Lovebugs

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Dieses grosszügig gestaltete Buch wirft einen Blick auf und hinter die  Bühnen und in die Proberäume. Marc Krebs berichtet über Entwicklungen und Zäsuren, Höhepunkte und Krisen und stellt in Einzelinterviews die fünf heutigen Bandmitglieder vor. Mit grossformatigen Fotos dokumentiert Tabea Hüberli die Entstehung eines Albums vom Songwriting über die Proben bis hin zu Auftritten an grossen Festivals. In ihrem Vorwort erinnert Mona Vetsch daran, wie alles anfing und immer weiterging. Die beigelegte DVD mit zwölf Original-Videoclips macht das Buch zu einem Must-have nicht nur für Lovebugs-Fans. ISBN 978-3-85616-532-1

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LOVEBU AND GARET LOV EB U G S CO C O FFEE FFE E A N D CCII GA R E T TTES ES

Seit fünfzehn Jahren sind sie in den Hitparaden und auf Konzertbühnen Dauergäste: die Lovebugs.

LOVEBUGS COFFEE LOVEBUGS AND CIGARETTES COFFEE AND MARC KREBS

MARC KREBS

TA B E A H Ü B E R L I

TA B E A H Ü B E R L I

CIGARETTES CHRISTOPH MERIAN VER CLHARGI S T O P H M E R I A N V E R L A G


LOVEBUGS COFFEE AND CIGARETTES M AR C K REBS

TABEA H Ü BER L I

C H RISTO P H M ERIAN VER L AG


Intro

VO n M o n a V e t s c h

6

Adrian Sieber 29

me a song

Da s

25

3

Coffee

49

Remember the

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Pop ’til You Drop

W e n n Da s

51

first Time?

27

Wie alles Begann

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Focus, Camera on

Au s l a n d lo c k t Do You

73

T r o mp e t e n

i m P r o b e r au m

Songwriting

2

Through a Wall

M i t pau k e n u n d

Die Band Sing

Breaking of Sound

and Cigaret tes 1

5

Simon Ramseier

53

Hold

75

Da s Im ag e

Thomas Rechberger

77


9

Shake Down 7

Hands on the Wheel

Au f

113

Da s B u s i n e s s -

137 Meeting

Sp r i t z fa h r t 10 

Naked

D i e Lov e b u g s

139 s t r i pp e n

8

Between Goodbye and a Hello

Der

115

grosse Bruch

Florian Senn

117

Stefan Wagner

141 11

12

Life is today

im Studio

163 Retro

D i e C h r o n o lg i e

181

Fade Out

Will you catch me

D i e V i d e o s au f DV D

when i fall?

B i l d n ac h w e i s

D e r E u r ov i s i o n

200

song contest in M o s k au

161

Imp r e s s u m


INTRO

VO n M o n a V e t s c h

Wenn wir diese Klischeebilder beiseitelassen müssen, was bleibt dann übrig vom Leben einer Popband? Davon erzählt dieses Buch, vom wahren Leben einer professionellen Schweizer Band. Es geht um Musik und Leidenschaft. Um den Weg zum Erfolg und weiter. Aber auch um Selbstzweifel und die Krisen. Und es ist die Geschichte einer grossen Freundschaft. Monatelang haben die Fotografin Tabea Hüberli und der Journalist Marc Krebs die Lovebugs begleitet, den Zyklus vom Songwriting bis zur Plattenproduktion aus nächster Nähe miterlebt und in «Coffee and Cigarettes» festgehalten. Zwischen den Stationen blicken die fünf Musiker zurück, auf einschneidende Ereignisse, auf glückliche und traurige Momente einer Karriere, die sie bis in die Moskauer Olympiahalle führte, wo sie vor hundert Millionen TV-Zuschauern auftraten. Aber dort sind wir noch lange nicht.

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Die Lovebugs, Herrgott ja, wir haben tolle Zeiten erlebt. Unvergessen der Auftritt am Gurten-Festival, den sie abbrechen mussten, als Adrian das Publikum beschimpfte, das in einem fort nach «Angelheart» und «Bitter Moon» geschrien hatte. Da hätte auch ausrasten können, wer nicht gnadenlos verladen war wie die Jungs an diesem Abend. Dass Thomas danach per Kurzschluss unseren Übertragungswagen lahmlegte, weil er über die nackten Beine einer Groupie-Blondine gestolpert war, merkte kaum einer. Zu gross das Tohuwabohu, weil sich Simon und Stefan draussen mit den Security-Broncos prügelten. Später, in der Notaufnahme, bekam eine Assistenzärztin ein Autogramm auf ihren Busen, «Dir haben sie damals das erste Interview im Schweizer Fernsehen geund auf dem Heimweg ging Florian irgendwie verloren. Er tauchte erst geben», sagt Marc Krebs zu mir, «in der Jugendsendung ‹Oops!›.» Das hätten ihm die Jungs erzählt. «Schön», sage ich und versuche mich Tage später wieder auf. krampfhaft zu erinnern. Aber da kommt nichts, nur ein merkwürdiges Wow, wird jetzt der eine oder andere denken, von dieser Seite kenne Gefühl. Wenn die eigene Jugend schon Teil der Musik-Historie ist, dann ich die Lovebugs ja gar nicht! Das ist der Punkt. Ich nämlich auch nicht. ist sie definitiv vorbei. Die Szene ist frei erfunden – oder besser: Lovebugs-Antimaterie. Sie beinhaltet nämlich all das, wofür diese Band nicht steht. Licht ins Dunkel bringt erst der Gang ins Archiv. Danke der Ehre, aber ich war es nicht. Daniela Würgler präsentiert uns im damaligen Tagesfernsehen TAF als Erste die «Nachwuchsband aus Basel».

«Ich bin Simon, ich spiele Schlagzeug.» Famous first words! Brav der Reihe nach stellen sie sich vor, sie sind zu dritt an diesem Tag im November 1996. Der langhaarige Simon, in der Mitte Adrian, die Hände in den Taschen vergraben, und Baschi, fleischgewordener Rock’n’Roll, der in diesem klinischen Setting fremd wirkt wie ein Adler auf der Hühnerstange. Man mache «lärmige Popmusik, laut, schnell und gemein» verkünden die Jungs freundlich-schüchtern, wippen mit den Fussgelenken, halten sich an den hässlichen Bistrotischen fest, und irgendwann ist es vorbei.


Bei den meisten anderen Schweizer Bands – bei fast allen anderen! – wäre das der Zenit gewesen. Der Höhepunkt der Popkarriere. Ein TV-Auftritt und vielleicht noch der Nachwuchs-Prix-Walo in der Mehrzweckhalle, Applaus, gern geschehen! – und auf nimmer Wiedersehen. Auch andere hatten Talent – warum haben es die Lovebugs geschafft? «Kontinuität», sagt DRS3-Musikkollege Christoph Alispach, der die Lovebugs schon kannte, als Baschi die Singles noch persönlich mit dem Velo ins Basler Radiostudio karrte. «Sie haben’s gewollt und sind drangeblieben.» Mehr Geheimnis ist da nicht. Die Lovebugs sind eben eher KMU als KLF. Bodenständig, fleissig, freundlich, bescheiden. Wie viel aber hätten wir 1996 auf diese Basler Band gewettet? Dass sie durchhalten und mit ihren Platten die Top 10 entern, dass sie für die Rolling Stones anheizen und 2011 noch fest zum Schweizer Musikinventar gehören? Damals kannten wir gerade mal «Marilyn» und «Fantastic», und ich erinnere mich noch gut, dass ich letzteren Song nicht spielen durfte im Tagesprogramm von Radio Thurgau, wo ich damals arbeitete. Er sei «zu schräg», hiess es. Kein Misserfolg, sondern ein Anfang. Move on, move on, stupid pop kid. In den nächsten Jahren waren die Lovebugs für mich wie Ostern, sie kehrten in regelmässigen Abständen wieder. Man sah sich bei «Oops!», «Weekend Music», bei DRS3 und an vielen Festivals. Immer wars ein frohes Fest. «Fantastic» ist bis heute mein Lieblingssong geblieben. Das erste Mal halt. Zählt nicht bei Fernsehauftritten, sehr wohl aber bei musikalischen Erweckungserlebnissen.

Sassen sie kürzlich einmal spätabends in einer S-Bahn Richtung Zürich? Jeder Spenglerstift inszeniert sich für den Ausgang aufwendiger als die Lovebugs das je gemacht haben. Vorgeworfen hat man es ihnen trotzdem. Kaum ein Interview, bei dem man sie nicht kritisch abklopfte darauf, ob sie sich nicht verkleiden, verkaufen, verstellen. Wir bei «Oops!» waren da keine Ausnahme. Als «Under My Skin» herauskam, haben wir länger über Retro-Blumenhemden, Brockenhäuser und Brusthaare geredet als über ihre Musik. Sorry. Und dann dieses Mädchenschwarm-Dings, das an ihnen klebte wie der Ultra-Strong in meiner Stachelfrisur. Aber hat das je gestimmt, dass an ihren Konzerten übermässig viele Mädchen standen? Ich kann mich wirklich nicht erinnern, sehr wohl aber daran, dass wir alle gepökelt aus dem Winterthurer Salzhaus kamen, so sehr haben sie uns den Schweiss aus den Poren getrieben. Die Lovebugs live? Wie 1996: laut, schnell und gemein. Wenn doch mal ein BH flog, dann als ironisches Zitat. Eingeprägt hat sich mir unsere Begegnung im Theater Basel, 2004. Es war der Tag, an dem sich die Lovebugs ihren Fans von einer anderen Seite zeigen wollten. Unplugged, für die Aufzeichnung der Platte «Naked». Sie hatten monatelang für diesen Auftritt gearbeitet, das wusste ich, und als ich auf dieser Bühne stand, vor mir ein Saal voller Erwartungen, in meinem Rücken die Band, war ich lächerlich nervös. Ich hatte ja nur die Anmoderation zu machen, eine simple Sache, aber wer hätte schuld sein wollen, wenn die berührendste je gespielte Version von «A Love Like Tides» durch ein schepperndes «Dragostea Din Tei» zerstört worden wäre? Und bitte stellt die Handys ab! Das war einer der seltenen Augenblicke, von dem ich wusste: Der hier ist wichtig. Man rafft das ja sonst nie so genau, besonders, wenn man jung ist. Immer bist du mittendrin, und von ganz nah betrachtet, wirkt alles gleichermassen überlebensgross. Bedeutend aber werden die Dinge erst aus der Distanz.

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Sing me a song S o n g « ’ 7 2 »  →   A l b u m « 1 3 S o n g s w i t h a V i e w »

Da s S o n gw r it i n g

Dienstag, 7. September 2010. Emilie schaut neugierig hinter einem Türrahmen hervor und lächelt schüchtern. Emilie ist die Tochter von Adrian Sieber. Noch ehe sie 2004 zur Welt kam, gab es sie schon. Im Kopf des Sängers und Songwriters. Denn «Emily» ist auch ein Song. Einer von rund hundertvierzig, die Adrian mit den Lovebugs veröffentlicht hat. «Im Schnitt schreibe ich jede Woche ein Lied», erzählt er bei einer Tasse italienischem Kaffee in seiner Altbauwohnung im Basler Quartier St. Johann. Nach dem Frühstück mit der Familie, wenn Emilie sich auf den Schulweg gemacht hat, beginnt für den Sänger und Songwriter der Arbeitstag. Zuerst erledigt er Büroaufgaben und hört dazu neu erschienene Musik – etwa die «Sounds»-Sendung des Vorabends, die DRS3 als Podcast bereitstellt. Gefällt ihm ein Lied, dann empfiehlt er es, selbst ganz Musikfan, seinem Umfeld, indem er es auf Social-Media-Plattformen wie Facebook weiterverbreitet.

Der Computer ist auch Schaltzentrale des eigenen Songwritings. Stapelten sich in den 90er-Jahren noch Audiobänder in Adrians Arbeitszimmer, so sind Textskizzen und Songideen heute fein säuberlich auf der Harddisk seines Heimcomputers archiviert. In einem Word-File finden sich Einfälle für Songtitel und Texte. «Drunk on Dreams» steht da oder «Jennifer Beals». Ein Idol seiner Jugend. Der Schauspielerin aus dem Tanzfilm «Flashdance» würde er gerne ein Lied widmen. Doch die zündende Idee ist ihm noch nicht gekommen. Adrian steht auf, geht zwei Schritte und setzt sich ans Klavier. Dort tastet er sich an Akkordfolgen heran. Oft klimpert er gedankenverloren vor sich hin, manchmal wechselt er auch das Instrument und rutscht suchend über die Bünde seiner akustischen Gitarre. Einen genialen Einfall krampfhaft zu forcieren, das hat ihn die Erfahrung gelehrt, ist vergebliche Liebesmühe. Die Inspiration lässt sich nicht erzwingen, höchstens kitzeln. Und diesen Kitzel braucht er. Seit es die Lovebugs gibt, vergingen nie mehr als zwei Monate, bis wieder ein neues Lied fertig war. «Ich kann nicht anders», sagt er. «Denn nichts macht mich glücklicher, als Songs zu schreiben.»

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Und nichts macht ihn zugleich verletzlicher. Denn wenn ihm eine Melodie einfällt oder ein Text, dann steht dahinter mal eine Sehnsucht, eine Trauer oder eine Freude – immer ein Gefühl, das ihn umtreibt und das er in Liedform nach aussen trägt. Über die Liebe zu singen, fällt ihm bedeutend leichter, als darüber zu reden. «Meine Frau sagt, ich sei nur in meinen Liedern romantisch», bekennt er.

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Um die Jahrtausendwende, als Adrian realisierte, dass er Profimusiker geworden war, meinte er, sich als Songwriter disziplinieren zu müssen. Er stand morgens um acht Uhr auf und befahl sich, bis zum Ende des Tages einen Song zu schreiben. «Aber dieses Funktionieren auf Kommando klappte überhaupt nicht.» Einige Jahre später mietete er beim Coiffeur unten im Haus einen kleinen Raum dazu und richtete sich ein Komponierzimmer ein. «Ich dachte mir, dass ich so weniger abgelenkt und daher rascher zum Ziel, zu Songs kommen würde.» Auch dieser Versuch scheiterte. Adrian stellte fest, dass er fürs Songwriting eine Wohlfühlatmosphäre brauchte, die er nur in seinen privaten vier Wänden vorfand.

Tatsächlich kommt er sich selbst beim Songwriting am nächsten. Die Texte sind zunächst zweitrangig, am Anfang jedes Lovebugs-Lieds ist eine Stimmung, eine Momentaufnahme. Entsprechend schwer fällt es ihm auch, seine Lieder zu analysieren, das Glücksgefühl dieses Prozesses in Worte zu fassen. Dass er diesen intimen Moment mit niemandem An diesem Spätsommertag 2010 arbeitet er noch eine Zeit lang an einem Lied, das den Titel «Faint Afterglow» trägt. Der Text ist Kauderwelsch, teilen kann, ist Teil des Glücks, des Geheimnisses. von einem richtigen Song mag er deshalb noch nicht reden. Dennoch Keine einfache Situation für seine Freunde, auch nicht für seine Familie. wird er ihn zur nächsten Probe der Lovebugs mitbringen. So wie dies «Wenn er unter Druck steht, wenn neue Lieder hermüssen, fehlt er mir in den nächsten zwölf Monaten mit vierzig weiteren Ideen geschehen sehr», erzählt seine Frau Kat Fischer. «Er sitzt im Zimmer nebenan und wird. Die meisten werden bis zur Plattenproduktion verworfen sein und wieder in seinem Archiv verschwinden. Frustriert ihn das nicht? «Nein, scheint doch weit weg.» denn nichts ist für den Papierkorb», sagt er bestimmt. «Keine Idee wird Dann ist Adrian trotz physischer Präsenz in einem Delirium. Dann exis- weggeworfen, was auch immer passiert, sie ist gespeichert. Ein Song ist tiert nur die Musik, die Songidee, die ihn nicht loslässt. Er grübelt, fällt auf ein Song bleibt ein Song.» sich zurück, ungreifbar für andere. Liegt schlaflos im Bett. Schnellt auf einmal hoch, schleicht ins Musikzimmer, summt Varianten in ein Mik- Emilie kommt aus der Schule heim und umarmt ihren Vater. Wie es sich rofon, hält die Ideen fest. Oder er erwacht und hat die gesuchte Tonfolge anfühlen wird, wenn Adrian sie in ein paar Jahren in die Welt entlassen im Kopf. Und wenn er nicht weiterkommt, archiviert er die grobe Idee, muss, das erahnt er schon heute. Durch «Emily», das Lied. in der Hoffnung, sie eines Tages wieder hervorzukramen, zu erweitern, mit einem Text in einen Song zu verwandeln. «Songs zu schreiben, ist für mich eine Art Droge, die sich nicht abnützt», erzählt er. «Es fühlt sich an wie ein Rausch, erfordert aber auch viel Konzentration: In meinem Kopf hängen zahlreiche lose Fäden herunter, ich versuche, die richtigen zu erwischen und zu bündeln.» Wenn ihn seine Tochter aus diesem Zustand herausreisst, «dann stehe ich zunächst völlig neben mir. Um ein Lied zu schreiben, muss ich tief abtauchen, sodass alles um mich herum keine Rolle mehr spielt. Was dazu führt, dass mich auch immer wieder ein schlechtes Gewissen beschleicht, ich mich dann etwa frage, ob ich ein guter Vater bin.»


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Do You Remember the First Time? S o n g « T h e A f t e r m o o n »  →   A l b u m « 1 3 S o n g s w i t h a V i e w »

W i e a lles b ega n n Am Anfang war ein Inserat: «Schlagzeuger gesucht!» stand auf einem Zettel, der im Basler Musikgeschäft Major 7 aushing. Adrian Siebers Interesse war geweckt. Der 21-Jährige blickte auf Erfahrungen in Schülerbands zurück und suchte gleich gesinnte Leute mit Ambitionen. Noch am selben Abend griff er zum Telefon. Sebastian Hausmann, der den Anruf entgegennahm, erinnert sich: «Da war diese Stimme, die kaum einen Ton rausbrachte. Schüchtern meldete sich dieser Schlagzeuger. Einer, von dem ich noch nie gehört hatte. Und der mich dann auch noch zu fragen wagte: ‹Ja, seid ihr denn gut?› Frecher Kerl!, dachte ich mir und sagte ihm, er solle zur Probe kommen.» Sebastian, den in Basel alle Baschi nennen, hatte als Musiker über zehn Jahre in England und in den USA gelebt. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz rief er mit seiner Frau Samantha, einer Sängerin, The Bash ins Leben. «Adrian Sieber kam also vorbei, setzte sich wortkarg ans Schlagzeug und spielte sensationell zu unseren Liedern», erzählt Baschi. «Man musste ihm nichts erklären!» Das war 1991. The Bash wuchsen in Basel rasch zu einer festen Grösse, ihr rauer Rock wurde zum Stadtgespräch, bald füllten sie das legendäre Konzertlokal Atlantis.

Die Songs entstanden mehrheitlich in Jam Sessions, durch Improvisationen im Proberaum. Adrian klinkte sich beim Songwriting ein, lieferte harmonische Variationen – doch viele Ideen wurden verworfen, weil sie in dieser Konstellation nicht funktionierten. «Ich begriff, dass nur ich selber spüren konnte, wie meine Ideen umgesetzt werden mussten.» Also startete er gemeinsam mit einem Vierspur-Gerät der Firma Fostex ein Nebenprojekt: Er füllte leere Kassetten mit Melodien, spielte dazu Schlagzeug, Gitarre und Keyboard-Bass. Die technische Einschränkung hatte ihre Vorteile: «Denn was auf vier Spuren nicht genügend berührte, funktionierte auch nicht als Song», sagt Adrian. 1993 beschriftete er eine Kassette mit «Lovebugs» – passend zur Musik, die schön und dreckig zugleich war – und sandte sie ein: «Sprungbrett» hiess der Basler Nachwuchswettbewerb, bei dem er es auf Anhieb ins Halbfinale schaffte. Dieses würde auf der Bühne ausgefochten.

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Die Lovebugs existierten bisher nur in seinem Kopf, nun musste Adrian umgehend eine Band zusammenstellen. Was lag näher, als die engsten Freunde anzufragen? Baschi, ganz Vollblutmusiker, sagte umgehend zu, als Bassist einzuspringen. Gitarre und Gesang konnte Adrian selber übernehmen. Und als Taktgeberin verpflichtete er Julie Lagger. Sie spielte zwar erst seit einem halben Jahr Schlagzeug. Aber Adrian war in sie verschossen – und das zählte mehr als jede Erfahrung. So stolperten die Lovebugs am 8. Juni 1993 erstmals auf eine Bühne und spielten sich mit charmantem, ungelenkem Schrammelrock in die Herzen des Publikums. «Ich hatte einen Fretless-Bass und traf kaum die richtigen Töne. Aber unsere Performance berührte alle», erzählt Baschi. Die Lovebugs stachen im Finale gar die favorisierte Soulrock-Band Daddy Long Legs aus. Als Preis winkte eine Woche Studioaufnahmen. Welch ein Auftakt!

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Bald darauf entschied sich Adrian gegen die gloriosen Hormone und für eine groovende Harmonie: Julie Lagger musste gehen, Simon Ramseier, gerade einmal 18-jährig, stieg ein. Im Zürcher «Dynamo» präsentierte sich die neue Formation erstmals vor Publikum. Die Besucher dieses Doppelkonzerts mit The Bash konnte man zwar an einer Hand abzählen, doch fanden sich gleich zwei neugierige Vertreter von Plattenfirmen ein. Eine beeindruckende Quote. Ein Versprechen für die Zukunft. Auf dem Heimweg wurden die Basler nachts um vier Uhr in einen Auffahrunfall auf der Autobahn verwickelt. Samantha sprang aus dem Bus und schrie: «My baby, my baby!», Baschi beruhigte sie. Adrian und Simon schauten sich verwundert an, bis sie aufgeklärt wurden: «Wir werden Eltern!» Die Verblüffung war gross, ebenso die Erleichterung, dass alle wohlauf waren.

Nach der Geburt ihres Sohnes, Dylan, trat Samantha kürzer und um The Bash wurde es ruhiger. So ruhig, dass das Nebenprojekt allmählich zur Hauptsache wurde. Auch für Baschi selber: «Adrian schrieb überaus interessante Songs, die – vielleicht gerade weil er ursprünglich Schlagzeuger war – nicht einer harmonischen Logik entsprachen. Ich fand oft: Hey, diese Tonfolge geht nicht, aber … Moment mal … die klingt ja super!» Im Januar 1994 veröffentlichten die Lovebugs ihre erste Platte: «Fluff» beinhaltete zwölf Alternative-Rock-Songs, die an Vorbilder wie die Lemonheads oder The Clash erinnerten. Tausend CDs  brachten sie mit Hilfe eines kleinen Vertriebs unter die Leute. Zuvor hatten die grossen Schweizer Plattenfirmen dankend abgelehnt. Sie sahen keinen Bedarf an englischsprachiger Musik aus der Schweiz. Bruno Huber etwa, Chef von BMG Schweiz, erklärte den Lovebugs damals: «Mir händ schon en Superstar im Repertoire: de Pingu!» Die Printmedien aber schlossen das Trio rasch ins Herz – «Wunderbar lethargischer Gitarrenpop», schrieb der «Tages-Anzeiger», und auch DRS3 fand Gefallen. Eine Wechselwirkung wurde in Gang gesetzt, kontinuierlich stiegen Plattenverkäufe und Anzahl Konzerte, unermüdlich bedienten sich Journalisten der Floskel, die Lovebugs stünden kurz vor dem grossen Durchbruch. «Loveburgs: Drei Musiker auf Erfolgskurs», schwärmte die «Fricktaler Zeitung» am 15. Juli 1994 auf der Frontseite. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis der Bandname den Medien so vertraut war, dass sie ihn auch richtig schrieben.


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