curt Magazin München #86 // Typisch

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curt. STADTMAGAZIN MÜNCHEN # 86 // FRÜHJAHR 2017

curt. STADTMAGAZIN MÜNCHEN # 86 // FRÜHJAHR 2017

TYPISCH


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Thalia Theater Hamburg Regie: Johanna Louise Witt

GOTT WARTET AN DER HALTESTELLE

WENN DIE ROLLE SINGT ODER DER VOLLKOMMENE ANGLER

Staatsschauspiel Dresden Regie: Pınar Karabulut

Regie: Samira Elagoz

COCK, COCK.. WHO‘S THERE?

NT Gent Regie: Florian Fischer

KRONIEK ODER WIE MAN EINEN TOTEN IM APARTMENT NEBENAN FÜR 28 MONATE VERGISST Maxim Gorki Theater Berlin Regie: Nora Abdel-Maksoud

THE MAKING-OF

Maxim Gorki Theater Berlin Regie: Suna Gürler

STÖREN

Thalia Theater Hamburg Regie: Leonie Böhm

NATHAN DIE WEISE

28.4. – 7. 5.2017

13.03.17 10:45

WWW.MUENCHNER-VOLKSTHEATER.DE

KARTEN 089 523 46 55

Münchner Volkstheater Regie: Nicolas Charaux

DAS SCHLOSS

StudioNaxos Frankfurt Regie: Jan Philipp Stange

DER 2. MAI 2017

DAS FESTIVAL FÜR JUNGE REGIE

RADIKAL JUNG


VORWORT Es gibt superleckeres Essen und es gibt schnelles Essen. Die perfekte Synthese aus beidem ist die Leberkässemmel. Bayerische Cuisine, mit süßem Senf geht da wenig drüber. Finde ich jedenfalls. Ich will jetzt keine Vegetarier oder Veganer verletzen, ein Rettich-Quinoa-Bratling auf Dinkel-Grünkernbrot hat sicher auch seine Reize, ohne Frage. Aber jetzt schweife ich ab. Ich spazierte also neulich mit einer Leberkässemmel in der Hand durch die Stadt, als eine Frau – platinblonde Haare, geglättetes Gesicht, teurer Mantel, irgendwas mit Teflon Versiegeltes oder so – im Vorbeigehen etwas mit rheinischem Dialekt vor sich hin zischte und angewidert das Gesicht verzog. Ich war mir nicht sicher, was sie genau gesagt hatte, es klang wie: „Typisch bayerisches Bauernvolk, immer irgendwas aus der Papiertüte fressend in der Gegend herumlaufen.“ Sie könnte natürlich auch gesagt haben: „Guten Tag, ich bin nicht von hier, aber mich irritiert, dass hier jeder Weißwürste und Leberkäse zu essen scheint.“ Wie gesagt, ich habe sie nicht genau verstanden. Um sicherzugehen, drehte ich mich um und fragte nach. „Wie bitte?“ Mit vollem Mund klang das eher wie „Fiie fiffe?“, ein Stück Leberkäse fiel mir dabei aus dem Mund. Die Frau drehte sich um und sah mich angriffslustig an. „Ich finde es einfach traurig, wie die Sitten verrohen. Normalerweise setzt man sich zum Speisen an einen gedeckten Tisch und verschlingt seine Mahlzeit nicht wie ein Hottentotte im Gehen! Und schon gar nicht so einen Schlachthofkehricht, sondern ordentliche Nahrung! Hier in Bayern scheint das besonders schlimm zu sein. Mir wird immer schlecht, wenn ich zusehen muss, wie einer eine Weißwurst auszutzerlt.“ (Sie sagte das tatsächlich so, mit einer künstlich bairischen Aussprache.) „Ordentliche Nahrung?“, fragte ich, „rheinische Hochkultur? Sie meinen Sachen wie Flönz, Kottenwurst oder Pillekuchen? Gerichte, bei denen einem schon beim Namen schlecht wird? Sie machen Witze, oder? Dazu ein fingerhutgroßes Gläschen Altbier, das schmeckt, wie wenn jemand zwei Wochen alte Socken durch ein abgestandenes Bier gezogen hätte? Sie meinen Lokale, in denen man kurz nach dem Betreten von wildfremden rheinischen Frohnaturen vollgequatscht wird, obwohl man nur in Ruhe etwas essen wollte? Das meinen Sie also mit guter Ess- und Tischkultur? Dann fahren Sie aber besser huschi-huschi wieder nach Hause zu Ihrem wie Dieter Bohlen aussehenden Ehemann und lassen sich zur Entspannung im pastellfarbenen Bentley um die Kö fahren, weil in Bayern werden Sie das ganz bestimmt nicht finden. Da fahren Sie mit Ihren daunenbemantelten Freundinnen ab jetzt besser nach Hamburg, da fallen Sie vielleicht nicht so auf und fühlen sich wohler. Nix für ungut, gell? Auf Wiederschaun und Mahlzeit!“ Ich biss voller Grant in meine Semmel. Die Blonde schaute mich entgeistert an. Ich drehte mich schnell um und ging davon, denn ich wollte nicht, dass sie die Tränen in meinen Augen sah. Mein Leberkäs war nämlich ganz kalt geworden. Euer Thomas


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TYPISCH

06 I m Gespräch: Franz Schröther von der Geschichtswerkstatt Neuhausen 12 Zahlen & Fakten: München für Besserwisser 16 Wohnhaft in München 24 Der Proberaum – Fotostrecke 36 Lindas Flow Chart: Wie betitelt dich ein typischer Münchner? 38 Zufallsgenerator: der Münchner und sein Zamperl 42 Zu Besuch im Archiv Rupprecht Geiger 46 Deine Isar e. V. 50 All cops are beautiful: alte vs. neue Uniform 54 Waschdls Grantnockerl 56 Münchner Lach- und Schießgesellschaft 60 Äikàffà: Münchner Shopping-Tipps

62 B asteln mit Bier: Vom Panschen und Veredeln einer ewigen Liebe 68 curt präsentiert: Konzerte 74 Festivals: Montecule Festival & Dunk!Festival 78 Der weinbrandt rät 80 Im Gespräch: OJM 82 Im Gespräch: Auer Gsox 86 Kopf hoch (in der) Kaufingerstraße 88 How to Munich 90 Kooks – ein Typ von Bar 94 Selbstversuch: P1 96 Impressum 98 Hinten raus: Alpenhühner

ILLU: LENI BURGER

COVERMOTIV: Christian Vogel ► christianvogel.com



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HIRSCHGARTEN, 1914


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IM GESPRÄCH MIT FRANZ SCHRÖTHER VON DER GESCHICHTSWERKSTATT NEUHAUSEN.

»  MÜNCHEN IST FÜR MICH IMMER NOCH DIE SCHÖNSTE STADT DER WELT. ABER VOR DEM ZWEITEN WELTKRIEG MUSS SIE NOCH SCHÖNER GEWESEN SEIN. «


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FRANZ SCHRÖTHER beschäftigt sich intensiv mit der Stadtgeschichte von Neuhausen, Nymphenburg und Gern. Als Vorstand der Geschichtswerkstatt Neuhausen bietet er regelmäßig Stadtführungen an, hält Vorträge, schreibt Bücher und organisiert Ausstellungen. Den Verein gibt es seit 1992 und mittlerweile ist er aus dem 9. Stadtbezirk nicht mehr wegzudenken. Sein enormes historisches Wissen kommt zum Beispiel auch dann zum Einsatz, wenn ein neuer Straßenname gesucht wird.

ROTKREUZPLATZ, 1913 MIT WINTHIR-APOTHEKE TEXT: KATHARINA WINTER // FOTOS: ARCHIV GESCHICHTSWERKSTATT NEUHAUSEN


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Warum wurde die Geschichtswerkstatt Neuhausen gegründet und welche Aufgabe hat sie? Anlass war damals der 50. Jahrestag des Zweiten Weltkrieges. Es gab eine Bewegung, dass die Stadtteile ihre eigene Geschichte aufgearbeitet haben. Wir haben angefangen, uns mit der NS-Zeit und dem Dritten Reich auseinanderzusetzen. Einen Schwerpunkt bildete die Zeit zwischen 1918 und 1933. Nach ein paar Jahren wurde uns das zu einseitig. Sich ausschließlich um die NS-Zeit zu kümmern, ist genauso verkehrt, wie sie außen vor zu lassen. Deshalb haben wir uns auch um andere Epochen gekümmert. Unsere Aufgabe ist es, Geschichte von unten zu schreiben – also aus Sicht des normalen Mannes. Deshalb gibt es zum Beispiel ein Bauwerk, das uns ganz und gar nicht interessiert: das Schloss Nymphenburg. Das trifft sich gut. Ich bin auf der Suche nach typischen Münchner Plätzen abseits der Touristenattraktionen. Welche gibt es da in Neuhausen und Nymphenburg? Besonders wichtig für Neuhausen ist der Rotkreuzplatz. Er ist das pulsierende Zentrum des Stadtbezirks. Hier findet der Wochenmarkt statt, das Faschingstreiben, Maibaum aufstellen und der Christklindlmarkt. Schon seit Jahrhunderten ist der Rotkreuzplatz eine wichtige Straßenkreuzung. Trotzdem hat er seinen Namen erst relativ spät bekommen, nämlich im Jahr 1903. Benannt wurde er nach dem Rotkreuz-Krankenhaus. In den 30ern bekam der Platz den Spitznamen „Rio“, der dann aber wieder in Vergessenheit geriet. Am 7. Januar 1945 wurde der Rotkreuzplatz komplett zerstört. Weder das Jagdschloss noch die Winthir-Apotheke stehen heute noch. Gibt es in Neuhausen und Nymphenburg noch Häuser, die aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammen? Ja, ein paar Straßen sind von den Bomben verschont geblieben. Das sind z.  B. die Ysenburgstraße,

ROCK 'N' ROLL-KNEIPE KOLIBRI DONNERSBERGERSTRASSE


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die Orffstraße oder die Flüggenstraße. Hier findet man das ursprüngliche München aus der Prinzregentenzeit. München ist für mich immer noch die schönste Stadt der Welt. Aber vor dem Zweiten Weltkrieg muss sie noch schöner gewesen sein. Die großen Villen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut und luxuriös ausgestattet. Manche haben eigene Schwimmbäder oder Kegelbahnen. Eine dieser Villen ist auch die Villa Hoeßlin in der Romanstraße. Der Architekt Friedrich von Thiersch hat sie im Auftrag des Arztes Rudolf von Hoeßlin im Stil eines italienischen Landhauses geplant. Die Innenausstattung ist sehr gut erhalten. Betritt man die Kinderzimmer, hat man das Gefühl, Hoeßlins Kinder hätten dort eben noch gespielt. Was ist typisch Neuhausen, was ist typisch Nymphenburg? Die Villen sind typisch für Nymphenburg. Hier wohnt seit über 100 Jahren das reiche Großbürgertum. Vornehme Leute, die genug Geld hatten, um sich schöne, teure Häuser im Jugendstil zu bauen. Die Nymphenburger halten sich noch immer für was Besseres. Neuhausen hingegen ist ein typisches Arbeiterviertel. Eine Grenze zwischen den beiden Stadtteilen lässt sich allerdings nicht so einfach ziehen. Sie verläuft entlang alter Ackergrenzen und ist damit alles andere als gerade. Nicht nur die Stadt hat sich verändert, sondern auch die Menschen, die in ihr leben. Was zeichnet den typischen Münchner aus? Gibt es ihn heute überhaupt noch? Es gibt ihn noch, aber man erkennt ihn meistens erst im Gespräch. Der typische Münchner ist über 50 Jahre alt, spricht Münchner Dialekt und ist ein Grantler. Er findet immer was, worüber er sich aufregen kann – und sei es der Bierpreis auf der Wiesn. Gleichzeitig ist er ein gemütlicher Typ. Das Laisser-faire gehört zum Münchner Lebensgefühl dazu. Deshalb kann man sich im Wirtshaus auch einfach

VILLA HOESSLIN, ROMANSTRASSE


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an einen Tisch dazusetzen. Natürlich nicht, ohne vorher zu fragen. Das vergessen heutzutage leider viele. Es gibt eine immer stärkere Ellenbogenmentalität. Die ist dem typischen Münchner völlig fremd. Auch, dass man im Biergarten sein eigenes Essen mitbringen kann, ist typisch München. Das gibt es nur hier. Welche typischen Münchner haben die Stadtteilgeschichte von Neuhausen und Nymphenburg geprägt? Auf jeden Fall Lorenz Hauser, der Millionenbauer. Er hat einen Millionen schweren Bauernhof geerbt und sein ganzes Geld möglichst sinnlos, aber öffentlichkeitswirksam ausgegeben. Oder Johann Kessler, der dadurch bekannt wurde, dass er Unmengen essen konnte. Seine Rekorde waren zum Beispiel 60 Pfund warmer Leberkäs, 100 Weißwürste oder drei Gänse. In den 60er-Jahren war der Stadtteil bekannt für seine Halbstarken-Gangs. Im Kolibri spielten damals viele Rock ‘n‘ Roll-Bands und die Rio-Blosn war in der ganzen Stadt gefürchtet. Heute sind das alles nette ältere Herren.

» DER TYPISCHE MÜNCHNER IST ÜBER 50 JAHRE ALT, SPRICHT MÜNCHNER DIALEKT UND IST EIN GRANTLER. ER FINDET IMMER WAS, WORÜBER ER SICH AUFREGEN KANN – UND SEI ES DER BIERPREIS AUF DER WIESN. GLEICHZEITIG IST ER EIN GEMÜTLICHER TYP. «

Verraten Sie uns zum Abschluss noch Ihren typischen Lieblingsplatz in München? Der Biergarten im Hirschgarten. Im Sommer ist es das Paradies auf Erden. Obwohl der Hirschgarten der größte Biergarten der Welt ist, hat er seinen Münchner Charme nicht verloren. Im Jahrhundertsommer 2003 haben wir sechs Wochen am Stück dort verbracht. Bis 1940 sind die Hirsche übrigens noch frei herumgelaufen, auch zwischen den Tischen. Sie haben den Leuten die Brotzeit weggegessen, die Bierkrüge mit ihrem Geweih umgestoßen und das Bier vom Tisch geschleckt. Das passiert heute nicht mehr. Aber gemütlich ist es dort immer noch. JOHANN KESSLER

► geschichtswerkstatt-neuhausen.de


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4,06 m

MÜNCHEN FÜR BESSERWISSER

ador l Salv ezn, E 5 das r B n an 201 hen k urde ,81 kg Münc hr: Dor t w n: 783 e k c e a m eb 6m kann plar g d 4,0 e Exem m lang un ert hin d n größt u 3 h r ,9 h 8 a , r r J e e id 8. schw em 1 e – le 015 Aus d t die ältes­t rde 2 breit. u m w m a ie t S s . n n g z gege – Bre nsbur annte rkt in Rege it den verbr m a n m e u mm ona eln am D aben, zusa emm gr von S e n g e s t u s a Re hlten hens. verko Hörnc s e in und e

8,93 m

Für aller Maulhelden und Prahlhanse, für die Gernegroßen und Naseweisen hat curt erneut imposante Zahlen und Fakten zusammengetragen – die richtige Dosis unnützes Wissen, um in Sachen München salopp aufzutrumpfen.

Wir erleben es ja am eigenen Leib: München stand 2016 mit durchschnittlich

16,40 €/m2

TEXT: MIRJAM KARASEK ILLUSTRATION & ARTWORK: SIMONE REITMEIER

Neuvertragsmiete deutschlandweit klar auf Platz 1. Dahinter Frankfurt am Main mit 13,17 €/m2 und Stuttgart mit 12,75 €/m2.


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Am Herzogpark in Bogenhausen wechselte 2016 ein Appartement mit 300 m2 Wohnfläche

MÜNCHENS ÄLTESTES BAUWERK ist keine Kirche und kein Wirtshaus, sondern ein Klo:

für 5,8 Millionen Euro den Besitzer.

DAS WAR MIT KNAPP 20.000 € PRO QUADRATMETER DEUTSCHER REKORD.

3-größte Stadt der Republik und trotzdem der sicherste Ort Deutschlands: In München werden nicht einmal halb so viele Verbrechen begangen wie etwa in Frankfurt.

Bis zur Fertigstellung der Hamburger Elbphilharmonie: Eine 230 m2 große, zweistöckige Luxuswohnung Während der Stoßzeiunter dem Dach ging für rund 7 ten – besonders abends Mio. Euro an den Mieter. und in der Innenstadt – verbrachte der hiesige Autofahrer 2016 RUND 49 STUNDEN mit Däumchendrehen in der Blechkarosse.

Eine Latrine aus dem Jahre 1260, gefunden bei Ausgrabungen am Marienhof.

Um ihre Kinder stillen zu können, griffen Mütter im 19. Jahrhundert in München gerne und ausgiebig zum Bierkrug. Die Stadt gebot dem üppigen Verzehr 1875 Einhalt:

den Unter s n Citie t s h ic e at es staure h s d chlan Deuts

HEN C N Ü M ATZ 1 L P F AU

„Das ,Gesundheitsamt‘ spricht sich dagegen aus, daß stillende Mütter und Ammen täglich drei bis vier Liter Bier trinken, um ausreichend ‚Kraftnahrung‘ für den säugenden Nachwuchs zu sich zu nehmen. EIN LITER TÄGLICH IST GENUG.“

Größte Staufalle ist übrigens die Strecke Hohenzollern-/Schwere-Reiter-/ Leonrodstraße in Richtung Westen bis zur Landshuter Allee.


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„Albino-Pimmel“

schimpfte der Gastrokritiker Wolfram Siebek die Münchner Weißwurst, empfand sie als „schrecklich unappetitlich in ihrer furchtbaren Haut“. Ganz anders sieht das der Münchner „Turmschreiber“ Herbert Schneider. Zum 100. Geburtstag verfasste er eine Hymne an die weiße Delikatesse: „Du Königin im Wurstrevier // Du schön gekurvte Tellerzier // Lass dir den weißen Hermelin // Von deinen zarten Schultern ziehn!“ Der älteste Baum ist die 23 m hohe „Röth-Linde“ in Nederling im Stadtbezirk Moosach. Geschätztes Alter: 300 bis 350 Jahre. Stammumfang: 6,24 m. Ihren Namen hat sie von dem Gerner Landschaftsmaler Philipp Röth, der im 19. Jahrhundert gerne unter ihren Zweigen malte.

Auch ein leerer Bierkrug hat seinen Reiz. Bereits 2004 kassierte das Ordnungspersonal auf dem Oktoberfest rund

210.000 BIERKRÜGE

ein, die Souvernierjäger mit nach Hause nehmen wollten. Unter CENOSILLICAPHOBIE litten die Erwischten jedenfalls nicht, denn so wird die Angst vor leeren Gläsern bezeichnet.


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Schätzungsweise rund

40.000 verwilderte Haustauben haben sich München als ihr Zuhause auserkoren.

Die Stadt setzt dagegen mit Fütterungsverbot, Taubenhäusern, in denen nach dem „Augsburger Modell“ echte Eier durch Gipseier ersetzt werden, bis hin zu Beschallung mit Falkenschreien.

Gewusst wie! Die neue Vorschrift von 1883 war klar und deutlich:

Wer sein Glück in München noch nicht gefunden hat, versucht sein Glück im Institut für Glücksfindung. Ziel des losen Kollektivs selbstständiger Künstler ist – wie der Name schon sagt – DIE HERSTELLUNG VON GLÜCK, „BIS UNS ETWAS BESSERES EINFÄLLT“. > institutfuergluecksfindung.de

RINGLINIE

MÜNCHENER

„ZUR SCHONUNG DER PFERDE DARF MIT DEN WEISS-BLAU GESTRICHENEN TRAMBAHNWAGEN NUR NOCH AN DEN HIERFÜR BESTIMMTEN STELLEN GEHALTEN WERDEN.“

TRAMBAHN

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Bei Stammkunden allerdings drückte das Fahrpersonal ein Auge zu und ermöglichte ihnen – durch vorgetäuschte Pannen – das Einsteigen direkt vor ihrer Haustür.


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WOHNHAFT IN MÜNCHEN


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TEXT: LEA HERMANN // FOTOS: LARA FREIBURGER

München hat ein Wohnungsproblem – das ist bekannt. Pro Quadratmeter Wohnfläche blätterten die Münchner 2016 durchschnittlich 15 Euro hin, bei Neuverträgen waren es gar über 16 Euro. Die Miete für ein WG-Zimmer kostet gut und gerne mal weit über 500 Euro – und hat schon so manchen Studenten in die Verzweiflung getrieben. curt hat sich nach Alternativen umgeschaut.


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ZIMMER FREI FÜR HILFSBEREITE STUDENTEN DAS MODELL „WOHNEN FÜR HILFE“ Die vom Studentenwerk München und dem Seniorentreff Neuhausen e. V. ins Leben gerufene Organisation „Wohnen für Hilfe“ vermittelt Studenten an Pflegebedürftige, die ein Zimmer frei haben. Der Deal: 1 m² Wohnfläche wird mit einer Stunde Hilfe im Monat abgegolten. Ganz umsonst ist die Miete aber nicht: Nebenkosten werden meist separat und nach Verbrauch berechnet. Ausgerechnet München! Hier, wo sich Studenten schwertun, ein bezahlbares WG-Zimmer zu finden, wollten Daniel und Jessica nach drei Jahren Fernbeziehung zusammenziehen. An der LMU stieß Ethnologie-Student Daniel kurz vor Semester-Start als letzte Hoffnung auf „Wohnen für Hilfe“. Und hatte Glück – denn die Plätze sind begehrt. Seit Oktober letzten Jahres leben Daniel und Jessica in einem 20-m2-Zimmer in Schwabing. Die Altbauwohnung mit den vielen Büchern und den gemütlichen Möbeln gehört Klaus. Der ehemalige Lehrer leidet an einer untypischen Form von Parkinson: Seine Motorik und Sprache sind verlangsamt. Klaus mag es, wenn Leben in der Bude ist. Bei ihm haben schon viele Studenten gewohnt. „Ich habe genug Wohnraum für mehr“, meint er. Vor Kurzem wurde der Pädagoge wegen Grauem Star am Auge operiert. Ganz allein den Alltag meistern? Das fällt ihm immer schwerer. „Das Bewundernswerte an Klaus ist, dass er sein Schicksal realistisch sieht und mit Humor nimmt“, erzählt Daniel. Der 26-Jährige und seine Freundin helfen oft bei Kleinigkeiten wie Jacke oder Schuhe anziehen. Eine körperliche Pflege braucht Klaus nicht. Jessica kümmert sich um das Frühstück, Daniel übernimmt die „Spätschicht“ und macht Abendessen. Die Stunden, die sie Klaus helfen, zählen die beiden Studenten nicht. So wie die meisten bei „Wohnen für Hilfe“. „Eigentlich ist es wie in einer WG. Wenn ein gleichaltriger Mitbewohner Hilfe braucht, würden wir ihn ja auch unterstützen“, sagt Jessica, die die Akademie der Künste besucht. Viele ihrer Kommilitonen finden diese Wohnform toll, würden sich das aber selbst nie zutrauen. „Unser großes, großes Glück ist, dass wir uns so gut verstehen“, sagt Daniel. „Wir profitieren voneinander. Nicht nur materiell, auch menschlich.“ Klaus fasziniert die Studenten mit seinem Wissen und seiner ungebrochenen Neugierde. „Der Klaus ist wie ein Kind“, lacht Jessi. Von Daniel bekommt der ehemalige Lehrer Polit-Shows und Filme auf YouTube und Netflix gezeigt. Gemeinsam sitzen sie oft im Wohnzimmer, umringt von hohen Bücherregalen und Mitbringseln aus Klaus’ Sehnsuchtsort Indien. Lange bleibt diese „WG“ nicht mehr bestehen. Klaus stürzt immer öfter. Seine Krankheit schreitet voran. Im März wird er schweren Herzens in ein Pflegeheim ziehen müssen. Und Jessi und Daniel sind dann wieder auf Wohnungssuche. „Wir werden schon was Neues finden. Man muss zuversichtlich bleiben“, findet Jessi. ► seniorentreff-neuhausen.de/wohnen-fuer-hilfe


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GETEILTE WOHNUNG, GETEILTE MIETE Sophie wohnt in einer Teilwohnung in Haidhausen. Ein Badezimmer hat sie nicht. Dafür eine gemeinsame Toilette mit einem 84-Jährigen. Kommt man in Sophies Wohnung, fällt sofort das alte viereckige Waschbecken mitten im sonst leeren Flur auf. Für den „Mitbewohner“ der Studentin ist es die einzige Waschmöglichkeit. „Er benutzt es vom Zähneputzen bis zum Abspülen“, erklärt Sophie. Die 25-Jährige hat mehr Glück: In ihrer kleinen Küche steht eine Dusche. Um von dort in ihr Schlafzimmer zu gelangen, muss sie allerdings den Weg durch den gemeinsamen Flur nehmen. Genau wie sie bewohnt auch ihr Mitbewohner, ein älterer Serbe, zwei Zimmer. Abgesehen von Gang und Toilette hat so jeder seinen eigenen Lebensbereich. Sophie ist kein WG-Typ. Nach der Trennung von ihrem Freund stieß sie bei ImScout auf die Wohnung und war sich sicher, eine unter wenigen Bewerbern zu sein: „Aber die Schlange ging vom 3. Stock bis ins Erdgeschoss. So groß war die Anfrage.“ Zunächst dachte die BildungswissenschaftenStudentin, es wäre ganz nett, mit einem älteren Herrn zusammenzuleben. Aber schon allein, dass ihr Zimmernachbar nur gebrochen deutsch spricht, macht die Situation schwierig. Mittlerweile sind die beiden aber ein eingespieltes Team. „Ich weiß ganz genau, zu welchen Zeiten er aus dem Haus geht und wann er auf dem Gang ist. Da bleib ich dann meist in meinem Zimmer“, sagt Sophie. Im Haus ist die Wohnung die einzige, die noch nicht renoviert worden ist. Gerne würde der Vermieter sie umbauen lassen, um sie danach neu zu vermieten. Doch er bekommt den Rentner, der schon seit Jahrzehnten im Haus wohnt, nicht aus dem Mietvertrag. Warum sich Sophie nichts anderes sucht? „Das ist so zeitaufwendig. Und in München gibt es nichts für einen allein, wenn man nicht mehr als 700, 800 Euro zahlen will.“


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WOHNEN IM LEDIGENHEIM Vor knapp hundert Jahren entstand das Ledigenheim im Westend. Auch im Jahr 2017 wird es noch gebraucht. „Das Wohnungsproblem in München ist nicht neu“, sagt Claudia Bethcke, Leiterin des Ledigenheims in der Bergmannstraße. Schon 1913, als die Idee für das Ledigenheim geboren wurde, herrschte extreme Wohnungsnot. Gedacht war die Unterkunft im Westend für alleinstehende junge Männer, die für ihre Lehre in die Stadt kamen und sich nicht viel leisten konnten. Heute interessiert niemanden, ob die Bewohner ledig oder verheiratet sind. Gleichgeblieben ist, dass das Ledigenheim ein Zuhause für sozial Schwache ist. „Mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro kann sich in München niemand ein 1-Zimmer-Apartment finanzieren“, sagt Bethcke. Momentan leben auf 6.000 Quadratmetern 400 Männer aus 48 Nationen. Schmale Zimmertüren und massive Holzmöbel – die Ausstattung wirkt noch so wie vor knapp hundert Jahren. Die 7 m2 kleinen Zimmer sind mit Bett, Schreibtisch, Waschbecken und Wandschrank zweckmäßig ausgestattet. Toiletten und Duschen teilen sich die Männer auf dem Gang. Gemeinschaftsküche und Fernsehzimmer stehen allen im Erdgeschoss offen. Luxus ist das für 195 Euro Miete freilich nicht, dafür haben die Bewohner in den Einzelzimmern ihre Ruhe. Für ein friedliches Zusammenleben sorgen Hausregeln: Nachtruhe ab 22 Uhr. Rauschgift und übermäßiger Alkoholkonsum sind verboten – ebenso wie Damenbesuch. Bei Verstoß kommt es zur Abmahnung. Finanzielle Spenden erhält das Ledigenheim von der Augustiner Brauerei – als einziges Münchner Unternehmen. Im Büro von Claudia Bethcke stapeln sich die Leitz-Ordner mit Bewerbungen. Momentan herrscht Aufnahmestopp. Zimmer werden immer seltener frei. Im Prinzip können die Bewohner so lange bleiben, wie sie möchten. „Wir freuen uns über jeden, der etwas Eigenes gefunden hat. Das kommt allerdings kaum noch vor“, sagt Claudia Bethcke nachdenklich. Bei der aktuellen Wohnsituation in München sei die Idee eines Ledigenheims beängstigend aktuell. ► ledigenheim.de


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DER PROBERAUM VOM LEBEN UND STERBEN EINES SAGENUMWOBENEN ORTES TEXT: TIM BRÃœGMANN // FOTOS: CHRISTIAN VOGEL, ADRIAN LEEDER, MELANIE CASTILLO


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Munich sucks? 1998 prägte eine Metapher des verstorbenen Altbundespräsidenten Roman Herzog den Zeitgeist Bayerns. Ein Bundesland, das nicht nur auf seine agrarwirtschaftlichen Facetten reduziert werden wollte, mauserte sich zum High-Tech-Standort schlechthin und gab sich mit „Laptop und Lederhose“ weltoffen und zukunftsorientiert. Der Slogan, wenn auch in die Jahre gekommen, hallt bis heute nach und ein altes Problem wird zunehmend lauter. München als Standort für Popkultur plagt sich dieser Tage nicht mit den Wechseljahren, sondern durchwandert eine waschechte Depression. Unmut macht sich breit, Künstler fliehen, klar, wohin auch sonst, wieder nach Berlin, und der Tod der Subkultur scheint beschlossene Sache. War sie überhaupt mal da? Die Lethargie ist es mit Sicherheit. Wie dringend die wieder aufkeimende Diskussion darüber, ob München wirklich scheiße ist, jedoch tatsächlich ist, zeigt die Situation vieler Künstler, wenn es um den Raum für ihre Projekte geht. Denn gerade dieses Korsett sitzt eng. Teure Mieten, schlechte Anbindung und strenge Auflagen – alles in allem also wenig „Freiheit“ in diesen „Freiräumen“. Doch wie sieht es außerhalb des Feuilletons und der Konzertstammtischgespräche wirklich aus? 10 Münchner Bands gewähren uns einen Blick in den wohl intimsten und wichtigsten Teil ihres Schaffens: den Proberaum.


FOTO: CHRISTIAN VOGEL

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CANDELILLA. PROBERAUM: NEUHAUSEN GENRE: NOISE, POSTPUNK LIVE: 15. APRIL @ MILLA (RECORD RELEASE SHOW) â–º candelilla.de


FOTO: CHRISTIAN VOGEL

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WAVES. PROBERAUM: WESTEND/LANDSBERGERSTR., ERDGESCHOSS GENRE: AMBIENT, POSTROCK, INDIE BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: HIKISTOMP LIVE: DERZEIT KEINE KONZERTE, ARBEITEN AM DRITTEN ALBUM â–º thisiswaves.de


FOTO: CHRISTIAN VOGEL

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PICTURES FROM NADIRA. PROBERAUM: LAIM. PREISLICH AKZEPTABEL UND GEMÜTLICH. EINE ART STUNDENHOTEL FÜR MUSIKER GENRE: POSTROCK BANDEIGENER LIEBLINGSSONG: INTRO DES SONGS „NAUTILUS“ – WIR FÜHLEN HIER DIE TIEFE DES MEERES UND DANN DAS AUFTAUCHEN BEIM HAUPTTEIL DES SONGS LIVE: 22. APRIL @ FREIRAUM (DACHAU) ► facebook.com/picturesfromnadira


FOTO: CHRISTIAN VOGEL

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DIE DREI HAXN. PROBERAUM: WOHNZIMMER IN HAIDHAUSEN GENRE: MUSIK, HUMOR, CHARMANTER DILETTANTISMUS BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: NIRGENDS IST MALAISE, WOZU GIBT'S MAYONNAISE? (TANZ DER SPEISERESTE) LIVE: 31. MÄRZ @ KONZERTHALLE QUIDDESTRASSE UND 20. MAI UM 14:15 UHR @ OPEN AIR HANS-MIELICH-PLATZ, KULTURTAGE UNTERGIESING-HARLACHING ► diedreihaxn.de


FOTO: CHRISTIAN VOGEL

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BANANA FANCY FREE. PROBERAUM: WOHNZIMMER IN OBERGIESING GENRE: ELEKTRO-POP MIT EINFLÜSSEN AUS SOUL, R&B, ROCK BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: AGONY CAN MASQUERADE AS SOMETHING THAT I THOUGHT TO BE MY EVIL FATE, BUT NOW IN TURN, THE THINGS BEGIN TO ESCALATE. (LIGHTNINGS INCLINE) LIVE: ERST MAL NIX GEPLANT ► facebook.com/bananafancyfree


FOTO: CHRISTIAN VOGEL

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MAIDENHEAD. PROBERAUM: RÜCKGEBÄUDE IN DACHAU GENRE: 80’S HEAVY METAL TRIBUTE BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: THESE GO TO ELEVEN! LIVE: 31. MÄRZ @ MONSTERS OF COVER, EVENTHALLE WESTPARK, INGOLSTADT ► maiden-head.de


FOTO: ADRIAN LEEDER

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FUCK YEAH. PROBERAUM: GIESING, 3. KELLERGESCHOSS GENRE: INDIE-GARAGE-ROCK BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: DON'T BELIEVE A WORD THEY SAY (AUS „FAY") LIVE: 22. MAI @ UFERLOS, FREISING UND 3. JUNI @ KLANGFEST ► fuckyeahmusic.de


FOTO: MELANIE CASTILLO

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ZWINKELMAN. PROBERAUM: KÜCHE IN UNTERSENDLING GENRE: STUB'N-POSTROCK BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: LIVE: 5. APRIL @ IMPORT EXPORT UND 13. JUNI SINGLE-RELEASE @ POLKA BAR ► facebook.com/zwinkelmanmusic


FOTO: ADRIAN LEEDER

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CALL IT A WASTELAND. PROBERAUM: WOHNZIMMER IN HAIDHAUSEN GENRE: CRUNCH BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: THE NOISE I MAKE IS ALL LOVE LIVE: 28. APRIL @ SOUNDCAFE (MAMMUTH CONTEST) â–º facebook.com/callitawastelandofficial


FOTO: ADRIAN LEEDER

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CLAIRE. PROBERAUM: 45 FAHRMINUTEN SÜDLICH VON MÜNCHEN IN EINEM ALTEN SCHWEINESTALL GENRE: ELEKTRO-POP BANDEIGENES LIEBLINGSZITAT: THERE IS A PLACE I KNOW, WHERE TIME IS JUST A FICTION. IT DOESN'T CHOOSE A SIDE. IT NEVER CATCHES UP LIVE: 5. MAI @ AMPERE // ALBUM-RELEASE „TIDES“ (VÖ: 7. APRIL) ► claireofficial.com


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IDEE UND UMSETZUNG: LINDA MAIER

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DER ZUFALLSGENERATOR

WIE DER HERR, SO’S GSCHERR – DER MÜNCHNER UND SEIN ZAMPERL

München gilt als eine der hundefreundlichsten Städte in Deutschland, direkt hinter Leipzig und Hamburg. Schätzungen zufolge leben über 35.000 Hunde hier – und jährlich werden es mehr. Doch die vierbeinigen Lebensgefährten der Großstadtbewohner sind ein Streitthema: Tierfreunde und Kritiker liefern sich andauernde Diskussionen über die Notwendigkeit eines Hundes in der Stadt. Den Haltern wird vorgeworfen, sie würden ihre Vierbeiner als Accessoire missbrauchen und ihnen eine artgerechte Haltung versagen. Manch ein Unmensch schreckt selbst vor Giftattacken auf des Menschen besten Freund nicht zurück. Ein ewiges Hin und Her mit viel Pro und Contra. Zugegeben: Das Gebell aus der Nachbarwohnung kann nerven. Und wer schon mal in einen frischen Hundehaufen getreten ist, war zumindest kurzfristig nicht unbedingt FÜR Hunde in der Stadt. Auch die versuchte Lösung dieser Problemhaufen – die prall gefüllten roten Beutel, die man dieser Tage an wirklich jeder Ecke findet – ist so manchem ein farbigstinkender Dorn im Auge. Und doch gibt es immer wieder die eine oder andere Fellnase, die es mit treuem Blick und gutmütig-verspieltem Wesen schafft, das Menschenherz zu erobern. Vielleicht haben Vier- und Zweibeiner ja zumindest dieses gemein: Man kann Lieblingsmenschen haben und die Menschheit insgesamt trotzdem doof finden. Ganz ähnlich verhält es sich wohl auch mit Hund zu Hundheit.

TEXT UND FOTOS: PETRA KIRZENBERGER

curt war unterwegs, um ein paar besonders schöne „Teppichwölfe“ vor die Linse zu bekommen.


curt 39

LUKE SKYWALKER (2) MIT SABINE

LILI (FAST 3) MIT SABINE

JANOSCH (13) MIT MAXI

Luke ist ein „reinrassiger Straßenhund“, der als Welpe in Griechenland vor dem sicheren Tod gerettet und nach München gebracht wurde. Mit seiner lustigen Art bereichert er schon seit 1 ½ Jahren Sabines Leben und hält Frauchen mit seiner Vorliebe für die Jagd nach Skateboardfahrern auf Trab.

Seit 2 ½ Jahren gehen Dackeldame Lili und Sabine gemeinsam des Weges. Wir haben die beiden bei ihrer Spazierrunde im Glockenbach getroffen und sie gerade noch erwischt, um ein Bild vom süßen „Sausage dog“ zu ergattern.

Cockerspaniel Janosch gab sich erst etwas kamerascheu. Er hat sich dann doch noch vor die Linse locken lassen und macht dort, ebenso wie Frauchen Maxi, eine ziemlich gute Figur! Vor drei Jahren hat Maxi ihren vierbeinigen Begleiter von ihrer Mama geerbt.


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DER ZUFALLSGENERATOR

QUINTO (8) MIT NORBERT

LOLA (2) MIT THOMAS

LANI (6) MIT GIANNA

Bereits im Welpenalter hat Riesenschnauzer Quinto zu seinem Herrchen Norbert gefunden. Als wir sie am Viktualienmarkt entdeckten, konnten wir sie nicht unbehelligt an uns vorüberziehen lassen – so perfekt ergänzen sich hier Herr und Hund!

Auch bei diesem Hunde-Herrchen-Pärchen war die Harmonie sofort spürbar: Die hübsche Lola stammt aus einem Wurf der Hündin einer Mitarbeiterin und hat vor fast zwei Jahren schon Thomas’ Herz erobert. Seitdem weicht die aufgeweckte Mischlingshündin nicht mehr von seiner Seite und ist tagein, tagaus dabei, wenn Thomas im „Blütenrein“ am Viktualienmarkt seine Blumen verkauft.

Dieses Pärchen beeindruckt durch seine Gemütlichkeit, mit der es seine Spazierrunde in Obergiesing dreht. Gianna lacht: „Wir ergänzen uns bestens. Ich halte sie fit, indem ich sie täglich dreimal zum Spazierengehen rausscheuche, sie entschleunigt mich durch ihr Schneckentempo!“ Wir finden das DamenDuo aus der Au einfach zauberhaft!


Das Münchner Tierheim gehört mit einer Aufnahmekapazität von rund 8.000 Tieren pro Jahr zu den größten Tierschutzeinrichtungen weltweit. Wir im Münchner Tierheim füllen täglich mehr als 1.000 Futterschüsseln und verfüttern pro Jahr 80 Tonnen Tiernahrung an unsere Schützlinge. Rund 85.000 Euro pro Monat investieren wir für die tierärztliche Versorgung hilfsbedürftiger Tiere in München. Unsere Tierschutzinspektoren sind jährlich bis zu 1.500 Mal im Einsatz vor Ort, um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz aufzudecken und Tierleid zu verhindern. Im Schnitt vermitteln wir pro Jahr rund 4.000 Tiere und bringen knapp 4.000 Fundtiere zurück zu ihren Besitzern. Ungezählt sind die vielen Schmuseeinheiten, die unsere Schützlinge von etwa 40 Tierpflegern erhalten. Hilf den heimatlosen Tieren in München - werde Pate beim Münchner Tierheim. Ab 7,50 Euro pro Monat.

Hilf uns Leben retten!

patenschaften@tierschutzverein-muenchen.de www.tierschutzverein-muenchen.de


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ROT MACHT HIGH

ZU BESUCH IM ARCHIV RUPPRECHT GEIGER


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TEXT: JULIA FELL

RUPPRECHT GEIGER war einer der einflussreichsten Maler der Nachkriegskunst, erlangte Weltruhm – und blieb seiner Heimat München dennoch immer mit Herz und Seele verbunden. Die Spuren seines Schaffens sind vielfältig: 1952 entwarf er die Fassade des Münchner Hauptbahnhofs. Ab den 60ern folgten u. a. ein Glasklebebild an der TU München, Skulpturen vor dem Hauptgebäude der Münchner Rück und dem Gasteig, Objekte im U-Bahnhof Machtelfinger Straße, am Flughafen ...

PINK ZU MAGENTA, 2008 // FOTO: ANDREAS PAULY

Und Geiger liebte die Farben. Das Archiv Geiger zeugt von dieser Leidenschaft: Leuchtende, pink, purpur, magenta, orange und gelb flirrende Leinwände und Objekte überall – selbst der Fußboden erstrahlt in Neonpink, dem Lieblingsfarbton des Malers, der hier noch bis 2009 gearbeitet hat. Dabei schien Geigers Leben zu Anfang eine ganz andere Richtung einzuschlagen. 1908 in München geboren, absolviert er hier ein Architekturstudium, wird 1940 zum Kriegsdienst einberufen. Anfangs noch im technischen Dienst eingesetzt, lässt Rupprechts Vater Willi Geiger – ein abstrakter, von den Nazis als „entartet“ verfemter Maler – seine Beziehungen zum Generalstab spielen und verschafft seinem Sohn eine Anstellung als Kriegsmaler. Bereits in diesen frühen Bildern, die er in der Ukraine und in Griechenland, umgeben von den Grausamkeiten des Krieges, malte, erkennt man Geigers Hingabe zu leuchtenden Farben und deren Komplexität. Er beobachtete den Himmel, entdeckte Abend- und Morgenröte, erkundete Zwischentöne und Abstufungen, malte sie in Eitempera. Rot gibt ihm offenbar Halt in diesen Jahren. In den Nachkriegsjahren verabschiedet er sich, wie viele Künstler, von der gegenständlichen Malerei, wird abstrakter, reduzierter, denaturalisierter, konzentriert sich zunehmend auf einfache geometrische


» Rot ist Leben, Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft.«

PIGMENTRAUM IM ARCHIV GEIGER, 2014 // FOTO: OLIVER HEISSNER

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Formen und intensive Kontraste. Er experimentiert viel, bis er schließlich „sein“ Thema findet – das Porträt der Farbe. Inspiriert von einem roten Lippenstift aus einem Care-Paket an seine Frau sucht er Materialien und Techniken, mit denen er Farben noch präsenter darstellen kann. Er stößt schließlich auf die Tagesluminiszenz-Pigmente der US-Firma Sun Chemicals. Die Farbe, so stellt er bald fest, hat einen autonomen Wert. Sie aus der Form zu lösen, ihr die Bühne geben, die sie verdient, wird bald zu Geigers künstlerischer Mission. Um die Wirkung seiner Farbfelder nicht zu stören, beginnt er nun folgerichtig, seine Bilder auf der Rückseite zu signieren. RUPPRECHT GEIGER, MÜNCHEN 1949 FOTO: HELGA FIETZ

Ein Künstler, der seinen Namen versteckt? Ja, Bescheidenheit war typisch für ihn, überlegt Sandra Westermayer, die im Archiv Geiger für PR und die Kunstvermittlung zuständig ist, „er war kein Trommler“. Unser Rundgang beginnt im früheren Atelierraum. Herzstück ist ein riesiger Arbeitstisch, der im Grunde so belassen wurde, wie der Künstler zuletzt an ihm gearbeitet hat. Pinsel, Stifte, Utensilien, Farbtöpfe, Skizzen und Collagen liegen wild verteilt im kreativen Chaos. Alles wirkt so lebendig, als wäre Geiger mitten im Arbeiten nur mal eben aufgestanden. Den Kittel, über und über mit leuchtenden Klecksen übersät, hat er schnell neben der großen Fensterfront an die Wand gehängt. Die Werkstatt-Atmosphäre setzt sich in den anderen Räumen fort. Die vielen groß- und kleinformatigen Arbeiten, Skulpturen und Objekte sind so platziert, dass ihnen das Tageslicht am meisten schmeichelt. Auf Arbeitsflächen und in Regalen liegen die Ergebnisse der letzten Kunstvermittlungs- und Siebdruckworkshops, die das Archiv regelmäßig anbietet. Auf eine Berufung an der Akademie der Künste wartete Geiger vergebens. Stattdessen klopft 1965 die Staatliche Kunstakademie in Düsseldorf an. Bis 1976 lehrt er dort – u. a. neben Gerhard Richter und Joseph Beuys – als Professor für Malerei. Dennoch bleibt Düsseldorf nur ein Zwischenstopp für Geiger, München sein Fixstern. Schon während seiner Professur in NRW plant er seine Rückkehr nach Bayern und richtet sich sein Atelier in Solln ein. Mit 101 Jahren stirbt Rupprecht Geiger, den Kopf voller Pläne – und dem Wunsch, dass sein Werk lebendig bleibt, vielen Menschen zugänglich ist, nicht in einen Elfenbeinturm gesperrt wird. Dem kommen seine Erben mit der Eröffnung des Archivs seit 2010 nach. ► archiv-geiger.de


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UNSERE ISAR UNSERE VERANTWORTUNG

TEXT: JULIA MAEHNER // FOTO: ISAR e. V.

HARTMUT KEITEL gründete 2011 den Verein Deine Isar e. V. Sechs Jahre später hat der Verein zwar nur sieben Mitglieder, aber eine große Plattform und mahnt frei nach Kant: „So wie du die Isar vorfinden willst, solltest du sie auch zurücklassen.“ Der Weg dorthin ist aber kein leichter.


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IM GESPRÄCH MIT HARTMUT KEITEL VON DEINE ISAR E. V.

Bei unserem Treffen mit Hartmut Keitel flaniert keiner an der Isar, denn es schüttet wie aus Kübeln. Außerdem ist Februar. HARTMUT KEITEL, Fotograf, Designer und Gründer des Vereins Deine Isar e. V., aber sitzt im Trockenen, die glatten dunkelblonden Haare fallen ihm ins Gesicht, vor ihm steht ein Tegernseer Helles. „Ich habe die Renaturierungsphase der Isar hautnah miterlebt“, erzählt er, als er sich an 2011 zurückerinnert. Damals hatte die Stadt München die Baumaßnahmen entlang der Isar abgeschlossen. „Wo vorher nur Hundebesitzer ihre Hunde ausgeführt haben, waren auf einmal Badegäste, die einen Anspruch auf saubere Wiesen hatten.“ Die Isargänger haben sich beschwert, denn Erholung und Hundedreck passen eben nicht zusammen. Innerhalb eines halben Jahres haben sich die Gassigänger dann besonnen: Das Kackerl ging fortan ins Sackerl – und Keitel kam die Idee für seinen Verein. Warum sollte es nicht auch beim Müll ähnlich schnell gehen? Deine Isar e. V. begann damals mit einem Plakat. „Es war nicht als Aktion zu verstehen, eher als Gefühlsausbruch“, erinnert sich Keitel. Auf dem Weg zur Arbeit sah er das mit Müll übersäte Isarufer. Denn

obwohl die Stadt München sich logistisch damals wie heute um die Müllentsorgung kümmert, bleibt viel Kleinmüll liegen. Zigarettenstummel, Bierdeckel, Scherben: Abfall, der nicht im Mülleimer landet, verschmutzt das Münchner Naherholungsgebiet. Da hilft auch das alljährliche Aufräumen zu Ramadama nicht viel. „Die Leute müssen eben auch mehr Verantwortung für sich selber übernehmen“, erklärt Keitel. „Es muss nicht alles von der Stadt kommen.“ Mit seinem Kollegen designte Keitel daraufhin das Poster mit der Aufschrift: „Steckt euch eure zerbrochenen Bierflaschen in den Arsch, dann werdet ihr auch merken, dass Arschlöcher Gefühl haben.“ Mit Tapetenkleister klatschte Keitel diese Plakate an die Brückenpfeiler. Er wollte, dass die Dreckmacher sahen, dass es nicht okay ist, die Isar zuzumüllen. Ein Klient seiner Agentur, ein Vertreter der Münchner Isarfischer, sah die Vorlage im Büro und meinte: „Ihr wart das?“ Eine gute Aktion, nur der Ton sei zu derb. Den müsse man entschärfen, damit das offiziell unterstützt werden könne. Der Rest ist Geschichte. Keitels Verein nahm Fahrt auf.


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Heute wird Deine Isar e. V. von der Münchner Paulaner Brauerei gesponsert. So ist für den Verein mehr Geld da, um ihr Programm zu fahren. Kinospots laufen im Sommer auf allen Münchner Kinoleinwänden, Freiwillige fahren Rikschas und verteilen Flyer und auf jedem Münchner Straßenfest ist ein Stand des Vereins vertreten. Keitel selbst ist in den lokalen Grundschulen unterwegs, um den Kindern sein Anliegen nahezubringen. Die Schüler sollen lernen zu unterscheiden, was in den Fluss gehört und was nicht. Denn dieses Wissen sei bei den Kindern gut angelegt: Sie wüchsen nicht nur zu verantwortungsbewussten Menschen auf, sondern könnten auch die Erwachsenen auf deren Müll aufmerksam machen. Selbstverständlich ist Keitel beim Aufräumen zu Ramadama mit dabei. „Eigentlich mag ich das nicht.“ Keitel runzelt die Stirn. „Ich will nicht, dass wir aufräumen, nur damit andere die Natur wieder beschmutzen können. Aber wir gehen eben mit gutem Beispiel voran.“ Deswegen hat sich Deine Isar e. V. für Ramadama 2017 etwas Besonderes überlegt: Aufräumen im Wasser. „Wir sammeln vom Fluss aus und fahren mit dem Schlauchboot von Schäftlarn nach München.“ Das kommt nicht nur der Isar zugute, sondern erinnert die Menschen auch daran, dass sie ihren Teil dazu beitragen müssen. Denn für jeden Isarbesucher, der

hinter sich aufräumt, gibt es ebenso viele, die sich nicht um ihren Müll kümmern. Dieses Pflichtbewusstsein will Keitel mit seinen Aktionen in allen Münchnern wecken. Er macht sich dabei aber keine Illusionen: „Es wird immer welche geben, die sich nicht drum scheren. Aber wenn das die Minderheit ist, dann machen wir unseren Job richtig.“ Wenn Keitel über sein Baby, den Verein, spricht, erinnert er ein bisschen an Spider-Mans Onkel Ben Parker. Nicht nur wegen seiner herzlichen Art, sondern auch, wie er immer wieder auf das Stichwort „Verantwortung“ zurückkommt. Schließlich sagte Uncle Ben schon in unzähligen Comics und Blockbustern: „Mit großer Macht kommt große Verantwortung.“ Ein Zigarettenstummel verschmutzt 40 Liter Wasser. Wenn das keine große Macht ist, was dann? ► deine-isar.de

Nach mir

die

Müllfee? Die Isar hat keine n Selbstreinigung

smodus!


MÜNCHEN im Feierwerk am

13.

8.

MAI 2017

1.

JULI

April

2017

2017

14.

OKT

2017

11.

NOV 2017

2.

DEZ

2017

TonHalle • Grafingerstr. 6 • 81671 München 17 - 23 Uhr • Eintritt: 3 Euro Hansastraße 39-41 · München Einlass 17 Uhr · Eintritt: 3 Euro

www.nachtkonsum.com


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ALL COPS ARE BEAUTIFUL Seit diesem Frühjahr hat der Freistaat ein typisches Erkennungszeichen weniger: Als letztes Bundesland legt die bayerische Polizei ihre in die Jahre gekommene grün-gelbe Dienstkleidung ab. Wir haben uns von der Pressestelle der Polizei München die neue Uniform zeigen lassen.

TEXT: PATRICIA BREU // FOTOS: ACHIM SCHMIDT


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Entworfen wurde die deutsche Polizeiuniform 1972 von dem Modedesigner HEINZ OESTERGAARD. Eine wohlüberlegte Entscheidung, denn Oestergaards Markenzeichen war die „Mode für Millionen“. Während im Nachkriegsberlin die Trümmer beseitigt wurden, gründete er aus dem Nichts ein Modeatelier. Aus Mangel verwendete er Stoffe aus Fallschirmen und Wehrmachts-Decken wieder. Bezahlt wurde mit Whiskey und Zigaretten. Die erste zahlungskräftige Kundschaft waren Prostituierte – kurze Zeit später folgten deutsche Stars wie Romy Schneider und Hildegard Knef. Oestergaards Mode wurde dann auch für Millionen Deutsche tragbar, als er in den 60er-Jahren in den Dienst des Versandhauses Quelle trat und mit seiner Arbeit große Erfolge feierte. Es folgten diverse Entwürfe für Uniformen – unter anderem für die Polizei, welche die Dienstkleidung deutschlandweit vereinheitlichen wollte. Der Designer entschied sich für die Farben Senfgelb und Förstergrün, da diese bürgernah wirken und gleichzeitig auffallen. In Oestergaards Worten: „Die Uniform muss praktisch sein, klar erkennbar, Respekt einflößend und zugleich sexy.“


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Klar erkennbar war die Polizeiuniform bis heute. Typisch deutsche Polizei eben. Die Sexyness hingegen hat mit den Jahren gelitten. Dass das Aussehen der Uniform nicht mehr zeitgemäß ist, sieht auch die Polizei so. Nachdem alle anderen Bundesländer bereits eine modernisierte blaue Version eingeführt haben, ziehen nun endlich auch die Bayern nach. Eine eigene Projektgruppe „Neue Dienstkleidung der Bayerischen Polizei“ hält dabei die Fäden in der Hand. Sie führte zunächst eine Online-Umfrage durch, ob die bayerischen Beamten lieber in Grün oder Blau eingekleidet werden wollen. Die Mehrheit entschied sich für Blau. Die Bayern haben aber nicht einfach die Uniformen der anderen Bundesländer übernommen, sondern eine eigene Kollektion entworfen. Eine erste Abstimmung ergab, dass als Grundlage die Dienstkleidung der österreichischen Polizei verwendet werden soll, ergänzt durch Uniformteile aus Sachsen-Anhalt (Mützen und Pullover) sowie der Bundespolizei (Strickjacken). 500 ausgewählte Polizisten trugen diese Uniform versuchsweise ein Jahr lang und testeten die Tauglichkeit im Einsatz. Dabei kam es auch auf Kleinigkeiten wie genügend Taschen für alle Utensilien – bis hin zum Kugelschreiber – an. Der Schnitt musste der Form des weiblichen Körpers angepasst werden, damit im Gegensatz zur alten Kollektion auch bei den Beamtinnen die Uniform gut sitzt. Moderne Fasern wurden verwendet, um die Stoffe belastbar und funktionell zu machen. 27.500 uniformierte Polizistinnen und Polizisten in Bayern werden jetzt neu eingekleidet. Sind sie froh darüber, dass sie zukünftig nicht mehr in Senfgelb auf Streife gehen? Elizabeth Matzinger von der Pressestelle der Polizei München weiß, dass einige wenige Kollegen zwiegespalten sind. Sie befürchten, die Erkennbarkeit von Polizisten könne sinken, da inzwischen viele Institutionen wie etwa Sicherheitsfirmen ihre Angestellten ebenfalls in Dunkelblau einkleiden. Insgesamt freut sich die bayerische Polizei aber über die modernere und schickere Dienstkleidung. Ab März werden die Uniformen in München ausgeliefert. Es wird aber bis zu 18 Monate dauern, bis alle Dienststellen in ganz Bayern versorgt sind. Die Kollegen, die der alten Uniform hinterhertrauern, können sie nach der Umstellung behalten – müssen natürlich dafür sorgen, dass sie nicht missbräuchlich genutzt wird. Der abgegebenen Uniformen nehmen sich die Barmherzigen Brüder an. Sie fertigen aus den Stoffen limitierte Taschen, Turnbeutel und Yogakissen. Die Entwürfe sind ab Herbst 2017 erhältlich, können aber schon jetzt unter 110-shop.de bewundert werden. Wir danken der Pressestelle der POLIZEI MÜNCHEN für ihre Mithilfe!


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Weißwürschd, Lederhosen und das beruhigende Rauschen der Isar: München ist ein Traum von einer Stadt. Aber weil München nicht München wäre ohne eine ordentliche Portion Grant, lässt curt-Redakteur Sebastian Klug (bairisch: „Waschdl“) an dieser Stelle in jeder Ausgabe einmal so richtig den Grantler raus und zeigt auf, was schiefläuft in der Landeshauptstadt und im Rest der Welt. Diesmal geht es um die Fleischwerdung von Klischees, denen wir uns bereitwillig hingeben – und aus denen wir dennoch selbst wieder herauskommen können. TEXT: SEBASTIAN KLUG // ILLU: TOBI HAMMERBACHER

SCHUBLADEN HABEN INNEN KEINEN GRIFF Wir leben in einer freien Welt, könnte man meinen. Weder Staat noch Kirche noch die Mami (zumindest bei den meisten) schreiben uns vor, was wir zu tun und zu lassen haben. Wir können im Winter ins Open-AirKino gehen, die FDP wählen, zu kurze Karottenjeans mit Barfußsöckchen tragen, David Guetta hören, vegane Schnitzel essen und andere Idiotien praktizieren, ohne dass uns jemand daran hindert oder wir dafür bestraft werden. Na ja, fast. Weil so schlau und frei wir sein mögen, so deppert sind wir auch. Seitdem uns besagte Instanzen nämlich in Ruhe lassen, sind wir es selbst, die wir uns gegenseitig das Leben zur Hölle und unser Handeln zur Belastung unseres eigenen Seins machen. Wir stecken jeden, bei dem es auch nur ansatzweise passt, in Schubladen: die Ökos, die Hippies, die Yuppies, die Muttis, die Hipster und die Banker. Schublade zu und fertig.

Was jedoch noch viel schlimmer ist: Wir lassen uns für unser Leben gerne in eben diese Schubladen hineinstecken und arbeiten aktiv daran mit, dass wir auch möglichst gut hineinpassen in den jeweiligen Imagesarg. Wir ergeben uns dem Klischee und perfektionieren es mit heißem Bemühen. Haben wir im Studium noch Ravioli gefressen und unsere Lieblingsbiermarke nach Preis ausgewählt (ja, auch ein Klischee, aber ein romantisches), suchen wir heute im Feinkostregal nach Rinderbrühe aus biologisch-dynamischem Wagyū-Rind und diskutieren allen Ernstes darüber, ob Veuve Clicquot im Vergleich zum Moët nicht doch etwas zu staubig schmeckt in den letzten Jahrgängen. Wir wählen zwar gerne noch die Grünen, fahren aber im BMW-Hausfrauenpanzer zum Biomarkt („Das ist schon in Ordnung, der hat EfficientDrive.“). Wir kaufen unsere T-Shirts in der Manufaktur („Die Ausbeutung in Sri Lanka mach ich nicht mehr mit, ehrlich! Da kauf ich lieber local.“), unsere überknielangen Lederhosen-


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darstellungsversuche sind jedoch aus billigster afrikanischer Springbockhaut mit jeder Menge hochgiftiger Gerbstoffe gefertigt – weder bio noch „boarisch-local“. Und nein, hier geht es diesmal nicht um den Widerspruch, sondern um die Schublade. Der Gourmet. Der SUV-Fahrer. Der Gewissensshopper. Wir könnten es vermeiden, wir könnten zu unseren Grundsätzen stehen und trotz sechsstelligem Jahresgehalt U-Bahn fahren. Spezi trinken statt Schampus spendieren. Schweinenacken fressen statt Kobe-Filet. Aber nein, wir drücken uns selbst den Kopf immer tiefer in den Sumpf des Klischees und versenken uns mit unserer gesamten Existenz in einer Schublade, die wir dann von anderen zuschieben lassen. Als wir unser erstes Kind bekommen haben, hatte ich Angst. Nicht nur vor der Verantwortung, den schlaflosen Nächten und dem Gefühlschaos (alles berechtigt übrigens), sondern vor allem auch vor dem, was unsere Freunde jetzt von uns denken. Schreiben sie uns jetzt ab? Sind wir jetzt die Biogemüsekäufer? Die Kindersitzinhaber? Die Sandkastenstammgäste? Wir sind es. Natürlich. Natürlich pumpt man sein Kind ungern mit Pestiziden voll, selbst wenn man bei sich selbst keine allzu großen Ängste davor hegt. Natürlich besitzt man einen Kindersitz, wenn man Auto fährt. Und natürlich verbringt man mehr Zeit auf Spielplätzen statt in Eckkneipen, was schade ist, aber für alle Beteiligten von Vorteil. Das macht uns jedoch nicht automatisch zum Klischee. Zum Klischee werden wir erst, wenn wir uns so sehr in den Gegebenheiten suhlen, bis wir unsere Individualität aufgegeben haben. Erst, wenn wir nicht mehr Genießer, sondern Opfer der Typologien geworden sind, die man auf uns anwendet.

Ich liebe Klischees. Ich liebe es, mich über die Preißn zu mokieren, über die Hipster, die Werber und die ehemals aufgeklärten Akademikerinnen, die heute zu den Prosecco-Fräuleins ihrer dienstreisenden Erfolgsgatten mutiert sind. Doch ich bemühe mich, ihnen immer die Chance zu geben, aus ihrer Schublade herauszukrabbeln. Denn Schubladen haben zwar innen keine Griffe, aber sie haben einen dünnen Schlitz über der Schubladenfront, und durch den kann man sich bemerkbar machen. Über den kann man mit seinem Klischee brechen, sich freischwimmen und sich vom Schubladenkretin zum Individuum erheben. Nur wenn’s nach mir geht: den SUV sollte man abgeben. Den Stempel bekommt man sonst nur sehr schwer los.


DER   LADEN  FÜR


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TEXT: CLAUDIA PICHLER // FOTOS: MÜNCHNER LACH- UND SCHIESSGESELLSCHAFT

In Sachen Kabarett führt in München kein Weg an Schwabing vorbei. Mit Lustspielhaus, Vereinsheim und Heppel & Ettlich ist das Viertel um die Münchner Freiheit das Epizentrum sozialkritischer Unterhaltung, prominent angeführt von der Münchner Lach- und Schießgesellschaft in der Ursulastraße, Ecke Haimhauserstraße. Auf eine über 60-jährige bewegte Geschichte blickt die Münchner Institution zurück, sie ist Geburtsstätte und Heimat zahlreicher Kabarettgrößen und -legenden.

Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft ist nicht nur der Name des Kleinen Theaters in Schwabing, das mit seinen knapp 130 Plätzen seit Anbeginn für kuscheligste Atmosphäre sorgt. Sie steht auch immer für das jeweilige Hausensemble. Mit den „Lach und Schießern“ wurde das Kollektiv-Kabarett in München etabliert und zu größtem Ruhm geführt. Am 12. Dezember 1956 feiert das erste Ensemble um Ursula Herking, Dieter Hildebrandt, Hans Jürgen Diedrich und Klaus Havenstein mit „Denn sie müssen nicht, was sie tun“ Premiere. Das Programm unter der Regie von Sammy Drechsel, begleitet von Fred Kassen am Klavier, ist der Start einer Reihe von Kabarett-Produktionen, die sich kritisch mit den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in der Bundesrepublik auseinandersetzen. 1956 wird die allgemeine Wehrpflicht beschlossen, der Bundesnachrichtendienst nimmt in der ehemaligen SS-Kaserne Pullach seine Arbeit auf, der Wirtschaftsboom beschert die erste große Welle italienischer Gastarbeiter, der amtierende Bundeskanzler Adenauer wird 80 und die Tagesschau geht fortan werktags auf Sendung. Die jungen Künstler um Dieter Hildebrandt – der Zeit seines Lebens mit dem „Laden“ identifiziert werden soll – haben allerhand Stoff für ihr satirisches und humoreskes Programm. Klaus Peter Schreiner prägt über Jahre die Lach und Schieß als Autor. Bis 1972 entstehen so jährlich neue Programme, wobei die Kernthemen Wieder-bewaffnung, atomare Aufrüstung und vor allem die verweigerte Aufarbeitung der NS-Zeit durchwegs bestimmend bleiben. Von der Presse wird die neue Qualität der Lach und Schieß sofort erkannt, auch ihr Münchner Publikum, das vor allem ein bildungsbürgerlich-intellektuelles ist, liebt die kontroverse Truppe bald. Zur Institution wird der „Laden“ allerdings durch die jährlichen Fernsehübertragungen. Schon das erste Programm wird 1957 ausgestrahlt, später etabliert sich die Sendung „Schimpf vor zwölf“ immer an Silvester in der ARD. Die Reichweite und Resonanz waren durch zunächst nur wenige Stunden Fernsehprogramm auf nur einem Sender (in der 60ern kommen das zweite und das dritte Programm dazu) natürlich enorm.


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Plötzlich bundesweit bekannt, gehört für München-Besucher die Stippvisite in der Ursulastraße genauso dazu wie ein Abstecher in die Frauenkirche. Die Bekanntheit wird durch die fleißige Reisetätigkeit des Ensembles stetig unterstützt. Sobald ein Programm in München einige Wochen – vor meist vollem Haus – gezeigt wurde, bereist die Kabaretttruppe den deutschsprachigen Raum. Die Lach und Schieß steht für urbanes, intellektuelles Kabarett, vergleichbar über Jahrzehnte nur mit ihren Pendants in Berlin (Distel), Düsseldorf (Kommödchen) oder Leipzig (Pfeffermühle, Akademixer). Hier opponiert man gegen das saturierte Bürgertum, dass es sich nach dem Wiederaufbau im neuen Wohlstand gemütlich macht, gegen bornierte Spießigkeit, gegen den Parteienfilz insbesondere um den Lieblingsfeind Franz Josef Strauß und gegen das gesellschaftlich tolerierte kollektive Verdrängen der deutschen Vergangenheit. Immer wieder schafft es die Schwabinger Institution, sich künstlerisch neu zu erfinden; die Programme spiegeln über all die Jahre die gesellschaftliche und politische Entwicklung in Deutschland wider. Das Erstarken der Außerparlamentarischen Opposition in den 60ern, der Regierungswechsel zur sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt 1969, die zunehmende Bedeutung von Europa und der Globalisierung, die deutsche Wiedervereinigung, die Asylfrage – das sind nur wenige Beispiele bedeutender Einschnitte, welche die Lach und Schieß kabarettistisch begleitet. Diese Entwicklung bleibt freilich nicht frei von Erschütterungen. Künstlerisch-persönliche Querelen stören immer wieder das Ensemble-Klima, das Aufkommen neuer Humorformate wie Comedy und vor allem die mediale Inflation, die Kabarett, Kleinkunst und Satire allgegenwärtig verfügbar hält, sind echte Herausforderungen für die altehrwürdige Form des Kabaretts. Allen Hürden zum Trotz existiert die Lach- und Schießgesellschaft heute immer noch und belebt Schwabing. Seit 2001 führt der Passauer King of Kleinkunst, Till Hofmann, die Geschicke im „Laden“. Nach einer Pause von vier Jahren wird 2015 auch die Tradition des Hausensembles fortgeführt: Caroline Ebner, Norbert Bürger, Sebastian Rüger und Frank Smilgies bespielen seitdem den „Laden“ mit ihrem Programm „Wer sind wieder wir“ und nähren die Hoffnung, dass Ensemble-Kabarett auch im 21. Jahrhundert noch wunderbar funktioniert und gebraucht wird. Das weitere Programm der Lach- und Schießgesellschaft wird von diversen Gastspielen gestaltet und stellt sich als Mischung aus alten Hasen wie Sigi Zimmerschied, Henning Venske oder Lisa Fitz sowie jungem Gemüse wie Matthias Ningel oder Simon & Jan dar. Die Wände des traditionsreichen Theaters zieren Dieter Hanitzschs Karikaturen all der Hausheiligen, welche die Lach und Schieß geprägt haben und genauso von ihr geprägt worden sind, darunter zum Beispiel die beiden langjährigen Ensemble-Mitglieder und Autoren Jochen Busse und Bruno Jonas oder Werner Schneyder, der österreichische Kabarettist und Bühnenpartner von Dieter Hildebrandt. Der kleine Raum ist aufgeladen von seiner bewegten Geschichte. Bei ausverkauftem Haus hat der Besucher nicht nur das Gefühl, seinem Nachbarn auf dem Schoß zu sitzen, sondern sieht eben auch jede Regung, jede Schweißperle des agierenden Künstlers. Wer hier auf der Bühne steht, der muss wirklich bestehen. Im „Laden“ gibt es sie eben noch: die echte Kleinkunst. ► lachundschiess.de


DIE WÄNDE DES TRADITIONSREICHEN THEATERS ZIEREN DIETER HANITZSCHS KARIKATUREN ALL DER HAUSHEILIGEN, WELCHE DIE LACH UND SCHIESS GEPRÄGT HABEN UND GENAUSO VON IHR GEPRÄGT WORDEN SIND.


ÄIKÀFFÀ

Was ist schon typisch München? Die Münchner gehen mit der Zeit. Traditionelles wird neu interpretiert, Trends werden aufgegriffen und das Thema Nachhaltigkeit rückt in den Fokus. Auf unserer Shoppingtour durch München haben wir typisch Untypisches entdeckt.

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TEXT: ADRIAN LEEDER

SUCHTGEFAHR Während Marihuana seit Kurzem auf Rezept erhältlich ist, wird in Giesing schon länger ganz legal mit CRÄCK gedealt: feinster Stoff für richtig geile Salatund Backtrips. ► craeck.de

RICHTIG ABHÄNGEN Egal wo, egal mit wem: Wer richtig abhängen will, kommt an den ultraleichten wie ultrastarken Hängematten aus Fallschirmseide nicht vorbei!► de.we-hang.com

ZÄHNEPUTZEN FÜR DIE UMWELT: TIO krempelt die Zahnpflege in Sachen Umweltschutz mächtig um. Das Münchner Startup lässt in Deutschland Bürsten aus veganem Biokunststoff produzieren. Ein Nachhaltigkeitsplus gibt’s für den austauschbaren Bürstenkopf. Plastikmüll ade! ► tiocare.com

EIN HERZ FÜR HOLZ Der innovationsgetriebene Designer Sebastian Thies setzt in 6. Generation die Schuhmachertradition der Familie fort. Seine futuristischen High-End-Sneaker begeistern Fans weltweit und uns ganz besonders das Modell „Wooden Cube“: aus nachhaltig angebautem Holz und von Hand in einem kleinen italienischen Familienbetrieb gefertigt. ► nat-2.eu


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FOTO: STEFAN HERX

MUNICH GIN FEELING Wer hätte es gedacht? Ein ganz erlesenes Tröpfchen Gin kommt aus Pasing. Unser Urteil: Feelt sich richtig guad an im Abgang! ► feel-gin.de

COOL KID Das Münchner Kindl – ziemlich stylisch und hip. Das beweisen die Jungs von Cru:zfx. Auflage: 500 Stück, Preis: 60 € ► cruzfx.de

GOODBYE STANDARD Handveredelte Karten mit ordentlich Glitzer und bairischen Wort-Schmankerln gibt’s bei Striezi und in gut sortierten Souvenirläden. ► striezi.com

DELIZIÖS! Martins Müsli ist bio, vegan, glutenarm und verzichtet völlig auf Zusätze von Zucker, Weizen, Nüssen und Zusatzstoffen. Die Basis sind Chufas, fein gemahlene Erdmandeln. Wie gesagt, deliziös! ► martinsmuesli.de

LOOK WHO'S BACK! Laut Trendforschung ist der deutsche Dackel wieder voll im Trend. Uns genügen die kuscheligen Plüsch-Vierbeiner aus Geretsried von Förster Stofftiere. ► foerster-stofftiere.de IMMER EINEN BESUCH WERT Der Atelierladen von Siebenmachen am Ostfriedhof bietet Kunst, Kleidung und viel Handgemachtes in kleinen Auflagen für ein schönes Zuhause an. ► siebenmachen.de

FOTO: ADRIAN LEEDER


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BASTELN MIT

BIER VOM PANSCHEN UND VEREDELN EINER EWIGEN LIEBE

Mit Bier spielt man nicht. Und genau deswegen labten wir uns letztes Jahr bierselig wie nie an 500 Jahren Reinheitsgebot. Das Gebot der Gebote ist unser höchstes und Traditionen, die wollen gern gewahrt bleiben. Doch handelt es sich bei allem Segen nicht auch um einen kleinen Fluch, mit dem die Liebe zu unserem flüssigen Gold belegt ist? Während wir uns am verblichenen Augustiner-Tattoo kratzen, schleicht sie sich hin und wieder ein, die Sehnsucht nach Abwechslung. Also Zeit, den Blick vom Radler abzuwenden und einzutauchen in die vielen Möglichkeiten, die Moderne und Tradition für durstige Abenteurer bereithalten. Auf der Suche nach neuen Geschmäckern warfen wir einen Blick in die Oasen zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein können. Während wir in Freising Urlaubsfeeling in die Boazn brachten, ließen wir am Sendlinger Tor das Bier zwischen die Zeilen edler Cocktail-Rezepte fließen. Cheers & Prost!

TEXTE UND FOTOS: PETRA KIRZENBERGER UND TIM BRÜGMANN


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ZU BESUCH BEIM BOAZN-KÖNIG

MEI, HOB I AN DURSCHT! Es ist ein alter Brauch und der Bayer liebt es: das Trinken aus großen Gläsern. Als ich als Exil-Ösi Ende der 90er in einer Münchner Kneipe ein kleines Bier bestellte, wurde ich glatt ausgelacht: „Bei uns gibt’s koa Hoibe net!“, ließ der Kellner verlauten und knallte mir eine absurd große Vase voller Bier hin. Ebenfalls keine halben Sachen machte BoaznExperte MAX BILDHAUER, als wir ihn baten, interessante Mischgetränke nach mehr oder weniger bayerischer Tradition für uns zusammenzustellen. In den vergangenen Jahren tourte Max zwecks Recherche und Lesungen seiner Bücher-Reihe „Munich Boazn“ durch Giesing, Sendling und die Isarvorstadt. Heute trifft man ihn am ehesten im „Furtner Bräu“ in Freising an. Oder eben in seiner hauseigenen Boazn. Dort durften wir ihn besuchen und waren mehr als gespannt auf das angekündigte 3-GängeMenü im Großgebinde.

Als Aperitif wurde direkt ein echter Klassiker gereicht: das vielerorts fast vergessene RÜSCHERL. Zwar in kleinem Glas, dafür stilecht mit Asbach und Cola in liebevoll-unaufwendiger Art für uns gemischt. Max’ Regel: Beim Anprosten das Rüscherl am unteren Rand greifen, einen Buckel machen und kichern wie eine Hexe. Gesagt, getan: Zack und Prost, die Erste.

Der zweite Gang: ein herrliches Gepansche namens STIERBLUTMASS, überliefert vom Zottl aus dem „Furtner Bräu“. Man fülle einen Maßkrug mit reichlich Eis, Rotwein (gerne aus dem Tetra-Pack, wobei „Vino“ und „rosso“ die einzigen Qualitätsstandards sein müssen), Kirschlikör, Asbach nach Belieben und etwas Cola. Das Auge trinkt bekanntlich mit: Eine Bio-Zitrone erfüllt ihren Zweck als Deko-Element. Voilà! Auch dieser bayrische „Cocktail“ kommt ganz ohne Bier aus und macht sich ausnehmend gut im Maßkrug. Wir nennen es „ein Stück Italien, das an Spanien erinnert“, und finden, dass Stierblut ganz vorzüglich schmeckt zur deftigen Brotzeit mit Leber- und Mettwurst, Radieserl und Kas. Zack und Prost, das zweite Glas.


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MAX BILDHAUER

Wir hatten uns bereits auf der Hinfahrt mit Volksmusik und Titeln wie „Mei, hob i an Durscht“ und „Durst, Bier, Blasmusik“ eingestimmt, nun drehte ein Sampler mit Musik von bayrisch/österreichischen Gipfelstürmern seine Runden auf dem Plattenteller und sorgte gemeinsam mit der Stierblutmaß für ausgelassene Stimmung und rote Wangen.

Aber einer geht noch und so ging es an den Empfang der Königin: die SCHNEEMASS, die uns schon auf Max’ Lesereise in ihren schaumigen Bann gezogen hat und die hier keinesfalls fehlen darf! Das Rezept hat Max aus dem Maibaumstüberl in Untergiesing mitgebracht. Die Zutaten sind so einfach wie plausibel: ein Maßkrug-Auge Korn, sechs Kugeln Vanilleeis (Let it snow!) und reichlich Zitronenlimonade (Vorsicht: Schäumt wie verrückt!) verleihen dieser bahnbrechenden Kreation ihre noble Blässe und die Anmutung einer fluffigen Wolke – die reinhaut wie eine Lawine. Fröhlich talwärts fahrend, war unsere Lebensfreude bis tief in die Nacht zu hören. Tsagg un Prosss – die Schönste!

Die Goaßn-Maß als geliebt-gehassten Klassiker und viele andere Mischgetränke aus Boazn und Wirtshäusern der Region haben wir diesmal ausgelassen. Was treibt uns nur zu solch rabiaten Rezepten? Nostalgie? Fernweh? Oder schlicht der – meist jugendliche – Wunsch, sich schnell und billig zu betrinken? Sicher ist: Uns schmecken die eigenwilligen Kreationen, wenn wir mit Freunden am Tisch sitzen, uns lachend auch ein wenig ekeln – und es trotzdem trinken! Wer sich nicht traut, seine Trinkfestigkeit auf diese Art zu testen, der bestellt in der Boazn einfach ein Bier und hofft, dass wir an diesen Orten noch lange Freude haben.


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EIN KULTURGUT AUF REISEN

BRAUCHT’S DES? Aloisius schlägt beim Gedanken, Bier zu mischen und in kleinen Gläsern zu servieren, die Hände über dem Kopf zusammen. Dabei ist Bier im Cocktail zwar ungewohnt, aber weiß Gott kein Fauxpas. Vielfältige Braustile, der Siegeszug des Craftbiers und seine unverwechselbare Aromatik eignen sich hervorragend als Bestandteil außergewöhnlicher Kreationen. Und so machen einige Cocktailians längst keinen Hehl mehr aus ihrer Liebe zum Gerstensaft. Einer von ihnen ist MARCO BAIER, Mastermind hinter dem Barkonzept des Tagescafés PATOLLI am Sendlinger Tor, das allabendlich zu einem der empfehlenswertesten Pilgerstätten der Stadt für flüssige Arrangements avanciert. Auch wenn sie nicht zum Standardrepertoire der stilvoll modernen Bar gehören, präsentiert uns Marco ausgewählte Kreationen, bei denen Hopfen und Malz dezent im Hintergrund glänzen.

Dem ersten Gang verleiht ein Craftbier seine spritzige Note. IPA, Tequila und Dry Curaçao verdichten sich mit einem kleinen Zweig Thymian zu einem ungeahnt geschmackvollen Einstieg. Nase und Zunge stehen arbeitend zusammen, während ROSIE’S JUICE (Lidkoeb Bar, Kopenhagen) Vorbote unserer Vermutung ist, dass Bier nicht nur im goldumrandeten Willibecher Freude macht.

Flugs wagen wir uns nach Kuba und huldigen den klassischen Zutaten des Inselstaates, wobei wir im Herzen dahoam bleiben, denn Rum, Limettensaft und ein wenig Honig genießen die Anwesenheit eines klassischen Hellen. Garniert wird der CUBANO HIGHBALL (Willie James Bar, Frankfurt a. M.) mit einem gedörrten Orangenrad. Die Geschmacksknospen schnurren, wobei sich dieser Highball als spannender Sommerdrink entpuppt.


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Danach rieselt es BLOOD & SAND (Altamarea Group, New York). Namentlich an den Film „König der Toreros“ von 1922 angelehnt, besteht dieses Feuerwerk zu gleichen Teilen aus Whisky, Orange, rotem Wermut und Kirschlikör. Letzteren ersetzen wir durch blutroten belgischen Kriek, eine Bierspezialität aus Sauerkirschen, während ein sandfarbener Orangenespuma die Krone liefert.

Zum Grande Finale färbt sich ein filigranes Glas dank etwas Irish Stout pechschwarz, ehe unser Gastgeber das funkelnd helle Kleid des Perrier-Jouët mit ruhiger Hand in die dunkle See taucht. BLACK VELVET (Brooks’s Club, London) lauten Marcos abschließende Worte. Ein kühles Helles ist durch nichts zu ersetzen, doch die vorgestellten Kreationen im Zusammenspiel mit verschiedensten Bierstilen haben gezeigt, dass Bier im Cocktail sicher nicht den Segen des Aloisius erfährt, man dank seiner Komplexität und Vielfalt jedoch in jeden Fall eine aufregende Komponente in ihm findet.

Die Cocktails im Patolli, ob kunstvoll oder klassisch, wissen darüber hinaus zu überzeugen. Unter Tags werden ausgesuchte Kaffeeröstungen, Paninis und Süßes genossen, ehe sich Liebhaber in den Abendstunden auf ein Barkonzept freuen, das ohne hohes Näschen durch die Qualität seiner Zutaten glänzt, oder vielmehr brennt. Nicht nur Klassiker, auch etablierte Eigenkreationen sowie monatlich wechselnde Ausflüge in extravagante Gefilde werden mit hausgemachten Sirups und einem Blick fürs Detail veredelt. Die Atmosphäre des Patolli ist wohltuend unaufgeregt. Die aufmerksame Beratung lädt zum Probieren ein und ist nur ein Grund, um genau hier in hochwertig Hochprozentiges zu investieren. Ein Bierchen darf natürlich genossen werden, wobei regelmäßige Jazz-Nächte, ein guter Gin & Tonic oder erlesene Whiskysorten einen die Zeit vergessen lassen. Einen Toast auf das Patolli, den Spaß im Glas und alles Schöne drum herum! ► patollis.de

Marco Baier ist nicht nur im Patolli (Sendlinger Straße 62) für eure liquid needs zur Stelle. Zusammen mit „Mixology“, dem Magazin für Barkultur, zückte er für die bisher in drei Bänden im Tre Torri Verlag erschienene Reihe „Cocktalian“ seine Feder.


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KONZERTE TEXTE: MIRJAM KARASEK

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SHOEBALEADER ONE | STROM Squarepusher und seine Band Shobaleader One kommen gewohnt gewandet in schwarzen Kutten mit blinkenden LED-Leuchthelmen. Nicht minder abgefahren ihr Sound: ein frenetischer Mix aus Fusion Jazz, Funk und Electro. Für Fans wilder Funkmönche ein Must-go!

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BILDERBUCH | ZENITH Das superlässige Austro-Pop-Karussell dreht die nächste schwindelerregende Runde. Der Nachfolger „Schick Schock“ wurde „Magic Life“ getauft und – ganz klar – die neuen Songs kann curt schon jetzt auswendig. Ich glaube, das ist Sweetlove, sweet sweet love!

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CHARLIE CUNNINGHAM | GASTEIG Singer/Songwriting und sein vom spanischen Flamenco beeinflusstes virtuoses Akustikgitarrenspiel machen ihn einzigartig. Wen wundert’s, dass seine letzten beiden Solo-Tourneen ausverkauft waren. Heuer kommt er erstmals mit Unterstützung von Percussion und Electronica.

WIR VERLOSEN FÜR JEDES KONZERT JEWEILS 3 X 2 KARTEN! ALLE GEWINNSPIELE FINDET AUF CURT.DE/MUENCHEN


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DISCO ENSEMBLE | FEIERWERK „Afterlife“ heißt ihr neues Album. Dabei ist das finnische Quartett so lebendig wie vor 20 Jahren. Punkrock, klassische Rock ’n’ Roll-Rhythmen, Post-Hardcore und Indierock halten offensichtlich jung. Maximaler E-Gitarren-Krach gepaart mit hymnischen Melodien. Let the „Disco“ begin!

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TEMPLES | STROM Heiße Sache: Bereits mit ihrem Debüt „Sun Structures“ ging es für die Briten steil Richtung Top. Mit „Volcano“ legt die Band noch eine glühende Scheibe obendrauf. Smarte Boys im 60s-Look präsentieren Psych-Rock-Sound der Meisterklasse.

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CLASS ACT FESTIVAL | FEIERWERK Live Electronic Festival: zuerst der DIY SYNTH & FX WORKHOP zum Selberbasteln, dann ein mächtiges Soundgewitter aus live produzierten elektronischen Sounds zum Abtanzen, u. a. mit A Guy Called Gerald, DMX Krew und der Ceephax Acid Crew. All live! All danceable!

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TALISCO | AMPERE Schwermut kann auch leicht, luftig und elektrisierend klingen – zumindest bei Jérôme Amandi aka Talisco. Seit seinem Debüt „Run“ von 2014 hat sich der Franzose in der Electro-Folk-Ecke zu Recht seinen eigenen Stammplatz erobert – auch wenn er gar nicht gerne stillsitzt.

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GOGO PENGUIN | STROM Stilmix ist genau ihr Ding. Das mit dem Mercury Prize ausgezeichnete Trio macht sein Ding und frickelt sich aus Jazz, Klassik und Electronica einen ganz eigenen umwerfenden Sound zusammen. Der derzeit heißeste Act der jungen britischen Jazz-Szene!

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WILLIAM MCCARTHY | FEIERWERK Er hat viel zu erzählen: von seiner Zeit als Sänger und Gitarrist der Augustines, von seinen Motorradreisen rund um die Welt, von den Höhen und Tiefen seines Lebens. Und er ist ein begnadeter Musiker. Deshalb: Sputet euch! Auf seiner letzten Solo-Tour waren die Shows ausverkauft.

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CANDELILLA | MILLA Vier Münchnerinnen experimentieren in Sachen Musik, sozusagen eine Suche mit offenem Ausgang. Deshalb tragen ihre Songs auch keine Titel, sondern werden durchnummeriert. Im Milla laden die Damen zur „Camping“-RecordRelease-Show.

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GONJASUFI | FEIERWERK Sperrig und krude wie gewohnt und doch anders: Mit seinem neuesten Opus „Callus“ hat Meister Sumach Valentine aka Yogi Gonjasufi ein tiefschwarzes Gewebe aus Leiden und Drangsal auf Vinyl gepresst. Wegbegleiter auf seiner Tour der Qual ist The-Cure-Gitarrist Pear Thompson.


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ESBEN & THE WITCH | MILLA Ein schaurig-schönes Märchen aus Dänemark war Namensgeber der Band. Passt wie Hexe zu Besen, fühlt sich das britische Trio doch gerade im Dunkel-Dramatischen zu Hause. Passend, dass bei der Beschreibung ihres Sounds Begriffe wie „Nightmare“ oder „Gothic Pop“ fallen.

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MIGHTY OAKS | MUFFATHALLE Die drei „mächtigen Eichen“ stehen zwar in Berlin, stammen aber ursprünglich aus England, Italien und den USA. Gut, dass sich die drei gefunden haben, sonst wäre die Welt um eine wundersame Verschmelzung von Folk, Pop und Singer/Songwriter-Balladen ärmer.

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CIRCA WAVES | FEIERWERK Die Band aus Liverpool war fleißig und meldet sich mit ihrem zweiten Player „Different Creatures“ zurück. Genau so, wie wir sie von ihrem Vorgänger her kennen: mit schweißtreibendem Garagensound und dem Merseyside-typischen Talent für poppige Melodien.

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CIGARETTES AFTER SEX | TECHNIKUM Eine neue Chance für alle, die bei der letzten Show draußen bleiben mussten: Wenn Greg Gonzalez aus El Paso, Texas, dann von den ganz großen Gefühlen singt, die Musik euch zärtlich umschmeichelt, ist eines gewiss: „Nothing’s Gonna Hurt You Baby“.

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SCIFI FESTIVAL | EINSTEIN KULTUR Das interdisziplinäre Team des Münchner SciFi Festivals ist wieder beam-bereit, um auf dem Kometen Einstein neue Welten zu erforschen. Künstler und Wissenschaftler dringen in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Intergalaktisch!

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LIANN | AMPERE Der junge Münchner Songwriter legt mit seiner zweiten EP „Goldjunge“ nach: eine poetische Reise durch die volle Dröhnung Leben. Auf der letzten curt-Feier hat Liann uns aus dem Stand verzaubert. Drum sind wir bei seiner ReleaseShow klar mit an Bord.

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SUMAC | FEIERWERK Ex-„Isis“-Shouter Aaron Turner, „Russian Circles“Bassist Brian Cook und „Baptists“-Drummer Nick Yacyshyn sind DAS Power-Trio in Sachen Doom-, Sludge- und Postmetal. Bereits ihr Debüt „The Deal“ von 2015 schlug ein wie eine Granate. Gnadenlos rohe und dreckige Apokalypse.

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BUILDINGS | FEIERWERK SUNNY RED Schön laut, aggressiv und derbe mag es das Trio aus Minneapolis. „Love, hate ... mostly hate. And pie“ nennen sie auf ihrer FB-Seite als Einflüsse, zu hören auch auf ihrem aktuell dritten Album „You are not one us us“. Punk – was willst du mehr?


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BOMBINO | STROM Verstehen wird ihn wohl keiner, wenn Omara Moctar alias Bombino in seiner Muttersprache Tamasheq singen wird. Begeistern wird er dafür alle, denn der Gitarrenvirtuose und Sänger aus dem Niger präsentiert einen aufputschenden Mix aus Tuareg-Musik, Blues und Reggae.

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JOHN K. SAMSON | AMPERE Seine Band The Weakerthans war, John K. Samson ist! Mit Ausrufezeichen, setzt der kanadische Musiker mit seinem zweiten Album „Winter Wheat“ doch ein weiteres prägnantes Statement in Sachen Indie-Sound. Irgendwo zwischen Melancholie und Gitarrenpoprock.

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SLEAFORD MODS | FREIHEIZ Monoton hämmernde Basslines und HassTiraden im markanten East-Midlands-Dialekt: Ein Konzert des Post-Punk-HipHop-Duos ist nichts für feinfühlige Romantiker. Prollig-poetisch, brachial, verbittert und voller Wut gegen Gott und die Welt.

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YASMIN HAMDAN | FREIHEIZ Mit den Soapkills gründete sie die erste IndieBand des Libanons und wurde zur Ikone des musikalischen Undergrounds. Heute ist sie eine der wichtigsten Stimmen des mittleren Ostens, eine Brückenbauerin zwischen traditioneller arabischer Volksmusik und modernem westlichem Pop.

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ÁSGEIR | STROM Der Multiinstrumentalist aus dem 40-SeelenDorf Laugarbakki auf Island meldet sich mit „Afterglow“ zurück. Wird auch Zeit: Statistisch gesehen hat jeder 10. isländische Haushalt sein Debüt „Dýrð í dauðaþögn“/„In the Silence“ im Schrank. Jetzt wird der Rest versorgt.

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THE DEATH SOUTH | AMPERE Mandoline, Cello, Banjo, Akustikgitarren und mehrstimmiger Gesang, dazu viel Bart und Hut: Fertig ist der unverwechselbare Auftritt von The Dead South. Mit „Illusions & Doubt“ erfreut uns das kanadische Quartett ein weiteres Mal mit herzerfrischendem Bluegrass-Folk.

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BRITISH SEA POWER | STROM Brexit, Trump und populistischer Quatsch: Die Briten setzen dem ihr 6. Studioalbum als deutliches Statement entgegen. „Let The Dancers Inherit The Party“! „Vielleicht“, so ihr Kanon, „ist an diesem Punkt der Geschichte ein bisschen Klarheit kein Fehler.“

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KÄPTN PENG & DTVD | MUFFATHALLE Die „Expedition ins O“ ist beendet – höchste Zeit für das Kollektiv zur vertieften Erforschung der sieben Wortmeere, sich auf eine neue Reise mit viel Parantatatam zu begeben. Robert Gwisdek und Mannen verleihen Wahnsinn & Erleuchtung zauberschön verquere Wörter & Töne.

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PAUL KALKBRENNER | MUFFATHALLE Auf seinem Weg „Back To The Future“ stellte Paul Kalkbrenner seine Favourite-Rave-Classics als Mixtapes gratis ins Netz. Fazit: Die Tapes wurden rappzapp über 250.000-mal heruntergeladen, seine Shows sind ausverkauft. Aber: Wir haben noch Tickets für euch!

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CHRISTIAN LÖFFLER | AMPERE Zusammen mit MOHNA ist der Techno- und Electronica-Musiker aus Greifswald und Mitbegründer des Kölner Independent-Labels Ki Records auf Tour – mitsamt der am abgelegenen Ostseestrand entstandenen neue Stücke.

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THE DILLINGER ESCAPE PLAN | BACKSTAGE In Lichtgeschwindigkeit gespielte FrickelPassagen an der Gitarre und ohrenbetäubendes Geschrei, durchbrochen von loungigen JazzPassagen und poppigen Kopfstimm-Parts. Im Februar abgesagt, setzen die Mathcore-Gangster nun endlich das Backstage live in Brand.

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KILIANS | AMPERE Vor 10 Jahren debütierten die Indie-Rocker aus Dinslaken mit ihrem Album „Kill the Kilians“, verabschiedeten sich dann Ende 2013 wieder aus dem Musikgeschäft. Surprise! Mit ihrem neuen Album „Lines You Should Not Cross“ tauchen sie wieder auf der Bildfläche auf.

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MODDI | AMPERE Im Leben von Pål Moddi Knutsen dreht sich alles um Musik. Mit Herz und Verstand ist der Norweger Singer/Songwriter, tritt gegen jegliche Zensur von Musik ein. Auf „Unsongs“ hat er zwölf Songs zusammengetragen, die verboten oder indexiert waren oder bis heute sind.

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5 STERNE DELUXE | DACHAU Die Herzen schlagen schneller. Nach über zehn Jahren Pause meldet sich die Hamburger Band um Rapper Das Bo und Tobi Tobsen zurück: mit angekündigtem neuem Hip-Hop-Werk und obendrein live auf dem Dachauer Musiksommer. curt und „Die Leude“ freut’s, „Deine Mudder“ sowieso.

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DEVENDRA BANHART | MUFFATHALLE Auch Freaks werden älter. Schwamm Devendra Banhart Anfang der 2000er noch oben mit auf der „Weird“-Welle der neuen Blumenkinder, präsentiert er sich deutlich ruhiger. Der Titel seines neuen Albums indes klingt verquer wie eh und je: „Ape in Pink Marble“. Das Konzert wurde vom 4. April auf den 16. Juli verschoben.

TO BE ERGÄNZT AND CONTINUED ALLE PRÄSENTATIONEN FINDET IHR AUF CURT.DE/MUENCHEN



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Packt eure Koffer! Stolze 1.300 km schicken wir euch weg. Und zwar nach Frankreich auf das Monticule Festival. Ja, das ist weit. Aber hier passiert 5 Tage etwas ganz Zauberhaftes. Die Lage: Postkartenidylle – und ihr mittendrin! Stellt euch ein ehemaliges Landgut auf einem malerischen Hügel mitten in den Vor-Pyrenäen in Frankreich vor. Und jetzt haut da noch eine große Schippe Romantik und Idylle drauf. Voilà! Das ist der Austragungsort des Festivals. Ewige Warteschlangen vor miefigen Dixie-Klo-Kolonnen und ramschigen Getränkebuden existieren hier dank der Begrenzung auf 600 Tickets nicht. Die Musik: feinster Electro aus der ganzen Welt ► Auf dem Programm steht avancierte elektronische Musik. Sechs Labels wurden eingeladen und bespielen drei Bühnen mit den unterschiedlichsten Stilrichtungen. Gestresst von einer Bühne zur nächsten hetzen und trotzdem eine Band verpassen: Das passiert euch auf den Monticule Festival nicht. Die Auftritte der Künstler überlappen sich kaum.

TEXT: HENRIKE HEGNER

Das Essen: feinste Speisen aus der ganzen Region ► Das muss man den Franzosen lassen: Essen können die, es zubereiten, genießen und zelebrieren. Jeden Tag von 18  bis 20 Uhr gibt es ein vegetarisches Drei-Gänge-Menü. Und deswegen keine Musik. Schließlich soll jeder am Dinner teilnehmen können. Und natürlich werden auch die Fleischliebhaber bedacht und liebevoll begrillt. Ehrensache, dass hier nur Speisen aus der Region den Gaumen kitzeln. Das Rahmenprogramm: Bereicherung statt Selbstzerstörung ► In München schafft ihr es nie zum Yoga und Malkurse wolltet ihr doch auch immer besuchen? Und mehr über Astronomie erfahren? Wir sagen es doch: Reist zum Monticule-Festival – da schafft ihr das endlich mal alles. Sonst schiebt eine ruhige Boules-Kugel beim Pétanque et Pastis – oder setzt euch einfach an den riesigen Pool oder die Cocktail-Bar mit Klippen-Blick und macht, was ihr sonst auch nie schafft: einfach mal nix! Für manche Dinge lohnt es sich eben, stolze 1.300 km zu reisen. ► monticulefestival.com Wir verlosen 1 x 2 Festivaltickets inkl. Camping: Die Ticketsverlosung findet ihr ab April auf curt.de/mue



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Schnappt euch ein Zelt, einen ausgeleierten Kapuzenpulli und ab nach Ostflandern! 800 km nordöstlich von München liegt das Städtchen Zottegem. Ein unaufgeregter Ort mit knapp 26.000 Einwohnern, der dieses Jahr zum 13. Mal das feinste Festival in Sachen Postrock, Postmetal, Sludge, Doom, Drone, Ambient und Neo Classical ausrichtet. Was 2005 als eine Art Ersatz für den Benefiz-Abend des lokalen Basketballteams begann, zählt nun zu den Geheimtipps der Szene: Das dunk!Festival wurde Jahr für Jahr etwas größer und professioneller, hat dabei aber nie seinen Charme verloren. Es wird seit jeher von der Familie Lievens, vielen Freunden, Nachbarn und freiwilligen Helfern aus eigener Kraft und Liebe zur Musik gestemmt. Neben der Orga und Umsetzung des Festivals betreiben die Lievens das Label dunk!records und eröffneten im Februar den dunk!records Plattenladen in der 29 km entfernten Stadt Gent. Das Nischenfestival wagt Anfang Oktober erstmals den großen Schritt über den Atlantik und veranstaltet dunk!USA in Burlington, Vermont. Die Lage: Das Gelände befindet sich im Jeugdheem De Populier, einem Jugendzentrum mitten in der Pampa bei Zottegem. Pferde grasen unweit vom Zeltplatz. Irgendwo kräht ein Hahn. Es gibt richtige Duschen und Klos. Und Kaffee for free. Immer.

TEXT: MELANIE CASTILLO

Die Musik: Eine ausgewogene Mischung aus sorgfältig ausgesuchten, unentdeckten Perlen und absoluten Highlights aus der Szene. In den Wäldern gibt's Special Liveshows. Manchmal auch mit Surprise Acts. Das Essen: Hausgemacht von Familie und Freunden, die nicht nur regionalen Speisen zubereiten, sondern dann auch mal mit einer Riesenpaella (auch vegetarisch) à la Villarriba und Villabajo ums Eck kommen. Oder die belgischen Pommes de luxe von den Fries-Boys, die dokumentieren, wie viele Hunderte von Kilos Kartoffeln sie schon frittiert haben. Und das nahrhafte belgische Bier natürlich. Das Rahmenprogramm: Außer den unermüdlichen Fries-Boys, die nach dem letzten Konzert die Knöpfchen an ihren Apparten neben der Fritteuse drücken und die Abende trashig abrunden, ist nachts auf dem Zeltplatz Silentium. Nur das eigene Rauschen im Kopf. Herrlich. ► dunkfestival.be Wir verlosen 2 x 1 Festivaltickets inkl. Camping: Die Ticketsverlosung findet ihr ab April auf curt.de/mue



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TEXT: CHRISTOPH BRANDT // ILLU: KATHARINA KONTE

Seelenruhig sitzt der weinbrandt in einem großbürgerlichen Restaurant und lässt saturiert sein vorangegangenes Gelage sacken. Gezwungenermaßen ist er dabei Zeuge folgendes Szenarios: Am Nachbartisch ordert ein unsterblich verliebtes Pärchen eine Flasche Wein. Als der Ober andächtig die Pulle entschraubt und dem poussierenden Süßholzraspler galant einen Probeschluck feilbietet, nimmt das himmelschreiende Unheil seinen Lauf. Affektiert unterbricht der Möchtegern-Macker sein lockeres Umkleideraumgeplänkel. Statt seiner Herzensdame umklammert er nun sein Glas, um im selben Moment konfus damit herumzufuchteln. Anschließend hält er sich das fast schaumig geschüttelte Getränk unter seinen Riechkolben und beginnt es inbrünstig zu inhalieren. Zu guter Letzt nimmt der Eindruck schindende Universaldilettant einen kräftigen Zug. Nach schier endlosem Gurgeln, Schlürfen

TOD DEM PRÄTENTIÖSEN PROBESCHLUCK! und geräuschvollem Schmatzen verkündet er mit stolzgeschwellter Brust: „Welch widerliches Gesöff! Man bringe mir unverzüglich den 2016er Rüpelsheimer Nierentritt!“ „Das ist so was von typisch!“, echauffiert sich der stets penible weinbrandt im Stillen, dem bei einer solchen Schaumschlägerei gehörig der Kamm schwillt. Der Probierschluck ist keineswegs dazu gedacht, die Entscheidung für einen Wein zu revidieren, sondern dient vorrangig zur Prüfung der Temperatur und ob der Wein Fehler hat. Sollte man nach dem ersten Schnuppern unsicher sein, darf man den Wein ruhig einmal kurz im Glas schwenken und somit leicht belüften. Aber Achtung, wir sind hier schließlich nicht in der Chantré-Werbung und Wein ist auf keinen Fall besser, nur weil er mehr Umdrehungen hat! Daraufhin riecht man ein zweites Mal: Solange sich weder ein muffiger, noch ein modriger Ton erkennen lässt, nickt man dem Ober freundlich zu. Das war’s. Mit jedem Stück mehr wichtigtuerischem Gehabe macht man sich bloß unnötig zum Affen. Natürlich ist eine schlechte Beratung durch den Sommelier durchaus ein Grund, die

Flasche im Restaurant zurückgehen zu lassen. Wird beispielsweise ein Roter „ohne Barrique“ versprochen und der Wein enthält später aber eine unverkennbare Holz-Note, kann man ihn bedenkenlos reklamieren. DER WEINBRANDT RÄT: Nicht blamieren beim Weinprobieren! Möchte man dem Kellner partout signalisieren, dass man ein mit allen Wassern gewaschener Connaisseur ist, riecht man zunächst am leeren Glas, um zu prüfen, ob es nach Reinigungsmitteln duftet. Denn das machen nur die „echten“ Profis – wie eure Promillenz, der weinbrandt.



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JÜDISCHE KULTUR IN MÜNCHEN

Abseits der wohlbekannten Konzertsäle gibt es Perlen wie das Orchester Jakobsplatz München, kurz OJM, zu entdecken. Seit dessen Gründung in 2005 ist es ein fester Bestandteil der Münchner Kulturszene. curt hat mit DANIEL GROSSMANN, nicht nur Gründer, sondern auch Dirigent und Künstlerischer Leiter des OJM, gesprochen.

TEXT: MARGARITA SEREDA-WILDENAUER FOTO: FLORIAN JAENICKE


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Was hat Sie dazu bewegt, ein eigenes Orchester zu gründen? Ich bin 1978 in München geboren. Meine Eltern sind ungarische Juden, die meine Schwestern und mich zwar nicht religiös erzogen, uns aber die jüdische Kultur als eine prägende Tradition unserer Familie vermittelt haben. Als Jugendlicher hat es mich gestört, dass jüdische Kultur in München, ja in ganz Deutschland kaum sichtbar war. Verändert hat sich das mit dem Neubau des Jüdischen Zentrums am Sankt-Jakobs-Platz. Plötzlich war das jüdische Leben mitten in der Stadt angekommen. Als Musiker wollte ich mit meinen Mitteln dazu beitragen, diesen Ort mit lebendiger jüdischer Kultur zu füllen, die für jeden zugänglich ist. Dies war der Anlass, das Orchester Jakobsplatz München zu gründen. Worauf liegt Ihr Augenmerk bei der Förderung des zeitgenössischen Austauschs zwischen jüdischer und deutscher Kultur? Beim OJM spielen Musiker unterschiedlichster Religionen und Nationen. Jüdisch oder nicht-jüdisch ist kein Kriterium der Teilhabe. Zudem spielen wir nicht einfach „nur“ Konzerte. Es sind eher Projekte, die immer der inhaltlichen Idee folgen, Aspekte jüdischer Kultur im Hier und Heute sicht- und erlebbar zu machen. Austausch ist uns enorm wichtig, vor allem zwischen und mit dem Publikum. Aber ein Austausch zwischen deutscher und jüdischer Kultur würde streng genommen eine Trennung dieser beiden Kulturen bedeuten. Wir begreifen jüdische Kultur als selbstverständlich zur deutschen Kultur gehörig.

Vor welchen Herausforderungen steht ein unabhängig geführtes Orchester? Die Finanzierung eines Orchesters ist eine riesige Aufgabe, die uns inzwischen durch die Förderung des Freistaates Bayern, der Stadt München und privater Sponsoren erleichtert wird. Dennoch müssen viele Ideen aus finanziellen Gründen auf ihre Realisierung warten. Geld ist also immer ein Thema, genauso wie die Suche nach einem geeigneten Raum. Zudem muss ein Ensemble seine Existenz, besonders in einer Stadt wie München, in der es zahlreiche Orchester gibt, durch ein einzigartiges Profil rechtfertigen. Ich bin mir sicher, dass das OJM in diesem Punkt eine Stärke hat. Was ist für Sie typisch München? Wenn man vom Sankt-Jakobs-Platz auf die Synagoge aus einem bestimmten Winkel blickt, scheint sich das Kreuz der dahinterstehenden Klosterkirche St. Jakob auf dem Dach der Synagoge zu befinden. Auch wenn München oft als Dorf bezeichnet wird, sehe ich in der Vielfalt der Kulturen etwas Typisches für diese Stadt. Außerdem gibt es keine andere Stadt auf der Welt mit einem jüdischen Zentrum genau in der Mitte – also ist das typisch München!

► ojm.de

Live: 23. Mai 2017 // Neukomposition von Klezmer // Muffathalle


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IM GESPRÄCH MIT AUER GSOX

WIRTSHAUSMUSIK IST VOLKSMUSIK MIT BIER


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TEXT: DAVID EISERT // FOTOS: LARA FREIBURGER

Volksmusik an sich ist kein typisches Thema für curt. Wenn eine Band aber die Liebe zum Wirtshaus zum Programm macht und amüsante, zwiefach getaktete und dreifach ausgeschamte Wirtshauslieder spielt, dann sieht die Sache schon ganz anders aus. Wir verbrachten einen unterhaltsamen Nachmittag mit vier Damen des Münchner Quintetts AUER GSOX in ihrem Proberaum im Schatten der Mariahilfkirche und sprachen über die Liebe und die Trinkfreudigkeit. Ein spontanes Konzert an der Isar gab es obendrauf.

SUSAL JOCHAM & FRANZI RUNGE sind Schwestern, kommen aus Niederbayern und haben in ihrer Jugend eine solide Volks- und Hausmusik-Ausbildung genossen. Vor drei Jahren starteten sie als Duo mit dem Gsox. An der Harfe gibt es noch eine weitere Franzi (FRANZISKA EIMER), die zum Zeitpunkt des Interviews leider verhindert war. LIESL WEAPON verstärkt die Band seit 2014. Mit der Schicksalscombo, bei der sie auch spielt, trat sie bei der Vorstadthochzeit im Hofbräuhaus auf, ebenso wie Franzi und Susal. Sie hat einfach gefragt, ob sie mit ihrem Akkordeon mitmachen könnte. PETRA SCHÜSSLER kommt gebürtig aus Tschechien, lebt seit vielen Jahren in München und spielt Klavier, Gitarre, Kontrabass. „Die Petra haben wir quasi von der Straße aufgeklaubt. Eines Tages steckte ein junger Mann seinen Kopf durch die Tür vom Proberaum und fragte: ‚Brauchts ihr ’nen Bass?‘ Na ja, ein Mannsbild, warum nicht, haben wir uns gedacht. Er hat uns dann aber seine Frau, die Petra, vorbeigeschickt, die hat sich nämlich nicht selber fragen getraut“, sagt Liesl.

Volksmusik und Wirtshausmusik, wie lässt sich das unterscheiden? LIESL: Volkstümliche Musik, so was wie Marianne und Michael, meiden wir wie der Teufel das Weihwasser, das ist ziemlich greislig. SUSAL: Volksmusik ist die Musik, die immer und überall gesungen und gespielt werden kann, die ohne Verstärkung auskommt. Das Wirtshaus ist der Entstehungsort der Volksmusik. Hier hat sich schon immer alles und jeder getroffen, da gibts Bier, was zum Essen und auch den Raum zum gemeinsamen Musizieren. LIESL: Wirtshausmusik ist dann eine dreckigere Version davon. Wirtshausmusik ist Volkmusik mit Bier. Welche Einflüsse bestimmen eure Musik? PETRA: Einen reichen Fundus bietet meine Heimat Tschechien oder auch die Slowakei. Wenn wir im Urlaub sind, halten wir die Ohren offen nach neuer Musik. Selber Lieder komponiert haben wir bislang noch nicht. SUSAL: Natürlich gibt es Standardwerke wie den Klampfn-Toni oder einige Volksmusik-Archive in Deutschland und Österreich. Dort konnten wir die eine oder andere Perle finden. Als ich früher zu Hause Volksmusik machen musste, da fand ich es schon ätzend. Aber jetzt, wo wir unser eigenes Ding daraus machen, da hab ich richtig Bock. LIESL: Popsongs sind vor uns auch nicht sicher. Wir arrangieren die Stücke um und wenn der Text zu englisch oder preußisch ist, dann wird er halt bajuwarisiert, bis er passt. Auch wenn ich nicht die Urheberin bin, trifft es der Spruch „Tradition heißt, nicht die Asche zu bewachen, sondern das Feuer weitertragen“ sehr gut.


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Euer Proberaum liegt 5 Minuten entfernt vom Geburtshaus Karl Valentins. Hat er besonderen Einfluss auf euch? Was sind eure typisch bajuwarischen Themen? LIESL: Wir sind halt gerne im Wirtshaus und trinken gerne Bier. Daher ist das Hauptthema immer das Wirtshaus mit all seinen Geschichten und Klischees. Früher war es ja so, dass der Mann im Wirtshaus gehockt ist und die Frau hat daheim gekocht. Das drehen wir ein wenig um und zeigen neue Perspektiven auf. Der Karl Valentin speziell ist jetzt kein großer Einfluss für uns. Nur weil wir bayrisch lustig sind, sind wir nicht gleich valentinesk. Wirtshausklassiker und Wirtshaussterben – wo geht man hin, um eure Musik zu hören und gemeinsam zu spielen? LIESL: Der Verlust der Fraunhofer Schoppenstube war schon schlimm. Aber von kalter Asche wird kein Herd warm. Im Hofbräuhaus gibt es an jedem ersten Montag im Monat den Musikantenstammtisch. Hier ist jeder willkommen, ob mit oder ohne Instrument. Sehr gut finden wir das Wirtshaus Maximilian, das seit 2015 existiert. Die Jungs kommen aus dem Dunstkreis von Pfarrer Schießlers St. Maximilian Kirche und haben voll Bock auf Wirtshauskultur. Junge Leute, exzellente Küche. Wirtshaus in cool. FRANZI: Das Trumpf oder Kritisch in Schwabing oder das Wirtshaus Hohenwart in Obergiesing sind gute Anlaufstellen. Spontan geht meistens was, wenn du nach einem Auftritt noch was trinken gehst, die Instrumente und gute Laune im Gepäck hast. SUSAL: Aber nicht nur die typischen Wirtshäuser ziehen uns an. Im Café Hüller hatten wir ein schönes Konzert und ausgesprochen lustig war der Auftritt in Tobi’s Kitchen. Als wir ankamen, lief noch laut Nirvana und gepiercte und schwerst tätowierte Jungs lungerten lässig am Tresen. Die drehen die Musik aus, wir legen los und die Stimmung geht von null direkt auf prima. Da haben wir uns wie Botschafter zwischen den Kulturen gefühlt. Was, wer und wo ist typisch München für euch? FRANZI: Gibt es denn überhaupt so viel typisch München? Jedes Viertel hat seinen eigenen Charakter, eigene Menschen und das macht für uns das Bunte aus. Und trotzdem ist an vielen Ecken die Tradition sichtbar und fühlbar.


MVG Rad. Und der Frühling kann kommen!

SUSAL: Für mich als Dorfkind, das nie in der Stadt leben wollte, hat München so viel Dörfliches. Du triffst deine Leute auf der Straße, du gehst zum Einkaufen auf den Markt. Innerhalb des Altstadtrings lässt es sich sehr gut aushalten. LIESL: Es gibt natürlich auch ein paar lustig-nervige TypischMünchen-Aspekte. Beim ersten Sonnenstrahl drücken sich alle in dichten Zweierreihen die Isar entlang. Teure Wohnungen, keine Parkplätze … Gentrifizierung nervt.

Gestaltung: HOCH 3 . München

Gibt es Plätze, die euch besonders inspirieren? SUSAL: Schon die Au – wir sind ja das Auer Gsox. Rund um den Mariahilfplatz ist es einfach beschaulicher. Über die Brücke drüber und du hast das Schrille, Gestörte, Geschockte der Großstadt. Welches Münchner Bier passt am besten zu euch? SUSAL: Das Giesinger. Mal ein neuer Geschmack. LIESL: Na ja, groß geworden sind wir alle mit Augustiner und das ist auch heute noch die größte gemeinsame Schnittmenge.

max.

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Was unterscheidet das Gsox vom Gschwerl? LIESL: Eine gute Frage. Das Gsox kann auf jeden Fall musizieren.

pro Tag!

AUER GSOX LIVE: 4. April @ Wirtshaus Maximilian und 12. Mai @ Gasthaus Kandler in Oberbiberg

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KOPF HOCH IN DER KAUFINGERSTRASSE TEXT: CHRISTIAN GRETZ

Typisch München? Für den einen ist es das Glockenspiel am Marienplatz, für den andern der Englische Garten oder eine Boazn in Giesing. Die Kaufingerstraße würden vermutlich die wenigsten nennen, wenn es um Orte geht, die typisch für München sind. Nationale und internationale Einzelhandelsgiganten haben sich Münchens Kern untereinander aufgeteilt und wer vom Marienplatz Richtung Stachus schlendert, der könnte genauso gut über die Frankfurter Zeil, die Stuttgarter Königsstraße oder auf dem Berliner Kurfürstendamm flanieren. Same, same, von Kaufhof über Douglas bis McDonald’s – außer man schaut genauer hin.

START: MARIENPLATZ KAUFINGERSTR. 1 Zugegeben, es gibt architektonisch Schöneres als diesen Betonbunker, der 1972 unter der Regie des Münchner Architekten Josef Wiedemann fertiggestellt wurde und Galeria Kaufhof beherbergt. Tatsächlich gilt der Abriss des Vorgängerbaus aus dem 19. Jahrhundert als eine der größten Bausünden Deutschlands. Für den Klotz mit Granitplatten musste damals das Roman-Mayr-Haus weichen. Ironie der Geschichte: Der Jugendstilbau überstand die Bombardierung Münchens im Zweiten Weltkrieg unbeschadet.

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KAUFINGERSTR. 8 Nach der Mariensäule auf dem Marienplatz begegnet uns die „Mutter Gottes“ gleich noch einmal. Traurig blickt sie auf die Passanten herunter, umgeben von einem Sternenkranz, der auf eine Darstellung der „apokalyptischen Frau“ verweist. KAUFINGERSTR. 5 Eine unspektakuläre rote Backsteinfassade, die uns daran erinnert, dass Münchens Gebäude jahrhundertelang aus Lehmziegeln gebaut wurden. Im Gegensatz zu Steinbrüchen gab es genug Lehm in der Umgebung des historischen Münchens. Von Laim (ja, Lehm!) im Westen bis Berg am Laim im Osten – ein Eldorado für Ziegeleien. KAUFINGERSTR. 14 Eine Jakobsmuschel und zwei Fische zieren diese Fassade. Übrigens: Auch das Haus in der Kaufingerstr. 8 schmückt eine Muschel. Der Grund: München ist zwar Hunderte Kilometer vom Meer entfernt, aber schon seit seiner „Geburt“ ganz schön katholisch. Die christlichen Pilger des Mittelalters benutzten die Jakobsmuschel zum Wasserschöpfen.

KAUFINGERSTR. 20 Hier gibt es etwas zu entdecken, das niemand im Zentrum Münchens erwarten würde. Nein, wir meinen nicht die idyllische, mit Schilfrohr bepflanzte Dachterrasse, sondern die Fahne des deutschen Vize-Rekordmeisters 1. FC Nürnberg, die dort stolz und unbemerkt von den Bayern- und Sechzig-Fans hoch über den Köpfen in den Himmel ragt. KAUFINGERSTR. 24–26 Vorbei an der Hausnummer 24, an deren Fassade menschliche Gestalten mit Obstkörben auf den Köpfen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, geht’s zur Hausnummer 26. Hier ist an der Hausecke die Statue einer Frau angebracht, die offensichtlich groß und stark genug ist, einen ganzen Turm zu tragen, aber vor den Tauben Münchens mit einem Netz geschützt werden muss, damit die sie mit ihrem ätzenden Schiss nicht langsam und sicher zugrunde richten. Zwischen den Häusern bietet sich ein spektakulärer Blick auf den Münchner Dom – das höchste Gebäude der Innenstadt. Voraussetzung dafür aber war eine Verbreiterung der ehemals wohl recht engen Liebfrauengasse unter der Regentschaft von Prinzregent

Luitpold im Jahr 1888. Wer es nachlesen will, kann dies auf der Gedenktafel an der Hauswand gegenüber tun. KAUFINGERSTR. 28 Zum Abschluss verspricht eines der Ur-Münchner Bekleidungshäuser – das Hirmer-Haus – ein wahres Highlight: Vier mythologische Wesen mit – Bekleidungshaus hin oder her – nackten menschlichen Oberkörpern und gefiederten Vogelbeinen zieren die Fassade. Die Löwen zu ihren Füßen halten in ihren Vorderpranken einen Hermes- bzw. Merkusstab. Früher als Heroldsstab bekannt und das Erkennungszeichen der Immunität von Überbringern militärischer Nachrichten bzw. Befehle, symbolisiert der geflügelte Stab mit zwei Schlangen heute Wirtschaft und Handel. Passt! Besonders lohnt auch ein Blick auf die Gedenktafeln, die an den „Schönen Turm“ – einem Torturm der ältesten Stadtmauer Münchens – erinnern. Erbaut im 12. Jahrhundert, markierte das enge „Obere Tor“ zu Beginn der Stadtgeschichte das westliche Ende München. Wegen seiner schönen Bemalung wurde es auch „Der schöne Turm“ genannt, oder „Kaufinger Tor“, da die reiche Handelsfamilie Kaufinger darin wohnte. 1807 wurde der Schöne Turm abgerissen.


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HOW TO MUNICH

Machen Sie es wie die Einheimischen und mischen Sie sich perfekt unters alteingesessene Volk. Unter Beachtung einiger weniger Grundregeln gehen auch Sie als echtes Münchner Kindl durch.

MÜNCHEN-GUIDE FÜR ZUAGROASTE UND BESUCHER

WEISSWURST RICHTIG ESSEN

TEXT: HEIKE FRÖHLICH // ILLUS: RONIT WOLF

>12h

1

2

BREZEN RICHTIG ESSEN

DEN ENGLISCHEN GARTEN BESUCHEN

An der Isar grillen

1 Bestellen Sie Weißwurst vor der Mittagszeit.

1 Erwerben Sie eine Breze, z. B. im Biergarten.

2 Nehmen Sie die Wurst aus der Terrine.

2 Befreien Sie die Breze vom Salz.

3 Halbieren Sie die Wurst mit dem Messer.

3 Nehmen Sie einen Gamsbart zur Hand.

4 Pressen Sie den Wurstsaft mit der Hand aus.

4 Fegen Sie das Brezensalz vom Tisch.

4 Suchen Sie sich ein Plätzchen am Eisbach.

5 Trinken Sie das Wurstwasser aus der Terrine.

5 Brechen Sie mundgroße Stücke von der Breze ab.

5 Es herrscht FKK-Gebot. Entkleiden Sie sich.

1 Umzäunen Sie ein schönes Plätzchen.

1 Packen Sie Ihre Strandtasche. 2 Stecken Sie ein paar Flaschen Bier ein.

AN DER ISAR GRILLEN

An der Isar grillen

3 Lesen und beachten Sie die Parkordnung. An der Isar grillen

An der Isar grillen

2 Hissen Sie die bayerische Flagge. 3 Ziehen Sie Ihre BarbecueSchürze an. 4 Bauen Sie Ihren Grill auf.

5 Halten Sie den Feuerlöscher bereit.


In diesem Jahr erรถffnen wir den Sommer! 25. - 28. Mai / Praterinsel

Artwork: Sebastian Wandl (Haus75)


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KOOKS. EIN TYP VON BAR.


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»SOON YOU’LL GROW, SO TAKE A CHANCE. WITH A COUPLE OF KOOKS HUNG UP ON ROMANCING. « „Die spielen wieder in München?“, lautet meist die Reaktion, wenn die Frage nach der Abendgestaltung mit „Kooks!“ beantwortet wird. Dass es sich dabei aber nicht um die Band aus Brighton, sondern die wohl sexieste B-Seite der Münchner Bar-Szene handelt, weiß nicht jeder. Noch weniger Party People ist der gleichnamige Song von David Bowie ein Begriff, dem die Bar in der Geyerstraße ihren Namen verdankt.

TEXT: SONJA PAWLOWA FEAT. TIM BRÜGMANN FOTOS: NURIN KHALIL

In München allein in eine Bar gehen? Wird in der Regel scheiße. Im Normalfall handelt es sich beim Barkeeper um eine ultracoole Socke. Chronisch busy, sogar dann, wenn gar keine Gäste da sind. Die Bestellung nimmt er leidenschaftslos-professionell entgegen. Ein servierter Drink, ein abgehakter Gast. Ganz anders geht es im Kooks zu. „Betreutes Trinken“ steht auf dem Türschild und Persönlichkeit wird hier tatsächlich nur auf eine Art geschrieben, nämlich groß. Seit November 2015 befindet sich das Kooks schräg gegenüber der Geyerwally. Was die eigenwillige Bar jedoch so besonders macht, sind seine Wirte Alex Illingworth und Matthew Devereux. Pause. Nachhall. Applaus! Beide sind das Gegenteil von „cool“ im Sinne von „arrogant“. Links liegengelassen wird bei ihnen keiner und jeder bekommt einen Spruch. Meist einen sehr guten.

So wie das Zamperl seinem Herrchen, so gleicht auch der Gast seinem Wirt. Oberflächlich betrachtet, stimmt das bei gefühlt 70 % des Münchner Nachtlebens auch. Man nehme einen angesagten Besitzer und schon tummeln sich the Beautiful People wie Motten um das Licht. Im Kooks erwarten einen jedoch keine homogen durchgentrifizierten Klonkrieger aus dem letzten H&M-Lookbook. Auch die älteren Semester aus dem Dunstkreis Marc O’Polos sucht man vergebens. Ein jeder ist willkommen, ob jung oder alt, ob Nachbar oder Besuch aus Down Under. Und das ist der klare Verdienst seiner Wirte mit Amtssprache Englisch. Deutsch können sie natürlich auch und manchmal sogar Bairisch. Alex ist schließlich auch dank der harten Wiesn-Schule in allen Bereichen des Ausschanks kampferprobt. Dabei mag es stimmen, dass der Grant-Bayer im Vergleich zu den Angelsaxen nicht so begabt wirkt, wenn es um gekonnte Unterhaltung geht. Umso genießerischer dafür der bayrische Stammgast, der sich gern mit Englischsprechern umgibt.


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MATTHEW DEVEREUX kam vor 27 Jahren aus Toronto an die Isar. Damals war München so provinziell, dass seine englischsprachige Stand-up-Comedy auf taube Ohren stieß. Es waren die Tage vor dem Internet, die Welt war eng und alle liebten Nena. Matthew war klar: „They don’t know how to party!?” Heute ist das anders und Matt selbst hat jahrelang u. a. im alten Starsky’s seinen Beitrag zur Partykultur Münchens geleistet. Noch heute organisiert er in Erinnerung an die Golden Years zwischen ’98 und ’03 Revival-Partys, bei denen auch stilecht zum damaligen Kultgetränk Wodka Bull gegriffen wird. ALEX ILLINGWORTH kam mit sweet sixteen aus England ins Weißbier-Walhalla. Nach einer Phase der Akklimatisierung („Ich war eine P1-Tussi und geschockt von der Neuen Deutschen Welle“) folgten Zeiten des Genusses. Viel Musik, viel Nachtleben, noch mehr Werkeln. Wie beispielsweise im Nachtwerk, wo sie jahrelang arbeitete, sowie an gefühlt jedem weiteren legendären Tresen der Stadt. Als sich 2015 die Möglichkeit auftat, eine eigene Bar zu eröffnen, war Alex sofort klar: „Matt muss her!“ Matt kam und mit viel Charme und gespielter Ahnungslosigkeit wurde sogar das Kreisverwaltungsreferat betört.

BACK IN TIME: ALEX, MATT & FRIENDS

Die Lizenz zum Feiern erhielten sie von heute auf morgen. Rekord! Mit ihrem Kooks ist den beiden schließlich die Bar gelungen, in der jeder Arbeitstag gleichbedeutend mit einem Feiertag ist. Man ist zwar keine 20 mehr, doch: „We still rock ’n’ roll, we only need a bit longer to recover.“ Kleine Drinks wie der abgefahrene „Shameless“ oder das Gastro-Relikt „Rüscherl“ hauen rein und machen Spaß. Bier, Schnaps und Co. erledigen den Rest. Doch Trinken und Rumlungern sind bei Weitem nicht alles, was das Kooks so ungezwungen familiär erscheinen lässt. Klar gibt es Live-Musik, meistens 2-mal im Monat. Der Wohnzimmercharakter lädt aber auch zu Events ein, die selten in München zu finden sein dürften, wie das bei unserem Besuch stattgefundene Musik-Quiz.


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Der in London beheimatete Host DAMIAN CORRIGAN ist erst letzten September nach München gezogen. Sein erster Eindruck: „Kein MusikQuiz in München?!“ In Berlin, wo er zwischenzeitlich gelebt hatte, gab es immerhin an die fünf. Eines Tages hat es ihn jedoch ins Kooks verschlagen, wo er Matthew kein klassisches Pub-Quiz, sondern ein Rätsel nur für Musikfans vorschlug. Klar, dass so eine Idee nur auf offene Ohren stoßen konnte, gucken einen doch stets Helden wie Frank Zappa, Bob Dylan oder Lemmy Kilmister von schmucken Porträts an der Wand aus beim Feiern zu. Seit jeher wird im Kooks feucht-fröhlich geraten und für alle, die keine Gruppe zusammenkriegen, gilt: „Come alone, find a friend.“ Auch die Storyteller- oder Comedy-Nächte passen neben Burlesque Shows und vielem mehr hervorragend in den schrägen Reigen der Kooks-Feste. Demnächst gibt es montags auch das betreute Plattenauflegen mit Guido, der euch liebt. Dann können sich Hobby-DJs an den Drehtellern versuchen und beim Meister Ratschläge einholen. Ein bisschen sehr Pub, mag man auf den ersten Blick denken, doch weit gefehlt. Die einzigarte Atmosphäre, die liebevolle und doch willkürliche 70er-Jahre-Einrichtung und seine Wirte sind es, warum das Kooks unserer Stadt eine so untypische, aber auch so dringend benötigte Facette beschert. Matt und Alex lieben Musik und fühlen sich berufen – Abend für Abend. Zu Essen gibt es nichts, dafür Leidenschaft und ein jeder, dessen Horizont nicht am Rand des Bierglases aufhört, der ist herzlich willkommen, betreut zu werden. Von den Kooks im Kooks. Nur eins sei gesagt: „No Summer of 69, okay?“ KOOKS, GEYERSTRASSE 18 ► kooksbar.com


TEXT: LINDA MAIER // FOTO: CHRISTIAN VOGEL

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TYPISCH MÃœNCHNER SCHICKERIA?


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DER MODISCHE SELBSTVERSUCH IM P1 Was tragen eigentlich die Schnösel von heute und wo trifft man sie am Samstagabend? Einem hartnäckigen Klischee nach natürlich im P1 – der Diskothek, die seit 1984 für Champagnersausen und die Sichtung diverser Promis bekannt ist. Wir wollten wissen, was wirklich dran ist am Vorurteil von jungen Frauen in kurzen Röcken und alten Männern mit Einstecktuch. Doch nebenbei die modischen Grenzen der vermeintlichen Oberschicht auszuloten, war keine einfache Aufgabe.

OUTFIT VS. KLISCHEE CLAUDIA: „Meine Leo-Leggings sind das Ergebnis wahllosen OnlineShoppings. Im Laden hätte ich die wahrscheinlich nie angefasst – aber zum Yoga ziehe ich sie ganz gern an. Das P1 hat mich ehrlich gesagt nie interessiert, deshalb wollte ich auch noch nie rein. Ich dachte immer, dass dort Jung-Schnösel mit Papas Geld ihren 18. Geburtstag inklusive Champagner-Runden feiern oder wild gewordene Frauen darauf warten, dass Olli Kahn um die Ecke kommt.“

Glitzersocken, Feinripp, billiger Modeschmuck ... womit kann man heute eigentlich noch provozieren? Wir wühlten im Kleiderschrank und zogen jene Schmankerl ans Tageslicht, die man zwar hat, aber trotzdem nie anziehen würde. Beim Treffen im Fotostudio stellten wir schnell fest: Die Schmerzgrenze in Sachen Stilbruch könnte unterschiedlicher nicht sein. Dennoch bewies die anschließende Fahrt Richtung P1, dass unser modischer Griff ins Klo niemanden schert. Selbst im Lehel waren wir nicht die Einzigen mit 70er-Jahre-Cordanzug oder Leoparden-Leggings.

ACHIM: „Mein schicker Cord-Anzug kommt aus einem SecondhandDesignerladen in Schwabing, der aber inzwischen zugemacht hat. Vielleicht, weil er lauter solche Ungetüme verkauft hat. Übers P1 dachte ich immer: Nur Schnösel drin, Frauen bekommt man nur, wenn man seinen Porsche-Schlüssel auf den Tresen legt, reiche alte Säcke suchen junge Mädels und umgekehrt ...“ JULIA: „Manche Menschen sagen, der Kleidungsstil unterstreiche die Persönlichkeit. Mein Kleidungsstil ist recht langweilig: Socken mit

Auch der Türsteher des P1 reagierte gelassen: Wir wurden prompt hereingebeten – samt Zylinder auf dem Kopf und der Zurschaustellung von so viel Brusthaar, wie der Ausschnitt hergibt. Der Schock darüber saß tief und wurde nicht einmal vom Erstaunen über den saftigen Bierpreis in den Schatten gestellt. Da standen wir also, hatten uns extra schräg herausgeputzt – und die restlichen Gäste würdigten uns keines herablassenden Blickes.

leichtem Glitzer-Schimmer sind schon das Höchste der Gefühle. Das P1 stand für mich in der Theorie für vieles, was ich falsch finde: übertrieben harte Einlass-Politik, überteuertes Bier, charakterlose Musik und austauschbares Flirten. Doch: Der Türsteher war auffallend nett. Er hat mich trotz (oder gerade wegen?) des Zylinders reingelassen. Die Musik war so schlecht wie erwartet, das Bier teuer und niemand hat mit mir geflirtet – vielleicht lag’s am Zylinder?“ LINDA: „Ich war überzeugt, in meinem Kleiderschrank einige unge-

Klarer Fall von „In is, wer drin is“? Studenten in Jeans scheinen im P1 ebenso unter den Dresscode „Casual Chic“ zu fallen wie grauhaarige Gestalten mit Trenchcoat und Sonnenbrille. Und ja, auch Miniröcke und Einstecktücher sind uns begegnet. Unser Fazit: Vorurteile – nicht nur über die Münchner Schickeria – sind relativ.

wöhnliche Sachen zu finden, musste dann aber feststellen: Die meisten haben den Umzug nicht überlebt. Die Katzen-T-Shirt-FrackKombi hielt den Türsteher nicht davon ab, mich hereinzubitten. Drinnen war die Tanzfläche leer – irgendwie hatte ich mehr Exzess erwartet. Spaß hatten wir trotzdem.“


96 curt / Impressum

TYPISCH ICH WENIG STRICHE FÜR VIEL PERSÖNLICHKEIT: UNSERE REDAKTION ZEICHNET SICH SELBST.

K.I.T.T.

TIM

LARA

LINDA

MARGARITA

PATRICIA

MEL

PETRA

MIRJAM

HEIKE

SIMONE

KATHI

LEA

HENRIKE

SONJA

LENI

NURIN

ACHIM

JULIA M.

... UND UNSER SONNENSCHEIN CHRISTOPH


curt / Impressum 97

CvD MÜNCHEN & ART DIREKTION

MITARBEITER DIESER AUSGABE:

Melanie Castillo. ► mel@curt.de

Mirjam Karasek, Melanie Castillo, Petra Kirzenberger, Tim Brügmann, Christian Vogel, Adrian Leeder, Christoph Brandt, Linda

SCHLUSSREDAKTION & LEKTORAT

Maier, Patricia Breu, Lara Freiburger, Christian Gretz, Achim Schmidt, Sonja Pawlowa, Lea Hermann, Julia Fell, Claudia Pichler, Sebastian Klug, Margarita Sereda-Wildenauer, Katharina Konte, Nurin Khalil, Katharina Winter, Simone Reitmeier, Julia Maehner,

Mirjam Karasek. ► mirjam@curt.de

David Eisert, Heike Fröhlich, Henrike Hegner, Ronit Wolf, Leni Burger, Tobias Hammerbacher ... and the unvisible Thomas Karpati.

LITHO & FINAL COUNTDOWN

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