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Spitzenforschung
Spitzenforschung: das Ende eines Supertreibhausgases
Schwefelhexafluorid ist das schlimmste Treibhausgas der Welt. Es ist aber auch das ideale Isoliergas für wichtige Bereiche unserer Stromnetze. Bis jetzt. Dr. Andreas Hopf, der an der Hochschule Coburg Elektrotechnik studiert hat, entwickelte in seiner Doktorarbeit ein Verfahren, um das Klimakillergas zu ersetzen – mit etwas Ungefährlichem, nämlich Luft.
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Ein Regelpult aus Edelstahl, darauf leuchtende Knöpfe und eine Drehkurbel, mit der sich die Spannung steigern lässt: von 230 Volt auf 1000 Volt, 15.000, 50.000, 150.000 – 400.000 Volt. „Es sah aus wie auf der Enterprise!“ Dr. Andreas Hopf erzählt, wie er im alten Hochspannungskeller der Hochschule Coburg die grundlegenden Versuche für seine Doktorarbeit durchgeführt hat. Als Faradayscher Käfig diente ein großer Stahlkessel, der die Außenwelt sicher abschirmte. Darin zwei Elektroden. Hopf legte Strom an, drehte die Spannung hoch, höher, bis bssssssss: bis die Elektrizität hörbar wurde und in einem leuchtenden Bogen von einer Elektrode zur anderen hinübersprühte. „Spannungsdurchschlag“ nennen das Elektrotechniker, aber im Prinzip kennt das Phänomen jeder, der schon mal einen laufenden Staubsauger aus der Steckdose gezogen hat: „Wenn zwei stromdurchflossene elektrische Kontakte getrennt werden, gibt es einen Funken.“ Nicht schlimm, denn er erlischt gleich wieder. Das ist bei einer Hochspannungs-Verbindung allerdings anders. Hier entsteht zwischen den Elektroden ein bleibender Lichtbogen, die Temperatur steigt extrem, die Kontakte schmelzen, es droht ein Kurzschluss. Lebensgefahr. Um das zu verhindern, braucht es eine wirklich gute Isolierung. „Bei solchen Spannungen macht es keinen Sinn, wie bei Haushaltsgeräten mit Kunststoff zu isolieren. Das wäre zu dick, zu teuer“, erklärt Hopf. Seit den 1950er Jahren wird zur Isolierung in der Hochspannungstechnik das Gas Schwefelhexafluorid SF6 verwendet. Es löscht den Lichtbogen und unterbricht den Strom. Auch bei vielen Tausend Volt. SF6 ist billig. Es ermöglicht eine vergleichsweise kleine Bauweise der Geräte. Es ist ungiftig. Es wurde lange als das perfekte Isoliergas gesehen. Aber es hat eben diesen einen, gravierenden Nachteil: Es ist das schlimmste Treibhausgas der Welt, 23.800-mal klimaschädlicher als CO2. Andreas Hopf hat mit seiner Doktorarbeit nach einer Lösung gesucht, um diese Variante durch klimafreundliche Isoliergase zu ersetzen. Und er hat sie gefunden. Weltweit beschäftigen sich Forscher seit gut zehn Jahren intensiv mit möglichen Alternativen, aber bisher wurden sie höchstens bis 110 kV getestet. Hopf hat ein Verfahren entwickelt, um die Durchschlagsspannung mathematisch zu ermitteln. Als Ergebnis seiner Arbeit können elektrische Bauteile nun mit Luft isoliert werden – bis zur 420-kV-Ebene.
BESTENS VERNETZT
„Man kann an der Hochschule Coburg nicht nur promovieren, sondern wirklich Spitzenforschung betreiben“, sagt er. Anders als zum Beispiel in Hessen haben die Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Bayern zwar kein eigenes Promotionsrecht, aber Coburg kooperiert häufig mit fränkischen Universitäten wie Bamberg und Bayreuth, um den Absolventen zu ermöglichen, zu forschen und eine Doktorarbeit zu schreiben. Außerdem gibt es beispielsweise gute Verbindungen ins benachbarte Thüringen: Andreas Hopf hat in Coburg bei Prof. Dr. Michael Rossner Elektrotech
ANDREAS HOPF

Das Supertreibhausgas

Schwefelhexafluorid SF6 ist eine synthetisch hergestellte Schwefel-Fluor-Verbindung. Es isoliert wunderbar, ist ungiftig und billig: Lange Zeit war es eine beliebte Industrie-Chemikalie. Allerdings hat das Molekül mit dem hochsymmetrischen Aufbau ein Erderwärmungs-Potenzial, das 23.800-mal so hoch ist wie das von Kohlendioxid. Umweltschützer fordern deshalb ein generelles Verbot. In der Hochspannungstechnik wird es als Isolator verwendet – bisher gab es dafür keine Alternative.
nik studiert und seine Promotion in Kooperation mit der TU Ilmenau abgeschlossen. Dort wurde er von Prof. Dr.-lng. Frank Berger betreut. Kooperative Promotion bedeutet: ein Doktorand, zwei Professoren. Die Zusammenarbeit ist für alle von Vorteil. Auch bei seinen praktischen Versuchen profitierte Hopf vom Netzwerk der Hochschule Coburg. Bei einigen seiner Experimente legte er Spannungen an, die über das hinausgingen, was hier möglich war. Dafür konnte er das Hochspannungslabor der Hochschule Würzburg-Schweinfurt nutzen. Aber wofür braucht es eigentlich diese immens hohen Spannungen – irgendwo zwischen 10.000 und 1.000.000 Volt? „So kann Energie auch über weite Strecken verlustlos transportiert werden“, sagt Hopf. Freileitungen sind in der Isolierung unproblematisch. „Sie hängen so weit überm Erdboden, dass es nicht zu einer elektrischen Entladung kommt.“ Aber zu den Stromnetzen gehören auch Anlagen, die dafür sorgen, dass die Energie verteilt und die vielen Tausend Volt für Industrie und Haushalte in geeignete Spannungen umgewandelt werden. In Umspannwerken, aber auch in den kleinen Trafohäuschen, an denen wir täglich vorbeilaufen, arbeiten Schaltanlagen. Sie werden heute oft mit Schwefelhexafluorid isoliert.
SUPER-GAS MIT EINEM MANKO
Vor über 100 Jahren hat der Franzose Paul Lebeau die Schwefel-Fluor-Verbindung SF6 entdeckt. Das Gas ist schwer, es hat eine fünfmal höhere Dichte als normale Luft und entsprechend gute Dämmeigenschaften. Bis vor 20 Jahren wurden Autoreifen damit gefüllt. Es wurde auch in Sohlen von Sportschuhen als Füllgas verwendet und jahrzehntelang für Isolierfenster benutzt, denn es dämmt Schall und filtert infrarotes Licht. „Genau das ist auch das Problem“, sagt Hopf. „Aufgrund des hochsymmetrischen Aufbaus des SF6-Moleküls absorbiert es Wärmestrahlung, es saugt sie auf und gibt sie an die Erdoberfläche ab.“ Dabei ist es extrem langlebig: Es dauert Tausende Jahre, bis das schwere Gas in obere Luftschichten aufsteigt. Erst dort ist die Strahlung der Sonne stark genug, um die Moleküle zu knacken. All das macht SF6 so klimaschädlich. Am Treibhauseffekt hat das im Labor hergestellte Schwefelhexafluorid aktuell aber nur einen Anteil von unter einem Prozent. „Die Masse machen CO2, Methan, andere Gase“, sagt Hopf. „Doch der Energiehunger der Welt steigt. Das bedeutet: mehr Schaltanlagen. Also wird mehr SF6 produziert.“ Umweltschützer fordern ein generelles Verbot, aber das lässt sich nicht durchsetzen, wenn dadurch der sichere Betrieb der Stromnetze gefährdet wird. „Deshalb werden dringend Alternativen gesucht.“ Und die gibt es – eigentlich schon lange: „Vor über 100 Jahren wurde viel mit gewöhnlicher Luft isoliert. Dann kam SF6 und seine Vorteile waren so groß, dass die anderen Untersuchungen in Vergessenheit gerieten.“ Andreas Hopf nahm sie als Basis für seine Promotion. Vor allem der deutsche Physiker Friedrich Paschen war Anfang des 20. Jahrhunderts für seine Arbeit an elektrischen Entladungen bekannt. Zu dieser Zeit waren die elektrischen Felder einige Nummern kleiner, es wurde nicht mit Spannungen von ein paar Tausend Volt hantiert und Luft war ein ausreichender Isolator. „Heute kommen verschiedene klimafreundliche Gase in Frage, aber sie haben alle eine viel geringere elektrische Festigkeit als SF6. Diese lässt sich durch hohen Druck verstärken“, erklärt Hopf. Aber wie weit? Um das unter verschiedenen Bedingungen herauszufinden, steigerte er die Spannung im Labor immer wieder bis zum Durchschlag, bis ein bizzelnder, summender Lichtbogen entstand. Ausgehend von Paschens Formeln arbeitete Hopf mit den neuen Messergebnissen, mit elektromagnetischer Feldsimulation und moderner Computertechnik und entwickelte ein Verfahren, um die Durchschlags-Spannung mathematisch zu ermitteln. Sie hängt von einer Reihe verschiedener Faktoren ab. „Oberflächenrauheit, Feldemission, Bestrahlung, Elektron-Anlagerung, Spannungs-ZeitFläche und Vorentladungen im Hochdruck“, er überlegt: „Und dann der Einfluss von F-Gas-Gemischen!“ All das hat er in seinem Berechnungsalgorithmus berücksichtigt. Lange traute sich keiner, in der Praxis zu probieren, ob die Luft-Isolierung bei einem Hochspannungsbetriebsmittel mit mehr als 110 kV ausreicht. „Stellen Sie sich vor, ein Transformator für mehrere Millionen Euro würde ans Netz gehen – und explodieren.“ Aber mit Hopfs neuem Verfahren hat die in Bamberg ansässige Siemens-Tochter „Trench Germany“ inzwischen HochspannungsBetriebsmittel mit klimafreundlicher Gas-Isolation bis zur 420-kV-Spannungsebene entwickelt. „Das ist High Tech made in Franken: Wir ersetzen das schlimmste Treibhausgas der Welt durch Luft.“
Text: Natalie Schalk