Schweiz-EU_Paket_Zusammenfassung_und_erste_Bewertung

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Paudex, 20. Juni 2025

Paket «Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen SchweizEU»: Zusammenfassung und erste Bewertung

Nach mehr als fünfzehn Jahren Verhandlungen sind Bern und Brüssel Ende 2024 zum Abschluss mehrerer Abkommen gelangt, die ihre Beziehungen festigen und weiterentwickeln sollen. Die Vernehmlassung läuft bis zum 31. Oktober 2025. Dieses umfangreiche Paket umfasst:

– die Änderung bestehender Abkommen der Bilateralen I;

– den Abschluss neuer Abkommen;

– Änderungen von Bundesgesetzen und die Verabschiedung neuer Gesetze zur Umsetzung der Abkommen oder zur Einführung von Begleitmassnahmen (zum Beispiel Schutz des Lohnniveaus oder Umsetzung der Schutzklausel).

Der Bundesrat schlägt vor, dieses Paket in zwei Teile zu gliedern. Der erste Teil umfasst alle Abkommen, die der Stabilisierung der bilateralen Beziehungen dienen. Dies betrifft folgende Bereiche: die institutionellen Protokolle und die Änderungsprotokolle der bestehenden Abkommen über die Personenfreizügigkeit, den Luftverkehr, den Landverkehr, die technischen Handelshemmnisse und die Landwirtschaft, die Protokolle über staatliche Beihilfen im Bereich der Abkommen über den Landverkehr und über den Luftverkehr, das Abkommen über den Beitrag der Schweiz zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der EU, das Abkommen über die Beteiligung an der EU-Agentur für das Weltraumprogramm und das Abkommen über die Beteiligung an verschiedenen EU-Programmen. Eine identische Klausel verknüpft das Inkrafttreten all dieser Abkommen und Protokolle, die daher gemeinsam in einem einheitlichen Bundesbeschluss vorgelegt werden müssen.

Der zweite Teil umfasst die neuen Abkommen über Gesundheit, Strom und Lebensmittelsicherheit. Diese drei Abkommen, die Weiterentwicklungen der bilateralen Beziehungen darstellen, werden in drei separaten Bundesbeschlüssen vorgelegt.

Die Umsetzung des Pakets erfordert die Änderung von Bundesgesetzen und die Verabschiedung neuer Gesetze. Hinzu kommen interne Massnahmen bezüglich Lohnschutz, Zuwanderung, Studiengebühren, Strom und Landverkehr. Dies sind nicht obligatorische Massnahmen für die Umsetzung der Abkommen, aber vorgeschlagen zur Förderung der politischen Akzeptanz des Pakets auf nationaler Ebene. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Abkommen, die Umsetzungsgesetzgebung, die Begleitmassnahmen und die Gesetzesänderungen ein Ganzes bilden. Er schlägt daher vor, die legislativen Änderungen zusammen mit dem Abkommen zu präsentieren, auf das sie sich beziehen.

Wir beleuchten nachfolgend einige Schlüsselelemente dieses Dossiers, versehen mit Einschätzungen und einer ersten Bewertung.

Einige Schlüsselelemente

1. Institutionelle Elemente

Für die verschiedenen Abkommen bezüglich des Binnenmarkts haben sich die Schweiz und die EU auf neue institutionelle Elemente geeinigt, die sicherstellen, dass im gemeinsamen Binnenmarkt dieselben Regeln für alle Teilnehmer gelten. Im Gegensatz zu dem, was im vorherigen gescheiterten Rahmenabkommen-Vorschlag vorgesehen war, sind die institutionellen Elemente nun separat in jedem Binnenmarkt-Abkommen geregelt. Diese neuen Elemente betreffen folgende Aspekte:

1.1 Dynamische Rechtsübernahme

Die Entwicklungen des EU-Rechts, die den Anwendungsbereich eines BinnenmarktAbkommens betreffen, müssen in das betreffende Abkommen integriert werden. «Dynamische»

Übernahme bedeutet nicht «automatisch»: Die Schweiz entscheidet nach wie vor autonom über die Übernahme jedes neuen EU-Rechtsakts sowie über deren Zweckmässigkeit. Ist dies der Fall, wird eigenes Recht entsprechend den üblichen innerstaatlichen Verfahren angepasst. Wenn die Schweiz die Übernahme eines neuen europäischen Rechtsakts in ein Abkommen verweigert und sich auch weigert, der Entscheidung des Schiedsgerichts zu folgen (in einem Streitbeilegungsverfahren, siehe Punkt 1.3 nachstehend), kann die EU verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen treffen – aber nur im Rahmen des betreffenden Abkommens oder eines anderen Binnenmarkt-Abkommens.

Die Schweiz erhält ein Mitspracherecht bei der Ausarbeitung der EU-Rechtsakte, die im Rahmen der Binnenmarkt-Abkommen übernommen werden müssen (decision shaping). In wesentlichen Bereichen konnten Ausnahmen ausgehandelt werden, ebenso wie eine sogenannte NichtRegressionsklausel zum Lohnschutz (siehe Punkt 2.1 nachstehend). In diesen Bereichen besteht keine Verpflichtung zur Rechtsübernahme.

1.2 Auslegung und Überwachung der Abkommen

Die Schweiz und die EU übernehmen autonom die Auslegung und Überwachung der Abkommen auf ihrem jeweiligen Territorium. Das Bundesgericht und die Schweizer Gerichte bleiben zuständig für Streitigkeiten bezüglich der Abkommen zwischen einer Person oder einem Unternehmen und einer anderen Person, einem anderen Unternehmen oder dem Staat.

1.3 Streitbeilegung

Die Streitbeilegung obliegt in erster Linie dem gemischten Ausschuss des betreffenden Abkommens. Falls keine Einigung im gemischten Ausschuss erzielt wird, kann jede Partei den Streit einem paritätischen Schiedsgericht vorlegen. Dieses besteht aus einem Schweizer Richter, einem EU-Richter und einem gemeinsam bestimmten Vorsitzenden. Die Parteien behalten die Autonomie ihrer Gerichte bezüglich der Auslegung ihres eigenen Rechts. Der EuGH kann vom Schiedsgericht angerufen werden, wenn eine Auslegung des europäischen Rechts für die Entscheidung notwendig ist. Er entscheidet nie über einen Streit und kann nicht von Amts wegen in ein Schiedsverfahren eingreifen. Immer entscheidet das Schiedsgericht in letzter Instanz über den Streitfall.

Wenn eine Partei der Ansicht ist, dass die andere sich nicht an die Entscheidung des Schiedsgerichts hält, kann sie Ausgleichsmassnahmen im betreffenden Abkommen oder in einem anderen Marktabkommen treffen. Die Bereiche, in denen solche Massnahmen getroffen werden können, sind daher klar abgegrenzt und für beide Parteien vorhersehbar. Diese Ausgleichsmassnahmen sollen das Gleichgewicht wiederherstellen; sie müssen verhältnismässig sein und das Schiedsgericht kann zur Überprüfung ihrer tatsächlichen Verhältnismässigkeit angerufen werden.

2. Personenfreizügigkeit

2.1 Lohnschutz

Um das Risiko unlauteren Wettbewerbs auszuschliessen, haben sich die Schweiz und die EU auf einen Schutzplan geeinigt. Europäische Unternehmen, die Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden, müssen ihren Mitarbeitern die in der Schweiz geltenden Löhne zahlen. Die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz wird wie heute von den paritätischen Kommissionen und den Kantonen kontrolliert. Die paritätischen Kommissionen können weiterhin die in den erweiterten GAV vorgesehenen Sanktionen anwenden.

Ausländische Unternehmen, die Dienstleistungen in der Schweiz erbringen wollen, müssen weiterhin eine Meldefrist einhalten. Diese wird jedoch von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage reduziert und gilt nur in Risikobranchen. Ausserhalb dieser Branchen besteht eine Meldepflicht vor Arbeitsbeginn. Die Schweiz kann weiterhin eine finanzielle Garantie verlangen, aber nur bei wiederholtem Missbrauch. Bei Nichtzahlung der Garantie kann eine Sanktion ausgesprochen werden (bis hin zum Verbot für das Unternehmen, seine Dienstleistungen bis zur Zahlung der Garantie anzubieten). Die Dokumentationspflicht für Selbständige wird beibehalten (Kampf gegen Scheinselbständigkeit). Diese Ausnahmen bleiben auch dann garantiert, wenn

sich das EU-Recht entwickeln sollte, da sie von der dynamischen Übernahme ausgeschlossen sind.

Eine Nicht-Regressionsklausel bewahrt das Schweizer Lohnschutzniveau. Sollten künftige Änderungen des EU-Rechts über die Entsendung von Arbeitnehmern das nun im Freizügigkeitsabkommen (FZA) vereinbarte Schutzniveau schwächen, wäre die Schweiz nicht verpflichtet, diese Anpassungen zu übernehmen.

Bei der Kostenregelung wird das Gesetz über entsandte Arbeitnehmer erwähnen, dass die Erstattung von Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten grundsätzlich nach den im Herkunftsland geltenden Regeln erfolgt, der Arbeitgeber aber die Differenz zu den in der Schweiz anfallenden Kosten zahlen muss, wenn die vom Herkunftsland vorgesehene Erstattung diese nicht abdeckt.

Zusätzliche Massnahmen – grösstenteils von den Sozialpartnern abgesegnet – zielen darauf ab, das aktuelle Lohnschutzniveau zu bewahren.

2.2 Zuwanderung

Die Richtlinie 2004/38/EG über „die Freizügigkeit der Unionsbürger" regelt das Recht der europäischen Bürger, sich frei auf dem Territorium der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, ohne politische Rechte zu gewähren. Die Schweiz übernimmt diese Richtlinie in einer massgeschneiderten Version mit Ausnahmen und Garantien.

Das von der Richtlinie für europäische Staatsangehörige nach einem fünfjährigen Aufenthalt vorgesehene Daueraufenthaltsrecht steht in der Schweiz nur Personen offen, die eine berufliche Tätigkeit ausüben, und deren Familienangehörigen. Perioden der Sozialhilfeabhängigkeit von mehr als sechs Monaten zählen nicht für das Erreichen der fünf Aufenthaltsjahre. Die Schweiz kann Personen den Aufenthalt entziehen, die arbeitslos werden, wenn sie keine Anstrengungen unternehmen, eine Arbeit zu finden. Der unrechtmässige Bezug von Leistungen (Sozialhilfe, Arbeitslosigkeit) kann zum Entzug des Aufenthaltsrechts führen. Die Meldepflicht wird auf Selbständige ausgedehnt, um zu vermeiden, dass die 90-Tage-Grenze für die freie Dienstleistungserbringung umgangen wird.

Das System sieht eine neue Version der Schutzklausel vor. Diese kann von den Parteien bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Schwierigkeiten aufgrund der Personenfreizügigkeit angerufen werden. Fehlt eine Einigung im gemischten Ausschuss CH-EU, kann die Schweiz ein Schiedsgericht einberufen, das prüft, ob die Voraussetzungen für die Umsetzung von Schutzmassnahmen erfüllt sind. Bei positiver Entscheidung kann die Schweiz autonom Massnahmen treffen. Schaffen diese Massnahmen ein Ungleichgewicht zwischen den jeweiligen Verpflichtungen und Rechten der Parteien, kann die EU mit verhältnismässigen Ausgleichsmassnahmen im Rahmen dieses Abkommens reagieren. Bei negativer Entscheidung des Schiedsgerichts kann die Schweiz dennoch Schutzmassnahmen treffen. Ist die EU der Ansicht, dass diese Massnahmen die Bestimmungen des FZA verletzen, kann sie ein Streitbeilegungsverfahren einleiten und Ausgleichsmassnahmen im Rahmen aller Binnenmarktabkommen (ausser Landwirtschaft) treffen.

Auf nationaler Ebene werden die Bedingungen für die Auslösung der Schutzklausel sowie die damit verbundenen Modalitäten und Zuständigkeiten im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG) konkretisiert. Schwellenwerte werden für folgende Bereiche festgelegt: Nettozuwanderung, Grenzgänger, Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe. Wird ein Schwellenwert überschritten, muss der Bundesrat prüfen, ob die Schutzklausel zu aktivieren ist. Indikatoren werden ausserdem in einer Reihe von Bereichen definiert: Zuwanderung, Arbeitsmarkt, soziale Sicherheit, Wohnen und Transport. Je nach Entwicklung dieser Indikatoren kann der Bundesrat prüfen, ob die Aktivierung der Schutzklausel gerechtfertigt ist. Die Kantone können den Bundesrat um Prüfung einer Aktivierung der Klausel bitten und regionale oder kantonale Schutzmassnahmen vorschlagen.

3. Neue Abkommen

3.1 Strom

Das Stromabkommen ermöglicht es Schweizer Akteuren, gleichberechtigt am europäischen Strombinnenmarkt und an den Handelsplattformen sowie an den europäischen Instanzen teilzunehmen, die eine wichtige Rolle im Stromhandel, der Netzstabilität, der Versorgungssicherheit und der Krisenprävention spielen.

Mit diesem Abkommen muss die Schweiz all ihren Endverbrauchern die Möglichkeit garantieren, ihren Stromversorger frei zu wählen. Gleichzeitig hat sie das Recht, eine regulierte Grundversorgung mit regulierten Preisen für Haushalte und Unternehmen vorzusehen, deren Verbrauch unter einem bestimmten Schwellenwert liegt. Schweizer Stromversorger und Verteilnetzmanager können in öffentlicher Hand bleiben und in die öffentliche Verwaltung integriert bleiben.

Die Nachbarstaaten können die Stromzufuhr in die Schweiz nicht beschränken (Exportbeschränkungen), auch nicht bei Energiekrisen. Das Stromabkommen sieht ausdrücklich vor, dass die Kapazitäten für grenzüberschreitende Stromaustausche auch in Krisenzeiten verfügbar sein müssen.

3.2 Landwirtschaft und Lebensmittelsicherheit

Aufgrund von Betrug oder Kontaminationen gelangen manchmal unsichere und gesundheitsgefährliche Lebensmittel auf den Markt. Um dieses Risiko zu reduzieren, wollen die Schweiz und die EU ihre Zusammenarbeit verstärken. Das Ziel ist die Schaffung eines gemeinsamen Lebensmittelsicherheitsraums, der alle Aspekte der Veterinär-, Lebensmittel- und Pflanzenschutzmittelgesetzgebung entlang der Agrar-Lebensmittelkette umfasst und den Grossteil des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten mit der EU abdeckt. Die in der Schweiz geltenden Normen, insbesondere im Bereich des Tierschutzes und der gentechnisch veränderten Organismen, werden nicht nach unten revidiert.

Das Landwirtschaftsabkommen von 1999 wird künftig zwei Teile umfassen: einen landwirtschaftlichen Teil, der nicht dem Prinzip der dynamischen Rechtsübernahme unterliegt, und einen neu durch ein Protokoll über Lebensmittelsicherheit geregelten Teil, der der Verpflichtung zur dynamischen Rechtsübernahme unterliegt.

3.3 Gesundheit

Das Abkommen garantiert der Schweiz vollen Zugang zu den Gesundheitssicherheitsmechanismen der EU und zum Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), das die teilnehmenden Staaten bei der Früherkennung und Analyse von Bedrohungen durch übertragbare Krankheiten unterstützt. Eine künftige Ausweitung auf andere Gesundheitsbereiche ist möglich. Das Abkommen konzentriert sich auf die Gesundheitssicherheit. Andere Bereiche der Gesundheitspolitik wie Tabak oder Patientenrechte bei grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung sind nicht Teil des Anwendungsbereichs. Die institutionellen Elemente werden analog im Gesundheitsabkommen angewendet, auch wenn dieses kein Binnenmarktabkommen ist.

4. Weitere Elemente

4.1 Staatliche Beihilfen

Die Schweiz wird die europäische Regelung bezüglich staatlicher Beihilfen nur in bestimmten Bereichen übernehmen, in denen sie am Binnenmarkt teilnimmt. Die Überwachungspflicht beschränkt sich auf die Abkommen über Landverkehr, Strom und Luftverkehr. Der Text sieht ausdrücklich Ausnahmen für den öffentlichen Dienst und Schwellenwerte vor. Die Überwachung staatlicher Beihilfen wird von einer Schweizer Behörde und den zuständigen Schweizer Gerichten sichergestellt. Das vorgesehene Überwachungsregime respektiert die Zuständigkeiten der Kantone, der Bundesversammlung und des Bundesrats.

4.2 Technische Handelshemmnisse (MRA)

Das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung bei der Konformitätsbewertung (MRA) garantiert, dass ein in der Schweiz vermarktetes Produkt in der EU ohne zusätzliches Verwaltungsverfahren verkauft werden kann und umgekehrt. Das Abkommen deckt 73% aller in die EU exportierten Schweizer Industrieprodukte ab.

Da sich die Produktregelungen entwickeln, muss das MRA regelmässig aktualisiert werden. Die EU verweigert hingegen seit Mai 2021 grundsätzlich jede Aktualisierung, da die institutionellen Fragen nicht geregelt sind. Die Einbeziehung der neuen institutionellen Elemente in das MRA ermöglicht es zu garantieren, dass das Abkommen regelmässig an die relevanten Entwicklungen des EU-Rechts angepasst wird, während es ein Äquivalenzabkommen bleibt.

4.3 EU-Programme

Die EU unterstützt Finanzierungsprogramme zugunsten von Forschung, Innovation, Bildung, Berufsbildung, Jugend, Sport, Kultur und anderen Bereichen. Seit 2021, nach dem Stopp der Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen, war der Schweiz die Assoziierung an wichtigen Kooperationsprogrammen verweigert worden. Heute hat die Schweiz die Möglichkeit, wieder vollständig assoziiert zu werden. Das Abkommen über EU-Programme umfasst die Teilnahme an den Programmen Horizon Europe, Euratom, Digital Europe und an der Forschungsinfrastruktur ITER sowie an Erasmus+ und EU4Health. Es eröffnet die Möglichkeit einer künftigen Teilnahme an anderen Programmen.

4.4 Beitrag der Schweiz

Durch ihre Beiträge an die EU nimmt die Schweiz seit 2007 an der Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Disparitäten innerhalb der Union teil. Bis heute wurden zwei Finanzbeiträge von jeweils CHF 1,3 Milliarden gewährt.

Das neue Abkommen führt einen regelmässigen Beitrag der Schweiz ein. Dieser beträgt CHF 130 Millionen pro Jahr bis zum Inkrafttreten des Pakets, dann CHF 350 Millionen pro Jahr –mindestens bis 2036. Diese Beträge fliessen nicht in das EU-Budget, sondern werden direkt in den betroffenen Staaten für gemeinsam vereinbarte Projekte verwendet.

Erste Bewertungselemente

Ein erster Überblick zeigt, dass die Schweizer Verhandlungsführer insgesamt gut gearbeitet und zahlreiche Verbesserungen gegenüber dem alten Rahmenabkommen-Vorschlag erreicht haben. Das Ergebnis liegt im Interesse der Schweiz und ihrer Wirtschaft.

Centre Patronal bleibt davon überzeugt, dass eine geklärte und gefestigte Beziehung mit der EU ein strategisches Ziel darstellt, das es zu erreichen gilt. Der bilaterale Weg stellt einen massgeschneiderten Ansatz für die Schweiz dar. Er ermöglicht einen Zugang zum EUBinnenmarkt, der eine der Grundlagen des helvetischen Wohlstands ist. Nach mehreren Jahren der Ungewissheit ermöglicht der Abschluss der Bilateralen III, diesen Weg erneut zu festigen. In einer zunehmend ungewissen Welt stellt er eine Perspektive zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Schweizer Wirtschaft dar.

Die Wahl des Bundesrats, zwischen den aktuellen Abkommen, die aktualisiert werden müssen, und den neuen Abkommen (Strom, Gesundheit, Lebensmittelsicherheit) zu unterscheiden, erscheint vernünftig. Dies könnte zu vier Volksabstimmungen führen, aber man vermeidet einen „Guillotine"-Effekt bei Ablehnung des einen oder anderen.

Die institutionellen Bestimmungen finden sich nun in den verschiedenen Sektorabkommen unter Berücksichtigung deren Besonderheiten. Dies erleichtert die Anpassung zwischen Schweizer Recht und europäischem Recht und garantiert Rechtssicherheit und Gleichbehandlung (level playing field). Die dynamische (und nicht automatische) Übernahme der Entwicklungen des europäischen Rechts wirft komplexe Fragen auf, aber nur 7 von insgesamt 140 Abkommen sind betroffen und es ist unbestreitbar, dass der Zugang zum europäischen Markt gemeinsame Regeln erfordert. Der rechtliche Handlungsspielraum der Schweiz ist real, nach einem bereits bekannten Mechanismus (Schengen, Luftverkehr).

Für die Streitbeilegung erscheint die Einrichtung eines paritätischen Schiedsgerichts sinnvoll. Die Rolle des EuGH beschränkt sich auf die Auslegung des EU-Rechts. Willkürliche Strafmassnahmen sind nicht mehr möglich. Eventuelle Ausgleichsmassnahmen müssen verhältnismässig sein und sich auf den Binnenmarktbereich beschränken. Eine aufschiebende Wirkung gilt, bis das Schiedsgericht über ihre Verhältnismässigkeit entschieden hat. Insgesamt sind die im institutionellen Bereich erreichten Ergebnisse deutlich besser als jene, welche beim Rahmenabkommen-Vorschlag gegolten hätten.

Das zentrale Element unserer Beziehung mit der EU bleibt die Personenfreizügigkeit, die es Unternehmen ermöglicht, Arbeitskräfte einzustellen, die sie in der Schweiz nicht finden, und die auch eine Freiheit garantiert, von der unsere Mitbürger profitieren. Die Begleitmassnahmen schützen die Arbeitsbedingungen in der Schweiz. Diese Massnahmen haben sich bewährt und man stellt mit Genugtuung fest, dass sie nicht geschwächt aus den Verhandlungen hervorgegangen sind. Insbesondere freut man sich, dass sich die Sozialpartner auf 13 Massnahmen geeinigt haben, von denen mehrere das GAV-Regime stärken. Bemerkenswert ist insbesondere eine Anpassung der Bedingungen für die Erweiterung des Anwendungsbereichs der GAV, mit mehr Bedeutung für das sogenannte „gemischte" Quorum, wenn die den Arbeitgeberorganisationen angeschlossenen Unternehmen deutlich mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer einer Branche beschäftigen. Centre Patronal verlangt schon lange eine solche Anpassung.

Wir widersetzen uns hingegen der 14. Massnahme (Kündigungsschutz für gewählte Arbeitnehmervertreter, für Mitglieder eines Organs einer beruflichen Vorsorgeeinrichtung und für Mitglieder nationaler Branchenkomitees, die im Rahmen einer erweiterten GAV tätig sind). Diese im letzten Moment hinzugefügte Massnahme war nicht Gegenstand der Einigung der Sozialpartner und hat keinen Bezug zur Personenfreizügigkeit oder zum Lohnschutz.

Die Richtlinie über die Bürgerrechte „nach Schweizer Art" birgt zwei Hauptherausforderungen: einerseits eine Ausweitung der Rechte, insbesondere bezüglich Sozialhilfe, und andererseits den neuen Begriff des „Daueraufenthaltsrechts", ein bisher in der Schweiz unbekanntes Konzept, das der Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) nahekommt. Die Vorsichtsmassnahmen erscheinen jedoch ausreichend, um den Hauptrisiken entgegenzuwirken (dem „Sozialtourismus" von EUBürgern ohne Erwerbstätigkeit und der Sozialhilfe, die zu einer Art „Selbstbedienung" für erwerbstätige EU-Bürger würde).

Die Schutzklausel hat eine für die Schweiz günstigere Richtung eingeschlagen und ermöglicht, eine eventuelle übermässige Zuwanderung besser zu kontrollieren. Sie ersetzt vorteilhaft eine Klausel, die nur mit Zustimmung der EU aktiviert werden konnte und daher nie angewandt wurde. Es bleibt abzuwarten, welche tatsächliche praktische Tragweite diese Klausel haben wird.

Das Stromabkommen bringt den Verbrauchern und insbesondere den Unternehmen zahlreiche Vorteile in Bezug auf Versorgungssicherheit und Kosten. Unsere Nachbarn haben ihre Netze innerhalb eines Marktes verbunden, um diese Sicherheit zu stärken. Abseits dieses Marktes, aber im Herzen des europäischen Stromsystems, befindet sich die Schweiz heute in einer prekären Situation. Der unsichere Zugang zu Stromimporten verteuert diese und die Schweizer Produzenten sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit behindert. Was die vollständige Marktöffnung betrifft, müssen kleine Verbraucher diese nicht fürchten, da sie permanent zwischen einer Grundversorgung durch ihre lokale Gesellschaft oder einem anderen Anbieter wählen können.

Centre Patronal (OR/PGB)

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