Architekten von der Gotik bis zum Barock - Bauen in Basel 1280-1780

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 Architekten von der

Rose Marie Schulz-Rehberg

Gotik bis zum Barock

Bauen in Basel 1280–1780

Christoph Merian Verlag


Architekten von der Gotik bis zum Barock


Meinen Kindern Ariadne, Immanuel und Alexander und den lieben Vorangegangenen, Verena Jegher und Fredy Oppikofer, zugeeignet.


Rose Marie Schulz-Rehberg

Architekten von der Gotik bis zum Barock Bauen in Basel 1280–1780

Christoph Merian Verlag


Das Werden einer Stadt: Basel in der Gotik

Architekten im Mittelalter Die Bauhütte Stadtplan von Basel Die Architekten des Münsters Meister Ludwig Johannes von Gmünd Ulrich Ensinger Johannes Cun Hans Böfferlin Ulrich von Konstanz Johannes Dotzinger Peter Knebel Exkurs: Die Kreuzgänge des Münsters  Vinzenz Ensinger Hans Nussdorf

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Architekten in der Renaissance  Valentin Gessler Hans Michel Daniel Heintz

Neuer Reichtum: Basel im Barock

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Architekten im Barock

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Anfänge in Arlesheim: Der Dom und die Domherrenhäuser Jakob Engel Johann Franz Demess Johann Caspar Bagnato Franz Ignaz Anton Bagnato

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Weitere mittelalterliche Architekten 92 Johannes von Ungarn 93 Hans Niesenberger 96 Niklaus Binninger 104 Friedrich Nussdorf 107 Jakob Sarbach 110 Ruman Faesch 113

Zeitenwende: Basel in der Renaissance

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Barockarchitekten in Basel De Ris Johann Carl Hemeling Johann Jakob Fechter Samuel Werenfels

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Anhang

Werkverzeichnisse Namensregister Orts- und Objektregister Ortsregister ausserhalb Quellen und  Auswahl­bibliografie Glossar  Abbildungsnachweis Dank Impressum

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Endlich sei noch gesagt, dass die Be­ständigkeit, das Ansehen und die Zier eines Gemeinwesens am mei­sten des Architekten bedürfe, der es bewirkt, dass wir zur Zeit der Musse in Wohlbehagen, Gemütlichkeit und Gesundheit, zur Zeit der Arbeit zu aller Nutz und Frommen, zu jeder Zeit aber gefahrlos und würdevoll leben können. Leon Battista Alberti, ‹De re aedificatoria libri decem› (Zehn Bücher über die Baukunst)


Das Werden einer Stadt: Basel in der Gotik

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Bis ins 13. Jahrhundert hatte sich die Bischofsherrschaft in Basel als traditionelle, weitgehend funktionierende und etablierte Regierungsform erwiesen. Mehrere Entwicklungen beeinträchtigten jedoch die Position des Bischofs in zunehmendem Masse. Seit dem Wormser Konkordat von 1122, das dem Papst das Recht zur Bischofsinvestitur verlieh, überging dieser aus politischen Gründen des Öfteren die Vorschläge des Domkapitels und setzte Bischöfe ein, denen der Bezug zur Stadt fehlte. Das zog vielfach eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Bischof und Bevölkerung nach sich. Eine weitere Problematik ergab sich aus dem Verhältnis zwischen bischöf­lichem Stadtherrn und Deutschem Reich: Graf Rudolf von Habsburg versuchte mit mehreren Angriffen während des Episkopats Bischof Heinrichs III. von Neuenburg (1263–1274), Basel seinem Familiengut ein­ zuverleiben; und die Kämpfe der zwei Basler Adelsparteien, der bischofs­ treuen Psitticher und der sogenannten Sterner, der Anhänger des ­Königs, beeinträchtigten die Stadt und die Stellung des Bischofs merklich. Des Weiteren schwächte ihn die Wahl Graf Rudolfs von Habsburg zum K ­ önig des Deutschen Reichs 1273. Auch der Umschwung von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft bereitete den Bischöfen zunehmend wirtschaft­ liche Probleme. Der allmähliche Prozess der Machtverlagerung war bereits vorher in Gang gekommen und drückte sich auch in verschiedenen Versuchen des Bischofs aus, auf die Bürgerschaft zuzugehen. 1226 sanktionierte etwa Bischof Heinrich II. von Thun den Stiftungsbrief der Kürschnerzunft, in dem sich erstmalig in Basel eine Berufsgruppe mit dem Einverständnis des Stadtherrn eine Ordnung gab. Um 1260 zeigte der Bischof der Bürgerschaft weiteres Entgegenkommen, indem er sich in der ‹Handfeste› damit einverstanden erklärte, dass in Basel 1 ein Rat und ein Bürgermeister gewählt werden durften.1 In Die ‹Handfeste› ein der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erteilten die Bischöfe war Ver­fassungstext, ihre Zustimmung zu den Zunftbriefen der Gärtner (1264), der der über zweiJahre Weber (1268) und weiterer Berufsgruppen, um dadurch eine hundert seine Gültigkeit neue Allianz mit der Bürgerschaft gegen den königstreuen behielt. Adel zu erreichen. Ein deutliches Zeichen für das erwachende Selbstbewusstsein der Bürger­ schaft war um 1200 das Errichten einer zweiten Stadtmauer, nur wenige Meter entfernt von der durch den Ministerialadel des Bischofs kontrollierten ersten Stadtmauer, die um 1080 unter Bischof Burkhard von Fenis ­entstanden war. Damit nahmen die Bürger die Kontrolle der Mauer selbst in die Hand. Folgenreich für die Entwicklung der Stadt war auch

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der Bau einer Brücke über den Rhein unter Bischof Heinrich von Thun (1216–1238) und damit verbunden die planmässige Besiedelung und Befestigung von Kleinbasel. Durch diese europäische Fernstrasse zwischen Norden und Süden intensivierten sich die internationalen Handels­ verbindungen, und die Verbindung zum breisgauischen Umland wurde enger. Hand in Hand mit diesem Aufbruch hielt auch ein neuer Stil Einzug: die Gotik. Bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts wurden in Basel Bauten im Stil der Romanik errichtet, so wie sie sich in der Krypta der Leonhardskirche, im Kreuzgang der St. Albankirche und in den spätromanischen Teilen des Münsters erhalten haben. Mit dem Wiederaufbau nach dessen Brand 1185 – als bedeutende französische Kathedralen wie St. Denis und Chartres bereits in neuartiger Formensprache entstanden waren – befand man sich auch in Basel an einem Wendepunkt. Noch war die Romanik nicht ganz überwunden, davon zeugt vor allem die liebevoll ausgearbeitete Chorpartie innen und aussen; jedoch trägt der erneuerte Bau des Münsters auch Zeichen einer Neuorientierung. Es sind nicht einmal in erster Linie die noch immer schwer lastenden Spitzbogenarkaden im Schiff, welche die Zeichen der neuen Zeit vermitteln; am modernsten muten die Bündelpfeiler der Vierung an, bei denen für jede Gewölberippe ein eigener Dienst ausgebildet wurde. Der Stein wurde nun entmaterialisiert, er verwandelte sich zum Träger organischen Lebens, die Figuren gerieten in Bewegung, ihre Gesichter drückten Empfindungen aus, die Natur wurde realistisch abgebildet. Und gleichzeitig wurden die Gesetzmässigkeiten der Geometrie in Stein übertragen. Zwischen diesen Gegenpolen der Bewegung und der Geometrie entwickelte sich der Reichtum der gotischen Formenwelt. Nach einem weiteren Brand 1258 stand eine Neugestaltung der Münster, Fassade des Münsters an. In der Mittelachse mit dem grossen Westfassade Westfenster und dem Hauptportal bündelt sich der gesamte de15 korative und religiöse Inhalt dieser sonst sehr zurückhaltend ausgestatteten Fassade. Im Westfenster wurde das Masswerk der Kathedrale von Strassburg paraphrasiert, dessen Formengut von der Kathedrale von Reims inspiriert war. Das Portal mit seinen Bildwerken, das sich zu jener Zeit noch im Innern einer Vorhalle befand, war von Steinmetzmeistern gefertigt worden, die ihre Prägung in Strassburg und Reims erhalten hatten. Den Hauptimpetus für die gotische Erneuerung im 13. Jahr­ hundert transportierten jedoch die Neubauten der Bettelorden. Sie veränderten das Stadtbild fundamental. Wie Übersee­ schiffe erhoben sich die hohen Bauten über die Häuser der Stadt.

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­ s waren dreischiffige Anlagen mit erhöhtem Mittelschiff im E Basilikaschema, die sich durch ihre Höhe und Ausdehnung auszeichneten. In kurzer Folge entstanden die Predigerkirche der Dominikaner (1236, neuer Chor 1261, vollendet 1269), die Barfüsserkirche der Franziskaner (1256), die Kirche der Dominikanerinnen des Klingentalklosters (1274), die Clarakirche der Clarissinnen (nach 1279), daneben die untergegangenen Klöster St. Maria Magdalena der Reuerinnen am Steinenberg (nach 1230, Neubau 1280 nach Zerstörung durch Rudolf von Habsburg 1253 und durch das Birsighochwasser 1529 und 1530), Gnadental an der Ecke von Spalenvorstadt und Petersgraben (vor 1250) und der Augustiner-Eremiten an der Augustinergasse (ab 1276). Dem Ideal der Bescheidenheit wurde in der Gestaltung der Klosterkirchen entsprochen. Sie folgten weitgehend demselben basilikalen Typus, die dreischiffige Leutkirche war flach gedeckt und nur der durch einen Lettner abgetrennte Chor wurde gewölbt. Auf Skulpturen- und Ornaments­chmuck verzichtete man weitgehend, auch die Architekturformen sollten schlicht sein; so waren die meisten Pfeiler rund und ohne Kapitelle. Ausser beim Chor hielt man sich auch beim Masswerk der Fenster in der Regel zurück. Als Ausdruck der menschlichen Unvollkommenheit wurden sogar leichte Asymmetrien eingesetzt. Türme hatten die Kirchen nicht, nur einen Dachreiter. Die Pfarrkirchen St. Martin und St. Theodor übernahmen viele dieser Impulse des Armutsideals der Bettelorden; auch die Kanoniker der Peterskirche hielten es bei ihrer Kirche ähnlich. Der Chor und der östliche Teil des Schiffs der Predigerkirche sowie die ­Kirche des Klingentalklosters überstanden das Erdbeben von 1356 und können heute eine Vorstellung dieser Bettelordensbauten aus dem 13. Jahrhundert vermitteln. In die glatten, unverzierten Wandflächen wurden schmale, extrem hohe Fenster mit schlichtem Masswerk eingeschnitten; ausser den Türen, einem Dachreiter und Aussenstützen finden sich kaum weitere architektonische Akzente. Allein in diesen Bauwerken drückt sich eine der Amtskirche entgegengesetzte Gesinnung aus. Profane Bauten dieser Zeit waren die den grossen und kleinen Münster­ platz umgebenden Domherrenhäuser und der Ding- oder Schürhof als Sammelort für die Naturaleinkünfte des Domkapitels. Bischof ­Berthold II. von Pfirt (Episkopat 1248–1262) wohnte nach der Zerstörung seiner Residenz 1247 durch die Bürgerschaft hilfsweise bis zu seinem Tode im Reinacherhof. Auch später bevorzugten die Bischöfe als Wohnsitz öfters Kuriengebäude am Münsterplatz anstelle des Bischofshofes.

Prediger­k irche 16

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Entlang der Rittergasse – der ehemals keltisch-römischen Ausfallstrasse, die damals nach der verschwundenen Kirche neben dem Bischofshof St. Ulrichsgasse oder vicus S. Udalrici genannt wurde –, entstanden zum Teil Wohntürme der Ministerialadligen und weitere von Mitgliedern des Domkapitels bewohnte oder genutzte Bauten. 1284 wurde hier eine Niederlassung der Deutschordensritter gegründet. Auch an der Bäumleingasse standen ab 1200 turmartige Wohnbauten. Aufgrund der zunehmenden Enge im ummauerten Stadtbereich bildeten sich vor den Toren die Vorstädte. Der Adel und die Achtburger etablierten sich mit ihren Höfen – dem inneren Verlauf der Befestigungsmauer aus dem 11. Jahrhundert folgend – entlang der Hangkante zum Birsigtal im Umfeld der Peterskirche und der Leonhardskirche. Auch am Abhang darunter befanden sich befestigte Turmhäuser. Im Tal am Fischmarkt stand seit 1258 im Kern der geschäftigen Altstadt das älteste Rathaus der Stadt. Es war Gericht und Rathaus in einem, und befand sich nahe beim lebhaften Handels- und Stapelplatz, dort, wo alle städtischen Institutionen wie Salzhaus, Waage, Wechselstuben und Kaufhaus sowie die ältesten Herbergen sich drängten. Noch im 13. Jahrhundert wurde der Sitz des Rats an die dem Rhein nahe Schmalseite des Marktes verlegt, damit er direkt von der Brücke aus erreicht werden konnte. Vom 13. Jahrhundert an begannen die Zünfte mit ihrer schrittweisen Anerkennung durch den Bischof sich Trinkstuben und Zunfthäuser einzurichten. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bewegte sich deut­ lich weniger. Das durch die Truppen Rudolfs von Habsburg 1272/73 Zerstörte wurde den neuen Erfordernissen angepasst, die Klosteranlagen wurden vergrössert und die Kirchen modernisiert. Die Barfüsser errichteten allerdings nach dem Brand ihrer ersten Kirche 1298 einen deren Dimensionen übertreffenden Neubau, der kurz vor dem Erdbeben vollendet war und dieses relativ unbeschadet überstand. Nach den Zerstörungen des Erdbebens 1356 kam es sowohl von kirchlicher wie von weltlicher Seite zu einem wahren Bauboom. Aeneas Silvius Piccolomini, der spätere Papst Pius II., der am 1431 beginnen2 Enea Silvio den Konzil teilnahm, berichtete, die Stadt sei wie neu ­gebaut, Piccolomini. und ihre bunten Dächer leuchteten im Sonnenschein.2 Dazu Ausgewählte Texte aus ge­hören das teilmodernisierte Münster, die Leutkirche der seinen Schriften. Predigerkirche, der Neubau der Leonhardskirche mit Turm Hg. von Berthe Widmer. sowie Chor, Schiff und Turm der zuvor schwer be­schädig­ten Basel 1960, Peterskirche ausserdem Westgiebel, Chorgewölbe, Obergaden S. 361.

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und Turm der Theodors­kirche. Ein wahres Jahrhundertbau- 3 werk war sodann die Errichtung einer neuen, weitaus grösseren Christian Stadtmauer in den Jahrzehnten um 1400, sie umfasste auch die Wurstisen: Jahr 1401. In: Vorstädte. Die 1401 erfolgte Gründung des Kartäuserklosters Ders.: Baßler-­ am Rande der östlichen Stadtbefestigung von Kleinbasel als Chronik, Basel 1580, Stiftung eines der reichsten Basler Bürger, Jakob Zibols, war S. 203 ff. http:// ein weiteres herausragendes Ereignis.3 Es war das letzte in der daten.digitale-­ sammlungen.de/ Reihe der zahlreichen Basler Klöster und ein vollkommener ~db/0008/ Neubau. Während des Konzils und unter der Bedrohung der bsb00089269/ images/index. Arma­­­g­naken entschloss man sich, 1438 auf dem Gelände des html?seite= ehemaligen jüdischen Friedhofs am Petersgraben ein Zeug- 0001&l=de, abgerufen am haus zu errichten, einen stattlichen Bau mit eindrucksvollem 9.4.2019. Treppengiebel. Für die spätgotische Stilentwicklung ist das Münster dank seiner Erneuerungen nach dem Erdbeben ein Musterbeispiel. Das Domkapitel und Bischof Johann Senn von Münsingen II. (Episkopat 1335–1365) hatten hier das grosse Glück, einen der besten Baumeister der Zeit als Erneuerer des Münsters zu erhalten: Johannes von Gmünd aus der Familie der Parler, der zu dieser Zeit Werkmeister des Freiburger Münsters war. Er stabilisierte den lädierten Bau und gab ihm ein neues Chorhaupt. Von den fünf Türmen wurden nur noch zwei wiederhergestellt, eine Aufgabe, die erst um 1500 zum Abschluss kam und zwei der wichtigsten Baumeister beanspruchte, nämlich Ulrich Ensinger und Hans Nussdorf. Auch die Wiederherstellung des Kreuzgangs und dessen Erweiterung durch den kleinen Kreuzgang dauerten bis über das dritte Viertel des 15. Jahrhunderts hinaus. Mit dem Eintritt Basels in die Eidgenossenschaft 1501 setzte auch der Bau wesentlicher Profanbauten ein. Am Kornmarkt wurde ab 1504 ein neues repräsentatives Rathaus erstellt, jetzt allerdings nur der Vorderbau, der rückwärtige Bau war bereits nach dem Erdbeben erneuert worden.4 Viele Zunfthäuser wur- 4KDM Basel-Stadt den erweitert und auf den neuesten Stand gebracht. Eine be- Bd. I (1971), sonders repräsentative Erneuerung erhielt das Zunfthaus zum S. 340 f. Schlüssel ab 1487 durch Ruman Faesch. Die Zunft zu Safran leistete sich ebenfalls einen Neubau, der allerdings 1900 wegen der neuen Baulinien weichen musste und durch das aktuelle Zunfthaus ersetzt wurde. Erhalten hat sich zu grossen Teilen auch das Zunfthaus zu Schmieden, das mit dem Rathaus zusammen einen Eindruck von den damals sehr zahlreichen farbig reich bemalten Stadthäusern vermitteln kann, wie sie auch von Aeneas Silvius Piccolomini erwähnt werden.

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Was den Zünften recht war, war den fünf Vorstadtgesellschaften, die sich nach dem Bau der Äusseren Stadtmauer entwickelt hatten, billig. Als Beispiel aus der Zeit um 1500 kann hier das Haus der Vorstadt­ gesellschaft zum Hohen Dolder in der St. Alban-Vorstadt dienen. Es sind aber vor allem die sakralen Bauten, die – trotz der Verluste mehrerer Kirchen und Klöster nach der Reformation –, zusammen mit den noch erhaltenen Strassenzügen der Altstadt links des Birsigs, wie Imbergässlein, ­Heuberg, ­Nadelberg etc., Basel als gotisch geprägte Stadt erweisen.

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Münster, Westfassade

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Das Werden einer Stadt: Basel in der Gotik

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Predigerkirche

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Das Werden einer Stadt: Basel in der Gotik


A   rchitekten im Mittelalter Die mittelalterlichen Baumeister werden immer wieder unterschiedlich bezeichnet, was es erschwert, das Berufsbild klar zu umreissen und die jeweiligen Zuständigkeiten abzustecken. Architectus, magister operis (Werkmeister), lapicida (Steinmetz), rector, gubernator oder magister fabricae sind nur eine Auswahl der Titularien, die sich zum Teil mit denen der Bauverwalter überschneiden. In der Regel war der mittelalterliche Baumeister ein ausgebildeter Steinmetz. Auf eine fünfjährige Lehre folgte eine Wanderung von mindestens zwei Jahren. Danach konnte er sich um eine Anstellung als Meisterknecht bei einem anerkannten Baumeister bemühen. Nach dem Hervorbringen eines Meisterstücks innerhalb der folgenden zwei Jahre konnte er als Meister bestätigt werden. Er vereinte in sich die Funktionen eines Architekten, eines Bildhauers und eines Bauhandwerkers. Beim Bauen hatte er den Überblick über die unterschiedlichen Aufgabenbereiche und durfte dabei das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren. Ihm oblag es, durch das Ausstecken des Grundrisses auf der Baustelle den Bauvorgang anzustossen. Entsprechend waren seine Hauptattribute Winkeleisen und Zirkel. Noch in der Spätantike war nach Augustinus (354–430) für einen Architekten die Beherrschung des Quadriviums unerlässlich: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Damit unter1 schied er sich deutlich vom einfachen Handwerker.1 Im früDie sieben Freien heren Mittelalter jedoch verlagerte sich der Schwerpunkt auf Künste (septem artes liberales) den pragmatisch-handwerklichen Bereich. Der Baumeister unterteilen sich in das Trivium – hatte das Gebäude in seiner Vorstellung präsent – «opus in Grammatik, mente conceptum» 2. Die tägliche Gegenwart des Werkmeisters Rhetorik und Dialektik – und beim Bauprozess war eine Notwendigkeit, die oft im Vertrag das Quadrivium. eingefordert wurde. Er entwickelte das Gebäude aus dem vor 2 Ort ausgemessenen Grundriss, den er nicht mit dem Messstab, Binding /  sondern mit der «Messstange der Augen» umsetzte.3 GleichLinscheid-Burdich zeitig waren seine zentralen Aufgaben, das Gründen und Er(2002), S. 86. richten, stark von theologischen Vorstellungen geprägt; denn 3 die grossen Sakralbauten wurden als eine schöpferische Tat Ebd., S. 85. Gottes verstanden. Baupläne respektive Grundrisse wurden bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts nicht verwendet. Mit dem Umbruch vom romanischen Massenbau zum gotischen Glie­ derbau und der seriellen Vorfertigung von Bauteilen ergab sich die

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Notwendigkeit zeichnerischer Darstellung.4 Die immer kom- 4Die Risse A und B plexeren Anforderungen waren ohne den Einsatz von Bau- der Fassade des zeichnungen und Plänen nicht zu bewältigen. Im Zuge der or- Strassburger Münsters ganisatorischen Aufgaben an einer gotischen Grossbaustelle (begonnen 1277) zu delegierte der Werkmeister zunehmend mehr handwerkliche gehören den frühesten Tätigkeiten. Massstabsgerechte Detailzeichnungen und Scha­ er­haltenen blonen, nach denen auch weniger Qualifizierte arbeiten konn- Bau­plänen. ten, machten es möglich, dass der Werkmeister nicht ununter- 5 Beispiel brochen vor Ort sein musste. Als bedeutende Zeugnisse der Zum waren bei der Bauplanung fanden sich gelegentlich auf Wandflächen und Kathedrale von um 1250 Fussböden eingetragene Ritzzeichnungen wesentlicher Par- Soissons Vorzeichnungen 5 von Blendarkade tien in Originalgrösse. MasswerkIm Laufe des 14. Jahrhunderts setzte die Alphabetisierung der und fenster 1:1 in gebildeten Laien ein. Die Werkmeister begannen, ihre bis dahin eine Mörtelfläche mündlich überlieferten Regeln als Sammlungen praktischer eingeritzt. Vorgaben schriftlich festzuhalten, und zwar in ihrer Mutter- 6 sprache, nicht auf Latein, das vorwiegend der Geistlichkeit und Festgehalten im englischen den Akademikern vorbehalten war. In der ersten erhaltenen Regius- oder Bauhüttenordnung aus London von 1356 wurde als unabding- Halliwell-Manuskript von 1390. bare Voraussetzung für einen Baumeister die Beherrschung der Geometrie genannt, in der das Ordnungsgesetz von Gottes Schöpfung gesehen wurde.6 Auf das mit den Bauaufgaben wachsende Ansehen der Baumeister verweist die zunehmende Anzahl von Baumeisterbildnissen im 14. Jahrhundert. Unter den frühesten finden sich diejenigen von Matthias von Arras und Peter Parler im Prager Selbstporträt Veitsdom nach 1352. Am Martinsturm des Basler Münsters beHans Nussdorf gegnet man dem Selbstbildnis von Hans Nussdorf, ­das aller91 dings mehr als ein Jahrhundert später entstand. Zur Bewältigung des gigantischen Grossunternehmens eines Kathedralbaus entwickelte sich die Organisationsform der sogenannten Bauhütten. Daneben stand selbstverständlich ein Vertreter der auftraggebenden Kirche, der Verwalter der fabrica ecclesiae, der Schaffner, dem der Werkmeister unterstellt war.

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Architekten im Mittelalter


Die Bauhütte Bauhütten waren die wesentliche materielle Grundvoraussetzung für den Bau eines steinernen Gebäudes. Sie gingen im Laufe des 12. Jahrhunderts aus baukundigen Verbänden von Laienbrüdern, den conversi, hervor, die in den Klöstern die aus der Antike und auch aus Irland tradierten Steinbautechniken kennengelernt hatten. In der Folge übernahmen immer mehr weltliche Handwerker die Bauarbeiten und schlossen sich zu Werkstattverbänden, den Bauhütten, zusammen. Vor allem verlangte dann die gewaltige Aufgabe des Baus von Kathedralen nach geregelten Arbeitsabläufen und ausgefeilter Logistik einer durchorganisierten Gruppe. Die Steinmetzbruderschaften entstanden parallel zu den Zünften und Gilden und bildeten eine überregionale Organisationsform, da Steinmetze aufgrund ihrer Tätigkeit an unterschiedlichsten Orten nicht lokal gebunden waren. Im 15. Jahrhundert gab sich der Verband der Bauhütten des Deutschen Reiches beim Hüttentag in Regensburg 1459 eine feste Ordnung. Damals gab es vier Haupthütten: Strassburg, Köln, Wien und Bern, wobei Basel der Strassburgerhütte als Vorort angehörte. 1497 und 1563 fanden Hüttentage in Basel statt. Hüttentage waren eine wesent­ liche Ideenbörse und ermöglichten intensiven Austausch unter den Teilnehmern. In Basel unterstand die Bauhütte der Oberaufsicht durch die Münsterfabrica, deren Sitz am Standort der heutigen Lesegesellschaft angesiedelt war und auch als Kapitelhaus diente. Ihre Vorsteher waren die Bauherren, welche die Gestalt des Baus und die Ausführenden bestimmten. Vom Bischof ging die Bauträgerschaft im Laufe des 13. Jahrhunderts an das Domkapitel mit dem Domkustos als Sachverwalter der Kirche über. Überblick über die Einkünfte des ‹Fabrikgutes›, durch das der Bau finanziert wurde, und Rechenschaft über die Abrechnungen gehörten in die Verantwortung des magister fabricae, der 1 kein Domherr, sondern ein niedrigerer Kleriker, meist ein KaOchsner (2000); 1 Scarpatetti (2018). plan, war. Ihm assistierte in der Regel ein Schreiber. Das eigentliche Gebäude einer Bauhütte kann man sich in der Regel als geräumigen länglichen Holzbau mit Werkhof, auch zweigeschossig, vorstellen. Eine solche Einrichtung dürfte seit dem 13. Jahrhundert die Regel gewesen sein. Sie war der Arbeitsplatz der Steinmetze und diente teilweise als Steinlager. Im Inneren der im Winter geheizten Hütte mit verschliessbaren Fenstern befanden sich in der Regel Zeichentische, Messgeräte, Schablonen, das Planarchiv und ein kleiner Reissboden.

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Dort wurden in der kalten Jahreszeit auch Steine für den Weiter­ bau vorbereitet. Fallweise – wie nachgewiesenermassen in Strassburg oder England – diente sie ebenfalls zur Unterkunft und Verpflegung der Steinmetze. Wo «die holtzhutten» 2, wie sie 2Binding (1993), 1496 genannt wurde, in Basel platziert war, konnte nicht eruiert S. 122. werden. Das Materiallager befand sich neben der St. Johannes­ kapelle am Münsterplatz. Der den Bau verwirklichende Bauhüttenbetrieb war ein grosser Organismus, an dessen Spitze der Werkmeister stand. Er erhielt auch die höchste Entlohnung, und zwar durchaus auch in Form von Naturalien wie Wein, Getreide, Brennholz oder Kleidungsstücken. Von ihm stammten die Entwurfszeichnungen, die Visierungen, er entwarf neue Bauteile, stellte die Risse auf dem Reissboden und die Schablonen für die Steinmetze her und war für die Zuweisung der Arbeit an die Handwerker und ihre Unterweisung zuständig. In Basel herrschte wie an vielen Orten der Anspruch, dass der Werkmeister mindestens jeweils den halben Tag vor Ort sein musste, obwohl ihm die Betreuung mehrerer Baustellen zugestanden wurde. Sein nächster Untergebener war der Parlier, der für die Durchführung der Anweisungen des Werkmeisters zu sorgen hatte und dem in dessen Abwesenheit die Bauaufsicht oblag. Die grösste Handwerkergruppe bildeten die Steinmetze, sie waren die Spitzenverdiener unter den Handwerkern. Ihnen wurde vor Ort auch Unterkunft und Verpflegung geboten. Sie unterlagen einer grossen Fluktuation, die nicht zuletzt von der aktuellen Finanzlage des Bauprojekts abhängig war, aber auch im Zusammenhang mit der obligatorischen Gesellenwanderung innerhalb ihrer Ausbildung stand. Spezialisten unter den Steinmetzen waren die auf das feine Pflanzenwerk spezialisierten Laubhauer, ausserdem die für das Versetzen der fertig zugehauenen Steine am Bau zuständigen Setzer und die für gröbere und Aufräumarbeiten eingesetzten Hüttenknechte, die allerdings schlechter entlohnt wurden. Für den Transport von Steinen und sonstigem Material waren die Windeknechte verantwortlich, die auch im Heberad gehen mussten. Die Zimmerleute brauchte man für die Herstellung der Gerüste, der Winden und kleiner Holzbauten und die Seiler für das Verfertigen der Seile, mit denen die Gerüste zusammengehalten wurden. Eine wichtige Funktion hatten die hoch bezahlten Schmiede; sie stellten konstruktionsnotwendige Eisenteile sowie Werkzeuge her und hielten sie in Schuss. Wesentlich waren ausserdem die Ziegler, Dachdecker und die Glaser, die Mörtelrührer und Tüncher sowie die Fuhrleute. Dazu kam zahlreiches Gesinde wie Wagenknechte, Köche und Bäcker.

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Die Bauhütte


3 Ebd., S. 146.

In der Bauhütte wurde in der Regel von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet – im Sommer etwa 12 Stunden, im Winter gegen 10 Stunden, an sechs Tagen in der Woche. Allerdings reduzierte sich die Anzahl der Arbeitstage wegen der Feiertage um mehr als ein Viertel im Jahr, das heisst, es waren ungefähr 270 Tage. Der Lohn wurde entsprechend der gearbeiteten Stundenzahl angepasst, in der Regel erfolgte er auch in Form von Naturalien wie Brot und Wein, dazu kam für die Steinmetze teilweise noch ein Badegeld.3 Ausserdem wurden Arbeiten im Stücklohn verdingt.

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Die Bauhütte


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Stadtplan von Basel 1 Schützenhaus 2 Spalentor 3 Holbeinbrunnen 4 Wildt’sches Haus 5 Holsteinerhof 6 Markgräflerhof 7 Peterskirche 8 Engelhof 9 Predigerkirche 10 Spiesshof 11 Haus Zum Löwenzorn 12 Leonhardskirche 13 Stadthaus 14 Fischmarktbrunnen 15 Rathaus 16 Zunft zu Weinleuten 17 Schlüsselzunft 18 Martinskirche 19 Blaues Haus 20 Weisses Haus 21 Münsterplatz 14–17 22 Münsterplatz 10 23 Münster

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Haus Zum Delphin Ramsteinerhof Haus Zum Raben Wildensteinerhof Kartause Rebhausbrunnen Hammerstrasse 23 Sandgrube Klein Riehen (heute Bäumlihof) Bruckgut, Münchenstein Arlesheim

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