STADTBLATT 2018.11

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bühne

Das komplette Gruselkabinett Oliver Meskendahl und Thomas Kienast liefern in „Das Geheimnis der Irma Vep“ eine brillante Zwei-Mann-Show ab

n

ach Komödie sieht die Bühne von „Das Geheimnis der Irma Vep“ nicht gerade aus. Der viktorianisch anmutende Salon ist in einem dunklen Grau-Grün gehalten, aus einem über dem Kamin hängenden Portrait blickt die Titelfigur, die verstorbene Lady Irma Hillcrest, düster ins Publikum. Auch die Kostüme passen in dieses Ambiente, doch ganz so schaurig wird es dann doch nicht. Denn das „Geheimnis“ ist ein echt irres Stück Theater: Acht Rollen, aber nur zwei Schauspieler, die sich dafür 40 Mal umziehen müssen, fast 100 Auf- und Abgänge in gut anderthalb Stunden. Und das alles ohne Pause. Klingt nach Vollgas, und das ist es auch. Schon nach wenigen Minuten haben Oliver Meskendahl und Thomas Kienast das Publikum auf ihrer Seite, heimsen die ersten Lacher ein. Denn „Das Geheimnis der Irma Vep“ kommt zwar düster daher, ist aber eine Komödie. Genauer gesagt: Eine Satire, die gleich eine ganze Reihe von Theater-, Literatur- und Filmgenres aufs Korn nimmt. Hier wird alles durch den Kakao gezogen, das irgendwie mit viktorianischen Grusel zu tun hat: so dürfen weder Werwölfe noch Vampire oder Mu-

mien fehlen. Die Handlung liegt irgendwo zwischen „Rebecca“, „Tanz der Vampire“ und „Sturmhöhe“. Aber so genau kann man das gar nicht sagen, denn die einzelnen Szenen folgen so schnell aufeinander, dass man Mühe hat, jede Anspielung als solche zu erkennen, geschweige denn der Handlung zu folgen. Die ist aber sowieso Nebensache. Neben den beiden Schauspielern stehen hier die Effekte im Vordergrund. Das gesamte Repertoire des Schauergenres wird aufgefahren: quietschende Türen, ein kalter Luftzug, erlöschende Kerzen und unheimlich dreinblickende Portraits werden mit allen Mitteln der Schauspielkunst in Szene gesetzt. Weit aufgerissene Augen und Münder, vieldeutige Blicke und teils markerschütternde Schreie lassen auch das Publikum kaum zur Ruhe kommen. Manch ein furchtsamer Zuschauer zuckt bei den unerwarteten Schüssen oder Donnerschlägen unwillkürlich zusammen. Einen wahren Kraftakt liefern die Darsteller dabei ab. Nicht nur muss jeder von ihnen mehrere Rollen verkörpern, diese sind auch noch so unterschiedlich, dass man sich fragt, wie das zu machen ist, ohne schizophren zu werden. So spielt Thomas Kienast

einerseits die undurchsichtige Haushälterin Jane Twisden, die im schwarzen Dienstbotenkleid gehorsam ihren Dienst tut und dabei immer wieder seltsame Andeutungen macht; im nächsten Moment steht er als Lord Edgar Hillcrest auf der Bühne, der – ganz Klischee – die Ängste seiner neuen Gattin als Unfug abtut und lieber in Ägypten Mumien ausgräbt, als seine Ehe zu retten. Oliver Meskendahl verwandelt sich vom einbeinigen Stallburschen Nicodemus Underwood in die „bezaubernde“ ehemalige Schauspielerin Lady Enid Hillcrest, mimt aber auch einen ägyptischen Fremdenführer und eine von den Toten auferstandene Mumie. Eine Pause hat während der gesamten Vorstellung keiner der beiden. Während des Kostümwechsels geht der Dialog im Off weiter, der eine fungiert als Stichwortgeber für den anderen – muss dabei aber immer die gerade pas-

sende Stimme wählen. Eine großartige Leistung. Dass da mal eine Perücke falsch herum auf dem Kopf landet, der Reißverschluss an Kleid oder Stiefel nicht ganz zugezogen wird, oder das Echo sich – anders als geplant – nicht nur im langen Gang des Grabmals ausbreitet: geschenkt. Eigentlich tragen diese Kleinigkeiten noch zum Spaß bei, den das „Geheimnis“ macht, denn das Stück nimmt sich selbst nicht ernst, warum also sollten Darsteller oder Publikum das tun? Allein ganz am Ende, nachdem das Geheimnis gelüftet wurde, wird es etwas ruhiger, das fast harmonische Ende gibt einem die Chance, kurz durchzuatmen – bevor Darsteller und Team sich ihren wohlverdienten, ausgiebigen Applaus abholen. NINA BARTHOLOMAEUS

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FOTO: UWE LEWANDOWSKI

Quietschende Tür, kalter Luftzug, erlöschende Kerze: In „Das Gemeimnis der Irma Vep“ werden alle Register gezogen

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