Verdachtsmomente - Fichen und Dossiers aus dem Archiv des Staatsschutzes

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Verdachtsmomente Fichen und Dossiers aus dem Archiv des Staatsschutzes

Daniel Hagmann

Christoph Merian Verlag















Verdachtsmomente Fichen und Dossiers aus dem Archiv des Staatsschutzes

Daniel Hagmann Christoph Merian Verlag



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Erkenntnisse eines Fichierten. Ein Vorwort

Recht und Ordnung. Eine Einleitung Der Staatsschutz 33 Die Akten 41 Datenschutz und Forschung 42 Die Sprache 27

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Argwohn mit System. Zweiundfünfzig ausgewählte Fichen

Merkwürdige Geschichten. Sieben Dossiers Im Kampf gegen das System: Kurt Fahrner 155 Im Dienste vieler Herren: Karl Schneider 177 Der Mann mit den vielen Identitäten: Boris Chalev 205 Eine gefragte Tänzerin: Maria Yurkow 237 Die Nähe zum Osten: Karl Burkhart 265 Mildes Urteil für Antikommunisten: Oliviu Beldeanu, Jon Chirila, Stan Codrescu und Dumitru Ochiu 299 Eine zwielichtige Geschichte: Hans-Walter Zech-Nenntwich 135

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Rückblick auf eine Epoche. Zwei Kommentare 357 Einschätzungen einer Historikerin: Brigitte Studer 362 Erinnerungen einer Zeitzeugin und eines Zeitzeugen: Anita Fetz, Robert Heuss 355

Anhang 371 Quellen 374 Literatur 376 Namensregister 369



Erkenntnisse eines Fichierten. Ein Vorwort



Im Sommer 1990 erhielt ich einen Brief. Der Ombudsmann des Kantons Basel-Stadt schrieb mir: «Sehr geehrter Herr Hagmann, Sie haben im Kanton Basel-Stadt ein Gesuch um Einsicht in allenfalls über Sie vorhandene Staatsschutzakten gestellt. In der Folge erhielten Sie die Mitteilung, Sie seien hier verzeichnet, ohne aber Einblick in die entsprechenden Unterlagen zu bekommen. Unsere Abklärungen in der Hauptregistratur und in der Spezialkartei haben ergeben, dass über Sie in Basel andere Ereignisse als beim Bund registriert sind. In der Beilage schicken wir Ihnen eine Kopie dieser Eintragungen.» Auf der Basler Fiche stand zu «Daniel Hagmann, Student», in der Kontrollkartei der Basler Bürger und Bürgerinnen unter der Nummer 111 524 erfasst, Folgendes: «Bericht vom 22.8.1989: Studentenratswahlen 89, gewählt. 23.8.89.» Und auf der Fiche der Bundespolizei war vermerkt: «14.6.89 v. SD BS: Bericht über die seit März 89 erscheinende Monatszeitung Dementi, die naturgemäss mit Geldschwierigkeiten zu kämpfen hat. Fig. auf Liste von ständigen und freien Mitarbeitern der Zeitung.» Gefolgt von einer geschwärzten Textstelle, wo vermutlich der Name des Sachbearbeiters zu lesen wäre. Recht auf meine Geschichte Warum erhielt ich diesen Brief? Wie Zehntausende andere Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz hatte ich zu wissen verlangt, ob die Staatsschutzbehörden mich überwachten. Durch die Medien hatte ich erfahren, dass Bundes- und Kantonspolizei seit Jahrzehnten systematisch sogenannte Fichen führten: Karteikarten mit Informationen über verdächtige Personen. Erfasst worden waren nicht nur gesuchte Terroristen und bekennende Revolutionärinnen, sondern auch alle Personen, welche die staatlichen Organe als potenziell gefährlich einstuften. Dazu gehörten pauschal die Mitglieder von Friedensbewegungen, religiösen Gruppierungen, Alternative, Drittwelt-Aktivistinnen und so weiter. Offenbar auch Studierende, die sich innerhalb der Universität engagierten, Mitglieder des Studentenrates – wie ich. Empörung herrschte nicht nur über die einseitige Bespitzelung, sondern auch über die zuweilen beliebige und unsachliche Art der Ficheneinträge. Dieser sogenannte Fichenskandal löste landesweit heftigen Protest aus. In der Folge wurde beschlossen, dass Interessierte ein Recht darauf haben sollten, allfällige Akten über sich selbst einsehen zu dürfen. 1990 war ich – meine ich mich im Nachhinein zu erinnern – entrüstet. Mich, den unbescholtenen Geschichtsstudenten, hatte der Staatsschutz verdächtigt! Nicht als Mitläufer irgendeiner Demonstration, sondern in Ausübung meiner politischen Rechte. Zugleich war ich aber auch, ehrlich gesagt, erheitert und stolz. Einen Eintrag in einer Fiche der 19


Bundespolizei zu besitzen, hob mein Ansehen unter meinen Bekannten. Dies verdankte ich einer einzigen Glosse, die ich für die Zeitschrift ‹Dementi› verfasst hatte, notabene über die erste Sitzung des Studentenrates. Darin war allerdings kein einziges Wort revolutionär oder auch nur systemkritisch, das war kein erstes Statement eines späteren Umstürzlers. Eine weitere Mitarbeit bei ‹Dementi› war von niemandem vorgesehen. Alles in allem eine bedeutungslose Sache, die mein weiteres Leben in keiner Weise beeinflusst hat. Erst Jahrzehnte später begriff ich, was man mir da mitgeteilt hatte. Ich arbeitete inzwischen seit Längerem im Staatsarchiv BaselStadt und stiess bei Recherchen immer wieder auf die archivierten Akten des Staatsschutzes. Ich entdeckte Geschichten und Zusammenhänge, erkundigte mich bei anderen Historikerinnen und Historikern, versuchte zu verstehen. Und dann las ich diesen Brief von 1990 nochmals. Fragen tauchten auf. Warum hatte die Basler Polizei überhaupt mich und wahrscheinlich alle anderen Mitglieder des Studentenrates fichiert? Wir waren ja Teil eines Universitätsgremiums, legal gewählt. An meiner politischen Einstellung kann es nicht gelegen haben, darauf bezog sich der Ficheneintrag nicht. Wurde da einfach auf Vorrat fichiert, stand ich als Studentenpolitiker pauschal unter Verdacht? Wozu der Verweis auf die Einwohnerkontrollkartei? Und jener Eintrag auf der Bundespolizeifiche: Was war das für eine Liste der Mitarbeitenden, die stand wohl kaum in der Zeitung selbst? Woher stammte diese Information? Wie kam es dazu, dass Bund und Kanton nicht die gleichen Verdachtsmomente hatten? Und immer wieder und überhaupt: Wer war ich denn, wenn ich diese Fiche ernst nahm? Blütenlese mit Fussnoten Diese Frage stellte ich mir im Laufe der Jahre, in denen ich an diesem Buch arbeitete, immer häufiger. Was waren das für Menschen, die da fichiert wurden, Frau Bachmann, Oberst Poutinov, Karl Schneider, Lilly Banga-Hurni? Darauf gaben die Fichen und Dossiers im Archivbestand des Staatsschutzes nämlich nur höchst bruchstückhaft Antwort. Vor mir lag ein Meer aus angefangenen Geschichten. Je tiefer ich in die Akten eintauchte, desto klarer wurde mir: Sie zu analysieren, das System des Staatsschutzes zu sezieren, das würde ich anderen Historikern überlassen. Auch konnte und wollte ich nicht die behördliche Biografieschreibung korrigieren, Verdächtigte entlasten und Lebensläufe neu beschreiben. Ich wollte vielmehr erkunden und mitteilen, was mich derart faszinierte und irritierte: wie diese Akten eine Welt der Grauschattierungen und Möglichkeiten entwarfen – was für ‹Verdachtsmomente› hier aufschienen. 20

Erkenntnisse eines Fichierten. Ein Vorwort



Babakhanian

Name: Vorname: Aramast Geburtsdatum: 1927 Heimat: Iran Beruf: Student Wohnort: wft. gew. in Teheran

Bericht vom 31.1.1952 wonach lt. Meldung des ND-Bern B. auf der Durchreise nach Amerika wegen dem Verdacht des Photographieren militärischer Objekte in der Nähe der Taubenlochschlucht angehalten und wieder auf freien Fuss gesetzt worden sei. Der Film wurde entwickelt und es stellte sich heraus, dass keine milit. Objekte fotografiert wurden, sodass ihm der Filmstreifen wieder ausgehändigt werden konnte. Febr.52/sa

3640-23

Erläuterungen wft. gew. ‹wohnhaft gewesen› 3640-23 Verweis auf die Aktenablage des Spezialdienstes, Position 3640 ‹Politische Polizei: Ueberwachungen, Ermittlungen, Einvernahmen, Anhaltungen›, Dokument 23 Taubenlochschlucht Ein Tal des SchüssFlusses zwischen Frinvillier im bernischen Jura und Bözingen im Seeland. Am Eingang der Schlucht bei Frinvillier befand sich ein Bunker und bei Bözingen ein Flugplatz mit zugehörigen Bauten. 50

Kommentar Hier handelt es sich um einen klassischen ‹Verdacht auf Vorrat›. Der Spezialdienst der baselstädtischen Polizei war in den Vorfall nicht involviert. Er legte über die verdächtigte Person eine Fiche an, obwohl der beobachtete Vorfall sich als harmlos erwiesen hatte und die Person die Schweiz verlassen hatte. Ausschlaggebend für den Anfangsverdacht war sicher auch die ausländische Nationalität der fichierten Person.

Argwohn mit System. Zweiundfünfzig ausgewählte Fichen


Bachmann, Frau

Name: Vorname: Geburtsdatum: Heimat: Beruf: Wohnort: Zürich

In den Akten betr. ‹Marsch nach Bern› der AHVRentner am 10.6.53 erwähnt. Am Nachmittag der Demonstration der AHV-Rentner in Bern fand im Restaurant ‹Bierhübeli› eine Versammlung statt, an welcher Frau B. als Mitglied des provisorischen Schweizerischen Komitees für die Erhöhung der AHV-Renten gewählt wurde. Juni 53/ry.

4731-28

Erläuterungen 4731-28 Verweis auf die Aktenablage des Spezialdienstes, Position 4731 ‹Partei der Arbeit Basel-Stadt / Sozialpolitik›, Dokument 28 Marsch nach Bern Am 10. Juni 1953 demonstrierten mehrere hundert ältere Menschen aus der ganzen Schweiz in Bern. Anlass waren die Beratungen des Nationalrats über die AHVGesetzesrevision. Die Versammelten überreichten eine Petition. Die Demonstration wurde von der Schweizerischen Partei der Arbeit (PdA) mitorganisiert. AHV 1948 wurde in der Schweiz eine obligatorische Rentenversicherung, die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV), eingeführt. Nachfolgende Revisionen führten immer wieder zu politischen Auseinandersetzungen. Bei der Revision 1953 ging es um die Verbesserung der Lage für die vor 1883 geborene Generation. 51

Kommentar Der Nutzwert dieser Fiche erschliesst sich heutigen Leserinnen und Lesern nicht. Die Fiche scheint von einem Mitarbeiter des Spezialdienstes nach Durchsicht der ‹Akten betr. Marsch nach Bern› erstellt worden zu sein, in Erwartung einer Identifizierung der Person und zusätzlicher Vorfälle. Weshalb Frau B. danach nicht weiter beobachtet und fichiert wurde, ist aus der Fiche selbst nicht ersichtlich. Ebenso kann nicht nachvollzogen werden, ob nachträglich eventuell eine neue Fiche unter dem vollen Namen von Frau Bachmann angelegt wurde. Üblicherweise hätte die ursprüngliche Fiche dann einen Querverweis (‹siehe unter›) erhalten.


Bader

Name: Vorname: Paul Geburtsdatum: 20.12.1920 Heimat: Beruf: Wohnort: 36 Webergasse

Anzeigesteller i.S. Wyss-Skopek Paul, geb. 18.7.1911, 43 Aeschenvorstadt. Gemäss den Angaben des B. soll W. Führer einer Trotzkistengruppe sein und regelmässig Versammlungen mit jungen Leuten abhalten. Die Angaben des B. sind jedoch mit Vorsicht aufzunehmen, da es sich bei ihm um einen ‹Schwätzer› handeln soll. Mai 51/jy.

5496-1

Erläuterungen 5496-1 Verweis auf das Personendossier zu Paul Wyss Wyss-Skopek, Paul Über Paul Wyss-Skopek, aktiv im Handel mit Kunstgewerbeartikeln, wurde vom baselstädtischen Staatsschutz ebenfalls eine Personenfiche angelegt. Fichiert wurde er unter ‹Paul Wyss-Hubermann›, nachdem er sich 1954 hatte scheiden lassen und 1958 ein zweites Mal geheiratet hatte. Es existiert zudem ein eigenes Personendossier zu Wyss. Er wird darin als «aktiver Trotzkist» bezeichnet, als Organisationsleiter der Basler Trotzkisten und Verbindungsmann zu Gewerkschaftskreisen sowie zur Sozialdemokratischen Partei. Auch die nationalen Staatsschutzbehörden führten ein eigenes Personendossier über Paul Wyss. Trotzkistengruppe Der Begriff ‹Trotzkismus› bezeichnet die von Leo Trotzki geprägte Richtung des Marxismus. 52

Kommentar Diese Fiche liefert – was selten der Fall ist – einen Hinweis darauf, dass eine Privatperson als Anzeigesteller oder Denunziant tätig war. Dass der als Trotzkist bekannte Paul Wyss fichiert wurde, überrascht kaum. Der Anzeigesteller Paul Bader hingegen wurde vermutlich fichiert, damit im Falle weiterer Anzeigen dessen Qualität als Informant nachvollziehbar war.

Argwohn mit System. Zweiundfünfzig ausgewählte Fichen



9. August 1963 Bern, 9.8.1963/XVI/243 Bundespolizei Kommissariat IV Für jede Aktenedition gesperrt! Notiz Dem Kommissariat IV wird folgendes gemeldet: Betrifft den Schweizerbürger Schneider Karl, geb. 17.6.1907 in Frankfurt a/M, wohnhaft in Basel, Speiserstr. 109 Am 18.12. 1962 ereignete sich in Frankfurt a/M, Ratbeilstr. 37, eine Explosion von Chemikalien. Der Besitzer des Hauses ist der Schreinermeister Wilhelm Feil. Feil hat seine Werkstatt an Karl Schneider als Fabrikationsraum vermietet. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt a/M führte Ermittlungen wegen eventuellen Sabotageverdachtes. Bei den eingeleiteten ersten Ermittlungen gab Schneider wahrheitsgemäss an, im Auftrage der Bundeswehr Chemikalien herzustellen, die der Geheimhaltung unterliegen. Die Unterlagen hierzu befänden sich in der Schweiz. Schneider ist in Frankfurt/M. nicht polizeilich gemeldet. Ausser Schneider waren zeitweilig seine Freundin und ein weiterer Schweizer Staatsbürger namens Wagner an der Herstellung der Chemikalien beteiligt. Wagner soll auch der Konstrukteur der Maschine sein, mit der die Chemikalien versprüht werden. Anhaltspunkte dafür, dass Sabotage vorlag, haben die Ermittlungen bisher nicht ergeben. Bei der Ueberprüfung des Schneider wurde festgestellt, dass er 1958 Kontakte zu Günther Funke, geb. 16.5.1913 in Brandenburg/Havel, und Ernst Lohrum, geb. 9.4.1910 in Neckargemünd, hatte. Durch Urteil des Oberlandesgerichtes Karlsruhe – O Js/59/1 AK 5/59 – v. 1.7.1960 wurde Funke wegen verräterischer Beziehungen zum polnischen ND zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und Lohrum wegen des gleichen Deliktes zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Lohrum gab im damaligen Verfahren an, dass Schneider an illegalen Ost-West-Geschäften beteiligt sei. Am 21.2. 1958 soll Schneider angeblich nach Moskau gereist sein, um an die Russen ein Nebelbeseitigungsgerät zu verkaufen. Schneider ist bei uns aus den Jahren 1950 –1959 unter folgenden Personalien bekannt: Schneider Karl Hermann, geb. 17.6.1907 in Frankfurt a/M., von Eptingen/BL, geschieden von Ida geb. Lanz, Geschäftsführer der Fa. Steinag A.G., wohnhaft in Basel, Steinentorstrasse 35 b/Donne (früher Speiserstr. 109). Bereits 1955 meldete uns Basel, Schneider habe ein Mittel zur Nebelauflösung erfunden, woran sich die Sowjets interessiert gezeigt hätten. Resultate von damaligen Vorführungen in Basel seien aber nicht überzeugend ausgefallen. Laut Expertise der Generalstabsabteilung kann die 160

Merkwürdige Geschichten. Sieben Dossiers


Erfindung nicht als Geheimnis angesprochen werden und sei wohl kaum von Belang für die Landesverteidigung; in Staaten mit grosser Anbaufläche könne die Sache jedoch im Interesse der Landwirtschaft von Bedeutung sein. 1958 verlautete, Gontcharenko Philipp, 04, und Khomenko Alexander, 23, hätten sich in Moskau für Schneider eingesetzt (Erlangung eines Visums zur Vorführung der Erfindung in Moskau), jedoch erfolglos; Schneider reiste am 19.2.1958 nach Berlin, um dort die Einreisebewilligung für die UdSSR zu erhalten, jedoch vergebens. Als Geldgeber Schneider's wurde ein Eduard Suter, 09, in Basel genannt. Im Februar 1959 meldete Basel, Schneider's Bemühungen mit den Russen seien gescheitert und er befasse sich nun mit dem Vertrieb von billigen Chronometern aus Deutschland. Seither haben wir über Schneider nichts mehr vernommen. Die erwähnten Günther Funke 13 und Ernst Lohrum 10 sind bei uns nicht verzeichnet.

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Karl Schneider


22. Oktober 1963 An die Bundespolizei Bern 3 Betrifft: Schneider Karl Hermann, geb. 17.6.1907 in Frankfurt, von Eptingen/BL, Kaufmann, wh. in Basel, Speiserstrasse 109; Ihr Schreiben vom 16.8.1963 und Notiz 243/XVI Ihres Kommissariates vom 9.8.1963. Schneider soll sich immer noch mit der Apparatur zur Nebelauflösung befassen. Mitarbeiter und Geldgeber seien immer noch die gleichen (vgl. unsere früheren Berichte). Bei der Freundin von Schneider handelt es sich um Frau Donne-Meier Anna Maria, geb. 18.6.1924, von Basel. Sie war Inhaberin eines Waschsalons, wo Schneider als Chauffeur tätig war. In einem Nebenraum des Salons arbeitete er an seinen Versuchen weiter. Mitte Mai 1962 hat Frau Donne den Salon aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Beim erwähnten Wagner dürfte es sich um Fross-Wagner Werner, geb. 29.11.1907, von Basel, Analytiker, wh. in Basel, Birsstrasse 66, handeln. Schneider ist nach wie vor in Basel, Speiserstrasse 109/Wäger (Schwager von Schneider) gemeldet. In Wirklichkeit lebt er aber mit Frau Donne an der Holeestrasse 157 zusammen. Ueber Ostkontakte von Schneider ist seit 1959 nichts mehr bekannt geworden. Mit vorzüglicher Hochachtung Der Chef des Spezialdienstes

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Merkwürdige Geschichten. Sieben Dossiers


20. Oktober 1964 Bundespolizei Kommissariat IV Für jede Aktenedition gesperrt! Notiz Betrifft: Wagner Eugen Karl, geb. 5.4.1908 in St. Gallen, v. St. Gallen-Stadt, Ehemann der Margarethe geb. Mayer (2. Ehe); Inhaber der Mejor S.A., Basel & Vernier-Genève; Luanda/Angola – 1951 – (alles nach Fichen SBA) Schneider Karl Hermann, geb. 17.6.1907 in Frankfurt a/M., von Eptingen/BL, geschieden von Ida geb. Lanz; Geschäftsführer der Fa. Steiag AG; wohnhaft Basel, Holeestr. 157 b/Donne, und Speiserstr. 109, (alles nach Fichen SBA) Dem Kommissariat IV geht von Verbindung XX (408-64) folgende Mitteilung & Anfrage zu: «Wagner und Schneider haben sich bei einer Vertretung der U.S.-Regierung in Europa erkundigt, ob die U.S.-Regierung Interesse an der Erwerbung und Ausbeutung einer von ihnen gemachten Erfindung eines neuartigen ‹Munitions-Artikels› habe. Das Angebot wird z.Zt. geprüft. Weil gegebenenfalls Reisen dieser Leute nach den USA und Kontakte zu Dienststellen der US-Regierung in Frage kommen würden, bitten wir um Bekanntgabe aller Informationen, die Sie über die Integrität, die berufliche und die technische Qualifikation der Genannten besitzen oder erfahren können. Die von Wagner und Schneider zu ihrer Person und Tätigkeit gemachten Angaben werden umstehend angeführt. Danach scheinen sie beide keinerlei formelle technische Ausbildung genossen zu haben, welche sie zum Erfinder munitionstechnischer Neuerungen befähigen könnte. Im Falle Schneider's zeigt die Nachschlagung im Telefon- und Adressbuch, dass er mit einer Art von ‹Detektiv-Büro› zu tun hat und dass der Inhaber des Detektivbüros Direktor der chemischen Firma ‹Gowal-Chemie› Basel ist, als deren Inhaber sich Schneider ausgibt. Die beiden Firmen befinden sich übrigens an derselben Adresse: Theaterstrasse 10, Basel. Was Wagner betrifft, scheint er als ehemaliger Gärtner, Inhaber eines AutotransportGeschäftes und späterer Rotkreuz-Transportfahrer nicht besonders gut ausgewiesen für munitionstechnische Erfindungen.» Beilage (Curricula vitae): a) Wagner Eugen, 5. April 1908 St. Gallen, des Eugen Christian u. d. Bertha geb. Ruesch; verheiratet seit 1936, 2 Kinder; Protestant, nicht vorbestraft. 1914 –1920 Primarschule St. Gallen-Stadt 1920 –1922 Mittelschule St. Gallen 1922 –1923 Realschule St. Gallen-Stadt 1923 –1926 Lehrzeit als Gärtner bei Eiselt & Co., St. Gallen 1926 Rekrutenschule, Unteroffiziersschule 163

Karl Schneider


1928 –1933 Gründete selbständige Gärtnereifirma in Basel 1933 Aufbau einer internat. Autotransportfirma 1936 –1937 Führte spezielle Transporte aus für das Rote Kreuz 1944 –1945 Lebensmitteltransporte für das Rote Kreuz in ganz Europa 1945 –1947 Aufenthalt in Angola 1947 – heute: Selbständige Berufe, hauptsächliche Tätigkeit in Entwicklung und Forschung für verschiedene technische Patente. Referenzen: Louis Anhof, St. Alban-Anlage 21, Basel Architekt Wieland, Bellevuestr. 40, Bern b) Schneider Karl, 17.6.1907 in Frankfurt a/M., Bürger von Eptingen/BL, des Karl Hermann und der Anna geb. Knodt; von 1934 –1940 verheiratet, dann geschieden, keine Kinder; Protestant (reformiert); nicht vorbestraft. 1914 –1921 Primarschule in Frankfurt a/M. 1921 Nach Tod der Eltern nach Basel umgezogen 1922 –1925 Handelsschule in Basel 1925 Lehrzeit als Drogist i/Fa. Knapp & Wehrle, Basel 1928 –1936 Höherer Angestellter i/Fa. Knapp & Wehrle, Basel 1936 – heute: Selbständiger Kaufmann der chemischen Branche 1954 – heute: Alleiniger Inhaber der Fa. Gowal-Chemie Gmbh. Basel (Theaterstr. 10, Tel. 24 48 79 / Bü) Referenzen: Treuhandgesellschaft Emil Kost-Zwicki, Basel, Gotthelfstr. 36 Büro für Investigationen ‹Veritas›, Basel, Theaterstrasse 10 (laut Tel. Verz.: Privatdetektivbüro Amy v. Ballmoos; ‹Veritas› (seit 1931) etc., Geschäftsstelle der Regenhardt-Weltorganisation (gegr. 1875) für Auskünfte und Inkasso, Theaterstr. 10 – Tel. 24.48.70 / Bü.) Auszug aus Fichen SBA: Wagner Eugen hat 1938 in Spanien für die Regierung von Barcelona Transporte ausgeführt und dabei unbefugterweise seine Wagen mit schweiz. Fahnentüchern überzogen; er soll von den spanischen Behörden wegen Verdachts der Kriegsmaterialbeförderung verhaftet worden sein. 1945 wird die Verhaftung des Wagner gemeldet, welcher bei einem Transport für das IKRK und EPD nach Ungarn und Rumänien Schwarzhandel mit Insulin und Verschiebung von Millionenbeträgen französ. Währung, wie Schmuggel von Briefen betrieb. 1947 wird er wegen Verrats (Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich) von den Franzosen gesucht. Er wurde im Juli 1946 durch den Gerichtshof von Aix wegen Spionage in den Jahren 1942 – 44 in contumaciam zum Tode verurteilt (davon erwähnt er im Curriculum nichts!). 1950 ist er erwähnt im Zusammenhang mit Geschäften (Liebesgabenpakete) seiner Fa. Méjor S.A. und einer Klage der Partnerfirma ‹Surlej reg. Trust› (Antonioli René, 13) gegen Wagner, die eine kurzfristige Verhaftung des Wagner in Genf bewirkte und auch Uebertretung von Art. 273 StGB beinhaltete. Die SBA verfügte im April 1951 Einstellung der Erkundigungen. Wagner befand sich damals in PortugiesischWestafrika. Seither keine neuen Eingänge. 164

Merkwürdige Geschichten. Sieben Dossiers


Schneider Karl wurde 1955 bekannt durch seine Erfindung eines Nebelund Wolken-Auflösungsmittels, welches er in Basel, im Elsass und in Genf vorführte, wobei sich auch die Russen interessiert, die Sache aber als zu teuer befunden hätten. Schneider sei von Fross-Wagner Werner, 07, und Architekt Tschopp bei seinen Versuchen unterstützt worden. Auch die U.S. Airforce bzw. die Research & Development Command European Office, Brüssel, habe sich interessiert, doch sei die Vorführung nicht überzeugend gewesen. Die Erfindung wird als nicht landesverteidigungswichtig, hingegen für zivile Zwecke interessant taxiert. 1957/58 hatte Schneider Kontakt mit Gontcharenko & Khomenko von der Sowjetbotschaft in Bern und bewarb sich um ein Visum für die UdSSR, welches abgelehnt wurde. Im Februar 1958 reiste er nach Berlin, um evtl. dort das Visum zu erhalten, musste aber mit seiner Apparatur zurückkehren und wollte diese den Russen in Payerne vorführen. Geldgeber des Schneider sei Suter Eduard, 09, in Basel. Im Dezember 1962 berichtete eine Auslandsverbindung, im Fabrikationsraum des Schneider im Hause Ratbeilstr. 37 in Frankfurt a/M. habe sich eine Explosion von Chemikalien ereignet. Schneider behauptete, im Auftrag der deutschen Bundeswehr mit einer geheimzuhaltenden Apparatur zu experimentieren. Konstrukteur der betr. Versprühmaschine für Chemikalien sei der Schweizer Werner Fross-Wagner. Aus einem anderen Verfahren sei bekanntgeworden, dass sich Schneider auch an illegalen Ost-West-Geschäften beteilige. Im Oktober 1963 berichtet Basel, Schneider befasse sich immer noch mit ‹Nebelauflösung›, über Ostkontakte sei seit 1959 nichts mehr bekannt geworden. Was ist in neuester Zeit über Person & Tätigkeit der Herren Wagner und Schneider bekannt geworden? Was weiss man über die neueste Erfindung (handelt es sich um die im Dez. 1962 angeblich für die deutsche Wehrmacht entwickelte, oder eine noch neuere Sache; ist die KTA auch schon angegangen worden). Sind Wagner und Schneider heute als seriöse und qualifizierte Leute anzusehen oder weiterhin als Opportunisten, die dem Meistbietenden, ungeachtet ob West oder Ost, ihre Erfindungen verkaufen?

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Karl Schneider


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