Signaletik – Orientierung im Raum

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Das 1995 teilweise rekonstruierte bzw. neuinterpretierte Farbleitsystem des Malers Max Buchartz für das Hans-Sachs-Haus in Gelsen kirchen zog sich ur sprünglich durch alle Treppenhäuser. Jedem Geschoss ist dabei eine bestimmte Farbe zugeordnet. Architekt: Alfred Fischer, 1927

Hausnummern, in Mitteleuropa im 18. Jahrhundert aus fiskalischen oder militärischen Gründen als Konskriptionsnummern eingeführt, wurden allgemein erst Mitte des 19. Jahrhunderts straßenweise vergeben und konnten fortan auch zur Orientierung dienen. Bald ersetzten genormte Nummernschilder die anfänglich individuell an die Hauswand gemalten Nummern. In manchen Städten steht auf jedem Schild auch der Straßenname (in Wien beispielsweise mit vorgestellter Nummer des Bezirks), in manchen weist ein Pfeil in die Richtung der aufsteigenden Nummern. Straßenschilder und Ortsschilder am Ortseingang, im Grunde auch die Willkommensschilder der Bundesländer an Autobahnen sowie die Staatswappen an den Grenzen sind Ausdruck einer topologisch-organisatorischen Hierarchie. Die Normierung unterstützt ihren Signalcharakter, was auch für das Wegweisersystem gilt: Weiß für örtliche Ziele, Gelb für überörtliche, Blau für Autobahnen, Braun für touristische Hinweise. Durch alltägliche Einübung haben wir das Prinzip so verinnerlicht, dass wir im Ausland – Ähnliches antizipierend – rasch das dortige System erlernen. Interessanterweise funktioniert diese Transferleistung auch in anderen Zusammenhängen. Signaletik in größeren Anlagen und Gebäuden wie Flughäfen, Messegeländen, Sportparks etc. bedient sich häufig der eingeübten Routinen und verwendet hierarchisch geordnete, verschiedenfarbige verbale und bildliche Signalsysteme. Beides in Kombination führte zum bislang international bekanntesten und einflussreichsten Informationssystem, das der Grafiker Otl Aicher 1972 für die Olympischen Spiele in München entwickelte und das noch heute gültige Standards gesetzt hat. Aicher war die Piktogrammfamilie, die der japanische Grafiker Katsumi Masaru für die Olympischen Sommerspiele 1964 in Tokio entworfen hatte, noch zu kompliziert und zu figürlich. Er reduzierte die Sportler auf Strichmännchen, die Menschen aller Herren Länder mit einem Blick erkennen konnten – Läufer, Fechter, Radfahrer, Segler, Kanute oder Reiter. Die Bildersprache ergänzte er um ein Farbsystem, das die Spiele unvergesslich prägte, die verschieden breiten Farbstreifen in Gelb, Grün, Blau und Orange, dazu noch Silber und Weiß erschienen auf allen Plakaten, Programmen, Eintrittskarten und selbst auf dem gestreiften Dackel Waldi, dem ersten olympischen Maskottchen. Selbstverständlich beinhaltete die umfassende Corporate Identity auch sämtliche Wegweiser und Leitschilder zum und auf dem Olympiagelände – ergänzt übrigens von den Media-Linien Hans Holleins im Olympischen Dorf, einem Kommunikations- und Leitsystem in Form von über den Wegen verlaufenden farbigen Röhren. Mit einer bewundernswerten Konsequenz, die in dieser Universalität ohne Vorbild war, arbeitete Otl Aicher daran, dass Sportler, Funktionäre und Besucher buchstäblich immer im Bilde waren, bestens informiert, orientiert und organisiert. Fortan wurden solche Großveranstaltungen in allen Belangen durchdesignt, doch nur selten ist Aichers Arbeit übertroffen worden. Vielleicht wirken seine Piktogramme gegenüber aktuellen Neuentwicklungen in stilistischer Hinsicht nicht mehr sehr zeitgemäß; besser lesbar sind die neuen jedoch nicht.

Olympische Spiele 1972

Signaletik und Architektur sind nicht immer beste Freunde. Leitsysteme sind semantische Systeme, die zunächst einmal in Konkurrenz zur Architektur treten, denn auch jede Architektur ist ein Zeichensystem, das Botschaften vermittelt, mal abstrakter, mal narrativer. Das ist der Grund, weshalb ausgeprägte Signaletik, die nachträglich in ein Bauwerk ein-

Leitsysteme und Architektur


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