Stadtblatt 2017 04

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kino

Dreht den Leuten nach dem Krieg frische Wäsche an: Moritz Bleibtreu in „Es war einmal in Deutschland“

Sieben Schelme & ein Lügenbold Einmal heiter, einmal spannend: Die Filme „Es war einmal in Deutschland“ und „Verleugnung“ erzählen deutsche Geschichte aus ungewöhnlichen Perspektiven. Beide recht prominent besetzt mit Moritz Bleibtreu und Rachel Weisz.

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udenverfolgung, Holocaust, Shoah – nicht unbedingt populäre Stichworte. Doppelt respekteinflößend, wenn sich Schriftsteller und Filmemacher weiterhin mit diesen Themen befassen. Michel Bergmann war Journalist, Drehbuchautor vornehmlich der Sparten Krimi und Komödie sowie Regisseur, bis er sich mit „Die Teilacher“ erfolgreich dem Roman zuwandte. Mit „Machloikes“ schrieb Bergmann eine Fortsetzung. Seine Themen findet Bergmann, der selbst in einem Internierungslager geboren wurde, in der deutsch-jüdischen Geschichte und steht mit seiner gallig-humorvollen Erzählhaltung in der Tradition jüdischer Komiker, die noch den tragischsten Umständen einen bitteren Witz abzuringen wissen. Sam Garbarski führt in „Es war einmal in Deutschland“ Inhalte beider Romane zusammen. Die „Teilacher“ sind eine Gruppe jüdischer Handelsvertreter, die das mörderische NS-Regime mit Glück überlebt haben und nach Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Frankfurter Durchgangslager zusammentreffen. Ihr weiterer Weg soll sie in die USA führen, doch es fehlt am nötigen Kapital. Das Schlitzohr David Bermann (Moritz Bleibtreu) hat die richtige Idee:

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Das noch vom Krieg gezeichnete Restdeutschland braucht frische Wäsche. Bei ihren Verkaufszügen über Land entwickeln die „Teilacher“ raffinierte Ideen. Bei diesem Thema ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn das Zerrbild vom verschlagenen, betrügerischen jüdischen Verkäufer gehörte zum infamen Diffamierungsvokabular der Nationalsozialisten. Die Autoren nehmen das Motiv nun listig auf und wenden es gegen seine verbrecherischen Urheber. Die sieben Schelme haben die Sympathien auf ihrer Seite.

Die schmerzvolle Vergangenheit wird keineswegs fröhlich überspielt und ausgeblendet, sie holt ausgerechnet die Hauptfigur Bermann ein, der von einer US-Militärpolizistin (Antje Traue) verdächtigt wird, im Konzentrationslager ein Nazi-Kollaborateur gewesen zu sein. Warum immer wieder an die NaziGräuel erinnert werden muss, zeigt „Verleugnung“, eng an reale Ereignisse aus der Mitte der 1990er Jahre angelehnt, als vor einem britischen Gericht über den Unterschied zwischen Meinung und Fakten verhandelt

Im Clinch mit Holocaust-Leugner David Irving: Rachel Weisz als USamerikanische Geschichtsprofessorin

wurde – in einer Phase der „Fake News“-Diskussion eine ausgesprochen aktuelle Note. David Irving, autodidaktischer Historiker und Buchautor, hatte sich unter dem Eindruck seiner Gespräche mit überlebenden Alt-Nazis immer weiter in die Idee verrannt, Adolf Hitler sei ein Freund der Juden gewesen. Am Ende trat Irving gar als Holocaust-Leugner in Erscheinung und war gern gesehener Gast bei europäischen Neo-Nazi-Treffen. Auch in Deutschland. Die US-amerikanische Geschichtsprofessorin Deborah Lipstadt (Rachel Weisz) befasste sich in einem ihrer Bücher mit den Fälschungen und Argumentationsstrategien der Holocaust-Leugner und zitierte dabei auch Irving – wissenschaftlich einwandfrei mit Beleg. Dennoch wurde sie von Irving der Verleumdung bezichtigt und vor einem britischen Gericht verklagt. Die Besonderheiten der britischen Justiz verlangten, dass die Beklagte und ihre Anwälte nachweisen mussten, dass es den Holocaust tatsächlich gab. Nach einem Drehbuch des Bühnenautors David Hare und unter der Regie Mick Jacksons wird daraus großes Schauspielerkino in der Tradition klassischer Gerichtskrimis. Sehr spannend, wahr und wie gemacht als empfehlenswerte Ergänzung zur Tragikomödie „Es war einmal in Deutschland“. HARALD KELLER

Es war einmal in Deutschland D/Luxemburg/Belgien 2017. R: Sam Garbarski. D: Moritz Bleibtreu, Tim Seyfi, Anatole Taubman u. a. P ab 6.4., Cinema Arthouse Verleugnung GB/USA 2016. R: Mick Jackson. D: Rachel Weisz, Timothy Spall, Tom Wilkinson u. a. P ab 13.4., Cinema Arthouse


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