Andrea Karg & Berit Grosswendt: "Cashmere"

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Herkunft Geschichte Herstellung Design

Andrea Karg mit Berit Grosswendt

Cashmere

Callwey




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18 Die Herkunft S. 40 Die Ziege S. 56 Die Faser S. 72 Die Produktion S. 88 Die Pflege S.

116 Cashmere-Kompetenz S. 126 Der Weg zum Erfolg S. 138 Cashmere S. 152 Company Code S. 162 Kreativer Prozess S. 176 Zukunft und Visionen S. 184 Collections S. 222 Glossar S.

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Edle Faser – sinnlicher Luxus

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Cashmere: so fein und weich, so edel und leicht, so sinnlich auf der Haut – faszinierend, wie viele wunderbare Eigenschaften diese Naturfaser vereint. Und magisch ist auch der Klang, wenn man den Namen dieses einzigartigen Materials ausspricht. Eine Assoziation, mit der die meisten Menschen hochwertige Kleidung oder Decken verbinden, warm und anschmiegsam. Cashmere ist besonders kostbar und führt die Klasse der sogenannten Edelfasern an. Nicht nur die extreme Feinheit und die besondere Weichheit, auch der äußerst geschmeidige, seidig anmutende Griff und das wärmende Gefühl machen Cashmere so begehrenswert. Wer einmal flauschigen Cashmere berührt oder getragen hat, wird nicht nur beeindruckt sein – er verfällt ihm sofort und wird nie mehr etwas anderes wollen. Keine andere Faser symbolisiert stärker individuellen Luxus, kuschelige Qualität, unnachahmlichen Tragekomfort und eine langanhaltende Wertbeständigkeit. Ein Objekt für Kenner, das die Menschheit seit Jahrhunderten in seinen Bann zieht – kein Wunder, schließlich kombiniert Cashmere auf exklusive Weise das Hochwertige seiner Beschaffenheit mit dem Geheimnisvollen seiner Präsenz und die Essenz seiner Stärken mit der Neugier an seiner Geschichte und Herkunft. Cashmere ist benannt nach dem früheren Fürstenstaat Kaschmir im Himalaya-Gebirge, einer Region, die heute dreigeteilt ist und von Indien, Pakistan und der Volksrepublik China gleichermaßen beansprucht wird. Der Rohstoff wird aus dem sehr dünnen, flaumigen, körpernahen Unterhaar der Cashmere-Ziege gewonnen, die in den abgelegenen Hochebenen der Mongolei, Chinas, Afghanistans und des Iran zu Hause ist. In der bergigen, bis zu 5000 Meter hohen Landschaft mit heißen Sommern und eisigen Wintern von bis zu minus 50 Grad Celsius ­lebend, trotzen die Ziegen den widrigen Bedingungen mit einer besonders zarten, dabei sehr dichten Wolle, die einmal im Jahr während des natürlichen Haarwechsels im Frühling von Hand ausgekämmt wird.


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Dass Cashmere so wertvoll ist, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Abgesehen von einer natürlichen Exklusivität, die auf dem begrenzten Populationsbestand der Tiere basiert, verantworten den hohen Preis die noch heute aufwändige Gewinnung und besonders die geringen Erträge – pro Ziege und Jahr liegt die Ausbeute bei circa 180 bis 200 Gramm. Zum Vergleich: Dies ist die Menge, die für einen Pullover mindestens benötigt wird – je nach Größe und Dichte auch deutlich mehr. Seit mehr als tausend Jahren wird Cashmere zu hochwertigen Textilien verarbeitet, zunächst in alter Handwerks­ technik gewebt, später industriell gestrickt. Heute stillen namhafte Designer die Sehnsucht nach diesem luxuriösen, traumhaft schönen Material, dessen Alleinstellungsmerkmale unerreicht sind: Cashmere spricht eine sanfte, anmutige Sprache. Im ursprünglichen Zustand noch weicher als Watte und nahezu ohne Eigengewicht, ist seine farbliche Erscheinung eher matt und reicht auf einer Skala von Weiß über Beige und Grau bis hin zu Hell- und Dunkelbraun. Zwischen den Härchen der Wollgarne bilden sich winzige Luftpolster, die Wärme besonders gut speichern und bei niedrigen Temperaturen thermisch isolierende Wirkung zeigen. Cashmere ist ­atmungsaktiv, schmutz- und geruchsabweisend. Weder kratzt noch flust es, im Gegenteil: Cashmere umschmeichelt die Haut und bleibt seinem perfekten Zustand über Jahre hinweg treu. Cashmere-Strickwaren wärmen um ein Vielfaches mehr als gewöhnliche Wolle, sie werden zudem immer weicher, je öfter sie getragen werden.





Teil

Cashmere



Kap. 1

Die Herkunft

Kap. 1

die herkunft


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Vornehmer Luxus, geheimnisvolle Historie – Cashmere verströmt auch heute noch den Zauber des Orients. Die Geschichte dieses bemerkenswerten Rohstoffes beginnt im Mittleren Osten, in der sagenumwobenen Provinz Kaschmir und ihrer ehemaligen Hauptstadt Srinagar. Die nordindische Metropole war einst Fürstenresidenz und über die Jahrhunderte ein florierendes Zentrum am Fuße des Himalaya-Gebirges. Im Laufe seiner wechselvollen Geschichte politisch hart umkämpft, hat sich das Kaschmir-Tal zum Kreuzungspunkt von Karawanenstraßen entlang der historischen Seidenstraße zwischen Vorder-, Zentral- und Südasien entwickelt. Hier liegt die Wiege der historischen Cashmere-Produktionsstätten, von hier aus gelangten Handelsgüter in alle Welt, hier nahm die Verbreitung des begehrten Materials ihren Anfang. Heute ist Kaschmir aufgeteilt zwischen den Ländern, an die es grenzt: Indien, China und Pakistan. Ein begehrter Rohstoff Die Verwendung von Ziegenhaaren für Kleidung, Teppiche, Zelte oder Wandschmuck hat in Zentralasien eine über zwei Jahrtausende alte Tradition. Sie ist sowohl an die Strickkunst als auch an die Techniken des Webens gebunden. Schon in der Antike entwickelten sich hier Webzentren, die mit ihren Produkten handelten und exportierten. Doch erst im frühen Mittelalter trafen in der

20 Region Kaschmir zwei entscheidende Entwicklungen aufeinander, die zur Verbreitung von Cashmere führten: Hirten und Nomaden brachten aus den entlegenen Hochebenen Tibets und Punjabs ein bis dahin wenig beachtetes Rohmaterial in das fruchtbare Tal entlang des Jhelum-Flusses – den zarten Unterflaum (Duvet) der wilden Changra-Ziege, den sie auskämmten oder nach dem natürlichen Fellwechsel der Tiere im Frühjahr von Büschen einsammelten und zum Tausch gegen Grundnahrungsmittel anboten.

1 Ein Hauch von Orient. Der Kaschmirschal in der europäischen Damenmode 1800–1870, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Huelsmann in Bielefeld, hrsg. von Hildegard Wiewelhove, Bielefeld 1998, S. 9 2 Kaschmir-Schals. Informationen zur gleichnamigen Ausstellung im Textilmuseum Krefeld 1998/99. www. krefeld.de/de/ dtm/1999-3-kaschmirschals-14.-november1999-bis-12.maerz-2000/ 3 Andreas Schmidt-Colinet: Die Textilien von Palmyra: neue und alte Funde, Mainz 2000, S. 1–11, 51–53

Dieses neue, besonders weiche Material ergänzte die Schafwolle als exklusiven Rohstoff und ließ das Webgeschäft in weiten Teilen des Landes prosperieren. Gleichzeitig etablierte sich in Srinagar die von Persien eingeführte, sogenannte Schalweberei, deren Handwerkskunst über Turkestan Eingang gefunden hatte. 1 Beides führte zur Produktion der ersten Cashmere-Schals (Schal, persisch, arabisch: shal, chalat, chylat) in Kaschmir. Sie waren besonders kostbar, sehr weich und wärmend und wurden als Ehrenkleid an Günstlinge des Fürsten verliehen. Über die Schulter drapiert, zu einem Gürtel oder Halstuch gebunden oder als Turban geschlungen, dienten diese Schals als praktisches und schmückendes Beiwerk für Männer höheren Ranges. 2 Dieser historischen Entwicklung ist es zu verdanken, dass man Cashmere heutzutage vorwiegend mit Cashmere-Schals sowie mit der Provinz Kaschmir in Verbindung bringt. Dabei verwendete man die Rohware ursprünglich weniger aus der Provinz Kaschmir, sondern importierte sie vornehmlich aus anderen Regionen. Doch so mysteriös die Märchen aus dem Orient klingen mögen, so wenig Wissen existiert tatsächlich über die ersten Fertigungsmethoden dieses schmeichelnden Materials. Es gibt nur wenige fundierte Quellen, die den Ursprung der Faserverarbeitung in gewebter oder gestrickter Form eindeutig belegen. Textilienfunde aus Palmyra geben Hinweise darauf, dass kostbares Cashmere bereits im 1. bis 2. Jahrhundert n.Chr. aus den Bergregionen Afghanistans, Irans oder der Mongolei in die antike Oasenstadt importiert worden war. 3 Palmyra lag damals an einer der


den unterschiedlicher Farbe gerollt, die durch die Kettfäden gezogen wurden und so das Muster bzw. die Figuren bildeten – eine Methode, die mit der Herstellung von Gobelins in europäischen Tapisseriemanufakturen vergleichbar ist. Alles in allem ein mühevoller Prozess, der nur langsam voranschritt und bei dem die Weber bis zur Fertigstellung eines Schals ungefähr 18 Monate brauchten. An einem besonders aufwändigen Exemplar arbeitete man bis zu drei Jahre. 7

In den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts fand man dort neben antiken Textilien aus Schafwolle auch farbenprächtige Gewebe mit Ornamentmusterungen, die aus Cashmere-Haargarnen hergestellt wurden und – der Feinheit der Fasern zufolge – von mongolischen Cashmere-Ziegen stammten. Untersuchungen gehen davon aus, dass, abgesehen von den Rohwaren für die Textilverarbeitung, auch bereits fertige Gewebe nach Syrien importiert wurden. Damit verbreitete sich nicht nur Cashmere als Handelsware, sondern auch das technische Know-how rund um seine Verarbeitung. 4 Es ist möglich, dass die Anfänge, sich das feine Unterhaar der Cashmere-Ziegen zunutze zu ­machen und daraus Textilien zu produzieren, bis ins 1. und 2. Jahrhundert v. Chr. zurückreichen. Schon während der bronzezeitlichen Indus-­ Zivilisation (2800–1800 v. Chr.) im heutigen Pa- 4 kistan und in Teilen Indiens und Afghanistans Schmidt-Colinet 2000 (wie Anm. 3), könnte Kleidung aus Cashmere-Faser existiert S. 1, 10, 51 haben. 5 5 Die Schalweberei Cashmere weben, Cashmere stricken – die industrielle Verarbeitung der Faser soll sich in Kaschmir unter der Herrschaft Zain Ul-Abidins (1420–1470) etabliert haben. Dem legendären Sultan wird die Einführung der traditionsreichen Schalweberei zugeschrieben. Er holte eine Vielzahl ausländischer Kunsthandwerker und Weber ins Land, darunter Naked Begh, der den gewebten Cashmere-Schal erfand. 6 Gewebt wurde damals auf horizontalen Webstühlen. Zwei bis drei Weber saßen nebeneinander und hatten die Rückseite ihrer Webarbeit vor sich. Für einen circa 1,20 Meter breiten Schal benötigte man zwei- bis dreitausend Kettfäden. Um die hölzernen Webspulen waren einzelne Fä-

Kaschmir-Schals aus Indien und Frankreich, Broschüre zur Ausstellung des Textilmuseums Helmbrechts, www.textilmuseum. de/archiv_detail. php?id=48 6 Monique LéviStrauss: Cashmere. Tradition einer Textilkunst, Frankfurt am Main 1987, S. 14 7 Lévi-Strauss 1987 (wie Anm. 6), S. 15 8 Lévi-Strauss 1987 (wie Anm. 6), S. 15 9 Gudrun Schreiber: Faszination Shal. Persische Woll- und Kaschmirstoffe im Vergleich, Tübingen 2005, S. 40

Die Entwicklung der Cashmere-Schalweberei war in Kaschmir eng an die vielfältigen politischen, religiösen und kulturellen Einflüsse gebunden, denen das Fürstentum im Laufe der verschiedenen Regierungsperioden ausgesetzt war. In der Ära der Moguln (1586–1753) nahm die Weberei ihren blühenden Aufschwung, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die rechteckigen, an einem Stück gearbeiteten Schals endeten an beiden Seiten mit einer Bordüre. Diese waren geschmückt mit blühenden Pflanzen, kleinen Palmensträngen oder üppigen, in ovaler Form zusammengefassten Blütenständen auf ungefärbtem oder andersfarbigem Grund. 8 Mit dieser Technik fingen die Handwerker die prachtvolle Flora, Fauna und Ornamentik der Kunst ­ihrer islamischen Herrscher ein. Typisch für diesen Look waren die Blütenreihen auf den kurzen ­Seitensäumen der Schals. Am meisten verbreitet war das sogenannte Buta (Hindu: Blume, ­Knospe, Palme) oder später auch als Boteh bezeichnete Motiv, das mit seinem prunkvollen Design und einer besonders vielfältigen und leuchtenden Farbenpracht faszinierte. Damals gab es schon bis zu 300 verschiedene Farbnuancen, mit denen die Garne gefärbt wurden. Es waren rein pflanzliche Stoffe wie Fruchtschalen von Granatäpfeln oder Zwiebeln, Wurzeln und Rinden von Maulbeer- oder Apfelbäumen, Blüten oder Blätter von Tee, Wein oder Safran. 9 Unter der Herrschaft der Afghanen im 18. Jahrhundert begann sich das stängellose Oval der Blüten oben zu einer Spitze zu verformen und auf einer Seite einzurollen. Diese asymmetrisch gestalteten Ornamente glichen schmalen Motiven von Palmblättern, Zypressen oder Tränen.

Die Herkunft

wichtigsten Handelsstraßen Syriens und profitierte von der Anbindung an die Seidenstraße, die Asien mit dem Vorderen Orient, den arabischen Ländern und Europa verband.

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Die Provinz Kaschmir am FuĂ&#x;e des Himalaya-Gebirges eingezeichnet auf einer historischen Karte von 1903.

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Cashmere-Ziegen sind in den abgelegenen Hochebenen der Mongolei, Chinas, Afghanistans und des Iran zu Hause (Naturgeschichte des Tierreichs, 8. Auflage 1886).

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Ein Grundlagenwerk über das begehrteste Garn der Welt: Cashmere Exklusives und wunderbares Bildmaterial von der ersten Verarbeitung bis zur Fashionshow Das erste große Buch über das erfolgreiche Modelabel Allude

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Cashmere ist eines der wundervollsten Materialien der Welt. Wer es einmal berührt hat, den lässt es nicht mehr los. Darüber hinaus gibt es so viel über Cashmere zu entdecken. In diesem Buch wird Cashmere mit seiner besonderen

Geschichte, seiner Herkunft und Verarbeitung erstmals umfassend dargestellt. Zudem gibt Andrea Karg, die 1993 die Marke Allude gegründet hat und Cashmere aus der klassischen Ecke nach Paris auf den Laufsteg der Pret-a-porter gebracht hat, exklusive Einblicke vom Entwurf bis zum fertigen Produkt. Allude, international erfolgreiche Highfashion-Cashmere Mode und unglaubliches Experten Know-how.


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