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Die Presse am Sonntag Wien, am 03.01.2021, 52x/Jahr, Seite: 23 Druckauflage: 64 642, Größe: 60,92%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 13317058, SB: Ischgl
Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer rechnet nicht mit einer Insolvenzwelle, ärgert sich über die »tiefe Technologieskepsis in Europa« und findet die Diskussion über die offenen Wintersportgebiete scheinheilig. Sein peinlicher Auftritt bei der Präsentation Ø VON R A I N E R N OWA K U N D G E R H A R D H O F E R des »Kaufhaus Österreich« habe zumindest »etwas Reinigendes« gehabt.
»Debatte über Skilifte ist total scheinheilig« Wann endet „Koste es, was es wolle“? Harald Mahrer: Finanzminister Blümel
hat ja bereits angekündigt, dass es ab 1. Jänner weiterhin den Fixkostenzuschuss geben wird. Es wurde bereits viel Pulver – sprich budgetäre Mittel – verschossen.
Aber dann kommt die Pleitewelle.
Das hängt damit nicht zusammen. Es bleiben ja andere Mittel, etwa die Stundungen, die über einen gestreckten Zeitraum zurückgezahlt werden müssen. Es muss also nicht zwangsläufig zu einer Pleitewelle kommen. 20 Prozent der Betriebe, die jetzt Stundungen in Anspruch nehmen, geben an, dass sie länger als sechs Monate für die Rückzahlung brauchen, nämlich rund zwei bis drei Jahre.
Die Insolvenzgefahr wird in manchen Branchen größer sein.
Es wird natürlich Unternehmen geben, deren Geschäftsmodell nach der Branche stärker gefährdet ist. Und dann gibt es Bereiche, wie etwa die Stadthotellerie, die aktuell kein Geschäft machen kann, aber mit der Impfung Schritt für Schritt wieder zurückkommen wird. Man kann also zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht sagen, dass es zu einer Insolvenzwelle kommen wird.
Aufgrund der Staatshilfen werden Pleiten aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.
Ja, es gibt einen Verschiebungseffekt. Es gab heuer weniger Insolvenzen als in normalen Jahren, aber nicht einmal die Wirtschaftsforscher können sagen, wie sich das auf die Zukunft auswirken wird. Schätzungen, dass etwa ein Drittel der Stadthotellerie die Krise nicht überstehen wird, halten Sie also für Kassandrarufe.
Das kann niemand vorhersagen. Diese Unternehmen haben ja bis zur Pandemie sehr gut reüssiert. Sowohl der Winter- als auch der Städtetourismus waren im internationalen Vergleich top. Keiner kann prognostizieren, wie sich nach der Krise das Kundenverhalten entwickeln wird. Wenn eine Impfung künftig die Voraussetzung für eine Flugreise sind wird, warum sollen die Leute dann nicht reisen wollen? Heute muss man sich ja auch impfen lassen, wenn man in bestimmte Länder in Afrika oder Asien reisen möchte. Ich glaube sogar, dass es nach der extremen Einschränkung der Reisefreiheit ein irrsinniges Bedürfnis geben wird, wieder zu reisen. Und auch Österreich hat ja ein tolles Angebot. Also bin ich zuversichtlich. Und wenn Sie die rosarote Brille abnehmen, was sehen Sie dann?
Ein Negativszenario wäre, wenn die Menschen nicht mehr reisen wollen. Dann hätten wir ein Problem, weil der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Nicht nur der Ferientourismus, auch der Kongresstourismus. Aber wie gesagt: Auch ich verfüge über keine Glaskugel. Aber die ersten Rückversicherer ziehen schon die Notbremse und wollen keine Ausfallrisken mehr übernehmen.
Das ist eine betriebswirtschaftliche Frage von Versicherungen, das würde ich aber nicht überbewerten. Natürlich müssen sich Versicherungen mit diesem Thema jetzt auseinandersetzen. Dann blicken wir zurück: Zuletzt hat sich der Umsatzersatz als sehr rasche Hilfe erwiesen. Hätte man das nicht viel früher derart unbürokratisch agieren können? Die Schweiz hat es ja vorgemacht.
Das muss man sehr differenziert je nach Branche und Betrieb betrachten. Zweifellos hat das jetzt schneller funktioniert, die Unternehmen haben
schneller das Geld bekommen. Dahinter steckt aber auch ein veränderter EU-rechtlicher Rahmen, den die Schweiz ja nie hatte. Kritiker meinen, dass es fallweise auch zu einer Überförderung kommt.
Davon kann keine Rede sein. Hier findet nun lediglich eine Art Abgeltung statt für die aus Sicht der Betriebe zu geringe Hilfe im Frühjahr und Sommer. Ich halte das für gerechtfertigt und unterstütze deshalb auch diesen Ansatz. Man darf nicht einzelne Monate herauspicken, sondern muss die Hilfen auf das ganze Jahr umlegen.
Im Frühjahr war der rasche, unbürokratische Umsatzersatz nicht möglich gewesen?
Damals wäre die öffentliche Verwaltung in keinem europäischen Land in der Lage gewesen, das so umzusetzen. Und die Schweiz?
Dort gab es keinen Umsatzersatz, es gab schnelle Kredite als Liquiditätsspritze. Das ist ein großer Unterschied. Vor allem für die Unternehmen, die um ihre Existenz bangen.
Da, wie wir wissen, steckt ein anderes politisches Regime dahinter. Wir müssen uns an den EU-rechtlichen Rahmen halten. Hätten wir es anders machen können, wäre ich der Erste gewesen, der sich darüber gefreut hätte. Vieles wird man erst später abschließend beurteilen können. Manches werden wir künftig besser machen. Vieles ist gelungen. In Deutschland diskutieren noch immer Bund und Länder, wer den Umsatzersatz für November kontrolliert. Der Vergleich macht mich sicher. Wann kommt jetzt endlich das ersehnte Comeback der Wirtschaft?
Es hängt vom ersten Quartal ab. Der Winter dauert noch bis Ostern. Vor allem der virologische Winter. Davon hängt das gesamte Jahr ab. Wenn wir weiterhin diese Stop-and-go-Taktik anwenden müssen, wird es schwierig. Wenn man viele Wirtschaftszweige wieder aufsperren kann, auch weil das mit den Massentests endlich funktio-
niert, wird das Comeback früher und stärker ausfallen. Und natürlich liegt die Hoffnung auf der Impfung. Wenn sich die Politik nicht selbst überdribbelt, dann bin ich optimistisch. Wobei könnte sich „die Politik selbst überdribbeln“?
Indem man etwa die Impfung zerredet, sprich: Impfpflicht ja oder nein. Auch die Massentests werden nun hoffentlich so organisiert, dass sie auch regelmäßig durchgeführt werden können. Das wäre im Übrigen auch die Chance, die Stopp-Corona-App wieder zu aktivieren. Man könnte sich die Zettelwirtschaft mit den Bestätigungen sparen, wenn man das mit der App verknüpft. Das würde auch mehr Menschen motivieren, am Contact Tracing teilzunehmen. Warum ist Ihnen die Stopp-Corona-App so ein Anliegen?
In Südkorea etwa hat seit Ausbruch der Pandemie kein Lokal ganz zusperren müssen, weil die Infektionsketten auch dank einer App schnell unterbrochen werden konnten. Europa und die USA haben hier völlig stümperhaft agiert. Ich wundere mich über diese tiefe Technologieskepsis in Europa. Jeder, der sich online Essen bestellt, gibt mehr private Daten preis als bei der Stopp-Corona-App. Aber selbst ernannte Experten haben die App im Frühjahr mit einer völlig überzogenen Datenschutzdebatte kaputtgeredet. Noch im Frühjahr hat jedes vierte Unternehmen angegeben, es hält die Krise keine drei Monate durch. Es waren dann doch mehr.
Damals war die Ungewissheit noch sehr groß. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass sich die Wirtschaft viel schneller als etwa die Verwaltung auf neue Rahmenbedingungen einstellen kann. Stichwort: Viele Gastronomen haben auf Lieferservice umgestellt. Ähnliches gilt für den Handel. Die Unternehmen passen sich immer besser an. Aber natürlich ist die Situation dramatisch. Dass nun etwa der Handel das verlorene Weihnachtsgeschäft auch in den kommenden Tagen nicht aufholen kann, ist extrem bitter.
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„In Südkorea hat seit Ausbruch der Pandemie kein Lokal ganz zusperren müssen, weil die Infektionsketten auch dank einer App schnell unterbrochen werden konnten. Europa und die USA haben hier völlig stümperhaft agiert“, sagt WKO-Chef Harald Mahrer.
Ist es nicht ein schlechtes Signal – auch eine Verharmlosung, dass die Skilifte sehr wohl offen haben?
Skifahren ist ein Freiluftsport. Es geht leider auch darum, dass man in Europa durchaus auch populistisch versucht hat, uns zu schaden. Man wollte Kleingeld auf Kosten der österreichischen Wirtschaft wechseln. Es muss auch ein Zeichen gesetzt werden, dass unsere Betriebe ihre Hausaufgaben bei Sicherheit gemacht haben. Skifahren ist kein Kontaktsport in der Halle. Ich verstehe die Aufregung darüber nicht.
[ Caio Kauffmann ]
Aber man fährt mit Gondeln auf den Berg.
Die Gondel hat die Fenster offen und ist gut durchlüftet. Das ist meiner Meinung nach sicherer als jede U-Bahn. Diese Debatte über die Skilifte ist total scheinheilig. Aber Ischgl ist schon passiert?
Ich lass mir mit diesem Totschlagargument den Tourismus nicht kaputt machen. Es ist im Frühjahr und Sommer auch vieles auf Mittelmeerinseln, in Fußballstadien und auf Partys passiert. Man kann das gesamte Schicksal der Pandemie nicht einem einzelnen Ort ankreiden. Man versucht im Ausland, uns dieses Stigma umzuhängen. Dabei gab es im Sommer in keinem einzigen österreichischen Tourismusort einen großen Cluster. Es hat toll funktioniert. Und deshalb sollten wir die Bilder vom sicheren Skifahren auch jetzt um die Welt schicken, es geht ja auch um den Wintertourismus in den kommenden Jahren. Bis auf ein paar Fragen des Parkplatz-Managements funktioniert es in Österreich zu 99 Prozent gerade sehr gut. Abschließend: Wie kann einem Digitalisierungs-Prediger, wie Sie einer sind, die Präsentation des „Kaufhaus Österreich“ passieren?
Es war ein Fehler, dass ich mir die Sache vorher nicht genauer selbst angeschaut habe. Aber man sieht, dass die alte Wolfgang-Schüssel-Aussage richtig ist: Mehr privat, weniger Staat.
Diese Episode hat also auch . . .
. . . etwas Reinigendes.
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