neue musikzeitung 2012/02

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VdM

Februar 2012  nmz 2/12    Seite 31

Das Instrument ohne Noten erkunden

Zum Seminar „Klavierunterricht für Erwachsene“ von und mit Herbert Wiedemann Zwei Klaviere, zwölf Hände – die Finger bewegen sich entweder nur auf den weißen oder aber nur auf den schwarzen Tasten. „Leipziger Allerlei“ nennt Herbert Wiedemann diese Übung, mit der er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars „Klavierunterricht mit Erwachsenen“ ein notenfreies Klavierspiel näher bringen möchte. Freitonal stellen sich die Pianisten aufeinander ein, probieren Klänge aus, versuchen, aufeinander zu hören. Sie alle sind erfahrene Instrumentalpädagogen, die alle mit dem gleichen Bedürfnis zur Fortbildung kommen: Sie arbeiten mit Erwachsenen oder haben vor, dies zu tun und suchen nach Hinweisen und Materialien für die speziellen Bedürfnisse dieser Zielgruppe. Ein Bereich, der vielen Klavierlehrern fehlt, weil das Unterrichten von Erwachsenen und älteren Erwachsenen nicht Bestandteil ihres Studiums ist.

W

as tun, wenn ein erwachsener Schüler, der über eine gefestigte Persönlichkeit und möglicherweise einen größeren Lebenserfahrungshorizont als der Pädagoge verfügt, mit dem Wunsch in den Unterricht kommt, seine ganz bestimmten musikalischen Vorlieben am Klavier umzusetzen? Was tun, wenn die Anforderungen an die gewünschten Werke zu hoch sind?

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen mit vielen Fragen zu Herbert Wiedemann und erhalten Anleitung zum Beispiel im Improvisatorischen Lernen von Stücken oder im „Zuschneiden“, d.h. Arrangieren von Stücken auf die Fähigkeiten der erwachsenen Schüler. Herbert Wiedemann: „Zunächst einmal versucht man herauszubekommen, was der Schüler mag, welche Klangvorstellungen er hat. Dann gibt es die Möglichkeit, über improvisierendes Lernen ein Stück in Bausteinen zu erarbeiten.“ Dabei unterscheidet er grundsätzlich erwachsene Anfänger von Wiedereinsteigern. „Erwachsene Anfänger können das Instrument zunächst ohne Noten erkunden, und zum Beispiel über einfaches Liedspiel einsteigen. Bei Wiedereinsteigern, die zufrieden auf ihren Unterricht zurückblicken, kann man anknüpfen. Bei Unzufriedenheit mit dem erlebten Unterricht sollte man Alternativen anbieten.“ Auch hier nennt Herbert Wiedemann das Beispiel des improvisatorischen Lernens: „Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, einen Walzer zunächst über den Bass zu erarbeiten, ohne Noten. Ich versuche, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Bauchladen an Materialien an die Hand zu geben, mit dem sie ihren Unterricht mit Erwachsenen mit einer notenfreien Herangehensweise

gestalten können.“ Das Klavierspiel sei oftmals Gegengewicht zum Alltag, so Wiedemann, „die Erwachsenen haben vielfach den Wunsch, einfach zu spielen.“ Inhalte des zweitägigen Seminars sind unter anderem viele Hinweise zur Unterrichtsplanung und -gestaltung, praktische Übungen stehen im Vordergrund. Diese werden durch einen theoretischen Teil unterfüttert: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer befassen sich allgemein mit dem Musiklernen im Erwachsenenalter, unterscheiden Lernbedingungen Erwachsener von denen des Kindes. Sie erhalten Hinweise zu Motivation sowie zu Physiologie und Motorik. Viele der Klavierpädagogen, die einmal das Seminar „Klavierunterricht mit Erwachsenen“ besucht haben, kommen immer wieder. Herbert Wiedemann bekommt oft Rückmeldungen über den Umgang mit den speziellen Bedürfnissen Erwachsener und die Umsetzung seiner Anregungen. Herbert Wiedemann: „Die Kommunikation in der Gruppe ist sehr gut, es gibt einheitliche Erwartungen. Ich lerne auch weiter durch das, was die Teilnehmer an Erfahrungen einbringen.“ Das Seminar „Klavierunterricht mit Erwachsenen“ wurde in einem Pilotprojekt erprobt, das vom Verband deutscher Musikschulen in Zusammenarbeit mit dem Fachverband Deutsche Klavier-

„Leipziger Allerlei“ am Klavier. Foto: Karl Heinz Naumann

industrie (heute: Bundesverband Klavier) an der Bundesakademie Trossingen angeboten wurde. Seither wird es von dem erfahrenen Dozententeam mit Herbert Wiedemann und Karl Heinz Naumann durchgeführt. Der VdM bietet das inzwischen bundesweit etablierte Seminar in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden dezentral mehrmals im Jahr weiter-

hin mit Unterstützung des Bundesverbandes Klavier an. Ende 2011 fand die Fortbildung erstmalig grenzüberschreitend in Kooperation mit der Association des Écoles de Musique du Grand-Duché de Luxembourg (Luxemburgischer Musikschulverband) und den VdM-Landesverbänden Saar und Rheinland-Pfalz im Konservatorium Luxemburg statt. Dorothea Hehlke

Internationale Freundschaft und Zusammenhalt Das Internationale Jugendsinfonieorchester Bremen traf sich zum 13. Mal Bereits zum 13. Mal traf sich im Jahr 2011 – unter der musikalischen Leitung des Bremer Musikschulleiters Heiner Buhlmann – das Internationale Jugendsinfonieorchester (IJSO) Bremen zu einer Probe- und Konzertphase. „Stammorchester“ des IJSO ist das Jugendsinfonieorchester Bremen-Mitte der Musikschule Bremen. Nach zahlreichen Auslandskonzertreisen, die das Ensemble in die verschiedensten Länder geführt hatte, kam Buhlmann 1999 auf die Idee, Musikerinnen und Musiker der gastgebenden Nationen auch einmal in die Heimat des Jugendorchesters einzuladen. Damit war die Idee zu dem internationalen Orchestertreffen geboren, das seither jährlich junge Instrumentalisten aus insgesamt 30 Ländern musikalisch vereinte. 2011 waren 192 Musikerinnen und Musiker aus 23 Ländern, darunter besonders viele aus Ägypten, dabei, die ein anspruchsvolles sinfonisches Programm erarbeiteten und dieses in zwei Konzerten in Bremerhaven und Bremen zu Gehör brachten. Ein Fazit dieser Treffen zieht der Projekt-Träger, die Musikschule Bre-

men: „In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, wie sehr die Musik als gemeinsame Sprache Gegensätze überwinden kann. Aus den Cliquen, die am Anfang des Treffens bestehen, wird im Laufe der Zeit ein harmonischer Klangkörper, in dem jeder weiß, dass er völlig auf die anderen Nationalitäten angewiesen ist. Nur durch Freundschaft und den Zusammenhalt ist es überhaupt möglich, ein derartig anspruchsvolles sinfonisches Programm binnen einer Woche zu erarbeiten.“ Christian Ekowski berichtete in der Nordsee-Zeitung von seinen Eindrücken, die wir hier – in gekürzter Form – noch einmal abdrucken:

Der Aufmarsch der Gäste wollte fast kein Ende nehmen. Immer mehr junge Musikerinnen und Musiker strömten vom Seiteneingang her mit ihren Instrumenten in die Große Kirche, bis schließlich 190 Mitglieder des Internationalen Jugendsinfonieorchesters etwa das vordere Viertel des voluminösen Kirchenraums füllten. Was in den Anfangstakten der Ouvertüre zur Oper

„Wilhelm Tell“ von Gioacchino Rossini mit einem idyllischen Cello-Solo begann, wuchs sich bei der Gewitterszene zu einem umwerfend wuchtigen Klang aus. Dirigent Buhlmann wusste konditionsraubend und effektvoll seine Musikerschar zusammenzuhalten und führte sie sicher durch die Klangmassen. Er ist es, der jährlich aus weltweit musizierenden Musikschulorchestern Nachwuchsmusiker rekrutiert, sie nach Bremen einlädt und sie innerhalb einer Woche zu einem harmonischen Klang-

Fernseh-Casting einmal anders

körper zusammenführt. Die in privaten Unterkünften untergebrachten Jugendlichen nehmen neben der Musik noch an verschiedenen Events wie einer abendlichen Schifffahrt, einem Empfang im Rathaus oder auch an einem gemeinsamen Bowling-Abend teil. Es gibt unter ihnen schon Talente, die solistisch auftreten können. Alexander Tvenge aus dem norwegischen Stavanger blies technisch versiert beim Konzert für Tuba und Orchester f-Moll (1954) von Ralph Vaughan Williams

(1872-1958) den Solo-Part und investierte bei der verzwickten Partitur viel emotionales Engagement. Das große Orchester begleitete ihn mit bestem rhythmischem und harmonischem Einsatz. Die geballte musikalische Kraft und Klangkunst wurde in dieser außergewöhnlichen Besetzung in der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz hörbar. Es war wirklich erstaunlich, wie klar und makellos auf einen Ton die Violinen die Träumereien des ersten Satzes ausführten, die Streicher in der Szene auf dem Lande noch im feinsten Pianissimo einen bewundernswerten Schönklang verbreiteten oder die Perkussionsgruppe sich mit Lust und Kraft für die Wiedergabe des Hexensabbats einsetzte. Der Rieseneinsatz wurde von den Zuhörern mit langem Beifall belohnt, der auch mit dem „Florentiner Marsch“ von Julius Fucik kaum besänftigt werden konnte. Man kann nur innig wünschen, dass dieses musikalische Institut so erfolgreich weiterarbeitet.

Christian Ekowski

Kultur gehört zum Pflichtbereich

„Dein Song“ – Erster Kompositionswettbewerb für Jugendliche beim ZDF/KiKa „Wir züchten keine Stars“: Alfred Bayer, geschäftsführender Gesellschafter der bsb-Filmproduktion, legt großen Wert darauf, das Format „Dein Song“, das im Jahr 2012 bereits in der vierten Staffel auf dem Kinderkanal KiKa läuft, von den gängigen Casting-Formaten abzuheben.

Zwar spielt auch hier der Casting-Begriff eine zentrale Rolle, auch „Dein Song“ wendet sich zunächst an viele jugendliche Bewerberinnen und Bewerber und wählt in mehreren Schritten einen immer kleineren Kreis aus dem großen Kandidaten-Pool aus; zwar werden auch hier die letzten acht Kandidaten in einem Fernsehformat präsentiert, und am Schluss ermittelt auch „Dein Song“ in einer großen Finalshow die Siegerin oder den Sieger, die/der vom Fernsehpublikum per Televoting bestimmt wird. Aber es geht hier nicht in erster Linie um die Performance, nicht um die Interpretation oder um die Show – im Mittelpunkt steht vielmehr der Song, den die jungen Musiker selbst geschrieben haben. „Dein Song“ versteht sich eindeutig als Kompositionswettbewerb. Waren es beim ersten Mal noch tausende Bewerbungen, so sind es inzwischen viel weniger, dafür aber sehr hochkarätige geworden, erzählt Daniela Zackl, die zuständige Redakteurin

beim ZDF. „Dein Song“ habe sich inzwischen zur Marke entwickelt, der hochschwellige Charakter des Projekts habe sich herumgesprochen. In allen Stilrichtungen komponieren die Jugendlichen zwischen 9 und 18 Jahren, die sehr häufig auch ein Instrument spielen. In der gerade laufenden vierten Staffel haben es vor allem Werke aus den Bereichen Pop und Rock, Jazz und Klassik in die Endrunde geschafft. In mehreren Bewertungsrunden kristallisieren sich die letzten 16 Bewerberinnen und Bewerber heraus. Nach einer Zwischenrunde auf Ibiza, die den jungen Komponisten noch einmal Gelegenheit bietet, an ihrem Werk zu arbeiten und ihr Können unter Beweis zu stellen, scheiden weitere Teilnehmer aus. Spannend sei es in dieser Phase vor allem gewesen, zu erleben, wie ernst die jungen Leute an ihrer Musik arbeiteten und wie sich diese Musik im Verlauf dieser Tage weiter entwickelt habe, sagt Daniela Zackl. Übrig bleiben acht junge Komponisten, die dann einen Tag lang mit einem prominenten Paten an ihrem Song arbeiten. 2012 gehören so unterschiedliche Musiker wie Rolando Villazón, La Fee oder Til Brönner zu diesen Paten – und diese widmen sich auch schon mal einem Musikstil, in dem sie sonst nicht unbedingt zu Hause sind. Die Begegnung mit den Paten und die Weiterentwicklung der

Songs ist dann Gegenstand der Fernsehstaffel, die ab dem 5. März 2012 jeweils von Montag- bis Donnerstagabend im Kinderkanal ausgestrahlt wird. Daneben wird für jeden Song ein eigenes Musikvideo produziert. Schließlich stellen sich die acht Finalisten am 30. März 2012 mit ihrem Song dem Publikum. Die Idee von „Dein Song“ ist – neben dem Ziel, ein populäres Fernsehformat zu produzieren – in der Tat die Förderung der jungen Musiker, die es hier in die letzten Ausscheidungsrunden schaffen. Die verschiedenen Projektstufen ermöglichen es ihnen, mit unterschiedlichen Profis zu arbeiten, von ihnen zu lernen und die Kontakte über die Staffel hinaus zu nutzen. „Das verstehen wir auch unter Nachhaltigkeit“, so Zackl. Bei den Zuschauerzahlen verzeichnet das ZDF („Dein Song“ ist eine Produktion von ZDF tivi für den Kinderkanal) stetes Wachstum. Nicht nur die Zielgruppe des KiKa, Kinder zwischen 3 und 13 Jahren, sondern ganze Familien verfolgen die Sendungen im Fernsehen mit. „Wir haben uns im Casting-Dschungel durchgesetzt“, meint Daniela Zackl. Der Verband deutscher Musikschulen hat in den Anfängen dieses gelungenen Formats wesentliche Starthilfe geleistet, indem er seine Musikschulen frühzeitig informierte und ist engagierter Kooperationspartner bei jeder neuen Staffel.

Die Landeselternvertretung der Musikschulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern hatte den kürzlich ernannten Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mathias Brodkorb (Foto re.) am 12. November in das Max-SamuelHaus in Rostock zu einem ersten Treffen eingeladen. Die etwa 40 Teilnehmer vertraten die Eltern und Fördervereine der 20 staatlich anerkannten Musikschulen des Landes. Christiane Krüger, Vorsitzende des Verbandes der Musikschulen MV, zeichnete die Fakten nach: zirka 19.000 Schülerinnen und Schüler werden wöchentlich in den Schulen unterrichtet – zusätzlich noch etwa 3.000 Schüler in Kursen. Fast 520.000 Besucher konnten sich in über 3.200 Veranstaltungen im vergangenen Jahr vom Ergebnis der hervorragenden Musikschularbeit über-

zeugen. Diese Zahlen beeindruckten und waren Ausgang einer angeregten Diskussion mit dem Minister, unter anderem über neue Wege zum Erhalt unserer Musikschulen. Eine Bestätigung für die Anwesenden war die klare Position des Ministers: Kultur ist Teil der Bildung – und rückt damit in den Pflichtbereich des Landes. Dafür kämpfen Musikschulen und Eltern seit langem. Ein weiterer Diskussionsschwerpunkt war das Thema „Ganztagsschule“. Brodkorb würdigte die Einbindung der Musikschulen auch in diesem Bereich und stellte neue Konzepte vor. Abschließend bat die Vorsitzende der Landeselternvertretung Sigrid Selbmann (Foto li.) um die Beibehaltung der bisherigen sehr guten Zusammenarbeit mit dem Ministerium. Foto: Claudia Blumenthal


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