Baumit Magazin II

Page 1

02.2017 ARCHITEKTUR-SPEZIAL VON BAUMIT

Zwischen Schaffen und Bewahren – neue Hüllen für alte Häuser War abreißen und neu bauen nie eine Option, Herr Hierl? Wissen

Ausblick

Die Bedeutung von Farbe in der Architektur

Was müssen Häuser künftig können?


PRACHTSTRUKTUREN ERLEBEN ARCHITECT@WORK 2017 DÃœSSELDORF

BAUMIT.DE/AUSSCHREIBEN


EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde von Baumit,

der konkreten Architekturprojekte. Im Gespräch mit dem Zukunftsforscher Lars Thomsen erörtern wir, wie sich unser Leben insgesamt in den kommenden Jahren verändern wird – und was das für die Architektur bedeutet. Alt und neu – ein Begriffspaar, in dem immer auch eine gewisse Spannung liegt. Wenn Neues entsteht, verändert sich Altes und muss manchmal weichen. Diese Spannung transportiert für uns auch das Foto oben. Sie sehen uns vor dem „Ostracher Schloss“. So nennen die Einheimischen unseren deutschen Stammsitz in Bad Hindelang (die Ostrach ist das Flüsschen hinter dem Werk). Die Produktion hier wurde kürzlich eingestellt und hauptsächlich nach Landsberg am Lech verlagert. Die „Schlossbauten“ werden demnächst rückgebaut. Damit endet eine Epoche, denn bereits 1902 stand hier der erste Kalkofen. Und so erfüllt uns die Vorstellung, dass die Silos bald schwinden, auch ein wenig mit Wehmut. Aber etwas Neues wird entstehen. Was, darauf sind wir gespannt. So gespannt, wie wir als Baumit immer neue Architekturprojekte verfolgen und als Partner begleiten. In diesem Sinn optimistisch grüßen wir Sie herzlich – und wünschen viel Freude beim Lesen.

wieder halten wir Ihnen das rote Quadrat entgegen. Sie erinnern sich? Vor einem Jahr präsentierten wir Ihnen die erste Ausgabe unseres Architektur-Spezials. Das Quadrat verwies auf Inhalte, die sich direkt mit unserem Unternehmen befassen. Das tut es auch dieses Mal. Denn auch in dieser Ausgabe gewähren wir wieder Einblicke in unsere Arbeit. Doch auch dieses Mal blicken wir zugleich über den eigenen Tellerrand hinaus und liefern Ihnen ein Heft voller architektonischer Anregungen und Einsichten. „Alt und neu“ ist das Oberthema dieser Ausgabe. Ein wichtiger Bereich, gerade für Architekten. So ganz ohne Zusammenhang bauen wir in Deutschland ja nie. Immer ist also ein „Alt“ zu berücksichtigen, wenn es um das Schaffen von Neuem geht. Doch manchmal steht der Umgang mit dem Bestehenden sogar im Zentrum einer Bauaufgabe – wie bei den Beispielen, die wir für Sie untersucht haben: etwa bei der Erweiterung der alten Paulaner-Brauerei in München vom Büro Hierl Architekten. Bei der Sanierung der MartinLuther-Universität in Halle durch Heinle, Wischer und Partner. Oder bei dem zum Buddhismus-Zentrum umgebauten Gut Hochreute (Dietrich & Untertrifaller). Daneben leisten wir uns auch wieder einen Blick über den Tellerrand

Stephanie Werf & Sebastian Rettke Baumit GmbH

3


BAU

ARCHITEKTUR-SPEZIAL VON BAUMIT ZUM THEMA: ZWISCHEN SCHAFFEN UND BEWAHREN – NEUE HÜLLEN FÜR ALTE HÄUSER

6

Umbau und Erweiterung der Paulaner-Brauerei in München Architekten: Hierl Architekten 12

„War abreißen und neu bauen nie eine Option, Herr Hierl?“ Interview mit Rudolf Hierl 14

Sanierung der Martin-Luther-Universität in Halle Architekten: Heinle, Wischer und Partner 20

Umbau des Musterguts Hochreute in ein Buddhismuszentrum Architekten: Dietrich Untertrifaller

Seite 6

Hierl Architekten haben ein altes Münchner Brauereigebäude in eine moderne Firmenzentrale umgebaut.

4


Seite 36

MIT

Lars Thomsen, einer der führenden Trendforscher, beschäftigt die Frage, was Häuser künftig können müssen.

26

Neuinterpretation einer lokalen Bautradition: Wohn- und Geschäftshaus Hohenzollernstraße in München Architekten: Meili, Peter 30

„Ich wünsche mir einen Farbkommissar für jede Stadt." Interview mit Axel Venn 32

Farbordnung in der Praxis Farbe für außen und innen 36

Was müssen Häuser künftig können? Interview mit Lars Thomsen 38

Schnappschuss

5


BAU A rc h i tektur - S pez i a l von Ba u mi t

PAUL ANER-BRAUEREI IN MÜNCHEN

IM DIALOG ZWISCHEN ALT UND NEU Jedes Jahr zur Fastenzeit findet in München ein Spektakel statt, das über die Stadtgrenzen hinaus Beachtung findet. Beim SalvatorStarkbieranstich, dem sogenannten „Politiker Derblecken“ auf dem Nockherberg, wird der Politik der kabarettistische Spiegel vorgehalten – zum Vergnügen der anwesenden Gäste. Der Ort ist nicht zufällig gewählt, denn hier liegt der Ursprung der Paulaner-Brauerei, deren Bierspezialitäten heute in über 70 Ländern vertrieben werden. Architekten HIERL ARCHITEKTEN Kritik EVA HERRMANN Fotos DIEARCHITEKTURFOTOGRAFIE.COM

6


Repräsentatives Entree: Das neue Verwaltungsgebäude nimmt den Altbau des ehemaligen Zacherlbräu in seine Mitte.

7


BAU A rc h i tektur - S pez i a l von Ba u mi t

Die Torhalle ist die Schnittstelle zwischen Alt und Neu und erzeugt durch die Verschneidung der Ebenen einen spannungsvollen Dialog.

BAUHERR UND NUTZER Paulaner Brauerei GmbH & Co. KG, München ARCHITEKTEN Hierl Architekten, München www.hierlarchitekten.de Rudolf Hierl, Ulrich Schall (Projektleitung), Miriam Ballesteros-Sels, Anja Kopp, Carolin Semtner, Stefan Tischinger, Stefan Waldherr

D

TRAGWERKSPLANER

ie Tradition des Bierbrauens Verwaltung der Paulaner-Brauerei-GrupLeicht, Structural engineering and specialist geht bereits auf das Jahr 1627 pe mit bis zu 350 Arbeitsplätzen auf consulting GmbH, Rosenheim zurück, als sich Mönche auf 8.000 Quadratmetern – ein Bekenntnis PRODUKTE dem heutigen Paulaner-Areal ansiedelzum traditionellen Braustandort und der Baumit GmbH, Bad Hindelang ten und begannen, in der klösterlichen identitätsstiftenden Historie des Areals. FACHUNTERNEHMEN Fastenzeit Bier als flüssige Nahrung für Restauro Putz GmbH Arte Antica, München den Eigengebrauch zu brauen. Von den Der Tradition des Orts folgen OBJEKT Ursprüngen ist nicht mehr viel zu sehen, Ohlmüllerstraße 42, München zu oft musste das Areal den steigenden Der vom Büro Hierl Architekten mit KoeAnforderungen an einen innerstädtiber Landschaftsarchitekten gewonnene schen Produktionsstandort angepasst Realisierungswettbewerb für das Verwerden. Lediglich der Rest der ehemaligen Zacherl'schen Bierbraue- waltungsgebäude erscheint auf den ersten Blick wohltuend unprärei, eines klassizistischen Baus von 1822, und die denkmal- tentiös. Anstelle der in der Auslobung geforderten 130 Meter langeschützte Anlage der ehemaligen Eisfabrik am Auer Mühlbach gen baulichen Struktur, die als Schallschutz für die dahinter mit der von Carl von Linde 1881 eingebauten ältesten, am Original- liegende Wohnbebauung dienen sollte, erweiterte das Team um platz befindlichen Kältemaschine der Welt sind heute noch er- Rudolf Hierl das Baufenster in die Grundstückstiefe. Ein Bild des halten. historischen Gebäudeensembles stand als Genius Loci Pate beim Die Verlagerung des Brauereibetriebs vom innerstädtischen Are- Wettbewerbsentwurf. Der Typus der Hofbebauung ermöglicht beal an den Stadtrand in den Stadtteil Langwied eröffnete der Stadt sonders gut die Entwicklung einer sozialräumlichen und strukturelund der Bayerischen Hausbau als Investor die große Chance, die len Qualität, welche eine moderne Firmenzentrale braucht, ebenso bisher industriell-gewerblichen Flächen umzustrukturieren und sie wie eine Bezugnahme auf die Historie und damit die Entstehung aufgrund der topografischen Lage zu drei neuen Wohnquartieren eines identitätsstiftenden Orts. Als Kontrapunkt zum bestehenden mit etwa neun Hektar Fläche umzuwidmen. Ein zweistufiges, inter- Höhenversprung am Auer Mühlbach, an dessen Hangkante sich die national besetztes Wettbewerbsverfahren inklusive öffentlicher Gebäude entlangducken, entwickelt sich der Neubau über drei Bürgerwerkstatt hat die notwendigen planerischen Rahmenbedin- Ebenen in die Höhe. So ist ein in Körnung und Materialität zeitgegungen für das neue Stadtquartier gesetzt. Vor Ort blieb nur die mäß interpretierter, in der Volumetrie des Denkmals entwickelter 8


PAUL ANER-BRAUEREI IN MÜNCHEN

Baukörper auf dem historischen Stadtgrundriss entstanden. Für kontroverse Diskussionen sorgte die Integration des früheren Zacherlbräu in den Neubau. Denn unter Denkmalschutz stehen lediglich die Außenmauern des Ost- und Nordflügels. Außerdem die Torhalle – bei der eine Mitwirkung von Leo von Klenze vermutet wird – und die Kellergewölbe, in denen bis zum Umbau die Gärkessel der Brauerei standen. Das aufgrund der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg errichtete Notdach erfüllte weder die konstruktiven noch die funktionalen Anforderungen an eine Nutzung zeitgemäßer Büroräume. Eine museale Rekonstruktion kam für Rudolf Hierl nicht in Frage. Daher wurde nur die heute noch existierende authentische Substanz des denkmalgeschützten Zacherlbaus im Sinne einer glaubwürdigen Geschichtsbildung in Materialität und Geometrie originalgetreu erhalten beziehungsweise wiederhergestellt.

Längsschnitt

Grundriss 1. OG

M 1:1125

Ordnung herstellen Das architektonische Konzept des Neubaus wurde aus dem Dialog mit dem Bestand entwickelt: Auf der einen Seite steht der reich verzierte Altbau, dessen Erscheinungsbild mit zeitgemäßen Elementen nicht umsetzbar ist. Den Kontrapunkt nimmt die neue, aufs Wesentliche reduzierte tragende Fassade aus extrem schlanken Fertigteilen mit 25 Zentimetern Ansichtsbreite ein, die drei Geschosse übergreifen und sich rein aus der Konstruktion entwickeln. Diese Struktur nivelliert den engen Takt, bringt Ordnung ins System und nimmt trotzdem die Körnung der Öffnungen auf. Das Erscheinungsbild spielt mit einer Mehrfachcodierung: Vom Straßenraum wirken die Baukörper wie zwei geschlossene Massivbauten, erst beim Näherkommen sieht man die Offenheit der Kubatur, deren hoher Glasanteil durch die städtische Architektur gefasst ist. Der weiß gesäuerte, lichtempfindliche Beton steht dabei im bewussten Kontrast zu den denkmalgetreu restaurierten Putzflächen des Bestands. Das Prinzip der Vorfertigung setzt sich auch im Innenraum zugunsten einer optimalen Raumausnutzung fort. Die Fertigteildecke mit fast 15 Metern freier Spannweite integriert alle notwendigen Funktionen der technischen Gebäudekonditionierung. Sie wird lediglich mit dem außen liegenden Tragwerk aus Fertigteilelementen vor Ort verbunden und durch die von innen dagegengesetzte Aluminiumfassade ergänzt. Im Sinne der Lebenszyklusbetrachtung ein smartes Konzept, können doch alle Elemente rückgebaut und wiederverwendet werden. Im Innenraum setzt sich der Dialog zwischen Alt und Neu fort. Die denkmalgeschützte Torhalle erzeugt durch die Verschneidung der Raumordnung und Ebenen eine barocke Raumschichtung. Um den Innenhof im Untergeschoss – als ausdrucksstarker Freiraum und Mittelpunkt des Hauses – organisieren sich die Veranstaltungsräume wie Bankettsaal und Kantine, während sich im Erdgeschoss im Bestandsbereich ein großzügiger Eingangsbereich befindet, der den südlichen Zugang sowie die Konferenzzone verbindet. In den Obergeschossen befinden sich die Bürobereiche mit Blickbezügen sowohl in die Stadt als auch in den Innenhof. Zwei breite Treppenhäuser mit Aufenthaltsqualität zonieren die Flächen und ermöglichen horizontal wie vertikal gute Vernetzungsmöglichkeiten mit kurzen Wegen und kompakten Dimensionen. Das flexible Bürokonzept mit einem Verteilungsschlüssel aus Einzel- und Gruppenbüros erlaubt eine vielfältige, offene Arbeitsatmosphäre. Die Identität stiftende Gestaltung setzt sich auch hier im Innenraum fort: In Analogie zum Bierbrauen wird dem Thema des Bierfasses mit Holz und naturbelassenem Stahl in den Einbaumöbeln und den Treppenhäusern entsprochen. Damit ist ein eindrucksvoller Ort entstanden, der die Qualitäten von Alt und Neu ineinanderfügt und zu einem unverwechselbaren Unikat macht.

Wo früher die Gärkessel der Brauerei standen, finden heute Bankette statt.

9


BAU A rc h i tektur - S pez i a l von Ba u mi t

Oben: der Haupteingang. Unten: Um den ruhigen Innenhof gruppieren sich die ver schiedenen Funktionen – er bildet den Mittelpunkt des Gebäudes.

Prägendes Element der neuen Hauptverwaltung der Paulaner-Brauerei ist die denkmalgeschützte Fassade des ehemaligen Zacherlbräu. Ein Gespräch mit Hans Nonnenmacher, dem Geschäftsführer Restauro Putz GmbH Arte Antica, gibt Einblicke in die Herausforderungen und schönen Momente einer solchen Bauaufgabe. EVA HERRMANN: Herr Nonnenmacher, wie haben Sie das Bauwerk vorgefunden? HANS NONNENMACHER: Obwohl wir routiniert in der Instandsetzung historischer Fassaden sind, hat uns der schlechte Zustand des Gebäudes herausgefordert. Nach langen Jahren des Leerstands, mit einem Notdach nach einem Kriegsschaden, haben fehlende Bleche und Abdichtungen enorme Feuchteschäden verursacht. Gerade im Bereich der Bossierung in der Sockelgeschosszone, auf der ein extrem dichter Zementputz das 10


PAUL ANER-BRAUEREI IN MÜNCHEN

Austreten der Feuchte verhindert hat, war das zum Teil 1,5 Meter dicke Mauerwerk stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Salze im Putz waren auskristallisiert, haben über eine Treibmineralisierung an der Oberfläche Spannung erzeugt, die die Farbschicht aufplatzen ließ und die Salzschäden sichtbar gemacht hat. Die Instandsetzung folgt nicht nur technischen und konstruktiven Regeln. Es geht auch darum, die Funktionalität des Bestands für die Nutzung als Bürogebäude mit einer angenehmen Aufenthaltsqualität herzustellen. Wichtig sind auch die optischen Ansprüche, die es braucht, um die Bestandsfassade an die Historie angelehnt aufzubauen und in das moderne, heutige Ensemble einzufügen. Und ebenso wichtig ist eine professionelle technische Umsetzung zur Beseitigung der Feuchteschäden, die den Putz zerstören.

Die Fassade steht unter Denkmalschutz – welche Einschränkungen hat man bei der Instandsetzung? Die Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz war sehr konstruktiv. Wie bei vielen alten Gebäuden haben wir in der Befunduntersuchung mehrere Farbschichten gefunden. Alle Farbfassungen wurden dokumentiert, aber nicht die chronologisch älteste Fassung wurde wiederhergestellt, sondern der Farbkontrast, der zum Ensemble und zum Stadtbild passt. Der speziellen Farbigkeit des Betons wurde ein leichter Grauton entgegengesetzt, der zwar etwas kühl wirkt, aber dadurch den Beton wärmer erscheinen lässt und den Kontrast zwischen Neubau und Bestand aufhebt. Die Entscheidungsfreiheit bezieht sich aber nur auf das „dekorative“ Element Farbe, oder?

Wie gehen Sie dabei vor?

Es ist eine bauphysikalische Herausforderung, diese meterdicken Mauern auszutrocknen. Zwei bis drei Jahre wird dieser langwierige Prozess dauern, bei dem die Diffusion nach außen gewährleistet sein muss beziehungsweise die Feuchtigkeitsaufnahme und -abgabe im Gleichgewicht sind. In diesem Fall können wir nicht auf historische Rezepturen, die auf einer Kalkputzmischung basieren, zurückgreifen, sondern verwenden Sanierungsputze. Der Porenmix ist der entscheidende Faktor der aufwendig entwickelten diffusionsoffenen Putze. Ein ausgeglichenes Verhältnis an Kapillarporen, die bis zu einem gewissen Anteil Feuchtigkeit transportieren, und Haufwerksporen, die es benötigt, um die Salze einzulagern, ist wichtig. Außerdem muss der Putz hydrophobiert sein, damit die Feuchtigkeit sich nicht im Material einlagert. Zudem haben wir ein diffusionsoffenes, mineralisches Farbsystem verwendet, sodass der Dampf entweichen kann, die Feuchtigkeit aber nicht kapillar weitergeführt wird. Oberhalb des Sockelbereichs können wir wegen der geringeren Feuchtigkeitsbelastung auch wieder mit historisch basierten Kalkputzrezepturen weiterarbeiten.

Es ist eine bauphysikalische Herausforderung, diese meterdicken Mauern auszutrocknen. Zwei bis drei Jahre wird dieser langwierige Prozess dauern...

“ 11

Das stimmt. Im Bereich der Torhalle und des Entrees haben wir die vorhandenen Kuppeln bearbeitet, Gesimse und Segmentbögen nach dem Bestand rekonstruiert. Weißer Kalkputz und Kalkglätte wurden für den Innenraum verwendet, um dem historischen Vorbild zu entsprechen und zugleich den Übergang zwischen dem Altbau und dem modernen Bereich zu schaffen. Gab es Überraschungen während der Bauphase? Eigentlich nicht, denn die Baukörper aus der Bauperiode ähneln sich. Die Gestalt und Ästhetik entwickelten sich früher aus der Materialität und der Konstruktion heraus. Das Ziegelformat ist das Maß der Dinge, aus der sich die Statik heraus entwickelt. Die Folge daraus: die Proportionen, die sich aus der Konstruktion ergeben, sind stimmig. Das ist nicht als Verklärung der Historie zu verstehen, sondern eine Herangehensweise an das Objekt. Erst auf den zweiten Blick sieht man die feinen Details. Zur Bauzeit des Zacherlbräu hat man die Faschen und Profilierungen vorgemauert. Denn den Kalkputz konnte man nicht so stark aufbauen und im Anschluss in Form bringen. So wurde die Bossierung im Sockelbereich von Hand mit Schablonen abgezogen, um die weichen, runden Ecken in historischer Anmutung zu erzielen. Da kein Traufgesims mehr vorhanden war, wurden diese mit einer Streckmetallunterkonstruktion aus verzinktem Eisen vorgebogen, gerabitzt, vorgeputzt und vor Ort mit der Schablone gezogen, um den historischen Dachanschluss wiederherzustellen. Die glatte Oberfläche der Fassade wurde nicht mit der Rolle, sondern mit der Bürste gestrichen, deren Erscheinungsbild mehr dem historischen Vorbild ähnelt. Zugleich muss hier exakt gearbeitet werden, um auch im Streiflicht ein gutes Erscheinungsbild zu geben. Das Ergebnis entschädigt die Mühe. Die Historie ist wieder instandgesetzt und entfaltet im Kontrast zum modernen Betonbau ihre wunderbare Wirkung.


BAU A rc h i tektur - S pez i a l von Ba u mi t

INTERVIEW

WAR ABREISSEN UND NEU BAUEN NIE EINE OPTION, HERR HIERL? Bauen im Bestand ist zu einer wichtigen Aufgabe für die gegenwärtige Architektengeneration geworden. Es gilt, zukunftsweisende Konzepte zu formulieren, die die Weiterentwicklung der Stadt mit ihrem schwierigen Bestand zu einer reizvollen Aufgabe werden lassen. Eva Herrmann sprach mit Rudolf Hierl über das Weiterbauen im Bestehenden und den Reiz des Neuen. Interview EVA HERRMANN Foto EDZARD PROBST

Rudolf Hierl, der Architekt der Paulaner-Brauerei in München, erklärt, was ihm beim Entwerfen wichtig ist.

EVA HERRMANN: Herr Hierl, Hand aufs Herz – war abreißen und neu bauen beim Projekt für die Hauptverwaltung der PaulanerBrauerei nie eine Option? RUDOLF HIERL: (lacht) Nein, Abriss war zu keinem Zeitpunkt ein ernstzunehmender Ansatz. Ein Denkmal gibt einen extrem guten Impuls, weil daraus Raumatmosphären entstehen können, die normalerweise mit keinem Bauherrn umsetzbar sind. Denken Sie nur an die Qualität von Raumhöhen. Ausgehend von der denkmalgeschützten Eingangshalle des Zacherlbräu mit etwa sechs Metern entsteht mit der Bindung an den Altbau in der Fassade eine großartige räumliche Vielfalt. Anstelle einer wirtschaftlichen Stapelung von optimierten Regelgeschossen können wir den wachsenden Charakter im Rhythmus di-

rekt an der Gebäudehülle ablesen: von sechs Metern im Eingangsbereich, 3,90 Metern im Erdgeschoss und immer noch drei Metern im ersten und zweiten Obergeschoss. Oder die 1,50 Meter dicken, massiven Mauerwerkswände, die nahtlos an die modernen Elemente der Fertigbauteile anschließen und deren große Laibungstiefe ermöglichen. Dann hat Sie der Denkmalschutz sogar beflügelt? Geschichte kann man nicht bauen. Der Ort lebt mit und von dem Unikat. Bei einem Neubau fragt man zeitgemäße Standards ab und hat selten die Möglichkeit, Gegebenheiten in Frage zu stellen. Erst in der Auseinandersetzung mit den baulichen Epochen bezieht der zukunftsweisende Neubau seine Kraft. Der 12

Umgang mit der bestehenden Substanz war trotzdem äußerst anspruchsvoll. Weniger aus statischen Gründen, sondern durch die aufwendige Detailtiefe der Anschlüsse an die Bestandsfassade: vom modernen Hohlraumboden, den Fensterlaibungen oder der Absturzsicherung. Aus wirtschaftlichen Gründen entschied man sich gegen die Fortführung des uneinheitlichen Rasters der Lochfassade, vielmehr suchte man nach einer Lösung für eine steinsichtige Lochfassade mit einem großen Belichtungsanteil. Allein die Fassadenvarianten waren das Ergebnis zahlreicher Diskussionen. Es braucht eine genaue Auseinandersetzung mit dem Ort und den Anforderungen, um das, was man ausdrücken will, genau zu treffen oder – im Gegenteil – auszuschließen.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.