Albrecht Dürer und sein Kreis

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Öffentliche Kunstsammlung Basel Kupferstichkabinett

Beschreibender Katalog der Zeichnungen, Band III

Die Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts

Teil 2C

Albrecht Dürer und sein Kreis

Hans Baldung Grien, Hans Schäufelin, Hans Süss von Kulmbach, Hans Springinklee, Hans Leu d. J.

bearbeitet von Christian Müller

Gefördert von der WOLFGANG RATJEN STIFTUNG, Liechtenstein, und einer Stiftung, die ungenannt bleiben möchte

Albrecht Dürer, Kopie / Werkstatt / Umkreis

144 HANS BALDUNG GRIEN

144 Hans Baldung Grien

181 Hans Baldung Grien, Kopie / Werkstatt / Umkreis / Nachfolger / Nachahmer

202 HANS SCHÄUFELIN

202 Hans Schäufelin

212 Hans Schäufelin, Umkreis

214 HANS SÜSS VON KULMBACH

214 Hans Süss von Kulmbach

217 Hans Süss von Kulmbach, Kopie / Werkstatt

Vorwort

Das wissenschaftliche Bearbeiten und Publizieren der Bestände zählt zu den Kernaufgaben eines jeden Museums. Ganz gleich, ob die Ergebnisse in einer Datenbank oder als gedruckter Katalog veröffentlicht werden, handelt es sich um eine essentielle Arbeit, die die Grundlagen für wissenschaftliche Recherchen von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern überall auf der Welt liefert. Eine solche Arbeit am eigenen Bestand ist nach wie vor eine grosse Herausforderung, die nicht nur die notwendigen personellen Kapazitäten, sondern auch persön lichen Einsatz und einen langen Atem erfordert. Das gilt besonders dann, wenn es sich wie beim Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel um eine Sammlung von geschätzt 300 000 Werken auf Papier handelt, unter denen sich etwa 70 000 Zeichnungen befinden. Rund 2 100 stammen aus dem 15. und 16. Jahrhundert.

1966 wurde eigens die Stelle eines «Bearbeiters des wissenschaftlichen Katalogs der Altmeisterzeichnungen» eingerichtet, die zunächst mit Hanspeter Landolt und dann mit Tilman Falk besetzt war. Falk konnte 1979 den ersten Band publizieren, der die Zeichnungen des 15. Jahrhunderts enthält. Um die Notwendigkeit weiterer Publikationen zu untermauern, wurde dieser Band als Teil einer Reihe definiert, nämlich als Band III, Teil 1. Schon existierende Veröffentlichungen von Teilbeständen des Kupferstichkabinetts wurden dabei rückwirkend zu Band I (Das Skizzenbuch von Hans Holbein d. Ä. von Hanspeter Landolt, 1960) und zu Band II (Katalog der Zeichnungen Paul Cézannes von Adrian Chappuis, 1962) ernannt. Und mit den Zeichnungen des 16. Jahrhunderts sollten weitere Teile von Band III folgen. 1985, Dank der Initiative des langjährigen Leiters des Kupferstichkabinetts Dieter Koepplin und mit finanzieller Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds, konnte die Arbeit am Katalog wieder aufgenommen werden. So folgten 1996 mit den Zeichnungen von Ambrosius und

Hans Holbein d. J. Teil 2A und 2001 mit den Zeichnungen von Urs Graf Teil 2B, die jeweils von Christian Müller bearbeitet wurden.

Die wissenschaftliche Veröffentlichung eines weiteren Teils stand bisher noch aus: der Zeichnungen Albrecht Dürers und seines Kreises. Diesem Kreis rechnet man jene namentlich bekannten und eigenständigen Künstler zu, die zeitweise in Dürers Werkstatt tätig waren oder ihm künstlerisch nahestanden: Hans Baldung Grien, Hans Schäufelin, Hans Süss von Kulmbach, Hans Spring inklee und Hans Leu d. J. Mit der vorliegenden Publikation als Band III, Teil 2C der Bestandskataloge des Basler Kupferstichkabinetts wird diese Lücke nun geschlossen. Autor ist auch in diesem Fall Christian Müller, ein ausgewiesener Kenner des Materials mit langjähriger Erfahrung am Haus. 1985 war er als Bearbeiter des wissenschaftlichen Katalogs ins Kupferstichkabinett gekommen und dort von 1991 an als Konservator und bis 2015 als Leiter tätig. Schon in seiner aktiven Zeit hatte er das Projekt in Angriff genommen und dann während seines Ruhestands kontinuierlich fortgeführt. Dabei konnte er auch auf den Vorarbeiten Tilman Falks aufbauen. Die Ergebnisse dieser jahrzehntelangen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Werken liegen nun gedruckt vor. Aber auch damit sind die Zeichnungen des 16. Jahrhunderts noch nicht vollständig bearbeitet.

Jede Sammlung ist individuell gewachsen, keine gleicht der anderen. Wesentliche Teile der Altmeisterzeichnungen des Kupferstichkabinetts gehen auf die Sammlung des Basler Juristen Basilius Amerbach (1533–1591) zurück, die 1661 durch die Stadt erworben wurde. Entsprechend weisen die Bestände an Altmeisterzeichnungen Besonderheiten und Schwerpunkte auf, die ihren unverwechselbaren Charakter ausmachen. Hervorzuheben sind im vorliegenden Band bekannte Meisterwerke wie Albrecht Dürers Affentanz (Kat. 7) oder Hans Bal-

dung Griens Jugendliches Selbstbildnis (Kat. 16), die beide aus dem Amerbach-Kabinett stammen. Um spezifisch Basler Werke handelt es sich bei den sogenannten Terenz-Holzstöcken: über 120 Holzstöcke mit Federzeichnungen, die als Vorzeichnungen für HolzschnittIllustrationen dienen sollten (Kat. 1). Sie werden dem jungen Albrecht Dürer zugeschrieben und spielen eine zentrale Rolle bei der viel diskutierten Rekonstruktion seines in Basel entstandenen Frühwerks. Erstmals seit 1926/27 werden diese Zeichnungen vollständig abgebildet und in ihrer Gesamtheit gewürdigt. Zusammen mit der wechselhaften Forschungsgeschichte könnte dieses Kapitel gleich am Anfang des Katalogs fast als eigenständige »Publikation in der Publikation« betrachtet werden. Es wird eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen bilden. Auch die Zeichnungsgruppe eines am Oberrhein tätigen anonymen Meisters im Umfeld von Hans Baldung Grien, für den sich der Notname »PseudoLeu« etabliert hat, wird erstmals vollständig behandelt. Für die Fachwelt ebenso interessant dürften verschiedene neue Zuschreibungen sein, etwa im Fall der Zeichnung einer knienden Stifterin, die lange Hans Schäufelin zugewiesen wurde, vom Autor jetzt jedoch als Werk Hans Baldung Griens vorgestellt wird (Kat. 25).

Unser grosser Dank gilt dem Autor Christian Müller für seine kenntnisreiche und langjährige Arbeit. Wir freuen uns, dass er sein Manuskript fertiggestellt hat, so dass seine Erkenntnisse für unsere Sammlung gesichert werden können. Er wurde unterstützt durch die Kolleginnen der Papierrestaurierung, namentlich Caroline Wyss Illgen, Chantal Schwendener und Annegret Seger. Sie haben materialtechnische Analysen durchgeführt und zusammen mit dem wissenschaftlichen Photographen Max Ehrengruber die Wasserzeichen untersucht. Die Bearbeitung des Manuskripts und die Betreuung der Katalogproduktion erfolgte im Haus durch Ariane Mensger, der Kuratorin für Alte Meister am Kupferstichkabinett, und

der wissenschaftlichen Assistentin Amanda Kopp. Dank ihres grossen Einsatzes konnte der umfangreiche Text grundlegend redigiert und für die Drucklegung vorbereitet werden. Den genannten und allen weiteren Beteiligten des Museums und vom Deutschen Kunstverlag sei für ihr fortwährendes Engagement ganz herzlich gedankt.

Schliesslich danken wir unseren Geldgebern: der Wolfgang Ratjen Stiftung, Liechtenstein, und einer Stiftung, die ungenannt bleiben möchte, für ihre grosszügige finanzielle Unterstützung, durch die die Produktion des Katalogs überhaupt erst möglich wurde.

Wir freuen uns sehr, dass nach einer langen Vorlaufzeit dieses wichtige Projekt zu einem schönen Ende geführt werden konnte.

Anita Haldemann

Stellvertretende Direktorin und Leiterin Kupferstichkabinett

1.1 – 1.139

Um ein möglichst vollständiges Bild der Illustrationen zu geben und zum besseren Verständnis der Handlung, wurden in den Katalog nicht nur die bezeichneten, sondern auch die geschnittenen Stöcke aufgenommen. Auch Holzschnitte, die im 19. Jahrhundert von den geschnittenen Druckstöcken gedruckt wurden, werden aufgeführt. Die geschnittenen Stöcke haben sich nur teilweise erhalten, so dass den Drucken in diesen Fällen eine grosse Bedeutung zukommt.

Die Nummerierung der Illustrationen entspricht derjenigen, die Sebastian Brant um die Entstehungszeit der Zeichnungen auf den Rückseiten der Stöcke vorgenommen hat. Die Zuweisung von Akt und Szenen durch Basilius Amerbach für die Komödien Andria , Eunuch und Heautontimorumenos, ebenfalls auf den Rückseiten der Stöcke, scheint nicht immer zutreffend zu sein.

Die Nennung der Akteure erfolgt in der Reihenfolge ihres Auftretens in den einzelnen Szenen. Die Zeichnungen – nicht die Drucke – werden also von rechts nach links gelesen und beschrieben, da die Zeichnungen auf die Seitenverkehrung Rücksicht nehmen, die durch den Druck entstehen würde.

1.1

Das Theater (Titelblatt)

Inv. X.2382

Holzschnitt (Abdruck des 19. Jahrhunderts, der Druckstock ist nicht mehr nachweisbar) 23,0 × 14,3 cm (Bild)

Lit.: Burckhardt 1892, Abb. – Herrmann 1914, S. 334, Abb. 47 –Römer 1926, Taf. 2 – Römer 1927, S. 98f. – Borcherdt 1935, S. 82ff., Abb. 59 – Panofsky 1948, S. 28 – Winkler 1951b, S. 68, Taf. 49 – Reindl 1977, S. 135 – Anzelewsky 1983, S. 184f., Abb. 86 –Wilhelmi 2002b, S. 111 – Falk 2004, Sp. 194, Abb. 5 – Schoch/ Mende/Scherbaum 2004, Nr. 262.1 – Ausst.-Kat. Frankfurt 2013, Nr. 2.19, Abb. S. 62.

Ein Herrscher schaut mit seinem Gefolge vom obersten Rang eines Theaters auf die Bühne hinunter. Dort sind Musikanten und Schauspieler in Aktion: Drei Schauspieler mimen einen Streit, einer hat sich mit Redegestus zum Herrscher gewendet. Vorne links an der Seite steht ein Zuschauer, der das Geschehen nachdenklich beobachtet und sich dabei auf einen Stock stützt. Römer, Panofsky

und Anzelewsky sehen in der Architektur Anklänge an antike Theaterbauten, Borcherdt und Reindl den Einfluss von Amphitheatern. Herrmann nimmt eine unmittelbare Anregung von der Theaterdarstellung in Grüningers Terenz-Ausgabe von 1496 an, was unhaltbar erscheint. Anzelewsky vergleicht den Holzschnitt mit der Darstellung eines Amphitheaters in den Manuskripten des Cyriacus von Ancona, die Hartmann Schedel kopiert hat (siehe auch Rupprich 1930, S. 52 und Taf. IV).

1.2

Der dichtende Terenz in einer Landschaft (Autorenbildnis)

Inv. Z.425

Feder in Schwarz, auf Birnbaumholz (ungeschnittener Druckstock)

9,3 × 14,7 × 2,4 cm

Bez. verso mit Feder in Graubraun (Sebastian Brant): »primu[m]«; mit blauem Stift: »1«; auf der r. Schmalseite Prägestempel: I 28 und roter Punkt Wurmlöcher; Kratzer

Lit.: Römer 1926, Taf. 1 – Römer 1927, S. 97f. – Anzelewsky 1955, S. 29f. – Ausst.-Kat. Basel 1962, Nr. 25a, Abb. 9 – Landolt 1972, Nr. 25 – Landolt 1975, S. 48, Taf. 3 – Strieder 1976, Abb. S. 9 –Anzelewsky 1980, S. 35, Abb. 19 – Ausst.-Kat. Basel 1991b, Nr. 47 –Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.4.1 – Wilhelmi 2002b, S. 111 – Schoch/Mende/Scherbaum 2004, S. 38, Abb. 1 (Schoch) –Braun/Grebe 2007, S. 207, Abb. 12 – Ausst.-Kat. Nürnberg 2012, Nr. 115 – Ausst.-Kat. London 2013, S. 78, Abb. 42 (mit falscher Inv. Nr.) – Ausst.-Kat. Basel 2014, S. 6, Nr. 1, Abb. 2.

Beeinflusst von Schongauers Kupferstich Johannes auf Patmos (Lehrs 60). Anzelewsky sieht in dem bekränzten Terenz einen Reflex Dürers auf die Krönung des Humanisten Conrad Celtis zum Dichter, die Friedrich III. 1487 auf der Nürnberger Burg vorgenommen hatte. Antike Autoren konnten jedenfalls im 15. Jahrhundert mit dem Dichterlorbeer dargestellt werden, siehe etwa die TerenzBüste im Ulmer Chorgestühl (Vöge 1950, Taf. 31 und 32). Die Darstellung des dichtenden Terenz steht in der Tradition des antiken Autorenbildnisses, das den Dichter schreibend oder nachsinnend zeigt (siehe Weitzmann 1959, S. 116–127).

ALBRECHT DÜRER

ALBRECHT DÜRER

1.3 – 1.27

Andria (Das Mädchen aus Andros)

1.3

Simo und Davos (Andria 2: Akt 1, Szene 2)

Inv. Z.426

Feder in Schwarz, auf Birnbaumholz (ungeschnittener Druckstock)

9,1 × 14,8 × 2,4 cm

Bez. verso mit Feder in Graubraun (Sebastian Brant): »Andriae 2 [von Basilius Amerbach durchgestrichen] / No[n] dubiu[m] est quin uxore[m] nolit filius«; mit Feder in Braun (Basilius Amerbach): »Andr: actus 1. scen: 2.«; mit Feder in Graubraun (von Kinderhand): »An[…]« (auf dem Kopf stehend); Zeichnung eines Turms (auf dem Kopf stehend); mit blauem Stift: »2«; auf der u. Schmalseite mit Feder in Graubraun: »Sioceris [?]«; auf der r. Schmalseite Prägestempel: I 28 und roter Punkt

In der Mitte Kratzer; rechts Einschnitte; Wurmlöcher

Lit.: Römer 1926, Taf. 3,1 – Römer 1927, S. 100, An 1 – Ausst.-Kat. Basel 1991b, Nr. 48 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.4.2 –Wilhelmi 2002b, S. 111 – Schmitt 2010, S. 361, Abb. 23 – Heinrichs 2011, S. 119–121, Abb. 6 (absichtlich seitenverkehrt).

Die Handlung spielt in Athen. Der Stock mit der Illustration zu Akt 1, Szene 1 (= Andria 1) ist verloren gegangen (siehe Römer 1927, S. 100, vor An 1). In dieser ersten Szene spricht Simo, ein alter Herr, mit seinem freigelassenen Sklaven Sosia. Simo bereitet eine Hochzeit vor, um seinen Sohn Pamphilus zu prüfen. Dieser, so fürchtet Simo, liebt Glycerium, die Schwester der Chrysis, eine kürzlich verstorbene Hetäre aus Andros. Simo möchte seinen Sohn jedoch mit Philumena, der Tochter des Chremes, verheiraten. In Szene 2 warnt Simo den Sklaven Davos davor, die Hochzeit seines Sohnes mit Philumena zu hintertreiben.

1.4

Davos (Andria 3: Akt 1, Szene 3)

Inv. Z.427

Feder in Schwarz, auf Birnbaumholz (ungeschnittener Druckstock)

9,2 × 14,8 × 2,3 cm

Bez. verso mit Feder in Graubraun (Sebastian Brant): »Andriae 3 / Enimvero dave nihil loci est segmin [segnicie?]«; mit Feder in Braun (Basilius Amerbach): »And: actus. 1. scena 3.«; mit Feder in Graubraun (von Kinderhand): »Jergi«; mit blauem Stift: »3«; auf der r. Schmalseite Prägestempel: I 28 und roter Punkt Wurmlöcher

Lit.: Römer 1926, Taf. 3,2 – Römer 1927, S. 101, An 2 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.4.3 – Wilhelmi 2002b, S. 111 –Heinrichs 2011, S. 119–121, Abb. 3 (absichtlich seitenverkehrt).

Davos geht, um Simos Sohn Pamphilus zu warnen, denn Glycerium erwartet ein Kind von Pamphilus, das dieser anerkennen möchte. Glycerium behaupte ausserdem, sie sei eigentlich attische Bürgerin. Nach einem Schiffbruch sei sie an Land gespült und vom Vater der Chrysis aufgezogen worden – reine Märchen, wie Davos findet.

1.5

Archylis und Mysis

(Andria 4: Akt 1, Szene 4)

Inv. Z.428

Feder in Schwarz, auf Birnbaumholz (ungeschnittener Druckstock)

9,2 × 14,7 × 2,3 cm

Bez. verso mit Feder in Graubraun (Sebastian Brant): »Andriae 3 [korrigiert zu 4] / Audivi archilis ia[m] dudu[m] u [?] «; mit Feder in Braun (Basilius Amerbach): »Andr: actus. 1. Scen: 4. / Deest scena. V in actu.1.«; mit Feder in Graubraun (von Kinderhand): »Claus«; mit blauem Stift: »4«; obere Schmalseite: Kritzelei von Kinderhand und roter Punkt; auf der r. Schmalseite Prägestempel: I 28 Wurmlöcher; Kratzer

Lit.: Römer 1926, Taf. 3,3 – Römer 1927, S. 101, An 3 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.4.4 – Wilhelmi 2002b, S. 112 – Heinrichs 2011, S. 119–122, Abb. 4 (absichtlich seitenverkehrt).

Die Magd Archylis rät Mysis, der Magd der Glycerium, die Hebamme Lesbia zu holen.

ALBRECHT DÜRER

1.6

Pamphilus und Mysis vor dem Haus der Glycerium

(Andria 5: Akt 1, Szene 5)

Inv. Z.429

Feder in Schwarz, auf Birnbaumholz (ungeschnittener Druckstock)

9,2 × 14,7 × 2,3 cm

Bez. verso mit Feder in Graubraun (Sebastian Brant): »Andria 5 [?] / Hoccine est humanu[m] factu[m] aut inceptu[m]«; mit blauem Stift: »5«; mit Bleistift: »Act. I V.«; auf der r. Schmalseite

Prägestempel: I 28 und roter Punkt

Wurmlöcher; Kratzer; unten links schwarze Flecken; verso Federproben

Lit.: Römer 1926, Taf. 3,4 – Römer 1927, S. 101, An 4 – Ausst.-Kat. Basel 1991b, Nr. 49 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.4.5 –Wilhelmi 2002b, S. 112 – Heinrichs 2011, S. 119–124, Abb. 8 (absichtlich seitenverkehrt).

Pamphylus und Mysis treffen vor dem Haus seiner Geliebten Glycerium aufeinander. Er klagt der Magd sein Leid.

1.7

Charinus, Byrrhia und Pamphilus (Andria 6: Akt 2, Szene 1)

Inv. Z.430

Feder in Schwarz, auf Birnbaumholz (ungeschnittener Druckstock)

9,1 × 14,5 × 2,3 cm

Bez. verso mit Feder in Graubraun (Sebastian Brant): »An 7 / Quid ais birria«; mit Feder in Braun (Basilius Amerbach): »And: actus. 2: scena. 1.«; mit Feder in Graubraun (von Kinderhand): »Andreas«; mit blauem Stift: »6«; auf der r. Schmalseite Prägestempel: I 28 und roter Punkt Kratzer und Flecken

Lit.: Römer 1926, Taf. 4,5 – Römer 1927, S. 101, An 5 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.4.6 – Wilhelmi 2002b, S. 112 –Schoch/Mende/Scherbaum 2004, S. 38f., Abb. 7 (Schoch).

Charinus, ein Freund des Pamphilus, liebt Philumena. Phamphilus rät Charinus und dessen Sklaven Byrrhia dringend, etwas zu unternehmen, um Philumena zu bekommen.

Bei der Nummerierung der Illustrationen unterlief Sebastian Brant ein Versehen, denn auf Andria 5 (Kat. 1.6) liess er hier Andria 7 folgen. Indem er jedoch Kat. 1.9 bei der Zählung ausliess, stimmt ab Kat. 1.10 Brants Nummerierung wieder mit der Reihenfolge der Illustrationen überein.

1.8

Davos, Pamphilus und Charinus

(Andria 7: Akt 2, Szene 2)

Inv. Z.431

Feder in Schwarz, auf Birnbaumholz (ungeschnittener Druckstock)

9,2 × 14,7 × 2,3 cm

Bez. verso mit Feder in Graubraun (Sebastian Brant): »An 8 / Dij boni«; mit Feder in Braun (Basilius Amerbach): »And: actus 2. scen: 2.«; mit Feder in Graubraun (von Kinderhand): »Heinrich«; mit blauem Stift: »7«; auf der r. Schmalseite Prägestempel: I 28 und roter Punkt Wurmlöcher

Lit.: Römer 1926, Taf. 4,6 – Römer 1927, S. 101f., An 6 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.4.7 – Wilhelmi 2002b, S. 112 – Heinrichs 2011, S. 116, Abb. 1 (absichtlich seitenverkehrt).

Davos trifft auf Charinus und Pamphilus. Er berichtet, dass im Haus des Chremes, des Vaters der Philumena, keine Vorbereitungen für eine Hochzeit getroffen werden.

ALBRECHT DÜRER

ALBRECHT DÜRER

Albrecht Dürer (1471–1528)

Frau in Phantasietracht

U.I.55

Feder in Graubraun, verblasst, Pinsel in Dunkelgrau und Braun 27,3 × 19,5 cm

Kein Wz.

Bez. u. r. mit Feder in Graubraun (von fremder Hand): »AD / 1512«; verso mit Bleistift: »55«

Durch Abklatsch in alter Zeit verblasst; die dunkelgrauen und braunen Flecken wurden durch Flüssigkeiten auf dem Papier hervorgerufen, es sind keine Flickstellen

Herkunft: Museum Faesch 1823

Lit.: Dürer Society 1906, Nr. VIII (Peartree) – von Seidlitz 1907, S. 9, Abb. S. 10 – Weixlgärtner 1910, S. 63, Nr. VIII – Dürer Society 1911, S. 69, Nr. VIII (Peartree) – Meder 1911/12, S. 207, Abb. 16 – Bock 1920, S. 209 – Römer 1926, S. 132, Nr. 25, Abb. 6 – Lippmann/ Winkler 1883–1929, Bd. 6 (1927), Nr. 629 – Tietze/Tietze-Conrat 1928–1938, Bd. 1 (1928), Nr. 76 – Stadler 1929, S. 95f. – Flechsig 1928/31, Bd. 2, S. 80–82 – Tietze/Tietze-Conrat 1935, S. 117f., Abb. S. 221 – Winkler 1936–1939, Bd. 1 (1936), Nr. 76 – Panofsky 1945, Bd. 1, S. 36, Bd. 2, Nr. 1256, Abb. 58 – Schilling 1952, S. 62, Anm. 15 –Winkler 1957, S. 37f. – Ausst.-Kat. Nürnberg 1971, Nr. 454, Abb. S. 129 – White 1973, S. 365f., Anm. 8 – Strauss 1974, Bd. 1, Nr. 1495/19 – Anzelewsky/Mielke 1984, bei Nr. 124 (Mielke) –Ausst.-Kat. Basel 2014, S. 7, Nr. 2.

Dürer stellt die Frau nahezu frontal dar. Links, unten, vor allem aber auf der rechten Seite wird die Figur von dichten Parallel- und Kreuzschraffuren umgeben, als ob diese Schatten wären, die auf eine Wand fallen. Dadurch kommt die ornamentale Qualität der Darstellung, die sich in den Falten des Gewandes und des Schleiers ausdrückt, besonders zur Geltung. Eine ähnliche Frontalität weist auch Dürers Orientalischer Herrscher in Washington auf (Winkler 77), mit dem unsere Zeichnung gelegentlich verglichen wurde.

Modische Details wie das hochgegürtete Kleid und das Dekolleté erinnern an Kostümstudien, die Dürer wohl während seiner ersten Italienreise 1494/95 in Venedig gezeichnet hat. Das Kostüm hier scheint jedoch eher der Phantasie des Künstlers entsprungen zu sein als auf einem konkreten Vorbild zu beruhen, besonders im Vergleich mit den Zeichnungen in Wien und Frankfurt, die Venezianerinnen darstellen (Winkler 69, 70, 75). Die Frau auf unserer Zeichnung trägt auf dem hochgesteckten, geflochtenen Haar einen kronenähnlichen Schmuck, an dem eine mit Edelsteinen geschmückte Agraffe und ein kleiner Pelikan befestigt sind. Von hier aus fällt ein

Schleier über Stirn, Schultern und Rücken bis zur Höhe der Knie herab. Sein langes Ende hält sie mit ihrer Linken, mit der Rechten hebt sie den Stoff ihres bis zum Boden herabreichenden Kleides an, dessen Falten sich vor ihren Füssen stauen und diese verdecken. Meder vergleicht die antikische Schürzung unter dem Gürtel mit Frauendarstellungen auf venezianischen Tarock-Karten. Dargestellt ist wohl nicht eine venezianische Kurtisane, wie von Seidlitz annimmt, ebenso wenig die Insassin eines Basler Freudenhauses, wie Burckhardt-Werthemann 1949 vermutet.1 Tietze/Tietze-Conrat vertreten die Ansicht, dass unsere Zeichnung das Gegenstück zu Dürers bereits genanntem Orientalischen Herrscher (Winkler 77) sein könnte: Dargestellt sei möglicherweise die Griechin Irene, die Geliebte des Sultans Mahomet von Konstantinopel. Panofsky bezweifelt dies und sieht in ihr eine orientalische Sklavin, der Dürer in Venedig begegnet sein könnte. Aber auch dieser Vorschlag vermag nicht zu überzeugen, denn Orientalisches ist in unserer Zeichnung nicht zu entdecken.

Wegen ihrer Verwandtschaft zu den Kostümstudien von Venezianerinnen in Wien und Frankfurt setzt Peartree (1906) die Zeichnung zunächst in die Zeit von Dürers erster Reise nach Venedig, später (1911) datiert er sie wie von Seidlitz um 1496 und rückt sie in die Nähe des Frauenbades in der Kunsthalle Bremen (Winkler 152). Andere datieren sie in die Zeit von Dürers Aufenthalt in Basel, den sie für die Jahre um 1492/93 annehmen.2 Überzeugender erscheint jedoch eine Datierung um 1494/95, die die meisten Autoren vertreten.3 White betont die stilistischen Zusammenhänge mit den Zeichnungen der Hl. Katharina in Köln und Berlin (Winkler 73, 74), der Nürnbergerin und Venezianerin (Winkler 75) und dem Orientalischen Herrscher. Bei einigen Zeichnungen aus dieser Zeit, etwa bei der Hl. Katharina (Winkler 73), findet sich eine ähnliche graue Tinte und eine ansatzweise Überarbeitung mit dem Pinsel.

Die Zeichnung ist kein Abklatsch, wie Bock und Mielke vermuten. Dagegen sprechen die Lichtführung und die Rechtshändigkeit des Striches. Sie ist aber vermutlich durch einen alten Abklatsch verblasst. Im Ganzen ist sie jedoch besser erhalten, als Winkler sie beschreibt.

1 Siehe Schilling 1952, Anm. 15.

2 Weixlgärtner, Schilling und Römer, dann auch Winkler (1957) und Strieder.

3 Stadler, Flechsig, Meder, Tietze/Tietze-Conrat, Panofsky und Winkler (1936).

ALBRECHT DÜRER

Albrecht Dürer (1471–1528)

Kopf einer Maria, 1503

Verso: Umriss-Skizze eines Kopfes im Profil nach links (von anderer Hand)

Inv. 1959.104

Schwarzer Stift, weiss gehöht, auf mit Wasserfarbe rot getöntem Papier; verso: schwarzer Stift

21,6 × 19,4 cm

Kein Wz.

Bez. u. l. mit schwarzem Stift: »1503 / AD«; u. l.: Sammlerstempel Grünling (L. 1107); verso mit Bleistift: Besitzzeichen »franck 828« (L. 946); mit Bleistift (von fremder Hand): »Nro. 15. h. 8 Z 1 L br. 7 Z 3 L«

An allen Seiten beschnitten; auf der Vorderseite Papiertönung verblasst; Ergänzungen am linken Rand; rechte untere Ecke angesetzt; oben Risse; Verfärbungen auf der Stirn (zwei gelbe Flecken); zwei alte Restaurierungen oben im Haar; waagerechte Falte durch die Nasenspitze

Herkunft: Josef Grünling (gest. 1845), Wien; Ritter Johann Jakob von Franck (gest. 1828), Wien; wohl um 1900 bis 1949: Fürstliche Sammlungen Liechtenstein, Vaduz/Wien; 1949: Walter Feilchenfeldt (1894–1953), Zürich; 1949 bis 1959: CIBA-AG, Basel; CIBAJubiläumsschenkung 1959

Lit.: Ausst.-Kat. Wien 1871, Nr. 98 – Ephrussi 1882, S. 54 – Thausing 1884, Bd. 1, S. 329 – Lippmann/Winkler 1883–1929, Bd. 2 (1888), Nr. 163 – Haendke 1898, Sp. 154 – Schönbrunner/Meder 1896–1908, Bd. 9 (1904), Nr. 961 – Wölfflin 1905, S. 114 – Heidrich 1906, S. 45, Anm. 1 – Ausst.-Kat. Liverpool 1910, Nr. 260 – Ausst.Kat. Bremen 1911, Nr. 274 – Tietze/Tietze-Conrat 1928–1938, Bd. 1 (1928), Nr. 221 – Flechsig 1928/31, Bd. 1, S. 386f., Bd. 2, S. 310, Nr. 335 – Winkler 1936–1939, Bd. 2 (1937), Nr. 276, Taf. II (verso) –Panofsky 1945, Bd. 1, S. 90f., Bd. 2, Nr. 718 – Musper 1952, S. 333 –Winzinger 1956, Nr. IV – Schmidt 1959, S. 22, Abb. S. 23 – Ausst.Kat. Basel 1959, Nr. 5 – Jahresberichte 1959–1960, S. 23f., S. 36 –Winzinger 1971, S. 52 – Landolt 1972, Nr. 27 – Strauss 1974, Bd. 2, Nr. 1503/13, 1503/14 (verso) – Ausst.-Kat. Basel 1984b, Nr. 5 –Chapuis 1995, S. 61, Abb. c – Ausst.-Kat. Basel 2014, S. 7, Abb. 6, Nr. 3.

Die Zeichnung lässt sich grossformatigen Kopfstudien und Bildniszeichnungen an die Seite stellen, die Dürer um 1503 mit Kohle ausführte (Winkler 269–275). Sehr wahrscheinlich stellte er den Kopf einer Maria dar, die sich dem Kind in ihren Armen zuwendet. Die Darstellung wirkt dennoch porträthaft und lebendig. So sind die Augen und die Brauen leicht gegeneinander versetzt. In den physiognomischen Details des rundlichen Gesichts, den mandelförmigen Augen, der Nase, dem Mund und dem Kinn, bleibt eine Nachwirkung der Beschäftigung

Dürers mit Werken Schongauers spürbar, welche die porträthaften Charakteristika zurücktreten lassen.1 Der gesenkte Blick, das offene Haar und die Art, wie sich die Locken über der Schulter kringeln, gehören zu den Formeln, die sowohl bei Schongauer als auch in anderen Marienbildern Dürers wiederkehren. Sie gehen auf den Einfluss niederländischer Künstler zurück.

Haendke sieht eine Verwandtschaft mit Dürers Holzschnitt der Verehrung Mariens aus dem Marienleben (Schoch/Mende/Scherbaum 2002, Nr. 185). Ähnlichkeit besteht auch zur Maria der Himmelfahrt und Krönung Mariens (Schoch/Mende/Scherbaum 2002, Nr. 184). Anzelewsky weist darauf hin, dass Dürer für die vergleichsweise kleinen Köpfe auf den Holzschnitten möglicherweise grossformatige Studien anfertigte. 2 Einen Einfluss Leonardo da Vincis nehmen Thausing und Panofsky an. Dürer könnte in Italien mit dessen Werken in Kontakt gekommen sein, doch ist eine solche Anregung hier nicht deutlich fassbar. 3 Heidrich und Flechsig vermuten in unserer Zeichnung eine Studie für das verlorene Hauptbild des Jabach-Altars, auf dem vielleicht eine Anna selbdritt dargestellt war. 4 Dagegen wenden sich Winkler und Winzinger. Letzterer macht auf den verwandten Marientypus auf Bildern Dürers in Rotterdam und Wien aufmerksam. 5 Die Zeichnung dürfte jedenfalls zu dem Studienmaterial gehört haben, auf das Dürer bei Bedarf auch noch in späterer Zeit zurückgreifen konnte. Die Technik der mit Weisshöhungen versehenen Zeichnung auf rot getöntem Papier vermittelt sowohl zu Werken der Graphik als auch der Malerei. Die in Umrissen angelegte Zeichnung eines Kopfes im Profil auf der Rückseite des Blattes stammt wohl nicht von Dürers Hand.

1 Siehe zum Beispiel Maria auf dem Gemälde der Heiligen Familie in Wien, Kunsthistorisches Museum, oder den Kupferstich Die Madonna mit dem Papagei (Lehrs 37).

2 Siehe Anzelewsky/Mielke 1984, Nr. 36.

3 Siehe Anzelewsky/Mielke 1984, Nr. 36.

4 Siehe Anzelewsky 1971, Nr. 72–75.

5 Anzelewsky 1971, Nr. 116, 120. Siehe auch Chapuis 1995, S. 55–63.

ALBRECHT DÜRER

Albrecht Dürer (1471–1528)

Heilige Familie in der Halle, 1509

Inv. 1851.3

Feder in Braun, braun laviert und aquarelliert, Architektur mit Hilfe von Zirkelschlägen und blindgeritzten Linien gezeichnet

42,2 × 28,3 cm

Wz.: zwei gekreuzte Pfeile (ähnlich Briquet 6269)

Bez. u. M. l. mit Feder in Braun: »1509 / AD« Papier graubraun verfärbt; Flecken, besonders links und rechts oben und am rechten Rand; Tinte und Aquarellfarben verblasst und berieben bzw. im Ton durch Alterung verändert; mehrere kleine Löcher und Riss im Oberkörper Mariens, alle hinterlegt; Zirkeleinstiche entlang der Senkrechten durch die Mitte der Architektur

Herkunft: vermutlich Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich (1614–1662), Inventar 1659, Nr. 336; Christian von Mechel (1737–1817), Basel; bis 1851: Peter Vischer-Passavant (1779–1851), Basel; Geschenk der Erben von Peter Vischer-Passavant 1851

Lit.: von Rumohr 1837, S. 137 – Ephrussi 1882, S. 184 – Berger 1883, S. CLXV, Nr. 336 – Springer 1892, S. 92, mit Abb. – Burckhardt 1902, S. 22 – Scherer 1902, S. 68–74 – Braun [1905], Taf. 2 –Wölfflin 1905, S. 224 – Heidrich 1906, S. 68–74 – Glück 1909, S. 3–4 – Ganz 1913, S. 42, 58, Taf. III – Halm 1920, S. 290 – Feuchtmayr 1921, S. 793, mit Abb. – Springer 1923, Abb. 248 – Buchner 1928, S. 328–330 – Lippmann/Winkler 1883–1929, Bd. 7 (1929), Nr. 755 – Flechsig 1928/31, Bd. 2, S. 454 – Tietze/Tietze-Conrat 1932, S. 135f., Abb. 115 – Winkler 1933, S. 230 – Fischer 1936, S. 58, 61 – Winkler 1936–1939, Bd. 2 (1937), Nr. 466 – Tietze/TietzeConrat 1928–1938, Bd. 2.1 (1937), Nr. 674, Bd. 2.2 (1938), Nr. A 238 – Musper 1938, Abb. S. 109 (Ausschnitt) – Panofsky 1945, Bd. 2, Nr. 732 – Lieb 1952, S. 196, 390, Anm. 49 – Musper 1952, S. 220 –Wüthrich 1956, S. 89, Anm. 89 – Winkler 1957, S. 210, 244 – Oettinger 1959, S. 42 – Büchner-Suchland 1962, S. 86f. – Reinhardt 1965, S. 30f. – Grote 1965, S. 167 – Ausst.-Kat. Nürnberg 1971, Nr. 602 – Ausst.-Kat. München 1972, bei Nr. 440 – Strauss 1974, Bd. 2, Nr. 1509/4 – Ausst.-Kat. Nürnberg 1976, bei Nr. 71, Abb. 81 (Mende) – Bushart 1977, S. 53f. – Reindl 1977, S. 156, 230, Anm. 689 – Anzelewsky 1980, S. 163, Abb. 150 – Ausst.-Kat. Augsburg 1980, bei Nr. 11 (Bushart) – Schindler 1985, S. 31, 47–50, Abb. S. 49 – Ausst.-Kat. Füssen/Augsburg 2010, Nr. M 62 – Ausst.Kat. Basel 2014, S. 8, Nr. 4 – Ausst.-Kat. Wien 2019, S. 478, Dok. 63.

Die Heilige Familie hat sich vor einer im Stil der Renaissance gestalteten offenen Halle niedergelassen. Maria ruht im Vordergrund mit dem Kind zwischen zwei Säulen, die einen Architrav tragen. Sie blättert in einem Buch, das neben ihr auf einem Kissen liegt. Jesus hält einen Stieglitz in seiner linken Hand, ein Hinweis auf die Passion, und in der rechten einen Lutschbeutel. Im Inneren

der Halle ist Joseph an einem Tisch eingeschlafen, auf dem ein grosser Krug und ein Trinkgefäss stehen. Hinter bzw. über ihm öffnet sich ein Alkoven, weitere Räume könnten sich anschliessen. Auf der linken Seite fällt der Blick auf eine Landschaft mit tief liegendem Horizont. Dort ist ein einzelner grosser Baum zu sehen, dahinter erstrecken sich ein Gewässer, eine Stadt und ein Bergmassiv, das die grösste Erhebung bildet.

Die Darstellung wird ganz wesentlich von der Architektur geprägt, die Dürer mit Lineal und blindgeritzten Linien sowie mit dem Zirkel konstruiert hat. Der Fluchtpunkt befindet sich rechts neben dem Hals Mariens. Durch die ausgeprägte Untersicht wird das Gebäude in Grösse und Tiefenerstreckung illusionistisch gesteigert. Das zentrale Motiv kann als eine Muschelnische bezeichnet werden, die sich in einen kleinen Zentralraum mit Empore öffnet. Links und rechts der Nische befinden sich Pilaster, die zusammen mit vorgelagerten Säulen ein umlaufendes Gebälk tragen. Auf diesem erhebt sich ein Tonnengewölbe, dessen Inneres mit einem netzartigen Masswerk belegt ist.

Bemerkenswert ist die sorgfältige und präzise Ausarbeitung der Zeichnung. Die Architektur ist reich mit bildlichem Schmuck ausgestattet. Der geflügelte Eulenkopf in der Muschelnische dürfte eine apotropäische Bedeutung haben.1 Zwischen den vorderen Säulen hängt an einer Girlande eine Weintraube mit einem Papagei darauf, der zu einem an eine Sonne erinnernden Schmuck aufschaut. Es sind wohl Hinweise auf das Opfer Jesu. Auch die Widderköpfe über den Kämpferplatten deuten auf diesen Zusammenhang hin. Am linken Gebälkstück hängt schliesslich eine Glocke, deren Zugseil am Pfeiler links hinten befestigt ist. Vielleicht ist es ein Antoniusglöcklein, das Schutz vor allerlei Gefahren geben soll. In ihrem motivischen Reichtum schliesst die Zeichnung an die grossformatigen Holzschnitte zum Marienleben an (Schoch/Mende/Scherbaum 2002, Nr. 166–184). In diesen finden sich auch vergleichbare, in Untersicht gegebene Architekturen, welche die Darstellungen einfassen oder sich in hintereinander gestaffelten Räumen in die Tiefe öffnen. 2

Die Halle auf unserer Zeichnung hat man immer wieder mit der Fuggerkapelle bei St. Anna in Augsburg in Zusammenhang gebracht. Dürer war seit 1506 mit Entwürfen für die Grabmäler der Brüder Georg und Ulrich Fugger beschäftigt und kannte vielleicht frühe Pläne für dieses Projekt (Winkler 483–485, 487). Bushart (1980) hält es für möglich, dass Dürer auch eine Visie -

ALBRECHT DÜRER

rung für die Grabkapelle angefertigt haben könnte. Der nach 1529 entstandene Schauentwurf stammt vielleicht von Sebastian Loscher (1482–1551) und geht möglicherweise auf eine Vorlage Dürers zurück. 3 Vergleichbar erscheint einerseits die Raumauffassung, andererseits die Verwendung von Masswerk im Gewölbe einer überwiegend von Renaissanceformen bestimmten Architektur. Dürers Halle zeigt die Auseinandersetzung mit italienischer Kunst, zum Beispiel dem Grabmal des Dogen Andrea Vendramin von Pietro Lombardo, heute in San Giovanni e Paolo in Venedig, und mit dem Inneren des Chors von Santa Maria dei Miracoli vom selben Künstler, ebenfalls in Venedig. 4 Einzelne Motive wie die musizierenden Engel könnten auf Giovanni Bellinis Triptychon der Muttergottes mit Heiligen in der Frarikirche in Venedig zurückgehen.

Die Darstellung der Maria mit dem nach unten gerichteten Kopf und dem zum Buch hin gesenkten Blick lässt sich mit derjenigen auf Dürers aquarellierter Zeichnung Maria mit den vielen Tieren in Wien vergleichen (Winkler 296). Eine Vorstufe dazu bildet Dürers Kupferstich Maria mit der Meerkatze, der von Lorenzo di Credis Madonna mit Kind und Heiligen im Dom von Pistoia angeregt ist. Bei der Basler Zeichnung könnte man von einer Weiterentwicklung des Motivs sprechen (siehe hierzu Schoch/Mende/Scherbaum 2001, bei Nr. 20).

Feuchtmayr weist auf die Beziehung unserer Zeichnung zum Altarbild der Heiligen Familie in der Wallfahrtskirche Maria Schnee in Aufhausen bei Regensburg hin, das er Jörg Breu d. Ä. zuschreibt. Die um 1512/14 entstandene Tafel weicht motivisch in Einzelheiten von Dürers Zeichnung ab, ist aber zweifelsfrei ohne diese nicht vorstellbar. Es könnte sich also tatsächlich um den Entwurf Dürers für dieses Gemälde handeln (so Buchner, Winkler und Mende). Für eine Visierung spricht der Detailreichtum der Zeichnung, die zusätzlich zur Kolorierung mit feinen Schraffuren, etwa am Gewölbe rechts und im hintersten Raum, ausgearbeitet und mit einer Einfassungslinie versehen ist. Die Farbigkeit selbst, die nicht alle Motive gleichmässig berücksichtigt und immer wieder die Oberfläche des Papiers als Ton zur Geltung bringt, erinnert an die Kolorierung der Zeichnung Maria mit den vielen Tieren. Diese kommt ebenfalls als Entwurf in Betracht, vielleicht für eine Druckgraphik oder ein Gemälde. 5 Auch in den Reliefs der Augsburger Bildhauer Adolf und Hans Daucher ist die Auseinandersetzung mit unserer Zeichnung spürbar (siehe hierzu Halm, Reinhardt und Schindler). Diese muss also in Augsburg be -

kannt gewesen sein. Ikonographische und stilistische Unterschiede erlauben es aber nicht, sie der Breu-Werkstatt zuzuordnen (so Tietze/Tietze-Conrat und Panofsky). Bushart (1977) bringt das Blatt mit dem Auftrag für eine Maria in einer Landschaft in Zusammenhang, den Dürer in einem Brief an Jakob Heller vom 26. August 1509 erwähnt.6 Darin berichtet der Maler, dass er sich geweigert habe, dem Handelsherrn und Kammergrafen Jörg Tausy (Hans Jörg Thurzo, der Schwiegersohn Ulrich Fuggers) dieses Bild anzufertigen. Eine Visierung dafür könnte aber nach Augsburg gelangt sein, wo sie auch Hans Holbein d. Ä. gesehen haben könnte, der damals wie Dürer mit den Familien Thurzo und Fugger in Kontakt stand. Jedenfalls findet sich das Motiv der übereck gestellten Kapitelle wie in unserem Blatt auch auf dem Tafelbild Breus und in Hans Holbeins d. Ä. Lebensbrunnen in Lissabon von 1519.7

Die in Basel befindliche Zeichnung Heilige Familie in der Halle könnte mit der im Inventar der Sammlung Erzherzog Leopold Wilhelms von Österreich beschriebenen Zeichnung identisch sein. 8 Eine Wiederholung mit Goldhöhung befindet sich im Kupferstichkabinett Dresden. Eine weitere von Jan de Bisshop wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.9 Eine Kopie auf Pergament, die nach Mende aus der Zeit der Dürer-Renaissance stammen könnte, hat das Dürerhaus erworben.10

1 Siehe Grote 1965.

2 So zum Beispiel bei Schoch/Mende/Scherbaum 2002, Nr. 173, Mariä Verkündigung, bei Nr. 177, Die Anbetung der Könige, oder bei Nr. 181, Der zwölfjährige Jesus im Tempel.

3 Ausst.-Kat. Augsburg 1980, Nr. 11.

4 Hierzu Bushart, in: Ausst.-Kat. Venedig 1999, S. 161–169.

5 Siehe hierzu Koreny, in: Ausst.-Kat. Wien 1985, Nr. 35, bes. S. 116.

6 Siehe Rupprich 1956–1969, Bd. 1, Nr. 19.

7 Hierzu auch Bushart 1977, S. 53.

8 Siehe Ausst.-Kat. Wien 2019, S. 478, Dok. 63.

9 Siehe Winkler 1936–1939, Bd. 2, bei Nr. 466.

10 Sie könnte mit den 1956 im schweizerischen und 1967 im Londoner Kunsthandel aufgetauchten Zeichnungen identisch sein, hierzu Mende, in: Ausst.-Kat. Nürnberg 1976, S. 112.

ALBRECHT DÜRER

Albrecht Dürer (1471–1528)

Apostel Paulus

Inv. 1983.2

Feder in Braun 22,0 × 14,0 cm

Kein Wz.

Bez. o. r. mit Feder in Braun (von fremder Hand): »AD«; u. l.: Prägestempel Thomas Lawrence (L. 2445); verso u. l. und r.: Sammlerstempel Adalbert von Lanna (L. 2773); mit Bleistift: »19«; »120« In der rechten oberen Ecke Einriss; etwas fleckig

Herkunft: Antoine François Andréossy (1761–1828); Sammlung Sir Thomas Lawrence (1769–1830), London; Mai 1836: Samuel Woodburn, London (Kunsthandel); Mai 1836 (?): Ambroise Firmin Didot (1790–1876); bis 1910: Sammlung Adalbert Freiherr von Lanna (1836–1909), Prag; 6.–11.5.1910: Auktion H. G. Gutekunst, Stuttgart, Nr. 216; Mai 1910 bis 1983: Frau D. von Nostitz und Marianne von Nostitz, Dresden; seit 1983: Eidgenössische Gottfried Keller-Stiftung; Depositum der Eidgenössischen Gottfried Keller-Stiftung 1983

Lit.: Woodburn 1836, Nr. 35 – Lippmann/Winkler 1883–1929, Bd. 2 (1888), Nr. 176 – Wölfflin 1905, S. 212, Anm. 2 – Schönbrunner/Meder 1896–1908, Bd. 10 (1905), Nr. 1120 – Aukt.-Kat. Gutekunst 1910, Nr. 216 – Flechsig 1928/31, Bd. 2, S. 311 – Tietze/ Tietze-Conrat 1928–1938, Bd. 2.2 (1938), Nr. A 297 – Winkler 1936–1939, Bd. 3 (1938), Nr. 591 – Panofsky 1945, Bd. 2, Nr. 835 –Strauss 1974, Bd. 3, Nr. 1514/16 – Strauss 1976, Nr. 50 – Jahresberichte 1983–1984, S. 23 – Anzelewsky/Mielke 1984, bei Nr. 54 (Mielke) – Landolt 1985, S. 32–37 – Schoch/Mende/Scherbaum 2001, bei Nr. 74 (Mende) – Ausst.-Kat. Basel 2014, Abb. 7, S. 8, Nr. 6.

Wölfflin sieht in der Zeichnung einen frühen Entwurf für den 1514 datierten Kupferstich, der den Apostel Paulus in ganzer Figur stehend wiedergibt (Schoch/Mende/ Scherbaum 2001, Nr. 74). Er gehört zu einer unvollendet gebliebenen, zwischen 1514 und 1526 entstandenen Apostelserie.1 Mende bringt die in Basel befindliche Zeichnung mit jenen in Verbindung, die als Vorstudien zum Stich angesehen werden. Das Blatt, das den Apostel stehend wiedergibt, hält auch er für einen der am Anfang stehenden Entwürfe. Eine nur in Kopie erhaltene Zeichnung im Kupferstichkabinett Berlin von 1524 zeigt den Heiligen stehend, den Blick in ein Buch gerichtet, das er in seiner Rechten hält, während die Linke auf dem Schwert ruht. 2 Eine andere Zeichnung (Winkler 592), die sich ehemals in Wien befand und deren heutiger Verbleib unbekannt ist, gibt den stehenden Apostel im Verhältnis zum Stich spiegelverkehrt wieder. Dort liegt das Schwert wie im Stich am Boden. Zusammen mit der unvollendet

ALBRECHT DÜRER

gebliebenen Zeichnung in den Uffizien in Florenz (Winkler 611), auf der der Apostel in seitenverkehrter Anlage zum Stich das Buch in beiden Armen hält, gehört sie zu den Vorarbeiten, die der im Stich ausgeführten Lösung am nächsten kommen. Die annähernd gleichen Masse der Wiener und der Basler Zeichnung sowie ihre gemeinsame Provenienz sind für Winkler Argumente, sie in engen Zusammenhang zu bringen und beide 1514 zu datieren. Flechsig dagegen schlägt für unser Blatt um 1508 vor. Er sieht darin einen Entwurf für den Paulus auf der Aussenseite einer der Flügel des Heller-Altars in Frankfurt (Anzelewsky 1971, Nr. 109 W). Es bestehen jedoch deutliche Unterschiede zwischen beiden Figuren. Tietze/Tietze-Conrat schreiben das Basler Blatt einem Nachahmer Dürers zu. Ausschlaggebend für diese Einschätzung sind für sie der »derbe Zeichnungsstrich« und die »Leere der Gesamterscheinung«. 3 Panofsky hält das Blatt für eine Kopie nach einer Dürerzeichnung von 1514. Zweifel an der Urheberschaft Dürers klingen auch bei Strauss an, der es für möglich hält, dass ein Mitarbeiter in Dürers Werkstatt das Blatt gezeichnet haben könnte. Ähnlich äussert sich auch Mielke, der die Zeichnung im Zusammenhang mit dem im Kupferstichkabinett Berlin aufbewahrten Paulus in einer Halle diskutiert (Winkler 440). 4 Bei diesem könnte es sich um eine Vorstufe zu unserer Zeichnung handeln, die Winkler um 1507 datiert, während Mielke auch hier um 1515 erwägt. Er weist auf die Verwandtschaft im Typus, in der Position des Schwertes und in den Schraffuren vor der Brust mit dem Paulus in Basel hin. Landolt hat sich bei unserem Blatt für eine Zuschreibung an Dürer ausgesprochen ebenso wie Mende 2001. Landolt trennt unsere Zeichnung wie Flechsig und Tietze/Tietze-Conrat von den unmittelbaren Vorarbeiten zum Kupferstich von 1514. Er hebt die Verwandtschaft mit den Zeichnungen Ruhe auf der Flucht von 1511 in Berlin und Hl. Familie in der Laube in New York von 1512 hervor (Winkler 513, 521), in denen Dürer der Wirkung des Lichts eine grosse Bedeutung beimass. Es sind Zeichnungen, die durch »summarische[s] Arbeiten mit grosszügigen Parallelschraffuren« charakterisiert sind. 5 Landolt datiert das Basler Blatt um 1511. Er zieht jedoch die Möglichkeit in Betracht, dass der Künstler 1514 für den Stich darauf zurückgegriffen haben könnte. Die Zeichnung dürfte also zwischen 1511 und 1514 entstanden sein. In der Universitätsbibliothek Erlangen wird eine Kopie aufbewahrt.6

1 Mende, in: Schoch/Mende/Scherbaum 2001, S. 189f., Nr. 74, 75, 95, 96, 100.

2 Anzelewsky/Mielke 1984, Nr. 146.

3 Tietze/Tietze-Conrat 1928–1938, Bd. 2.2, S. 108.

4 Anzelewsky/Mielke 1984, Nr. 54.

5 Landolt 1985, S. 35.

6 Siehe Dickel 2014, Nr. 92.

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Albrecht Dürer (1471–1528)

Bildnis des Kardinals Matthäus

Lang von Wellenburg

Inv. 1959.106

Schwarze Kreide, Grund später schwarz ausgetuscht

25,3 × 27,4 cm

Wz.: Dreiangel (Beizeichen)

Bez. o. r. mit Pinsel in Weiss (von fremder Hand): »AD«; auf abgelöstem Untersatzpapier mit Feder in Graubraun: »Ritr.o Luttero - Alberto Durero«

Unten beschnitten; Einriss am rechten Rand; waagerechte Falte in Höhe des Kinns; stockfleckig; an der rechten Schulter grüner Farbfleck

Herkunft: Privatsammlung, Frankreich; ab 1951: Dr. Otto Wertheimer (1896–1973), Paris; mindestens 1956 bis 1959: CIBA-AG, Basel; CIBA-Jubiläumsschenkung 1959

Lit.: Musper 1952, S. 292 – Winkler 1955, S. 8f. – Winzinger 1956, Nr. V – Winkler 1957, S. 337, Abb. 170 – Schmidt 1959, S. 24, Abb. S. 25 – Ausst.-Kat. Basel 1959, Nr. 6 – Jahresberichte 1959–1960, S. 24, 36 – Panofsky 1963, S. 35–41, Anm. 1, 11 – Winkler 1965, S. 79 – Ausst.-Kat. Nürnberg 1971, Nr. 538 – Koschatzky/Strobl 1971, bei Nr. 116, Abb. S. 364 – Mende 1971, S. 166, Abb. S. 164 –Strauss 1974, Bd. 3, Nr. 1518/24 – Talbot 1976, S. 294 – Ausst.-Kat. Basel 1984b, Nr. 6 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.29 –Ausst.-Kat. Washington 1999, Nr. 70 – Ausst.-Kat. Basel 2009, Nr. 15 – Ausst.-Kat. Basel 2014, S. 8f., Nr. 7, Abb. 8 – Ausst.-Kat. Augsburg 2019, bei Nr. 83, Abb. 1 (Lange-Krach).

Matthäus Lang von Wellenburg (1468–1540), Spross einer Augsburger Patrizierfamilie, war nach seiner humanistischen Ausbildung in Ingolstadt, Tübingen und Wien als Sekretär und Berater in die Dienste Kaiser Maximilians I. getreten. 1511 wurde er von Papst Julius II. zum Kardinal ernannt. Ab 1514 war er Koadjutor des Erzbischofs von Salzburg und von 1519 bis zu seinem Tod bekleidete er selbst dieses Amt. Als Mitglied des Reichsregiments nahm er 1518 am Reichstag in Augsburg teil. Der Dargestellte lässt sich aufgrund von Bildnismedaillen und Salzburger Münzprägungen eindeutig identifizieren.1

ALBRECHT DÜRER

Der im Dreiviertelprofil in leichter Untersicht mit stolz aufgerichtetem Oberkörper Wiedergegebene lässt den Anspruch erahnen, den er mit seiner Laufbahn verband. Dazu gehört der in die Ferne gerichtete Blick, der Entschlossenheit, aber auch Unnahbarkeit vermittelt. Unsere erst 1951 bekannt gewordene Bildniszeichnung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der in der Albertina in Wien aufbewahrten Federzeichnung auf geöltem Papier, die das Porträt des Kardinals mit geringen Veränderungen wiederholt (Abb. 6.1). 2 Diese Zeichnung macht deutlich, dass unser Blatt, das nahezu ein quadratisches Format aufweist, in der Höhe um etwa ein Drittel beschnitten ist. Dürer bereitete damit wohl einen Holzschnitt vor, der offenbar nicht zur Ausführung gelangt ist. Die mit der Feder parallel ausgeführten Schraffuren der Wiener Zeichnung lassen die Vorbereitung des Holzschnitts schon deutlich werden. Auf unserer Zeichnung ist das Gesicht sehr differenziert mit feinen Parallelschraffuren und sich überkreuzenden Häkchen modelliert. Durch Verdichten der Schraffuren hat Dürer Zwischentöne erzeugt, welche die Weichheit der Haut und die Oberfläche des Stoffs an Birett und Mantel förmlich erspüren lassen. Der nachträglich hinzugefügte schwarze Grund der Zeichnung bewirkt eine bildhafte Geschlossenheit der Darstellung.

Dürer könnte Matthäus Lang von Wellenburg während des Reichstages 1518 in Augsburg porträtiert haben. 3 Lange-Krach, die eine Datierung um 1518 annimmt, vermutet, dass der Holzschnitt ein kaiserlicher Auftrag war, dessen Ausführung wegen des Todes Maximilians I. 1519 nicht zustande kam. Doch auch nach seiner niederländischen Reise hätte Dürer Gelegenheit gehabt, den Kardinal zu zeichnen. Als Erzbischof von Salzburg hielt sich Matthäus Lang von Wellenburg im Spätjahr 1521, als das Reichsregiment tagte, und noch einmal von Ende 1522 bis Anfang 1523 in Nürnberg auf. 1521 fertigte Dürer für ihn einen Thronentwurf an (Winkler 920). Winzinger setzt für unsere Zeichnung die Porträts voraus, die Dürer während seiner niederländischen Reise zeichnete und datiert sie um 1521. Winkler (1957) ordnet sie ebenfalls in die Zeit nach der niederländischen Reise ein. Bereits 1939 hatte er die Wiener Federzeichnung so datiert, ohne Kenntnis von unserer Kreidezeichnung zu haben. Eine Entstehung nach der niederländischen Reise nehmen auch Koschatzky/Strobl an. Strauss hält es aus stilistischen Gründen, die er nicht näher ausführt, für möglich, dass sie schon 1518 entstanden ist. Er vermutet, dass Dürer die Arbeit am Holz-

schnitt unterbrach, als er seine niederländische Reise antrat. Im Ausst.-Kat Basel/Berlin 1997/98 tritt der Autor ebenfalls für eine Datierung um 1518 ein. Im Ausst.-Kat. Basel 2009 schlägt er schliesslich eine Datierung nach der niederländischen Reise vor. Dafür spricht die stilistische Nähe zu Dürers Porträt des Ulrich Varnbüler von 1522 in der Albertina in Wien (Winkler 908). Mit diesem verwandt ist das graphische Erscheinungsbild der Zeichnung, durch das sie sich von den eher malerisch wirkenden früheren Kreidezeichnungen von 1518 unterscheidet, ein Aspekt, der sich in den Porträtzeichnungen der niederländischen Reise ankündigt.

1 Hierzu Flechsig 1928/31, Bd. 2, S. 374–375.

2 Zur Federzeichnung in der Albertina in Wien siehe Ephrussi 1882, S. 260–262; Thausing 1884, Bd. 2, S. 156; Tietze/Tietze-Conrat 1928–1938, Bd. 2.1, Nr. 709; Meder 1932, S. 43; Winkler 911; Panofsky 1945, Bd. 2, Nr. 1028.

3 Siehe Metzger, in: Ausst.-Kat. Wien 2019, S. 352.

7

Albrecht Dürer (1471–1528)

Affentanz, 1523

Verso: Brief an Felix Frey

Inv. 1662.168 (= U.IX.1)

Feder in Schwarz; verso: Feder in Schwarz 31,0 × 22,0 cm

Kein Wz.

Bez. o. M. mit Feder in Schwarz: »1523 / Noch andree zw / Nörnberg«; verso: »+ 1523 · am Sundag noch andree zw Nörnberg / Mein günstiger liber her Freÿ Mÿr ist das püchlein so jr hern Farnphulr vnd mir zwschickt / worden So ers gelesen hat so will jchs dornoch awch lesen / aber des affen dantz halben so jr begert ewch zw machen hab jch / den hÿmit vngeschickt awff gerissen Dan jch hab lang kein affen / gesehen Wolt also vergut haben Vnd wölt mir meine willige / dinst sagen heren Zwingle Hans Lowen Hans Vrichen vnd den / anderen meinen günstigen herren / E v / Albrecht Dürer / teillent dis füff stücklen vnd vch jch hab sunst nix news« Senkrechte und waagerechte Mittelfalte, geglättet; verso Federproben

Herkunft: Amerbach-Kabinett 1662

Lit.: von Murr 1776, S. 29 – Braun [1905], Taf. 3 – Ganz/Major 1907, S. 27 – Dürer Society 1908, Nr. XXVI – Ehlers 1917, S. 167 –Sidorow/Dobroklonsky 1927, S. 223 – Lippmann/Winkler 1883–1929, Bd. 7 (1929), Nr. 864 – Tietze/Tietze-Conrat 1928–1938, Bd. 2.2 (1938), Nr. 919 – Winkler 1936–1939, Bd. 4 (1939), Nr. 927 –Panofsky 1945, Bd. 2, Nr. 1334 – Janson 1952, S. 271f., Taf. XLVIIa –

ALBRECHT DÜRER

Winkler 1957, S. 344 – Bandmann 1960, S. 67f., Abb. 22 – Ausst.Kat. Basel 1962, Nr. 26 – Koepplin 1968, S. 98, Abb. S. 97 – Hütt 1970, Nr. 1074 – Ausst.-Kat. Nürnberg 1971, Nr. 586, Abb. S. 311 –Landolt 1972, Nr. 29 – Winther 1972, S. 96, Abb. 123 – Strauss 1974, Bd. 4, Nr. 1523/21 – Strieder 1976, Abb. S. 159 – McGrath 1977, S. 87f., Abb. 7 – Falk 1979, S. 18, 26f. – Sullivan 1981, S. 125 –Ausst.-Kat. Basel 1991b, Nr. 53 – Ausst.-Kat. Basel/Berlin 1997/98, Nr. 10.36 – Braun/Grebe 2007, S. 205, Abb. 10, 11 (verso) – Ausst.Kat. Basel 2014, S. 9, Nr. 8, Abb. 1, 19 (verso).

Zum Brief: von Murr 1781, S. 47f. – Roth 1791, S. 78f. – Heller 1827, Bd. 2.1, S. 34f. – Campe 1828, S. 52f. – von Eye 1860, S. 457 –Thausing 1872, S. 50 – Thausing 1884, Bd. 2, S. 264 – Conway 1889, S. 129 – von Eye 1892, S. 133 (Brief im Wortlaut) – Lange/ Fuhse 1893, S. 70 – Braun [1905], Taf. 4 – Heidrich 1908, S. 185f., mit Abb. – Rupprich 1956–1969, Bd. 1 (1956), S. 106–108, Nr. 51, Bd. 3 (1969), S. 436f. – Ausst.-Kat. Nürnberg 1971, Nr. 394, Abb. S. 204 – Ausst.-Kat. Basel 1974/76, Bd. 2, Nr. 660c.

Dürer zeichnete den Affentanz auf die Rückseite seines Briefes an Felix Frey, den Propst des Grossmünsterstiftes in Zürich.1 Der Brief ist auf den Sonntag nach dem AnAbb. 6.1 Albrecht Dürer, Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg, 1518 oder 1521, Feder in Braun, 38,4 × 27,2 cm, Albertina, Wien, Inv. 3149

dreastag 1523 datiert, was dem 6. Dezember entspricht. Über der Zeichnung finden sich nochmals die Jahreszahl und der Hinweis, dass sie in Nürnberg nach dem Andreastag entstanden ist. Aus dem Brief geht hervor, dass Dürer mit dieser Darstellung einem Wunsch von Frey nachkam. 2

Als Anregung können Künstler und Besteller literarische Überlieferungen von Affentänzen gedient haben. So ist das Motiv zum Beispiel in Fastnachtsspielen des 15. und 16. Jahrhunderts zu finden. 3 Rupprich und Janson weisen auf eine Affentanzlegende hin, die Dürer bekannt gewesen sein könnte. 4 In dieser geht es darum, dass tanzende Affen ihre Dressur ignorierten, als ein Zuschauer den Tieren Nüsse zuwarf, um die sich die Affen stritten und balgten. Für die bildliche Gestaltung hat Dürer jedoch auf die Tradition des Moriskentanzes zurückgegriffen, der ursprünglich in Spanien beheimatet war. Dabei tanzen junge Männer um eine Frau herum und versuchen, ihre Gunst mit akrobatischen und wilden Bewegungen zu gewinnen. Der Moriskentanz kann jedoch bei aller Wildheit durchaus bestimmten Regeln folgen. Zu den in der Forschungsliteratur am häufigsten genannten Bildbeispielen aus der Zeit vor und kurz nach 1500 gehören zwei Kupferstiche von Israhel van Meckenem von etwa 1470/80 mit einem Moriskentanz im Rund und eine Querfüllung mit Moriskentanz (Hollstein 512, 617) 5 sowie ein Holzschnitt des Monogrammisten HL (Hans Leinberger?) aus der Zeit um 1520 (Hollstein 27). 6 Als Teil eines heraldischen und kosmologischen Bildprogramms fungierten die Moriskentänzer, die Erasmus Grasser 1480 für das neu errichtete Tanzhaus in München schuf. 7 Nikolaus Türing d. Ä. fertigte zwischen 1494 und 1500 im Auftrag des späteren Kaisers Maximilian I. für das Goldene Dachl in Innsbruck Reliefs mit Moriskentänzern an. Diese werden von Tieren begleitet, unter denen sich auch ein Affe befindet.8 Doch auch andere Tanzdarstellungen kommen als Anregung für Dürer in Betracht. 9 So könnte der Rundtanz all’antica , den nackte Männer auf einem florentinischen Kupferstich von etwa 1480 um eine Frau aufführen, die Form des Tanzes und die Posen der Affen beeinflusst haben.10 Dürers Zeichnung mit sieben tanzenden Kindern (Winkler 83) verrät seine Auseinandersetzung mit einem oberitalienischen Vorbild, vielleicht mit Andrea Mantegna.11 Jedenfalls erinnern die Bewegungen und Körperhaltungen der Kinder an die der Affen auf unserer Zeichnung. Spielen bei den Münchner Moriskentänzern herrschaftliche und kosmologische Aspekte eine Rolle,12

ALBRECHT DÜRER

Mit seiner Zeichnung greift Dürer ein Thema auf, das ihn schon in seinem um 1500 entstandenen Kupferstich Die Hexe beschäftigt hatte (Schoch/Mende/Scherbaum 2001, Nr. 28).15 Dort sind die rückwärts auf einem Bock reitende Hexe und vier in einer Kreisform angeordnete Putten Hinweise auf die ›verkehrte Welt‹, die im 7 verso

schwingen letztere auch noch im Affentanz mit. Die zwölf Affen könnten die Monate und den Ablauf des Jahres repräsentieren. Conrad Celtis beschreibt in seinem Epigramm De chorea imaginum coelestium circa Deam matrem das Kreisen der Gestirne um die Erde als Moriskentanz.13 Dieser Vergleich dürfte auf die von Astronomen beobachtete scheinbar retrograde Bewegung von Planeten anspielen, die wie Tänzer schlaufenförmige bzw. ›verrückte‹ Bewegungen vollziehen. Die Vorstellung der ›verkehrten Welt‹ klingt hier an. Auch bei den im antiken Rom veranstalteten Saturnalien, die am 17. Dezember stattfanden, wurden die gesellschaftlichen Verhältnisse vorübergehend auf den Kopf gestellt. Bei diesen Festlichkeiten machte man sich offenbar auch Geschenke.14

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