Stadtblatt 2016 01

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musik

Von der Wut zum Mut Deutschrocker Sebastian Madsen nimmt seine Musik sehr ernst, sich selbst aber nicht so wichtig. Im aktuellen Album „Kompass“ seiner Band Madsen besingt der 34-Jährige sein Unbehagen am Popstarwahn.

Sebastian Madsen (3. v. l.): „Dieses Soziale-Medien-Phänomen hat mit Unsicherheit zu tun.“ STADTBLATT: Das aktuelle MadsenAlbum beginnt mit einem Wutausbruch: „Sirenen“. Welches konkrete Ereignis hat diesen Song ausgelöst? MADSEN: Nach sechs Alben sind mir die Themen langsam ausgegangen, weshalb ich anfing, in meiner Vergangenheit herumzugraben. Vor acht Jahren war ich mit unserem alten Keyboarder Folli in Dannenberg bei uns im Wendland, als der Castor verladen wurde. Es wurde langsam ungemütlich, da rollten Wasserwerfer und Hundertschaften von Polizisten an. Ich hatte ein bisschen Angst, denn ich war nie der Typ, der sich von Wasserwerfern wegspülen lässt. Wir gingen deshalb erst mal in ein Lokal, um etwas zu essen. Dort lief schöne Musik im Radio, Kerzen brannten und man hatte nicht das Gefühl, dass draußen etwas passiert. Das fand ich erschreckend. Es passieren viele unangenehme Dinge auf der Welt und es ist irre leicht, das auszublenden. STADTBLATT: Hast Du das Gefühl, dass jungen Menschen finanzielle Sicherheit wichtiger ist als gesell28 STADTBLATT 1.2016

schaftliches Engagement? MADSEN: Tja, ich hoffe, dass es nicht so ist, aber man hat hier und da schon den Eindruck. Ein großes Problem ist, dass viele junge Leute Popstars sind. Damit meine ich diesen Selfie-Wahn: Alle zehn Minuten schauen sie in ihre Telefone, um zu gucken, wie man bei anderen ankommt. Das lenkt von vielen Dingen ab und man verzettelt sich. STADTBLATT: Wo ziehst Du selbst die Grenze? MADSEN: Ich bin Teil dieser Gesellschaft. Auch ich bin nicht befreit davon zu gucken, wie viele Follower andere Bands haben oder wie vielen Leuten unsere Bilder bei Instagram gefallen. Irgendwann ziehe ich aber die Bremse und mach das Ding aus, um an den See zu fahren. Man hat natürlich auch Angst, dass man Fans enttäuscht und Erwartungen nicht erfüllt. Ich glaube, dieses Soziale-MedienPhänomen hat ganz viel mit Unsicherheit zu tun. STADTBLATT: Bittest Du euer Publikum, die Handys während des Konzerts auszuschalten?

MADSEN: Es hat sich in letzter Zeit ganz schön viel getan. Noch vor etwa sieben Jahren konnte man jeden Pups, den wir auf der Bühne rausgehauen haben, einen Tag später im Netz sehen. Heute halten nur noch wenige ihre Telefone hoch. Ich habe da sogar mal ein Stück drüber geschrieben: „Grausam und schön“. Das Lied ist eine Aufforderung, die Augen zu schließen und die Musik auf sich wirken zu lassen. STADTBLATT: Sehen Sie Madsen als politische Band? MADSEN: (lacht) Textlich in manchen Ausrutschern vielleicht. Privat auf jeden Fall. Ich will unterhalten und den Leuten ein gutes Gefühl geben. Dann machen sie auch keinen Scheiß und sind nicht aggressiv. Das hat vielleicht auch mit der Musik zu tun, mit der wir aufgewachsen sind: Nirvana, Refused, Deftones, auch die Beatles. Rebellische Musik, die unheimlich viel positive Energie frei setzt. Wenn man die Leute dazu kriegt, sich dazu zu verausgaben, ist das eine unglaublich gute Sache.

STADTBLATT: Nächstes Jahr wirst Du 35. Ab wann ist man zu alt für Rockmusik? MADSEN: Wenn ich merke, dass mein Körper mir Schwierigkeiten macht. Das kann ich leider nicht beeinflussen. Nicht jeder Altvordere steht noch so cool wie Paul McCartney da. Ansonsten habe ich auch kein Problem, umzuplanen. STADTBLATT: Hast Du einen Plan B in der Tasche? MADSEN: Nein. Unseren ersten Plattenvertrag hatten wir bereits am Anfang meines Studiums. Gott sei Dank, weil ich mit neuerer deutscher Literatur dann doch nicht so viel anfangen konnte, obwohl ich mich für Texte interessiere. Musik ist meine Berufung, ich denke mir gerne Geschichten aus und produziere gerne. Keine Ahnung, ob ich damit reich werde, aber darum geht es erst mal nicht. Ich will Dinge tun, die mich ausfüllen. INTERVIEW: OLAF NEUMANN

P 9.2., Bielefeld, Ringlokschuppen 10.2., Bremen, Aladin


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