Möbel in Basel

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Stefan Hess Wolfgang Loescher

Kunst und Handwerk der Schreiner bis 1798

Christoph Merian Verlag


Möbel in Basel – Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798


Band 18 der Schriften des Historischen Museums Basel, herausgegeben im Auftrag der Stiftung für das Historische Museum Basel

Herausgeber: Historisches Museum Basel Direktor: Burkard von Roda Buchkonzept: Historisches Museum Basel, Stefan Hess, Wolfgang Loescher Fotografie: Peter Portner, Historisches Museum Basel (Ausnahmen siehe Bildnachweis) Buch- und Umschlaggestaltung sowie Satz: Manuela Frey, Historisches Museum Basel Produktionsüberwachung: Manuela Frey, Peter Portner, Historisches Museum Basel Konservatorische Betreuung der Objekte und technische Assistenz: Konservierungsabteilung des Historischen Museums Basel Umbruchkorrektorat: Doris Tranter, Basel Personen- und Herkunftsregister: Stefan Hess Literaturverzeichnis und Bildbestellung: Stefan Hess, Wolfgang Loescher, Daniel Suter Lithos und Bildbearbeitung: Mc High End AG, Allschwil; Manuela Frey, Historisches Museum Basel Druck: Gremper AG, Basel/Pratteln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-85616-545-1 Auflage: 800 Exemplare

© 2012 Christoph Merian Verlag © 2012 Texte und Abbildungen:

Historisches Museum Basel

Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Mit freundlicher Unterstützung der L. + Th. La Roche-Stiftung der Stiftung für das Historische Museum Basel und einer ungenannt bleibenden Stiftung

Buchbinder: Schumacher AG, Schmitten Schriften: Frutiger, Sabon Papier: 135 g/m2 LuxoArt Samt 8800019 hochweiss ungeriest FSC

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Stefan Hess Wolfgang Loescher

Kunst und Handwerk der Schreiner bis 1798

Mรถbel Christoph Merian Verlag



INHALTSVERZEICHNIS Vorwort Die Geschichte des Schreiner- handwerks in Basel bis 1798

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- Die Anfänge des Schreinerhandwerks im Spätmittelalter 13 - Das ‹Ehrenhandwerk› der Schreiner 19 - Die Ausbildung 22 - Das Meisterstück 27 - Das Gesellenwesen 34 - Die zünftigen Meister 46 - Unzünftige Konkurrenten 54 - Der Niedergang des zünftigen Schreinerhandwerks 62 - Materialbeschaffung und Handwerkstechnik 66 - Kooperation und Konfrontation mit anderen Handwerken 72 - Assoziierte Handwerke 82 - Anmerkungen 89

Die Möbel: Typen und Stile – ein Überblick - Architektur und Möbel - Die typologische Entwicklung - Stilgeschichtlicher Überblick - Anmerkungen

Katalog - Truhen - Schränke - Buffets - Kabinettschränke und Aufsatzmöbel - Betten - Tische - Kommoden - Konsoltische - Türgerichte, Häuptergestühl

Anhang

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- Liste der bis 1798 in Basel tätigen Schreiner - Grafik: Die Anzahl der Schreinerbetriebe im Vergleich zur Gesamtbevölkerung 1490–1798 - Liste der bis 1798 in Basel ausgebildeten Schreinerlehrlinge - Prosopografien bedeutender Meister - Liste aller ‹Masse zum Meisterstück› - Glossar - Quellen- und Literaturverzeichnis - Namenregister - Herkunftsregister - Abbildungsnachweis - Dank - Autoren

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99 101 103 106 128 131 134 154 194 210 244 250 264 272 278

Inhaltsverzeichnis

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Vorwort

Burkard von Roda

Als Student in Berlin verglich Jacob Burckhardt 1840 die Wohnverhältnisse in der preussischen Hauptstadt mit jenen seiner Heimatstadt Basel und berichtete davon in einem Brief an die Magd Dörli in seinem Elternhaus: «[…] die Leute schränken sich sehr ein mit dem Platz, und deshalb kann man nicht wie bei uns eine Menge von alten Möbeln haben, sondern was man gerade nicht brauchen kann, das bekommt der Jude […]».1 Das Historische Museum Basel bewahrt heute einen repräsentativen Teil dieser «Menge von alten Möbeln» aus Basler Besitz und hütet damit einen kulturgeschichtlichen Schatz. Als Teil des städtischen Patrimoniums wurde dieser Möbelbestand jetzt zum ersten Mal als Ganzes erforscht und gelangt mit diesem Buch zur Veröffentlichung. Dabei wurden auch bedeutende Möbel in Privatbesitz einbezogen. Möbel blieben in der vor Krieg und Zerstörung verschonten Stadt Basel nicht nur lange im privaten Gebrauch erhalten, einzelne ausserordentliche Werke der Schreinerkunst erreichten auch schon früh einen Sammlungsstatus. So lässt sich der Anfang der Geschichte der Öffentlichen Sammlung nicht nur mit Altmeistergemälden oder Werken der Kleinplastik, sondern auch mit drei in der Stadt entstandenen Möbeln markieren. Die unter dem Namen ‹Amerbach-Kabinett› bekannte bürgerliche Sammlung, welche die Stadt Basel 1661 erwarb, enthielt auch zwei Renaissancemöbel: Die für den Nachlass des Erasmus von Rotterdam 1539 geschaffene Truhe und den Münzkasten des Basilius Amerbach von 1578. Beide verdankten ihre Wertschätzung schon damals sowohl ihrer handwerklich-künstlerischen Qualität wie ihrer Geschichte und ihrem Symbolwert. Ein besonderer Status kam auch einem noch ganz neuen Möbel, dem Ratstisch zu, dem Meisterstück eines eingewanderten Kunstschreiners und Bildhauers: Die Stadt überwies das barocke Schaustück 1676 in die eben

begründete Öffentliche Sammlung. Der Tisch vertrat im 1671 eröffneten Sammlungsgebäude Haus zur Mücke mit seinem Bildprogramm die städtische Obrigkeit. Von diesen frühen Anfängen der Öffentlichen Sammlung bis heute ist der Möbelbestand des Museums auf über 1500 Möbel des 15. bis 20. Jahrhunderts angewachsen, wobei eine Spezialsammlung von Sitzmöbeln allein rund die Hälfte ausmacht (ehemals Gewerbemuseum Basel). Aus diesem Grund wurden die Sitzmöbel in dieser Publikation nicht berücksichtigt, der Katalog beschränkt sich auf die typologisch bedeutenden Möbel. Die Möbelsammlung war seit der Gründung der Mittelalterlichen Sammlung im Jahre 1856 und ab 1894 durch das Historische Museum Basel kontinuierlich ausgebaut worden. Schon 1880 veröffentlichte Moritz Heyne in dem Tafelband ‹Kunst im Hause› zwölf Hauptwerke, zu denen der Architekt Wilhelm Bubeck die in München lithografierten Abbildungsvorlagen zeichnete.

Das Sammlungskonzept für die Möbel war auf Provenienzen aus Basel ausgerichtet, das heisst auch importierte Möbel – bis ca. 1750 wegen des Einfuhrverbots eher seltene Fälle – fanden den Weg ins Museum. Dort erhielten in der Ausstellung viele ihren festen Platz in den sogenannten historischen Zimmern, einem Ausstellungskonzept, das schon 1879 mit dem Iselin-Zimmer in der Mittelalterlichen Sammlung Fuss fasste und das sich bis heute ausdehnte und Bestand hat: seit 1894 in den Seitenschiffen der Barfüsserkirche, von 1926 bis 1935 im ersten Wohnmuseum, dem Segerhof, abgelöst seit 1951 vom Haus zum Kirschgarten, seit 1981 im Untergeschoss der Barfüsserkirche, seit 1986 auch im Haus zum Kleinen Kirschgarten. In der erneuerten Dauerausstellung der Barfüsserkirche 2011 sind die historischen Zimmer zugunsten anderer Themensetzungen weitgehend von der Möbelpräsentation befreit, dafür ist mit der Gattung der Sammlungsmöbel ein neuer Schwerpunkt gesetzt.

Vorwort

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Die 1931 von Paul Koelner veröffentlichte und 1970 neu aufgelegte ‹Geschichte der Spinnwetternzunft zu Basel und ihrer Handwerke› legte den ersten Grundstein zu einer zusammenfassenden Darstellung des Schreinerhandwerks in Basel. In der jüngeren Zeit hat Peter Weis 1995 zu den Schreinern des oberen Baselbiets im 16. und 17. Jahrhundert archivalisch gut gestützte Ergebnisse erarbeitet und mit seinem Katalog von 95 Baselbieter Möbeln für unsere Veröffentlichung – wenn auch in bescheideneren ländlichen Verhältnissen – einen Bezugsrahmen zur Verfügung gestellt. Schwerpunktthemen zur Erforschung des Basler Möbelhandwerks wurden mit dem Basler Buffet (Rudolf F. Burckhardt, 1914), der Ausstattung des Basler Rathauses (Peter Reindl, 1974) oder mit der herausragenden Künstlerpersönlichkeit Franz Pergo (Dieter Pfister, 1984) behandelt. MarieClaire Berkemeier-Favre hat 2007 der Gattung der Sammlungsmöbel einen eigenen Beitrag gewidmet, von denen einige in der jüngsten Publikation des Historischen Museums Basel, ‹Die grosse Kunstkammer› weiter erforscht wurden. Das vorliegende Buch schliesst an jüngere Überblickswerke zur Möbelkunst der benachbarten grösseren Produktionszentren an: so von Thomas Boller über Zürcher Möbel (2004) und von Thomas Lörtscher – als Bestandskatalog des Schweizerischen Landesmuseums – über Zürcher und Nordostschweizer Möbel (2005). Einen vorbildlichen monografischen Beitrag zur Schweizer Möbelforschung leistete Hermann von Fischer mit seinem Werk über die Ebenistenfamilie Funk (2001), welche die Berner Möbelkunst des 18.  Jahrhunderts prägte. Für die nördliche französische Nachbarschaft von Basel ist das Werk von Françoise Lévy-Coblentz über ‹L'art du meuble en Alsace›, das in zwei Bänden erschien, zu nennen (1975 und 1985). Für das Gebiet Südwestdeutschlands fehlt bislang eine Übersichtsdarstellung. Zu nennen sind eine Publikation des Württembergischen Landesmuseums anlässlich der Sonderausstellung ‹Barockmöbel aus Württemberg und

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Möbel in Basel

Hohenlohe: 1700–1750› im Jahr 1985, die wichtige Grundlagen liefert. Die Sonderausstellung mit Begleitkatalog ‹Ein Jahrhundert Möbel für den Fürstenhof› des Badischen Landesmuseums Karlsruhe 1994 behandelte mit dem Zeitraum 1750–1850 eine Epoche, die über den Zeitrahmen unseres Projekts hinausgeht. Unsere Publikation widmet sich der Kunst und dem Handwerk der Schreiner in zwei Hauptbeiträgen. Der erste Beitrag verfolgt die zunftgebundene Entwicklung des Schreinerhandwerks in Basel anhand eingehender Archivrecherchen zur Ausbildung, zur Erlangung der Meisterwürde und zu sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten. Im zweiten Beitrag wird die Entwicklung der Typen und Stile verfolgt, hier sind die überkommenen Werke der Untersuchungsgegenstand. Die dafür herangezogenen Beispiele beziehen über den Katalog hinaus andere Werke der Schreinerkunst in Basel mit ein. Mit Ausnahme weniger prominenter Beispiele, wie dem Schatzschrank oder dem Häuptergestühl aus dem Münster, liegt der Materialschwerpunkt – eine Konsequenz der Reformation – auf dem nichtkirchlichen, profanen Bereich. Auch andere öffentliche Aufträge durch den Rat oder die Zünfte machen mit dem Türgericht im Regierungsratssaal des Rathauses oder mit den monumentalen Buffets der Safranzunft (Kunstgewerbemuseum Berlin) und der Gartnernzunft einen kleineren Teil aus. Generell zeigt das Kirchen-, das Rats- und Zunftmobiliar die herausragende Rolle der Schreinerkunst im Zusammenhang mit dem Repräsentationsbedürfnis dieser Institutionen, die überwiegenden Beispiele der privaten Möbel stehen – ausgeklammert die Sitzmöbelsammlung – für die Wohnkultur des Basler Handelspatriziats. An die Hauptbeiträge schliesst sich mit 67 ausgewählten Beispielen der Katalog der Möbel an. Die Auswahl schöpft aus dem grossen Bestand der Museumssammlung und bezieht auch wenige Beispiele aus Privatbesitz mit ein. Auch zwei anhand von Fotogra-


fien bestimmbare, jedoch nicht mehr zu lokalisierende Basler Möbel aus dem Kunsthandel sind berücksichtigt; weitere werden als Vergleichsstücke angeführt. Der Anhang mit ausführlichen Listen und Tabellen erschliesst die zwischen den Anfängen des Schreinerhandwerks im 14. Jahrhundert bis zum Ende des Ancien Régime (1798) aktiven Meister, ihre Herkunft sowie ihre Lehrlinge und dient damit der weiteren Erforschung der Basler Möbel. So werden künftig anhand von Meisterinitialen auf Möbeln Zuschreibungen überhaupt erst oder leichter möglich sein. Die vorliegende Veröffentlichung ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts des Historischen Museums Basel, das 2005 gestartet wurde und 2007 mit der Publikation zu den Meisterstücken und Meisterstückordnungen ein Teilergebnis lieferte. Mit den beiden Autoren, dem extern beigezogenen Historiker und Kunsthistoriker Dr. Stefan Hess sowie dem Möbelrestaurator des Historischen Museums Basel und Kunsthistoriker Wolfgang Loescher M.A., war ein ‹DreamTeam› am Werk. Beide liessen ihre Rechercheergebnisse auch im gegenseitigen Austausch optimal einfliessen: Stefan Hess erarbeitete auf der Basis eigener Quellenforschungen im Staatsarchiv Basel-Stadt die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel grundlegend neu. Er wertete dazu nicht nur die Quellenbestände der Spinnwetternzunft aus, sondern auch die städtischen Akten zum Schreinerhandwerk, die Verzeichnisse der Bürgerrechtsaufnahmen und einzelne Kirchenbücher. So verdankt die Publikation seiner Arbeit nicht nur die sozial- und wirtschaftsgeschichtlich ausgreifende Darstellung der Geschichte des Schreinerhandwerks, sondern auch das Verzeichnis der in Basel tätigen Schreiner samt den assoziierten Handwerken wie zum Beispiel den Holzbildhauern, den Büchsenschäftern und den Orgelbauern. Den Möbelbestand des Museums und damit die Basler Möbel kennt Wolfgang Loescher wie kein anderer. Er analysierte die Konstruktionen der Möbel, überprüfte die Materialbestimmungen und

nahm Befunduntersuchungen zur Feststellung von Umbauten und Ergänzungen vor. Er steuerte zur Geschichte des Schreinerhandwerks die Ausführungen zum Meisterstück und zu den Werkzeugen bei, verfasste den typenund stilgeschichtlichen Teil und zeichnet für den Katalog verantwortlich. Seiner detektivischen Spürnase sind im internationalen Kontext spektakuläre neue Erkenntnisse zur Vermassung der Meisterstücke und zum Bildprogramm einzelner Möbel zu verdanken, ebenso zahlreiche neue Zuschreibungen und neue Erkenntnisse zur Herstellung und zu den stilistischen Einflüssen der Basler Möbel. Eine bewährte Ergänzung erfuhr das Autorenteam durch den Fotografen Peter Portner, der sämtliche Möbel in aufwendiger Arbeit neu aufgenommen hat, und durch die Gestalterin Manuela Frey; beide entwickelten mit den Autoren und der Kuratorin der Kunsthistorischen Abteilung, Dr. Sabine Söll-Tauchert, zusammen das Bild- und Gestaltungskonzept des Buches und realisierten die Umsetzung. Die wissenschaftliche Betreuung des Projekts lag zusammen mit dem Unterzeichneten in den Händen von Dr. Marie-Claire BerkemeierFavre (†) und Dr. Sabine Söll-Tauchert (seit 2008). Mit den genannten Personen stand für einen Teil der wissenschaftlichen Arbeiten sowie für die Fotografie und die Buchgestaltung die Infrastruktur des Museums zur Verfügung. Für die Finanzierung des Gesamtprojekts einschliesslich der Buchpublikation war das Historische Museum Basel jedoch auch auf Drittmittel angewiesen, die in grosszügiger Weise von der L. + Th. La Roche-Stiftung, einer weiteren, ungenannt bleibenden Stiftung und der Stiftung für das Historische Museum Basel gesprochen wurden. Der Präsidentin und den Präsidenten der Stiftungsräte der genannten Stiftungen, Herrn Stefan Schmid, Frau Elisabeth Simonius und Herrn Dr. Bernhard Burckhardt wird an dieser Stelle für ihr Engagement sehr herzlich gedankt.

Vorwort

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Für die Übernahme in sein Verlagsprogramm danken wir dem Christoph Merian Verlag, namentlich Andrea Bickle, Oliver Bolanz und Claus Donau sowie für das sorgfältige Umbruchlektorat Doris Tranter. Alle genannten Personen haben damit dem Historischen Museum Basel einen Auswahlkatalog eines Kerngebiets seiner Sammlung und darüber hinaus das für lange Zeit gültige Standardwerk zur Möbelkunst in Basel ermöglicht. Das Buch ist nicht nur ein Referenzwerk für die Möbelforschung und für den Kunsthandel, sondern dient auch allen, die ihre Wohnumgebung gerne mit alten Möbeln schmücken und mehr über die Entstehung dieser dauerhaften Schmuckstücke erfahren möchten. 1

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Albert Burckhardt-Finsler, Ein Berliner Brief, in: Basler Jahrbuch 1907, S 170 –176.

Möbel in Basel


Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798


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Möbel in Basel – Geschichte des Schreinerhandwerks bis 1798


Die Anfänge des Schreinerhandwerks im Spätmittelalter Ein vermutlich im frühen 13. Jahrhundert angelegtes Lehenbuch des Basler Bischofs führt unter den Handwerksämtern ein «officium carpentariorum» und ein «officium cementariorum» an.1 Diese beiden officia der Zimmerleute und der Maurer umfassten Handwerker, die als Hörige dem Gesinde des Bischofs angehörten und für dessen Hof tätig waren. Daneben waren in der Stadt auch Bauhandwerker ansässig, die wirtschaftlich selbstständig arbeiteten. Beide Gruppen schlossen sich zu einem genossenschaftlich organisierten Verband zusammen, dem auch eine Marienbruderschaft angegliedert war. 1248 gab Bischof Lüthold II. von Rötteln dieser Berufsorganisation eine Ordnung und anerkannte sie damit offiziell als Zunft. Der Stiftungsbrief zählt neben den Maurern und Zimmerleuten drei weitere Handwerksgruppen auf, nämlich die Gipser (gipsarii), die Küfer (vasorum operarii) und die Wagner (curruum operarii). 2 Eine zweite Zunftordnung, die 1271 durch Bischof Heinrich III. von Neuenburg erlassen wurde, führt zu den genannten zusätzlich noch zwei weitere Gewerbe an: die Wanner (= Wannenmacher) und die Drechsler. 3

Von Schreinern ist dagegen im ganzen 13. Jahrhundert noch keine Rede. Dies ist weniger der lückenhaften Überlieferung zuzuschreiben als dem Umstand, dass sich dieser Berufszweig damals noch nicht als eigenständiges Handwerk herausgebildet hatte. So wurde die meist karge Möblierung der mittelalterlichen Wohnungen mit Bett, Truhe, Tisch, Bank und Stuhl von den Zimmerleuten gefertigt. Die Konstruktion der Möbel war einfach, die Oberflächen oft nur mit der Axt herausgearbeitet und geschlichtet (Abb. 1). Bei der Herstellung von Möbeln für gehobene Ansprüche dürften in Basel wie anderswo – als Lieferanten von Schemeln, Stühlen sowie von Bank- und Bettpfosten – auch die Drechsler beteiligt gewesen sein. 4 Fortschritte im Möbelbau brachte die Erfindung der Sägemühle im 13. Jahrhundert, da der maschinelle Zuschnitt von Brettern die Möbelproduktion ebenso wie die Herstellung von Wandtäfer erheblich vereinfachte. 5 Diese technische Neuerung hielt in Basel möglicherweise bereits früh Einzug, sind doch für 1268 beziehungsweise für 1284 zwei Sägereien am Teich in Kleinbasel und im letztgenannten Jahr zwei weitere im St. Albantal nachgewiesen.6 Allerdings dürften solche mechanischen Sägen fast ausschliesslich zum Schneiden von Dielen, Bohlen und Latten gedient haben, während grössere

Abb. 1 Dachtruhe, wohl Region Basel, 2. Hälfte 15. Jahrhundert. Buchenholz, grob geschlichtet und mit Kerbschnitt verziert. Höhe 50 cm, Breite 107 cm, Tiefe 46,5 cm. HMB Inv. 1900.148.

Die Truhe ist eines der wenigen erhaltenen, wohl profanen Möbel des 15. Jahrhunderts aus Basel oder der umgebenden Landschaft. Bei der Konstruktion wurde vollständig auf Leimungen verzichtet, lediglich Steckverbindungen gewährleisten den Zusammenhalt. Die einfache, auf den Gebrauch weniger Werkzeuge beschränkte Bauweise der Truhe zeichnet ein deutliches Bild vom Entwicklungsstand des spätmittelalterlichen Möbelbaus.

Die Anfänge des Schreinerhandwerks im Spätmittelalter

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Abb. 2 Wangenbrett des Chorgestühls aus der Martinskirche, wohl spätes 13. Jahrhundert. Eiche. Höhe 95 cm, Breite 9 cm, Tiefe 37,5 cm. HMB Inv. 1911.1478.

Abb. 3 und 4 Fabeltiere auf zwei Wangenbrettern des Chorgestühls aus dem Basler Münster, um 1380. Nussbaum. HMB Inv. 1933.155.d und f.

Abb. 5, unten Minnekästchen, Oberrhein/Basel, um 1480. Laubholz mit Resten einer farbigen Fassung. Höhe 7,6 cm, Breite 15,8 cm, Tiefe 9,4 cm. HMB Inv. 1950.1.

Die Reliefschnitzereien auf den Zargen zeigen Jagdszenen, jene auf dem Deckel eine Jungfrau mit Einhorn als Allegorie auf Treue und Keuschheit.

Querschnitte vom Zimmermann mit der Axt zugerichtet wurden.7 Leider haben sich keine profanen Möbel aus dem 13. und 14. Jahrhundert erhalten, die den damaligen Entwicklungsstand des Holzhandwerks dokumentieren könnten. Auch von den hölzernen Ausstattungsgegenständen in den Kirchen, wie Altäre, Gestühle und Kanzeln, ist nur Weniges überliefert. Die ältesten Überreste kirchlichen Mobiliars aus Holz bilden Teile des Chorgestühls aus dem Basler Münster sowie fünf eichene Wangen mit frontalen Säulchen und Knäufen von einem Chor-

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gestühl aus der Martinskirche, das ins späte 13. Jahrhundert datiert wird (Abb. 2). 8 In beiden Fällen handelt es sich zweifellos um das Werk eines Zimmermanns, der mit verfeinerten Methoden der Holzbearbeitung vertraut war.9 Denn bis weit ins 15. Jahrhundert fiel die Fertigung von Chorgestühlen in den Aufgabenbereich der Zimmerleute. So lieferte noch 1441 der in Basel eingebürgerte Zimmermeister Hans von Thann, der unter anderem den Bau des Kornhauses (1439) und den Umbau des Hauses zur Mücke (1450) leitete und 1462 den Münsterdachstuhl errichtete, ein Chorgestühl in die Basler Barfüsserkirche.10 Für Verzierungen an Wangen, Knäufen und Miserikordien dürften die mit der Fertigung von Chorgestühlen betrauten Zimmerleute schon früh spezialisierte Schnitzer beigezogen haben. Dies gilt namentlich für das in die Zeit um 1375 datierte Chorgestühl des Münsters mit seinem reichen, qualitativ hochwertigen Bilderschmuck (Abb.  3,   4).11 In Basel ist die Berufsgruppe der ‹Schnitzer› oder ‹Bildschnitzer› seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auch urkundlich fassbar: 1357 erhält «Johannse der Snetzer von Friburg» vom Spital ein Haus am Münsterberg als Erblehen, und ein Jahr später wird im ‹Roten Buch› des Rates «Eschman der snezer» erwähnt.12 Das Arbeitsgebiet der Schnitzer oder Holz-

Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798 – Die Anfänge des Schreinerhandwerks im Spätmittelalter


bildhauer lag nicht ausschliesslich im kirchlichen Bereich. Vielmehr profitierte diese Berufsgruppe davon, dass im Spätmittelalter Adlige, aber auch wohlhabende Patrizier, die sogenannten Achtburger, zunehmend höhere Anforderungen an die Ausstattung ihrer Häuser stellten. Davon zeugen namentlich reliefgeschmückte Holzschatullen, sogenannte Minnekästchen (Abb. 5), wie sie sich in Basel vereinzelt noch aus dem 14. Jahrhundert erhalten haben.13 Auch abgesehen vom kleinteiligen Reliefschmuck dokumentieren solche Kassetten, ebenso wie beschlagene oder mit Stoff überzogene Holzkästchen aus dem sakralen Kontext,14 eine Verfeinerung in der Holzbearbeitung. Heinrich Kreisel nimmt an, dass «in den Künstlern dieser kleinen Behältnisse wie Minnekästchen, also dieser kleinen ‹Schreine›, die ‹Schreiner› zu suchen» sind.15 Tatsächlich ist die Berufsbezeichnung «Schrienaer» in Regensburg bereits für das Jahr 1244 belegt, und noch früher, um 1200, taucht in Zürich der lateinische Ausdruck Cistilare (= ‹Kistchen-Macher›) auf.16

Vom ‹Kistenmacher› zum ‹Tischmacher› In Basel wird diese Differenzierung innerhalb des Holzgewerbes in den Schriftquellen erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts fassbar. Hier sind es nicht die ‹Schreiner› – verstanden als Spezialisten für Schatullen und andere kleine Holzbehältnisse –, sondern die ‹Kistenmacher›, die als gesonderte Berufsgruppe aus dem grösseren Verband der Zimmerleute heraustreten. Diese neue Bezeichnung findet sich im ‹Roten Buch› des Rates bei vier Personen, denen 1393 nach der Teilnahme an einem Feldzug nach Muttenz das Basler Bürgerrecht geschenkt wurde.17 Sie könnte darauf hindeuten, dass sich die Vertreter dieses Gewerbezweiges vor allem mit der Fertigung von Truhen abgaben.18 Denn die Truhe, in der Wäsche, Kleider und Kostbarkeiten aufbewahrt wurden, die aber auch als Sitzbank dienen konnte, war das eigentliche Leitmöbel der Epoche, das sich je nach Funktion und Anspruch in der Konstruktion und im Dekor variieren liess.19 Ob «die ‹Schreiner› der kleinen

Kästchen nun auch die Fertiger der Grossmöbel geworden waren»20 , wie dies Kreisel vermutet, bleibe dahingestellt. Als sicher gelten darf indes, dass die Kistenmacher auch andere Möbel wie Ess- und Schreibtische, Stühle, Spannbetten, ‹Gutschen›21, Wiegen und ‹Almergen› (= Kästen) herstellten, wie sie vor allem durch schriftliche Quellen für das ausgehende Mittelalter belegt sind. 22 So wird der 1412 erstmals erwähnte Kistenmacher Henman Pflegler in einem Zinsbuch von 1436 auch als «spanbetmacher» bezeichnet. 23 Im 15. Jahrhundert schritt der Prozess der Arbeitsteilung innerhalb der Holz verarbeitenden Gewerbe fort. Der Ausdruck ‹Kistenmacher› verschwand allerdings bereits vor der Jahrhundertmitte gänzlich aus der Basler Handwerkersprache. 24 Stattdessen breitete sich für Spezialisten in der Möbelproduktion die Bezeichnung ‹Tischmacher› aus, die in Basel relativ früh, nämlich bereits seit 1421 bezeugt ist. 25 Dies könnte darauf hindeuten, dass nun vermehrt massive Ess-, Schreib- und Spieltische angefertigt wurden, die zur festen Raumausstattung gehörten, während zuvor die Tischplatte auf Böcken ruhte und nach beendigter Mahlzeit weggetragen werden konnte. 26 Eine entscheidende Rolle für die weitere Entwicklung des Handwerks spielte der Hobel, ein in Vergessenheit geratenes Werkzeug; er wurde im Spätmittelalter wiederentdeckt, weiterentwickelt und zu einem Markenzeichen der Tischmacher, die mit diesem wichtigen Arbeitsmittel grosse, vollkommen ebene Flächen schaffen konnten (Abb. 6). 27 Das 1430 angelegte ‹Handbuch› der Spinnwetternzunft 28 , welche die Bau- und Holzarbeiter vereinigte, verzeichnet bis zur Jahrhundertwende die Zunftaufnahme von insgesamt 32 Tischmachern, womit deren Zahl bis 1500 auf 21 anstieg. 29 Aus dieser Zeit sind in Basel erfreulich viele bedeutende Zeugnisse des Schreinerhandwerks, Täferstuben und Möbel, erhalten.

Vom ‹Kistenmacher› zum ‹Tischmacher›

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Die Abgrenzung des Arbeitsgebiets und die Durchsetzung des Zunftzwangs In den beiden vom Bischof ausgestellten Zunftbriefen von 1248 und 1271 ist ausdrücklich festgehalten, dass kein Vertreter der genannten Handwerke sich in Basel niederlassen und hier arbeiten dürfe, ohne zuvor das Zunftrecht erworben zu haben. Dieser Zunftzwang galt im Prinzip auch für die Tischmacher, wiewohl dieses Handwerk in den bischöflichen Stiftungsbriefen noch keine Erwähnung findet. Im Spätmittelalter fiel es freilich den meisten Handwerkerzünften schwer, solchen Bestimmungen Beachtung zu verschaffen. Denn solange sie beim Bischof und den kirchlichen Körperschaften sowie im städtischen Rat keinen beziehungsweise nur einen sehr bescheidenen Einfluss geltend machen konnten, liessen sich die dazu nötigen Zwangsmassnahmen, zum Beispiel die Sperrung von Betrieben, nicht durchsetzen. Bei den Tischmachern kam noch erschwerend hinzu, dass es Abb. 6 ihnen bis zur Reformation nur bedingt gelang, Zwei Putzhobel, Basel, Ende 17. Jahrhundert. Buchsbaum (?). sich als eigenständiges Handwerk durchzusetHöhe 10,5 cm, Breite 4,5 cm, Länge 18 cm bzw. Höhe 7,5 cm, Breite 4 cm, Länge 14 cm. HMB Inv. 1882.20. und 1872.105. zen. Zwar schlossen sich die zünftigen Meister Der Hobelkorpus wurde in der Regel von den Handwerkern selbst hergestellt schon früh zumindest fallweise zusammen, um und die Eisen zugekauft. ihre gemeinsamen Interessen besser wahren zu können. So richteten um die Mitte des 15. Jahrhunanderen traten einzelne Holzarbeiter auf, die sich auf derts die Tischmacher gemeinsam mit den Zimmerdie Fertigung bestimmter Möbel spezialisiert hatten. leuten ein Schreiben an den Rat, in dem sie sich über 1443 erwarb etwa Hans Smide «der sesselmacher» das den Zwischenhandel mit Holz und die dadurch verurBasler Bürgerrecht, ohne sich um das Zunftrecht zu sachte Teuerung beklagten. 30 Im Unterschied zu anSpinnwettern zu bemühen. 32 deren der Spinnwetternzunft angeschlossenen Berufen, wie etwa den Küfern, den Küblern und den Fassbindern, gelang es aber den Tischmachern nicht, den Anspruch auf ein klar umrissenes Arbeitsgebiet durchzusetzen. 31 Selbst in ihrem genuinen Tätigkeitsfeld, der Herstellung von beweglichem Hausmobiliar, war ihre Stellung nicht unangefochten. Zum einen standen die Tischmacher weiterhin in Konkurrenz zu den Zimmerleuten und den Drechslern, die sich traditionellerweise auch mit der Herstellung von Möbeln abgaben. Zum

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Zu welchem Zeitpunkt die Bauschreinerei Teil des Tischmacherhandwerks wurde, lässt sich anhand der Quellen nicht sicher sagen. Es gibt allerdings gewisse Indizien dafür, dass sich die technisch verfeinerte Bauschreinerei nach ihrer Abspaltung vom Zimmermannshandwerk anfänglich als eigener Berufszweig behauptete, bis sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im erweiterten Tätigkeitsfeld der Tischmacher aufging. So muss man die beiden «rammenmacher», die sich 1433 beziehungsweise 1441 in die Spinnwetternzunft

Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798 – Die Anfänge des Schreinerhandwerks im Spätmittelalter


einkauften, 33 wohl eher als auf die Fertigung von Fensterrahmen spezialisierte Holzarbeiter ansehen denn als Hersteller von Bilderrahmen. Beim «stubenschaber» Hans Müller aus Rottweil, der 1482 das Zunftrecht zu Spinnwettern kaufte, 34 dürfte es sich dagegen um einen Handwerker gehandelt haben, der vor allem Dielenböden und Vertäfelungen nachhobelte. Dass sich die Tischmacher mittlerweile auch in diesem Gebiet für zuständig erachteten, zeigt sich daran, dass Müller in den 1489 einsetzenden Heizgeldrodeln der Spinnwetternzunft unter den Tischmachern eingereiht ist. 35

an sich binden wollten. Nach jahrelangem Streit trafen die Vorstände der beiden Zünfte 1463 folgende Übereinkunft: Schnitzer, die nur in rohem Holz arbeiteten, hatten sich der Spinnwetternzunft anzuschliessen; solche, die auch «fassen, molen, vergulden oder glaswerck tryben» wollten, mussten sich dagegen in die Himmelzunft einkaufen. 39 Den Malern wurde auch erlaubt, einen Schnitzer im Wochen-, Monats- oder Jahreslohn anzuheuern, doch durfte ein solcher für niemanden ausserhalb der Himmelzunft, weder für geistliche noch für weltliche Personen, arbeiten, sofern er nicht zuvor das Zunftrecht zu Spinnwettern erworben hatte. Der Kompetenzstreit zwischen den beiden Zünften schwelte aber weiter, solange es eine Nachfrage nach bemalten Holzstatuen und Schnitzaltären gab, also bis in die Reformationszeit. 40 1508 entzündete er sich

Die allmähliche Ausdehnung ihrer Produktionspalette brachte die Tischmacher fast zwangsläufig in Konflikt mit den Zimmerleuten, zumal sich auch diese verfeinerte Methoden der Holzbearbeitung zu eigen machten und mit den Tischmachern in deren Kerntätigkeiten konkurrierten. Da sich die Meister der beiden Handwerke auf keine klare Regelung einigen konnten, wandten sie sich 1489 an den städtischen Rat. Dieser verfügte in seinem Schlichtungsspruch, dass es den Zimmerleuten und den Tischmachern fortan verboten sein solle, Gesellen des jeweils anderen Handwerks zu beschäftigen. 36 Daraus wird ersichtlich, dass man in-

am Bildhauer Martin Lebzelter, der «das moler hantwergk und bildwergk miteinander» betrieb und daher gezwungen wurde, nach der Spinnwetternzunft auch «die zunft der molern zum hymel, wie sich gebürt, an sich <zu> koufen und mit inen, wie ander ir zunftbrüder, es sye mit hüten, wachen, reisen [= bewaffnet ins Feld ziehen] und der glichen diensten, <zu> dienen». 41

zwischen die beiden Tätigkeiten als zwei gesonderte Berufe wahrnahm. Der Rat verzichtete aber darauf, hinsichtlich Tätigkeitsfelder und Arbeitsmethoden einen klaren Trennstrich zu ziehen, sondern gestand den Vertretern beider Handwerke zu, diejenigen Arbeiten auszuführen, die sie aufgrund ihres handwerklichen Könnens bewältigen konnten. 37 Unklar war auch die berufliche Stellung der Schnitzer, denen es nicht gelang, sich als unabhängiges Handwerk zu behaupten. Im Unterschied zu anderen Städten galt in Basel die Holzbildhauerei nicht als ‹freie Kunst›, die an keine bestimmte Zunft gebunden war. 38 Die zünftige Zuordnung war allerdings noch im 15. Jahrhundert umstritten, da sowohl die Spinnwetternzunft als auch die Himmelzunft, welche die Maler, Glaser, Goldschläger (= Vergolder), Sattler und Sporer (= Sporenmacher) vereinigte, die Holzbildhauer

Innerhalb der Spinnwetternzunft waren die Schnitzer den Tischmachern angegliedert. Der Übergang vom Tischmacher zum Holzbildhauer und umgekehrt war denn auch häufig fliessend. 42 Jos Gundersheimer erwarb sich 1483 das Zunftrecht zu Spinnwettern als Tischmacher, wird aber ab 1513 in den Zunftquellen als Bildhauer bezeichnet. 43 Der Tischmacher Ulrich Bruder wiederum verzierte nicht nur das 1494–1499 von ihm geschaffene Chorgestühl in der Peterskirche mit reichen Schnitzereien, er betätigte sich offenbar auch als Altarschnitzer (Abb. 7). 44 Umgekehrt waren in den 1520er-Jahren die Holzbildhauer mangels kirchlicher Aufträge genötigt, ihren Lebensunterhalt vorwiegend mit Tischmacherwerk zu bestreiten, das sie nach eigenen Angaben bereits früher nebenher betrieben hatten. Die Tischmachermeister hatten nichts dagegen einzuwenden, solange die Schnitzer bloss «mit

Die Abgrenzung des Arbeitsgebiets und die Durchsetzung des Zunftzwangs

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bede Handwerck alles daß machen irrem lüp [= Leib] und mit iren ge- Abb. 7 Hochzeitstruhe mit den Familienwappen der sellen, die do bülthouwer sind, unser mogen, so Jedweder theill zuvon Brandis und von Ottikon, Ulrich Bruder Handtwerck bruchen und Dischmacher zugeschrieben, um 1490. Nadelholz, farbig machen, und menglich [=  männigwerck machen wellen», sie wollten gefasst. Höhe (ohne ergänzten Sockel) 57 cm, lich, jedermann] domit zu versorBreite 177 cm, Tiefe 64 cm. aber keinesfalls zulassen, dass Schnit- HMB Inv. 1870.505. gen getrawth». 47 zer auch Tischmachergesellen einstell- Die Reliefdarstellungen zeigen links Samson Zu Klagen Anlass gaben den und Delila und rechts den Heiligen Hieronymus, 45 Die Bildhauer Martin Hofften. zünftigen Tischmachern aber auch an dessen Mahnungen zum Eheleben erinnert mann und Hans Dobel machten im werden soll. die «ußlendigen Dischmacher […] so Gegenzug in einer Bittschrift an den Rat geltend, dass zu Lechtstall [= Liestal] und anderswo gesessen sindt», «dise biede handwerck bil<d>howen unnd dißmacher da jene «Disch und Drög [= Truhen] und allerley» in arbeit fur ein handtwerck geachtet hie zu Basell, von die Stadt führten und damit den zünftigen Meistern Menschen gedechtnuß bitz uff dis gegenwirtig [= ge«grossen schaden» zufügten. 48 Die Gewerbeordnung von genwärtig] zytt» würden. 46 Der Rat folgte, wie zuvor 1526 nahm diese Forderung auf und verfügte, dass es bereits der Zunftvorstand, der Argumentation der niemandem, «so frembd und außwendig der statt Basel Holzbildhauer und verfügte in der Anfang 1526 ergesessen», erlaubt sein solle, Tischmacherarbeiten in die lassenen «zünfften nüw ordnung» – ähnlich wie früher Stadt einzuführen. 49 Dabei wurden allerdings verschieim Streit zwischen den Tischmachern und den Zimmerdene Ausnahmen gemacht, die auch den Bedürfnissen leuten –, «daß dann dy billdhawer und Dischmacher der Konsumenten Rechnung trugen. So war es den Bür-

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Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798 – Die Anfänge des Schreinerhandwerks im Spätmittelalter


gern erlaubt, Truhen, Tische, Betten und dergleichen ausserhalb der Stadt einzukaufen, sofern diese für den Eigenbedarf bestimmt waren, also kein Zwischenhandel damit getrieben wurde. An der 1471 dank kaiserlichem Privileg eingeführten Herbstmesse durften auch Auswärtige ihre Waren ohne Einschränkung in der Stadt zum Verkauf anbieten. Darüber hinaus konnten «welschi spannbeth, Byffet, unnd Disch» das ganze Jahr hindurch eingeführt werden, doch mussten «solich Stuck in daß Kauffhauß gefurt und daselbst und nienan anderswo verkaufft werden». 50 Diese Bestimmung deutet darauf hin, dass damals bei der Basler Oberschicht ein Bedürfnis nach Luxusmöbeln französischer Machart bestand, das die lokalen Tischmacher nicht zu befriedigen vermochten. 51

einige Zeit, bis der Zunftzwang vollumfänglich durchgesetzt werden konnte. So gehörte Veltin Redner, der 1535–1539 zahlreiche Schreinerarbeiten im Rathaus ausführte, nicht der Spinnwetternzunft an. 55 Ob die zünftigen Tischmachermeister dagegen Einspruch erhoben, ist nicht überliefert, da sich aus dieser Zeit weder Rats- noch Zunftprotokolle erhalten haben. Solche Verstösse gegen die Zunftordnung selbst durch die städtische Obrigkeit dürften aber dazu beigetragen haben, dass sich die Tischmachermeister im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts immer besser organisierten, um ein möglichst geschlossenes System überwachter Produktion zu erreichen.

In einem Punkt fielen die Bestimmungen der Gewerbeordnung indes vollumfänglich nach den Vorstellungen

Das ‹Ehrenhandwerk› der Schreiner

der zünftigen Tischmacher aus: Es wurde verfügt, dass die Klöster fortan «keinen Bruder mer haben <dürfen>, der ein Hantwergsman syg und daß in iren Clöstern drybe, es sy Schneider, Schumacher, Zumerleuth, Murer, Dischmacher […], sonder zu denen allensamth unnsere burger und ire gedingte knecht prauchen». 52 Bis dahin hatten nämlich die Klöster Handwerker als Laienbrüder oder Pfründer aufgenommen und von diesen alle einschlägigen Arbeiten verrichten lassen. 53 Erst 1526, also im Vorfeld der Reformation, fühlte sich der städtische Rat stark genug, auch den Klerus der zünftigen Sozial- und Wirtschaftsordnung zu unterwerfen und damit dem Zunftzwang allgemeine Gültigkeit zu verschaffen. In die gleiche Richtung zielt die Bestimmung, dass «weder Munch, pfaffen noch annder, kein venster Ramen, getter [= Gatter], dreeg [= Truhen], kensterli [= kleine Kästen] noch anderßt derglychen, machen noch verkauffen» dürfen. 54 Sie trug dem Umstand Rechnung, dass auch ausserhalb der Klöster längst nicht alle in Basel niedergelassenen Tischmacher sich der Spinnwetternzunft angeschlossen hatten. Selbst nach dem Erlass der Gewerbeordnung von 1526 dauerte es noch

Wann genau sich die Tischmacher innerhalb der Spinnwetternzunft zu einem Meisterverband zusammenschlossen, der eigene Versammlungen abhielt, einen Vorstand wählte und für alle Mitglieder verbindliche Satzungen erliess, geht aus den Quellen nicht hervor (Abb. 8). Erstmals fassbar wird das sogenannte ‹Ehrenhandwerk› der Tischmacher im Jahr 1545, als es eine Gesellenordnung verabschiedete und diese von Bürgermeister und Rat ratifizieren liess. 56 Darin ist vom ‹Bot› die Rede, der bei Streitigkeiten zwischen Meistern und Gesellen angerufen werden konnte und der auch die Kompetenz besass, Bussen zu verhängen. Solche Handwerksversammlungen wurden vom ‹Botmeister› geleitet, der «gewalt haben solle, alle spanigen [= strittigen] Sachen, so zwischen Meister und Gesellen fürfallen möchten, zu vertragen». 57 Die Wahl dieses Handwerksvorsitzenden scheint durch den Zunftvorstand oder zumindest allein mit dessen Einverständnis erfolgt zu sein. 58 Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts gewann das Ehrenhandwerk deutlich an Profil: Es erliess weitere Ordnungen und nahm nach dem Vorbild der Zünfte interne Arbeitsteilungen vor. So erwirkte es

Das ‹Ehrenhandwerk› der Schreiner

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1589 beim Rat den Erlass einer Meisterordnung, die als Zulassungsbedingung für neue Meister die Fertigung eines Meisterstücks einführte. 59 Darin werden neben dem Botmeister die offenbar ebenfalls vom Zunftvorstand eingesetzten Geschworenen erwähnt, die den Vorstand der Tischmachervereinigung bildeten. Als besondere Charge erscheinen in späteren Quellen die Schaumeister, die im Namen des Ehrenhandwerks die Meisterstücke, aber auch von Kunden beanstandete Auftragsarbeiten begutachteten. 60 Diese Handwerksämter waren den Zunftämtern (Zunftmeister, Sechser etc.) nachgebildet und auch mit diesen vereinbar. 61 Den Amtsinhabern stand als Aufwandsentschädigung ein Teil der Gebühren zu, die bei den Angehörigen des Handwerks für bestimmte Handlungen, zum Beispiel das Einberufen eines Bots oder das ‹Beschauen› eines Meisterstücks, erhoben wurden. Im Unterschied zu den Zunftämtern wurden die Handwerksämter offenbar nicht jedes Jahr neu bestellt, sondern auf Lebenszeit beziehungsweise bis zum Rücktritt des Amtsinhabers vergeben.

Die Handwerksordnungen Während die Meisterordnung von 1589 mit der Einführung des Meisterstücks eine grundlegende Neuerung brachte, handelte es sich bei der Handwerksordnung von 1596 mehrheitlich um die Bekräftigung bestehender Regelungen. 62 Die ersten drei Artikel befassen sich mit der Handhabung des ‹Bots›. So wurden Fernbleiben oder verspätetes Erscheinen mit Bussen geahndet, ebenso die Übertretung der Weisung, über die Beratungen Stillschweigen zu bewahren. Der vierte Artikel bestätigt das von den «Altvorderen» eingeführte Verbot, Gesellen im Akkordlohn zu beschäftigen. In den folgenden vier Artikeln wird das Verhältnis zu den Gesellen geregelt, insbesondere die umstrittene Frage der Arbeitsvermittlung. Der neunte Artikel verfügt, dass «kein Meister den andern hinderrucks bey keinem Kunden oder bey andern seine Arbeit wenig oder viel nicht schelten, verkleineren oder bosen leimtens [= Leumund] machen»

solle, eine Bestimmung, wie sie auch in vielen anderen Handwerksordnungen enthalten ist. 63 Neu ist der zehnte Artikel, wonach künftig kein Meister einem zugewanderten Gesellen Beistand bei Abb. 8 der Erlangung des Bürger- und des Siegelstempel des Ehrenhandwerks der Schreiner mit einem Abdruck, Basel, Ende 18. Jahrhundert. Messing. Durchmesser 4,5 cm. Zunftrechts leisten dürfe – eine DiHMB Inv. 1888.104. Geschenk E.E. Zunft zu Spinnwettern.

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Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798 – Das ‹Ehrenhandwerk› der Schreiner


rektive, welche die protektionistische Grundhaltung der zünftigen Schreinermeister in aller Deutlichkeit aufzeigt und die später konsequent umgesetzt wurde. Im elften Artikel wird dem Botmeister untersagt, die ‹Lade› [= tragbare Truhe mit Dokumenten und Bargeld] der Gesellen eigenmächtig zu öffnen und daraus Geld zuentnehmen. Der zwölfte Artikel verfügt, dass das Holz fortan nur noch «auf dem freyen MargtPlatz» und nicht mehr am Rhein oder an der Birs gekauft werden dürfe. Der dreizehnte Artikel schliesslich verpflichtete alle Meister dazu, jedem Handwerksgenossen, aber auch deren Frauen und Kindern, nach deren Hinschied ein Ehrengeleit vom Wohnhaus bis zur Grabstätte zu geben, wie dies in den Zunftbriefen von 1248 und 1271 noch für alle Zunftmitglieder vorgeschrieben war. 64

seits nach nur gerade 17 Jahren einer revidierten Gesellenordnung weichen musste.70 Noch weniger lange Gültigkeit hatten die «Neü verbesserte Ordnung und Articul Eines Ehren Handwercks der Schreinern», welche die zünftigen Meister am 8. Januar 1749 erliessen.71 Denn bereits 1761 erlangte das Ehrenhandwerk der Schreiner vom Zunftvorstand die Zustimmung für eine «new aufgesetzte Ordnung», nachdem sich zuvor alle Schreinermeister mit dem Inhalt derselben einverstanden erklärt hatten.72 Verstösse gegen die vom Ehrenhandwerk erlassenen, in der Regel vom Zunftvorstand und im Falle der beiden frühesten Ordnungen zusätzlich vom Rat bestätigten Verordnungen, aber auch gegen die Gewerbeordnung von 1526 und andere Ratserlasse wurden im Handwerksbot verhandelt. Dieser fand vierteljährlich

Dieser Überblick zeigt, dass die erste umfassende Ordnung der Basler Tischmacher keineswegs systematisch angelegt war, sondern unter Rückgriff auf hergebrachte Abmachungen einen modus vivendi bei häufig wiederkehrenden Streitigkeiten innerhalb des Handwerks zu finden suchte. Konfliktbewältigung als Anlass und Horizont einer frühneuzeitlichen Ordnung stellt geradezu den Normalfall dar. 65 Ebenso lässt sich der Um-

statt, doch konnten die einzelnen Meister und Gesellen

stand, dass der ersten Handwerksordnung der Tischmacher eine Gesellenordnung und eine Ordnung über die Einführung des Meisterstücks vorangingen, auch anderswo, etwa in Zürich, beobachten. 66 Da die Konfliktfelder über Generationen hinweg in etwa die gleichen blieben, hatten die genannten Ordnungen von 1545, 1589 und 1596 bis ins 18. Jahrhundert hinein Bestand, wenn sie auch laufend durch neue Einzelvereinbarungen ergänzt wurden. 67 Erst 1725 verabschiedeten die zünftigen Schreiner, wie die Tischmacher ab der Wende zum 17. Jahrhundert meist genannt wurden, 68 eine neue Gesellenordnung und liessen diese vom Zunftvorstand ratifizieren.69 Obwohl – oder vielleicht gerade weil – das neue Regelwerk wesentlich detaillierter ausfiel als dasjenige von 1545, wurde es bereits um 1750 revidiert und 1772 durch eine neue Ordnung ersetzt, die ihrer-

jederzeit seine Einberufung verlangen, wenn sie dies für nötig erachteten. An den im Zunfthaus an der Eisengasse abgehaltenen Versammlungen wurden die Meister bei jedem Geschäft einzeln um ihre Meinung gefragt. In dieser Hinsicht hatte das Ehrenhandwerk – anders als die Gesamtzunft, in welcher der Vorstand seine Entscheidungen ohne Rücksprache mit der ‹Zunftgemeinde› fällte – durchaus einen demokratischen Charakter. Allerdings gab es zumindest im 18.  Jahrhundert neben dem Handwerksbot auch den ‹geschworenen Bot›, an dem nur der Vorstand des Ehrenhandwerks tagte.73 Indem das Ehrenhandwerk der Schreiner in sozialreglementierender Absicht Bussen und andere Strafen verhängte, nahm es auch polizeiliche und justizielle Aufgaben wahr.74 Da es im Bereich der Möbelherstellung und der Bauschreinerei die Gewerbeaufsicht führte, erstreckte sich seine Verbandsgewalt auch auf Nichtmitglieder, wenn diese gegen verbriefte Vorrechte der zünftigen Schreinermeister verstiessen. Um zu verhindern, dass das Ehrenhandwerk die ihm übertragenen Kompetenzen missbrauchte, stand Klägern und Beklagten die Möglichkeit offen, gegen eine vom Handwerksbot verfügte Massnahme beim Zunftvorstand oder beim

Die Handwerksordnungen

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Kleinen Rat zu appellieren. War das Ehrenhandwerk als Ganzes in eine Auseinandersetzung involviert, so lag der Entscheid in jedem Falle bei einer der beiden Rekursinstanzen. Dank diesem Umstand haben wir mindestens in groben Zügen seit dem frühen 17. Jahrhundert Kenntnis über die Tätigkeit des Ehrenhandwerks der Schreiner, wiewohl sich die Protokolle des Handwerksbots allein für den Zeitraum 1748–1785 erhalten haben, und auch dies nur lückenhaft.75 Gemäss den Protokollen der Spinnwetternzunft und des Kleinen Rates sowie den von der städtischen Kanzlei gesammelten schriftlichen Eingaben des Ehrenhandwerks ging es bei den Verhandlungen im Handwerksbot vor allem

Die Ausbildung

um folgende Themen: Auseinandersetzungen mit den Gesellen, Konflikte zwischen Schreinern und ihren Auftraggebern, aber auch zwischen einzelnen Schreinermeistern, Verfolgung der Konkurrenz (Landschreiner, Zimmerleute etc.), Erschwerung des Zugangs zum

Schreinern war allerdings der Anteil des theoretischen Lernens relativ hoch: Sie mussten rechnen und massstäblich zeichnen können. Seit wann es in Basel eigene Tischmacherlehren gab, lässt sich nicht genau bestimmen, da die schriftliche Reglementierung der Handwerksausbildung generell relativ spät erfolgte. Die Unterscheidung von Tischmacher- und Zimmermannsgesellen im Jahr 1489 legt jedenfalls nahe, dass sich zu diesem Zeitpunkt die Lehre im Tischmacherhandwerk bereits deutlich von derjenigen im ‹Mutterberuf› abgesetzt hatte. Die Lehrzeit wurde in der Meisterordnung von 1589 – vermutlich der bisherigen Praxis folgend – auf drei Jahre festgelegt.78 Lehrmeister und Lehrling be-

Meisterrecht, Einschränkung der Möbeleinfuhr. Das allgemeine Streben ging dahin, einerseits das Monopol der zünftigen Schreinermeister innerhalb der Stadt aufrechtzuerhalten, anderseits den Wettbewerb unter den normierten Kleinbetrieben zu beschränken und damit allen Meistern ein Auskommen bei eigenständiger Tätigkeit zu sichern.76 Entscheidungen und Massnahmen des egalitär ausgerichteten Ehrenhandwerks wurden in der Regel vom Zunftvorstand gestützt, sofern sie nicht im Widerspruch zu vitalen Interessen anderer in der Spinnwetternzunft inkorporierter Handwerke standen oder Anlass zu Konflikten mit anderen Zünften boten. Der Kleine Rat wiederum gewichtete die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern regelmässig höher als die Privilegierung einer Berufsgruppe und behielt sich auch das Recht vor, Preise, Arbeitszeit und Löhne zu regulieren.

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Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798 – Die Ausbildung

Die Lehre Wie bei allen gewerblichen Berufen bestand die Ausbildung der Schreiner aus einer Lehre, die sich in der Vormoderne noch ausschliesslich im Arbeitsvollzug abspielte: Der Lehrling (‹Lehrjunge›) verbrachte seine Lehrzeit im Betrieb und partizipierte damit an der Erfahrung des Meisters und anderer Arbeitskräfte. In einem kaum formalisierten Lernprozess erwarb er sich allmählich die betriebs- und berufsspezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten, wobei von ihm eine im Lauf der Lehre wachsende Arbeitsleistung erwartet wurde.77 Bei den

ziehungsweise dessen Vater oder Vormund konnten vor Beginn der Lehre eine längere Dauer vereinbaren, die dann für beide Seiten bindend war.79 Für den Beginn einer Schreinerlehre war in Basel kein Mindestalter festgelegt. In einem Gutachten des Zunftvorstands von 1769 heisst es, dass «schwärlich einer vor dem Antrit des 15.ten Jahres zum Handwerck gezogen wird». 80 Gleichwohl ist es vorgekommen, dass noch jüngere Knaben in die Lehre kamen. So war Hans Heinrich Pfaff von Riehen gerade mal 12 Jahre und 9 Monate alt, als er am 13. Oktober 1597 bei Conrad I Imenhauser seine Schreinerlehre in Angriff nahm, und Emanuel II Scherb zählte im Mai 1638 bei Antritt seiner Lehre bei Hans


Abb. 9–12 Proben der Schreinerlehrlinge Melchior Jäcklin, Nikolaus Fuss, Franz Biermann und Jakob Ramsperger an der obrigkeitlichen Zeichnungsschule. Bleistift und Tusche, teils farbig laviert bzw. Kreide. Angefertigt um 1765 bis November 1788.

Die teils datierten Zeichnungen sind mit dem Alter der Lehrlinge und der von ihnen an der Zeichnungsschule absolvierten Lehrzeit versehen. Das Schema der Generaltabellen bei Franz Biermann geht auf das um 1680 in Nürnberg erschienene Säulenbuch ‹Kurtzer, doch Grundtrichtigund deutlicher Bericht, von denen in der löblichen Bau-Kunst wohlbekandten und so genandten Fünf Säulen› des Johann Georg Erasmus, Stadtschreiner in Nürnberg, zurück.

Die Lehre

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Freihart gar nur elf Jahre. 81 Dies waren offenbar keine Einzelfälle, denn mehrere Schreiner erwarben das Zunftrecht bereits im Alter von 19 Jahren, waren somit angesichts der dreijährigen Lehrzeit und der anschliessenden mindestens ebenso langen Gesellenwanderung bei Lehrbeginn bestenfalls 13 Jahre alt. 82 Beim Vertragsabschluss, dem sogenannten Aufdingen, waren mehrere Vertreter der Zunft anwesend, die darüber wachten, dass die Bestimmungen im Lehrvertrag den Ordnungen und Gebräuchen des Handwerks entsprachen. 83 Im Unterschied zu den Zimmerleuten verlangten die Schreiner ein stattliches Lehrgeld. 84 Darin war auch Kost und Logis inbegriffen, denn der Lehrling wohnte –

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Die Geschichte des Schreinerhandwerks in Basel bis 1798 – Die Ausbildung

wie meist auch die Gesellen – unter dem gleichen Dach wie die Familie des Meisters und unterstand damit auch dessen hausherrlichen Gewalt, die das Züchtigungsrecht mit einschloss. 85 Die Höhe des Lehrgelds konnte erheblich differieren, wobei das Renommee des Lehrmeisters eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben dürfte. So wird im Lehrvertrag zwischen Conrad Imenhauser und Hans Heinrich Pfaff, dem ältesten erhaltenen der Spinnwetternzunft, ein Lehrgeld von 20 Pfund festgelegt. 86 Genau das Doppelte verlangte 1611 der angesehenste Basler Schreiner dieser Zeit, der aus dem Burgund zugewanderte Franz Pergo 87, von seinem Neffen Peter Pergo aus Mömpelgard (Montbéliard). Für


Abb. 13

den Fall, dass Letzterer «über die dry Jar lang bey seinem Meister verbleiben» sollte, wurde ab dem vierten Jahr ein Jahreslohn von 30 Pfund vereinbart, der vom Lehrgeld abgezogen werden konnte. 88 Die 1646 vom Kleinen Rat erlassene Taxordnung legte das Lehrgeld bei einer dreijährigen Schreinerlehre verbindlich auf 35 Pfund zuzüglich zweieinhalb Pfund Trinkgeld fest. 89 Später wurde es – auch aufgrund der Teuerung – laufend ange-

terricht keineswegs einförmig, sondern auf die spezifischen Anforderungen der Schüler in ihren späteren Berufen zugeschnitten. So handelt es sich bei den Zeichnungen der angehenden Schreiner meist um Architekturrisse, seltener um Entwürfe von Ornamenten (Abb. 9–12). 93 Die in Basel nachweisbaren Schreinerlehrlinge stammten nicht allein aus der Stadt selbst und ihrem Untertanengebiet; auch Knaben und Jünglinge aus der badischen und elsässischen Nachbarschaft sowie aus der Eidgenossenschaft liessen sich in Basel zum Schreiner ausbilden. Ausnahmsweise kamen die Schrei-

hoben, sodass 1797 ein Lehrmeister für eine vierjährige Schreinerlehre 200 Gulden (= 250 Pfund) verlangen konnte.90 Hatten die Lehrlinge am Anfang ihrer Ausbildung wohl vor allem Handlanger- und Botendienste, aber auch handwerksfremde Hausarbeiten zu leisten, wur-

nerlehrlinge auch aus weiter entfernten Gebieten, wie 1608 Andres Guntier aus Savoyen oder 1752 der Buchdruckersohn Johann Peter Kopp aus Schweinfurt in Unterfranken.94 Wo und wie häufig umgekehrt Basler eine Schreinerlehre ausserhalb ihrer Vaterstadt absolvierten, lässt sich mangels entsprechender Quellenstudien in fraglichen Städten nicht sagen. Die Basler Quellen geben hierzu nur ausnahmsweise Aufschluss.95

Gesellenbrief des Schreinergesellen J. Christian Gabriel Beither aus Klausenburg (Siebenbürgen), unterzeichnet von Botmeister Jakob Ramsperger und Lehrmeister Achilles Schwartz. Basel, ausgestellt am 24. August 1782. Höhe 39 cm, Breite 49 cm. HMB Inv. 1900.23. Geschenk August Burckhardt.

den sie gegen Ende der Lehrzeit zu praktisch vollwertigen Arbeitskräften.91 Daneben waren sie aufgerufen, sich im Zeichnen und in anderen bei der Berufsausübung notwendigen Tätigkeiten zu üben, doch hatte dies ausserhalb der Arbeitszeit zu erfolgen. So heisst es im oben erwähnten Lehrvertrag zwischen Conrad Imenhauser und Hans Heinrich Pfaff, Letzterer solle «an Einem Fyrtag zwüschen dem bredigen (= Predigen), sich Üben mit Ryssen und anderm, So ihm nutzlich ist». Wieweit eine eigentliche Unterweisung im Entwurfszeichnen, dem sogenannten Reissen, stattfand, hing letztlich vom Ermessen und vom Können des Lehrmeisters ab. Erst nachdem der Rat 1763 nach dem Vorbild Strassburgs eine ‹Obrigkeitliche Zeichnungsschule› eingerichtet hatte, konnten Waisenknaben und Bürgerssöhne beim Kunstmaler Hieronymus Holzach an drei Nachmittagen der Woche von 2 bis 4 Uhr kostenlosen Zeichenunterricht nehmen.92 Von dieser Möglichkeit machten auch etliche Knaben und Jünglinge Gebrauch, die eine Schreinerlehre absolvierten oder eine solche anzufangen beabsichtigten. Wie die erhaltenen Proben von Schülern belegen, war der Un-

Nach beendigter Lehrzeit wurde der Lehrling wiederum in Anwesenheit mehrerer Zunftvertreter ‹ledig gesprochen›, man sprach auch von ‹Abdingen›,96 und erhielt nach Bezahlung der Gebühren ein Bestätigungsschreiben, den sogenannten Gesellenbrief, den er bei Antritt seiner ersten Gesellenstelle vorzeigen musste (Abb. 13). Eine Gesellenprüfung, wie sie andernorts üblich war,97 lässt sich in Basel nicht nachweisen. In vielen Lehrbriefen finden sich Regelungen für den Fall, dass das Lehrverhältnis vorzeitig aufgelöst werden sollte. So heisst es im Lehrvertrag zwischen Conrad Imenhauser und Hans Heinrich Pfaff: «So es sich aber begebe uß schickung Gottes: das der meister uß diser Zytt mit dodt abscheide […], so sollen syne Erben, umb Obgemeltt Leergeltt den Jungenn ußleeren lassen. So aber der Jung mit tod uß diser Zytt abscheiden wurde im Ersten Jaar, so soll dem meister das Halb Leergeltt verfallen syn. So er aber nach verschynung [= Ablauf] Zweier Jaaren mit tod abgan wurde, So soll das gantz Leer geltt verfallen syn. So sich aber begebe,

Die Lehre

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