Ensemble Chauderon – AAA (D/E)

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Ensemble Chauderon AAA

swissmonographies

Christina Haas, Harald R. Stühlinger

Christoph Merian Verlag











swissmonographies Ensemble Chauderon AAA

Christina Haas, Harald R. Stühlinger

Christoph Merian Verlag


Inhalt

Vorwort 12 Kontext 16 Ensemble 30 Genese 60 Arbeitsplatz 132 Narration 144 Baukultur 160 Epilog 172 Dank 178 Datenblatt 182 Quellen 183 Impressum 184


Contents

Foreword 13 Context 17 Ensemble 31 Genesis 61 Workplace 133 Narrative 145 Building culture 161 Epilogue 173 Acknowledgements 179 Datasheet 182 Sources 183 Colophon 184


Vorwort

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Lausanne zu Beginn der 1960er-Jahre. Die Lausanner Behörden planen die Schaffung eines exzentrischen Stadtzentrums an der Place Chauderon, das Verwaltungs-, Dienstleistungs- und Geschäftsbereiche enthalten soll. Es folgt – als Gegenstück zur Place Saint-François und zu Bel-Air – der Logik einer notwendigen Transformation der traditionellen Stadtstruktur. Notwendig, um der Zunahme des Autoverkehrs gerecht zu werden, die insbesondere durch den bevorstehenden Bau der Autobahn Lausanne – Genf ausgelöst wird. 1 Paul Dumartheray (1910–1989). 2 Colin Buchanan (1907–2001). 3 Die Architekt:innen-Gruppe Team X wurde u.a. von Alison (1928–1993) und Peter Smithson (1923–2003) im Zuge des 9. ‚Congrès International d’Architecture Moderne‘ (CIAM) 1953 gegründet und kritisierte den Städtebau der klassischen Moderne. 4 Jean Prouvé (1901–1984).

Es ist die Ära des Automobils. Das Verwaltungs- und Geschäftsensemble an der Place Chauderon (1960– 1974), entworfen und gebaut vom Atelier des Architectes Associés (AAA ) in Zusammenarbeit mit Paul Dumartheray 1, steht im Einklang mit der sogenannten Verkehrsarchitektur, für die sich Colin Buchanan 2 in seinem 1963 in London veröffentlichten Bericht Traffic in Towns – ein Bestseller, der unter Architektinnen und Stadtplanern auf grosse Resonanz stiess – einsetzte. Die räumliche und bauliche Struktur des Ensem­ bles spiegelt auch die Idee der Cluster wider, die von den Mitgliedern des Team X 3 in denselben Jahren theoretisch entwickelt wurde: eine Zentralität, in der mehrere gemischte Funktionen und verschiedene Arten von Mobilität koexistieren, wodurch ein sozialer Austausch angeregt wird. Dies wird an der Place Chauderon besonders deutlich in der ‚Ästhetik der Verbindung‘ der Durchgänge, Rampen und Rolltreppen des tiefer liegenden Platzes, die strategisch in Bezug auf die Bewegungsabläufe der Fussgänger:innen positioniert sind. Die fünfgeschossigen Büro- und Dienstleistungsgebäude schweben vom Boden losgelöst in der Luft. Ihre Decken sind an einer Stahlkonstruktion aufgehängt, die auf vier Stahlbetonpfeilern aufliegt. Das sich daraus ergebende ‚modernistische‘ Bild beruht also auf einer waghalsigen Umsetzung mit schwindelerregenden Spannweiten. Die Errungenschaft ist auch eine technologische, insbesondere bei der Gestaltung und Ausführung der Gebäudehüllen. Die Fassaden aus vorfabrizierten, eloxierten Aluminiumpaneelen – selbsttragend und mit Öffnungen aus reflektierenden Wärmeschutzgläsern mit abgerundeten Ecken – weisen einen hohen technischen Standard auf. Die besonders komplexe Entwicklung dieser ‚Hülle‘ basierte auf zahlreichen Laborversuchen, wobei die Unterstützung von Jean Prouvé 4 als beratendem Experte zweifellos Sicherheit vermittelte. Nicht zuletzt verlieh er dem Vorhaben ein gewisses Prestige.


Foreword

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Lausanne at the start of the 1960s. The Lausanne municipal authorities are planning to create an ex-centric urban center on Place Chauderon outside the old core city, which is to house administration offices, service and retail spaces. In contrast to Place Saint-François and Bel-Air, it is based on a need to transform the traditional urban structure. This transformation is required to deal with the increase in motorized traffic, which will result from the imminent construction of the Lausanne – Geneva motorway. 1 Paul Dumartheray (1910–1989). 2 Colin Buchanan (1907–2001). 3 The architects group Team X was founded by Alison (1928–1993) and Peter Smithson (1923–2003), among others, during the 9th “Congrès International d’Architecture Moderne” (CIAM) 1953 and was critical of the urban planning of classic modernism. 4 Jean Prouvé (1901–1984).

It is the era of the automobile. The administration and retail ensemble on Place Chauderon (1960–1974) — designed and built by Atelier des Architectes Associés (AAA) in collaboration with Paul Dumartheray 1 — reflects the idea of what is called “traffic architecture”, for which Colin Buchanan 2 argued in his book Traffic in Towns, published in 1963 in London — a best-seller that met with a very positive response from architects and urban planners. The spatial structure and the buildings of the ensemble also represent the idea of the “cluster”, the theoretical basis which was developed by the members of Team X 3 around the same time: a centrality in which a mix of functions and different kinds of mobility coexists, inducing social exchange. This is shown particularly clearly in the “aesthetics of connection” as expressed by the passageways, ramps and escalators of the square that lies at a lower level, which are strategically positioned to suit the movement patterns of pedestrians. The five-story office and services buildings hover in the air, detached from the ground. The floor slabs are hung from a steel structure that rests on four reinforced concrete piers. The “modernist” image produced is the result of a daring realization and dizzying spans. The achievement is also a technological one, especially as regards the design and construction of the building envelope. The façades of prefabricated anodized aluminum panels — self-supporting, the openings filled with reflective, heat protection glazing with rounded corners — demonstrate a very high technical standard. The development of this “envelope” was a particularly complex process that required numerous laboratory experiments, whereby the support of Jean Prouvé 4 as an expert consultant undoubtedly provided confidence. And, not unimportantly, he lent the project a certain prestige. Despite all the remarkable aspects mentioned — including openness to international tendencies, a new


Vorwort

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Trotz all der erwähnten bemerkenswerten Punkte – unter anderem Offenheit gegenüber internationalen Strömungen, neue Ästhetik der Verbindungen, technische und technologische Meisterleistungen – besteht nach wie vor ein Mangel an Wissen und Anerkennung in Hinblick auf diese Architektur. Es lässt sich jedoch ein gewisses, zwar noch in den Anfängen stehendes, aber bereits spürbares Erwachen des öffentlichen Interesses feststellen: Durch ihre Lage an der Brücke, ihre schlanken Volumen sowie ihre glatten, silbern und orange schimmernden Fassaden sind die Gebäude an der Place Chauderon zu Ikonen geworden. Sie sind heute Bezugspunkt und Wahrzeichen in der Stadtlandschaft der Lausanner Innenstadt. Wie von der Autorin und dem Autor dieser Monografie anschaulich dargelegt, ist es unbestreitbar, dass das qualitativ hochwertige Bauvorhaben aus den 1960er- und 1970er-Jahren innovative und experimen­ telle Aspekte aufweist. Das Ensemble ist – im Horizont seiner Enstehungszeit betrachtet – entsprechend avantgardistisch. In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung der vorliegenden Publikation zu unterstreichen. Durch die Einnahme eines neuen Blickwinkels trägt sie zur Aufwertung eines der wichtigsten Meilensteine der modernen Schweizer Architektur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei. Bruno Marchand

Übersetzung aus dem Französischen: Christina Haas.


Foreword

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aesthetic of connections, impressive technological and technical achievements — this architecture is still too little known and appreciated. However, a certain awakening of public interest is noticeable; it is still at an early stage but nevertheless very real. Through the position at the bridge, the slender volumes, and their smooth silver and orange shimmering façades, the buildings on Place Chauderon have become icons. Today they are a point of reference and a symbol in the urban landscape of Lausanne’s inner city. As the authors of this monograph clearly show, this high-quality building project from the 1960s and 1970s has undeniably innovative and experimental aspects. Reflecting the spirit of its time, the ensemble is unmistakably avant-garde. In this context the importance of the present publication should be underlined. By adopting a new perspective, it contributes to the appreciation of one of the most important milestones of modern Swiss architecture from the second half of the twentieth century. Bruno Marchand


Kontext

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| Fig. 1

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1

2 km

Umgebungsplan Lausanne, Lac Léman / Map of surrounding area, Lake Geneva


Context

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Kontext

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Lausanne, der Hauptort des Kantons Waadt, dehnt sich an einem Südhang vom Ufer des Lac Léman über fünfhundert Meter hoch bis in die darüberliegenden bewaldeten Hügel und Berge des schweizerischen Mittellandes aus. Die heutige Stadtfläche – mit einem nordwestlich gelegenen Waldgebiet als Exklave – erstreckt sich von der Einmündung des Flüsschens Chamberonne im Südwesten bis zu den waldreichen Abhängen des Jorat, des Hochlandes im Osten. | Fig. 1 | Der Verlauf des Südhanges steigt mitnichten einheitlich an, er weist unterschiedliche Steigungen auf, das Terrain ist mitunter stark zerklüftet. Als am Ende der letzten Eiszeit ein riesiger Gletscher abzuschmelzen und sich immer weiter nach Osten (Rhônetal) zurückzuziehen begann, entstanden auf dem Stadtgebiet des heutigen Lausanne mehrere topografische Besonderheiten wie Senken und Schluchten, exponierte Hügelrücken und Verwerfungen. Etwa 150 m oberhalb des Genfersees befindet sich ein Molassehügel aus der letzten Eiszeit. Auf diesem legte man ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. eine neue Siedlung an, nachdem man die schwieriger zu verteidigende ältere Stadtanlage römischen Ursprungs, die unmittelbar am See – im heutigen westlichen Lausanner Stadtteil Vidy – lag, aufgegeben hatte. Den Namen der römischen Stadt, Lousonna, übertrug man auf die neu gegründete Siedlung. Der Hügel ist von manchmal tieferen, manchmal weniger tiefen Einschnitten von den umgebenden topografischen Erhebungen getrennt. Seit Tausenden Jahren zerfurchten sowohl an der westlichen (heute die Louve) wie an der östlichen Flanke (der Flon) nach Süden zwei Wasserläufe das Terrain. Im Süden des zentralen Siedlungshügels vereinigen sich die beiden Wasserläufe und fliessen von dort, abgedrängt von einer Seitenmoräne des letzten Gletschers, zuerst nach Westen. Nach mehreren hundert Metern strömt das Wasser schliesslich nach Süden, um sich in den See zu ergiessen. Im Laufe der Zeit erhielt der Hügelrücken der Moräne die Bezeichnung Montbenon; ein Name, der bis heute in mehreren Ortsbezeichnungen weiterbesteht. Louve und Flon waren zugleich schwer zu überwindendes Hindernis wie auch Schutz für die neue Siedlung und prägen bis heute die Stadtstruktur sowie das Stadtbild von Lausanne. Nach ihrer Vereinigung fliessen sie als Flon weiter, dieser gab einst der Senke und verleiht heute einem lebendigen Stadtteil seinen Namen. Wegen der topografischen Einschnitte innerhalb des Stadtgebietes überspannten zahlreiche kleine


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Lausanne, the capital of the canton of Vaud, spreads along a south-facing slope on the shore of Lake Geneva and rises more than five hundred meters to the wooded hills and mountains of the Swiss midlands. Today the urban area — with a piece of woodland on the northwest as an exclave — extends from the mouth of the small Chamberonne river in the southwest to the wooded slopes of Jorat, the upland to the east. | Fig. 1 | The southfacing slope does not rise evenly, it has different gradients, at places the terrain is very rugged. When, at the end of the last Ice Age, a huge glacier began to melt and retreat eastward (Rhône Valley), a number of topographical features such as depressions and ravines, exposed hill ridges and faults were formed on what is today the urban area of Lausanne. About 150 meters above Lake Geneva there is a molasse hill from the last Ice Age. From the fourth century AD a new settlement was established there after the old Roman settlement, which was more difficult to defend and lay directly on the lake in what is today the western district of Lausanne-Vidy, had been abandoned. Lousonna, the name of the Roman city, was transferred to the new settlement. The hill is separated from the surrounding topographic elevations by incisions of different depths. Over thousands of years two rivers have created ravines in the terrain towards the south, on both the western flank (today the Louve) and eastern flank (the Flon). To the south of the central settlement hill these two rivers meet and from there, compressed by a side moraine of the last glacier, the river initially flows westwards. After several hundred meters it then flows southwards into the lake. Over the course of time the hill ridges of the moraine were given the name Montbenon; which still exists today in several place names. The Louve and Flon both created barriers that were difficult to cross and offered protection for the new settlement and today they still shape the urban structure and the image of Lausanne. After their confluence, the river, now known as the Flon, flows further, it lent its name to the hollow that today is a lively part of the city. The topographic incisions within the urban area led to the construction of numerous small bridges to span the Louve and the Flon. As early as the mid-sixteenth century a start was made with building over parts of these watercourses. In 1564 part of the Flon was covered over to create the Place du Pont. But it was only in 1812 that this strategy really took off. Initially parts of


Kontext 5 P., J.-F.: La place Chauderon. In: Le Conteur vaudois. Journal de la Suisse romande. Heft 31, 1881, S. 3.

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Brücken die Louve und den Flon. Doch schon Mitte des 16. Jahrhunderts begann man, Teile der Wasserläufe manchmal mehr, manchmal weniger zu überbauen. Ein erstes Mal wurde der Flon 1564 überplattet, um die Place du Pont zu schaffen. Doch erst ab 1812 nimmt diese Strategie Fahrt auf. Zuerst stellenweise in den zentralen Bereichen der Stadt, schliesslich auch ausserhalb des Stadtzentrums wurden Passagen kanalisiert und darüber befahrbare Strassen und sogar Plätze errichtet. Wohl schon im 11. Jahrhundert umfasste eine Stadtmauer den Kathedralhügel und bis zum 14. Jahrhundert bot eine weitere auch der Unterstadt weitreichenden Schutz. Das damals westlichste Stadtquartier von Lausanne, Saint-Laurent, das im 13. und 14. Jahrhundert als Stadterweiterung entstand, wurde jedoch nicht mehr von der Mauer einbezogen. Vor der dortigen Porte de Saint-Laurent und südlich der als Verteidigungsturm 1340 errichteten Tour de l’Ale entstand ein Vorplatz. Während auf diesem Platz sicherlich reges Treiben und Handel herrschten, siedelten sich in der vom Flon leicht mäandrierend durchflossenen darunterliegenden Senke einzelne Handwerksbetriebe an. Färbereien, Gerbereien, Schlachtereien und Metzgereien sowie Mühlen und Sägewerke nutzten die Kraft des Wassers für ihre Zwecke. Auf der Höhe des heutigen Pont Chauderon befand sich seit der frühen Neuzeit eine kleine Brücke über den Flon, die den Namen ‚Chouderon‘ [sic!] trug.5 Von ihr ging später der Name auf den Hang nördlich davon über, den man mit ‚En Chauderon‘ bezeichnete, ähnlich wie den östlich davon gelegenen ‚En Mauborget‘. | Fig.2 | Ebenso bürgerte sich mit der Zeit für den Platz vor Saint-Laurent der Name ‚Place (de) Chauderon‘ ein. Ab 1835 arbeitete der Kantonsingenieur Adrien Pichard an einem Verkehrskonzept, um die Verkehrsverbindungen der Stadt zu verbessern. Dafür sah er eine Art Ringstrasse vor, die die zentralen, dichten Stadtquartiere mit ihren engen Strassen umgeht. In vier Bauabschnitten wurde sein Konzept von 1836 bis 1861 in grossen Teilen umgesetzt und auch nach seinem Tod 1841 daran festgehalten. Eines der wesentlichen Bauwerke war der Grand Pont, für den in zwei Geschossen mittels massiver Bögen eine kräftige Substruktion geschaffen wurde, um dauerhaft das Flon-Tal zwischen der Place Saint-François und der Place Bel-Air zu überspannen. Durch das mittelalterliche Saint-Laurent


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| Fig. 2

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Stadtplan Lausanne, Ausschnitt, undatiert [1895–1900] / City map Lausanne, detail, undated [1895–1900]

the river in central areas of the city and later stretches outside the city center were canalized and roads and even public squares were then built over them. A town wall probably already surrounded the cathedral hill in the eleventh century and by the fourteenth century a further wall provided protection for the lower city, too. However, Saint Laurent, the most westerly district of Lausanne at the time, which developed in the thirteenth and fourteenth centuries as an urban expansion area, was not enclosed by the wall. In front of the Porte de Saint-Laurent to the south of Tour de l’Ale, a defense tower erected in 1340, a public square developed. While this square was certainly filled with the hustle and bustle of commerce, in the valley below through which the Flon meandered a number of handcraft businesses settled. Dyers, tanneries, slaughterhouses and butchers as well as mills and sawmills all made use of waterpower for their businesses. Where the Pont Chauderon stands today, there was from


Kontext

| Fig. 3

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Ansicht von ‚En Chauderon‘ und ‚En Mauborget‘, 1867–1876 / View of ‘En Chauderon’ and ‘En Mauborget’, 1867–1876

führte die Rue du Fauxbourg de Saint-Laurent, an der sich zu beiden Seiten die Häuser auf schmalen Parzellen aneinanderreihten. Rückwärtig befanden sich Subsistenzgärten. Mit der Errichtung des Grand Pont änderte sich diese städtebauliche Situation massgeblich. Die in der Verlängerung der Brücke und südlich von SaintLaurent angelegte Route de France (später Rue des Terreaux) verband ab 1845 den Stadtteil Saint-François direkt mit der Place Chauderon. Dies führte dazu, dass die neue Verkehrsachse auf Kosten der ehemaligen Ausfallstrasse von Saint-Laurent aufgewertet wurde. Stetig entstanden an der Rue des Terreaux einzeln stehende Wohnhäuser, die nach Norden zur neuen Strasse hin orientiert höchstens zwei Geschosse, nach Süden, wegen der Hanglage, ein Geschoss mehr aufwiesen. Nach Süden schlossen kleine Gärten an, darunter wurden die Südhänge des Flon-Tals zum Weinanbau verwendet. | Fig. 3 | Der Flon fliesst noch heute unter der Rue Centrale. Etwa dort, wo sie sich mit dem Grand Pont kreuzt, befindet sich der Zusammenfluss mit der Louve. Das Niveau, das sich mit der Kanalisierung des Wasserlaufes an jener Stelle ergeben hatte, wurde schliesslich


Context 5 P., J.-F.: La place Chauderon. In: Le Conteur vaudois. Journal de la Suisse romande. Issue 31, 1881, p. 3.

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early modern times a small bridge across the Flon that bore the name “Chouderon” [sic!].5 It later gave its name to the slope to the north, which was called “En Chauderon” similar to “En Mauborget”, which lay to the east of it. | Fig. 2 | In much the same way, over the course of time the open space in front of Saint-Laurent began to be known as “Place (de) Chauderon”. From 1835 Canton Engineer Adrien Pichard worked on a concept that would improve traffic connections in the city. He envisaged a kind of ring road that would surround the central, densely built urban districts with their narrow streets. Large parts of his concept were implemented in four phases between 1836 and 1861 and, even after his death in 1841, his concept was retained. One of the important structures was the Grand Pont, for which a massive structure of arches on two levels was created to permanently span the valley of the Flon between Place Saint-François and Place Bel-Air. The Rue du Fauxbourg de Saint-Laurent, lined on both sides by buildings on narrow plots, ran through medieval SaintLaurent. Behind these buildings there were subsistence gardens. Following the erection of the Grand Pont the urban situation changed considerably. From 1845 the Route de France (later Rue des Terreaux), laid out south of Saint Laurent as a continuation of the axis of the bridge, connected the district of Saint-François directly with Place Chauderon. This led to the upgrading of the new traffic axis at the expense of the former SaintLaurent radial road. On Rue des Terreaux free-standing houses were built one after the other. They faced northwards to the new street and on the street side were a maximum of two stories high, as they were built on a slope, they had a further story on the south side. To the south they were adjoined by small gardens, further below wine was grown on the south-facing slopes of the Flon valley. | Fig. 3 | Today the Flon still flows beneath the Rue Centrale. The confluence of the Flon and the Louve is roughly where the Rue Centrale meets the Grand Pont. The ground level produced by canalizing the watercourse there ultimately became the starting point for a fiftyyear-long process of backfilling to level the Flon valley. The first noticeable sign of these measures, which changed the appearance of the city, was the disappearance of the lowest series of arches of the Grand Pont underneath the new ground level, leaving the bridge a “Grand Pont” in name only. These works were carried


Kontext 6 Die folgenden Darstellungen beruhen auf Analysen von Fotografien, Abbildungen und Plänen aus dem Musée historique Lausanne.

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als Ausgangspunkt für die fünfzig Jahre andauernden Aufschüttungen zur Einebnung des Flon-Tals festgeschrieben. Erstes sichtbares Zeichen dieser stadtbildverändernden Massnahmen war, dass die unterste Bogenreihe des Grand Pont unter dem neuen Erdbodenniveau verschwand und dieser nun nur mehr bedingt ein ‚Grand Pont‘ war. Die Arbeiten wurden dort zwischen 1868 und 1876 ausgeführt, zeitgleich mit der Fertigstellung einer weiteren verkehrsinfrastrukturellen Einrichtung, dem ‚Funiculaire Ouchy-Lausanne‘, einer Standseilbahn (später eine Zahnradbahn), die das Seeufer mit der Flon-Ebene verbindet. Schritt für Schritt wurde der Flon flussabwärts kanalisiert und das Terrain aufgeschüttet. Bis 1921 war bereits bis zum Pont Chauderon eine einfach zu entwickelnde innerstädtische Ebene entstanden. | Fig. 4 | Die städtebaulichen Veränderungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts führten dazu, dass die Place Chauderon ihr Gesicht mehr und mehr zu verändern begann. Der Platz wurde eingeebnet und durch das Aufstellen einer öffentlichen Waage erlangte er eine erste Aufwertung. Eine zweite passierte mit der Beleuchtung durch Gaslaternen ab 1863, sodass in der Folge dessen seine Attraktivität stieg und mehrere Wohnhäuser gebaut wurden. Eine dritte war die Anlage der Avenue d’Echallens zwischen 1845 und 1848 Richtung Westen nach Yverdon und Genf. Im Jahr 1877 wurde am südwestlichen Ende des Platzes der Collège Galliard gebaut.6 | Fig. 5 | Damit stand neben der öffentlichen Waage nun das erste grössere öffentliche Gebäude am Platz, in welchem zwischen 1898 und 1915 die École de Commerce und danach bis 1943 die École d’ingénieurs untergebracht wurde. Auf der Südseite des Collège befand sich aufgeschüttetes und eingeebnetes Terrain mit zahlreichen Bäumen. | Fig. 6 | Mit der Einführung von Strassenbahnen im Jahr 1896 kam es zu grossen verkehrsinfrastrukturellen Veränderungen in Lausanne, bei der auch die Place Chauderon – wegen des sich westlich des Platzes befindlichen Bahnhofs LEB (Lausanne-Echallens-Bercher) – in das Netz mit sechs Linien einbezogen und mit einer Haltestelle bedacht wurde. 1907 wurde zwischen der Avenue de France und der Avenue d’Echallens am Westende des Platzes die Tourelle Chauderon mit ihrem markanten Eckturm errichtet. Nachdem die Crédit Foncier 1905 die nordöstliche Parzelle des Platzes erstanden hatte, baute man an der Stelle des Vorgängergebäudes


Context

| Fig. 4

| Fig. 5

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Fortschreitende Aufschüttung des Flon-Tals, Pont Chauderon, 13.06.1921 / Progressive filling of the Flon valley, Pont Chauderon, 13.06.1921

Ansicht Place Chauderon mit dem Collège Galliard (rechts), undatiert [1885–1889] / View of Place Chauderon with Collège Galliard (right), undated [1885–1889]


Kontext

| Fig. 6

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Blick von Montbenon zum Collège Galliard, 1906 / View from Montbenon towards Collège Galliard, 1906

zwischen 1908 und 1911 einen repräsentativen Neubau in Beton, der 1933 um sechs Achsen nach Westen hin erweitert wurde. Mit dem Fortschreiten der Aufschüttungen im Flon-Tal legte man unterhalb der Grundstücke an der Rue des Terreaux, am Nordrand des neuen, nun ebenen Terrains, die Rue des Entrepôts (heute Rue de Genève) an. Nach längerer Planungsphase entstand nach geraumer Zeit und zwei Wettbewerben zwischen 1904 und 1905 der Pont Chauderon, der den Hügelrücken von Montbenon und die Place Chauderon mit einem leichten Anstieg nordwärts verbindet. Er stellt das Verbindungsstück der von Süden kommenden, 1901 angelegten Avenue Louis-Ruchonnet mit der 1911 nach Norden führenden Avenue de Beaulieu dar, eine Achse, die die Place Chauderon im Westen tangiert. Über eine ansteigende Strassenabzweigung von der Rue des Entrepôts gelangte man mehr als ein halbes Jahrhundert lang vom Gewerbegebiet Flon direkt an das nördliche Ende des Pont Chauderon respektive an das westliche Ende der Place Chauderon. Als schliesslich das Gewerbegebiet durch die Aufschüttungen bis zum Pont Chauderon erweitert wurde, verschwanden zwischen 1921


Context 6 The descriptions that follow are based on analyses of photographs, illustrations and plans from the Musée historique Lausanne.

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out between 1868 and 1876, at the same time as the completion of a further traffic infrastructure facility, the “Funiculaire Ouchy−Lausanne”, a funicular (later a rack railway) connecting the lake shore with the Flon plain. Step-by-step the Flon was canalized downstream, and the terrain was backfilled. By 1921 a flat inner-city area that could be easily developed had been created, extending as far as the Pont Chauderon. | Fig. 4 | The urban changes in the mid-nineteenth century led to increasing changes in the appearance of Place Chauderon. The square was leveled and upgraded by the erection of a public weighing house. A second improvement was the introduction of gas lantern street lighting from 1863, making the area more attractive and leading to the construction of several residential buildings. A third was the construction between 1845 and 1848 of the Avenue d’Echallens, which ran westwards to Yverdon and Geneva. In 1877 the Collège Galliard | Fig. 5 | was erected at the southwestern end of the square.6 Now, alongside the public weighing house, there was also a larger public building on the square, which between 1898 and 1915 housed the École de Commerce and later, until 1943, the École d’ingénieurs. On the south side of the Collège there was a backfilled and leveled terrain with numerous trees. | Fig. 6 | The introduction of street cars in 1896 brought major changes to Lausanne’s transport infrastructure, in which Place Chauderon — on account of the LEB (Lausanne-Echallens-Bercher) train station to the west of the square — was integrated in the network of six lines and was given a station. In 1907 the Tourelle Chauderon, a building with a prominent corner tower, was erected between Avenue de France and Avenue d’Echallens, at the western end of the square. The Crédit Foncier acquired the northeastern site on the square in 1905 and between 1908 and 1911 replaced the old building that once stood there with a representative new concrete building, which in 1933 was extended six bays to the west. As the backfilling of the Flon valley continued, below the sites on the Rue des Terreaux, at the northern edge of the new, now level terrain, the Rue des Entrepôts (today Rue de Genève) was made. After a lengthier planning phase and two competitions the Pont Chauderon was built between 1904 and 1905, rising slightly northwards it connected the ridges of Montbenon and Place Chauderon. It represented a linking element


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| Fig. 7

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Place Chauderon, Blick nach Westen, undatiert [1963–1975] / Place Chauderon, looking west, undated [1963–1975]

und 1924 zwei Drittel der teils 36 m hohen Stützen der Brücke im neu geschaffenen Erdreich. Die Place Chauderon erfuhr 1935 weitere Veränderungen, indem die öffentliche Waage demoliert und stattdessen eine grosse überdachte Bushaltestelle errichtet wurde. Danach entfernte man die Schienen der Strassenbahnlinien und stellte den öffentlichen Verkehr auf Trolleybusse um. Zu den zwei grossen Einschnitten, die die Gestalt des Platzes in den 1960erJahren massgeblich veränderten, zählte einerseits der Bau des Strassentunnels 1963, dessen Ein- und Ausfahrt in der Platzmitte liegt und der nun die vorrangige Benützung des Platzes für den Kraftfahrverkehr vorsah. Andererseits war es der Abbruch der École d’ingénieurs 1961, der den Weg ebnete für die städtebauliche Vollendung der Place Chauderon, auch wenn es noch fast ein Jahrzehnt dauern würde, bis man zur Errichtung des wegweisenden Ensembles schreiten konnte. | Fig. 7 |


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