Atlas Gebäudeöffnungen

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Umgang mit historischen Fenstern im Bestand und im Baudenkmal

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dardisierte und genormte Konstruktionen. Einen nochmaligen Produktionsschub verursachte die erste Ölkrise 1973, in deren Folge viele einfach verglaste Fenster durch energieeffizientere Verbundfenster ersetzt wurden. Nahezu durchgängige Anwendung fanden diese Fenster in öffentlichen Gebäuden. Auf den Kon­ struktionsprinzipien des Wagner-, Rekord- oder Braun-Fensters (Abb. B 4.11, S. 151) aufbauend, entstand eine große, gebäudespezifische Vielfalt. Bei den meistverbreiteten Varianten sind die Konstruktionen nahezu identisch, sie unterscheiden sich jedoch deutlich im jewei­ ligen Abstand zwischen den Fensterflügeln. Verbundfensterkonstruktionen vermeiden einerseits den großen Nachteil der damals bereits erprobten, im folgenden Abschnitt näher erläuterten Panzerverglasungen, deren Scheibenzwischenraum nicht gereinigt werden kann. Andererseits beeinträchtigte die Tauwasser­ bildung im Scheibenzwischenraum, die nicht nur die Durchsicht stört, sondern auch Konstruktion, Anstrich und Verglasung strapaziert, ihre Akzeptanz bei den Nutzern. Diese Pro­ bleme begünstigten letztlich die Entwicklung des ­Isolierglases. Das Verbundfenster stellte eine technologische Weiterentwicklung des einfach verglasten Fensters dar und war bis zur Marktreife des Isolierglasfensters in Deutschland in den 1970er-Jahren das energieeffizienteste, nut­ zerfreundlichste und kostengünstigste Fenster (Abb. B 4.1, S. 148 und B 4.12).

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Panzerfenster

Im Zuge der technologischen Entwicklung und energetischen Verbesserung von Fenstern wurden im frühen 20. Jahrhundert verschiedene Ausführungen und Konstruktionen entwickelt. Panzerverglaste Fenster stellen eine bedeutende Variante auf dem Weg zum heute marktbeherrschenden Isolierglasfenster dar. Zudem ist es ein genialer Umbau des Einfachfensters mit Merkmalen des Verbundfensters und des Isolierglases. Panzerfenster – die Herkunft des Begriffs bedarf noch der Klärung – sind Sonderverglasungen, bei denen in einfach verglaste Fenster an der üblicherweise gefasten oder profilierten Flügellichtkante auf der Innenraumseite ein zusätzlicher Glasfalz gefräst wird, um eine zweite Scheibe einzusetzen. Dadurch entsteht eine Doppelverglasung mit weitgehend dichtem Scheibenzwischenraum (Abb. B 4.14). Das panzerverglaste Fenster entspricht kon­struktiv und in seinem Erscheinungsbild bezüglich Ansichtsbreiten, Profilen und Querschnitten dem einfach verglasten Fenster des frühen 20. Jahrhunderts (Abb. B 4.15 und B 4.16). Es ist jedoch nie gelungen, den Scheibenzwischenraum der Panzerfenster auf Dauer erfolgreich vor Staubablagerung sowie Kondensatbildung und das Glas vor Erblindungserscheinungen zu schützen (Abb. B 4.19), und so konnten sich Panzer­ fenster nicht durchsetzen und wurden durch das Verbundfenster verdrängt. Für den Gewerbe- und Industriebau waren

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wärmetechnisch verbesserte Fenster im späten 19. Jahrhundert noch kein Thema. Erst in den 1920er- und 1930er-Jahren und vor dem Hintergrund der Rationalisierung im Bauwesen erhielt das panzerverglaste Fenster eine Chance. Gefordert waren schnell zu fertigende, funktionstüchtige, Material und Arbeitszeit sparende und bezüglich der Lichtausbeute optimierte Fenster. Dazu kam, dass herkömmliche, preiswerte Materialien und Herstellungstechniken für Panzerfenster überall vor Ort und ohne industrielle Vorfertigung – wie etwa bei Stahl oder Gusseisen – verfügbar waren. Gefertigt wurden die Fenster überwiegend aus Kiefernholz. Nur für stärker beanspruchte Rahmen und Flügelquerhölzer wie z. B. die Wetterschenkel kam auch Eichenholz zum Einsatz. Die Ziehglasscheiben mit leichten Wellen, Schlieren und Einschlüssen wurden mit Leinölkitt in die Glasfalze eingesetzt. Als Beschläge verwendete man Fischbänder (regional auch Fitschbänder genannt; Abb. B 4.20) mit rundem Kopf sowie Kantengetriebe mit zeittypischen Oliven und Vorreibern (Abb. B 4.21). Die Holz­ oberflächen wurden mit Bleiweißanstrichen behandelt und geschützt [3]. Der großflächige Einsatz des Panzerfensters im Industrie- und Gewerbebau steht in unmittel­ barem Zusammenhang mit der Architektur von Philipp Jakob Manz, zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der wichtigsten und einflussreichsten europäischen Industriearchitekten.

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