Eschweger Echo Nr. 18 - Januar 2013

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eschweger Nr. 18 - Januar 2012

Schuldenfrei

Der vom Stadtkämmerer Reiner Brill eingebrachte Haushalt für 2013 stellt die Weichen auf Konsolidierungskurs: Ab dem Jahr 2020 will die Stadt ohne neue Schulden auskommen - ohne Schutzschirm und Eingriffe des Landes in städtische Entscheidungen.

Wakeboardanlage

echo

Zeitung der Eschweger Sozialdemokraten

Um den Werratalsee für die touristische Ntzung behutsam weiter zu entwickeln, muss unter allen beteiligten Nutzern und Vereinen ein nachhaltiger Abstimmungsprozess herbeigeführt werden. Zu den Chancen und den weiteren Planungsschritten lesen Sie

Wohngemeinschaft

In Niederhone wird die alte Limonadenfabrik umgebaut. Hier sollen ab 2014 an Demenz erkrankte Menschen zusammen wohnen und ihren Alltag in Selbstbestimmung organisieren. Im Vordergrund stehen individuelle Betreuung und Pflege durch einen ambulanten Dienst.

Hallenbad

Das Eschweger Hallenbad hat einen sehr großen Einzugsbereich und stärkt als Infrastrukturbaustein die Kreisstadt als Arbeits- und Wohnstandort. Deswegen will die SPD in Weiterentwicklung und Sanierung des Publikumsmagneten investieren.

www.spd-eschwege.de

Beschaffung

Tariftreue, Arbeitsschutz, Umweltstandards, fairer Handel sind zentrale Bedingungen für nachhaltiges Wirtschaften. Unsere Kommune muss sich dieser Aufgabe mit ganzer Tatkraft stellen. Antrag der SPD und Grünen an zuständigen Ausschuss überwiesen.

Mutiger Kampf für die Demokratie weiter auf Seite 2

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Otto Wels bietet Hitlers Terror die Stirn

In diesen Tagen jährt sich zum 80. Mal der Beginn der Nazi-Diktatur. Seit dem Bruch der Großen Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller (SPD) 1930 nutzten Zentrum und Deutschnationale die Wirtschaftskrise zur Errichtung einer Präsidentialdiktatur. Am 30. Januar 1933 bereiteten reaktionäre Kräfte Hitler den Weg ins Kanzleramt. Er errichtete innerhalb weniger Wochen seine braune Diktatur: Die SS wurde reguläre Polizei, Grundrechte wurden ausgesetzt, nach dem Reichstagsbrand die Funktionäre von KPD und SPD in Konzentrationslager weggesperrt. Am 23. März stimmten Konservative und Liberale der Entmachtung des Reichstages zu, einzig die SPD stemmte sich gegen die Diktatur. Die NS-Tyrannei und ihre Folgen sind das Leitthema dieses Eschweger Echos. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel schreibt über das Ermächtigungsgesetz. Es geht um das Schicksal des gebürtigen Eschwegers Paul Westheim, des bedeutendsten Kunstkritikers und Kunstsammlers seiner Zeit. Außerdem lesen Sie in dieser Ausgabe eine sehr persönliche Reminiszenz zum Gedenkmarsch anlässlich der Deportationen jüdischer Mitbürger aus Eschwege in die Vernichtungslager.

Als einzige Partei stimmt die SPD 1933 im Reichstag gegen Hitlers „Ermächtigungsgesetz“. Die Rede ihres Parteivorsitzenden Otto Wels geht in die Geschichte ein. Otto Wels, 1873 als Sohn eines Gastwirts in Berlin geboren und zunächst Tapezierer von Beruf, trat 1894 unserer Partei bei. Nach dem Besuch der Parteischule übernahm er schon bald verantwortungsvolle Positionen. 1919 wurde er zusammen mit Hermann Müller zum Parteivorsitzenden gewählt. In dieser Eigenschaft trug er wesentlich dazu bei, dass die SPD nach dem Ersten Weltkrieg dem Hunger, dem Elend und der Hoffnungslosigkeit die Stirn bot, grundlegende gesellschaftliche Veränderungen wie das Frauenwahlrecht und den 8-Stunden-Tag durchsetzte und die Republik von Weimar etablierte. Später verteidigte Wels diese Republik mit Entschlossenheit und Mut. Als 1920 reaktionäre und rechtsradikale Kräfte während des KappPutsches die Republik zerstören wollten, rief er mit anderen zu dem Generalstreik auf, der die junge Demokratie rettete. Er war auch von Anfang an ein erbitterter Gegner der Nationalsozialisten. Gestorben ist er am 16. September 1939 im Exil in Paris. weiter auf Seite 2

Stadt spart 120.000 Euro

Otto Wels bei seiner historischen Rede gegen das Ermächtigungsgesetz im Reichstag. Mit Mut und Entschlossenheit verteidigt er im Namen der SPD die Demokratie und die Freiheit in Deutschland.

2500 neue Laternen für Eschwege

Sie sollen weg: Die Pilzleuchten, in denen noch Quecksilberlampen leuchten, sollen neue Köpfe bekommen (links) .Sie kommen: LED Straßenlaternen mit neuem Design und nur noch 18 Watt je Laterne und dennoch optimaler Ausleuchtung (rechts)

Bis November sollen in Eschwege die so genannten Pilzleuchten – sie stammen aus den 60er Jahren –komplett ausgetauscht werden. Ersetzt werden die Laternen durch neuste LED-Technologie. Einsparung von Strom und damit Einsparung sowohl von städtischen Finanzmitteln als auch von C02Emissionen sind die Hintergründe für die Maßnahme. Darüber hinaus hat man bei der Auswahl der Straßenlaternen besonderen Wert auf eine angemessene Optik gelegt – so hört man aus dem „Beleuchtungsbeirat“ der Kreisstadt. Ausgetauscht wird lediglich der Lampenkörper selbst. Die Laternenmasten – so noch standfest – bleiben erhalten. In den alten Pilzleuchten kommen fast ausschließlich Quecksilberdampflampen mit hohem Stromverbrauch zum Einsatz. Verglichen mit dem neuen LED –Leuchtmittel werden ca. 80% Energie eingespart. Bezogen auf die 2500 auszutauschenden Laternen macht dies 380000kg CO2 – Einsparung pro Jahr. Dank des im vergangenen Jahr zwischen den Stadtwerken und der Kreisstadt geschlossenen Contractingvertrages wird in Zukunft nach

so genannten Leuchtpunkten abgerechnet. In den Preis pro Leuchtpunkt, der sich für die neuen LEDStraßenlaternen bei 72 Euro pro Jahr bewegt, fließen neben Wartung sowohl die Investitionen für die neuen Laternen als auch der Energieverbrauch ein. Verglichen mit den alten Straßenlaternen und bezogen auf die Gesamtzahl der 2500 auszutauschenden Laternen ist für die Stadtkasse ein Einsparungseffekt von jährlich 120000 Euro zu verzeichnen. Dabei wird der Austausch der Laternen mit 20% durch ein entsprechendes Förderprogramm des Bundes unterstützt. Kritik am neuen LED-Licht wird häufig wegen der Lichtfarbe geäußert. Während das als kalt kritisierte LED-Licht sich etwa bei 5000 Kelvin bewegt, einigten sich Stadtwerke und städtischer Beirat bei den neu anzuschaffenden Laternen auf 4000 K – als ausgesprochen warm empfundene „Wohnzimmerbeleuchtung“ liegt bei etwa 3000 K. Bezogen auf den Energieverbrauch gilt allerdings: Je wärmer die Lichtfarbe, desto größer der Verbrauch. Insofern handelt es sich um einen Kompromiss.

Was das äußere Erscheinungsbild der Leuchten betrifft, so tun sich viele Hersteller noch ausgesprochen schwer. Mit dem ausgewählten brandneuen Modell – Eschwege wird vermutlich die erste Stadt sein, in der die Laterne zum Einsatz kommt - trage man aber auch städtebaulichen Anforderungen Rechnung. Die LED-Laternen sollen insektenfreundlich sein. Durch den geringen UV-Anteil des LED-Lichtes werden so gut wie keine Insekten mehr angezogen. Die im Frühjahr und Sommer Maikäfer und Nachtfalter umschwärmten Laternen gehören also der Vergangenheit an.


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Liebe Leserinnen und Leser!

Hoppla, gerade erst Weihnachten gewesen und jetzt sind wir schon mitten im neuen Jahr! Was wird uns Eschwegerinnen und Eschweger in diesem Jahr wohl beschäftigen? Die Stadthalle eröffnet. Erst das Restaurant, dann im Mai Hotel und Halle, so das Mobiliar rechtzeitig kommt – man hört ja so einiges. Wer aber die fast fertige Baustelle schon einmal besichtigen durfte, der wird uns recht geben: es hat sich gelohnt, die Stadthalle strahlt in neuem Glanz und wir sind uns sicher, wir brauchen auch diesen Ort für das gesellschaftliche Leben unserer Stadt. Auch den Marktplatz werden wir in der ersten Jahreshälfte zurückbekommen. Ohne „U-Bahn“ – so Bezeichnung der alten Toilettenanlage unter dem Platz – dafür mit zwei großen Lüftungsrohren mitten auf dem Platz. Aber auch hier sind wir uns sicher, es war gut den Charme der 70er und 80er Jahre durch neue Funktionalität und zeitgemäße Gestaltung zu ersetzen. Im vergangenen Jahr gab es Diskussionen um den Verkauf des Grundstücks „Alte Brauerei“. Soll dort ein Altenheim entstehen oder brauchen wir andere Pflege und Wohnkonzepte. Dieser Tage stellte die AWO ein neues Projekt für das Grundstück vor. Keine Heimpflegeplätze sind gefragt, sondern neue Wohnformen, die ein Zusammenleben des fitten Rentners mit dem pflegebedürftigen Menschen ermöglicht. Gefragt sind kleinere barrierefreien Wohnungen für Singels oder auch für Paare mit der Möglichkeit ggf. modular und je nach Bedarf Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Weichen für eine Weiterentwicklung des Hallenbades sind gestellt. Noch in diesem Jahr können wir mit konkreten Plänen rechnen. Bangen werden wir im Sommer des Jahres: Wird das Baden im Werratalsee auf Grund von Blaualgenbelastung erneut eingeschränkt werden müssen? Die Ursachen sind bekannt. Können wir die Umsetzung von Maßnahmen gegen die Überdüngung des Gewässers beschleunigen? Auch um den Werratalsee geht es in einer anderen Angelegenheit, die vermutlich in diesem Jahr zur Entscheidung ansteht: Brauchen und wollen wir eine Wakeboardanlage auf dem Werratalsee? Sind Konflikte mit anderen bereits bestehenden Seenutzungen durch unsere Vereine vermeidbar? Zu einem Dauerbrenner scheint sich die „Kreiseldiskussion“ zu entwickeln. Vor allem die Ampelanlage bzw. ein möglicher Kreisel an der Humboldtschulkreuzung erregt die Gemüter – wir werden sehn, ob das Jahr 2013 hier Entscheidungen bringt. Haushaltskonsolidierung, Ausbau der Friedrich-Wilhelm-Straße, Umgestaltung des Schlossplatzes, Parkdeck am Schlossplatz, Verzahnung Innenstadt und Werra, Uferpromenade entlang der Werra – damit rundet sich das Eschwege-Themenpotfolio des Jahres 2013 vermutlich ab. Und dann haben wir da noch zwei Wahlen. Die eine eine Bundestagswahl, die andere eine Lantagswahl, beide an einem Tag, dem 22. September. Für uns Genossen ist dieser Tag natürlich mit großer Hoffnung verbunden, Hoffnung das Ruder endlich rum zu reißen. Also, ein spannendes Jahr – packen wir s an! Alexander Feiertag

Neue Familienkarte Einzigartiges Erfolgsmodell

Ab sofort kann zum 7. Mal die Eschweger Familienkarte im Rathaus erworben werden. Das einzigartige Erfolgsmodell wird von 46 Einzelhandelsgeschäften, Vereinen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen angeboten und wurde 2012 von etwa 1000 Menschen in Eschwege genutzt. Auch 2013 erhalten die berechtigten Familien zum Jahrespreis von 5 Euro zusätzlich noch 2 Freikarten für das Eschwege Hallenbad. Neu ab 2013 ist, dass die Familienkarte von jedem Bürger im

Werra-Meissner-Kreis sowie von Urlauberfamilien mit wenigstens einem Kind unter 18 Jahren erworben werden kann. Damit leistet die Karte einen Beitrag zum familienfreundlichen Tourismus. Ab 2013 können alle Informationen rund um das Lokale Bündnis direkt von Frau Margot FlügelAnhalt oder Herrn Stadtkämmerer Reiner Brill angefordert werden. Im Internet stehen weitere Auskünfte auf der Homepage der Stadt Eschwege zur Verfügung.

So sieht sie aus - die Familienkarte 2013 mit vielen Angeboten.

Eine Frage der Ehre

Die SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ warnt vor den Folgen einer Regierung Hitler, während die bürgerlich-konservativen Kreise Hitler unterschätzen und ihm den Weg zur Macht ebnen.

SPD stellt sich den Nazis in den Weg

Seinen Platz in der Geschichte erwarb sich Wels durch die Rede, mit der er am 23. März 1933 im Reichstag im Namen der SPD-Fraktion Hitlers Ermächtigungsgesetz entgegentrat. Er tat das in einer Atmosphäre, die ein ausländischer Beobachter so beschrieb: „Für eine Sekunde verbreitete sich Todesschweigen im Hause, während von draußen die drohenden Sprechchöre der SA hereindrangen. Weiß bis in die Lippen, den Mund zusammengepresst, mit harten Zügen in sichtbarem Bewusstsein der Schwere, des Ernstes und der Gefahr des Augenblicks bestieg Otto Wels langsam die Rednertribüne, den Kopf leicht gesenkt, aber die stämmige Gestalt gestrafft, die Schultern hochgezogen, als ob er in ein Gewehrfeuer hinein schritte.“ Das sind die wichtigsten Sätze der Rede, die er dann hielt, und bei der

er seinen Blick immer wieder auf Hitler richtete: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht! … Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll…“ Und er schloss seine Rede mit den Worten: „Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. … Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im

Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.“ Die notwendige Zwei-DrittelMehrheit wurde erreicht, weil neben NSDAP und DNVP auch die Abgeordneten des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei, des Christlichen Volksdienstes und der Staatspartei dem Gesetz zustimmten. Nur die 94 anwesenden Mitglieder der SPD-Fraktion – 26 von insgesamt 120 sozialdemokratischen Abgeordneten waren bereits in Haft oder hatten untertauchen müssen – votierten in namentlicher Abstimmung mit „Nein“. Der Autor Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender (1987-1991) und Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion (1983-1991).

Licht am Ende des Tunnels

Eschwege will ab 2020 ohne Schulden auskommen

Der städtische Haushaltsplan 2013 ist die Fortsetzung eines Weges, der schon vor zwei Jahren eingeschlagen wurde: In sieben Jahren soll ein ausgeglichener Haushalt vorliegen. Die Weichen sind gestellt, die Mittel bereit gestellt. Der Konsolidierungswille zeigt sich in vier zentralen Aspekten: Erstens in den rückläufigen Personalaufwendungen. Sie sinken trotz Tariferhöhungen leicht gegenüber 2012, sie werden weiter sinken und bis 2016 die städtischen Aufwendungen um 3,5 Mio Euro entlasten. Zweitens in umfangreichen Budgetkürzungen in den Fachbereichen: Bei den Mittelanmeldungen für Sach- und Dienstleistungen haben der Kämmerer und die beteiligten Fachdienste eine runde Mio. herausgekürzt, so dass trotz steigender Preise das Niveau von 2012 gehalten werden konnte. Drittens sieht das Haushaltssicherungskonzept eine Deckelung der jährlichen Investitionen auf netto 2 Mio vor. Mit dieser Summe lassen sich brutto rund 4-5 Mio Euro an Gesamtinvestitionssumme erzielen, damit kann die Entwikklung und Modernisierung der Stadt und ihrer Infrastruktur immer noch gelingen. Viertens: Immer mehr Produkte mit konkreten Zielsetzungen und Messzahlen sind in den Haushalt eingearbeitet, die politischen Möglichkeiten zur gezielten Konsoli-

Sparsamer Umgang mit den vorhandenen Mitteln ermöglicht auch in Zeiten knapper Kassen städtische Handlungsspielräume.

dierung über präzise Produktsteuerung werden vielfältiger. So summieren sich die Konsolidierungsmaßnahmen (inklusive Anhebung der Realsteuern im vergangenen Jahr) in diesem Jahr auf fast genau 3,6 Mio., ohne diese Konsolidierungsanstrengungen läge das Haushaltsdefizit in diesem Jahr bei rund 7,3 Mio. Euro. Zum ersten Mal, seit Eschwege, wie nahezu alle deutschen Kommunen, negative Haushaltsergebnisse hat und sich mit kumulierten Defiziten und wachsendem Schuldendienst herumschlägt, ist eine realistische Perspektive auf einen ausgeglichenen Etat vorhanden: Wir sind auf dem Weg zu einer Haushaltspolitik, die ohne Schulden

auskommt, ohne dass die Stadt an die Zuwendungen für Vereine und Verbände, an soziale Leistungen herangehen muss, die das kommunale Leben lebendig und lebenswert machen und die integrative Aufgabe der Kommune umsetzen. Wir sind auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt, ohne dass massive Kürzungen im Leistungsangebot für die Bürger vorgenommen werden. Die Kämmerei hat eine umsetzbare road-map dazu entwikkelt – und wir können das alles auch aus eigener Kraft schaffen, ohne den Schutzschirm des Landes bemühen zu müssen, der dann massive Fremdeingriffe in die politische Gestaltung und Entwicklung in unserer Stadt zur Folge hätte.


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SPD wünscht Wakeboardanlage im Konsens Nutzungsüberlagerungen gilt es zu vermeiden

In einer öffentlichen Sitzung mehrerer Ausschüsse der Kreisstadt und der Gemeinde Meinhard im November vergangenen Jahres stellte der potenzielle Investor und Betreiber der Wakeboardanlage im Werratalsee sein Vorhaben vor. Famile Brünjes, bereits Betreiber von mehreren Anlagen, plant seit 2010 etwa 15 ha Wasserfläche sowie gut 2 ha Landfläche am Nordufer des Sees in der Nähe des Parkplatzes zu nutzen. In drei Ausbauabschnitten zwischen 2014 und 2017 will die Familie etwa 1.1 Mio Euro in 2 Wakebordanlagen sowie 1 Übungsanlage im See und darüber hinaus gastronomische Einrichtungen und Freizeitsporteinrichtungen auf der Landzunge am Parkplatz investieren. 16000 Tagesbesucher

Nach Schätzungen der Betreiber bringt die Anlage etwa jährlich mehr als 16.000 vorwiegend junge trendsportbegeisterte Tagesbesucher aus einem Umkreis von bis zu 60 km an den See – für den Tourismus am Werratalsee ist dies ein entscheidender Schritt. Das Vorhaben insgesamt befindet sich in der Vorklärungsphase. Im Verlaufe der Sitzung wurden

Eine gute Planung ist nicht nur bunt, sie berücksichtigt auch alle Interessen betroffener Vereine und Nutzergruppen am Werratalsee gleichermaßen.

mehrere Fragenkomplexe behandelt. Neben z.B. Naturschutzbelangen, wie die Auswirkungen der acht Meter hohen und von Masten geprägten Anlage, möglicher Beeinträchtigungen der auf dem See

Kreis unterm Schirm von Lothar Quanz

Die SPD-Fraktion hat im Kreistag dem Vertrag zwischen dem Kreis und der Hessischen Landesregierung über den sog. „Schutzschirm“ zugestimmt. In einer schwierigen Abwägung haben wir uns dafür entschieden, dass wir das sog. „Schutzschirmabkommen“ unterzeichnen. Auf diese Art und Weise bekommen wir wenigstens etwas Geld vom Land zurück. Wenn wir nicht zugestimmt hätten, müssten wir die gleichen Auflagen erfüllen, bekämen aber keinen Cent. In der SPD-Kreistagsfraktion gab es erneut heftige Kritik an der Landesregierung. Dem Werra-MeißnerKreis und allen Kommunen und Kreisen in Hessen wird in den fol-

genden Jahren deutlich mehr Geld weggenommen, als das Land über den „Schutzschirm“ zurück gibt. So verliert der Werra-Meißner-Kreis Jahr für Jahr seit 2011 und in allen folgenden Jahren mehr als 3 Millionen Euro, die dem Kreis eigentlich zustehen. Stattdessen gibt das Land über den „Schutzschirm“ dem Kreis in den nächsten Jahren rd. 650.000 € und ab 2016 rd. 1 Million €jährlich zurück. Der Finanzierungsvertrag läuft über 30 Jahre. Wenn man das also hochrechnet, verlieren wir rund

90 Millionen €, stattdessen gibt uns das Land 19,5 Millionen €über den „Schutzschirm“ zurück. Dies ist wahrlich kein gutes Geschäft für den Kreis, aber immer noch besser, als gar nichts vom Land zu erhalten. Die künftigen Belastungen durch diesen Schritt werden für die Bürgerinnen und Bürger relativ gering ausfallen. Wir müssen die Kreisumlage erhöhen, das trifft alle Städte und Gemeinden des Kreises. Dies wollen wir moderat in drei Schritten tun. Allerdings sollen die Bürgerinnen und Bürger von weiteren größeren Einschnitten durch den Kreis verschont bleiben. Es soll vermieden werden, dass der Kreis z.B. den Vereinen Benutzungsgebühren für die Sporthallen in Rechnung stellen muss. Ebenso sollen die Betreuungsangebote an Kindertagesstätten und Grundschulen weiter finanziell unterstützt werden. Auch die wichtige Schulsozialarbeit, die jungen Menschen hilft, schulische Abschlüsse zu erreichen, soll dauerhaft finanziert werden. Zusätzliche Entlastung für den Kreishaushalt erwarte ich, weil der Bund künftig alle Kosten für die sog. „Grundsicherung im Alter“ übernimmt. Dies wird ab 2014 Jahr für Jahr eine Entlastung von rd. 5 Millionen € für den Kreishaushalt bedeuten. Wenn darüber hinaus die Reform des Kommunalen Finanzausgleichs demnächst in Hessen verabschiedet wird, hoffe ich auf weitere Entlastungen für den Kreis in den nächsten Jahren. In jedem Falle muss künftig vermieden werden, dass Bund oder Land den Kreisen und Kommunen neue Aufgaben aufdrücken, die ihre Haushalte belasten, ohne dass zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt werden. So soll spätestens 2018 ein ausgeglichener Haushalt für den Kreis vorliegen. Damit keine neuen Schulden mehr gemacht werden müssen, wenn ab 2020 die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse des Bundes und des Landes rechtlich verbindlich wird.

rastenden Zugvögel, spielten vor allem Belange der am See bereits ihn nutzenden ansässigen und Vereine eine wesentliche Rolle. Inwieweit wird der Betrieb der diagonal über den See reichenden

Ruderregattastrecke beeinflusst? Inwieweit ist der Betrieb beider parallel möglich? Anlagen Die von der Wakeboardanlage in Anspruch genommen Flächen sind für andere Seenutzer tabu und einer

anderen Nutzung nicht zugänglich. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit der Segelbetrieb auf dem Einschränkungen erfährt. Eine wesentliche Diskussion scheint uns auch die Frage um die zukünftige Ausrichtung des Sees. Bislang wird der See geprägt von eher nichttechnischen, die Ruhe und die Langsamkeit in den Vordergrund rückenden Erholungsformen. Die Sitzung endete mit der ausdrücklichen Bitte aller am See bereits ansässigen Vereine und Nutzergruppen das Vorhaben in Form eines Modells zu visualisieren. Die Veränderungen im Hinblick auf den Charakter und das touristische Erscheinungsbild des Sees könne man mittels eines Modells besser abschätzen, fasste der Vorsitzende des Umweltausschusses zusammen. Behutsamkeit und Ausgleich im Hinblick auf die weiteren Plaungsschritte seien unbedingt nötig. Eine breite Zustimmung zum Vorhaben sei nur über eine breite Beteiligung und den erforderlichen Interessenausgleich möglich. Ein Modell erleichtere auch die Abschätzung der zu erwartenden Beeinflussung auf die anderen Nutzer. Konkurrierende Nutzungen müssen miteinander verträglich bleiben.

Keine Zeit verlieren Rettung des Werratalsees beschleunigen

Die Ursachen für die schwierige Situation des Werratalsees sind erkannt: Sie liegen erstens im undichten Kanalsystem von Schwebda und zweitens im Nährstoffeintrag in den See durch die Werra. Alle weiteren Faktoren - die es sicherlich auch gibt - treten dahinter offensichtlich weit zurück. An der ersten Stelle aller denkbaren Maßnahmen steht für uns das Abstellen der Einträge aus diesen beinen Quellen! Die Gemeinde Meinhard hat bereits gehandelt und die Sanierung ihrer Kanäle veranlasst – der Erfolg wird aber erst zeitversetzt einsetzen. Um den Eintrag aus der Werra zu verringern muss der Wasserspiegel des Sees angehoben werden – derzeit ist der Wasserstand der Werra höher als der des Sees. Eine Wasserspiegelanhebung des Sees ist baulich einfach umsetzbar (und wurde bereits vorbereitet) sowie topographisch bis zu einer begrenzten Höhe machbar. Für die Wasserstandanhebung muss allerdings ein so genanntes Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Im Rahmen des Verfahrens sind bestimmte Dinge, wie z.B. wasserrechtliche Belange (Stichwort Retentionsraum) durch Gutachten abzuarbeiten. Dies nimmt natürlich Zeit in Anspruch. An dieser Stelle sind wir ungedulig – vielleicht etwas ungeduldiger als der Bürgermeister und die Verwaltung, wir glauben, dass man dieses Verfahren beschleunigen könnte und werden weiter Druck machen. Eine flächendeckende Ausbringung von Chemikalien im See um den Phosphor, der für die Überdüngung verantwortlich ist auszufällen (zu binden), lehnen wir - entgegen der CDU – ab, zumindest so lange die Ursachen für die Einträge nicht abgestellt sind und ständig neuer Phosphor nach kommt. Erst dann könnte diese Maßnahme einmalig Sinn machen.

Unser Naherholungsgebiet Werratalsee muss endlich wieder blaualgenfreie Zone werden.


Neues Zuhause für Demenzerkrankte

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Ehemalige Limonadenfabrik in Niederhone Ende 2014 einzugsbereit

Es tut sich was auf dem Gelände der ehemaligen Limonadenfabrik in Niederhone. Die alte Produktionshalle ist abgerissen und das Wohnhaus frei geräumt. Die Arbeiten an der neu entstehenden ambulant betreuten Wohngemeinschaft sind im vollen Gange. Insgesamt sollen hier zwölf ältere Menschen ein neues Zuhause finden. Menschen, die vorwiegend an Demenz erkrankt sind, die nicht mehr allein leben und betreut werden können, die aber auch nicht in eine große stationäre Einrichtung einziehen wollen. Eschweges Erster Stadtrat Reiner Brill hat dieses Projekt initiiert. Er ist überzeugt davon, dass die vorhandenen stationären und häuslichen Pflegeangebote auf Dauer nicht ausreichen werden, um den wachsenden Bedarf zu decken. „Ambulant betreute Wohngemeinschaften können die Versorgungslücke schließen“, sagt Brill, der als Sozialdezernent Handlungsbedarf sieht. Die zukünftigen Bewohner werden in ein modernes, barrierefreies Gebäude mit rund 470 qm Fläche im Neu- und im Altbau einziehen können. Die

Die ehemalige Limonadenfabrik n Niederhone wird nach ihrem Umbau Platz für zwölf an Demenz erkrankte ältere Menschen bieten, die hier in einer Wohngemeinschaft selbstbestimmt ihren Alltag gestalten können.

Zimmer werden zwischen 17 und 22 qm groß sein, dazu kommen ein großzügiger gemeinsamer Wohnund Essbereich, eine Küche, mehrere Bäder und Funktionsräume. Das Außengelände wird neu angelegt und gestaltet. Im ehemaligen Wohnhaus entstehen außerdem in der ersten Etage zwei altengerechte Wohnungen, die mit einem Fahr-

stuhl erreichbar sein werden. Das Gebäude liegt relativ zentral in Niederhone. Der Stadtteil verfügt mit einem kleinen Supermarkt, Arzt und Apotheke über eine gute Infrastruktur. Zudem hat sich der Ortsbeirat von Anfang an geschlossen hinter das Projekt gestellt und auch der Umwidmung von finanziellen Mitteln aus der einfachen Stadter-

neuerung für die Wohngemeinschaft zugestimmt. Bauherr und Vermieter der Zimmer ist die Stiftung Hospital St. Elisabeth. Geschäftsführer Torsten Rost hat sich um den Erwerb des Grundstückes und der Gebäude gekümmert, Fördermittel beantragt und gemeinsam mit dem Ersten Stadtrat, Hannelore Beutler von der

Diakoniestation Eschwege-Witzenhausen und Mitarbeitern der Kreisstadt das Konzept für die Wohngemeinschaft entwickelt. Die Bewohner sollen dort individuell betreut und gepflegt werden. Die Pflegeleistungen werden durch einen ambulanten Dienst erbracht. Sie sollen gemeinschaftlich von allen Mietern beauftragt werden. Die Begleitung der Bewohner im Alltag (Grundpflege, gemeinsamer Einkauf, gemeinsame Essenzubereitung, Freizeitangebote etc.) wird durch qualifizierte Alltagsbegleiter sichergestellt. Die Koordination und Unterstützung der Mietergemeinschaft erfolgt durch eine unabhängige, fachlich geeignete Honorarkraft. Angehörige der Mieter sowie engagierte Bürger vor Ort können und sollen sich aktiv bei der Betreuung und Alltagsgestaltung einbringen. Wichtig ist allen Beteiligten, dass die Selbstbestimmung der Bewohner den Alltag in der Wohngemeinschaft prägen und bestimmen soll. Der Neu- und Umbau der ehemaligen Limonadenfabrik soll Ende nächsten Jahres abgeschlossen sein.

Krippenplätze weiter ausgebaut Was lange währt ... Versorgungsquote erreicht 36 Prozent

Im Ausschuss für Soziales und Kultur der Kreisstadt Eschwege berichtete kürzlich Stadtkämmerer und Sozialdezernent Reiner Brill, dass zu Beginn des nächsten Kindergartenjahres 2013/2014 in Eschwege 146 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren vorhanden sein werden. Davon entfielen 111 Plätze auf Kindertageseinrichtungen und 35 Plätze ständen bei zertifizierten Tagespflegepersonen zur Verfügung. Die Versorgungsquote für unter dreijährige Kinder betrage im August nächsten Jahres 36 Prozent. Gegenwärtig werde zudem geprüft, ob eine weitere städtische Liegenschaft für die Ausweisung von zehn zusätzlichen Krippenplätzen in Betracht komme. Nach wie vor, so Brill, könne niemand voraussagen, wie viele Betreuungsplätze für unter dreijährige Kindern mit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs zum 1. August 2013 benötigt werden. Dies sei abhängig von der Arbeitsmarktsituation, der Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes, der Elternbeiträ-

Gute Nachricht für Kleinkinder: Immer mehr Krippenplätze helfen ihren Eltern Beruf und Erziehung zu verbinden.

ge und den Öffnungszeiten der Einrichtungen. In Eschwege seien die Angebotsstrukturen in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut worden. Das Gesamtinvestitionsvolumen im Bereich der Krippenplätze werde sich nach Umsetzung aller

Maßnahmen zwischen 2009 und 2013 auf über eine Mio. Euro belaufen. Hierfür wurden Fördermittel in Höhe von rd. 640.000 Euro bewilligt. Die Kreisstadt habe selbst rund 417.000 Euro aufgebracht und ein freier Träger beteilige sich mit rund 51.000 Euro.

Von einander und dazu lernen Eschweger Familienhäuser mit positiver Bilanz

Vor gut einem Jahr haben sich alle 10 Eschweger Kindertagesstätten im Projekt „Eschweger Familienhäuser“ zusammen geschlossen. Stadtkämmerer und Sozialdezernent Reiner Brill hat das Projekt gemeinsam mit der Ev. Familienbildungsstätte/Mehrgenerationenhaus und der Kindertagesstättenfachberatung des Kreises auf den Weg gebracht. Ziel ist es, durch zusätzliche Angebote in den Einrichtungen die Eltern- und Erziehungskompetenz zu stärken und die Kinder in ihrer sozialen, sprachlichen, motorischen und kreativen Entwicklung zu fördern. Für die Familienhäuser werden dafür zusätzliche Honorar- und Veranstaltungsmittel bereitgestellt. Trägerübergreifend entwickelten die Kindertagesstätten zunächst zahlreiche Informationsveranstaltungen, Vorträge und freizeitpäda-

gogische Angebote für Familien, Kinder und Eltern und stellten sie zu einem abwechslungsreichen Programm zusammen. Im ersten Halbjahr 2012 haben dann 29 Veranstaltungen mit gut 600 Teilnehmern stattgefunden. Die Palette reichte vom Elternfrühstück über Musik mit Alltagsgegenständen, Osterbasteln bis zum Bau von Weidentippis, Bewegung und Entspannung und Kochen mit Papa. Von den beteiligten Erzieherinnen werden die Angebote als Chance gesehen, mit den Eltern in Ruhe ins Gespräch zu kommen, um sich über Erziehungsfragen, die Entwicklung der Kinder und die Gestaltung des familiären Alltags auszutauschen. Die Teilnehmer profitieren über die gemeinsamen Aktionen mit ihren Kindern und auch von dem einen oder anderen pädagogischen Hinweis und Rat.

Aufgrund der guten Resonanz und Ergebnisse wurde das Projekt auch im zweiten Halbjahr 2012 weitergeführt. Nach einer Fortbildung für die Erzieherinnen zum Thema „Veränderte Familien – Veränderte Kindheit“ mit Frau Prof. Dr. Tschöpe-Scheffler von der Fachhochschule Köln. Anschließend wurde ein neues abwechslungsreiches und spannendes Programm geplant und bis Ende des Jahres umgesetzt. Die Eschweger Familienhäuser haben sich etabliert. Die Einrichtungen sowie Eltern und Kinder profitieren von den Angeboten. Beide Seiten lernen voneinander, lernen dazu und entwickeln ihre Kompetenzen weiter. Finanziell wurde das Projekt vom Kreis, der Eschweger Stadtstiftung, den Stadtwerken Eschwege, dem Tender Werra und dem Lions Club unterstützt.

Nachbarschaftshilfe Eschwege

Am 31. Januar war es endlich soweit: Die Nachbarschaftshilfe Eschwege wurde als gemeinnütziger Verein gegründet. Vor mehr als einem Jahr hat Sozialdezernent Reiner Brill in der Kernstadt und den Stadtteilen die Idee einer Nachbarschafts- und Generationenhilfe in Eschwege bekannt gemacht. Gemeinsam mit OMNIBUS – der Freiwilligenagentur des WerraMeißner-Kreises und der Fachstelle Bürgerschaftliches Engagement der Kreisstadt Eschwege warb er dafür, dass sich in Eschwege ein Verein gründet, der es sich zur Aufgabe macht, Menschen bei den kleinen Dingen des Alltags zu unterstützen. Dazu kann zum Beispiel die Begleitung zum Arzt gehören, die Hilfe beim Einkauf, das Auswechseln einer Glühbirne oder das Vorlesen der Tageszeitung. Menschen helfen anderen Menschen für begrenzte Zeit. Denn die Unterstützung im Alltag soll und kann keine Dauerhilfe sein. Diese muss von professionellen Dienstleistern erbracht werden. Beispiele für Nachbarschaftshilfen sind Begleitung zu Behörden, Ärzten, Einkäufen, Besuchsdienste, zeitweise Betreuung von Kindern, Hilfen im Haushalt im Krankheitsfall, kleinere Garten- oder Schreibhilfen, kleinere Reparaturen im Haushalt, vorübergehende Betreuung von Tieren oder vorübergehendes Blumengießen, Briefkasten leeren, Straße kehren. Wer in der Nachbarschaftshilfe Eschwege aktiv wird, macht das freiwillig und ehrenamtlich und entscheidet selbst darüber, bei wem und wie lange er hilft. Für sein Engagement erhält er Zeitpunkte gut geschrieben, die er später einsetzen kann, wenn er

Impressum

selbst Hilfe benötigt. Wer über keine Zeitpunkte verfügt, zahlt an den Verein einen geringen Betrag pro Stunde. Mit dem Geld werden zum Beispiel die Versicherungen für die Helfer bezahlt und Fahrtkosten erstattet. Noch helfen sich bei uns im ländlichen Raum viele Verwandte, Bekannte und Nachbarn gegenseitig. Wir müssen aber leider feststellen, dass immer mehr (alte) Menschen auf sich allein gestellt und ohne soziale Beziehungen und Hilfs- und Unterstützungssysteme sind.

Erster Stadtrat Reiner Brill

Dazu kommt, dass die Nahversorgung eingeschränkt, die Arztpraxen vor Ort seltener werden und die Post längst dicht gemacht ist. Hier setzt die Idee der Eschweger Nachbarschaftshilfe an. Wer kann gibt Hilfe. Wer braucht nimmt Hilfe. Und gemeinsam verbringt man ein wenig Zeit miteinander. Das ist gelebte Solidarität.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts: SPD-Ortsverein Eschwege Redaktionsteam: Reiner Brill, Alexander Feiertag, Stefan Fiege, Martin Große, Jörg Heinz, Petra Strauß, Matthias Wenderoth. Layout: Alexander Feiertag, Stefan Fiege, Jörg Heinz, Marcus Stolle. Auflage: 11.000 Stück


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Die Bronzeskulptur enes Koffers erinnert an die Deportation jüdischer Bürger in die Vernichtungslager. Die Steine tragen die Namen der Opfer und sollen die Erinnerung an sie wach halten und an die Verantwortung folgender Generationen gemahnen. (Foto: Carl-Heinz Greim)

Schweigemarsch: Viele Fragen...

Von Gerd Strauß

Es waren viele Schülerinnen und Schüler aller weiterführenden Schulen Eschweges, es waren viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, die ich am 6. September 2012 morgens um 4 Uhr auf dem Schulberg traf, um in einem Schweigemarsch zum Bahnhof derer zu gedenken, die am 6. September 1941 – also genau vor 70 Jahren – als letzte Eschweger jüdischen Glaubens in einem ‚Sonderzug’, dem schon zwei 1941 vorausgegangen waren, ihre Heimat verlassen mussten. Sie wurden mit der Eisenbahn in ein Sammellager nach Kassel und von dort aus in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager wie Theresienstadt, Sobibor und Auschwitz transportiert. Die meisten von ihnen ließen dabei ihr Leben. Schweigend reihte ich mich ein in den langen Zug der Teilnehmer, der über die Herrengasse hinunter dem Bahnhof zustrebte. Je länger ich lief, umso bedrückter wurde ich. Mich quälten plötzlich so viele Fragen und nicht alle konnte ich wirklich beantworten. Die Vorstellung, mit zu denen gehört zu haben, die damals deportiert worden sind, war schon erschreckend genug. Was aber hätte ich denn zu meiner Frau oder meinen Kindern gesagt, wenn ich von ihnen gefragt worden wäre: „Wo kommen wir denn hin?“ Sophie-Sonia Habler, eine der wenigen Überlebenden dieser Deportationen aus Eschwege, berichtete später von unglaublichen Ängsten, die sie gehabt hatte. Ein anderer Überlebender verwies gar darauf, dass die Gefühlswelt vieler Deportierter davon beherrscht wurde, nicht mehr an Freiheit und Frieden zu glauben, sondern nur noch daran, als Juden zusammen

Eine ganz persönliche Darstellung des 06.09.2012

Teilnehmer des Schweigemarschs am 6. September 2012 zum Gedenken an die jüdischen Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. (Foto Carl-Heinz Greim)

sterben zu wollen. Ich dachte: Hoffnungslosigkeit muss wohl eines der schlimmsten Gefühle sein, die uns Menschen beschleichen kann. Wir zogen die Forstgasse hinauf. Links und rechts in den Häusern war kein Licht zu sehen. Kein Mensch war sonst auf der Straße, es war sehr still. Hat die Eschweger Bevölkerung damals von dieser letzten und den anderen Deportationen etwas mitbekommen? Wusste sie gar, was mit den Deportierten geschieht? Das Eschweger Tageblatt vermeldet jedenfalls am 30. Dezember 1942: „Die Juden, deren Zahl bei der Machtübernahme noch über 500 betrug, sind infolge Umsiedlung ganz aus Eschwege verschwunden.“ Viele Menschen – auch in Eschwege

- haben nach 1945 behauptet, von der Vernichtung der Juden nichts gewusst zu haben. Untersuchungen in der Bundesrepublik zwischen 1946 und 1989 ergaben jedoch, dass rund ein Drittel der damals lebenden Deutschen von dem Massenmord an den Juden geahnt oder gewusst hatte. Sollte Eschwege eine Ausnahme sein? Erst jüngst wurden die Tagebücher eines Zeitzeugen aus Mittelhessen – des Laubacher Justizinspektors Friedrich Kellner - mit dem Titel „Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne“ veröffentlicht. Er, der die Aktivitäten des NS-Staates im Zeitraum 1939-45 kritisch begleitete, schrieb darin: „Diese grausame, niederträchtige, sadistische, über

Jahre dauernde Unterdrückung mit dem Endziel Ausrottung ist der größte Schandfleck auf der Ehre Deutschlands. Diese Schandtaten werden niemals wieder ausgelöscht werden können“. Gab es in Eschwege vielleicht auch Menschen, die so dachten? Weiter bewegte sich unser Zug Richtung Bahnhof und erreichte die Friedrich-Wilhelm-Straße. Auch hier lebten damals jüdische Mitbürger. Mir kam die Frage in den Sinn, was denn diejenigen, die in die durch die Deportationen frei gewordenen Wohnung gezogen oder die bei Versteigerungen an jüdisches Eigentum gekommen sind, wohl gedacht haben. Haben sich Eschweger an dieser Ausbeutung der Juden selbstver-

ständlich und skrupellos beteiligt? Und haben sie nach 1945 – die Zusammenhänge nun kennend – versucht, freiwillig das fremde Eigentum zurückgegeben? Ich weiß es nicht. Ein Brief an die jüdische Gemeinde in Eschwege nach dem Zweiten Weltkrieg bezichtigt jedenfalls den NSDAP-Kreisleiter Weiß sowie den Leiter des hiesigen Finanzamtes, Regierungsrat Dr. Stehling, besonderen ‚Engagements’ hinsichtlich der ‚Arisierung’ jüdischen Vermögens. War es so? Es fällt mir allerdings auch ein, dass die Witwe von Ludwig Goldschmidt ab 1948 große Schwierigkeiten mit der Stadt Eschwege bekam, weil sie das Wohnhaus in der Reichensächser Straße 29, das die Familie weit unter Wert kurz vor ihrer Emigration Anfang 1939 verkaufen musste, wiederhaben wollte. Schließlich erreichte unser Zug den neuen Bahnhof in Eschwege. Mein Blick fiel auf die Bronzeskulptur in Form eines stehengebliebenen Koffers. Ein Name, stellvertretend für alle anderen Deportierten, fällt ins Auge: Gisela Levi, damals erst 17 Jahre alt! Die Gedenktafel neben dem Koffer verweist auf die zugedachte Funktion: Gedenken und Mahnung zugleich! Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde aus Göttingen, Eva Tichauer- Moritz, sprach ein Gebet zu Ehren all derer, die nach ihrer Deportation in den 0sten ermordet wurden. Um mich herum die Schülerinnen und Schüler, die nach Verlesen des Namens derer, die vor nunmehr 70 Jahren deportiert wurden, einen Stein mit dem Namen eines Deportierten neben den ‚Koffer’ legten. Womit haben sie sich diese jungen Menschen während dieser Gedenkveranstaltung gedanklich beschäftigt? Welche Fragen werden sie noch stellen? Ich hoffe, viele Fragen!


Ein Wegbereiter der Moderne

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Der Eschweger Paul Westheim und die Kunst des 20.Jahrhunderts

Von Dr. Bernd Fechner

nia. Zum Ärger der Nazis erscheinen seine Beiträge in der französischen Presse und deutschsprachigen Exilzeitschriften. So wundert es nicht, dass noch am Tag der deutschen Eroberung Westheims Pariser Wohnung sofort von der Gestapo gestürmt wird. Hals über Kopf kann Westheim fliehen mit nichts als dem Rasierzeug. Selbst seine wichtigen Augentropfen bleiben zurück. Noch in den 1950er Jahren führt Westheim eine Korrespondenz zur Anerkennung von Rentenansprüchen aufgrund der während der Flucht eingetreten einseitigen Erblindung. Aber viele sensible Unterlagen, die in seinem Schreibtisch bleiben, Manuskripte und Korrespondenzen gelangen in die Hände der Gestapo.

Vor etwa hundert Jahren: 1903 wurde der Bismarckturm gebaut, zehn Jahre später fand auf dem Hohen Meissner das Treffen des Freideutschen Jugendtages statt. Wir erahnen, dass Paul Westheim als junger Mann öfters vom Leuchtberg oder vom Schwalbental hinunte auf Eschwege sah. Überblick wurde sein Lebensthema. Bedeutende Kunstsammlung

Paul Westheim gehört bislang zu den weitgehend Vergessenen in seiner Heimatstadt. Dort findet sich bis heute keine Gedenktafel, die an den prominenten Bewohner erinnert. Dabei ist dieser Eschweger eine der zentralen Persönlichkeiten des europäischen Kunstgeschehens der 1920er und 30er Jahre. Als Schriftsteller, Kritiker, Vermittler und prägt er die Netzwerker Entwicklung der Kunst des 20.Jahrhunderts. Bisher fehlen dazu Darstellungen. Kleinere Forschungsbeiträge der jüngeren Zeit widmen sich Westheims bedeutender Kunstsammlung, die er zurück lassen musste, als er Deutschland verlies. Diese galt bis zu seinem Tod im Jahre 1963 als verschollen. Das überraschende Wiederauftauchen einzelner wertvoller Werke aus seinem Besitz im Kunst- und Auktionshandel erst seit der Mitte der 60er Jahre macht die „Sammlung Westheim“ zu einem spannenden Krimithema. Zugleich ist das Schicksal seiner Bilder und Grafiken ein trauriges Beispiel, wie sich nationalsozialistisches Unrecht und krimineller Raub unter dem Mantel der Verschwiegenheit bis in die jüngste Vergangenheit fortsetzte. Das elterliche Haus Westheim befindet sich an der Friedrich-Wilhelm-Straße, dort wo sich heute die Sparkasse befindet. Paul wird hier am 7. August 1886 geboren. Ein gutes halbes Jahr nach Paul kommt am Schlossplatz Ludwig Pappenheim zur Welt, der mit der „Liste Pappenheim“ gemeinsam mit anderen Unabhängigen Sozialdemokraten 1919 zum Stadtverordneten gewählt wird. Wir dürfen annehmen, dass beide nicht nur ihre jüdische Herkunft teilen, sondern dass sie einander auch politisch und freundschaftlich verbunden sind. Nach Berlin

Statt wie von den Eltern gewünscht eine kaufmännische Lehre zu beginnen, wendet sich Paul Westheim der Kunstgeschichte zu. Bereits als 18-jähriger wird er Mitarbeiter im Feuilleton der Frankfurter Zeitung. 1906 zieht er nach Berlin, der Stadt, die mit großer Dynamik innerhalb weniger Jahre zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellem Zentrum geworden war. Der Kunsthistoriker Wilhelm Worringer wird einer seiner Universitätsprofessoren. Noch in den 1950er Jahren widmet Westheim „dem verehrten Lehrer und Freund“, sein großes Buch „Die Kunst Alt-Mexikos“ (mexikanische Ausgabe 1950, deutsch DuMont Köln, 1966), das sein letztes werden sollte. Kunstblatt und Moderne

1917 gründet Westheim die Zeitschrift „Kunstblatt“, die für die Strömungen der zeitgenössischen Kunst, besonders den Expressionismus, zur wichtigen Plattform wird („Wer von Kunst keinen Dunst hat, kennt nicht unser Kunstblatt.“). An Westheim kommt keiner vorbei,

Schaffen und Wirken in Mexiko

Globaler Blick und lokale Wurzeln : „(...) Die Erinnerung an Eschwege, dieses friedvolle Städtchen, das ich sehr früh schon verlassen musste, habe ich immer in mir getragen. In den zwei Kontinenten, in denen ich herumgekommen bin, habe ich, vielleicht von den Loire-Schlössern abgesehen, nirgends mehr ein solch idyllisches Stück Welt gefunden wie das Werratal mit Hohem Meissner, sagenumsponnenen Burgen und Tälern. (...)“

Auszug aus einem Dankesbrief für eine Gratulation des Eschweger Bürgermeisters zur Verleihung des Bundeverdienstkreuzes 1961

der in der Berliner Kunstszene etwas gelten will. Westheims VierZimmer-Wohnung, „An der Apostelkirche 8“, befindet sich unweit des Potsdamer Platzes, dem Metropol Theater am Nollendorfplatz , den bedeutenden Galerien im Lützowviertel und des Nachtlebens der Motzstrasse. Regelmäßig, etwa alle zwei Jahre, verfasst er Bücher, darunter „Die Welt als Vorstellung. Ein Weg zur Kunstanschauung“ (1919) und „Für und Wider. Kritische Anmerkungen zur Kunst der Gegenwart“ (1923). Sein „Holzschnittbuch“ (1921) gilt bis heute als bibliophiles Standardwerk dieser jahrhundertealten Reproduktions- und Darstellungstechnik. Die junge Künstlergeneration vor und nach dem Ersten Weltkrieg wie Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Ernst Barlach, Lyonel Feininger, entdecken den Holzschnitt wieder neu. Nicht sie allein stehen im Zentrum des Buches, sondern die großen Schulen des Mittelalters und der Barokkzeit. Kennzeichnend für Westheim ist die vergleichende Darstellung von Altem und Neuen, Kunst des europäischen Raumes neben anderen Kulturkreisen. Die Moderne erwächst aus der genauen Kenntnis der asiatischen Meister und selbstverständlich dem intensiven Studium der Renaissance, vor allem Dürer und Holbein. Globale Perspektive und neuer Autorentyp

Eines der buchgestalterisch schönsten von Westheim und Carl Einstein herausgegebenen Bände trägt das ganze Drängen seines Wirkens im Titel. Der Name ist Programm: „EUROPA, Almanach Malerei, Literatur, Musik, Architektur, Plastik, Bühne, Film, Mode“ (1925). Inmitten des Wahnsinns der beiden Weltkriege findet sich hier in den vielsprachigen Beträgen namhafter Autoren die Vision eines gemeinsamen Kontinents, der im Streben der Neuen

Kunst geeint ist. Der Blick auf die ganze Welt ist namensgebend auch für die von Westheim herausgegebene große Reihe „ORBIS PICTUS“. Außer deutschen und europäischen Themen widmen sich die kleinen Fototextbände auch dem alten Orient, Indien oder der indianischen Kunst Nordamerikas. Die sehr preiswerten Publikationen sprechen sowohl Fachleute an wie auch das breite Leserpublikum. Dass Westheim auch publizistisch neue Wege einschlägt, untersteichen auch seine regelmäßigen Beiträge im Rundfunk. Es geht ihm darum, die Kunst hinauszuführen von den besseren Kreisen in die breite Masse. Soziologisch und kulturwissenschaftlich gesehen ist Paul Westheim Vertreter eines neuen Typus des freiberuflichen Autors und Vermittlers der, der jenseits der Anstellung an öffentlichen Institutionen den Kulturbetrieb in höchst nachhaltiger Weise beeinflusst. Verfolgung, Flucht nach Paris und Kritik an den Nazis

Westheims Berühmtheit und sein Engagement für die Neue Kunst ist den Nazis ein Dorn im Auge. Im Völkischen Beobachter erscheint am 25.Februar 1933 ein Hetzartikel als „Generalabrechnung“ mit dem „deutschen Kunstreich jüdischer Nation“, in dem Westheim namentlich angegriffen wird. Nachdem sich Westheim ergebnislos noch um den Verkauf seiner Kunstsammlung an das Museum of Modern Art in New York bemüht hat, gelingt es ihm im Verlauf des Jahres 1933 Deutschland zu verlassen. Nur mit einem Koffer erreicht er Paris. Er kannte die Stadt gut aufgrund früherer Reisen. Durch zurück gebliebene Freunde stets bestens informiert, begleitet er die Nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik mit scharfer Analyse und beißendem Spott. Unübertroffen sind seine Bemerkungen zur Nazi-Architektur und zur Planung Großberlin-Germa-

Nach einer Odyssee durch französischen Internierungslager erhält Westheim über Vermittlung jüdischer Organisationen ein Visum nach Mexiko. Mittellos und schwer erkrankt erreicht der 55-Jährige im Dezember 1941 Amerika. Mexiko City ist Zufluchtsort vieler linker Intellektueller, denen aus politischen Gründen die Einreise in die USA verwehrt wird. Hierunter Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Leo Trotzki aber auch der Freund Otto Rühle, Veteran der Novemberrevolution. Bleibt der Blick der meisten Emigranten allein auf Europa und Deutschland verhaftet, so wird Mexiko, „ein Land in dem ein Kunstmensch leben kann“, Westheims große Leidenschaft: Bald lernt Westheim die Romanistin, Hispanistin und bedeutende Übersetzerin Mariana Frenz kennen, die bereits 1930 aus ihrer braun werdenden Heimatstadt Hamburg ausgewandert war. Beide heiraten. Ausbürgerung 1937

Westheim schreibt wieder unnachlässig Bücher zur Kunst

Mexikos, sie übersetzt und vermittelt. Zahlreiche seiner Beiträge erscheinen bald auch auf Englisch und in den USA. Westheim, der 1937 aus Deutschland „ausgebürgert“ wurde, erhält 1954 die mexikanische Staatsbürgerschaft. Seine grundlegenden Arbeiten zur präkolumbianischen Kultur befördern einen Paradigmenwechsel im Selbstbewusstsein der mittelamerikanischen Nation. Die Kunst der Mayas und Azteken mochte – vor Westheim - Ethnologen oder Archäologen interessieren. Die Mexikaner finden sie scheußlich. Westheim hingegen beschreibt die expressive Moderne in der Kunst Alt-Mexikos und „predigt“ ihren Rang vergleichbar mit den Hochkulturen Ägyptens und des Alten Orients. Westheims Folgewirkung etwa auch in der Kunstrezeption der großen US-amerikanischen Sammlungen und Museen ist nach meiner derzeitigen Kenntnis bis heute unerforscht. Als Autor und Vermittler steht er nicht nur Pate in der Entwicklung der Internationalen Moderne, sondern begründet auch die gleichberechtigte Zusammenschau von Gegenwartskultur und Weltkulturerbe. Diese Motive leiten heute das derzeit in Berlin entstehende Jahrhundertprojekt des Humboldtforums. Noch einmal in die Heimat

Auf Einladung des Berliner Kultursenats verlässt der 77 Jahre alte Westheim unter Begleitung seiner Frau am 17. November 1963 noch einmal Mexiko, um Deutschland zu besuchen. In Berlin, der Stadt seiner wichtigsten Jahre, trifft er noch viele Freunde und Weggefährten. Mies van der Rohe war gerade mit dem Bau der Neuen Nationalgalerie am Potsdamer Platz beauftragt. Westheims Tagebuch bricht ab am 19. Dezember. Zwei Tage später stirbt Paul Westheim an Herzversagen in Berlin. Hier liegt er auf dem jüdischen Friedhof an der Heerstrasse begraben.Mariana Frenz-Westheim verstirbt am 24.Juni 2004 in Mexiko-Stadt als hochgeehrte Literatin, als „Königin von Mexiko“ im Alter von 106 Jahren. Westheims Eschweger Verwandte, Geschwister und Stiefgeschwister wurden – bis auf einen kleinen New Yorker Zweig der Familie - im Holocaust umgebracht. Bislang wissen wir nicht, wann Paul Westheim das letzte Mal auf den Bismarckturm zurückkehrte. Am 21. Dezember dieses Jahres jedenfalls jährt sich sein 50.Todestag.

Paul Westheim: Kunstkritiker, Schriftsteller, Vermittler, Netzwerker und geb. Eschweger - Begründer der Zeitschrift „Kunstblatt“

Der Autor wurde 1960 in Eschwege geboren. Ende der 70er Jahre war er einer der Gründer des Eschweger Jugendzentrums, engagiert bei den Eschweger Jungsozialisten, der Initiative „Rettet den Meissner“ und Schulsprecher des Oberstufengymnasiums. Gemeinsam mit anderen war er 1980 verantwortlich für das Festival „Rock gegen Rechts“. Bernd Fechner arbeitet in Berlin mit der Agentur photomarketing.de in der Beratung und Vermittlung von Künstlern und Fotografen und der Organisation von Ausstellungen. Sein besonderer Dank für die Hilfe bei der Recherche gilt Dr. Karl Kollmann und York-Egbert König vom Stadtarchiv Eschwege.


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SPD will das Hallenbad erweitern Wichtiger Infrastrukturbaustein für Arbeits- und Wohnstandort

Regelmäßigen Nutzern des Hallenbades am Schwalbenpfad wird deutlich: Das Bad ist nicht nur ausgezeichnet frequentiert, sondern zeitweise sogar überfüllt. Verschiedene Schwimmkurse sowie Fitnesskurse, die ETSV-Schwimmabteilung, Behinderteneinrichtungen, DLRG, Schulen, Bundespolizei sind nur einige der Nutzergruppen, die im wöchentlichen Turnus das Bad bevölkern. Die Nachfrage von Vereinen, Verbänden und Organisationen kann kaum befriedigt werden. Daneben bleibt oft nur wenig Platz bzw. Zeit für die ebenso zahlreichen „normalen“ Besucher des Bades.

sich auf 2,2 bis 2,9 Mio. Euro. Ein Förderantrag beim Land wurde gestellt, so dass 30% der Maßnahmen seitens des Landes mitfinanziert werden. Dennoch ist der verbleibende Betrag für die Stadtwerke eine große Investition. Betrachte man jedoch nicht nur die Gewinnund Verlustsituation des Hallenbades allein, sondern den Gesamtnutzen des Bades für den „Sozial und Wirtschaftsraum Eschwege“, dann sei eine Weiterentwicklung in jedem Fall für das Gemeinwesen lohnend– so die SPD Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Auch habe man die Schließung des Freibades nur unter der Bedingung hingenommen,dass Einsparungen zur Weiterentwicklung des Hallenbades eingesetzt werden.

Infrastrukturbaustein

Das Einzugsgebiet des Eschweger Hallenbades reicht vom Eichsfeld bis in den Ringgau und von Wanfried bis Waldkappel. Für den „Sozial- und Wirtschaftsraum“ Eschwege stellt das Bad neben Behörden, Krankenhaus, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten einen wichtigen Infrastrukturbaustein im Sinne eines Mittelzentrums dar. Das Hallenbad stärkt den Arbeits- und Wohnstandort Eschwege – ein Pfund, was es unbedingt zu erhalten und weiter zu entwickeln gilt.

Nicht nur sportliche Wettkämpfe fnden m Eschweger Hallenbad statt.Die Nachfrage von Vereinen, Verbänden, aber auch privaten Nutzern ist riesig. Als tragender Baustein der Eschweger Infrastruktur muss das Bad weiter entwickelt werden. (Foto: Carl-Heinz Greim)

Laut Umfragen bei Vereinen, Schulen und Behörden steht ein so genanntes Lehrschwimmbecken in Größe 12,5 X 8 Meter – das ist in etwa die Größe des jetzigen Nichtschwimmerbeckens – mit höhenverstellbarem Hubboden ganz vorn auf der Wunschliste. Man könne z.B. viele Kurse in ein solches Becken

verlegen, Übungen und spezielles Training könne man im Lehrbecken absolvieren und damit das Hauptbecken entlasten – so die Vereine. Aber auch Sanierungsmaßnahmen sind nötig: Hallendach sowie -decke und Beckenbeleuchtung müssen erneuert werden. Darüber hinaus sollte die Halle auch zur Außenfläche (für die som-

Sanierungen nötig

Politischer Einfluss

Unzumutbare Bauverzögerungen verärgern Bürger und Geschäftsleute am Untermarkt.. Dennoch erstrahlt er bald in neuem Glanz.

Ein Aufbruchssignal Zeitgemäßer Marktplatz

Für die Neugestaltung des Marktplatzes werden knapp 900.000 Euro aufgewendet, mehr als 70% können aus dem Städtebauförderprogramm finanziert werden. Weniger als 30% muss die Stadt selbst aufbringen. Dies ist für den städtischen Haushalt immer noch ein großer Betrag. Wir müssen unsere Stadt ständig anpassen, verändern und erneuern, auch in Zeiten knapper Kassen. Unser Marktplatz hat nicht nur eine Funktion als Ort für den Weihnachts- und Ostermarkt oder als Parkplatz. Über die Gestaltung des Platzes entfaltet er auch mannig-

faltige Wirkungen auf Bürger und Gäste. Über den Untermarkt wehte bislang der rückwärts gewandte Charme der siebziger und achtziger Jahre. Nun bekommt der Platz einen zeitgemäßen Charakter als zentraler Ort der Begegnung, des Lebens und des Wirtschaftens in dieser Stadt ohne dabei sein historisches Antlitz zu verlieren. Am Ende werden genau so wie beim Stadtbahnhof – auch die Kritiker des Marktplatzumbaus über die Umgestaltung, den neuen Charakter des Platzes und ein weiteres Aufbruchssignal für Eschwege froh sein.

merliche Nutzung) geöffnet werden. Natürlich ist ein Hallenbad kaum kostendeckend zu organisieren. Vor diesem Hintergrund wurde das städtische Schwimmbad bereits vor einigen Jahren an die ebenfalls im städtischen Besitz befindlichen Stadtwerke GmbH übertragen. Gewinne der Stadtwerke werden seitdem teilweise direkt zur Kosten-

deckung des Bades herangezogen – der so genannte steuerliche Querverbund hilft das Defizit für die Stadt zu reduzieren.. Förderung durch Land

Die Kosten für eine Weiterentwicklung sowie die notwendigen Sanierungsmaßnahmen belaufen

Die Tatsache, dass das Bad der Stadtwerke GmbH übereignet wurde, bedeute nicht, dass die städtischen Gremien nun keinen Einfluss mehr auf das Schicksal des Hallenbades nehmen können. Letztlich sei die Stadt alleiniger Besitzer der Stadtwerke und habe über die Eigentümerversammlung natürlich das letzte Wort. Man setze aber auf einvernehmliche Entscheidungen im Aufsichtsrat der Stadtwerke – so die Meinung der SPD Fraktion weiter. So wurden die Weichen bereits gestellt:Die Stadtwerke haben den Bewilligungsbescheid des Landes über 880.000 Euro 2012 angenommen und befassen sich derzeit mit Planungen in Sachen Lehrbecken und Sanierung. Noch in diesem Jahr werden genauere Zahlen und Pläne erwartet.

Männersachen

Ich weiß es noch genau. Es war Anfang November. An einem Dienstag. Nachts. Ich werde rüde durch sehr eindringlich schabende Geräusche aus dem Schlaf gerissen, vermutlich aus dem Tiefschlaf. Ich öffne die Augen. Zu den merkwürdigen Geräuschen gesellt sich das nervös zuckende Licht eines gelben Blauchlichtes, dass über die frisch getünchte Decke unseres Schlafzimmers fingert. Verwundert richte ich mich auf und stammele schlaftrunken: „Gerda?!“ Doch Gerda antwortet nicht. Die Decke meiner Frau Gerda ist zurück geschlagen, das Kissen eingebeult aber kopf- und gerdalos. Panik! Gerda weg, mitten in der Nacht, Blaulicht (gelb), merkwürdiger Krach! Große Panik! Ich hechte aus dem Bett, so gut wie es eben einem Menschen jenseits der 60 möglich ist und reiße die Gardine zurück. Das Erste was mir ins Auge fällt: Es schneit leicht. Der erste Schnee des nahenden Winter. Ich erinnere mich an die Wetterinformationen des Vorabends, die leichten, stellenweisen Schneefall voraussagten. Und Eschwege ist immer „stellenweise“. Das Zweite: Verkehrschaos! Ein hektischer Blick auf meinen Aufziehwecker bestätigt meine Vermutung: Es ist mitten in der Nacht!! 2.17 Uhr! Eine Armada von Fahrzeugen steht sich stauend und irgendwie

Henners Welt

unkoordiniert in der Neustadt. Die Motoren laufen, qualmen und dampfen. Einige sind mit großen Salztrichtern am Heck ausgestattet, andere haben überdimensionierte Schneeschaufeln am Bug montiert, aber alle eint sie augenscheinlich der Wille Schnee wegzuräumen und ein unablässiges, hektisches blinken ihrer gelben Blaulichter. Aber wo ist Gerda? Ich öffne hektisch das Fenster und blicke hinunter gen Bürgersteig, denn unser Schlafzimmer befindet sich im ersten Stock. Da ist sie. Eingepackt in ihren grauen Wintermantel,

mit einer Pudelmütze auf dem Kopf und unserem Schneeschieber bewaffnet, schiebt sie eifrig die bisher gefallenen und noch nicht geschmolzenen Schneeflocken zusammen. Ich forme mit beiden Händen einen Trichter am Mund und brülle durch dem Motorenlärm:„ Was machst Du da?“ Gerda blickt auf und antworte lauthals: „Ich! Schippe! Schnee!“ Der Tonfall ihrer Antwort und die Art und Weise wie sie die drei Worte phonetisch von einander

trennt, lassen mich vermuten, dass Gerda meine Frage für überflüssig hält und eine weitere Diskussion für entbehrlich. Wenige Augenblicke später stehe ich nach Atem ringend, mit dem Streusalzeimer in der Hand und einer Polarbekleidung am Leib neben ihr. „Schneeschippen ist Männersache!“ erkläre ich ihr mit etwas zu viel Unsicherheit in der Stimme, und bat somit um die Übergabe der Schneeschaufel, um ihr nächtliches Bemühen um Sicherheit und Ordnung fortzusetzen. Gerda: „Quatsch, leg´dich wieder hin, ich hab´alles im Griff!“ Umbeirrt und zielbewusst setzt sie ihre Arbeit fort. Hilflos schaue ich mich um. Der Verkehr der Schneebeseitigungsfahrzeuge ist noch dichter und chaotischer geworden. Der Blick der Fahrzeuglenker noch todesmutiger. Der Verkehr noch stehender. Wo kommen die alle so plötzlich nur her? Zudem scheint die ganze Neustadt auf den Beinen zu sein. Überall wird geschabt und gekratzt. Heiße Getränke aus Thermoskannen werden herumgereicht, gefärbtes Streusalz flächendekkend ausgebracht. Kaum eine Schneeflocke hat die Chance länger als ein paar Sekunden auf dem Trottoir auszuruhen. Fast tut er mir ein wenig leid, ... der Schnee. Dann plötzlich hört es auf zu schneien. Am gleichen Tag um 8.30 Uhr stehe ich in einer langen Schlange von Gleichgesinnten vor dem Baumarkt. Schneeschippe kaufen. Ohne Erfolg. Ausverkauft!


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Sozial und nachhaltig Beschaffungswesen der Stadt

Intakte Natur und biologische Vielfalt - Erholungssuchende finden hier beste Bedingungen.

Naturschutz und Tourismus in der Region

Ansatz für naturnahe und nachhaltige Erholungskonzepte

Tourismus ist auf eine intakte Natur angewiesen. Damit kann unsere Region mehr als mithalten. Bei entsprechender Vermarktung kann sogar eine Vorrangstellung möglich sein. So liegt es eben auch im Interesse der Tourismuswirtschaft, die biologische Vielfalt unseres Naturraums zu nutzen, zu erhalten und zu pflegen. Nur dann können dauerhaft Arbeitsplätze und Einkommen entstehen. So stellt der touristische Masterplan für Eschwege, Wanfried und Meinhard (2012) in konsequenter Weise die Produktlinien „Wanderund Kulturlust“, „Wandergenuss pur“ und „ Genussradeln“ für die weitere Steigerung unserer Gästezahlen in den Vordergrund. Aufbauend auf diese eher langsamen, behutsamen und am intensiven Erleben orientierten Erholungsarten kann unser Standbein - der Naturreichtum - sowohl für uns in Wert gesetzt als auch geschützt und entwickelt werden. Eine rundum gelungener Kurzurlaub an einem Wochenende könnte

sich demnach wie folgt zutragen: Nach Heunacht im Landgasthof mit regionaler Küche sehr früh morgens Start in Heldra mit dem Kanu - leises Plätschern, Morgendunst über der Aue, Vogelgezwitscher in der Luft - Stopp am Werratalsee - mit geschultertem Gepäck zum Schloss Wolfsbrunnen, dort 2. Frühstück auf Sonnenterrasse mit Blick aufs Eschweger Becken und hinüber zum Meissner, der glitzernde Werratlsee im Vordergrund dann weiter: von dort entlang der Obstbaumreihen am Kellabach, am alten Bahnhof Richtung Silberklippe abbiegen - nach schweißtreibendem Aufstieg Picknick an der Silberklippe, nach Wunsch im Sonnenbad oder im kühlen Schatten unter ausladenden Buchen - weiter durch den schattigen Buchenwald, vorbei an ausgedehnten Bärlauchwiesen zum „Grünen Band“, der früheren Grenze zwischen 1. und 2. Welt, ganze Rasen von Orchideen! - dem Premiumweg folgend bis zu den Eibenstandorten an den Muschelkalkhängen unterhalb des Gobert-Pla-

teaus, Durchatmen bei den Tiefenblicken Richtung Schloss Rothestein nicht vergessen - dann auf die Wiesen oberhalb Motzenrode oder Hitzelrode zu einer temporären Übernachtungsmöglichkeit, vielleicht in Gruppenzelten - „Campfire“-Vortrag bei Eschweger Bratwurst und Bier über Fledermäuse, eigene Artbestimmung mit dem BatDetector - am Lagerfeuer Erzählung über Frau Holle oder die Legende über den letzten Bilsteiner - trotz nächtlichem Luchs am Zelt und nach kräftigem Frühstück Abstieg zu den Meinharder Badeseen - nach Mittagspause nach Eschwege zum Wohlfühlhotel - Relaxen, abends nach 3-Gänge-Menü und verdientem Kalorienausgleich in die Stadthalle zur Theaterpremiere von Büchners Lenz - abends in der Weinlounge Reflexion des Erlebten und Gesehenen, Austausch von Adressen - morgens dann vom Bahnhof wieder nach Hause mit dem Wunsch, das nächste Mal doch die 5-Tages-Tour (incl. Klettergarten und Segelkurs) zu buchen.

In einem gemeinsamen Antrag fordern die SPD- und die Grünenvom Stadtverordnetenfraktion Magistrat die Überarbeitung der Vergaberichtlinien der Kreisstadt Eschwege. Ziel ist es, bei der Vergabe von städtischen Aufträgen – mehrere Mill. Euro jährlich – verstärkt auf die Einhaltung von Tariftreue, Arbeitsschutzbedingungen, Um-weltstandards und fairem Handel zu achten. Darüber hinaus sollen keine Produkte aus Kinderarbeit beschafft werden. Und es sollen, soweit rechtlich zulässig, Produkte und Dienstleistungen aus der Region nachgefragt werden. Die bisherigen Vergaberegelungen der Stadt Eschwege enthalten dazu nur wenige und unverbindliche Aussagen. Leider hat die Landesregierung die Entwürfe für ein Tariftreuegesetz bisher abgelehnt und damit eine wichtige landesrechtliche Regelung verhindert. Wie aktuell das Thema ist, zeigen jüngste Veröffentlichungen und umfangreiche Empfehlun-

gen des Umweltbundesamtes sowie ein von dort in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund empfiehlt den öffentlichen Auftraggebern, die rechtlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung von Umwelt-, Energie- und Arbeitsschutzstandards konsequent zu verfolgen. Die Fraktionen von CDU, FDP und FWG haben die Forderungen nach konsequenter Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsschutzkriterien als „überflüssig“ und „populistisch“ bezeichnet. Der Bürgermeister sprach der Stadtverordnetenversammlung gar die Zuständigkeit ab. Die Eschweger Sozialdemokraten werden sich in den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen und der Stadtverordnetenversammlung mit Nachdruck dafür einsetzen, verbindliche Umwelt-, Energie- und Arbeitsschutzregelungen bei der Vergabe städtischer Aufträge festzulegen.

Steine des Anstoßes: Das Marktplatzpflaster muss nicht vor dem Einbau zuvor an jedem Ort der Welt gewesen sein. Nachhaltigkeit bedeutet auch kurze Wege.

Kein Salzeintrag in die Werra!

Die Fraktionen der SPD und der Grünen stellten zur Stadtverordnetenversammlung vom 15.11.2012 zum wiederholten Male einen Resolutionsantrag zur Vermeidung der Salzeinträge durch K+S. Der Antrag richtet sich an die verantwortliche Kaliindustrie und die politisch Verantwortlichen der christlich-liberalen Landesregierung in Wiesbaden. Schon im November 2006 wurde ein im Wortlaut ähnlicher Text auf Initiative der SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung einstimmig verabschiedet. Allein: Eine Entscheidung über wirkungsvolle Maßnahmen blieb bis zum heutigen Tage im Kern aus. Es wird diskutiert, verhandelt und wieder diskutiert – so hat die Werra-Weser- AnrainerKonferenz durchaus andere Vorstellungen als der Runde Tisch; K+S kann so prächtig lavieren und auf zu hohe Kosten, zu hohe Planungsaufwendungen etc. verweisen (z.B. KuTEC-Verfahren, Pipeline zur Nordsee). Dies soll Veranlassung genug sein , nochmal die überragende Bedeutung des Werraflusses für unseren Lebensraum zu erinnern. Flüsse sind die Lebensadern einer Landschaft, wie eben auch die Werra eine solche ist. Sie sind den Blutbahnen im menschlichen Körper vergleichbar. Sie sind die Adern, welche die Landschaftselemente, also unsere natürlichen Grundlagen, mit der Grundsubstanz Wasser ausstatten. So versorgen sie den Grundwasserkörper mit normalerweise sauberem Wasser, welches den Nutzpflanzen, der biotischen Standortvielfalt und damit auch dem

Resolutionsantrag der SPD und der Grünen

Erholungsräume in Gefahr: Die Salzfracht in der Werra soll deutlich verringert werden.

Erlebnisreichtum der Landschaft, wie aber auch der Sicherung genetischer Ressourcen indirekt dem Menschen zum Nutzen gereicht. Direkten Nutzen hat der Mensch, indem sich eine solche Landschaft am und „durch“ Wasser insbesondere zur Erholung eignet. Sie hilft z.B. beim Durchwandern, den eigenen Kopf von immer öfter auf das menschliche Gehirn einwirkenden, unnützen, unbrauchbaren Informationsfluten zu befreien. Denken wir an unsere Anstrengungen im Tourismus, wird klar, dass wir uns ein „versalzenes“ Image nicht leisten können. Unsere versalzene Hauptblutbahn stellt lediglich einen Vorfluter für den geregelten Abfluss industriell erzeugten Salzabwassers dar. Man bekommt den Eindruck, es handelt sich um eine Kloake, die

wie ein Fremdlingsfluss aus einer Salzpfanne heraus quellend durch unseren touristisch weiter zu entwickelnden Erholungsraum schwappt. Das Werratal als Raum einer eigentlich möglichen, besinnlichen und ruhigen Erholung verdüstert eher unser Gemüt. Die Idee einer ökologisch intakten, naturnahen und erholungsgeeigneten harmonischen Flusslandschaft gerät dauerhaft in Gefahr. Einige Daten zur Gewässerökologie verdeutlichen unser Problem auf drastische Art und Weise. So sprechen die Ausführungen Herrn Prof. Braukmanns und Herrn Hübners (2007, Gewässerökologen an der GHK) eine deutliche Sprache. Anhand ökologischer Erhebungen an vergleichbaren Probeflächen einerseits in der Werra selbst und ande-

rerseits in den Nebengewässern der Werra kommen sie zu folgenden Aussagen: So fanden sie an Eintags- und Köcherfliegen (Bioindikatoren für die Wasserqualität) in den Nebengewässern 60 verschiedene Arten und insgesamt 13.230 Individuen. Was fanden sie in der Werra? Lediglich 10 Arten und gerade mal 26 Individuen konnten erhoben werden! Dies bedeutet, dass die Werra an zentraler Stelle – nämlich der Hauptschlagader unserer Blutbahn - eine regelrechte Salzbarriere inmitten des gesamten, um sie herum befindlichen Gewässersystems, des Einzugsgebiets, darstellt. Ökologisch fast völlig verödet ist sie vom Oberlauf und den Nebengewässern am Unterlauf abgeschnitten: Kein Austausch zwischen den Teilsystemen:

Ein nicht funktionierendes System! Dennoch dürfen wir unsere Option auf die Zukunft nicht vergessen! Im Gegenteil, die Vision einer sauberen Werra muss dringend Realität werden. Deshalb muss auch immer wieder Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit hergestellt werden. Nicht zuletzt auch, um das eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die BRD durch den Europäischen Gerichtshof und um auch hohe Geldstrafen abzuwenden. Es stehen technische Lösungen bereit, auf deren Basis es möglich sein sollte, die Ziele der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie innerhalb der gesetzlichen Fristen zu erreichen. Eine Salz- Pipeline zur Nordsee ist in der Tat planerisch sehr aufwändig, sollte aber auch gerade jetzt, nachdem sich in Niedersachsen der Wähler für eine rot-grüne Landesregierung entschied, planerisch mit großem Tempo vorangetrieben werden. Wenn nun auch in Hessen endlich die konservativ-liberale Regierung parallel zur unsäglichen Bundesregierung abgewählt würde, stünden die Chancen für solch ein anspruchsvolles Projekt auch hinsichtlich kurzer Zeitschienen mehr als gut! Auch ist in der Diskussion darauf zu achten, dass die Arbeitsplätze bei K+S nicht gegen den Ressourcenschutz –also eine salzfreie Werra – ausgespielt werden. Das ist inakzeptabel.

Deshalb: Am 22. September 2013 die untätige Landesregierung abwählen: Damit auch die Werra wieder sauber wird!


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