 2010 8 Dodman 2009 9 zum Konzept des ökologischen Fußabdrucks siehe WWF 2008