Restauro 03 2014

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Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik

Zürich: Kunststein und Künstlernachlässe Für Ohr und Auge – Der Rore-Kodex Konservierung in festem Verbund

art-handling: die kunst, mit wertvollem umzugehen www.restauro.de

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April/Mai 2014


Inhalt

Inhalt

12 Rore-Kodex

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Blickpunkt  6 7 8

Modernisierte Restaurierungsateliers der Bayerischen Schlösserverwaltung Schaurestaurierung in der Residenz  Abriß der Berliner Gaslaternen

Reapplikation eines Mosaiks

9 Europa Nostra Award verliehen 10 Syriens Kulturerbe in Gefahr 11 MuCem – Marseilles nationales Museum 12 Der Rore-Kodex von Albrecht V.

TitelThema: art-handling

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Schwarze Madonna

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Wojciech Kurpik und Matthias Farke Ein Panzerschrank für die Schwarze Madonna von Tschenstochau Über die Bewahrung und Erneuerung einer »Vitrine«

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Alexandra Jeberien Nachhaltiges Präsentieren von Objekten und Sammlungen Das modulare Präsentationssystem und die Planungssoftware ExpoPlaner3D

Stephan Biebl 22 Holzschädlinge in Transportkisten Praktische Erfahrungen mit Splintholzkäfern in Depoträumen 26

Eine Taschenlampe ins Klimadunkel Ein Interview mit Stephan Guttowski und Stefan Simon

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Beleuchtung der Sixtinischen Kapelle: Das ist kein Walk-In-Projekt!

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Rezension: »Farbwiedergabe von konventionellen und Halbleiter-Lichtquelle«

rubriken

Thema: zürich

60 Firmen und Produkte 62 Termine 64 Vorschau 65 Stellenanzeigen 66 Impressum

Tobias Hotz 32 Das Löwenmonument von 1894 aus Steinguss im Züricher Hafenbecken Recherchen und Untersuchungen zum ursprünglichen Zustand und zur Restaurierung

Das Löwenmonument

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Ausstellung: »1900–1914. Expedition ins Glück«

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Art-Dock – Eine Stiftung zum Erhalt von Künstlernachlässen

Thema: kunst in festem Verbund Beate Skasa-Lindermeir 48 Reapplikation eines Mosaiks Eine ungewöhnliche Maßnahme zur Erhaltung eines Kunstwerkes Anna Dyroff und Heike Richter 52 Das dionysische Bodenmosaik im Albertinum Ein Meisterwerk erwacht zu neuem Leben Stefanie Lindemeier und Larissa Piepo 56 Die Restaurierung des Gipsinkrustationsfußbodens in der Stiftskirche Bassum

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Foto: Beate Skasa-Lindermeir

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Fotos (v. o. n. u.): Bayerische Staatsbibliothek München; Matthias Farke; Tobias Hotz

Petra Dariz 40 Künstliche Steine – Herstellung im 19. Jahrhundert in der Schweiz

Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik 120. Jahrgang

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Für die Zukunft gestalten.

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Art-Handling

Art-Handling

Stephan Biebl

del und aufgrund der Globalisierung verschleppt worden sind, kamen zehn auch nach Deutschland, wo sich zwei davon etabliert haben4. Neben den in Deutschland heimischen Arten Lyctus linearis und L. pubescens wurden nach Mitteleuropa die Arten Lyctus brunneus, L. cavicollis, L. planicollis, L. africanus und L. hipposiderus eingeschleppt5. Die holzzerstörenden Larven sind an stärke- und eiweißreiche Nahrung gebunden, die sie im Splintbereich von Laubhölzern vorfinden. Zu den gefährdeten Holzarten gehören nach Literaturangaben und praktischer Erfahrung Ahorn, Abachi, Bambus, Bongossi, Eiche, Esche, Fromager, Hickory, Ilomba, Kastanie, Limba, Meranti, Nussbaum, Pappel, Ramin, Rattan, Robinie, Ulme, Weide, Walnuss und gelegentlich Kirsche. Nadelhölzer können aufgrund des geringen Nährstoffgehaltes und der englumigen Holzzellen nicht befallen werden. Auch Buche wird wegen englumiger Gefäßzellen eine Immunität in der Literatur zugeschrieben. Das befallene Holz kann für die Entwicklung sehr trocken sein (8 bis 10 Prozent Holzfeuchte) und bleibt an der Oberfläche weitgehend erhalten, sodass ein Befall erst bei verstärktem Auftreten von Schlupflöchern oder Fraßgängen nach längerer Zeit erkannt wird. Da der Nährstoffgehalt des Holzes mit der Zeit abnimmt, kann die Gefahr eines Befalls mit zunehmender Standzeit geringer werden. Trotzdem können Hölzer, die älter als zehn Jahre sind, noch befallsgefährdet sein, wenn in den Räumen eine gleichmäßige niedrige Luftfeuchte und konstante Temperatur herrscht6. Aufgrund der versteckten Eiablage bis zu 8 mm tief in Gefäßzellen ist ein beginnender Befall nur schwer erkennbar. Die Eier selbst sind nur etwa 1 mm lang und 0,15–0,175 mm dick. Die Käfer können Oberflächen mit Anstrich, Lackierungen oder dünnen Folien benagen und beim Ausschlüpfen auch fremde Materialien (z. B. MDFPlatten oder Papier) leicht durchdringen. Aus persönlicher Erfahrung des Verfassers kann sich ein Befall durch fliegende oder laufende Splintholzkäfer innerhalb von Räumen oder Gebäudeteilen großflächig verbreiten. Undichte Tü-

Holzschädlinge in Transportkisten Praktische Erfahrungen mit Splintholzkäfern in Depoträumen Der nachfolgende Beitrag beschreibt die Problematik eines möglichen Befalls an Transportkisten durch Splintholzkäfer, die durch große Anpassungsfähigkeit in kleinvolumigen Hölzern oder geringen Querschnitten, wie beispielsweise Deckschichtfurnier, auftreten und dort starke Zerstörung sowie Folgeschäden an Kunstwerken verursachen können.

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Die Verwendung von anfälligen Laubhölzern mit hohem Stärkegehalt und der globale Leihverkehr von Kunstgegenständen in Transportkisten birgt zunehmend das Risiko einer Verschleppung von Holzschädlingen von Haus zu Haus. Im Folgenden wird neben der Biologie und Lebensweise von Splintholzkäfern auch auf verwendete Materialien bei Transportkisten und mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention eingegangen. Im modernen Museumswesen kommt der Naturstoff Holz nicht nur innerhalb der Gebäudeausstattung vor, sondern auch beim Transport und bei der Lagerung in speziell angefertigten Kisten. Dadurch ergibt sich die Gefährdung einer Verbreitung von Haus zu Haus, wenn im Holz der Transportkisten ein Schädlingsbefall vorhanden ist und dieser beim Leihverkehr nicht erkannt wird. Häufig bleibt der Schaden lange unentdeckt, bis der Befall bereits sichtbare Ausmaße angenommen hat und die Gefahr eines Übergreifens auf hölzerne Kunstwerke oder Hilfsmaterial besteht. Dem Autor sind mehrfache Fälle nach langjähriger Praxis bekannt, bei denen eine Einschleppung über Transportkisten, Bilderrahmen oder Parkettböden

durch Splintholzkäfer der Gattung Lyctus erfolgte. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte der Fall »Bode-Museum« in Berlin, welches 2008 durch einen eingeschleppten Befall mit dem Amerikanischen Splintholzkäfer (Lyctus planicollis LeConte) betroffen war und die neu verlegten Parkettflächen mit großem Aufwand behandelt werden mussten. In einer Veröffentlichung vom Landschaftsverband Rheinland2 wird neben Schäden durch Schadinsekten an Gebäuden, Kunstwerken und ethnologischen Objekten auch auf Plattenmaterial (z. B. Tischlerplatten, furniert) hingewiesen. Transportkisten und Elemente moderner Möbel aus Plattenwerkstoffen können demnach in hohem Maß durch Splintholzkäfer befallen sein. Der Befall von Splintholzkäfern in Museen, wie Bilderrahmen aus Limba-Holz oder Transportkisten mit Furnier aus Gabun (Okoumé), wird auch durch den Sachverständigen für Holzschutz Joachim Wießner3 beschrieben. Biologie und Nahrungsanforderungen von Splintholzkäfern Von über 20 verschiedenen Splintholzkäferarten (Col., Lyctidae), die bisher durch weltweiten Han3/2014

Beschreibung zu Transportkisten Grundsätzlich kann nach verschiedenen Arten von Transportkisten, wie Bilder-, Objekt-, Klima- oder Einwegkiste unterteilt werden, die sich in Materialzusammensetzung und Größe unterscheiden. Je nach objektbezogener Anforderung, wie Klimastabilität, wasserdichte Isolierung, Auskleidung des Innenraumes, doppelte Dichtung und wasserabweisende Lackierung, variieren die Kosten für Transportkisten, die häufig in eigenen Schreinereien von Kunsttransportfirmen individuell angefertigt werden. Im Museumswesen werden für Transportkisten überwiegend Holzwerkstoffe aus Stab- oder Stäbchensperrholz, die so genannten »Tischlerplatten« verwendet. Tischlerplatten bestehen aus einer Mittellage mit parallel ausgerichteten Holzstäben

Steckbrief: Brauner Splintholzkäfer Lyctus brunneus (Abb. 1) Der Braune Splintholzkäfer, dessen Ursprung in Südostasien liegt, wurde weltweit mit dem Holzhandel verbreitet. In Europa gehört diese Art seit ca. 60 Jahren zu den häufigsten und gefährlichsten Schädlingen für Bau- und Werkholz. Aufgrund seiner klimatischen Ansprüche ist diese Splintholzkäferart in Mitteleuropa auf das Innere von Gebäuden beschränkt und tritt in Südeuropa auch im Freien an Eichen, Feigen oder Rebstöcken auf. Die Entwicklungszeit vom Ei zum Imago (Vollinsekt) ist wie bei anderen Arten von der Temperatur und dem Substrat abhängig. Bei einem ausgeprägten Befall und gleichbleibenden Raumtemperaturen sind zwei oder auch mehrere Generationen pro Jahr möglich. Pro Weibchen werden bis zu 200 Eier in die Holzporen abgelegt, wobei bis zu acht Eier hintereinander in einem Gefäß deponiert werden können, meist zwei bis drei. Die Entwicklung der Larven dauert je nach Nährstoffgehalt des Holzes drei Monate bis maximal zwei Jahre. Danach legen die Larven eine Puppenwiege direkt unter der Holzoberfläche an und verpuppen sich. Das Puppenstadium dauert ein bis zwei Wochen. Die Schlupflöcher der schlanken, stäbchenförmigen Käfer, die 3–8 mm lang sind, haben einen Durchmesser von 1–1,5 mm. Nach dem Schlüpfen leben die Weibchen bis zu sechs Wochen und Männchen nur zwei bis drei Wochen. Die flugfähigen Käfer nehmen keine Nahrung auf und sind in der Dämmerung aktiv.1

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Pospischil, Reiner: Der Braune Splintholzkäfer, in: Der praktische Schädlingsbekämpfer 3 (2001), S. 4–5.

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LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland: Die wichtigsten Methoden zur giftfreien Bekämpfung von tierischen Holzschäd-

lingen, Arbeitshilfen der Restaurierungswerkstätten, Informationsblatt 6 (2010). www.denkmalpflege.lvr.de/publikationen/info06_bekämpfungvontierischenholzschädlingen.pdf 3

Wießner, Joachim: Lyctus in Museen, in: www.jochenwiessner.de.

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Geis, Klaus-Ulrich: Eine neozoische Splintholzkäferart unter Einfluß der Klimaerwärmung. Erster Nachweis mehrjähriger

Überwinterungen von Lyctus brunneus (Steph.) in einem naturnahen Habitat Südwestdeutschlands (Coleoptera: Bostrichidae: Fotos: Stephan Biebl

Brauner Splintholzkäfer, Lyctus brunneus

ren zum Boden stellen dabei kein Hindernis dar. Die Ausbreitung kann speziell in großflächigen Lagerräumen ein Problem werden, wenn die einzelnen Boxen nicht hermetisch voneinander abgetrennt sind.

Lyctinae) Freiburg i. Brsg. 2.5.2012. www.kaeferklaus.de. 5

Bussler, Heinz: Teures Leben im Parkett. Eingeschleppte Splintholzkäfer zählen zu den bedeutendsten Schädlingen von Holzpro-

dukten, in: LWF aktuell 73 (2009), S. 18–19. 6

Pospischil, Reiner: Der Braune Splintholzkäfer – ein Update, in: Der praktische Schädlingsbekämpfer 7–8 (2012), S. 14–15.

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Rathgen-Forschungslabor, Staatliche Museen zu Berlin.

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Art-Handling

Art-Handling

Eine Taschenlampe ins Klimadunkel Stephan Guttowski ist Projektleiter am Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM). Er hat in den vergangenen Jahren ein Gerät entwickelt, das das Klima an Kunstwerken messen kann: ArtGuardian. Seine Entwicklung, seine Aufgaben, seine Einsatzmöglichkeiten für Restauratoren und Sammler, Museen und Kunsttransporteure erläutert er im Interview mit Restauro. Zum Interview kam auch Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors, der die Entwicklung des Geräts begleitet hat. Simon hofft auf neue Daten für die Klimatisierung der Museen.

Haben Sie von Anfang an mit Restauratoren und Museen zusammengearbeitet? Guttowski: Ganz zu Anfang konnte ich über private Kontakte ein Gespräch mit Johannes Noack, Restaurator am Hamburger Bahnhof, führen. Ich habe ihn gefragt, ob man so ein Gerät wirklich braucht und ob es das nicht längst gibt.

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ich mit den Klimaüberwachungsdaten des ArtGuardians nachweisen, dass es dem Werk bei mir gut gegangen ist, dass es sachgerecht präsentiert wurde und dass keine Schäden durch die Aufbewahrung zu erwarten sind. Kann man den ArtGuardian aufrüsten? Guttowski: Man kann bis zu zehn Sensoren anschließen. Zum Beispiel zusätzliche Schadstoffsensoren, Feuchtigkeitssensoren oder Temperatursensoren. Außerdem kann durch eine spezielle Erweiterung die Bestrahlungsstärke überwacht werden. Simon: Wichtig erscheint mir an dieser Stelle folgender Aspekt: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir mit dem System derzeit die Umgebungsbedingungen, die auf ein Objekt einwirken, erfassen. Was wir noch nicht messen, ist die Antwort des Objekts auf die Schwankungen der Umgebungsbedingungen, seine Bewegungen, das mögliche Entstehen und Wachsen von Rissen oder Ablösungen, das Verbleichen von Farbstoffen infolge der Beleuchtung. Also, ob es ihm wirklich gut geht. Es ist sehr wichtig, diesen grundlegenden und kritischen Unterschied nicht zu vergessen.

Was hat er geantwortet? Guttowski: Erstens: »Das gibt es noch nicht.« Und zweitens: »Das hätte ich gern.« Dann haben wir angefangen. Herr Simon, Sie sind Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin. Wann lernten Sie Herrn Guttowski und seine Idee kennen? Stefan Simon: An einem Freitagnachmittag 2012. Da stand Stephan Guttowski unangemeldet bei mir im Büro. Ohne Termin. Das war etwas überraschend. Guttowski: Ich habe vier Wochen lang erfolglos versucht, Sie anzurufen. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Gerät zu entwickeln, das kontinuierlich die klimatischen Bedingungen an einem Kunstwerk misst? Stephan Guttowski: Das Fraunhofer IZM arbeitet seit Langem an ganz kleinen Sensoren, um neuartige Technologien zu demonstrieren. Die Albertina in Wien wurde darauf aufmerksam, denn sie wollte Dürers Hasen nach Asien verleihen. Doch weil man nicht wusste, wie viel Licht das Blatt verträgt, konnte das Museum ihn nicht verleihen. Deshalb wandte sich die Albertina an die TU Berlin, die sich mit Lichttechnik beschäftigt und die wiederum wandte sich an das Fraunhofer IZM, damit wir derartige Lichtsensoren entwickeln. Wann war das, und wie lange hat die Entwicklung gedauert? Guttowski: Das war 2007. Wir mussten erst die Finanzierung organisieren. Nach drei Jahren ging es dann los – zusammen mit mehreren Fraunhofer-Instituten und verschiedenen Partnern, unter ihnen das Rathgen-Forschungslabor. Von Anfang an war klar, dass es nicht nur um Licht gehen kann, sondern auch um Temperatur und Luftfeuchte. 26

Was hat Ihnen Stephan Guttowski erzählt? Simon: Er hat in fünf Minuten seine Idee vorgestellt, und ich war sofort begeistert. Das passiert ganz selten, denn meistens kommen Leute mit Problemen zu uns. Hier kam jemand mit Lösungen für unsere Probleme in Museen. Auch für kleinere Museen, die weit entfernt liegen. Und die Idee versprach, dass man mit ihr Daten sammelt, die die Erhaltungsbedingungen unserer Objekte verbessern und für Forschungen genutzt werden können.

Für welche Kunstwerke eignet sich das Gerät? Guttowski: Besonders für die, die auf Klimaschwankungen sensibel reagieren. Tafelgemälde zum Beispiel, polychrom gefasste Holzskulpturen, aber auch Werke mit lichtsensitiven Pigmenten und Farbstoffen. Das Gerät gibt einen Ton von sich, wenn das Kunstwerk, an dem es angebracht ist, bewegt wird. Ist es auch als Diebstahlschutz gedacht? Guttowski: Für Diebstahlschutzsysteme gelten sehr spezifische Anforderungen. Ein entsprechender Antrag wurde für ArtGuardian nicht gestellt. Es ist ein Umweltüberwachungssystem. Klar merken wir – durch ein akustisches Signal – wenn jemand das Bild von der Wand nimmt, aber es ist von der Intention her kein Diebstahlschutzsystem.

Herr Guttowski, was kann Ihr ArtGuardian? Guttowski: Über den Sensor, der fest am Kunstwerk angebracht wird, werden fortlaufend Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Bewegung des Objekts gemessen. Das Gerät funkt 20 Meter weit zur Basisstation. Diese Basisstation schickt ihre Daten an einen Computer. Man weiß, ob es seinem Kunstwerk gut geht. Was weiß man noch? Guttowski: Ich finde, wenn man bei einem hochwertigen Kunstwerk immer weiß, welchen Bedingungen es ausgesetzt ist und dass der, der es ausleiht, ihm nicht schadet, dann weiß man schon sehr viel. Als Leihnehmer eines Kunstwerkes kann 3/2014

Foto: Uta Baier

Stephan Guttowski und Stefan Simon

Welche technischen Voraussetzungen müssen die Nutzer haben? Guttowski: Wenige. Ein fehlendes Handynetz ist beispielsweise ein Problem. Wir starten mit dieser Konfiguration und werden demnächst auch Geräte 3/2014

auf der Grundlage anderer Kommunikationsmöglichkeiten – also WLAN und Bluetooth – entwickeln. Simon: Wir in Mitteleuropa neigen dazu, zu glauben, dass es in entlegeneren Gebieten kein Handynetz gibt. Aber da täuschen wir uns nach meinen Erfahrungen häufig. Je komplexer so ein System ist, desto störanfälliger ist es. Häufig zumindest. Guttowski: Störungen kann es geben, aber es gehen keine Daten verloren, auch wenn das Handynetz ausfällt. Wenn das Sensormodul seine Daten nicht an eine Basisstation übertragen kann, speichert es sie bis zu sechs Monate. Kann es sie an eine Basisstation senden und diese kann sie nicht weitersenden, dann werden die Daten dort gespeichert – ebenfalls für sechs Monate. Deshalb können wir unseren Kunden sagen: Sie können ihr Kunstwerk verleihen, wohin sie wollen und sie können sehen, unter welchen Bedingungen es ausgestellt ist und war. Wie muss man sich das praktisch vorstellen – wenn ich als Museum oder Sammler meine Kunstwerke mit einem ArtGuardian ausrüste und verleihe, muss immer jemand am Computer sitzen und sich die Aufzeichnung der Werte ansehen? Guttowski: Das könnte man machen. Man kann aber auch bestimmte Schwellenwerte festlegen und wenn diese über- oder unterschritten werden, bekommt man eine E-Mail oder SMS zur Information. Macht Ihnen die Möglichkeit, dass Ihre Daten gestohlen werden könnten, Sorgen? Guttowski: Das System hat den Sicherheitsstandard einer Onlinebanking-Plattform. Das ist schon sehr sicher. Und: Niemand kann die Daten verändern. Wann starten Sie, und wer hat bereits Interesse angemeldet? Guttowski: Der Verkauf hat am 1. April begonnen. Wir haben bereits verbindliche Bestellungen eines großen Museums und einer Corporate Collection. Anfragen gibt es auch von Restauratoren, die private Sammlungen betreuen und diese gern mit dem Gerät überwachen wollen. Das würde 27


Thema: zürich

zürich Tobias Hotz

Das Löwenmonument von 1894 aus Steinguss im Züricher Hafenbecken Recherchen und Untersuchungen zum ursprünglichen Zustand und zur Restaurierung

Eigentlich war er nur als Modell und für eine temporäre Ausstellung fabriziert worden. Nun bewacht der Löwe als Schildhalter mit Züricher Wappen schon seit 120 Jahren die größte Stadt der Schweiz. Herabfallende Stücke, Rissbildungen und Mürbzonen machten die Restaurierung dieser großen und markanten Kunststeinplastik am prominenten Standort am See dringend notwendig. Bewehrungsmessungen lieferten das überraschende Ergebnis, dass im Inneren der Skulptur kein Armierungsskelett vorhanden ist.

untersucht wurde1, war ein Original mit vielen Facetten. In ihm vereinten sich Bildhauer, Maler, Zeichner, Landschaftsgärtner von Tiergehegen, Menageriebesitzer2 und Vorkämpfer für einen Züricher Zoo. Er galt als exzentrisch, eigensinnig und stur und konnte sein Leben lang nicht mit Geld umgehen, weshalb ihn auch immer eine gewisse Tragik im Leben begleitete. Nach der Lehre als Bildhauer/Stuckateur in der Schweiz studierte, lebte und arbeitete Eggenschwyler von 1870 bis 1877 in München, wo er sich oft in Tierparks aufhielt, um die Anatomie, die Bewegung und das Verhalten der Tiere zu studieren. Er bevorzugte dabei Raubkatzen – vorab die Löwen. Sein außergewöhnliches Vertrauensverhältnis zu den Tieren erlaubte es ihm, ihre Käfige zu betreten und sie zu porträtieren. Sein Studium an der Königlichen Akademie der Künste musste er wegen zunehmender Schwerhörigkeit nach nur einem Jahr wieder abbrechen. Er hielt sich in München weiterhin mit Gelegenheitsaufträgen als Tierbildhauer über Wasser, modellierte kleine Löwen, die guten Absatz in Terrakotta fanden, und arbeitete als Steinmetz für König Ludwig ll. auf Schloss Linderhof in Bayern. 1873 konnte er mit einem Werk an der Weltausstellung in Wien teilnehmen. Nach einer Thyphuserkrankung kam er 1878 bei seiner Schwester in Zürich unter, wo er auch sesshaft blieb. An der schweizerischen Landesausstellung 1883 in Zürich präsentierte Eggenschwyler schließlich ein lebensgrosses Gipsmodell eines Löwen, das große Beachtung fand. Er konnte es später als Privatauftrag in Carraramarmor ausführen (Abb. 2). Dank Spendengeldern verwirklichte Eggenschwyler 1891 seinen lang gehegten Traum und eröffnete einen privaten Tierpark in Zürich-Unterstrass, unter anderem mit mehreren Löwen. Er darf heute als Vorläufer des Züricher Zoos, der 1929 eröffnet wur-

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Alle Züricherinnen und Züricher kennen ihn: den »Zürileu«. Zuvorderst auf der langen, schmalen Mole des Bootshafens Enge, nur zu Fuß oder schwimmend erreichbar, thront er stolz auf seinem Posten, acht Meter über dem Seespiegel. Mit durchdringendem Blick schaut er hinüber zur Quaibrücke, scheinbar über die dahinter liegende Altstadt von Zürich wachend (Abb. 1). Das Ende des Hafendamms ist ein viel besuchter Ort zum Verweilen, der Wendepunkt eines Spaziergangs am beruhigenden Wasser, benutzt von Liebespärchen, Geschäftsleuten

der nahen Bürogebäude, aber auch von Touristengruppen, die vom nahen Busparkplatz kommen, um ein Erinnerungsfoto mit dem Löwen, der Stadt oder dem Alpenpanorama im Hintergrund zu schießen. 2011 trafen jedoch Meldungen über herabfallende Mörtelstücke beim zuständigen Amt ein. Der Bildhauer Urs Eggenschwyler (1849–1923) Der im Kanton Solothurn in der Nordwestschweiz aufgewachsene Eggenschwyler, dessen Leben und Werk umfassend von Roman G. Schönauer 3/2014

Foto: Aufnahme von 1885, Vadiana, St. Gallen

Hoch oben thronend bewacht der Zürileu seine Stadt. Er symbolisiert Mut, Kraft, Stärke, Kühnheit, Tapferkeit und soll dem Besucher der Stadt »Ehrfurcht einflössen«.

Fotos: (1), (3–13) Tobias Hotz

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Urs Eggenschwyler legt letzte Hand an den Marmorlöwen für Oberst Kirchhofer. Dieser Ideallöwe, den der Künstler in seinen Gedanken als »den schönsten und edelsten seiner Art« geschaffen hat, befindet sich heute in der Eingangshalle des Kirchhoferhauses in St. Gallen, Schweiz.

de, betrachtet werden. Aus Überlieferungen ist bekannt, dass Eggenschwyler viele Züricher Bewohner verblüffte, indem er mit seiner Lieblingslöwin Grete an der Leine durch die Altstadt spazierte. Ab ca. 1900 wurde Eggenschwyler vermehrt als Ratgeber, Planer, Zeichner und Mithelfer bei der Ausführung von künstlichen Felslandschaften in Tierparks europäischer Städte, wie Hamburg3, Berlin, München, Wien, Rotterdam, Rom, Basel, St. Gallen usw. miteinbezogen. Tatsächlich bildeten seine zoologischen Kenntnisse und sein Sinn für die plastische Darstellung geologischer Gesteinsformationen eine ideale Grundlage für tiergerechte und gleichzeitig kunstvolle Anlagen4. Wie der Hafenlöwe an seinen Standort kam5 Zur Eröffnungsfeier der neu aufgeschütteten Zürcher Quaianlagen 1887 erhielt der »Löwenmacher«

Schönauer, Roman G.: Der Leuenmacher von Zürich. Dreiteilige Serie, in: Zürileu, Nummern 70, 72, 74 (1977).

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Die Menagerie steht für eine historische Form der Tierhaltung und ist als solche eine Vorläuferin des zoologischen Gartens.

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1907 eröffnet Carl Hagenbeck den ersten gitterlosen Tierpark der Welt in Stellingen bei Hamburg. Die Idee der artgerechten

Präsentation exotischer Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum war damals revolutionär. Viele zoologische Gärten ahmen sie nach. Aus: www.hagenbeck.de. 4

Die angewandte Technik war relativ einfach. Auf hölzerne Skelette, teilweise bis zehn Meter hoch, wurde die »Haut« aus

Dachpappe, Drahtgeflecht und einem 1–5 cm dicken Überzug aus Zementmörtel hergestellt. 5

Schönauer, Roman G.: Urs Eggenschwyler, aus dem Leben eines originellen Künstlers und Tierfreundes, in: Kolorit, Nr. 7/41

(1978), S. 1–3.

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kunst in festem Verbund

Kunst in festem verbund Der polychrome Gipsinkrustationsfußboden befindet sich in Bassum, etwa 25 km südlich von Bremen, im Chorraum der Stiftskirche St. Mauritius und St. Viktor. Der Fußboden entstand im Zuge einer Kirchenrenovierung 1860 bis 1869. In Niedersachsen existieren nur drei Fußböden dieser Werktechnik aus dem 19. Jahrhundert. Die Darstellungen im Chorquadrat sind in einer Kreisform angelegt. Figürliche Darstellungen, florale und symbolische Ornamentik sowie Schriftbänder bilden eine zentrierte, ausgewogene Symmetrie. Im Zentrum befindet sich das mittelalterliche Modell der Bassumer Stiftskirche auf einem Schiff, umgeben von Wasser. Östlich und westlich befinden sich die vier Paradiesflüsse. Der innere Kreis ist von einem weiteren Kreis gerahmt, der östlich und westlich durch die Gebotstafeln und das Lamm Gottes durchtrennt wird. In beiden Kreishälften befinden sich jeweils sechs Lämmer. Dieser Kreis wird von einem Spruchband mit Ornamentik gesäumt. Im äußersten Kreis des Chores sind die acht christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung, Sanftmut, Liebe, Mildtätigkeit, Keuschheit, Friede und Demut angeordnet. Die Sprüche zu den jeweiligen Tugenden stammen aus den Seligpreisungen der Bergpredigt. Die Zwickel zwischen den Tu- 2 gendfeldern zieren florale Ornamente. Nach außen schließen zwei weitere Kreisbänder, umschlossen von einem Quadrat, an. Die entstehenden Zwickel sind ebenfalls mit Ornamenten geschmückt. In der halbrunden Apsis sind Tauben und ein Weinstock abgebildet. Ein Band mit vegetabilen Ornamenten und Medaillons, in denen sich abwechselnd Drachen, Zentauren, Löwen und Sirenen befinden, rahmt Chor und Apsis (Abb. 1). Die Kirchenrenovierung der 1860er Jahre leitete 3 der hannoversche Architekt und Konsistorialbaumeister Conrad Wilhelm Hase.1 Die Kirchenausmalung und der Entwurf des Chorfußbodens wurde Heinrich Ludger Schröer übertragen, einem Schüler des bekannten Kölner Kirchenmalers Michael Welter.2 Die Ausführung des Gipsinkrustationsfußbodens oblag dem hannoverschen Bildhauer Theodor Maßler, der wenige Jahre zuvor auch den Gipsfußboden der Kirche in Bücken ausgeführt hatte.3 Bereits in den 1920er Jahren wurden gravierende

Stefanie Lindemeier und Larissa Piepo

Die Restaurierung des Gipsinkrustationsfußbodens in der Stiftskirche Bassum

Der für den Fußboden verwendete Hochbrandgips wurde bis ins 19. Jahrhundert produziert und fand unter anderem als Mauermörtel, Verputzmörtel und Fußbodenestrich Anwendung. Sein Einsatz als Inkrustationstechnik hat Vorbilder im frühen Mittelalter und wurde im 19. Jahrhundert perfektioniert. Die starke Polychromie und die Feinheit der Inkrustationen Fußbodens der Bassumer Stiftskirche verleihen ihm einen denkmalpflegerisch und kunsthistorisch herausragenden Stellenwert. Der Restaurierung des Fußbodens ging eine umfangreiche Auseinandersetzung mit Material und fast vergessener Werktechnik voraus, denn nur so war, besonders in Hinblick auf rekonstruierende Ergänzungen in Bestandstechnik, eine adäquate restauratorische Bearbeitung möglich.

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Fotos: (2–6) Piepo Restaurierung GmbH, Lindemeier 2013

Foto: Marco Gallmeier 2012

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Schäden am Fußboden festgestellt, sodass es zwischen 1927 und 1929 zur Restaurierung durch den hannoverschen Bildhauer Friedrich Buhmann kam. Es wurde festgestellt, dass der Fußboden stellenweise »abgetreten, abgesackt und gerissen war«.4 Historische Fotos5 belegen, dass der Gipsestrich in großen Bereichen zerstört war. Insbesondere zahlreiche Hohlstellen hatten zu starker Rissbildung mit Absacken einzelner Fußbodenbereiche und zum Verlust kleinteiliger Bruchstücke geführt. Material und Werktechnik Als Bindemittel konnte bei der aktuellen, naturwissenschaftlichen Untersuchung Hochbrandgips nachgewiesen werden.6 Hochbrandgips fand im Mittelalter verbreitet Anwendung und ist vielfach in Regionen mit Gipsvorkommen, so z. B. im Harzraum, als Mauermörtel, Verputzmörtel und Fußbodenestrich anzutreffen. Durch Brenntechnik und Befeuerung entstand ein inhomogener Brand mit Temperaturen zwischen 200–1000 °C und somit ein Gemisch aus unterschiedlich stark gebranntem Gipsgestein. Der Hochbrandgips erzielt bei der Aushärtung Festigkeiten, die nahezu mit denen

NHStA H, Best. Hann. 74 Freudenberg, Sign. 1168. Vertrag zwischen Hase und Kirchengemeinde vom 12.09.1865. Pfarrar-

chiv Bassum, Repositur II, Fasz. 38, Vertrag zwischen Hase und Kirchengemeinde vom 19.07.1865 und geänderter Vertrag vom 01.12.1865. 2

Pfarrarchiv Bassum, Repositur II, Fasz. 38, Vertrag zwischen Hase und Schröer vom 09.05.1868, Pfarrarchiv Bassum, Repositur

II, Fasz. 38, Schreiben Theodor Maßlers an Baurat Hase vom 27. 05. 1869. Die Denkmalpflege in der Provinz Hannover 1928, S. 19. 3

Pfarrarchiv Bassum, Repositur II, Fasz. 38, Kostenvoranschlag Maßlers aus April 1869 und Schreiben Maßlers an Hase vom

27.05.1869. Zu Bücken vgl. Niedersächsischer Heimatbund e. V., Die rote Mappe 2005, S. 23. 4

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Schriftarchiv, Bassum, Schreiben des Provinzialkonservators Siebern vom

21.07.1927. 5

Fotos von Friedrich Buhmann 1927 bis 1929, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Fotothek.

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Naturwissenschaftliche Untersuchung durch Materialprüfanstalt Bremen, Dr. Frank Schlütter 2012.

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Zu den Autorinnen Dr. Dipl.-Rest. Stefanie Lindemeier studierte Restaurierung von Wandmalerei und Stein an der HAWK, Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Nach dem Studium arbeitete sie als freiberufliche Restauratorin und im öffentlichen Dienst im Bereich der Ausstellungsplanung und Öffentlichkeitsarbeit. Es folgten Projektbetreuung und Lehrtätigkeit im Rahmen einer Anstellung an der Fachhochschule Hildesheim und die Promotion im Bereich der Restaurierungsgeschichte. Seit 2007 ist sie angestellte Mitarbeiterin der Piepo Restaurierung GmbH. Kontakt: lindemeier@piepo-restaurierung.de Dipl.-Rest. Larissa Piepo studierte an der HAWK, Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen in der Fachrichtung Restaurierung von Steinobjekten. Von 2002 bis 2013 war sie Gesellschafterin der Piepo & Partner Steinrestaurierung GbR. Seit 2014 ist sie Geschäftsführerin der Piepo Restaurierung GmbH. Kontakt: piepo@piepo-restaurierung.de

1 Bassum, Stiftskirche, Chor, Gipsinkrustationsfußboden 2 Apsis, Randbereich, Vorzustand. Starke Verwerfungen und Rissbildung, rezente Notsicherungen und Zementergänzung am Anschluss zur Wand 3 Apsis, Randbereich, Zustand während der Restaurierung. Rezente Mörtel wurden entfernt, Fehlstellen mit Hochbrandgips im Lokalton geschlossen. Innerhalb der Ranken und des Medaillons sind die Bereiche für die Inkrustationen in Rot und Schwarz geschnitten.

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