Fußgängerbrücken

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Einführung

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Fußgängerbrücke über den Fluss Carpinteíra, Covilhã (P) 2009, João Luís Carrilho da Graça

stützten Rechenprogrammen in kurzer Zeit Parameterstudien durchzuführen und so den Entwurf zu optimieren, sodass jede Idee zügig bestätigt oder verworfen werden kann. Ebenso lässt sich mit entsprechenden Computerprogrammen das dynamische Verhalten einer Konstruktion exakt berechnen. Synchronisationsphänomene, wie sie bei verschiedenen Brücken in der jüngeren Vergangenheit aufgetreten sind, lassen sich simulieren, ihre Ursachen und Auswirkungen verstehen und die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen nachvollziehen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um leichte und filigrane Fußgängerbrücken überhaupt realisieren zu können. Auf der anderen Seite führt die heute zur Verfügung stehende Rechnerleistung dazu, dass manche Planer Konstruktionen in einem sehr frühen Planungsstadium bis ins Detail ausbilden, wodurch immense Datenmengen erzeugt werden. Viel schlimmer noch ist die Tatsache, dass das Ergebnis in solchen Fällen nicht vollständig und detailliert nachvollzogen werden kann und so der Blick für das Wesentliche und Prinzipielle leicht verloren geht. Die Entwicklung des Brückenbaus von dem einfach über einen Bach gelegten Baumstamm bis zu den heutigen spektakulären dreidimensionalen Tragkonstruktionen hat einen langen Weg hinter sich. Neue Materialien, Berechnungsverfahren oder Herstellungstechniken brachten über die Jahrhunderte immer wieder Meilensteine der Brückenkonstruktion hervor. Getrieben wurden diese Entwicklungen von dem Wunsch nach immer mehr Mobilität, oft aus wirtschaftlichen, meist friedlichen, manchmal aber auch aus imperialen, militärischen Gründen. Jede Brückenform hat ihre Geschichte, sei es der Balken, der Bogen oder die Hängekonstruktion. Prägende Materialien

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waren zunächst Holz und Stein, seit dem 19. Jahrhundert dominieren Stahl und Beton den Brückenbau. So sehr Beton das Bauen positiv beeinflusst hat – vor allem Ingenieure wie Robert Maillard, Ulrich Finsterwalder oder Eduardo Torroja haben gezeigt, welches Potenzial in diesem Werkstoff steckt –, so hat er auch dazu beigetragen, dass insbesondere beim Bau von Straßenbrücken eine Unterordnung unter das Primat der Wirtschaftlichkeit zu verzeichnen ist und dabei in Kauf genommen wird, mehr Material zu ver(sch)wenden als eigentlich nötig. So ist es nur vermeintlich günstiger, eine einfache Form zu wählen, die jedoch mehr Materialeinsatz erfordert und demzufolge zu mehr Eigenlasten führt. Dem gegenüber stehen Konstruktionen, die den Kraftfluss nachzeichnen und damit angemessener und wohlproportioniert wirken, die zwar weniger Material benötigen, aber in der Herstellung aufwendiger sind. Neben Beton beeinflusste vor allem Stahl den Brückenbau, ob als Konstruktions-, Seil- oder Bewehrungsstahl. Bevor der Siegeszug des Stahls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann, bestanden die meisten Konstruktionen aus Holz. Heute ist Stahl im Fußgängerbrückenbau das vorherrschende Material: Kühne, atemberaubend leichte Konstruktionen zeugen von der Leistungsfähigkeit dieses Werkstoffs. Die anhaltende Weiterentwicklung, sowohl der Materialeigenschaften als auch der Herstell-, Füge- und Montagetechniken, führt zu dreidimensionalen Tragstrukturen, die mit hoher geometrischer Präzision ausgeführt werden können. Auch der Gussstahl hat längst den Makel der Sprödigkeit abgeworfen und kommt heute oft bei komplexen Knoten im Fußgängerbrückenbau zum Einsatz, da er mittlerweile genauso zäh und schweißbar ist wie normaler Baustahl.

Die Entwicklung neuer Materialien dauert im Bauwesen erfahrungsgemäß lang, weil nicht nur in Bezug auf Festigkeit, sondern auch hinsichtlich Querschnittsgestaltung, Fügetechnik, Montierbarkeit und Dauerhaftigkeit hohe Anforderungen gestellt und Sicherheitsprüfungen durchgeführt werden. An Universitäten wird bereits intensiv an neuen Werkstoffen geforscht, insbesondere im Bereich der Kunststoffe. Hier verspricht man sich im Hinblick auf Dauerhaftigkeit und Festigkeit große Vorteile. Vereinzelt werden bereits Prototypen realisiert, um Erfahrungen unter Dauerbeanspruchung zu sammeln. Allerdings ist momentan noch nicht erkennbar, dass Stahl im Brückenbau in naher Zukunft durch neue Materialien abgelöst wird, sei es für hochfeste Zugglieder oder für den Überbau. Das vorliegende Buch gibt Architekten, Ingenieuren und Technikern, aber auch Herstellern und interessierten Bauherren einen Überblick über aktuelle Tendenzen im Fußgängerbrückenbau. Es gliedert sich in sieben Kapitel, die durch Abbildungen, Tabellen und Zeichnungen ergänzt werden. Die Themen der Kapitel reichen von der Grundlagenermittlung und der Vorstellung einzelner Materialien über die Einführung in verschiedene Brückenkonstruktionen und die Betrachtung wirtschaftlicher Aspekte der Herstellung und des Unterhalts bis hin zu einem Überblick über besondere Brückenbauten. Abgerundet wird der Band durch die Dokumentation ausgewählter Fußgängerbrücken, die einen Einblick in die Konstruktionsvielfalt geben sollen. Das Buch bietet konkrete Hilfestellungen bei Entwurfsfragen – und vielleicht kann es auch motivieren, Neues zu versuchen in diesem spannenden Bereich des Brückenbaus. 7


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