David Brose Grow

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Projekt Übersicht Ecokot Antwerpen, Belgien Gartenfläche: 868 m2 Akteur / Gründer: Studentengruppe Gründungsjahr: 2013 Status: Zwischennutzung

Huerto de la Cora Jodar, Spanien Gartenfläche: Akteur / Gründer: Gründungsjahr: Status:

1640 m2 Salvador Mesa Jimenez, Ethnobotaniker 1996 Ehemals besetzt, heute legalisiert

LSA Centocelle

Rom, Italien Gartenfläche: 3390 m2 Akteur / Gründer: Bürgerinitiative Gründungsjahr: 1999 Status: Ehemals besetzt, heute gemietet

Hafengarten Offenbach, Deutschland Gartenfläche: 2344 m2 Akteur / Gründer: Mainviertel GmbH, OPG, Stadt Offenbach Gründungsjahr: 2013 Status: Zwischennutzung

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Huerto Jodar


Ecokot Antwerpen Hafengarten Offenbach

LSA Centocelle Rom de la Cora

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ECOKOT ANTWERPEN Das Ecokot ist ein in ständigem Wandel begriffenes Projekt. Es entstand aus einer Studenteninitiative heraus und ist ein gutes Beispiel für die Integration verschiedener Do-it-Yourself Ideen unter einem Dach. In Antwerpen leben Menschen aus 167 Nationen. Es ist die Stadt mit den zweit meisten Nationalitäten weltweit – noch vor New York und London. In der an sich schon sehr multikulturellen Stadt ist der Stadtteil Borgerhout ein besonderer Schmelztiegel. Genau hier wollte eine Gruppe von Studenten einen Begegnungsort schaffen, an dem Nachhaltigkeit und Solidarität im Alltag gelebt werden können.

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Auf der Suche nach einem geeigneten Ort stieß die Gruppe auf ein altes Fabrikgebäude. Das Gebäude war Eigentum der Stadt. Nach längeren Verhandlungen wurde eine Zwischennutzung vereinbart. Bald begannen Renovierungsarbeiten. Innerhalb weniger Monate wurde aus dem brachliegenden Fabrikgebäude ein neuer kultureller Anlaufpunkt für Borgerhout. Gleich zu Beginn wurden die Anwohner des Viertels mit einbezogen und gemeinsam mit ihnen entstand auf einer Brachfläche neben dem Gebäude ein Nachbarschaftsgarten. Damit war eine Verbindung zwischen den Studenten und den Anwohnern geschaffen. Im Garten wurde ein Spielplatz für die Kinder der Nachbarschaft gebaut und eine Sommer-Bar eingerichtet. Jetzt werden im Garten Feste gefeiert, man sitzt am Lagerfeuer zusammen und lernt sich

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Dieser Ort ist ein praktischer, hier wird einfach ausprobiert und gemacht.

ECOKOT

kennen. So entsteht Zusammengehörigkeitsgefühl und gleichzeitig eine Plattform für die bestehenden Nachbarschaftsinitiativen. Vieles im Ecokot ist improvisiert, die Möbel sind gespendet oder vom Sperrmüll. Im Garten wird auch gekocht. In der selbst gebauten Outdoor-Küche aus recycelten Materialien und gespendetem Bauholz wird das frisch geerntete Gemüse zubereitet und verspeist. Im Inneren des Gebäudes gibt es ein offenes Café mit großer Bibliothek aus der jeder sich Bücher mitnehmen darf und eigene abgeben kann. Im Café werden Vorträge gehalten, es gibt Konzerte und Filmabende zu verschiedenen Themen. Hier arbeitet auch ein Künstler aus der Nachbarschaft, der die Gruppe schon früh unterstützte und dort endlich sein Atelier gefunden hat, in das nun jeden Tag neue Besucher kommen und seine Arbeiten sehen. Mit den Büchern des offenen Bücherschranks steht ihm außerdem viel Material zur Verfügung, um seine großformatigen Collagen herzustellen.

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Nebenan in der großen Halle befindet sich die Werkstatt des Projekts. Dort wird ständig gebaut und repariert: In Regalen türmen sich Berge von Materialien – alle gespendet, gesammelt, gefunden und warten darauf, von Kreativen in etwas Neues verwandelt zu werden. In der Fahrradwerkstatt ist regelmäßig ein offener Reparaturworkshop zu dem jeder kommen kann, um zusammen mit anderen Interessierten von einem Ehrenamtlichen zu lernen das eigene Rad zu reparieren. Hier gilt: wer will kann spenden, wer kein Geld hat darf trotzdem kommen.

Es geht darum, eine soziale Alternative zur geldfixierten Gesellschaft zu leben.

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We gge ef w i n kel Zur Straße hin gelegen gibt es den großen Umsonstladen. Dort werden all die Dinge angeboten, die von den Nachbarn und Freunden des Ecokot nicht mehr gebraucht werden. Auch hier muss man nicht bezahlen, kann aber nach eigenem Ermessen spenden, was wiederum dem Projekt zugutekommt. Da fast jeder eine Menge Dinge besitzt, die noch intakt sind aber zuhause nur herumstehen, ist der Laden voll bis in den hintersten Winkel. Was sonst auf dem Müll gelandet wäre findet hier neue Besitzer oder wird nebenan in der Werkstatt zu etwas neuem umgebaut. Der Laden entwickelte sich schnell zum Besuchermagnet: Marokkanische Familien aus dem Viertel sind ebenso Kunden wie die flämischen Nachbarn aus den umliegenden Straßen. Im Laden lernt man sich kennen und erfährt etwas über das Ecokot Projekt und die neuen Ideen im Viertel.

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Vol k s keu ken Einmal im Monat treffen sich alle zu einem kostenlosen und gemeinsam zubereiteten Essen in der Volkskeuken. Die Küche arbeitet mit verschiedenen Lebensmittelhändlern in Antwerpen zusammen, die Obst und Gemüse abgeben, welche sie nicht mehr verkaufen können. Ein lokaler Biobäcker spendet Waren vom Vortag. All diese Nahrungsmittel würden normalerweise entsorgt, doch in der Volksküche ernähren sie regelmäßig um die zwanzig Menschen. Die Kooperationen funktionieren gut und wer Überschüsse spendet schadet seinem Geschäft nicht, denn die Ecokot Freunde gehen im Gegenzug bevorzugt bei den Spendern einkaufen. Der Anspruch von Ecokot ist es zu zeigen, dass eine nachhaltige Lebensweise für jeden möglich ist: Studenten, Künstler und alle anderen. Sie beweisen, dass man nicht reich sein muss, um sich einen nachhaltigen Lebensstil leisten zu können. Das Projekt zeigt, dass eine aktive Gruppe sehr viel Energie und Tatendrang an einem Ort erzeugen kann an dem es vorher nichts als eine leere Fabrikhalle gab.

Der Anspruch von Ecokot ist es zu zeigen, dass eine nachhaltige Lebensweise für jeden möglich ist.

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ECOKOT

VOLKSKÜCHEN findet man meistens in Kollektiven bzw. selbstverwalteten Einrichtungen. Volksküche oder Küche für alle ist ein regelmäßig stattfindendes Gruppenkochen, bei dem das Essen zum Selbstkostenpreis oder weniger ausgegeben wird. Im Allgemeinen ist das Essen vegetarisch oder vegan. Die Volksküche hat ihren Ursprung in der Hausbesetzer-Szene der frühen 1980er.

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HUERTO DE LA CORA JÓDAR Kommt man mit dem Flugzeug über Almeria, erschließt sich beim Blick aus dem Fenster das Ausmaß der südspanischen Gemüseproduktion: Soweit das Auge reicht ist die Landschaft von einem Plastikfolien-Meer bedeckt unter dem das Gemüse für Europas Supermärkte reift. Hier werden Obst und Gemüse in der größten Ansammlung von Treibhausanlagen der Welt angebaut: Rund ums Jahr auch im Winter. 450 Quadratkilometer Plastikfolie bedecken den Boden der Provinz Almería, von den Ausläufern der Sierra Nevada bis zur Costa del Sol. Verlässt man dieses gigantische Gewächshaus in Richtung Norden, durchfährt man mehrere Stunden Olivenplantagen. Die gesamte Landschaft besteht aus nichts als Oliven in akkurat gepflanzten, nicht enden wollenden Reihen.

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In dieser Landschaft liegt die Kleinstadt Jódar mit 12,000 Einwohnern. Hier befindet sich das Gartenprojekt Huerto de la Cora, das der aus Jódar stammende Ethnobotaniker Salvador Mesa Jimenez vor über zehn Jahren zusammen mit seinem Freund Andres Vargas anlegte. Salvador war im Rahmen seiner Forschung in Spanien und Mexiko auf der Suche nach alten, an ihren Standort angepassten Pflanzen, die im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft und des Saatgutmarktes selten geworden waren und zu verschwinden drohten. Er registrierte auf seinen Forschungsreisen in Südamerika das Agieren großer Agrarkonzerne mit dramatischen sozialen Folgen für die Bauern, die immer stärker in Abhängigkeit der Konzerne gerieten.

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HUERTO DE LA CORA

DER SAATGUTMARKT ist ein umkämpftes Feld und heute weitgehend in der Hand einiger weniger Großkonzerne. Mehr als zwei Drittel des Saatguts werden weltweit von Agrarriesen wie Monsanto und Syngenta kontrolliert, lizensiert und manipuliert. Die Lizenzgebühren auf Saatgut und Ernteprodukte sowie Knebelverträge mit den Landwirten treiben die Bauern in ärmeren Gegenden oft in bittere Armut.

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D er Ga r t en Salvador machte es sich zum Ziel, so viele Sorten essbarer Pflanzen wie möglich zu retten. Er begann systematisch Samen zu sammeln. Will man Saatgut am Leben halten, muss man viele Arten immer wieder aussäen, um die Fruchtbarkeit der Samen zu erhalten. Dieses „am Leben halten“ erfordert natürlich einen geeigneten Garten und so kam es, dass Salvador sich mit Freunden in seiner Heimatstadt Jódar nach einem Grundstück umsah.

Lagern

Säen

Wachsen

Sammeln

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Sie hatten wenig Geld zur Verfügung doch sie waren entschlossen den Garten direkt in der Stadt anzulegen. Ein schon lange ungenutztes, verlassenes Haus mit angrenzendem Grundstück wurde ausfindig gemacht und kurzerhand besetzt. Zuerst war die Strategie der Freunde nicht weiter aufzufallen und mit der Arbeit am Garten zu beginnen. Über zwei Jahre arbeiteten sie dann am Aufbau eines Gartens nach dem Vorbild des in Andalusien traditionellen maurischen Gartens. Die Gruppe renovierte auch das Haus neben dem Huerto und richtete dort eine zentrale Seedbank ein. Die Pflege des Gartens und die Renovierung des Hauses waren ein gutes Betätigungsfeld für die Jugendlichen in Jódar, denn in der Stadt gibt es sehr viele Arbeitslose, so wie in ganz Andalusien, das europaweit die höchste Arbeitslosenquote aufweist. In dieser Gegend gibt es nur während der Olivenernte zwischen Oktober und Dezember für zwei, drei Monate genügend Arbeit. Nach der Wirtschaftskrise lag die Jugendarbeitslosigkeit dort bei über 60 Prozent.


HUERTO DE LA CORA

DER MAURISCHE GARTEN ist in Terrassen aufgebaut und hat mehrere Wasserstellen und Zisternen. Die Pflanzen werden je nach Wasserbearf in höhere trockene oder niedere feuchte Lagen gepflanzt. Das ermöglicht einen optimalen Standort für jede Pflanze. Das ist im trockenen, heißen Klima Andalusiens wichtig.

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Nach einiger Zeit war der Garten in der Region bekannt und da er in der Bevölkerung große Akzeptanz erfuhr wurde er schließlich nach langen Bemühungen legalisiert. Das Grundstück ist jedoch weiterhin Eigentum der Stadt. Das Projekt schaffte für die Bewohner der Umgebung nicht nur eine sinnvolle Aufgabe, sondern auch einen neuen Treffpunkt.

Die Samensammlung in Jódar wuchs mit den Jahren stetig an, die Pflanzen wurden immer vielfältiger.

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HUERTO DE LA CORA

D ie S e e d b a n k Sie beherbergt den ganzen Reichtum des Projekts: das Saatgut unzähliger seltener Pflanzen. In dem Haus stehen ganz unspektakulär zwei große Kühlschränke randvoll mit Samen, die auf konstanter Temperatur gehalten werden. Im Garten eines alten andalusischen Bauern entdeckte Salvador beispielsweise eine Bohnenart mit Schoten von einem Meter Länge, die laut Salvador vielleicht die letzte Pflanze dieser alten Sorte in Andalusien war. Während im Umland Jódars Monokultur die Landschaft prägt, wird im Huerto Vielfalt und Fülle gefördert und erhalten.

Ernten

Sammeln

Verschicken

Lagern

Das Ziel der Gärtner ist ein langfristiger Plan für die nachhaltige Bewirtschaftung der Region und die Verwirklichung der Ernährungssouveränität. Der Garten arbeitet in einem Netzwerk mit anderen Seedbanks: Nach dem Open-Source Prinzip praktiziert man hier den freien Austausch von Wissen und Saatgut. Tauschen und Verbreiten sind wichtig für die Seedbank, denn sie ermöglichten ein Zweitvorkommen der teilweise sehr seltenen Samen in verschiedenen anderen Gärten. Möchte man Samen des Huerto im eigenen Garten anbauen, stimmt man daher zu einen Teil der geernteten Samen zurück zu schicken. So steht immer frisches Saatgut zur Verfügung steht.

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Viel fa lt Unsere Pflanzen und das Saatgut sind das Kulturerbe der Menschheit, das Jahrtausende lang von vielen Generationen gezüchtet und verbessert wurde. Doch heute steht es in Gefahr, durch Patente von wenigen Konzernen vereinnahmt zu werden. Die Agro-Gentechnik führt langfristig dazu, dass Saatgut kein Allgemeingut mehr ist das jeder beliebig aussäen und vermehren kann. Aufgrund der Patente auf genmanipulierte Pflanzen, dürfen Bauern sie nur noch als Lizenznehmer der Konzerne nutzen. Folge ist Abhängigkeit von den Konzernen, die sich schon heute in vielen Entwicklungsländern bemerkbar macht. Viele Kleinbauern wurden in den Ruin getrieben weil sie die Preise für patentiertes Saatgut und die darauf abgestimmten Spritzmittel nicht mehr bezahlen konnten.

Beginn des Ackerbaus

1795

Gestern

Ein generelles Problem der industrialisierten Saatgutproduktion ist die immer kleiner werdende Sortenvielfalt. In unseren Supermärkten finden wir nur noch einen Bruchteil der Gemüse und Obstsorten die unsere Vorfahren anbauten. Die Selektion des Saatguts auf wenige Hochleistungssorten verstärkt den Verlust der Vielfalt unserer Kulturpflanzen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind laut Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) etwa 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt verloren gegangen.

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Heute Die Agro-Gentechnik führt langfristig dazu, dass Saatgut kein Allgemeingut mehr ist das jeder beliebig aussäen und vermehren kann.


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HUERTO DE LA CORA

Wi s s en weit erge b en Die Umweltbildung spielt im Projekt eine besondere Rolle, denn man ist sich durchaus bewusst, dass nur wenn genügend Menschen aktiviert werden, sich langfristig etwas für die Region ändern wird. Es gibt Zusammenarbeit mit Forschungsprojekten der Universitäten von Sevilla und dem nahe gelegenen Jaén. Auch Schulklassen kommen zu Umweltkursen. Der Garten steht Besuchern offen und ist im engen Austausch mit andern Seedbanks in Europa und Amerika.

Der Huerto trägt mit seiner Seedbank zur Erhaltung der Biodiversität weit über die Grenzen der Region bei. Nach einigen Jahren erfolgreicher Arbeit wurde dem Projekt von der Stadt ein weiteres Grundstück überlassen. Auf dem Gelände einer ehemaligen Grundschule begann man mit dem Bau eines zweiten Gartens. Für diese Arbeit wurde ein Workcamp organisiert, wodurch auch ich das Projekt kennen lernen konnte. Neben der schweißtreibenden Arbeit beim Aufbau des neuen Gartens lernten wir dort die Saatgutproblematik kennen. Das kleine von ein paar Freunden gegründete Gartenprojekt entwickelte sich über die Jahre zu einem wichtigen sozialen und kulturellen Ort in der Region.

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LABORATORIO

SOCIALE AUTOGESTITO CENTOCELLE, ROMA Das Laboratorio Sociale Autogestito ist ein sozio-kulturelles Zentrum im Stadtteil Centocelle in Rom. Es ist Teil eines Netzwerks von Anwohnern, Schulen und anderen Gruppen, die sich seit Jahren für Partizipation, Multikulturalismus, Ökologie und die Verteidigung der Gemeingüter einsetzen. Das Haus in der Viale della Primavera ist ein Ort an dem alternative Kultur gelebt wird. Als feste Einrichtung gibt es ein Restaurant mit veganer und biologischer Küche sowie einen großen Veranstaltungsraum für Kino, Lesungen und Konzerte. Ein Urban Gardening Projekt lädt die Anwohner zum Mitmachen ein.

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Im Haus werden Kurse für Kinder und Erwachsene angeboten. Man trifft sich dort zur Tangotanzgruppe oder dem regelmäßigen Theaterworkshop, Kursen in Fotografie, Fremdsprachen oder Tai-Chi und kann dort auch handwerklich tätig werden. Eine Studentengruppe betreibt die „kritische Bar“. Regelmäßig wird im Garten der Markt für Produkte aus der Umgebung organisiert. Das Haus beherbergt außerdem eine offene Fahrradwerkstatt und steht auch anderen Organisationen und Gruppen aus dem Viertel offen.

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LSA CENTOCELLE

G e s ch icht e Centocelle ist ein Vorort im Osten Roms, etwa 10 Kilometer vom historischen und touristischen Zentrum entfernt. Die Gegend ist auf den ersten Blick alles andere als romantisch. Großwohnblöcke aus den siebziger Jahren grenzen an dicht bebaute Viertel, die Straßen sind voll und laut. Dazwischen Niemandsland, riesige Brachflächen. Vor nicht allzu langer Zeit war die Gegend noch landwirtschaftlich geprägt und dort wo heute ein großes modernes Einkaufszentrum steht, wurde der Acker gepflügt. Noch in den 1940er Jahren war der Stadtteil Centocell sehr ländlich und wenig besiedelt. Abgesehen von einem kleinen Zentrum mit niederen Häusern gab es nur unbefestigte Straßen, an denen Hütten standen. Nach dem Krieg setzte dann eine Zeit des wilden Bauens ein, welches die Gegend drastisch veränderte. In den 60er und 70er Jahren breitete sich Rom vom Zentrum her immer weiter ins Umland aus. Viele historische Gebäude wurden abgerissen, um neuen Großwohnanlagen zu weichen. Es war ein Glück, dass das Gasale wie das alte Steinhaus auch genannt wird, die Bentonbauwellen unbeschadet überstand. Das Haus hat eine lange und wechselvolle Geschichte, die bis ins 10. Jahrhundert zurück geht.

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Doch Ende der 90er Jahre sollte das Haus, das in kommunalem Besitz war, abgerissen und das Bauland an einen privaten Investor verkauft werden. Die Anwohner wehrten sich aber, indem sie das Haus besetzten und die Zerstörung verhinderten. In jahrelanger Arbeit wurde das Gasale renoviert und wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So war das Laboratorio Sociale von Anfang an nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein politisches Projekt. Als Reaktion auf konkrete Probleme in der Nachbarschaft und verfehlte Stadtpolitik wurden dort Alternativen entwickelt, die nach praktischen Lösungen zur Veränderung des Stadtteils suchen. Heute sitzen die Gäste und Anwohner nach dem Markt oft noch lange im Garten und diskutieren beim Wein über die aktuelle Lage und neue Ideen.

D er Ga r t en Eine der Gründerinnen des Laboratorios hatte die Idee, das große Gartengrundstück um das Haus für die Nachbarn im Viertel zu öffnen und dort einen Garten für alle einzurichten. Es wurde kurzerhand ein Workcamp organisiert und mit Hilfe internationaler Freiwilliger, die für zwei Wochen nach Centocelle kamen, ein Lehrgarten geschaffen. So bauten Freiwillige aus ganz Europa zusammen mit den Römern den Horta Maestra. Mit dem Garten geht es den Initiatoren darum, mehr Grün in das Viertel – und die jungen Menschen vor Ort wieder mit der Natur in Verbindung zu bringen. Die urbane Landschaft wird durch den Garten bereichert. Auch das Mikroklima an der stark befahrenen Straße wird verbessert.

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LSA CENTOCELLE

Vor allem aber soll der Garten ein weiterer öffentlicher Raum sein: Ein Ort zum Lernen für pädagogische, ökologische und sozio-kulturelle Zwecke. Heute besteht der Garten aus einem synergetischen und einem biodynamischen Gemüsegarten und wird von einer kleinen Gruppe betreut.

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Was die offiziellen Stellen nicht geschaffen haben, wird hier von den Anwohnern selbst ins Leben gerufen: Ein Treffpunkt, Marktplatz und Ort des รถffentlichen Lebens.

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HAFENGARTEN OFFENBACH AM MAIN Die Lage des Hafengartens ist besonders: Zwischen einem ehemaligen Yachthafen und der Offenbacher Innenstadt liegt er mitten in einem großen Baugebiet, wo gerade ein neues Quartier entsteht. Die Gegend ist im Umbruch. Im Hintergrund hört man lauten Baulärm, am Himmel die Flugzeuge im Landeanflug auf den Frankfurter Flughafen. Auf dem Main fahren Kohlekähne ihre Fracht nach Belgien und Holland. Mittendrin, zwischen Großbaustelle, Boxclub, teuren Neubauten und Überresten der Hafenindustrie, befindet sich der Gemeinschaftsgarten. An ihm sind über 150 Menschen beteiligt, im multikulturellen Offenbach könnte man ihn auch als „interkulturellen Garten“ bezeichnen.

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Im Mai 2013 war die große Brachfläche im Hafen zum Garten erklärt worden. Schon nach wenigen Monaten nutzten über hundert Offenbacher die Möglichkeit in der Stadt zu gärtnern. Die Gruppe ist bunt gemischt, es gibt dutzende verschiedener Nationalitäten. Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen, Berufen und Ideen sind dabei. Die Stimmung ist sehr offen und man kommt schnell in Kontakt. Es erinnert fast ein bisschen an ein kleines Dorf.

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HAFENGARTEN

Auf dem Gelände kann nicht direkt in der Erde gepflanzt werden, da der Boden noch von den Hinterlassenschaften einer Ölraffinerie kontaminiert ist. Darum ist die gesamte Fläche mit Kies bedeckt und die Gärtner pflanzen in Hochbeeten und Töpfen. Bei der Wahl der Pflanzbehälter sind die Gärtner äußerst fantasievoll: man findet bepflanzte Computermonitore, Damenschuhe, mit Erde gefüllte Hosen, aus denen Kapuzinerkresse rankt. In einem Kinderbett wachsen Erdbeeren. In Kloschüsseln und Vogelkäfigen grünt es. Tiere gibt es auch im Hafengarten. Füchse, die nach den Kaninchen graben, welche überall am Main zu finden sind. Im Sommer sitzen Distelfinken in den Sonnenblumen. Rotschwänzchen fliegen über den Platz und sogar Stare rasten auf dem großen Hafenkran. Viele der Gärtner haben kleine Insektenhotels gebaut.

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HAFENGARTEN

Ich wer de Gä r t ner Eines Tages im März mache ich mich auf, um auch Hafengärtner zu werden. Um mitzumachen, muss man nur an einem der offenen Tage zum alten Bahnwaggon am Garten kommen und sich anmelden. Wenn noch etwas frei ist, kann es gleich losgehen. Die Platzvergabe gestaltet sich einfach: Mit einer Spraydose wird meine Fläche auf den frisch geschotterten Boden markiert. Schon bin ich Hafengärtner mit einem Grundstück. Erst vor Kurzem zog der gesamte Garten um, vom nur einige Meter entfernten großen Gelände, das jetzt bebaut wird, auf ein schmaleres Stück, direkt am Radweg. Für mich ein Glück, denn das alte Gelände bietet eine wahre Fundgrube. Überall liegen noch Töpfe, Tische, Bänke und ganze Hochbeete, mit denen ich mein neues Gartenstück bebauen kann. Zwischen den Überresten des alten Gartens finde ich auch viele vergessene Pflanzen. Selbst eine alte Badewanne transportiere ich zum Garten und mit Erde befüllt, wird sie zu einem ausgezeichneten Beet.

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Nach b a r s cha f t Im Laufe der Zeit lerne ich meine Gartennachbarn kennen. Da ist der Bengale Shajahan Bhuyan, der schon von Anfang an im Garten aktiv ist und meist mit Frau und Kindern kommt. Auch bei Regen und Kälte ist die Familie fast jeden Tag im Garten. Sie bauen an einem besonders großen Beet für Kürbisse, welchen eine weit verzweigte Konstruktion aus Lattenrosten als Rankhilfe dienen soll. Gleich gibt mir Bhuyan einen entscheidenden Tipp:

„Stell deine Pflanzen hoch, hier wimmelt es von Hasen, die in einer Nacht alles abfressen, wenn du nicht aufpasst. Außerdem mögen die Ratten das Gemüse.“ Beim Blick in die Nachbargärten wird klar, dass hier schon leidvolle Erfahrungen gesammelt wurden: Fast alle haben Ihre Beete aufgebockt und mit Hasendraht gesichert. Je wärmer es wird, desto mehr Leute sieht man im Garten. Alleine, mit Freunden, ganze Familienclans verbringen ihren Sonntag hier.

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HAFENGARTEN

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Wo vor wenigen Monaten noch eine Brachfläche war, an der sich keiner aufhalten wollte, ist heute ein Sozialer Treffpunkt gewachsen.

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In Bhuyans selbst gebauter Hütte aus Latten und alten Werbeschildern wird zum Kuchen eingeladen und man ißt auf dem Boden sitzend, bengalisch gewürzten Puffreis. Im Hintergrund hört man die Stimmen der anderen Gärtner in den verschiedensten Sprachen und für einen Moment lang fühlt man sich in andere Länder versetzt. Das Schöne am Hafengarten ist, dass alles in der Öffentlichkeit stattfindet und es fast automatisch zum Austausch mit den Bewohnern der Stadt kommt. Direkt am Hafengarten entlang führt der Radweg in Richtung Frankfurt, der bei gutem Wetter stark befahren ist. Im Vorbeifahren bekommen die Radler beider Städte Einblicke in urbanes Gärtnern und werden neugierig gemacht auf das Projekt und die Menschen dort. Grü n i m Grau Welch ein Luxus es ist, mitten in der Stadt einen Garten zu haben, erschließt sich mir mit der Zeit: Man kann sich jederzeit mit einem Buch in den Garten setzten, dort arbeiten oder nur kurz vorbeischauen und gießen. Wer kein Grün ums Haus hat, dem kann der Garten eine kleine Oase sein. Dabei muss man sich nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen, sondern kann inmitten des öffentlichen Raumes einen Ruheplatz finden. Mit der Zeit wächst einem das Grundstück ans Herz und je mehr Zeit ich dort verbringe, desto mehr wird es zu meinem oder besser: zu unserem Ort. Es ist ein Ort um sich auszutauschen und gemeinsam zu schaffen. Natürlich ist das Zusammentreffen und Arbeiten so verschiedener Menschen und Kulturen nicht immer einfach. Will man miteinander auskommen, muss man eine gewisse Toleranz den anderen gegenüber entwickeln und bestenfalls das Ganze nicht all zu ernst nehmen. 43


Interview Isa Scheid Hafengarten Offenbach Was macht für dich den Hafengarten aus? Die Möglichkeit, einen Freiraum mit zu gestalten und dass man hier sehr viel selbst machen kann. Es gibt kein festes Konzept wie bei anderen Gartenprojekten, alles ist relativ selbstbestimmt. Der eine Gärtner macht alles bio von der Erde bis zum Saatgut, der andere eben nicht. Es gibt relativ wenige Regeln. Wir haben erst seit diesem Jahr eine Vereinbarung mit ein paar Grundsätze eingeführt, die wir uns hier wünschen. Dabei gehts vorallem um das zusammen Gärtnern und Leben.

Warum hast du dich eingebracht? Du bist ja eine der Aktivsten hier. Zuerst wollte ich vor allem mitgärtnern. Weil ich keinen Balkon habe der groß genug ist, um etwas anzubauen. Aber schon im ersten Monat hat sich das dann auch in einen Job verwandelt. Die damalige Leiterin war zeitlich ein bisschen überfordert und ich hab gesehen,

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dass das Projekt ein Riesenpotential hat und man sich kreativ voll austoben kann. Dann habe ich eine Teilzeitstelle im Garten bekommen. Das war eine super Verbindung von draußen sein, in der Natur arbeiten, Bildungs- und Naturvermittlung. Aus welchen Nationen kommen die Gärtner? Circa die Hälfte der Menschen stammen aus anderen Ländern. Interessanterweise hat sich speziell die bengalische Gemeinde hier eingebracht, die besonders gerne ihre Flaschenkürbisse und asiatische Gemüsesorten anbaut. Wie kamt ihr zu dem blauen Bahnwaggon? Der stand schon ewig auf dem Gelände und ich dachte mir: Genial – das muss man nutzen, eine super Möglichkeit! Es war November und wir hatten noch Budget übrig. Zufällig hat es sich ergeben, dass ein Bekannter, der sehr coole Innenausbauten macht, Zeit und


INTERVIEW HAFENGARTEN

» Es geht darum, Menschen auf andere Gedanken zu bringen, was man mit der Stadtnatur und ungenutzten Freiflächen machen kann. «

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Lust hatte den Ausbau zu übernehmen. Dann wurde einfach losgelegt: Dämmung eingebaut, Wandverkleidung, dann kam die Küche rein und ein Holzofen… alles wurde in kürzester Zeit organisiert. Ende Februar war alles fertig renoviert. Dann kamen die Jam & Artsessions im Waggon, weil wir auch einfach viel Spass am Zeichnen haben und auch ein paar Musiker unter uns oder im Freundeskreis waren. Ich erinnere mich – im Sommer konnte man mitten in der Stadt am Lagerfeuer sitzen und jedes mal kamen andere Leute dazu. Ja, wirklich schön, dass der Garten nach außen so offen ist und die Leute einfach kucken können, was wir hier machen und vielleicht auf neue Gedanken kommen, was man mit der Stadt so anstellen kann.

Es ist im Hafengarten auch die besondere Situation, dass die Stadt und eine Firma den Garten finanzieren. Geht das gut? Es ist vorallem deshalb toll, da die Gärtner hier keine Kosten tragen müssen. Der Platz ist mietfrei, zum Teil wird die Erde gestellt, das Wasser, der Strom – alles umsonst. Das ist cool, da wir durch die Stadt ein Projektbudget haben. Andererseits hat sich die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Instanzen als sehr zäh und kräftezehrend herausgestellt. Man muß immer auf die anderen warten, kann nicht planen, muss allem hinterher rennen. Die Entwicklung des Hafenviertels und das heikle Thema Gentrifizierung waren natürlich auch immer wieder Gespräch im Garten. Ich fand es sehr spannend, dass so ein Garten, der ein unpolitisches Projekt ist, automatisch solche Fragen aufwirft. Wie siehst du die Position des Hafengartens, der ja von der Mainviertel GmbH mit finanziert wird im Zusammenhang mit dem Gentrifizierungs Thema? Das soziale Klima und der Garten an sich stehen im starken Kontrast zu dem, was außen herum gerade passiert. Man könnte sagen, dass urbane Gartenprojekte für Themen wie soziale und auch

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INTERVIEW HAFENGARTEN

biologische Vielfalt, Mitgestaltung der Stadt durch Bürger und deren Integration, Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit von der Lebensmittelindustrie, sprich urbane Selbstversorgung stehen. Jedoch hat der Hafengarten wenig mit seinen direkten Nachbarn im neuen Hafenviertel zu tun. Es wirkt so, als ob der Garten ein grünes Schmuckstück des Viertels sei. Der Grundgedanke ist eigentlich nicht, für die wohlhabende Klientel, die in solche Wohnungen einzieht, ein nettes Stadtviertel zu machen, sondern etwas Neues zu schaffen und Freiräume zu nutzen. Für alle Bewohner Offenbachs, nicht nur für die. In anderen Stadtgarten Projekten kommen die Gärtner eher aus der alternativen Ecke, hier ist es sehr gemischt oder?

Ja, das ist auch ein positiver Aspekt, dass nicht nur eine bestimmte Gesellschaftsgruppe kommt, sondern dass es eine echt interessante Mischung ist. Ich hab hier so viele Leute kennengelernt, mit denen ich wahrscheinlich niemals etwas zu tun gehabt hätte ohne den Garten. Was hat dir im Garten bisher am besten gefallen? Ich fand es toll wie viel die Leute hier gebaut haben. Dass es mit dem Waggon geklappt hat, dass auf einmal alles genehmigt war und es so schnell ging. Das fand ich schon cool. Auch dass wir nach dem Umzug ein Haus mit Lagerhalle bekommen haben.

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Was sind eure Pläne? Das Büro wird dort einziehen und in der Lagerhalle wird eine Werkstatt entstehen. Das wird sicher auch wieder neue Leute in den Garten bringen, wenn es die Möglichkeit gibt, in einer offenen Werksatt zu arbeiten. Ich hatte auch überlegt, ob jemand aus dem Bekanntenkreis Lust hat hier eine Werkstatt einzurichten und den Leuten dann unter die Arme zu greifen und zu helfen. Ihr seid von 10.600 qm auf eine viel kleinere Fläche umgezogen. Was ist jetzt anders? Alles ist kompakter und übersichtlicher. Es zeigt sich auch, wer welche Ambitionen hat. Es zeigen sich auch schneller Reibungspunke. Auf dem großen Gelände konnten wir

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nicht zu jedem einzelnen gehen und sagen: Wir wollen nicht, dass ihr Zäune baut und euch einbaut, denn wir wollen, dass es offen bleibt und man an der Gemeinschaft teilnimmt. Jetzt ist das anders: Einer, der voher eine Hütte nur für sich hatte, baut hier eine für die Allgemeinheit. Man muss mit den Leuten darüber reden, das Ganze mehr zu öffnen, wenn es zu geschlossen und privat wird. Wir müssen dafür sorgen, das Einzelne nicht zu viel Platz einnehmen. Aber das braucht alles Zeit.. Ihr habt auch verschiedene Workshops gemacht, was war da los? Es gab Upcycling und Re-cycling Workshops, wir haben aus Paletten Möbel und vertikale Beete für den Gemeinschaftsplatz gebaut. Wir hatten Töpferund Siebdruckkurse. Mehrmals war ein unabhängiges Werkstattkollektiv aus Frankfurt da, das sich mit der Bespie-


INTERVIEW HAFENGARTEN

lung von Freiräumen und Umnutzungen beschäftigt. Über die Workshops kam immer neuer Input. Zu den Workshops kamen auch viele Freunde oder Leute die aus der Presse oder Facebook davon gehört hatten. Es gab Spiel- und Bastelaktionen für Kinder. Zwei mal wurde auch eine Fahrradwerksatt aufgebaut. Der Hafengarten ist kein klassisches alternitives Projekt, das macht ihn auch interessant für Menschen, die sich mit Urban Gardening Ideen nie beschäftigt hätten. Ich würde mir ja wünschen, dass es noch ein bisschen mehr in eine alternative Richtung geht, da ist immernoch so viel Potential, man könnte noch viel abgefahrenere Sachen bauen…

Hat der Garten etwas verändert in der Stadt? Ja insofern, als man für den nächsten Park, der gebaut wurde die Idee hatte, einen Stadtgarten einzubeziehen. Es gibt das von Bürgern initiierte Projekt „Essbare Stadt“, dabei sollen öffenliche Flächen umgestaltet werden um dort Gemüse anzubauen. Auch eine Transition Town Gruppe gründet sich in Offenbach. Der Garten ist super um sich mit Menschen aus der gesamten Stadt zu verbinden und neue Projekte kennen zu lernen. Von Vielem erfährt man ja nur, wenn man sich mit den Menschen unterhält und das ist natürlich viel persönlicher und direkter, als wenn man irgendwas googelt.

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Interview Salvador Mesa Jimenez Huerto de la Cora Jódar Was war die Geschichte des Huerto, wie hat alles angefangen? Oh, das ist eine lange Geschichte. Der Beginn liegt mehr als zwanzig Jahre zurück, da gab es aber schon eine längere Vorgeschichte. Wir können sagen das Projekt wurde um 1996 geboren. Ich begann um 1990 mit meinen Forschungen und damit, Saatgut, Pflanzen, Tiere und altes Wissen zu sammeln. Mein Freund Vargas dagegen machte Handwerkliches. Ich wollte nie, dass meine Arbeit nur für Universitäten und botanische Gärten etc. von Nutzen ist, wenn sie nicht auch an die Menschen weitergegeben wird. Ich traf Vargas 1994 und wir begannen mit dem Projekt. Am Anfang waren wir zwei Träumer, mit vielen Ideen und dem Verlangen für unsere Träume von sozialer Gerechtigkeit zu kämpfen. Später, so um 1996 kam dann meine Zeit in Mexiko, auch eine sehr lange Geschichte, für eine Zeit lang war ich dort in den

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HUERTO DE LA CORA

Chiapas Kampf um den Subcomandante Marcos verwickelt. Später war ich in Spanien, Marokko und vielen anderen Orten und sammelte überall Saatgut. Da ist viel passiert… Jedenfalls brauchten Vargas und ich dann schnell einen Ort und so entschieden wir uns für den Garten in Jódar. Anschließend kamen zehn Jahre harter Arbeit ohne Geld, ohne irgendetwas. Im geheimen, denn niemand wusste von unserer Arbeit. Werder die Leute, noch die Politiker oder Wissenschaftler, überhaupt niemand. Gab es andere Projekte, die euch inspiriert haben? Eigentlich nicht. Ein paar Ideen aus Mexiko, aber im Grunde war das Projekt unser eigener Traum. Wie war das mit der Besetzung des Geländes, was war die Reaktion der Leute und der Stadtverwaltung? Am Anfang gar keine. Alles was wir taten, geschah bei Nacht und Nebel. Drei, vier Jahre später ging es dann los: Die von der Stadt wollten auf dem Gelände bauen. Als das überstanden war, gab es noch mehr Ärger. Die Leute dachten wir bauen da Gras an… was natürlich nicht stimmte. Über die Jahre war es eine ganz schön harte Zeit.

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Wolltest du gleich zu Beginn eine Seedbank einrichten? Ja, aber am Anfang war es nur eine heimliche Idee. Wie wurde der Garten dann schließlich zu einem legalen und akzeptierten Ort? Erst begannen wir den Garten anderen Wissenschaftlern zu zeigen, dann den lokalen Politikern, später auch allen anderen Leuten, Schulklassen etc. Wir beschlossen 2008 eine Association zu gründen und wieder waren es harte Kämpfe. Vor vier Jahren entschied der Bürgermeister, dass wir den Platz legal nutzen dürfen. Jetzt ist diese Frist abgelaufen und wir müssen wieder eine neue Genehmigung bekommen. Aber dieses Mal wird es einfacher sein. Welche Rolle spielen Workcamps im Huerto? Die Camps sind toll, durch sie verbreitet sich unsere Idee. Wir bekommen dadurch auch Material vom Rathaus gestellt. Sie sind eine Hilfe und wir freuen uns, neue Menschen und Ideen kennen zu lernen… Wir lieben die herzlichen Begegnungen.

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Wer sind heute die Akteure im Garten? Eine Gruppe aus Jódar. Ganz normale Leute, die fest an die Idee glauben. Auch meine Frau Jani spielt eine sehr wichtige Rolle und ist seit 2004 dabei. Welchen Rat würdest du Leuten geben, die etwas Ähnliches aufbauen wollen? Lernt viel, mit dem Herzen, um starke Kämpfer zu werden. Stellt euer eigenes Leben zurück, habt viel Liebe für die Natur und die Menschen. Um die Seele wachsen zu lassen. Andere Dinge sind weniger wichtig und hängen vom Ort ab. Wer hat den Huerto unterstützt? Am Anfang gar niemand. Zwei Jahre später eine andere Gruppe aus der Region, aber ohne Geld, nur mit Freundschaftsdiensten. Seit zwei Jahren unterstützt uns auch das Rathaus, aber nur für die Workcamps. Heute sind es auch Universitäten und viele andere Gruppen aber auch die ohne Geld oder praktische Arbeiten. Wie finanziert ihr euch? Nur über Freunde und eine kleine Anzahl von Unterstützern. Wir haben etwa 600 – 1000 € pro Jahr.

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Projekte im Vergleich Ecokot

Gartenfläche: 868 m2

Antwerpen, Belgien 503.000 Einwohner Akteur / Gründer: Gründungsjahr: Status:

Studentengruppe 2013 Zwischennutzung

Huerto de la Cora

Jódar, Spanien 12.000 Einwohner

Gartenfläche: 1640 m2

Akteur / Gründer: Salvador, Ethnobotaniker Gründungsjahr: 1996 Status: Ehemals besetzt, heute legalisiert 54


Projekte Vergleich

10 km

20 m

LSA Centocelle

Rom, Italien 2.900.000 Einwohner

Gartenfläche: 3390 m2

Akteur / Gründer: Bürgerinitiative Gründungsjahr: 1999 Status: Ehemals besetzt, heute gemietet

Hafengarten

Offenbach, Deutschland 117.000 Einwohner

Gartenfläche: 2344 m2

Akteur / Gründer: Mainviertel GmbH, OPG, Stadt Offenbach Gründungsjahr: 2013 Status: Zwischennutzung 55


Ecokot Gartenfläche: 868 m2 20 m

10 km

Antwerpen, Belgien 503.000 Einwohner Akteur / Gründer: Gründungsjahr: Status:

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Studentengruppe 2013 Zwischennutzung


Projekte Vergleich

Huerto de la Cora Gartenfl채che: 1640 m2 20 m

10 km

J처dar, Spanien 12.000 Einwohner Akteur / Gr체nder: Salvador, Ethnobotaniker Gr체ndungsjahr: 1996 Status: Ehemals besetzt, heute legalisiert

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LSA Centocelle Gartenfl채che: 3390 m2 20 m

10 km Rom, Italien 2.900.000 Einwohner Akteur / Gr체nder: B체rgerinitiative Gr체ndungsjahr: 1999 Status: Ehemals besetzt, heute gemietet

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Hafengarten Gartenfläche: 2344 m2 20 m

10 km

Offenbach, Deutschland 117.000 Einwohner Akteur / Gründer: Mainviertel GmbH, Stadt Offenbach Gründungsjahr: 2013 Status: Zwischennutzung

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Info Urb a ne Gä r t en Urbane Gemeinschaftsgärten haben viele Namen und unterschiedliche Formen: Am bekanntesten sind die Interkulturellen Gärten. Hier ist das gemeinsame Gärtnern Ausgangspunkt für den Austausch von Menschen aus unterschiedlichen Herkunftskulturen. Darüber hinaus gibt es Kiezgärten, Nachbarschaftsgärten, Selbsternteprojekte, Stadtteilgärten, Guerilla Gardening-Aktionen und eine wachsende Zahl der mobiler urbaner Landwirtschaftsprojekte. Vielen neuen Gartenformen gemeinsam ist, dass der städtische Gemüsegarten als Medium und Plattform für Themen wie Stadtökologie und Stadtplanung, (Welt-)Ernährung, Nachbarschaftsgestaltung, lokalen Wissenstransfer oder transkulturellen Austausch fungiert. www.anstiftung.de Auf der Seite der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis findet man alle urbanen Gemeinschaftsärten in Deutschland auf einer Übersichtskarte. Zudem gibt es dort viele nützliche Tips rund um die Themen Interkulturelle und Urbane Gemeinschaftsgärten, Offene Werkstätten, DIY – Selbermachen, Repair Cafés und vieles mehr.

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D ie P rojek t e

D a s B uch

Ecokot Kattenberg 79, Antwerpen, Belgien www.ecokot.org

Text & Gestaltung David Brose 2016 brose.grafik@gmail.com

Huerto de la Cora Calle Sevilla, Jรณdar, Spanien LSA Centocelle Viale della Primavera, 319/B Rom, Italien www.lsa100celle.org Hafengarten Hafen, Offenbach am Main Neuigkeiten vom Hafengarten und dem Huerto de la Cora findet man auf deren Facebookseiten.

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